Sally und Clara Reinstein, geb. Benjamin-Lury, und ihr Sohn Adolf / Alfred


Lortzingstraße_7_1925
Lortzingstr. 7 um 1925
Archiv D. Schaller
Lortzingstr. 7
Lage des ehemaligen Judenhauses Lortzingstr. 7

 

 

 

 

 


Als Sally und Clara Reinstein sowie ihr Sohn Adolf am 16. November 1938 in das Haus in der Lortzingstr. 7 einzogen,[1] war dieses formal noch nicht zum Judenhaus deklariert worden. Und Adolf Reinstein war zwar dort gemeldet, war aber ganz sicher an diesem Tag nicht mit seinen Eltern zusammen gekommen. Vermutlich hatte er dort überhaupt nur wenige Tage zugebracht. Hinter ihnen lagen mit dem Novemberpogrom die wohl bisher schlimmsten Tage ihres Lebens und das was ihnen bevor stand, sollte noch schrecklicher werden.

Etwa zu Beginn des Jahrhunderts – der erste Eintrag in einem Wiesbadener Adressbuch stammt aus dem Jahr 1905/06 – hatte sich Salomon, genannt Sally, Reinstein in Wiesbaden niedergelassen und war dort im Laufe der Jahre zu einem angesehenen Geschäftsmann aufgestiegen. Sein Unternehmen, ein Geschäft für Herrenkleidung und Accessoires, das den etwas pompösen Namen ‚Prince of Wales’ trug, war schon am 21. November 1904 in das Wiesbadener Handelsregister eingetragen worden,[2] sodass man davon ausgehen kann, dass auch er selbst spätestens ab diesem Jahr in der Stadt lebte.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Stammbaum der Familie Benjamin-Lury – Reinstein
GDB

Am 20. April 1909 heiratete er in ihrem Geburtsort Salzwedel im heutigen Sachsen-Anhalt die am 11. Februar 1882 geborene Clara Benjamin-Lury [3] und noch im selben Jahr wurde ihnen am 23. Dezember 1909 in Wiesbaden ihr einziges gemeinsames Kind, der Sohn Adolf Siegmund, geboren.[4]

Die familiären Hintergründe der jeweiligen Ehepartner sind sehr kompliziert und besonders bei Salomon Reinstein mehr als unsicher. Etwas weniger schwierig ist das bei Clara Benjamin-Lury, aber der Archivar von Salzwedel bemerke in einer Mail, dass es sich auch bei dieser Familie „bedauerlicherweise um eine ‚problematische’ Familie (handle), da man sich da anscheinend nicht so recht einigen konnte, welcher Name als Familienname gilt“.[5]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Pesse Luri auf einer Liste jüdischer Haushaltsvorstände in Salzwedel 1809
https://lha.sachsen-anhalt.de/onlineangebote/juedisches-leben-in-sachsen-anhalt-eine-archivische-spurensuche/landesherrliche-und-staatliche-regelungen/statistik-wirtschaft-und-topographie/verzeichnis-der-in-der-kommune-salzwedel-wohnenden-israeliten

Und Tatsächlich findet man in den verschiedenen Dokumenten die Varianten Lury (auch mit „i“ geschrieben), Benjamin-Lury oder auch nur Benjamin. In einer frühen Liste der Juden in Salwedel aus dem Jahr 1809 ist noch ein Pesse Luri ohne jeden Zusatz verzeichnet.[6] Aber schon bei seinem vermutlichen Nachkomme, dem Produktenhändler Elias Lury, der am 13. November 1886 in Salzwedel zu Grabe getragen wurde, heißt es auf der Sterbeurkunde, die sein Sohn Hermann Lury Benjamin unterzeichnete, dass „sein Vater, der Rentier Elias Lury genannt Benjamin, verheiratet mit Tabine geb. Goldschmidt, 78 7/12 Jahre alt, jüdischer Religion, wohnhaft zu Salzwedel, Lohteich 15, geb. zu Salzwedel am 25. März 1808, Sohn des verstorbenen Taxant Lury genannt Benjamin’schen Eheleute zu Salzwedel in seiner Wohnung am 13. November 1886 nachmittags um 9 Uhr verstorben ist.“[7]
Der verstorbene Elias Benjamin-Lury hatte neben dem genannten Hermann, der mit Bernadine Lilienfeld verheiratet war und mit ihr vermutlich 12 Nachkommen hatte, noch zwei weitere bekannte Söhne. Zum einen Gustav, verheiratet mit Emilie Philipp, und den Produktenhändler Siegmund Benjamin-Lury, der Vater von Clara Benjamin-Lury. Am 8. Januar 1875 hatte er in Salzwedel die am 5. Oktober 1845 in Marlow geborene Johanna Ahrendt geheiratet.[8]

Vor Clara war in dieser Ehe zunächst am 20. Dezember 1875 die Tochter Natalie geboren worden. Sie heiratete am 10. Juli 1894 in Salzwedel den Kaufmann Joseph Heumann, geboren am 5. Mai 1868 in Poppelsdorf bei Bonn.[9] Natalie sollte in Claras Leben noch eine bedeutende Rolle spielen.
Der Clara folgende Bruder Emil wurde am 28. Juni 1881 geboren.[10] Aus seiner Ehe mit Rosa Löwenthal – wann sie geschlossen wurde, ist nicht bekannt – ging am 30. September 1908 der Sohn Siegmund Walter Kurt hervor.[11] Mit seine Flucht am 18. Januar 1940 nach Griechenland gelang es ihm zumindest zunächst, sein Leben zu retten. Über sein weiteres Schicksal konnten leider keine zusätzlichen Informationen gefunden werden.[12] Sein Vater war ebenfalls geflohen, allerdings nur in das benachbarte Holland, wo er 1941 in der Amsterdamer Courbetstaat 21, später dann in der Hofmeyerstraat 8 wohnte. Die näheren Umstände, unter denen er aufgegriffen und dann nach Westerbork gebracht wurde, konnten nicht ermittelt werden. Am 8. Februar 1944 wurde er von dort aus nach Auschwitz deportiert und ermordet.[13] Über das Schicksal seiner Frau liegen keine Informationen vor. Sie scheint bereits vor der NS-Zeit verstorben zu sein. Auf Emils Karteikarte aus Westerbork ist eine Eva Rosenzweig vermerkt, mit der er offenbar zuletzt in Holland zusammen gelebt hatte.[14]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Das Geschäft der Eltern von Erich Max Eduard Wolff in Neubrandenburg (links)

Zuletzt kam am 23. Januar 1886 noch eine weitere Tochter mit Namen Ida zur Welt.[15] Sie war das einzige der vier Kinder von Siegmund und Johanna Benjamin-Lury, das den Holocaust überlebte. Auch ihr Mann, der Textilkaufmann Erich Max Eduard Wolff, geboren am 11. April 1881 in Neubrandenburg, gehörte zu den Überlebenden. Soweit bekannt, blieb ihre Ehe kinderlos. Wo die beiden die Jahre des Nationalsozialismus verbrachten, konnte nicht geklärt werden. Nach der Reichspogromnacht war auch Erich Wolff bis zum 2. Dezember 1938 in Alt-Strelitz inhaftiert worden, hatte aber vermutlich bald danach mit seiner Frau Deutschland verlassen. In der Residentenliste vom Mai 1939 sind sie zwar noch erfasst worden, aber ihre damalige Anschrift kannte man schon nicht mehr.[16] Nach dem Ende des Krieges und der Gewaltherrschaft kamen sie wieder nach Deutschland zurück. Beide starben in Frankfurt a. M., er am 26. August 1953, Ida am 19. Juni 1969.[17]

Zwar bleiben im Hinblick auf das Schicksal der verschiedenen Geschwister von Clara Benjamin-Lury einige Fragen offen, aber die Familienverhältnisse selbst sind – abgesehen von dem wechselnden Nachnamen – relativ klar. Allerdings gibt es ein Problem mit einem Hans Lury, der am 26. Januar 1908 geboren wurde, nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft dann in Aschot Jaakow in Israel lebte. Am 21. März 1958 stellte er über die UNR, die ‚United Restitution Organisation’, einen Antrag auf Entschädigung als „Sohn und Alleinerbe“ von Clara Reinstein. Seinen eigenen Nachnamen gab er mit Heuman, früher Lury, seinen Vornamen mit Zwi, früher Hans, an.[18] Als Geburtsort ist in dem Antrag Lugano in der Schweiz eingetragen, in der Residentenliste von 1939 hingegen die schweizerische Stadt Luzern.[19]
Laut einer Notiz in der ‚Datenbank Jüdischer Bürger’ im Wiesbadener Stadtarchiv soll dieser Hans 1914 von Claras Schwester Natalie Heumann adoptiert worden sein.[20] Wer der Vater von Hans gewesen sein könnte, ist nicht bekannt. Auch auf eine mögliche frühere Ehe von Clara, gibt es keinen Hinweis. Es liegt daher nahe, dass Hans etwa ein Jahr bevor Clara die Ehe mit Sally Reinstein einging, unehelich geboren wurde.

