Als Robert Diamant mit seiner Frau Elisabeth um 1936 nach Wiesbaden kam,[1] hoffte er vermutlich, trotz der um sich greifenden Gewalt, trotz der Durchdringung aller staatlicher Gewalt mit NSDAP-Gefolgsleuten und deren Ideologie, dass er in der Kurstadt einen vergleichsweise sorgenfreien Lebensabend werde verbringen können. Die entsprechenden finanziellen Voraussetzungen zur Verwirklichung solcher Pläne brachte der Spross einer österreichischen Industriellenfamilie auf jeden Fall mit. Er, der sich selbst nicht als Jude fühlte, wird vermutlich auch geglaubt haben, dass die wachsende Flut antisemitischer Hetze ihn nicht meinen könne. Welch ein Irrtum!
Geboren wurde er zwar in Ulmerfeld in der Nähe von Amstetten in Österreich, aber der Aufstieg der Familie Diamant begann 1878 mit der Gründung einer Papierfabrik in Bruck an der Mur, wenige Kilometer nördlich von Graz gelegen. Hier hatte der aus Siebenbürgen stammende Moriz Diamant, der Onkel von Robert Diamant, mit einem Kompagnon mit der Produktion von Papiererzeugnissen begonnen und damit dem Ort die entscheidenden wirtschaftlichen Impulse für seinen Aufstieg zu einer bedeutenden Industriestandort gegeben. Die Produktion ging zu einem beträchtlichen Teil nach Wien und andere österreichische Städte, um den wachsenden Papierbedarf der boomenden Zeitungsverlage zu bedienen. Mit einem noch größeren Teil wurden sogar überseeische Märkte beliefert. Der Unternehmensgründer Moritz Diamant verstarb bereits 1885, ein Jahr nachdem der Betrieb durch einen Großbrand völlig zerstört und gerade wieder neu aufgebaut worden war. Die Kinder von Moritz Diamant, Hugo, Berthold, Max und Hermine, erbten dessen Vermögensanteil am Unternehmen, aber auch David Diamant, der Bruder von Moritz und Vater von dem später in Wiesbaden wohnenden Robert Diamant, war einer der Prokuristen und Anteileigner der als OHG betriebenen Firma.[2]
In seiner Todesanzeige, er starb am 6. Dezember 1902, wird er als Fabrikbesitzer bezeichnet, seine beiden Söhne Robert und Arthur als Fabrikdirektoren. Sie waren vermutlich ebenfalls im Familienunternehmen angestellt. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen aber verkauft und in eine AG umgewandelt. Ob die Familie weiterhin an der Kapitalgesellschaft beteiligt war, ist nicht bekannt.
Es liegen leider auch nur wenige Zeugnisse über das Leben von Robert Diamant aus der Zeit vor, bevor er nach Wiesbaden kam.[3] Am 16. August 1909 heiratete er im nordböhmischen Aussig, dem heutigen Ústí nad Labem, die aus Kopenhagen stammende Elisabeth Grandjean, die nicht nur evangelisch, sondern gemäß der NS-Terminologie auch arisch war. Auch Robert Diamant war evangelisch getauft und besaß nach eigenem Bekunden selbst auch keine jüdische Identität. In einem späteren Strafverfahren, dass man gegen ihn angestrengt hatte, weil er bei einer Unterschrift seinen jüdischen Zwangsnamen Israel nicht ausgeschrieben hatte, bekannte er, erst durch die Nürnberger Gesetze zum Juden geworden zu sein:
„Ich habe niemals eine jüdische Erziehung genossen und wurde evangelisch getauft und evangelisch von meinen Eltern erzogen. Durch diese Erziehung und mein Empfinden fühle ich mich nicht als Jude. Dadurch habe ich auch keine Gelegenheit gehabt, mich mit den Judengesetzen bekannt zu machen.“[4]
In einem weitere Brief an die Staatspolizei vom 1. April 1940 ergänzte er zu seinem familiären und religiösen Hintergrund:
Meine Eltern David Franz Diamant und Priska, geb. Eisig waren evangelisch-lutherischer Religion, rassemäßig waren sie aber Juden. Meine Großeltern Michael Diamant und Therese, geb. Wurmfeld waren Juden und jüdischer Abstammung. Mütterlicherseits Max Eisig und Henriette, geb. Wertheimer, waren beide jüdischer Abstammung. Der Großvater Max Eisig ist als Jude gestorben und die Großmutter Henriette Eisig hat sich evangelisch taufen lassen.“[5]
Ungewiss ist, ob das Paar in Aussig lebte oder dort nur getraut worden war. Robert Diamant muss zumindest für mehrere Jahre in dem etwa 100 km nördlich von Aussig gelegenen Bautzen in Sachsen gearbeitet haben. Von der dort gelegenen Papierfabrik,[6] die noch bedeutender und älter war als die seiner Familie, bezog er später eine Direktorenpension in der Höhe von 8.100 RM jährlich. Er war also beruflich der Familientradition treu geblieben.
