Kaiser-Friedrich-Ring 43


Kaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde Bloch
Das ehemalige Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 43 heute
Eigene Aufnahme
Kaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde Bloch
Lage des ehemaligen Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 43
Judenhaus Wiesbaden, Kaiser-Friedrich-Ring 43,
Belegung des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 43

 

 

 

 

 

 

 


Henri Bloch

 

Wer Henri Bloch, der Eigentümer des Judenhauses Hauses Kaiser-Friedrich-Ring 43 war, konnte leider nur ansatzweise geklärt werden. Das Haus, das im Grundbuch der Stadt Wiesbaden im Band 104 Blatt 1556 Innen auf seinen Namen eingetragen war, gehörte ursprünglich einem Gastwirtsehepaar Wilhelm und Anna Bräuning, geborene Besier. Laut Grundbucheintrag hatte Henri Bloch es am 6. Juli 1920 für 225.000 RM erworben, ein, bedingt durch die Nachkriegsinflation ganz offensichtlich aufgeblähter Preis. 1935 wurde der Einheitswert des Hauses mit 53.200 RM veranschlagt.[1]

Nach dem Kauf war Henri Bloch, über dessen ursprüngliche Herkunft nichts bekannt ist, selbst in das Haus eingezogen. Im Wiesbadener Adressbuch von 1920/21 ist er dort als Eigentümer wie auch als Bewohner vermerkt. Er hatte damals nicht nur diese Immobilie, sondern auch das Haus an der Ecke Faulbrunnenstr. 12 / Schwalbacher Str. 37 erworben. Auch hier ist in den Adressbüchern ein H. Bloch als Eigentümer eingetragen, allerdings heißt es bei ihm, dass er damals in Mainz und nicht in Wiesbaden gewohnt haben soll. Für die Jahre 1923 / 24 und 1925 fehlen in den Adressbüchern Angaben zu beiden H. Blochs. Erst im folgenden Jahr 1926 sind sie wieder als Eigentümer der jeweiligen Häuser, aber nicht mehr als Bewohner der Stadt Wiesbaden bzw. Mainz aufgeführt. Der Wohnsitz des H. Bloch, dem Besitzer des Hauses in Kaiser-Friedrich-Ring 43, ist jetzt mit Straßburg, der des Eigentümers der Faulbrunnenstr. 12 mit Kehl am Rhein angegeben.

Kaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde BlochKaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde Bloch

 

 

 

 

 

Einträge für Henri Bloch im Wiesbadener Adressbuch von 1921
links Kaiser-Friedrich Ring 43 – rechts Schwalbacher Str. 37 / Faulbrunnenstr. 12

