Das Judenhaus in der Adelheidstr. 94. war auch die letzte Wohnstätte für Betty Baum und ihre drei Kinder, bevor diese zusammen am 23. Mai 1942 nach Izbica deportiert wurden. Wie die übrigen jüdischen Metzger Wiesbadens, hatte auch die Familie Baum schon früh unter den antisemitischen Übergriffen zu leiden gehabt und dabei ein besonders schreckliches Schicksal erfahren.
Betty, geboren am 16. Dezember 1896, war eines von insgesamt 11 Kindern von Löb Katzenstein aus Flieden im heutigen Kreis Fulda.[1] Allerdings entstammte diese große Zahl der Nachkommen aus zwei verschiedenen Ehen. Der Sohn von Jesel Katzenstein und Fanny Lion, die am 1. September 1841 in Flieden geheiratet hatten,[2] war zunächst mit Sara Sonn aus Züntersbach im heutigen Main-Kinzig-Kreis verheiratet gewesen.[3]
Aus dieser am 19. Juni 1877 in Flieden geschlossenen Ehe waren fünf Kinder hervorgegangen, von denen aber nur der älteste, der am 17. Februar 1879 geborene Joseph später ebenfalls in Wiesbaden ansässig war. Seit 1909 hatte er dort unter verschiedenen Adressen gelebt, eine Familie gegründet und möglicherweise auch andere Familienmitglieder zum Umzug nach Wiesbaden animiert. Während er selbst bereits am 30. Dezember 1934 verstarb, konnte seine aus Oberschlesien stammende Frau Paula Weiß mit den beiden Kindern Vera Selma und Ernst noch vor dem Beginn der Deportationen aus Deutschland fliehen.[4]
Zwei Tage nach der Geburt ihres letzten Kindes Isaak, verstarb Sara Katzenstein.[5] In seiner zweiten Ehe mit der am 22. Juni 1864 in Rothenburg an der Fulda geborenen Zerline / Lina Werthan, die am 16. Oktober 1888 in Burghaun geschlossen worden war, kamen weitere sechs Kinder zur Welt.[6] Betty war die zweitletzte. Ihr folgte am 17. November 1898 noch die jüngere Schwester Fanny, die später vor ihrer Flucht noch einmal zu einem letzten Besuch nach Wiesbaden kam, um sich von ihrer Schwester zu verabschieden.[7]
Über Löb Katzenstein, der einen „Handel mit allem“ betrieb, weiß man, dass er selbst aus einer kinderreichen und alteingesessenen Familie stammte,[8] die in der dortigen jüdischen Gemeinde eine hervorragende Stellung einnahm. Wie ein Bericht über seine am 13. Mai 1921 erfolgte Beerdigung in der Zeitschrift „Der Israelit“ belegt, stand auch er in dieser Tradition und ging als hoch geachteter Mitbürger aus dieser Welt.[9]
Wann Betty Katzenstein nach Wiesbaden gekommen war, ist nicht bekannt. Allerdings ist in Flieden vermerkt, dass sie sich am 15. August 1912 von dort im Alter von noch nicht einmal 16 Jahren bei den örtlichen Behörden abmeldete. Möglicherweise hatte sie eine Stellung als Hausangestellte in einer der umliegenden Städte, vielleicht sogar damals schon in Wiesbaden gefunden.
Moritz / Moshe Baum, der Ehemann von Betty Baum, war das zweitjüngste der sechs Kinder der Metzgerfamilie Joseph und Thekla Baum, geborene Ullmann, die bereits die Familientradition des Metzgereigewerbes von den Eltern, von Abraham Meier Baum und seiner Frau Babette, übernommen hatten. Auch der am 10. Februar 1892 in Schierstein geboren Moritz, wie auch seine älteren Brüder Karl, Albert und Julius, blieben dieser Branche treu.