Irritierend an der Angabe der Informantin über Hans ist das Jahr der Adoption, denn bereits im April desselben Jahres 1914 verstarb Natalie Heumann in Wiesbaden im St. Josefs-Hospital. Sie war damals eigentlich mit ihrem Ehemann Joseph Heumann in Magdeburg wohnhaft. Nicht ausgeschlossen ist natürlich, dass sie in Wiesbaden bei ihrem Besuch plötzlich verstarb, möglicherweise war sie aber wegen einer länger andauernden Krankheit zu ihrer Schwester gekommen, um sich hier behandeln zu lassen. Dass man in dieser Situation ein Kind adoptiert, ist mehr als merkwürdig.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Sterbeeintrag für Natalie Heumann, geb. Benjamin-Lury

Nicht minder merkwürdig ist die Tatsache, dass Hans zum Zeitpunkt der Adoption bereits etwa sechs Jahre alt gewesen sein muss, die Ehe zwischen Sally Reinstein und Clara Benjamin-Lury aber schon etwa ein Jahr nach der Geburt von Hans geschlossen worden war. Es stellt sich die Frage, wo und mit wem Hans die Jahre zuvor verbracht hatte? Hatte er bisher bei seiner Mutter und zuletzt auch bei seinem Stiefvater gelebt, was kaum vorstellbar ist, oder war schon bald nach seiner Geburt von der Schwester aufgenommen worden? Als sie dann möglicherweise auf Grund einer schweren Krankheit den baldigen Tod vor Augen sah, wollte sie vielleicht durch die Adoption dem Pflegesohn zumindest den vertrauten Pflegevater als Vertrauensperson erhalten. Auf die vielen Fragen gibt es leider keine sicheren Antworten. Es sind nur Vermutungen, Möglichkeiten, die aber durch keine Dokumente bestätigt werden können.

Wie lange Joseph Heumann mit seinem Adoptivsohn nach dem Tod von Natalie noch in Magdeburg wohnte, ist nicht bekannt. Zuletzt lebte er in Berlin, wo er bei der Volkszählung im Mai 1939 in der Courbièrstr. 16 in Schöneberg gemeldet war. Ein halbes Jahr später hatte er seinen Aufenthaltsort in der Stadt wechseln müssen. In der Konstanzer Str. 4 in Wilmersdorf, einem der jüdischen Viertel von Berlin, fand er eine neue Unterkunft. Wie das Nachbarhaus mit der Nummer 3 handelte es hierbei um ein Judenhaus – bzw. um „Zwangsräume“, – wie man die Ghettohäuser in Berlin nennt.[21]
Am 29. November 1942 wurde er mit fast 1000 weiteren, zumeist Berliner Juden nach Auschwitz deportiert. Es handelte sich um den ersten Transport aus dem sogenannten Altreich, der deutsche Juden in das dortige Vernichtungslager brachte. Wann er ermordet wurde, ist nicht bekannt.[22]
Zwar wurde sein Adoptivsohn bei der Volkszählung im Mai 1939 noch erfasst, aber eine Wohnanschrift konnte damals schon nicht mehr eingetragen werden. In seinem 1958 gestellten Entschädigungsantrag gab er an, Deutschland 1936 von Berlin aus verlassen zu haben – ob direkt nach Palästina, ist nicht sicher.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Brief von Clara und Sally Reinstein an Hans Heumann
HHStAW 518 855 (30)

In der Entschädigungsakte befindet sich noch ein an ihn gerichteter Brief von Clara und Joseph Reinstein, geschrieben am 23. September 1938 wenige Wochen vor dem Pogrom, leider ohne Umschlag oder Adressangabe. Clara schreibt darin:
„Lieber Hans!
Aus verschiedenen Gründen konnten wir bis heute Deinen l. Brief der uns wie immer sehr erfreute nicht beantworten. Onkel u. mir geht es gesundheitlich immer noch nicht gut u Adolf ist für 8 Tage in Berlin um noch Krawatten
(?) zuschneiden bei Jongla (?) zu lernen. Frl. Weil haben wir alles was Du auf der Karte schriebst hingeschickt u. wird hoffentlich alles gut in deinen Besitz gelangen, schreibe darüber. Für Deine Glückwünsche zum Jahreswechsel herz. Dank, auch Dir alles, alles Gute u. werden hoffentlich alle guten Wünsche in Erfüllung gehen. Die ‚Illustrierte’ bekommst Du ja jetzt regelmäßig u. wird Dir sicher Freude machen. Was hörst Du von Vater? Sonst Nichts von Bedeutung, sei noch herzl. gegrüsst u geküsst von Deiner Dichl.[liebenden] Tante Clara.“ [23]

Nur auf den ersten Blick ist verwunderlich, dass man sich im September zum Neuen Jahr beglückwünscht, aber der Brief wurde nach dem jüdischen Kalender am 27 Elul, dem letzten Monat des Jahres 5698 geschrieben. Man gratulierte sich also zum jüdischen Neujahrsfest. Ganz sicher ist mit „Vater“ Joseph Heumann gemeint, während seine biologische Mutter sich selbst als Tante und ihren Mann als Onkel bezeichnet. Das wird die Sprachregelung gewesen sein, auf die man sich verständigt hatte, die zudem nahe legt, dass Hans in sehr frührem Alter zu seiner Tante kam. Aber immerhin ist offensichtlich, dass die drei in einem regelmäßigen Kontakt zueinander standen.
Aus dem Text muss man entnehmen, dass Hans damals noch keine feste neue Adresse – in welchem Land auch immer – hatte und nur über ein Frl. Weil, deren Identität aber nicht bekannt ist, erreichbar war. Vielleicht befand er sich noch in einem Vorbereitungslager, einem Hachschara-Camp, bevor er dann endgültig nach Palästina ging, wo er im Jahr, in dem er den Entschädigungsakte stellte, als Buchhalter mit seiner Frau und vier Kindern im Alter von 18, 14, 9 und 6 Jahren in Aschdot Jaakow lebte.[24]

 

Wenn es mitunter schon schwierig ist, sichere Angaben über die genealogischen Verbindungen jüdischen Bewohner im späteren Westdeutschland zu finden, so ist es ungleich schwerer Informationen über den familiären Hintergrund der vielen Jüdinnen und Juden zu bekommen, die, wie die Reinsteins, aus den östlichen Teilen des früheren Deutschen Reiches stammten. Dank der später in Wiesbaden ausgestellten Sterbeurkunde von Salomon Reinstein weiß man zumindest mit Sicherheit, dass er am 3. März 1873 im damaligen Strelno in der Provinz Posen zur Welt gekommen war. Auch sind darin seine Eltern Abraham und Cäcilie Reinstein, geborene Schlamm, genannt.[25] Seine Großeltern sollen Jakob und Birdi Reinstein, geborene Schiff, gewesen sein, die neben Abraham noch die drei Söhne Moritz, William und Hermann gehabt haben sollen.[26] Es muss eine große Familie gewesen sein, denn man findet im Internet eine Vielzahl von Reinsteins, die aus Strelno stammten, aber die genealogischen Verbindungen untereinander konnten bisher nur unzureichend geklärt werden.[27]
Aber ganz offensichtlich hatten verschiedenen Mitglieder der Familie ihre Heimatstadt schon früh verlassen, manche noch in der Zeit des Kaiserreichs, andere, nachdem Strelno nach dem Ersten Weltkrieg dem neu gegründeten polnischen Staat zugeschlagen wurde. Möglicherweise war Wiesbaden – wie in GENI geschrieben – tatsächlich ein Ziel für mehrere Mitglieder der Familie, aber nachweisbar ist das nur für Sally Reinstein.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Sally und Clara Reinstein
Archiv des Aktiven Museums Spiegelgasse

Anfangs wohnte Salomon Reinstein zunächst in verschiedenen Wohnungen im Zentrum der Stadt, nach der Eheschließung aber für viele Jahre in der Kirchgasse 47 im dritten Stockwerk.[28] Die Geschäftsräume seines Herrenkonfektionsgeschäfts waren unmittelbar im Nachbarhaus mit der Nummer 49 im Parterre gelegen – dem Haus, in dem gegenwärtig ein Buchhandelskonzern sein Angebot offeriert. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Salomon Reinstein selbst teilnahm,[29] wurde der Laden in das nicht weit entfernt gelegene Gebäude in der Langgasse 7 verlegt, das im Besitz der jüdischen Geschwister Alice Keiles, geborene Hamburger, und Hans Hamburger war.[30] 1931 zogen dann auch Reinsteins selbst um. Die neue Adresse, die ‚Villa Dora’ in der Schützenstr. 8, zeugt sicher von dem, trotz aller Krisen gewachsenen Wohlstand der Familie.

