Paula Abraham, geborene Kahn, und ihr Bruder Emil Kahn


Juden Wiesbaden, Judenhäuser
Das ehemalige Judenhaus in der Hallgarter Str. 6
Eigene Aufnahme
Judenverfolgung Wiesbaden
Lage des ehemaligen Judenhauses Hallgarter Str. 6
Judenhaus Wiesbadaen, Judenäuser Wiesbaden, Juden Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Hallgarter Str. 6
Das Judenhaus Hallgarter Str. 6 früher
Mit Genehmigung M. Sauber

 

 

 

 

 


Die Witwe Paula Abraham, geborene Kahn, gehörte zu den weniger begüterten Bewohnern des Judenhauses Hallgarter Str. 6. Sie war am 6. März 1865 in Albersweiler geboren worden, einem Ort an südlichen Weinstraße unweit von Landau gelegen. Wer Ihr verstorbener Mann war ist nicht bekannt. Allerdings war auch ihre jüngere Schwester Luisa eine Verheiratete Abraham. Deren Mann Julius stammte aus dem westpreußischen Strelno bei Posen, sodass es naheliegend ist, dass auch Paula in diese Familie eingeheiratet hatte. Laut Jüdischem Adressbuch hatte sie 1935 in Wiesbaden noch in der Moritzstr. 15 gewohnt, sie muss aber spätestens 1939 in den ersten Stock des benachbarten Hauses mit der Nummer 20 gezogen sein. Wahrscheinlich stand dieser Umzug im Zusammenhang mit der Übersiedlung ihres jüngeren Bruders von Saarbrücken nach Wiesbaden. Am 5. September 1939 war Emil Kahn, der am 7. März 1876 ebenfalls in Albersweiler geboren worden war, zu seiner Schwester Paula in die Moritzstr. 20 gezogen. Möglichweise bewohnten sie diese Wohnung, die aus zwei Zimmern und einer Küche bestand, auch von Beginn an gemeinsam. Er war aus Saarbrücken im Rahmen der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitung evakuiert worden, blieb aber dort mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet.[1]

Paula Kahn, Paula Abraham, Emil Kahn, Judenhäuser Wiesbaden, Hallgarter Str. 6
Stammbaum der Familie Kahn aus Albersweiler
(GDB-PLS)

Ob die Geschwister noch Verbindungen zu ihrem Geburtsort und vielleicht zu weiteren Familienmitgliedern hatten, ist nicht bekannt. Nach den Eintragungen im Gedenkbuch des Bundesarchivs sind keine anderen Mitglieder der engeren Familie als Opfer des Nationalsozialismus ausgewiesen, allerdings zehn weitere Personen, die ebenfalls aus Albersweiler stammten und den Familienname Kahn trugen. [2] Diese große Familie war seit dem 18. Jahrhundert in Albersweiler ansässig gewesen und hatte eine große Zahl von Nachkommen hervorgebracht. Die Eltern von Paula und Emil Kahn waren der am 3. Mai 1830 geborene Machol Kahn und seine Frau Karolina, geborene Lion. Den beiden, die am 10. Dezember 1855 in Albersweiler geheiratet hatten, waren insgesamt 9 Kinder geboren worden. Auch Machol Kahn selbst entstammte einer ähnlich großen Familie. Sein Vater Aron Kahn und seine Mutter Klara / Klerike, geborene Herzl, hatten insgesamt acht Kinder, eines war allerdings nur tot zur Welt gekommen.[3]
In der jüdischen Gemeinde von Albersweiler, die mit etwa 250 Mitgliedern in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Blütezeit hatte, gab es dementsprechend eine große Zahl von Familien mit dem Namen Cahn oder Kahn. Zumeist waren es Handelsleute, vermutlich eher in bescheidenen Verhältnissen lebende Klein-, Vieh- oder Landproduktehändler.

Die Informationen, die den wenigen noch vorhandenen Dokumenten über Paula Abraham zu entnehmen sind, lassen erkennen, dass auch sie zuletzt in sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt haben muss. Vermögen besaß sie nicht. Das jährliche Einkommen, 1939 bei nur etwa 800 RM, sollte sich im folgenden Jahr sogar auf 600 RM reduzieren. Sie lebte – so ihre Mitteilung an die Devisenstelle – von einer monatlichen Rente von 50 RM, die ihr eine Erna Beck aus Frankfurt monatlich anwies.[4] Angesichts dieser finanziellen Situation verzichtete die Devisenstelle auf die Einrichtung eines Sicherungskontos und gewährte ihr im Februar 1940 einen Freibetrag von 100 RM im Monat. Man erlaubte ihr sogar, die Rentenzahlung direkt, ohne jeweilige Zustimmung der Devisenstelle entgegenzunehmen.