Nach ihrer Heirat am 29. Juni 1922 zogen Moritz und Betty Baum in die Wellritzstr. 16, wo auch ihr Geschäft angesiedelt war.[10] Hier wurden auch ihre drei Kinder geboren. Die Älteste war die am 2. September 1924 geborene Trude, ihr folgte am 22. Oktober 1926 der Sohn Josef Erwin und in einer schon schwierigen Zeit zuletzt Lore am 20. August 1931.
Ursprünglich muss das Geschäft sehr gut gegangen sein. Eine Steuerprüfung hatte noch für das Geschäftsjahr 1929, in dessen letztem Quartal schon die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland spürbar wurden, einen Gesamtumsatz von nahezu 220.000 RM und ein Gewinn von fast 15.000 RM errechnet.[11]
In dieser erfolgreichen Phase erwarb Moritz die Hälfte des Hausgrundstücks Wellritzstr. 16 von seinem Bruder Karl für 10.000 RM.[12] Noch 1931 betrug das Gesamtvermögen des Ehepaars Baum etwa 36.000 RM, die Hälfte davon war aber im Betrieb festgelegt, mindestens weitere 10.000 RM in dem gerade erworbenen Mietwohngrundstück.[13]
Aber bald danach geriet der Betrieb ins Straucheln, sicher auch hier verursacht durch das generelle wirtschaftliche Umfeld in dieser Zeit, nicht weniger aber durch die Attacken judenfeindlicher Agitatoren. 1932 musste Moritz Baum das Finanzamt Wiesbaden um einen Zahlungsaufschub für fällige Steuern bitten. Er sei, so schrieb er, „z.Zt. derart schwach bei Kasse, dass es mir an den Schlachttagen sehr schwer fällt, das gekaufte Schlachtvieh bezahlen zu können. Mein Bankkredit ist erschöpft…“[14]
Obwohl 1933 der Umsatz noch bei 126.000 RM und 1934 noch knapp über 100.000 RM gelegen hatte, so ist die Darstellung der prekären Lage dennoch glaubhaft, denn die Zahlen bedeuteten eine Halbierung der früheren Einnahmen. Noch dramatischer war die Einkommensentwicklung. 1933 hatte das zu versteuernde Einkommen bei gerade mal 448 RM gelegen.[15]
Die eigentlichen, jetzt auch gewalttätigen Aktionen gegen die jüdischen Metzger und Viehhändler begannen aber erst ein Jahr später. Die SA erlaubte sich ein öffentliches Spektakel und führte Anfang 1934 die im Schlachthof anwesenden Metzger und Viehhändler in einem Zug von dort durch die Stadt zum Luisenplatz. Das erneute Betreten des Schlachthofs zum Kauf oder zur eigenen Schlachtung war ihnen von diesem Zeitpunkt an verwehrt.[16] Die arischen Metzger hatten sich damit der qualitativ guten und dennoch preisgünstigen Konkurrenz jüdischer Metzger so gut wie entledigt.
Was den letzten Ausschlag gegeben hatte – es wurde von Misshandlungen gemunkelt -, wird man nicht mehr in Erfahrung bringen können. Aber dass die Tat in einem unmittelbaren Zusammenhang mit diesen entwürdigenden und existenzvernichtenden Maßnahmen stand, kann kaum bezweifelt werden: Am Vormittag des 12 Dezember 1935 erhängte sich Moritz Baum im Keller seines Hauses.
Betrachtet man das Bild von der Familienfeier der Baums anlässlich der Geburt der Tochter Lore aus dem Jahr 1931, so wird deutlich, dass es um mehr ging, als um eine mögliche Misshandlung: Das hier abgebildete Leben, das in der reich gedeckten Tafel, noch mehr in der Mimik der Festteilnehmer, im Besonderen in Statur und Gesichtsausdruck von Moritz Baum selbst seinen Ausdruck findet, dieses Leben war ein für allemal zerstört. Nicht die Boykottaktionen allein, nicht der wirtschaftliche Niedergang, der unzweifelhaft viele Einschränkungen und eine Veränderung des Lebensstils bedeutete, nicht der Hieb eines SA-Schergen und nicht die alltäglichen Demütigungen auf der Straße, es war die Kumulation all dieser Erfahrung, die Moritz Baum zu diesem letzten wohl verzweifelten Schritt veranlasst hatte, wohl wissend, dass er damit seine Frau mit den drei kleinen Kindern alleine in dieser ‚Unwelt’ zurücklassen würde.