Wie man aus den zumindest teilweise überlieferten Steuerakten ersehen kann, gehörten Reinsteins zwar nicht zur Oberschicht der Stadt, aber doch zu denjenigen, die auf ein stetes und ausreichendes Einkommen zurückgreifen konnten. Vor Kriegsbeginn 1914 besaßen sie Vermögenswerte in Höhe von mehr als 11.000 RM und ihr Jahreseinkommen belief sich auf knapp 6.000 RM.[31] Schon bald nach der ersten großen Nachkriegskrise mit der galoppierenden Inflation konnte man geschäftlich wieder an die Vorkriegszeiten anknüpfen. Und am Ende der Weimarer Jahre stand das Geschäft eigentlich wieder auf sicheren Beinen.[32] Der Einheitswert des Unternehmens wurde 1933 mit 11.000 RM taxiert.[33] Laut Angaben des Finanzamts Wiesbaden versteuerten Reinsteins in den schweren Krisenjahren 1932 und 1933 ein Einkommen von jeweils etwa 3.600 RM.[34] Das war nicht sehr viel, aber angesichts der Not vieler Menschen doch ein relativ sicheres finanzielles Fundament.

Die Langgasse um 1910
Rechts hinter der leichten Kurve müsste später der ‚Prince of Wales‘ gelegen haben

Im Geschäft, das laut einer Zeitzeugin mit seinen beiden Schaufenstern das zweitgrößte und eleganteste Herrenkonfektionsgeschäft in Wiesbaden gewesen sein soll,[35] arbeiteten neben Sally und seiner Frau bis 1933 zwei zusätzliche Verkäuferinnen. Der Firmenchef kümmerte sich primär um die Dekoration, die Korrespondenz und die Bücher, seine Frau organisierte den Ein- und Verkauf.[36] Normalerweise konnten darüber hinaus noch zwei Lehrlinge in diesen Jahren ihre Ausbildung bei Reinsteins absolvieren.[37] Zur Kundschaft gehörten auch viele Kurgäste der Stadt, worunter sich auch sehr häufig Ausländer befanden. Clara Reinstein sprach fließend Englisch und Französisch und verlangte, dass auch die anderen Angestellten Kunden in diesen Sprachen bedienen konnten. Oft, so eine ehemalige Angestellt in einer eidesstattlichen Erklärung, hätten diese auch später aus dem Ausland noch Waren im ‚Prince of Wales’ geordert.[38]

‚Prince of Wales‘ in der Langgasse 7
Mit Dank an D. Schaller

Die Mietkosten für das Ladenlokal, zu dem auch noch eine Mansarde, die als Lagerraum genutzt wurde, und ein Keller gehörten, betrug in den dreißiger Jahren 950 RM monatlich, ein nicht unbeträchtlicher Betrag, der erst einmal erwirtschaftet sein wollte.[39] Aber selbst die Auskunftei Blum, die häufig von den Entschädigungsbehörden gefragt wurde, wenn es um die Beurteilung früherer jüdischer Geschäfte ging und dann in ihren Gutachten immer wieder antisemitische Ressentiments durchscheinen ließ, kam nicht umhin, Salomon Reinstein zu bescheinigen, dass der Geschäftsgang bis 1933 gut war, Herr Reinstein sich mit dem Unternehmen sehr viel Mühe gab und er die Branche sehr gut verstanden habe.[40]

Aber nicht nur in der Wiesbadener Geschäftswelt hatte sich Sally Reinstein einen Namen gemacht, auch in der jüdischen Gemeinde war er in den verschiedensten Vereinen und Initiativen aktiv oder zumindest als Mitglied eingetragen. Inwieweit es sich dabei um rein formale Mitgliedschaften oder aber um tätige Mitarbeit oder zumindest um finanzielle Unterstützung handelte, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr beurteilen. Der ‚Centralverein der Juden in Deutschland’ war darunter vermutlich der größte, wichtiger für die jüdische Identität war aber das von Rabbiner Paul Lazarus geleitete ‚Jüdische Lehrhaus’. Als ehemaliger Frontsoldat im Ersten Weltkrieg gehörte er selbstverständlich auch ihrer Organisation, dem ‚Reichsbund’, dem RjF an. In der Sportgruppe der Vereinigung engagierte sich zudem auch sein Sohn Adolf, der dort sogar eine Leitungsfunktion innehatte. Dem ‚Verein zur Errichtung eines jüdischen Krankenhauses’ anzugehören, war ganz sicher für einen erfolgreichen Geschäftsmann eine genauso unabdingbare Pflicht, wie die Unterstützung der ‚Wiesbadener Ferienkolonie für israelitische Kinder’, in der man sich um die Fürsorge für erholungsbedürftige und kranke jüdische Kinder kümmerte. Clara Reinstein gehörte der ‚Vereinigung jüdischer Frauen’, dem lokalen Ableger des ‚Jüdischen Frauenbundes’ an. Neben seiner Funktionsstelle im Sportbund war Adolf auch Mitglied im ‚Bund Deutsch-Jüdischer Jugend’, der – so die Erläuterung im Jüdischen Adressbuch – sich die „Sorge um die körperliche, geistige und kameradschaftliche Erziehung der jungen Menschen und zwar streng im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und unter absolut loyaler Beobachtung der in Deutschland herrschenden politischen Grundsätze“ zum Ziel gesetzt hatte. Unter „Ablehnung jeder assimilatorischen Eingliederung in die Umwelt“, sollte der „bewußte Wille, das Judentum zu erhalten“, gefördert werden. Die Vereinigung galt damals noch als eine vom Reichsjugendführer genehmigte jüdische Jugendorganisation.[41]

Dass das Jahr 1933 eine Zäsur darstellte, machte sich an der Geschäftsentwicklung zunächst noch kaum bemerkbar. Die einschneidendste Veränderung für Reinsteins ergab sich 1933 aus den restriktiven Maßnahmen, die die NSDAP unmittelbar nach der Machtübernahme im Beamtenrecht durchsetzte. Adolf Reinstein hatte sich nach dem Abitur für ein Studium der Rechtwissenschaften mit dem Ziel, Richter zu werden, entschieden. Von 1928 bis 1932 besuchte er die Universitäten Freiburg und Bonn und bestand am 17. September 1932 in Köln die Erste juristische Staatsprüfung.[42]

Am 18. Oktober 1932 war ihm am Oberlandesgericht in Frankfurt eine Referendarstelle übertragen worden, die er in den ersten sechs Monaten am Amtsgericht Linz absolvieren sollte, das wiederum dem Landgericht Neuwied zugeordnet war.[43] Am 7. April 1933 wurde ihm von diesem die weitere Ausübung seiner Dienstgeschäfte untersagt und man „ersuchte“ ihn, sich „des Betretens des Gerichtsgebäudes bis auf weitere Weisung zu enthalten“.[44] Die Anweisung wurde Adolf Reinstein am 24. April noch einmal mit Verweis auf das „Reichsgesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom übergeordneten Oberlandesgericht bestätigt und ihm „zur gepfl. Kenntnisnahme“ zugestellt.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Adolf Reinstein wird aus dem Justizdienst entlassen
HHStAW 518 48924 (12)

Am 31. Mai des gleichen Jahres erhielt er dann die Mitteilung, dass er als „nicht arischer Referendar“ aus dem Vorbereitungsdienst zu entfernen und vor dem 30. September 1933 durch den Preußischen Justizminister zu entlassen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei er beurlaubt und das Betreten des Dienstgebäudes sei ihm weiterhin nicht gestattet.[45] Zwar konnte man gegen diese Anweisung einen Widerspruch einlegen und um Weiterbeschäftigung ersuchen – der Schein der Rechtsstaatlichkeit sollte noch gewahrt bleiben -, aber das war angesichts zweier jüdischer Eltern faktisch aussichtslos. Dennoch scheint Adolf ein solches Gesuch eingereicht zu haben.
Das endgültige Entlassungsschreiben erhielt er dann am 19. August 1933. Man habe sich „kraft zwingenden Reichsrechts nicht in der Lage gesehen“, seinem am 3. Juni eingereichten Gesuch um Weiterbeschäftigung, zu entsprechen.[46]

Adolf Reinstein blieb keine andere Wahl, als nach Wiesbaden zurückzukehren und im Geschäft seines Vaters mitzuarbeiten. Er erhielt damals ein festes monatliches Gehalt von 250 RM, war aber auch – in welchem Umfang ist nicht bekannt – an dem Unternehmen selbst beteiligt.[47]

