Thekla Hess, die Schwester von Felix Kaufmann, der das Judenhaus in der Adolfsallee 30 von seinen Schwiegersohn Arnold Kahn übernommen hatte, gehörte wie auch ihr Bruder und ihre Schwägerin Jenny Kaufmann zu den Deportierten des 1. September 1942.[1] In seinem Haus hatte sie bis zum 26. Juni 1942 gewohnt. Die letzten zwei Monate vor dem Transport hatte man sie noch einmal gezwungen, in das Judenhaus in der Bahnhofstr. 25 zu ziehen. Hier bewohnte sie ein Zimmer im dritten Stockwerk, möglicherweise in einer gemeinsamen Wohnung mit Hermann Köster.[2]
Anfang August hatte Thekla Hess der in Berlin lebenden Tochter Adelheid in ihrem letzten Brief mitgeteilt, dass ihre Deportation unmittelbar bevorstehe. Sie überstand die Torturen des Lagerlebens nur zwei Monate. Am 6. November 1942 verstarb sie in Theresienstadt.[3]
Ähnlich wie im Fall ihres Bruders war damit ein Leben zu Ende gekommen, das zunächst durch einen außergewöhnlichen sozialen Aufstieg gekennzeichnet war. Wie er wurde auch sie in Lutzerath, im heutigen Kreis Cochem-Zell geboren, wo ihr Vater noch den Beruf eines Viehhändlers ausübte. Sie war etwa sechs Jahre nach ihrem Bruder am 11. November 1873 zur Welt gekommen.
Es mag sein, dass sie ihren zukünftigen Mann, den Kaufmann Edmund Isaac Hess [4] auch über ihren Bruder kennengelernt hatte, denn dieser war als Bankangestellter in Hanau, der Heimatstadt ihres Mannes, längere Zeit tätig gewesen. Wann die beiden heirateten ist nicht bekannt. Ihr einziges Kind, Adelheid, kam aber am 10. September 1909 in Hanau zur Welt, wo die junge Familie ein sehr schönes Haus in der Römerstr. 7 bewohnte. Die Atmosphäre in dieser „gutbürgerlichen jüdischen Familie“ „war geprägt von der Liebe zu Kunst und Musik.“ – so Ursula Krause-Schmitt in ihrem kleinen Aufsatz über Adelheid Müller-Hess.[5] In welchen gediegenen Verhältnissen die Familie damals lebte, beschrieb das Patenkind der damaligen Köchin, die dort oft ihre Ferien verbringen durfte und sich mit Adelheid angefreundet hatte. Sehr genau konnte sie sich später an das wertvolle Mobiliar, an das feine Geschirr und die edlen Teppiche in der sich über zwei Etagen erstreckenden Wohnung erinnern. Natürlich war ihr als Kind auch der Schrank mit den vielen Spielsachen in Erinnerung geblieben, genauso wie die vielen Musikinstrumente, die überall in der Wohnung verteilt waren. Neben diversen Streichinstrumenten gehörten ein Klavier und später auch ein Flügel zu dieser Sammlung.[6] Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Tochter Adelheid eine Karriere als Musikerin anstrebte.[7]
Nach ihrer „Brotausbildung“ in der Hanauer Stadtverwaltung begann sie sich in dem Bereich ausbilden zu lassen, in dem ihre eigentliche Begabung lag: der Musik. An der staatlichen Hochschule für Musik in Köln konnte sie im Oktober 1933 gerade noch ihren Abschluss als Sängerin und Musikpädagogin machen, bevor auch für sie die Möglichkeiten, ihr Können beruflich zu nutzen, durch die nationalsozialistische Kulturpolitik zunichte gemacht wurde. Einzig in Konzerten des Jüdischen Kulturbundes konnte sie noch auftreten. Das gleiche Schicksal erlitt ihr jüdischer Mann, der Berliner Cellist Werner Gerhard Müller, den sie 1938 heiratete.[8] Im Mai 1940 kam in Berlin, wo das Paar lebte, die Tochter Tanja zur Welt.[9] Durch die Verpflichtung, in einem Berliner Rüstungsbetrieb Zwangsarbeit zu verrichten, kamen sie, die sich zuvor bereits in der SPD engagiert hatten, in Kontakt mit kommunistischen Untergrundaktivisten. Als die Nazis im Februar mit ihrer „Fabrik-Aktion“ planten, die letzten jüdischen Zwangsarbeiter aus Berlin nach Auschwitz zu deportieren, entschlossen auch Müllers sich 1943für ein Leben im Untergrund.[10]