Und Betty Baum war allein. Sie konnte den Betrieb, der ohnehin nichts mehr abwarf, nicht mehr weiterführen. Seit dem 12. Dezember 1935 sei er „vollständig geschlossen“, wie sie im März 1936 dem Finanzamt Wiesbaden mitteilte.[17] Die noch fällige Steuerschuld von 342 RM wurde ihr zunächst erlassen. Als sie aber etwa ein Jahr später das Inventar der Metzgerei samt Maschinen für 2.300 RM verkaufen konnte, musste sie diese Schulden noch nachzahlen.[18]
Wieder ein Jahr später, am 8. September 1938, veräußerte sie auch das Haus samt Metzgerei und der installierten Kühlanlagen für 40.000 RM an den Metzgermeister Ernst Höflich und seine Frau Minna, die zu diesem Zeitpunkt bereits im Haus wohnten.[19] Auf dem Haus lag noch eine Hypothek in Höhe von 22.600 RM, die vom Käufer zu übernehmen war. Die Restsumme von 11.600 RM sollte auf Antrag der Zollfahndungsstelle Mainz auf ein gesichertes Konto der Deutschen Bank eingezahlt werden. Die entsprechende Anordnung der Devisenstelle Frankfurt erging am 13. Februar 1939, wurde dann noch einmal auf Antrag von Betty Baum dergestalt abgeändert, dass die gesamte Restkaufsumme geviertelt wurde und auch die Kinder je ein Viertel erhielten. Auch diese Beträge mussten selbstverständlich auf ein gesichertes Konto eingezahlt werden.
Noch gewährte man Betty Baum und den Kindern einen Freibetrag von 600 RM im Monat. Der Onkel von Moritz Baum, der Kaufmann Ferdinand Baum, war zum „Beistand der elterlichen Gewalt über die Kinder bestellt“ worden. Ihm durfte der Freibetrag im Namen der Kinder ausgezahlt werden.[20]
Wann Betty Baum mit den Kindern in die Adelheidstr. 94 übersiedeln musste, wo seit Juni 1939 die Familie eines entfernten Verwandten, die von Aron Seelig wohnte, ist nicht mehr feststellbar. Ein entsprechender Eintrag auf der Gestapo-Karteikarte fehlt. Allerdings kam im Juli 1941 ein Brief von der Devisenstelle Frankfurt, in dem der Freibetrag auf 300 RM herabgesetzt wurde. Die angegebene Adresse Wellritzstr. 16 war auf dem Kuvert durchgestrichen und mit Adelheidstr. 94 ersetzt worden. Auf der Karteikarte der Gestapo ist nach der Wellritzstraße die Mauergasse 8 eingetragen. Darunter ist dann aber handschriftlich vermerkt: „hat Mauergasse 8 nicht gewohnt, jetzige Wohn. W[iesbaden], Adelheidstr. 94.“ Wann dieser Eintrag vorgenommen wurde, ist nicht angegeben.