Natürlich ist nicht abzusehen, wie die Geschäfte ohne die antisemitischen Boykottaufrufe, die ja schon vor 1933 intensiv einsetzten, sich entwickelt hätten, aber deutlich negative Auswirkungen gab es zunächst nicht. Die Umsätze des Ladens blieben bis 1936 auf dem bisherigen Niveau und auch das Einkommen der Familie blieb relativ stabil. Im Entschädigungsverfahren legte das Finanzamt Wiesbaden die Zahlen vor, mit denen Salomon Reinstein in den Jahren von 1932 bis 1938 zur Einkommensteuer herangezogen wurde. Sie blieben in all den Jahren, von 1938 abgesehen, immer im Bereich zwischen 3.500 RM und rund 4.500 RM, erreichten 1935 mit 4.475 RM den höchsten Stand.[48] Zwar gab Alfred Reinstein im Entschädigungsverfahren an, der Umsatz der Firma habe sich immer um etwa 100.000 RM im Jahr bewegt, eine Angabe, die auch von einem anderen Geschäftsinhaber im Haus Langgasse 7 als glaubhaft angesehen wurde. Ob sie aber tatsächlich stimmt, ist eher fraglich.[49] Es mag sein, dass diese Zahlen für einige der zwanziger Jahre zutreffend waren, aber selbst da erscheinen gewisse Zweifel berechtigt. In den Jahren, für die beim Finanzamt Wiesbaden noch Umsatzsteuerunterlagen vorhanden waren, betrugen die Umsätze laut den von Sally Reinstein gegenüber dem Finanzamt gemachten Angaben immer zwischen 30.000 RM und etwa 40.000 RM.[50] Wie wohl so manch andrer Geschäftsmann, hatte sicher auch Salomon Reinstein nicht alle Einnahmen dem Finanzamt gemeldet, zumindest lässt darauf eine Bemerkung von Alfred schließen, die in einem Brief an seinen Schwager fiel, in dem er einen Safe erwähnt, in dem „Schwarz-money“ deponiert gewesen sein soll.[51] Das bezieht sich aber aller Wahrscheinlichkeit erst auf einen Zeitraum, in dem man sich auf noch schlimmere Zeiten und möglicherweise auf die Flucht aus Deutschland vorzubereiten begann.
Als mögliches Indiz für Pläne der Reinsteins, Deutschland in dieser Phase zu verlassen, kann unter Umständen der Antrag von Clara Reinstein vom 6. April 1937 gewertet werden, in dem sie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Verlängerung ihres Reisepasses anforderte. Vermutlich wurde dem entsprochen, denn immerhin ist auf dem Schriftstück vermerkt, dass sie keine Steuerrückstände habe.[52]
Möglicherweise stand mit solchen Auswanderungsplänen auch der damalige Wohnungswechsel im Zusammenhang. Am 1. Juli 1937 verließ die Familie die Villa in der Schützenstr. 8 und zog in die Blumenstr. 3.[53] Zwar handelt es sich auch hier um eine sehr schöne Doppelhaus-Stadtvilla in einer begehrten Gegend der Stadt, aber Reinsteins bezogen nur das Erdgeschoss, das eher dunkel und vermutlich auch relativ kühl war. Vielleicht sollte diese Wohnung, die im Hinblick auf die Mietkosten sicher günstiger als die bisherige war, nur als Übergangslösung bis zur Auswanderung dienen.

Mit dem Novemberpogrom ändert sich dann alles. Nachdem am frühen Morgen des 10. November um 4 Uhr die Synagoge am Michelsberg erstmals angezündet worden war, der Brand zunächst von der herbeigerufenen Feuerwehr gelöscht werden konnte, dann zwischen 6 und 7 Uhr eine Gruppe von Männern mit Äxten und anderen Werkzeugen erneut in das Gotteshaus eingedrungen war, das Mobiliar zertrümmerte und erneut einen Brand legte, um das Zerstörungswerk zu vollenden, zog der Mob durch die Wiesbadener Innenstadt, um die jüdischen Geschäfte anzugreifen. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Limburg beim Landgericht Wiesbaden, wo nach dem Krieg der Prozess gegen die Haupträdelsführer stattfand, heißt es über das weitere Vorgehen: „Aus der Reihe der zerstörten Geschäfte sind in diesem Verfahren besonders das Hutgeschäft Ullmann, die Weinhandlung Simon, das Juweliergeschäft Heimerdinger, das Konfektionsgeschäft Baum, Ecke Webergasse, das Parfümeriegeschäft Albersheim, das Geschäft Kugelmann im Hotel Bellevue, das Schuhgeschäft Mesch, das Geschäft Rheinstein, das Geschäft Marxheimer und das Verkehrsbüro Ecke Webergasse hervorzuheben. Die Durchführung der Aktionen in den einzelnen Geschäften war in allen Fällen im wesentlichen die gleiche. Fensterscheiben und Türen wurden eingeschlagen, die Inneneinrichtung der Läden demoliert, die Ware umhergestreut und vielfach auf die Straße geworfen.“[54]

Tatsächlich waren auch in der Langgasse 7 die Schaufensterscheiben des ‚Prince of Wales’ zertrümmert worden, die Ladeneinrichtung, die nach Alfred Reinstein einen Wert von 10.000 RM hatte, zerschlagen und das bereits für das Weihnachtsgeschäft aufgefüllte Warenlager auf die Straße geworfen worden. Allein das soll einen Wert von etwa 30.000 RM gehabt haben. Im Tresor sollen sich weitere 3.000 RM an Bargeld und Wertpapiere sowie diverse Versicherungsscheine befunden haben, die allesamt geraubt wurden.[55] Eine Nachbarin – sie gab vermutlich versehentlich als Datum den 9. November an – hatte gesehen, wie ihr bekannte städtische Arbeiter mit Werkzeugen, die als städtisches Eigentum erkennbar waren, in den Laden eindrangen, um ihr Zerstörungswerk zu verrichten. Sie bestätigte zudem die übrigen Angaben über die Vorgänge an diesem Tag.[56]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Umzugsmeldung in die Lortzingstr. 7
HHStAW 685 650b (o.P.)

Auch scheinen Reinsteins im Gefolge der Ereignisse ihre bisherige Wohnung verloren zu haben. Auf dem polizeilichen Ummeldebogen ist als Umzugstag der 16. November 1938 festgehalten, der Stempel der Polizeibehörde datiert ihn auf den 18. des Monats.[57] Zu dieser Zeit gab es noch keine Zwangseinweisungen von Juden und ihre neue Unterkunft, die Lortzingstr. 7, war auch noch nicht zum Judenhaus erklärt worden. Vermutlich hatten die Vermieter ihnen ihre Wohnung in Zuge der Pogromwelle fristlos gekündigt und Sally und Clara Reinstein fanden Zuflucht im nur wenig entfernt gelegenen Haus der Jüdin Sophie Ginsburg. Adolf war beim Umzug selbst nicht dabei, er war, wie die meisten jüdischen Männer, noch am 10. November verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert worden.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Sterbeeintrag Sally Reinstein
Das Grab von Sally Reinstein auf dem Jüdischen Friedhof Platter Straße (mit falschem Todesdatum)
Eigene Aufnahme

Das Lebenswerk des einst erfolgreichen Geschäftsmanns Salomon Reinstein war mit einem Schlag zerstört, aus seiner Wohnung hatte man ihn vermutlich vertrieben und der Sohn harrte mit ungewissem Schicksal im Konzentrationslager. Die Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die Sorgen um Sohn, Ehefrau und die Zukunft überhaupt müssen Salomon Reinstein so zugesetzt haben, dass er nur drei Wochen nach den schrecklichen Ereignissen am frühen Morgen des 2. Dezembers 1938 um 1 Uhr in seiner gerade erst bezogenen Wohnung in der Lortzingstr. 7 verstarb. Offizielle Todesursache war eine „Herzmuskelentartung“ – aber was heißt das schon.[58] Obwohl eine unmittelbare Gewaltanwendung an seiner Person durch die Nazis nicht vorgelegen zu haben scheint, er somit eines „natürlichen“ Todes gestorben war, hat man zur Erinnerung an das ihm zugefügte Leid am 1. Oktober 2005 zurecht einen Stolperstein vor seiner früheren Wohnung Kirchgasse 47 verlegt.[59]

Stolpersteine für das Ehepaar Reinstein und Dr. Albert Stahl vor dem Haus Kirchgasse 47
Eigene Aufnahme

Gemäß einer „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Geschäftsbetrieben“ vom 12. November 1938 hatten die Juden für die von dem Nazi-Mob angerichteten Schäden selbst aufzukommen. Die Wiederherstellung der Glasfront kostete allein etwa 1.000 RM. Auch die noch offenen Rechnungen für die zerstörten Waren mussten Reinsteins beim ‚Kaufmännischen Verein‘ in Wiesbaden begleichen – etwa 3.500 RM.[60]

Noch vor seinem Tod hatte sich der Inhaber Sally Reinstein entschlossen, das zerstörte Geschäft aufzugeben. Mit Datum 25. November 1938 ist im Handelsregister der Eintrag „die Firma ist erloschen“ zu lesen.[61] Für einen Wiederaufbau fehlten nicht nur die finanziellen Mittel, es war auch klar, dass ein jüdisches Geschäft auf absehbare Zeit in Wiesbaden keine reale Perspektive mehr haben würde. Damit kam er der Zwangsarisierung, die am 3. Dezember mit der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ erlassen wurde,[62] um wenige Tage zuvor.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Die Löschung des 1904 gegründeten ‚Prince of Wales‘ im Handelsregister am 25.11.1938
HHStAW 518 855 (32)