Theoretisch könnte es sich um zwei verschiedene Personen, vielleicht um nahe Verwandte handeln. Dass aber mit größter Wahrscheinlichkeit doch ein und dieselbe Person gemeint ist, ergibt sich aus dem Antrag der Witwe von Henri Bloch, die nach dem Krieg 1954 beim Grundbuchamt eine Umschreibung beider Immobilien, die zuvor ihrem Mann gehört hätten, auf ihren Namen beantragte. Explizit schreibt sie darin, dass ihr Mann Henri Bloch als Eigentümer des Grundbesitzes Faulbrunnenstr. 12 im Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 60 Bl. 908 Innen und Eigentümer des Grundbesitzes Kaiser-Friedrich-Ring 43, Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 104 Bl. 1556 Innen gewesen sei.[2] Es könnte natürlich sein, dass der eine H. Bloch später von dem anderen H. Bloch beerbt wurde und beide Grundstücke erst später in eine Hand gelangt waren. Dagegen sprechen aber verschiedene weitere Indizien bzw. Fakten. So war laut Information des Stadtarchivs Kehl in der Zeit zwischen 1923 und 1932 kein Henri Bloch in Kehl gemeldet, was auf einen fehlerhaften Eintrag im Wiesbadener Adressbuch schließen lässt. In Straßburg dagegen gab es in diesen Jahren eine ganze Reihe von H. Blochs, darunter ein „Henri Bloch, Négt.“ [Handelsmann], wohnhaft in der Rue Loiuis-Apffel 33. Dieser Henri Bloch ist erstmals 1925 und letztmals 1931 im dortigen Adressbuch verzeichnet. Dazu passt der Inhalt eines Schreibens, das Eduard Hammerschmidt, der Hausverwalter des Hauses Kaiser-Friedrich-Ring 43, ebenfalls Jude und späterer Bewohner des dortigen Judenhauses, am 20. Februar 1932 dem Grundbuchamt der Stadt Wiesbaden übermittelte. Er teilte dem Amt darin mit, dass Henri Bloch jetzt in Domaine Joné les Tours in Frankreich wohne.[3] Der letzte Eintrag im Straßburger Adressbuch stimmt somit zunächst mit dieser Nachricht überein. Zudem heißt es auch in der Einheitswertakte des Hauses Faulbrunnenstr. 12 mit Datumsbezug 1. Januar 1935, dass der Eigentümer dieser Immobilie unter der oben genannten Adresse in Tours gemeldet sei.[4] Verwalter dieser Liegenschaft war ebenfalls Eduard Hammerschmidt. Als Einheitswert sind hier 73.300 RM angegeben, der gleiche Betrag, der auch in der Liste des Stadtarchivs mit dem gleichen Bezugsdatum und dem Eigentümer Henri Bloch genannt ist.[5] Allerdings wird in der Einheitswertakte – eine kleine Irritation – der Beruf des Eigentümers mit Landwirt und nicht mit Handelsmann oder ähnlichem angegeben.[6] Trotz dieser nicht zu lösenden Unklarheiten und Widersprüche spricht einiges dafür, dass Henri Bloch, von 1925 bis Anfang 1932 wohnhaft in Straßburg, Rue Louis Apffel, Eigentümer der beiden Immobilien in Wiesbaden, darunter der des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 43 war.

Kaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde Bloch
Der Hausverwalter Hammerschmidt teilt dem Grundbuchamt die neue Adresse von Henri Bloch mit
Grundbuch Wiesbaden Bd. 104 Bl 1556 Innen
Kaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde Bloch
Beleg für die Identität der Hausbesitzer des Kaiser-Friedrich-Rings 43 und der Faulbrunnenstr. 12
HHStAW 519/2 2073

Mit welcher Vorsicht die Akten der NSDAP zu nutzen sind, zeigt sich auch in diesem Fall. In der nicht datierten Liste III, dem „Verzeichnis über die im jüdischen Besitz befindlichen Grundstücke“ in Wiesbaden wird ein Harry Block als Eigentümer der Faulbrunnenstr. 12 und ein Harry Bloch als der des Hauses Kaiser-Friedrich-Ring 43 genannt.[7] Beide Angaben sind definitiv falsch. Im Jüdischen Adressbuch von 1935 ist nur das Haus Kaiser-Friedrich-Ring 43 als Eigentum von H. Bloch, wohnhaft in Straßburg, geführt, das in der Faulbrunnenstraße ist dagegen nicht einmal als „jüdischer Besitz“ vermerkt.

Henri Bloch muss über ein ansehnliches Vermögen verfügt haben, wenn er Anfang der zwanziger Jahre in der Kurstadt gleich zwei große Liegenschaften erwerben konnte. Leider sind seine Finanzakten nicht in Wiesbaden überliefert worden. Vermutlich hatte er angesichts der horrenden Geldentwertung damals nach einer sicheren Anlage für sein Vermögen gesucht. Womit er das notwendige Kapital erworben hatte, lässt sich nicht mehr sagen. In den Adressbüchern ist er zum einen nur allgemein als Kaufmann bezeichnet, zum anderen als Inhaber eines Kommissionsgeschäfts, wobei aber unklar ist, in welchem Bereich er diese Geschäfte tätigte. Nicht auszuschließen ist aber, dass die Angabe in der Einheitswertakte, er sei Landwirt gewesen, nicht völlig abwegig ist und er tatsächlich mit landwirtschaftlichen Produkten gehandelt hatte