Aber offensichtlich muss der Umzug schon wesentlich früher, nämlich spätestens im Frühjahr 1940 vonstatten gegangen sein. Im Mai 1940 erhielt Betty Baum Besuch von ihrer am 17. November 1898 ebenfalls in Flieden geborenen Schwester Fanny, eine inzwischen verheiratete Tawrogi.[21] Nur eine Woche dauerte der Besuch. Trotzdem hatte die Gestapo eigens für sie eine Karteikarte angelegt: „Zugang: 6.5.40, Adelheidstr. 94 bei Baum“. Demnach muss Betty mit den Kindern bereits zu dieser Zeit in dem Judenhaus gewohnt haben, wovon aber die Devisenstelle offensichtlich keine Kenntnis hatte. Am 14. Mai 1940 war die Schwester dann wieder in ihren Geburtsort Flieden im Kreis Fulda abgereist. Dass es sich bei ihrer Anwesenheit in Wiesbaden um einen Besuch handelte, wurde ebenfalls auf der Karte vermerkt. Es war der Abschiedsbesuch bei ihrer Schwester, denn schon am 22. Juli 1940 betrat Fanny Tawrogi in Yokohama in Japan ein Schiff, das sie und ihren Mann nach Seattle an der amerikanischen Westküste brachte. Am 23. März 1946 erhielten beide die amerikanische Staatsbürgerschaft. In ihrer neuen Heimat ist Fanny Tawrogi am 5. Februar 1954 in New York verstorben, Hugo Tawrogis verschied erst im Oktober 1972.[22]
Der Karteikarte von Fanny Baum ist auch zu entnehmen, dass die älteste Tochter Trude vom 15. November 1939 bis zum 18. September 1941 in Mainz in der Ludwigstr. 8 gewohnt hat. Möglicherweise waren Betty und die Kinder schon zu diesem Zeitpunkt in das Haus in der Adelheidstraße gekommen. Als Trude wieder nach Wiesbaden zurückkehrte, musste auch sie in das Judenhaus einziehen. Wo und bei wem die Mutter mit den Kindern dort wohnte, wie viele Zimmer ihnen zur Verfügung standen, ist nicht mehr feststellbar.
Nachdem Betty nach der Übersiedlung erneut eine Vermögenserklärung abgeben musste, teilte sie der Devisenstelle mit, weder über ein Einkommen, noch über Vermögen zu verfügen. Die Bankguthaben der minderjährigen Kinder dienten dem gemeinsamen Unterhalt. Daraufhin wurde der Freibetrag erneut gemindert, diesmal auf 250 RM.[23]
Am 10. Juni 1942, dem Tag der zweiten Massendeportation aus Wiesbaden, teilte die Devisenstelle Frankfurt der Deutschen Bank, wo die gesicherten Konten eingerichtet worden waren, den Vermögenseinzug von Betty Baum, der 10jährigen Dora, dem 15jährigen Josef Erwin und der 17jährigen Trude mit.[24] Sie waren zusammen bereits am 23. Mai 1942 über Frankfurt mit insgesamt 930 anderen Juden mit dem „Sonderzug“ Da 60 nach Izbica deportiert worden. Etwa 120 bis 160 Männer wurden in Lublin aus dem Zug geholt und zum Aufbau des Lagers Majdanek gezwungen. Wo Betty Baum mit ihren Kindern letztlich umgebracht wurde, ist nicht bekannt. Überlebende dieses Transports sind nicht bekannt. In dem 1950 anberaumten Todeserklärungsverfahren konnte nur festgestellt werden, dass sie verschollen blieben, weshalb das Todesdatum für alle vier auf den 8. Mai 1945 festgelegt wurde.[25]
Veröffentlicht: 13. 11. 2017
Letzte Änderung: 21. 02. 2020
Anmerkungen:
[1].Geburtsregister Flieden 114 / 1896. Auch Geburtsregister der Juden von Flieden 1823-1885 HHStAW 365 (186). Die Schreibweise der Eltern ist im Geburts- und Heiratseintrag unterschiedlich, einmal Jesel und Fanni, dann Jäsel und Vanni.
[2] Heiratsregister Flieden 1834-1885, HHStAW 365 187.
[3] Heiratsregister Flieden 17 / 1877. Die Eltern von Sara Sonn waren der Viehhändler Salomon Sonn und seine Frau Bringe.
[4] Paula Weiß war am 22.4.1888 in Gleiwitz geboren worden. Sie verstarb in ihrem Exil in Argentinien. Dort blieb auch der Sohn Ernst, der am 2.5.1914 in Wiesbaden geboren wurde, während die ältere Schwester Vera Selma, geboren am 24.11.1909, nach ihrer 1932 mit Walter Moritz Wels geschlossenen Ehe 1936 in die USA auswanderte.