Allerdings war die Lage des Ladenlokals so begehrt, dass sich vermutlich sehr schnell diverse Interessenten finden ließen. Den Zuschlag erhielt ein Wilhelm Schweitzer, der bisher an anderer Stelle in Wiesbaden ein ähnliches Konfektionsgeschäft betrieben hatte. Über die genauen Umstände dieses Wechsels liegen wiederum unterschiedliche Aussagen vor. Während Alfred Reinstein angab, der Laden sei auf Kosten der Mutter wieder instand gesetzt worden, sagte die Witwe des neuen Ladenbesitzers im Entschädigungsverfahren aus, es wären nur noch wenige brauchbare Bretter vorhanden gewesen, die ihr Mann damals käuflich erworben habe. Auch habe er für die noch brauchbaren Reste des Lagers Geld an Frau Reinstein gezahlt. Ihr Mann habe im Übrigen in keiner Verbindung zu Salomon Reinstein gestanden, sondern die leer stehenden Räume erst am 15. Januar 1939 angemietet und danach am 5. Februar sein Geschäft eröffnet.[63]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Die Überreste des Geschäfts werden verschleudert
HHStAW 519/3 5692 (2)

Richtig ist, dass Clara Reinstein im Januar 1939 einen Scheck in Höhe von 4.000 RM für die Reste des Warenlagers erhielt, der nach Genehmigung der Devisenstelle ihr auf das gesicherte Konto bei der Deutschen Bank gutgeschrieben wurden.[64] In einem Schreiben von Clara Reinstein an den Regierungspräsidenten Wiesbaden vom 15. Dezember 1938 hatte sie mit Blick auf die Forderung nach der auferlegten „Sühneleistung“ eine vorläufige Zusammenstellung ihrer Vermögensverhältnisse versucht. Darin hatte sie den Einkaufswert des Lagers mit rund 11.000 RM angegeben, den zu erwarteten Gewinn bei Verkauf der gesamten Bestände auf etwa 4.000 RM taxiert.[65] Ganz offensichtlich klafft eine erhebliche Differenz zwischen dem Verkaufswert des Lagers und dem was sie damals dafür von ihrem „Nachfolger“ erhielt.

Genau genommen handelte es sich somit hier um keine Arisierung eines jüdischen Geschäfts, aber faktisch war es nichts anderes. Ein jüdisches Geschäft war zugrunde gerichtet worden und ein Arier hatte die Gunst der Stunde genutzt, um am gleichen lukrativen Ort sein eigenes Geschäft zu eröffnen, hatte zudem zumindest Teile des weitgehend wertlos gewordenen Lagers und auch des Mobiliars käuflich erworben.

 

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Karteikarte aus dem KZ Buchenwald für Adolf Reinstein
https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1724/53385938/001.jpg

Wann Adolf mit der Häftlingsnummer 7575 aus Buchenwald entlassen wurde, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen. Auch er selbst konnte sich später an das genaue Datum nicht mehr erinnern, meinte allerdings, es sei der 18. Dezember 1938 gewesen.[66] Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit aber nicht ganz richtig. Auf seiner Karteikarte aus Buchenwald ist als Entlassungsdatum der 1. Dezember eingetragen und auf einer Liste entlassener Häftlinge, die zwischen dem 3. und dem 9. Dezember in Freiheit kamen, ist mit der Nummer 159 auch sein Name zu finden.[67] Seine Geldverwaltungskarte aus dem KZ, auf der am 17. November ein Eingang von 60 RM eingetragen wurde, wurden am 28. November 15 RM und am folgenden Tag noch einmal 8 RM abgehoben.[68] Wenn es stimmt, dass er am 1. Dezember entlassen wurde, könnte er das Geld für die Fahrkarte nach Hause benötigt haben. Es scheint sich um eine übereilte Entlassung gehandelt zu haben, denn den Restbetrag von 37 RM erhielt er erst am 9. Dezember. Da sein Vater einen Tag nach dem vermutlichen Entlassungstag verstarb, hatte er vielleicht kurzfristig vom Gesundheitszustand des Vaters erfahren und um Entlassung gebeten, die dann auch bewilligt worden war. Allerdings ist es verwunderlich, dass er sich später an das genaue Datum nicht mehr erinnern konnte, wenn es in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters gestanden haben sollte.

Sicher ist allerdings, dass seine Freilassung mit der klaren Auflage verbunden war, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Über die Frist, die ihm gesetzt war, sind die Angaben wiederum nicht eindeutig. In einem der Briefe, die Alfred unmittelbar nach Kriegsende an seinen Schwager schrieb, heißt es: „When I came back from Buchenwalde I had to leave the country within 6 days and I wasn’t worried about anything but the plain life and to get out of the country and so I didn’t make my own provisions for my own sake.”[69] In einer eidesstattlichen Erklärung, die er am 2. Dezember 1957 abgab, sagte er dagegen aus, es sei ihm auferlegt worden, das Land innerhalb von vier Wochen zu verlassen.[70]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Zur Judenvermögensabgabe wurde Clara Reinstein offenbar nicht herangezogen
HHStAW 685 650b (9)

In jedem Fall gab es bis dahin einiges zu regeln. So schrieb Alfred in dem bereits zitierten Brief vom 26. Mai 1945: „I had to sign everything over to the state before I left and I had to pay ‘Judenabgabe’ and Reichsfluchtsteuer and payed all taxes for my mother in order to keep her out of any trouble.”[71] Ob überhaupt, und falls ja, in welcher Höhe die Judenvermögensabgabe wann bezahlt wurde, ist ebenfalls unklar. In der Vermögensaufstellung, die Clara Reinstein im Dezember 1939 für die zu erwartende Sondersteuer machte, gab sie an, nach Abzug aller Schulden, Verbindlichkeiten und Kosten für die Wiederherstellung des Straßenbildes noch etwas mehr als 6.000 RM zu besitzen, woraus sich eine Abgabe von 300 RM pro Rate ergäbe. Am selben Tag, so schrieb sie, werde sie die erste Rate überweisen.[72] Der offizielle Berechnungsbogen des Finanzamts zur Festlegung der Höhe der Judenvermögensabgabe, datiert vom 2. Februar 1939 dagegen enthält nur einen diagonalen Strich, der soviel bedeutet, wie: Kommt wegen eines zu geringen Vermögens für die Besteuerung nicht in Frage.[73] Möglicherweise waren die Kosten für die Instandsetzung des Ladens so hoch gewesen, dass sie unter das Vermögensminimum von 5.000 RM geraten und damit nicht mehr steuerpflichtig war. Da die Bemessungsgrundlage für die Reichsfluchtsteuer zuletzt bei 10.000 RM lag,[74] ist es auch eher unwahrscheinlich, dass Adolf bei seiner Ausreise nach England von dieser Abgabe betroffen war. Zumindest wurde in den Entschädigungsverfahren von ihm eine solche weder für die Reichsfluchtsteuer, noch für die Judenvermögensabgabe beantragt, nicht für sich selbst und auch nicht für seine Mutter.

In seinem Brief machte Alfred Reinstein im Zusammenhang mit den damals getätigten finanziellen Transaktionen noch Ausführungen zu zwei Häusern, die völlig rätselhaft und nicht nachvollziehbar sind. So schrieb er zunächst in seinem Brief vom 13. Mai: “I had another house in the Biebricher Allee and if you should locate the safe in the cellar [in der Lortzingstr. 7 – K.F.] you will find the exact address and more particulars unless my mother sold it because I gave her power of attorney. Maybe she had to sell it or it was confiscated but that should be illegal by now.”[75] In dem knapp zwei Wochen später, am 26. Mai, geschriebenen Brief heißt es dann: „The house in the Biebricherstrasse was sold by force by me and the money was confiscated.”[76] Hier ist nicht nur unklar, welche Straße und welches Haus er meint, noch verwirrender sind die Aussagen zum Verkauf bzw. der Konfiskation des Hauses. Nicht weniger irritierend ist seine Äußerung zu dem in der Lortzingstr. 7:
„This house [Lortzingstr. 7 – K.F.] was bought under my name from a French woman in 1938 but I sure don’t know what happened during all those years. I can’t know whether they changed the books or never entered it in the books”[77]. Es gibt nirgendwo in den Akten einen Hinweis darauf, dass Alfred Reinstein bzw. seine Eltern im Besitz zweier Häuser in Wiesbaden gewesen wären. Außer Frage steht zudem, dass das Haus in der Lortzingstr. 7 im Besitz der damals noch in Paris lebenden Sophie Ginsburg geblieben war und nach ihrer Ermordung durch die Nazis an ihre Erben überging.