Dass er bei der Suche nach einer guten Anlage auf Wiesbaden kam, könnte daran liegen, dass es vielleicht verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Blochs, die in zwanziger Jahren in der Stadt lebten, gab, etwa zu dem Schuhwarengroßhändler Leopold Bloch, einem aktiven Mitglied der jüdischen Gemeinde, der ursprünglich aus dem Saargebiet kam. Andere Blochs kamen aus Saargemünd oder Mühlhausen, weitere waren Eigentümer von Häusern in Wiesbaden, wohnten aber selbst im benachbarten Frankreich, so etwa der Fabrikant E. Bloch, Eigentümer des Hauses Zietenring 7, der in Paris lebte. Ein H. Bloch wiederum war Eigentümer der Seerobenstr. 27 und war in Mühlhausen sesshaft. Offensichtlich besaßen also einige der in Wiesbaden geschäftlich tätigen Blochs Verbindungen in den linksrheinischen Nachbarstaat.

Kaiser-Friedrich-Ring 43, Wiesbaden, Judenhaus, Henri Bloch, Raymonde Bloch
Antrag der Witwe von Henri Bloch, die Immobile Kaiser-Friedrich-Ring 43 auf ihren Namen zu überschreiben
HHStAW 474/56 Jahrgang 1954

Anlass für die oben bereits erwähnte Umschreibung des Grundbesitzes auf Raymonde Bloch, geborene Duhamel, war der Tod von Henri Bloch am 23. Januar 1953 in Vence im Departement Alpes Maritimes, wo das Paar zuletzt gelebt hatte.[8] Wann die Ehe zwischen ihm und seiner Frau geschlossen wurde, konnte nicht ermittelt werden. Die Ehe scheint auch kinderlos geblieben zu sein, andernfalls wäre die Übertragung des Immobilienbesitzes, die, so ist den Gebührenrechnungen zu entnehmen, auch vollzogen wurde, komplizierter gewesen. Während das Haus am Kaiser-Friedrich-Ring durch Kriegseinwirkungen schwer zerstört worden war, hatte das in der Faulbrunnenstraße die Bombenangriffe unbeschadet überstanden. Nach dem Krieg wurden die Gebäude rund um die Kreuzung Schiersteiner Straße / Kaiser-Friedrich-Ring, die fast alle von einem Bombenabwurf erheblich betroffen worden waren, „stark vereinfacht wiederhergestellt“. Zwar „erfüllen sie durch Gliederung und architektonische Motive“ ihre Funktion „im Rhythmus der Fassaden“, aber gerade am dürftigen Dekor des Hauses 43 kann man erkennen, welchen Verlust mit dem Wiederaufbau im Geist der 50er Jahre einherging.[9]
Im Wiesbadener Adressbuch von 1953/54 ist Henri Bloch letztmals als Eigentümer des Hauses vermerkt. In den darauf folgenden Jahren trat seine Frau an seine Stelle. Offensichtlich hatte sie die Immobilie bis zu Beginn der 70er Jahre wirtschaftlich genutzt. Sie ist im Adressbuch von 1971 letztmals als Eigentümerin erwähnt. Ob sie damals verstarb oder das Gebäude verkaufte, ist nicht bekannt.

Es ist insgesamt wenig, was über den Besitzer des Judenhauses herausgefunden werden konnte und selbst das steht auf einem sehr unsicheren Fundament. Trotz der verschiedenen, sich zum Teil widersprechenden Angaben scheint aber Henri Bloch, der Eigentümer von zwei Immobilien in Wiesbaden, Anfang der zwanziger Jahre kurze Zeit in Stadt gewohnt zu haben, dann aber seinen Lebensmittelpunkt in Frankreich gesucht zu haben, wo es ihm auf nicht bekannte Weise gelang, nach der Okkupation durch deutsche Truppen der dortigen Verfolgung zu entkommen.