Die nach Joseph folgenden Kinder von Löb und Sara Katzenstein waren laut Geburtsregister Flieden Salomon, geboren am 6.1.1882, (2/1882), Bertha, geboren am 9.2.1864, (14/1884), Moritz, geboren am 9.7.1886 (77/1886) und zuletzt Isaak, geboren und verstorben am 5.3.1888, (18/1888). Bertha war ebenfalls bereits mit 21 Jahren in Flieden gestorben, den übrigen Geschwistern war die Flucht nach Großbritannien bzw. den USA gelungen. Das einzige Kind von Löb Katzenstein, das der Shoa zum Opfer fiel, war Betty.
[5] Sterberegister Flieden 13/1888. Im Sterberegister steht, dass sie inzwischen zur katholischen Kirche konvertiert war.
[6] Heiratsregister von Burghaun 14 / 1888. Das Geburtsdatum von Zerline Werthan ist ihrem Sterbeeintrag des Sterberegisters der Stadt Wiesbaden 1683 / 1938 entnommen. Sie verstarb am 25.10.1938. In dem Eintrag wird von ihrem Stiefsohn Moritz Katzenstein angegeben, dass ihm die Eltern der Verstorbenen nicht bekannt seien. Aus dem oben genannten Heiratseintrag ergibt sich, dass Nathan und Binchen Werthan, geborene Stiebel, die damals in Rotenburg an der Fulda lebten, ihre Eltern waren.
[7] Fanny war am 17.11.1898 geboren worden, Geburtsregister Flieden 83 / 1898. Die übrigen alle in Flieden geborenen Kinder waren Nathan, geboren am 11.4.1891, (25/1891), Arnold, geboren am 7.2.1893, (12/1893), Sally / Salie, geboren am 30.6.1894 (51/1894) und Leopold, geboren am 12.8.1895, (53/1895). Von Nathan und Sally weiß man, dass ihnen mit ihren Familien die Flucht in die USA gelang.
[8] Die mütterliche Linie von Löb Katzenstein lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Seine Mutter Fanny Lion, die mit Jesel Katzenstein verheiratet war, war die Tochter von Esther Marx und Löb Levi Lion. Esthers Vater Ahron Madgen hatte den Familienname Marx angenommen. Er war mit Mindel Katzenstein verheiratet, nicht unwahrscheinlich, dass sie eine der Vorfahren von Jesel Katzenstein war. Ahron und Mindel Marx waren auch die Urgroßeltern von Aron Seelig, der später mit seiner Familie ebenfalls im Judenhaus in der Adelheidstr. 94 wohnte. Die genealogischen Informationen zu den Vorfahren von Aron Seelig und Löb Katzenstein verdanke ich Linda Shefler aus Kalifornien.
[9] Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 19. Mai 1921: „Flieden, 13. Mai (1921). Die hiesige Gemeinde hat einen schweren Verlust zu beklagen. Im Alter von 66 Jahren verschied nach kurzem Kranksein der weit und breit wegen seiner Rechtlichkeit bekannte Sensal Löb Katzenstein. Der Verstorbene war ein Verwandter des berühmten Rabbi Elosor Ottensooser – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – in Höchberg und zeichnete sich durch schlichte Frömmigkeit und seltenes Gottvertrauen aus. Zwanzig Jahre lang versag er das Amt eines ‚Bal tokeah‘. Insbesondere stand der Verblichene auch bei Andersgläubigen in größtem Ansehen. Von seiner Beliebtheit zeugte auch das imposante Leichenbegängnis. Am Grabe gaben der Synagogenälteste Katz und Lehrer Freudenberger dem Verlust der Gemeinde Ausdruck. Im Namen der Familie sprachen Kantor Nußbaum, Neuß und Prediger Katzenstein, Wetzlar. Wir schieden vom Friedhofe mit dem Bewusstsein, dass wir der Besten einen verloren. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens.“ Siehe http://www.alemannia-judaica.de/flieden_synagoge.htm.(Zugriff: 13.11.2017).