Zu ihrem Freundeskreis gehörte die Künstlerin Hedwig Wittekind,[11] die aus dem hessischen Büdingen stammte, aber in Berlin lebte. Ihr dortiges Atelier wurde zum Versteck, zunächst für Werner Müller, dann auch für seine Frau und die Tochter. Da aber auch Hedwig Wittekind als Künstlerin, zumal als verfemte,[12] für den gemeinsamen Unterhalt nicht auf Dauer aufkommen konnte – sie selbst lebte von den Zuwendungen ihres Vaters, der aber dem Bohemeleben seiner Tochter sehr reserviert gegenüberstand – beschloss man, dass Hedwig Wittekind zu ihren Eltern nach Hessen zurückgehen und Tanja mitnehmen sollte, um zumindest sie in Sicherheit zu bringen. In Büdingen wurde das Mädchen dann in dem dortigen NS-Kinderheim „Am Wildenstein“ untergebracht. Ob die Eltern von Hedwig etwas über die Herkunft des Kindes, das polizeilich nicht angemeldet wurde, wussten, ist nicht bekannt. Auf diese Weise überlebte das jüdische Mädchen unerkannt, aber für lange Zeit von den Eltern getrennt, die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Ihren Vater sollte sie nicht mehr wiedersehen.
Adelheid und Werner Gerhard Müller arbeiteten im Untergrund auch weiterhin im aktiven Widerstand mit, zuletzt in der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe. Krause-Schmitt beschreibt diese Organisation als ein „Netzwerk aus zahlreichen Gruppen mit Knotenpunkten und Verzweigungen, das sich in bestimmten Wohngebieten und Betrieben, aber auch um einzelne Personen bildete. Das politische Spektrum, das dieses Widerstandsnetz umfasste war breit: Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialisten, Sozialdemokraten, Menschen, die keiner Partei angehörten.“[13] Zahlreiche Juden oder Menschen mit jüdischen Partnern seien in dieser vielgliedrigen Organisation aktiv gewesen und hätten entscheidend dazu beigetragen, dass es Juden gelingen konnte, im Untergrund zu überleben.
Im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde auch das Ehepaar Müller verhaftet und für beide begann nun eine Odyssee durch die deutschen Konzentrationslager. Werner Gerhard Müller durchlief nach der Inhaftierung im Gestapo-Gefängnis Berlin die KZs Auschwitz, Sachsenhausen und das Arbeitslager Kaufering des KZs Dachau, wo er mit unmenschlicher Arbeit untertage zu Tode gequält wurde.[14]
Auch für Adelheid war nach der Gestapohaft das Lager Auschwitz die erste Station.[15] Es folgten Bergen-Belsen, Buchenwald und zuletzt der Todesmarsch nach Theresienstadt, wo sie endlich von der Roten Armee befreit wurde.[16] Ihre Tochter Tanja konnte sie 1946 von Büdingen nach Berlin holen, wo sie nach dem Krieg gemeinsam lebten.
Adelheid Müller-Hess gelang es noch, eine Karriere als Musikpädagogin und Sängerin zu machen. Sie hatte Engagements an der Deutschen Staatsoper, der Komischen Oper in Ostberlin und eine Professur an der dortigen Musikhochschule. „Hoch geehrt“ – so Flämig – verstarb sie am 13. Mai 1964 in Berlin-Ost.[17]
Inwieweit die Mutter in das Leben der Tochter im Widerstand und im Untergrund eingeweiht war, ist nicht bekannt, auch nicht, ob sie über deren Inhaftierungen und vom Versteck ihrer Enkelin etwas wusste. Überhaupt gibt es nur wenige Informationen über ihr Leben nach dem Tod ihres Mannes, der vermutlich im Jahr 1928, möglicherweise im April verstarb.[18]
Um als Witwe ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können, vermietete sie nach dessen Tod mehrere Zimmer an Pensionäre. 1936 löste sie die Wohnung in Hanau auf und zog nach Köln in die Roonstraße. Der konkrete Anlass für diesen Ortswechsel ist nicht bekannt. Naheliegend ist aber, dass sie damals zu ihrer Tochter zog, die wahrscheinlich zu dieser Zeit vor ihrer Eheschließung noch in der Domstadt am Rhein lebte. Vermutlich hatte Thekla Hess dort aber eine eigene, wenn auch vergleichsweise kleine Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern.[19] Dies bedeutete, dass bei dem Umzug ein Großteil des bisherigen Mobiliars verkauft bzw. verschleudert werden musste, wie von Zeugen bestätigt und von der Entschädigungsbehörde auch anerkannt wurde.