 

Die Verwaltung des Hauses lag zumindest zeitweise in der Hand von Eduard Hammerschmidt, der zunächst aber noch nicht in dem Haus selbst, sondern in der Schiersteiner Str. 7 wohnte. Erst im Mai 1939 bezog er mit seinen Geschwistern eine Wohnung in dem von ihm verwalteten Haus. 1938 erscheint das aus dieser Tätigkeit erworbene Einkommen von rund 600 RM noch in seiner Steuererklärung, im folgenden Jahr nicht mehr. Man muss davon ausgehen, dass das am 6. Juli 1938 erlassene Verbot, Hausverwaltungen Juden anzuvertrauen,[10] inzwischen umgesetzt worden war und Eduard Hammerschmidt diese Einkommensquelle verloren hatte. Wer diese Funktion an seiner Stelle übernahm, ist nicht bekannt.

Interessant ist allerdings, dass das Haus zu Beginn der NS-Herrschaft überwiegend von aktiven oder auch pensionierten Staatsbeamte bzw. Militärs bewohnt wurde. Im Laufe der folgenden Jahre wechselte die Mieterschaft und bestand zuletzt hauptsächlich aus Handwerkern und kleinen Kaufleuten wie Lebensmittelhändler. Erst 1938 kamen mit den Geschwistern Jenny und Paula Marx die ersten jüdischen Bewohner herein, zu einer Zeit, in der das Konzept der Ghettohäuser noch nicht realisiert war. 1936 hatte allerdings noch ein Landesinspektor Max Birkenfeld in die zweite Etage des Hauses Einzug gehalten. Wie lange er dort wohnte, ist nicht bekannt, aber auch 1938 war er dort noch gemeldet. Im Jahr 1940 war er in die NSDAP eingetreten – nach eigenem Bekunden im Spruchkammerverfahren als Beamter bei der Jugendfürsorge gezwungenermaßen. Er konnte in dem Verfahren verschiedene „Persilscheine“ von Mitgliedern der katholischen Kirchengemeinde vorweisen, die ihn als gläubigen Katholiken auswiesen, der nie hinter der Ideologie der Nationalsozialisten gestanden hätte. Auch er selbst, ein früheres Mitglied des Zentrums, bezeichnete sich selbst als gläubigen Katholiken. Die Kammer ordnete ihn als Mitläufer ein und belegte ihn mit einer Buße von 200 RM als Sühneleistung. Über das konkrete Verhalten gegenüber seinen jüdischen Mitbewohnern liegen keine Informationen vor.

 

Veröffentlicht: 15. 06. 2021

 

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Anmerkungen:

 

[1] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 104 Bl. 1556 Innen (91), dazu Stadtarchiv Wiesbaden WI / 3 893.

[2] HHStAW 474/56.

[3] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 104 Bl. 1556 Innen (104).

[4] HHStAW 519/2 2073 (o.P.). Die gesamte Akte besteht nur aus einer einzigen, zudem noch zerrissenen Seite.

[5] Stadtarchiv Wiesbaden  WI/3 983.

[6] HHStAW 519/2 2073 (o.P.).

[7] HHStAW 519/2 1381 (o.P.). In der vorbereitenden Liste HHStAW 519/2 3146 (o.P.), in der die Vornamen der Eigentümer nicht benannt sind, wurde aber in beiden Fällen der richtige Nachname Bloch eingetragen.

[8] Ebd.

[9] Kulturdenkmäler in Hessen Wiesbaden I.2, S. 383

 

[10] Bopf, Diskriminierung und Enteignung, S. 190 f., dazu RGB I  1938 (S. 823).