Sensal ist eine besonders geachtete Person, die die Wechselgeschäfte von Juden vermittelt.
Bal tokeah ist der Schofarbläser der Gemeinde.
[10] Allein in dieser Straße soll es nach Aussage von Marianne Kahn, Tochter des ebenfalls jüdischen Metzgers Kahn, drei Metzgereien gegeben haben. Die Großfamilie Baum habe in Wiesbaden bis 1935 allein sechs Geschäftsbetriebe besessen. Siehe Bembenek, Kein deutscher Patriot S. 31. Im Jüdischen Adressbuch von 1935 sind neben der von Moritz Baum in der Wellritzstr. 16 auch die von Albert in der Grabenstraße 12 und der Kirchgasse 46, die von Karl in der Mauergasse 8, die von Jakob in der Webergasse 38, an der ebenfalls Julius beteiligt war, eingetragen. Julius besaß darüber hinaus noch eine Metzgerei am Michelsberg 8. Die beiden Brüder von Moritz, Julius und Albert konnten beide wie auch die Schwester Martha dem Holocaust entkommen.
[11] HHStAW 685 43a (3) Die Buchprüfung bemängelte u.a. nicht immer durchschaubare Gegengeschäfte mit den Metzgereibetrieben der Verwandtschaft.
[12] HHStAW 685 45b (34).
[13] HHStAW 685 45b (36).
[14] HHStAW 685 43a (3, 4, 5 – andere Paginierung). Die Bitte wurde zunächst abgelehnt, aber nach einer erneuten Eingabe wurde doch noch eine allerdings nur kurzfristige Stundung gewährt.
[15] HHStAW 685 43a (10). Bei dieser 1935 durchgeführten Prüfung musste der Prüfer trotz kleinerer Mängel insgesamt konstatieren, dass die Bücher ordentlich geführt worden seien.
[16] Zu den Ereignissen siehe Bembeneck / Dickel, Kein deutscher Patriot mehr, a.a.O. S. 31 f.
[17] HHStAW 685 43b (49). Betty Baum muss aber bereits zuvor die städtischen Behörden von der Einstellung unterrichtet haben, denn diese hatte eine entsprechende Meldung an das Finanzamt bereits im Februar 1936 weitergegeben, siehe HHStAW 685 43c (186).
[18] HHStAW 685 43c (ohne Paginierung, Datum vom 12.3.37).
[19] HHStAW 519/3 1090 (1) Der Kaufpreis für das Haus alleine betrug laut Aufstellung des Vermessungsamtes nur 36.000 RM. Addiert man Hypothek und Restkaufsumme, dann wäre für die Kühlanlage ein Wert von ca. 5.000 RM angesetzt worden.
[20] HHStAW 519/3 1090 (17, 19) Ferdinand Baum war ein Sohn von Mayer Abraham Baum, dem Bruder des Vaters von Moritz, Josef Baum. Mayer Abraham Baum war in zweiter Ehe mit Bertha Simon verheiratet gewesen. Sowohl aus dieser Ehe, als auch aus der ersten Ehe mit Jeanette Schornheim waren jeweils vier Kinder hervorgegangen. Der 1872 geborene Ferdinand lebte hier in Wiesbaden, zu dieser Zeit in der Kirchgasse 29.
[21] Ihr Ehemann war der am 11.4.1895 in Bad Kreuznach geborene Hugo Tawrogi.
[22] Die Informationen zu Fanny Tawrogi verdanke ich Frau Weiland-Martin aus Dresden.
[23] HHStAW 519/3 1090 (27).
[24] HHStAW 519/3 1090 (28).
[25] HHStAW 469/33 3395 (17). Siehe dazu auch Gottwald / Scholle, Judendeportationen, S. 209 f.