 

Zwar besaß Adolf eine Wartenummer für die Einreise in die USA, aber auf die hätte er bis Ende 1939 nicht zurückgreifen können. Im Januar 1939 konnte Adolf dann zunächst über die Schweiz nach England ausreisen. Ein Verwandter hatte ihm eine größere Summe leihweise zur Verfügung gestellt, die seinen dortigen Aufenthalt sicherte, sodass er dem britischen Sozialsystem nicht zur Last fallen würde.[78] Die Möglichkeit, durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu sichern, war ihm versagt. Eine bereits in Deutschland gekaufte Schiffskarte für die Überfahr in die USA verfiel während der Wartezeit, sodass er im Dezember 1939, als er dann das ersehnte Visum erhielt, sich erneut Geld leihen musste, um den Transfer zu bezahlen.[79]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Strafakte gegen Adolf Reinstein u.a.
HHStAW 519/3 35224

Während der Zeit, in der Adolf Reinstein sich in England aufhielt, wurde er in einen Prozess verwickelt, den die deutsche Staatsanwaltschaft gegen den Wiesbadener Fotohändler Lückefett eröffnet hatte.[80] Dieser hatte mit Hilfe diverser Mittelsmänner mehrfach über die Schweiz und Holland wertvolle Fotoapparate, wie etwa Leicas, außer Landes geschafft und damit gegen die deutschen Devisengesetze verstoßen. Aber nicht nur Juden, die damals legitimerweise alle sich bietenden Möglichkeiten nutzen, um wenigstens Teile ihres Vermögens an den staatlichen Behörden vorbei ins Ausland zu schaffen, gehörten zum Kundenkreis des Angeklagten. Dass es ihm primär um den eigenen Nutzen ging und keineswegs um Solidarität mit den Verfolgten, wird alleine daran deutlich, dass er in dem Verfahren behauptete, Adolf Reinstein und der damals ebenfalls ausgewanderte jüdische Arzt Dr. Walter Lomnitz[81] hätten ihn zu dem Geschäft angestiftet, weshalb sie nach Auffassung der Anklage auch härter zu bestrafen seien.[82] Adolf Reinstein hatte Ende 1938 noch selbst eine Leica im Wert von etwa 300 RM und eine weiter Kamera der Marke Ikonda im Wert von rund 100 RM erworben, sie durch Lückefett in die Schweiz bringen lassen, von wo aus sie ihm dann nach England geschickt wurde. Lückefett hatte sich gegenüber Adolf Reinstein laut Ermittlungsunterlagen angeboten, zumindest eine weitere Leica nach Großbritannien zu „verschieben“. In einem Brief von Lückefett an Adolf Reinstein heißt es: „Im Namen Ihrer Mutter soll ich anfragen, ob es Ihnen recht ist, wenn Sie (sic!) noch eine L (Leica) nach B (Basel) besorgen läßt, damit dieselbe bei Ihrer endgültigen Überfahrt nach New York mitreist. Sie können im Falle Ihres Einverständnisses Ihrer Frau Mutter kurz per Karte mitteilen, Ludwig kann mitreisen, ich werde dann veranlassen, daß Ihre (sic!) Sendung von Basel noch eine Leica beigefügt wird.“[83] Die Mutter war somit ganz offensichtlich in diese Geschäfte eingeweiht, hatte sich sogar bereit erklärt, auch für andere Ausgewanderte aktiv zu werden. [84]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
„Begnadigung“ von Adolf Reinstein
HHStAW 519/3 25947 (o.P.)

In Ausland konnte man diese begehrten Apparate dann verkaufen und sich so die dringend benötigten Devisen für das Überleben dort beschaffen. Wenn es sich wie in diesem Fall letztlich um eher geringe Beträge handelte, so zeigt die Aktion immerhin, in welcher schwierigen finanziellen Lage sich die Geflüchteten oft befanden.[85] Zwar wurde Adolf Reinstein nicht verurteilt – ein solches Urteil wäre auch nicht mehr vollstreckbar gewesen -, stattdessen wurde ihm aber am 7. März 1941 auch unter Bezugnahme auf das erledigte Strafverfahren die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.[86]

Kurz vor der Ausreise nach Amerika heiratete Alfred Reinstein am 9. November 1939, also genau ein Jahr nach dem schrecklichen Pogrom, in London die aus Wien stammende Elsa Helene Spennadel. Sie war dort am 7. Februar 1911 geboren worden, hatte aber auf der Passagierliste als letzten festen Wohnsitz Wiesbaden angegeben.[87] Allerdings gibt es keine Dokumente, die ihren Aufenthalt in der Kurstadt belegen würden, was natürlich nicht ausschließ, dass sie – etwa als Hausangestellte oder Sekretärin –[88] dort zuletzt gelebt und sich das Paar auch dort schon kennen gelernt hatte. Zumindest in London wohnten sie dann vor der Abreise gemeinsam in Greencroft Gardens 46.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Abreise von Alfred Reinstein und seiner Frau Elsa aus England

Am 8. Januar 1940 erreichten beide dann auf dem Schiff ‚Newfoundland‘ von Liverpool aus den Hafen von Boston. Wie lange sie danach noch zusammenblieben und wie das Leben von Elsa Helene Reinstein weiter verlaufen ist, konnte nicht ermittelt werden. Allerdings ist sie auf dem Einbürgerungsantrag, den Adolf Reinstein am 3. Mai 1940 in New York stellte, noch als Ehepartnerin eingetragen.[89] Zum Zeitpunkt der Volkszählung 1940 – das genaue Datum ließ sich nicht ermitteln – scheint er aber bereits von seiner Frau getrennt gewesen zu sein, denn er erscheint – zwar noch immer mit dem Status „verheiratet“ – als einzelner Mieter in einer der damals angelegten Listen.[90] Immerhin, so ist dem Eintrag zu entnehmen, hatte er inzwischen Arbeit als Kassierer in einem Restaurant gefunden. Es handelte sich um ‚Steuben’s Restaurant‘, in dem er von Januar 1940 bis März 1943 angestellt war. Seinen Jahresverdienst konnte er in dieser Zeit von knapp 1.000 $ auf 1.500 $ steigern.[91]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Heirat von Adolf Reinstein und Hildegard Ehrlich
HHStAW 518 48594 (126)

Bald nach dem Zensusjahr, am 15. Mai 1941, ging Alfred, der inzwischen aus verständlichen Gründen seinen eigentlichen Vornamen Adolf abgelegt und durch Alfred ersetzt hatte, eine zweite Ehe mit Hildegard Ehrlich ein.[92] Sie war am 9. Februar 1918 im bayrischen Coburg zur Welt gekommen.[93] 1939 waren die Eltern mit der Tochter in England registriert worden,[94] bevor sie dann im September 1940 von Glasgow kommend ebenfalls nach New York übersetzten. Als Kontakt hatten sie damals den Sohn bzw. Bruder Carl Ehrlich, den Adressaten der mehrfach zitierten Briefe von Alfred, angegeben, der schon seit August 1938 in der Metropole am Hudson-River lebte.[95]

Befand sich somit der Sohn von Clara Reinstein 1940 endgültig in Sicherheit, begann für die zurückgebliebene Mutter die letzte Phase ihres Lebens. Natürlich war diese Zeit auch für sie hauptsächlich geprägt von den Einschränkungen, die das Regime den Jüdinnen und Juden im Alltag aufgebürdet hatte, von den Sorgen um die Familienangehörigen und nicht zuletzt auch von der materiellen Not. Zwar besaß sie laut ihrer Vermögenserklärung vom 2. März 1940 noch etwa 4.350 RM, davon 3.200 RM in Form von Wertpapieren, der Rest lag auf einem gesicherten Sparkonto. Ihr Jahreseinkommen bezifferte sie auf etwa 300 RM bis 350 RM, die monatlichen Ausgaben auf etwas mehr als 160 RM.[96]

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Das Einkommen von Sally und Clara Reinstein zwischen 1932 und 1941
HHStAW 518 48947 (25)

Nach 1945 konnte das Finanzamt Wiesbaden präzise Angaben über ihr damaliges zu versteuerndes Einkommen machen. Seit der Schließung des Geschäfts besaß sie nur noch zwei Einkommensquellen, zum einen die Verzinsung ihres Kapitals bzw. der Wertpapieren, zum anderen lebte sie hauptsächlich von der Untervermietung ihrer Wohnung in der Lortzingstr. 7.[97] Der ersten Untermieter, die sie aufgenommen hatte, waren Karl und Frieda Trief, die bereits im März 1939 eingezogen waren.[98] Im Februar 1940 hatte sie Karl Trief mitteilen müssen, dass er seine Miete nur noch auf ihr gesichertes Konto überweisen dürfe.[99] Im Mai 1941 zog noch das Ehepaar Daniel und Paula Gallinger in die Wohnung ein, sodass ihr zuletzt selbst nur noch ein Zimmer in der Parterrewohnung zur Verfügung stand.[100]

Meldung des Zellenleiters Müller vom Juni 1940 über die Belegung der Wohnung von Clara Reinstein
HHStAW 483 10127 (85)

Wenn die Kapitalerträge immer weiter zurückgingen, so beruhte das darauf, dass Clara Reinstein angesichts des geringen Einkommens gezwungen war, von der Substanz zu leben. Schon im Januar 1939 und noch einmal im Februar hatte sie jeweils 1.000 RM zur Lebensführung von ihrem Konto abgehoben. Am 16. Februar 1940 war ihr mit der Anlage einer JS-Mappe die dazu diente der Devisenstelle dazu diente, die Finanzen der Juden zu kontrollieren, dann ein vorläufiger Freibetrag von 300 RM eingeräumt worden.[101] Nachdem sie der Devisenstelle ihre tatsächliche finanzielle Situation mitgeteilt hatte, wurde dieser Freibetrag auf 165 RM reduziert.[102]