Bald nachdem sie der Devisenstelle ihre Einkommensverhältnisse offen gelegt hatte, sollte ihr auch ihre kleine Rente nicht mehr zur Verfügung stehen, da besagte Frau Beck die Zahlung seit August 1940 eingestellt hatte. Die ursprüngliche Zahlungsverpflichtung rührte aus einer Hypothek über 40.000 Goldmark, die Paula Abraham einem Dr. Otto Aron Gross in Frankfurt, Bankier im Ruhestand, und seiner Frau Erna, geborene Bloch, 1932 zur Verfügung gestellt hatte.[5] Vertraglich war damals festgelegt worden, dass die Rückzahlung als lebenslängliche Rente über monatlich 300 RM erfolgen solle. Die Beteiligten, besonders Frau Abraham selbst, waren sicher damals davon ausgegangen, durch diese Form der privaten Altersvorsorge ihr einen unbeschwerten Lebensabend garantieren zu können. Ganz offensichtlich muss sie demnach selbst einmal über ein beträchtliches Vermögen verfügt haben. Der Machtantritt der Nazis hatte diese Pläne allerdings zunichte gemacht. Das Ehepaar Gross war 1938 in die USA ausgewandert und hatte ihr Haus in der Friedrichstr. 42 in Frankfurt an das Ehepaar Beck verkauft, natürlich mit der Verpflichtung weiterhin die Rentenzahlung an Frau Abraham zu leisten. Die Käufer bekamen nun das Problem, dass die Behörden wegen des „Bestehens nicht arischer Hypotheken“ sich weigerten, den notwendigen Eintrag des Eigentumswechsels im Grundbuch zu gestatten. Der Kaufvertrag blieb somit ungültig. Das Hausgrundstück wurde angeblich bereits im April 1940, obwohl damals die USA sich noch nicht im Krieg mit Deutschland befanden, als „feindliches Vermögen“ beschlagnahmt.[6] Insofern ist es nicht unverständlich, dass die Käufer sich weigerten, den Verpflichtungen aus dem Vertrag nachzukommen, wo sie doch selbst ebenfalls nicht in den Genuss ihres erworbenen Eigentums kamen.[7] Die eigentlich Leidtragende war jedoch Paula Abraham, die, nachdem ihr einstiges Vermögen verloren war, jetzt ohne jegliche eigene finanzielle Mittel dastand.

Ihr Bruder unterstützte sie mit einem monatlichen Betrag von 100 RM, was von der Devisenstelle genehmigt worden war. Man wird aber davon ausgehen können, dass die beiden einen gemeinsamen Haushalt führten. Ihm selbst gestand man für den Lebensunterhalt einen Freibetrag von 150 RM zu.[8] Bereits in Saarbrücken hatte die dortige Devisenstelle ihn zur Errichtung eines Sicherungskontos verpflichtet. Ähnlich wie seine Schwester hatte auch Emil Kahn sein kleines Vermögen von etwa 12.000 RM als Darlehen vergeben, um durch die Rückzahlung im Alter seinen Lebensunterhalt finanzieren zu können. Das Geld hatte sein Neffe Erich Kahn erhalten, der damit ebenfalls einen Hauskauf in Saarbrücken finanziert hatte und ebenso inzwischen nach England ausgewandert war. Auch dessen Haus war inzwischen verkauft worden, allerdings war auch hier bisher kein Geld geflossen, sodass Emil Kahn im Januar 1940 in der gleichen Situation wie seine Schwester war. Allerdings machte die für ihn zuständige Devisenstelle in Ludwigshafen ihm Hoffnung, dass „einer Freigabe der in Frage kommenden Beträge durch die Devisenstelle Köln in Anbetracht der Sachlage nichts im Wege (stehe)“.[9]

Auf der Karteikarte der Gestapo für Emil Kahn ist am 20. Juni 1941 sein Umzug in das Judenhaus Hallgarter Str. 6, zweiter Stock, eingetragen, wo auch das jüdische Ehepaar Baruch lebte. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird auch seine Schwester Paula, für die die Gestapo keine eigene Karteikarte angelegt hatte, am gleichen Tag umgezogen sein. Während Baruchs zusammen in einem Zimmer leben mussten, stand den Geschwistern jeweils ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Über ihr weiteres gemeinsames Leben in diesem Haus ist ansonsten nichts bekannt.