Die Aussage einer ehemaligen Freundin im Entschädigungsverfahren, dass Thekla Hess 1938 nach Wiesbaden gezogen sei, ist allein deshalb plausibel, wenn auch nicht sicher, weil ihre Tochter in diesem Jahr heiratete und spätestens jetzt nach Berlin ging. In Wiesbaden, so die Zeugin, habe Thekla Hess als Hausdame bei Kaufmanns gearbeitet.[20] Um eine wirkliche Berufstätigkeit wird es sich dabei aber nicht gehandelt haben, sie hatte vielmehr eine Unterkunft im Haus ihres Bruders in der Adolfsallee 30 gefunden. Sicher ist diese Zeitangabe aber nicht.
Auch wenn der Umzug mit großer Wahrscheinlichkeit im Laufe des Jahres 1938 stattgefunden hat – ein Eintrag unter „Zugang“ auf ihrer Gestapo-Karteikarte ist nicht vorhanden – trat sie erstmals am 31. Januar 1940 in einem amtlichen Zusammenhang mit der Adresse Adolfsallee in Erscheinung. Die Devisenstelle Frankfurt verfügte für sie eine Sicherungsanordnung unter dem Aktenzeichen 332 und gewährte ihr einen vorläufigen Freibetrag von 200 RM, verbunden mit der Aufforderung, ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse gegenüber der Behörde offenzulegen.[21] Das mitgesandte Formular wollte sie unausgefüllt zurücksenden, da sie – so schrieb sie zurück – kein Vermögen besitze, „vollkommen steuerfrei“ sei. Sie führe auch keinen eigenen Haushalt, sondern sei bei Verwandten kostenlos untergekommen. Diese würden sie auch freiwillig finanziell unterstützen, sodass ihr wenigstens ein bescheidener Lebensstandard ermöglicht werde.[22] Bei einem persönlichen Gespräch am 15. März 1940, zu dem sie vorgeladen worden war, konnte sie sogar die Devisenstelle von ihrer prekären Lage überzeugen. Diese sah von der Verpflichtung zur Einrichtung eines Sicherungskontos ab, reduzierte allerdings auch den Freibetrag auf 100 RM. „Die Unterhaltsgewährung und gelegentliche geldliche Unterstützung in bescheidenen Grenzen dürfen Sie von ihren Verwandten unmittelbar entgegennehmen“, war auf der neuen Verfügung vermerkt.[23]
Natürlich stellt sich die Frage, wie es zu dieser in einem Zeitraum von nur etwa fünf Jahren völligen Verarmung gekommen war. Was war aus der Firma ihres Mannes geworden? Waren nicht in der Zeit vor 1933 als es der Firma, zumindest wenn man den früheren Lebensstandard als Indiz heranzieht, doch recht gut gegangen sein muss, Wertpapiere oder dergleichen zur Altersicherung angelegt worden, die Thekla Hess hätte erben können? Die Fragen müssen angesichts der dürftigen Quellenlage unbeantwortet bleiben.
Unklar ist zudem, weshalb sie am 26. Juni 1942 das Judenhaus ihres Bruders verließ oder verlassen musste, um in ein anderes Judenhaus, das in der Bahnhofstr. 25, zu ziehen,[24] während praktisch zum gleichen Zeitpunkt, nämlich am 2. Juni, Nanny Rothschild aus eben diesem Haus in der Bahnhofstraße auszog, um in die Adolfsallee 30 zu ziehen. Es handelte sich also um einen reinen Wohnungstausch. War das reine Schikane? Waren das Umzüge, die vielleicht aus persönlichen Gründen und auf Bitten der genannten Frauen selbst von der Reichsvereinigung, den Kommunalbehörden oder von NSDAP-Stellen ermöglicht wurden? Organisatorische Gründe im Hinblick auf die anstehenden Deportationen können kaum eine Rolle gespielt haben, denn beide Frauen waren später für den gleichen Transport vorgesehen.