Nach Aussage ihres Sohnes hatte sie inzwischen nicht mehr die Absicht, Deutschland noch zu verlassen, was zu dieser Zeit prinzipiell noch möglich gewesen wäre. In einem der Briefe an seinen Schwager schrieb Alfred im Hinblick auf diese Frage: „All I did was take care of my mother that she wouldn’t have to worry and have a decent living. And besides that I expected to have her with me after a short while. England and the year I had to wait there and the cost of that year prevented me from doing much for her and besides that she didn’t want to leave the country and the place where my father died.”[103]

Über ihre letzten Monate im Judenhaus liegen keine Informationen vor. Obwohl sie 1942 bereits 60 Jahre alt war, hatte man sie auf ihrer Gestapokarteikarte noch als arbeitsfähig eingestuft. Das war dann vermutlich auch der Grund, weshalb sie schon bei der großen Deportation am 10. Juni 1942 auf der Liste stand, die Alten und Schwachen waren erst für einen späteren Transport vorgesehen, der dann am 1. September Wiesbaden verließ. Tatsächlich waren es aber nur etwa 180 bis 250 Personen, die von den insgesamt 1250 Insassen des in Frankfurt endgültig zusammengestellten Zuges in Lublin herausgeholt und zum Arbeitseinsatz nach Majdanek geschickt wurden. Die übrigen etwa 1000 Menschen wurden weiter in das Vernichtungslager Sobibor gebracht und vermutlich bald nach ihrer Ankunft in den neu errichteten Gaskammern ermordet.[104]

 

Nach dem Ende des Krieges wusste Alfred Reinstein nichts Genaues über das Schicksal seiner Mutter – aber eine Ahnung wird er gehabt haben. Er selbst war, nachdem er die Tätigkeit als Kassierer in einem Restaurant aufgegeben hatte, im März 1943 bis Oktober 1945 in die US-Army eingetreten,[105] blieb aber in Amerika stationiert. Im Mai hatte er die schon mehrfach zitierten Briefe an seinen Schwager geschrieben, der als Soldat seinen Dienst in Europa leisten musste und nach dem Ende der Kriegshandlungen die Möglichkeit bekam, vor Ort Recherchen über das Schicksal der Verwandten und über deren Besitz zu betreiben. Von ihm hatte Alfred Reinstein offenbar die allerdings vermutlich falsche Information erhalten, seine Mutter sei schon während der Deportation ums Leben gekommen.[106]

Alfred Reinstein hatte Carl Ehrlich auch beauftragt, nach Geld, Schmuck, einer wertvollen Briefmarkensammlung und Wertpapieren zu suchen, die in Safes versteckt gewesen sein sollen. Aber auch hierzu sind seine Informationen eher diffus. Einmal ist von einem Safe im Keller der Lortzingstr. 7 die Rede, dann von einem im Keller des Geschäftshauses in der Langgasse. Dann spricht er von 50.000 RM, die als Bündel von 1.000 RM-Scheinen sich darin befunden hätten, an anderer Stelle dagegen von Devisen. Zudem soll die Mutter bei seiner Abreise noch 50.000 RM auf ihrem Bankkonto gehabt haben, dazu Aktien über weitere 15.000 RM. Er gab ihm zudem den Auftrag, mit dem Geld, das er finden würde, Schmuck und Fotoapparate – explizit Leicas – zu kaufen und diese nach Amerika zu schicken. Beim Kauf der Fotoapparate könne ihm der bereits bekannte Fotohändler Lückefett, der auch ihm früher selbst schon sehr geholfen habe, behilflich sein.

„Carl, I hope everybody who is responsible for things like that [die Ermordung seiner Mutter – K.F.] will get his punishment the same way as the country as a whole received it through the smashing victory. I hope none will escape.”[107] Und an anderer Stelle im zweiten Brief heißt es: “Did you meet any of my old friends? To hell with them. Put them all in concentration camps. That is the only thing they deserve.”[108]

Die Verbitterung und der Hass angesichts des Geschehenen ist nur zu verständlich. Die intensive Suche nach irgendwelchen noch vorhandenen Wertgegenständen mag in Anbetracht der vielen Toden auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, aber auch sie ist nachvollziehbar, wenn man die Situation bedenkt, in der sich Alfred Reinstein und seine Frau damals befanden. Es war ein nur geringer Sold, den er bei der Army erhielt – zwischen 500 und 750 Dollar im Jahr –[109] und Hildegard hatte ihre Arbeit verloren, als die Soldaten aus Europa zurückkehrten und wieder die Arbeitsplätze beanspruchten, die die Frauen in den vergangenen Jahren eingenommen hatten. Eigentlich hoffte Alfred Reinstein damals, eine Stelle bei der UNRRA, der ‚United Nations Relief and Rehabilitation Administration’,[110] zu bekommen, die relativ gut dotiert waren. Nachdem sich diese Hoffnung zerschlug, fand er nach seiner Entlassung aus der Army Arbeit in der Lohnbuchhaltung einer Firma. Aber es dauerte bis 1948, bis er dort ein Einkommen erzielte, das eine eigenständige, ohne auf Unterstützung angewiesene Lebensführung ermöglichte. Dem Ehepaar, das inzwischen in Camden, New Jersey, lebte, waren am 13. April 1948 zunächst der Sohn Ronald, dann am 23. April des folgenden Jahres ein weiter Sohn namens Peter geboren worden.[111]

In den folgenden Jahren führte Alfred Reinstein einen langen und zermürbenden Kampf um eine angemessene Entschädigung dafür, dass ihm der NS-Staat verwehrt hatte, sein berufliches Ziel, Richter zu werden, zu realisieren. Stattdessen hatte er über lange Zeit sein Leben mit wenig qualifizierten und schlecht bezahlten Arbeiten fristen musste. Zwar wurde ihm eine Entschädigung zugebilligt, die aber nur Bezug auf sein Einkommen nach der Entlassung aus dem Referendariat und der Mitarbeit im väterlichen Geschäft nahm. Man gewährte ihm, bei Einordnung gemäß dem einfachen Dienst eines Beamten, 3.500 DM.[112] Eine Bemessung an der potentiellen Richterlaufbahn, blieb ihm zunächst verwehrt. Erst nach dieser Entscheidung beantragte er am 12. August 1975 ein Ruhegehalt, das dem eines Landesgerichtsrats in Deutschland entsprechen sollte.[113] Laut einem Bescheid vom 11. Oktober 1957 wurde ihm dieses mit dem Argument verweigert, dass er wahrscheinlich nie eine solche Stellung erreicht hätte, weil er schon die Erste Staatsprüfung erst beim zweiten Versuch und auch dann nur mit der Note ‚ausreichend’ bestanden hätte.[114] Dass schon damals vor 1933 jüdische Studenten bei der Benotung gegenüber ihren arischen Kommilitonen häufig diskriminiert wurden, blieb unbeachtet. Noch übler war aber das zweite Argument, das acht Monate nach Antragstellung von dem zuständigen Sachbearbeiter vorgebracht wurde:
„Die Absicht, Richter zu werden, hätte im Übrigen auch dadurch demonstriert werden können, dass der Erblasser nach Kriegsende zurückgekehrt wäre. Zumindest hätte er im höheren Verwaltungsdienst tätig und seine Laufbahn, wie hunderte von Juden und jüdischen Mischlingen in der BRD, als Regierungsdirektor oder Ministerialrat beenden können. Daß er dies nicht getan hat, weil er seine hochdotierte Stellung in der amerikanischen Industrie vorzog, ist ein Indiz gegen diese Absicht.“[115]

Es sind nicht nur die latenten antisemitischen Sprach- und Denkmuster – „jüdische Mischlinge“ und Juden seien ohnehin nur auf den eigenen Vorteil bedacht -, sondern auch die geäußerte Zumutung, man hätte doch einfach in das Land der Täter zurückkehren können, die in ihrem Zynismus oder ihrer Naivität noch heute erschrecken lassen.

Elias Benjamin-Lury, Tabine Goldschmidt, Siegmund Benjamin-Lury, Johanna Ahrendt Benjamin-Lury, Clara Reinstein Benjamin-Lury, Adolf Reinstein, Natalie Benjamin-Lury Heumann, Joseph Heumann, Hans Zwi Heumann, Emil Benjamin-Lury, Rosa Löwenthal Benjamin, Siegmund Walter Kurt Benjamin-Lury, Ida Benjamin-Lury Wolff, Erich Wolff, Gustav Benjamin Lury, Hermann Benjamin Lury, Salzwedel, Judenhäuser Wiesbaden, Lortzingstr. 7, Klaus Flick
Sterbeeintrag für Alfred Reinstein
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3245513:60716

Dass die relativ schlechte Examensnote keine Beleg für die wirkliche Leistungsfähigkeit von Alfred Reinstein als Jurist war, bewies er dadurch, dass er in den USA neben seinem Beruf noch ein dreijähriges Studium bewältigte, was ihm dann auch die in dem Schreiben erwähnte hohe Stellung als Vizepräsident in einer amerikanischen Firma, der ‚Winer Manufacturing CO.’, eröffnete.[116]
Am 17. Juli 1978 wurde dann doch noch ein Vergleich geschlossen, laut dem Alfred Reinstein das Ruhegehalt eines Landgerichtsrats zugebilligt wurde. Als Tag der fiktiven Ernennung wurde der 1. Mai 1940 angenommen.[117]
Nur: Er selbst hatte nichts mehr von dieser Entscheidung. Er war am 8. April 1976 nach einem langen und sicher aufreibenden Kampf in Griffith, Indiana, verstorben.[118]

 

 

Veröffentlicht: 14. 04. 2024

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Anmerkungen:

 

1] HHStAW 685 650 d (o.P.).