Am 5. Oktober 1942 verfügte die Devisenstelle, dass die JS-Akte von Paula Abraham mit der Nummer 398 geschlossen und auf der Karteikarte „evakuiert“ vermerkt wird.[10] Drei Tage später erging die gleiche Anordnung für Emil Kahn – JS-Akte 4129 – mit der ergänzenden Feststellung, dass sein Vermögen dem Deutschen Reich verfallen sei.[11]

Paula Abraham und Emil Kahn waren am 1. September über Frankfurt mit dem Transport XII/2 Nr. 589 bzw. 713 nach Theresienstadt verschleppt worden. Schon am 29. September wurde Paula Abraham mit dem Transport „Bs“ und der ihr zugewiesenen Nummer 1627 weiter nach Treblinka verbracht, wo sie noch am gleichen Tag ermordet wurde.[12] Keiner der etwa 2000 Leidensgenossen hatte diesen letzten Transport überlebt.

Emil Kahn hingegen blieb in Theresienstadt und starb dort am 9. April 1943.

Stand: 01. 05.  2019

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] HHStAW 519/3 3287 (5) Diese Information entstammt einer Mitteilung der Nassauischen Landesbank an die Devisenstelle Frankfurt. Auch wenn der Grund für diese „Evakuierung“ nicht explizit genannt wurde, handelte es sich hier sicher um die generellen Evakuierungsmaßnahmen, die unmittelbar vor Kriegsausbruch in der sogenannten „Roten Zone“, einem etwa 10 km breiten Streifen im Grenzland zu Frankreich, wozu auch Saarbrücken gehörte, von den Nazis angeordnet worden waren. Man wollte freies Schussfeld haben, sollte Frankreich beim geplanten Angriff auf Polen versuchen, den Polen durch einen Entlastungsangriff im Westen zu Hilfe zu kommen. Während die „Volksgenossen“ schon bald wieder zurückkehren durften, blieb das den meisten jüdischen Mitbürgern versagt.

[2] http://www.alemannia-judaica.de/albersweiler_synagoge.htm. (Zugriff: 15.3.2019). Welche familiären Beziehungen zwischen den Aufgeführten bestanden, konnte im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht genauer untersucht werden.

[3] Die Angaben über die familiären Verhältnisse über die Familie Kahn sind dem Familienregister zu den Standesamtsakten der Gemeinde Albersweiler – 1798-1900, Albersweiler 2018 entnommen, die Angaben wurden mir freundlicherweise von Herrn Erwin Schneider zur Verfügung gestellt.

[4] HHStAW 519/3 387 (3, 4). Die Angabe über ihre Vermögenslosigkeit deckt sich nicht ganz mit den Angaben aus dem Antrag auf die Gewährung des Armenrechts in der Auseinandersetzung mit dem Ehepaar Beck. Hier gab sie im Jahr 1940 an, mit ihrem Vermögen von 4.200 RM zur Vermögenssteuer veranlagt worden zu sein. HHStAW 469/6 237 – 42 (4).

[5] HHStAW 469/6 237 – 42 (passim). Ob es eine verwandtschaftliche Verbindung zwischen dem Ehepaar Gross und den Geschwister Kahn gab, ist nicht bekannt.

[6] Ebd. (9). Ob bereits Zahlungen der Käufer an das Ehepaar Gross erfolgt waren, ist nicht bekannt.

[7] Der Versuch von Berthold Guthmann, der als „Konsulent“ die Interessen von Paula Abraham wahrnahm, die Rente dennoch einzufordern, war erfolglos. Aus dem letzten Schreiben vom 8.5.1942 in dieser Sache ist zu entnehmen, dass zu diesem Zeitpunkt, der Kauf immer noch nicht im Grundbuch eingetragen war, somit auch Frau Abraham kein Geld mehr erhalten hatte.

[8] HHStAW 519/3 3287 (15).

[9] EBD. (17, 18). Ob Emil Kahn tatsächlich noch an sein Geld gekommen ist, geht aus der sehr lückenhaften Akte nicht hervor. Der oben erwähnte Antrag, seine Schwester mit monatlich 100 RM unterstützen zu dürfen, wurde allerdings im Dezember 1940 gestellt, also fast ein ganzes Jahr nachdem er um die Freigabe der Gelder aus dem Darlehensvertrag gebeten hatte. Vermutlich hatte sich die Sache solange hingezogen, dann aber konnte er offensichtlich auf diese Gelder zugreifen.

[10] HHStAW 519/3 387 (6).

[11] HHStAW 519/3 3287 (22).

[12] http://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/3782-paula-abraham/. (Zugriff: 15.3.2019).