Ein möglicher Grund könnte gewesen sein, dass Thekla Hess tatsächlich noch die Stelle einer Hausdame bei Hermann Köster übernommen hatte, wenngleich der Begriff „Hausdame“ unter den gegeben Umständen kaum angemessen sein kann. Dessen bisherige Hausdame, Frau Mamsohn, war vier Wochen zuvor am 23. Mai deportiert worden. [25]
Bis Ende August 1942 blieb sie in der Bahnhofstr. 25. Für sie und auch für Hermann Köster war der Transport mit der Nummer XII/2 vorgesehen, auf dem ihr die persönliche Nummer 688 zugewiesen worden war.[26] Sie war eine von elf anderen aus dem Judenhaus Bahnhofstr. 25, die sich am 29. August 1942 im Hof der Synagoge einzufinden hatten, um sich registrieren zu lassen. Am 1. September bestiegen sie morgens alle den Güterzug, der am folgenden Tag Frankfurt mit insgesamt 1111 hauptsächlich alten jüdischen Menschen verließ. Nur 32 davon wurden gerettet, alle anderen wurden irgendwo in einem der vielen Lager Opfer der nationalsozialistischen Mordmaschine. Thekla Hess starb am 6. November 1942 in Theresienstadt.[27]
Stand: 29. 08. 2019
Anmerkungen:
[1] Sie zu den Familien Kaufmann und Kahn oben das Kapitel über das Judenhaus Adolfsallee 30.
[2] Siehe unbekannte Liste X1. In der Entschädigungsakte gab die Tochter Adelheid Müller den Hinweis, dass sie „bei Köster“ gewohnt habe, HHStAW 518 15599 (1).
[3] Ebd. (12). Sterbeurkunde Standesamt Arolsen 1653 / 1953.
[4] Edmund Hess ist im Buch ‚Hanauer Juden 1933 – 1945‘ nur kurz als Kunde des Bankhauses Stern erwähnt. In diesem Bankhaus war Felix Kaufmann, der Bruder von Thekla Hess, längere Zeit tätig. Edmund Hess war laut diesem Eintrag Inhaber der Fellhandlung Nathan Hess. Siehe Pfeifer, Kingreen, Hanauer Juden, S. 14.
[5] Krause-Schmitt, Ursula, „Nun muss sich alles, alles wenden“ – Lebensspuren der jüdischen Sängerin Adelheid Müller-Hess, in: Informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945, Heft 82, 2015 S. 25 f.
[6] HHStAW 518 15599 (99 f.).
[7] Die beeindruckende Lebensgeschichte von Adelheid Müller-Hess, wäre es unbedingt wert, in einer eigenständigen umfassenden Biografie dokumentiert zu werden. Hier kann nur ein kleiner Abriss ihres Lebens geliefert werden. Dieser basiert im Wesentlichen auf der allerdings auch nur knappen Darstellung von Krause-Schmitt, Adelheid Müller-Hess. Einige wenige biographische Angaben sind auch enthalten in Flämig, Hanau im Dritten Reich, Bd. 2, S. 355 f.
[8] Werner Gerhard Müller war am 4.4.1912 in Berlin geboren worden, siehe Eintrag im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz.
[9] Den Namen „Tanja“ in einem Formular in der Entschädigungsakte eingetragen, siehe HHStAW 518 15599 (13). Laut GENI war ihr voller Vorname Tanja Rachel. Krause-Schmitt gibt als Name der Tochter „Tana“ an. Ob es sich dabei um den Rufnamen oder um eine Verschreibung handelt, konnte nicht geklärt werden.
[10] Siehe auch HHStAW 518 15599 (98).
[11] http://rettungs-widerstand-frankfurt.de/zuflucht-aus-berlin-in-frankfurt-und-hessen/. (Zugriff: 28.8.2019).
[12] Hedwig Wittekind, die am Bauhaus in Weimar studiert hatte, gehörte zum Freundeskreis von Käthe Kollwitz. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg besaß diese ein großes Atelier in Berlin, das sie mit mehr als dreißig anderen Künstlern, u.a. Hedwig Wittekind, teilte. In einem Tagebucheintrag von Käthe Kollwitz ist auch eine Notiz über die Künstlerkollegin enthalten: „Ging zur Wittekind hinauf und fand sie Strümpfe stopfend neben ihrem Mittag, das auf Gas kochte. Zeigte mir ihre Arbeiten (…). Vielleicht gehört sie zu den wenigen jungen Frauen, die wirklich allein für sich leben können. Ich meine nicht ohne Männer, aber so, daß sie nicht ihr Zentrum in den Männern haben. (…) Hedwig Wittekind bringt es vielleicht fertig frei zu bleiben, Künstlerin, niemand brauchend, Bohèmienne durch Anlage.“ Zitiert nach: Der Tagespiegel vom 8.7.2017
[13] Krause-Schmitt, Adelheid Müller-Hess, S. 26.