Ob er von den Nazis aus der Firma hinausgetrieben oder ob er noch regulär in den Ruhestand versetzt worden war, ist nicht mehr zu klären. Bei ihrem Machtantritt hatte er gerade das 61ste Lebensjahr vollendet.
Als er sich in Wiesbaden zur Ruhe gesetzt hatte, verfügte er zunächst über ein ansehnliches Vermögen von rund 100.000 RM. Dies veranlasste die Zollfahndungsstelle Mainz schon im August 1938 bei der Devisenstelle in Frankfurt eine Sicherung der Konten zu beantragen, bzw. sich die bereits vollzogene Sicherung bestätigen zu lassen. Dies geschah nach gut einer Woche, wobei die Erträgnisse der Wertpapiere, wie zu dieser Zeit noch üblich, grundsätzlich freigestellt blieben.[7]
In der Logik des Regimes war es nur konsequent, dass nur wenige Tage darauf die Reichsfluchtsteuer in Höhe von etwa 25.000 RM gepfändet wurde. Immerhin war seine Frau Dänin, sodass es sicher verwandtschaftliche Beziehungen in das Nachbarland gab, die eine Flucht noch wahrscheinlicher machten.
Wie sehr die Banken, hier die Dresdner Bank, auch in vorauseilendem Gehorsam eigenständig die finanziellen Möglichkeiten ihrer jüdischen Kunden einschränkten, zeigt der Fall Diamant. Weil auch das normale Konto formal unter die Sicherungsanordnung gefallen war, weigerte sich die Bank die eigentlich freigestellten Erträge und die Pension, die auf eben dieses Konto überwiesen wurden, herauszugeben.[8] Erst auf Intervention von Robert Diamant bei der Devisenstelle wurde das Geld dann von der Bank freigegeben.
Zu allen anderen Sorgen kamen bald auch noch gesundheitliche Probleme in der Familie hinzu, die dann auch die finanzielle Situation allmählich verschärften. Schon im März 1939 schrieb er an die Devisenstelle:
„Es sind mir seit Neujahr sehr hohe Ausgaben erwachsen durch Erkrankung meiner 73jährigen Frau an Nierenleiden u. Zirkulationsstörungen und durch Unterstützung meiner Schwester, der Oberstwitwe Thekla Klinger in Graz – Öst. Sonnenstr. 12, deren einzige Tochter an Gebärmutter Krebs erkrankt ist und nun zum zweiten Mal operiert werden muss.
Meine Schwester ist die Witwe des im Weltkrieg gefallenen hochverdienten Oberst Ludwig Klinger. Sie verlor ihr ganzes Vermögen durch den Staatsbankrott Österreichs, ist ganz mittellos und muss sich und ihre Tochter von der kargen Pension erhalten und schwer arbeiten, trotzdem sie 69 Jahre alt und durch langjährigen Gelenkrheumatismus an beiden Knien gelähmt ist. Die Tochter ist, seit vielen Jahren durch schweres Gallenleiden behindert, nur gelegentlich arbeitsfähig, jetzt aber schon seit Monaten durch heftige Unterleibsblutungen an das Bett gefesselt und sehr entkräftet. Beide Frauen sind auf meine Unterstützung angewiesen.“[9]
Er führte im Weiteren aus, welche Rechnungen er bereits für die Schwester und Nichte übernommen hatte und bat darum, ihm den Verkauf von Wertpapieren zu gestatten. Er benötige einen Betrag von 800 RM, um die anstehende Operation der Nichte und die notwendige Nachbehandlung bezahlen zu können. Zwar wurden die Gelder freigegeben, aber welche eine Demütigung: Es mussten die kleinsten intimen Details preisgegeben werden, um wenigstens partiell über das eigene Vermögen verfügen zu können.
Im Juni folgte ein ähnlicher Brief, in dem es diesmal primär um den sich verschlechternden Gesundheitszustand seiner Frau ging, die in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Erneut fielen hohe Rechnungen an, die gezahlt werden mussten. Hinzu kam, dass die Nichte durch die Operation nicht mehr gerettet werden konnte und am 13. Juni 1939 verstarb. Robert Diamant übernahm wie selbstverständlich die Beerdigungskosten. Die erbetene Freistellung von 2.000 RM aus seinem Vermögen wurde bewilligt, weil er selbst zu dieser Zeit nur noch über Bargeld in Höhe von etwa 40 RM verfügte.[10]
Brief von Robert Diamant an die Devisenstelle vom 14. Juni 1939 – HHStAW 519/3 1083 (10)
Im März kam zu all dem noch hinzu, dass man ihn, wie acht weitere Wiesbadener Juden, des Verstoßes gegen die „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938“ anklagte. Robert Diamant hatte seine „Reichsfleisch- und Reichsfettkarte“ (!) nur mit „R.I. Diamant“ unterschrieben, also „Israel“ – angeblich vorsätzlich – nicht ausgeschrieben. Ein solchermaßen gravierender Verstoß gegen die NS-Rechtsordnung musste hart bestraft werden. Er wurde zu einem Monat Haft oder Zahlung einer Buße von 300 RM plus 15 RM Bearbeitungsgebühr verurteilt. Robert Diamant zahlte am 11. Juni 1940 den Betrag von 315 RM bei der Gerichtskasse in Wiesbaden ein.[11]
Im Juli 1940 wurde die bisherige Freigabe der Erträge durch einen festen Freibetrag von 500 RM ersetzt und Robert Diamant aufgefordert, eine Vermögenserklärung abzugeben. Trotz der erheblichen Ausgaben belief sich das Vermögen des Ehepaars im Juli 1940 noch auf 70.000 RM, abzüglich der verpfändeten 26.000 RM für die Reichsfluchtsteuer. Diamants gaben an, aus den Wertpapieren ein jährliches Einkommen von 12.000 RM zu beziehen, sodass sie monatlich über etwa 1.000 RM hätten verfügen konnen. Ihre Ausgaben beliefen sich auf 890 RM, darunter Wohnungsmiete mit Nebenkosten von 270 RM, Lebensunterhalt von 500 RM, Lohn für die Hausangestellte 60 RM und die monatliche Unterstützung der Schwester in Graz ebenfalls 60 RM.[12]
Diese Ausgaben waren mit den bewilligten 500 RM nicht zu bestreiten, weshalb Robert Diamant die Devisenstelle um Erhöhung des Freibetrags bat. Seine „arische“ Frau habe einen Schlaganfall erlitten und sei von verschiedenen anderen Erkrankungen geplagt, sodass sie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr aus der Wohnung gekommen sei, einzig für Krankenhausaufenthalte von mehreren Monaten habe sie das Haus verlassen. Nicht nur die vielen Arztrechnungen führte er als Begründung für seine Bitte an, sondern auch die notwendige, teurere Wohnung. Nach seinen Angabe bewohnten er und seine Frau in der Blumenstraße eine Wohnung mit getrennten Schlafzimmern und einem zusätzlichem Schlafkabinett, wo die häufigen Pflegearbeiten verrichtet wurden, in dem aber auch die Hausangestellte untergebracht war.[13].