[14] Zum Todesdatum gibt es keine eindeutigen Informationen. Der Eintrag im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz nennt den 9.2.1945, das Archiv von Yad Vashem den 3.1.1945. Letzteres beruht nach Krause-Schmitt auf den Angaben von Adelheid Müller-Hess.
[15] http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4122552&ind=0. (Zugriff: 11.7.2018).
[16] Ursula Krause-Schmitt zitiert auch aus den Erinnerungen der jüdische Sängerin Lin Jaldati, die von Berlin in die Niederlande emigriert und von dort im Herbst 1944 nach Auschwitz deportiert worden war und dort Adelheid Müller-Hess begegnete. „’Eines Tages Mitte Oktober, es regnete nicht mehr, hieß es: ,Läusekontrolle Alles ausziehen, raus, dalli, dalli …‘ Wir ließen unsere Klamotten liegen, nackt und kahlgeschoren standen wir draußen. Es war kein Appell, wir waren uns selbst überlassen.“ Eine Französin fängt an zu singen; auch Lin Jaldati trägt ein Lied vor: das Lied der jüdischen Partisanen: ‚Sag nicht einmal, dass Du gehst den letzten Weg’. Sie berichtet weiter: „‚Dieses merkwürdige Konzert dauerte so eine Weile, da kamen zwei Frauen nach vorne eine dunkelhaarige mit schönem Gesicht und eine blonde. Die Blonde sang mit hellem Sopran auf Deutsch ‚Am Brunnen vor dem Tore’. Die andere, Adelheid, stellte sich in die Mitte und sang mit prachtvollem Alt Schuberts ,Frühlingsglaube‘ mit solcher Innigkeit, dass wir alle tief ergriffen waren. Und als sie sang: ,nun muss sich alles, alles wenden‘, da waren auch wir davon überzeugt, dass sich bald alles wenden würde. Wir fühlten uns nicht mehr verlassen. Das Singen hat uns wieder bewusst gemacht, dass wir noch gerührt sein, noch Wärme fühlen konnten, dass wir Menschen waren. Wir hatten unsere menschliche Würde bewahrt durch die Musik, durch das Lied.’“ Krause-Schmitt, Adelheid Müller-Hess, S. 26.
[17] Flämig, Hanau im Dritten Reich, Bd.2, S. 356.
[18] Die Entschädigungsbehörde ging vom Tod in diesem Jahr aus, HHStAW 518 15599 (117), eine Zeugin nannte den April, ebd. (115). Krause-Schmitt hingegen schreibt, dass der Tod „Anfang der 1930er Jahre“ erfolgt sei, siehe Krause-Schmitt, Adelheid Müller-Hesse, S. 26 Anm. 5. Bei Flämig heißt es sehr allgemein: „Ihr gepflegtes Elternhaus in Hanau wurde aufgelöst, als der Vater nach schwerer Erkrankung verstarb.“ Flämig, Hanau im Dritten Reich, Bd.2, S. 355. Das ist in dieser Verknüpfung falsch, denn die Auflösung erfolgte erst 1936.
[19] HHStAW 518 15599 (112).
[20] HHStAW 518 15599 (101). Fälschlicherweise gibt die Zeugin statt der Adolfsallee die Adolfstraße als Adresse an.
[21] HHStAW 519/3 332 (1).
[22] HHStAW 519/3 322 (3). Solche Leistungen sind auch durch die Akten von Felix Kaufmann belegt.
[23] HHStAW 519/3 322 (8).
[24] Eintrag auf Gestapo-Karteikarte.
[25] HHStAW 518 15599 (101). Die Zeugin, eine ehemalige Freundin von Thekla Hess aus Köln, erwähnte, dass diese nach ihrem erneuten Umzug Hermann Köster betreut habe. Zu Hermann Köster siehe oben, zu Hedwig Mamsohn siehe oben.
[26] https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/15257-thekla-hess/. (Zugriff: 30.7.2018).
[27] HHStAW 518 15599 (12).