Es gab noch einen weiteren Anlass für diesen Brief. Die Devisenstelle hatte auch für das Konto seiner Frau eine Sicherung angeordnet, die Robert Diamant ihr bisher verschwiegen hatte. Er bat das Amt „inständig“ darum diese Maßnahme zurückzunehmen, denn er befürchtete ihren völligen gesundheitlichen Zusammenbruch, sollte sie gezwungen werden, diese Verfügung zu unterschreiben. Auch wies er noch einmal auf ihren Status als Arierin hin und versprach, von dem Konto kein Geld außer den Zinserträgen abheben zu wollen.[14]
Dieses Schreiben vom 27. Juli 1940 war sein letztes an die Behörde in Frankfurt. Die Reaktion darauf war unter den gegebenen Umständen geradezu human. Man erhöhte tatsächlich den Freibetrag auf 600 RM, stellte monatlich weitere 270 RM für die Miete und noch einmal 60 RM für die Unterstützung der Schwester Thekla Klinger frei. Sogar auf die Unterschrift der Ehefrau unter die Sicherungsanordnung wurde verzichtet, auf die Anordnung als solche aber nicht. Durch ein gesondertes Schreiben an die Nassauische Landesbank wurde diese von der Sperrung des Kontos unterrichtet.[15]
Nicht seine schwer kranke Frau, sondern er selbst verstarb ein gutes halbes Jahr später am 9. Februar 1941 im Wiesbadener Sankt-Josefs-Hospital im Alter von 69 Jahren.[16] Bei allem bereits erfahrenen Leid blieb ihm so das noch größere Leid der kommenden Jahre erspart.
Die Sicherungsanordnung über die gesperrten Konten wurde danach aufgehoben und Elisabeth Diamant konnte über die testamentarisch festgelegte Erbschaft verfügen. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Möglicherweise ist sie nach dem Tod ihres Mannes verzogen, vielleicht zu Verwandten nach Dänemark.[17]
Anmerkungen:
[1] Er ist im Wiesbadener Adressbuch 1935/36 erstmals als Wiesbadener Bürger eingetragen.
[2] Amtsblatt Wiener Zeitung vom 17.4.1988. Die Firma existiert auch heute noch und gehört zur norwegischen Norske Skog, dem weltgrößten Unternehmen zur Herstellung von Zeitungsdruckpapier. Siehe http://www.norskeskog.at/. (Zugriff: 5.3.2018).
[3] Ein Grund dafür ist, dass er keine Kinder hatte, offensichtlich auch keine näheren Verwandten, die nach dem Krieg ein Entschädigungsverfahren angestrengt hätten, sodass auch keine entsprechenden Akten in den Archiven zu finden sind.
[4] HHStAW 469/33 467 (3).
[5] Ebd. (4).
[6] Zur Papierfabrik Bautzen siehe ausführlich https://de.wikisource.org/wiki/Die_Papier-Fabrik_von_Carl_Friedrich_August_Fischer_in_Bautzen, siehe auch die tabellarische Zusammenstellung der Firmengeschichte aus dem Jahr 1943: http://www.albert-gieseler.de/dampf_de/firmen1/firmadet10799.shtml. (Zugriff: 5.3.2018).
[7] HHStAW 519/3 1083 (1, 3). Das Vermögen setzte sich zusammen aus Wertpapieren – 96.000 RM -, 1.500 RM auf dem Konto der Dresdner Bank und 1.200 RM in Form von Wert- und Kunstgegenständen. Hinzu kam die Pension.
[8] Ein weiteres Beispiel dafür ist die Meldung der Dresdner Bank an die Devisenstelle vom 4.7.1940, dass auch die Konten der Wiesbadener Juden „Max Israel Bacharach und Ottilie Sara Herz“ noch nicht gesichert wurden. „Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie zwecks Vereinheitlichung unserer Buchführung auch über diese Konten die neue Sicherungsanordnung verfügen wollten.“ Ebd. (16).
[9] HHStAW 519/3 1083 (9).
[10] Ebd. (10).
[11] HHStAW 469/33 467 (1, 2, 10, 12). Ursprünglich war im April noch eine Geldstrafe von 150 RM festgesetzt worden, die dann durch einen neuen Strafbefehl im Juni verdoppelt wurde, siehe ebd. (7).
[12] HHStAW 519/3 1083 (20).
[13] Ebd. (22).
[14] Ebd.
[15] Ebd. (23).
[16] Sterberegister der Stadt Wiesbaden 197 / 1941.
[17] Ein Eintrag im Sterberegister der Stadt Wiesbaden ist zumindest bis 1945 nicht vorhanden.