2] HHStAW 518 855 (32).

[3] Sterberegister Wiesbaden 1888 / 1938.

[4] HHStAW 518 48947 (2). Adolf Siegmund hat später nach seiner erfolgreichen Flucht in Amerika den Namen Alfred angenommen. Im den vorliegenden Ausführungen werden die jeweiligen Namen kontextabhängig verwendet. Zunächst wird er mit seinem ursprünglichen Namen genannt und erst ab seinem Aufenthalt in den USA und im Zusammenhang mit den von dort angestrengten Entschädigungsverfahren wird dann auf seinen selbst gewählten Namen Alfred zurückgegriffen.

[5] Mail des Salzwedeler Stadtarchivars S. Langusch vom 3.4.2024.

[6] https://lha.sachsen-anhalt.de/onlineangebote/juedisches-leben-in-sachsen-anhalt-eine-archivische-spurensuche/landesherrliche-und-staatliche-regelungen/statistik-wirtschaft-und-topographie/verzeichnis-der-in-der-kommune-salzwedel-wohnenden-israeliten. (Zugriff: 14.4.2024).

[7] https://www.altmarkgeschichte.de/platten_db/db_show_script.php?id=1236&search_name. (Zugriff: 14.4.2024).

[8] Heiratsregister Salzwedel 6 / 1875.

[9] Heiratsregister Salzwedel 46 / 1894.

[10] Geburtsregister Salzwedel 155 / 1881.

[11] Geburtsregister Salzwedel 225 / 1908.

[12] https://www.mappingthelives.org/bio/cd97ed7b-74ae-4fb5-8e9e-dbc6457ef8b6. (Zugriff: 14.4.2024).

[13] https://www.mappingthelives.org/bio/84205980-29db-4f0c-8573-bf07d70d6a60, https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01014601/0003/121240235/001.jpg und https://www.joodsmonument.nl/nl/page/208045/emil-benjamin. (Zugriff: 14.4.2024).

[14] https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01020402/aa/am/ms/001.jpg. (Zugriff: 14.4.2024).

[15] Geburtsregister Salzwedel 26 / 1886.

[16] https://www.mappingthelives.org/bio/d84cbf0d-3ebf-453f-81c7-37d319227052. (Zugriff: 14.4.2024).

[17] Sterberegister Frankfurt IV 1628 / 1953. Das Todesdatum von Ida ist auf dem Heiratseintrag in Salzwedel eingetragen.

[18] HHStAW 518 855 (8).

[19] Ebd. und https://www.mappingthelives.org/bio/d1e9f03e-7894-4e76-a19c-c92b880f43c6. (Zugriff: 14.4.2024).

[20] Die Information beruht auf einer Email von Frau Barbara Pfeffer vom 9.1.2009, die damals Honorarkonsulin in Israel war und im dortigen Eilat lebte. Das Original der Mail ist leider im Stadtarchiv Wiesbaden nicht mehr auffindbar. Neben Hans ist ein weiterer Sohn von Clara namens Emil genannt, allerdings mit Fragezeichen versehen, wobei unklar ist, auf was sich dieses Fragezeichen bezieht – auf den Namen oder die Tatsache als solche. Während Hans / Zwi in den Entschädigungsakten noch erwähnt wird, gibt es keine weiteren Hinweise auf den in der Notiz genannten Emil.

[21] https://zwangsraeume.berlin/de/houses. (Zugriff: 14.4.2024).

[22] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1072016. (Zugriff: 14.4.2024). Dazu Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 398 f.

[23] HHStAW 518 855 (30). Ob es sich bei der erwähnten „Illustrierten“ tatsächlich um eine solche handelte oder um die Umschreibung für eine andere, wohl illegale Zeitung, muss offen bleiben. Auch der „Onkel“ grüßte mit wenigen Sätzen und versprach, demnächst einen mit der Schreibmaschine geschriebenen längeren Brief folgen zu lassen.

[24] Ebd. (8).

[25] Sterberegister Wiesbaden 1888 / 1938. Strelno, ist heute die polnische Stadt Strzelno.

[26] https://www.geni.com/family-tree/index/6000000000292023695. (Zugriff: 14.4.2024).

[27] Laut der in Anm. 26 angegebenen GENI-Seite soll Sally Reinstein sieben Geschwister gehabt haben, aber bei keinem der dort genannten sind Belege dafür aufgeführt, dass Abraham und Cäcilie Reinstein tatsächlich ihre Eltern waren. Insofern sind die folgenden Ausführungen, die absichtlich nur als Anmerkung formuliert wurden, unter Vorbehalt zur Kenntnis zu nehmen. Die genannten Personen wurden wegen der großen Unsicherheit auch nicht in den beigefügten Stammbaum aufgenommen.

Bertha, die älteste und ledig gebliebene Tochter von Abraham und Cäcilie Reinstein, soll 1867 geboren worden und nach dem Ersten Weltkrieg, nachdem Strelno polnisch geworden war, nach Leipzig verzogen sein. Sollte das Geburtsjahr stimmen, dann ist über diese Bertha weiter nichts bekannt. Allerdings gab es auch eine Bertha Reinstein, geboren am 22.11.1869 in Strelno, die zuletzt in Liegnitz in Schlesien lebte und von dort am 26.7.1942 von Breslau nach Theresienstadt deportiert wurde. Mit einem weiteren Transport wurde diese Bertha Reinstein am 23.9.1942 von dort weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. Siehe zu ihr https://www.mappingthelives.org/bio/2eb8e948-f68b-4bd7-a4bb-b6bef55ed928 und https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4748466&ind=1 (Zugriff: 14.4.2024). Ob es sich bei den beiden Genannten um die identische Person handelt, muss offen bleiben.

Auf Bertha folgte laut GENI um 1870 der Sohn Simon. Der schon mit jungen Jahren in die USA ausgewandert sein soll. Möglicherweise handelt es sich hier um den Simon Robin Reinstein, der in der amerikanischen Volkszählung von 1910 als Handelsmann mit einem Alter von 38 Jahren aufgeführt ist. Allerdings ist bei ihm nur das Geburtsland Deutschland, nicht aber Strelno als Geburtsort angegeben. Siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6422147:7884. (Zugriff: 14.4.2024). Der hier genannte Simon Reinstein war seit dem 4.6.1902 mit der um 1871 geborenen Nora Aschaffenburg verheiratet.

1874 soll laut GENI ein weiterer Sohn namens Willy geboren worden sein. Auch er soll nach dem Ersten Weltkrieg, von dem er als Folge des Gaskriegs einen „shell shock“, eine Kriegsneurose, davongetragen hatte, in den Westen, sogar nach Wiesbaden gegangen sein, wo er angeblich in einer Zigarettenfabrik eine führende Stellung inne gehabt haben soll. Spuren dieses Willy Reinstein ließen sich in Wiesbaden, wo es tatsächlich verschiedene Zigarettenfabriken gab, aber nicht finden, auch nicht in einem der in Frage kommenden Adressbücher.
Ein Wolf Willy Reinstein, geboren am 13.4.1875 in Strelno, von Beruf Werkmeister, lebte mehrere Jahre in bzw. bei Gießen, wohin er am 3.11.1921 von Hidden im Rheinland gekommen war. Dass dieser Willy Reinstein mit den Wiesbadener Reinsteins verwandt war, kann als gesichert angenommen werden, da Clara diesem laut ihrer Vermögenserklärung aus dem Jahr 1940 monatlich 15 RM überwies, siehe HHStAW 519/3 5692 (10). Die Identität der Genannten ist durch die Adressangabe Asterweg 53 belegt. Dort lebte der Gießener Wolf Willy Reinstein seit Oktober 1939 und das war auch die Adresse, an die Clara Reinstein das Geld schickte. Das Haus Asterweg 53 in Gießen gehörte Emma Lazarus, die dort einen Handel mit Seilen, Pferdedecken und Putztüchern betrieb. Das Haus wurde später zu einem Judenhaus, in dem mindestens acht Jüdinnen und Juden untergebracht waren. Einigen gelang noch die Ausreise, nicht so Willy Reinstein. Kurz vor der Deportation nach Theresienstadt, die am 27.9.1942 stattfand, heiratete er am 11.9.1942 noch die am 26.9.1885 in Neuleiningen geborene Hausbesitzerin. Bei GENI ist er fälschlicherweise als ledig bezeichnet. Während Willy Reinstein am 9.5.1943 in Theresienstadt verstarb, wurde seine Frau von dort aus am 16.5.1944 noch nach Auschwitz gebracht und ermordet. Siehe Müller, Juden in Gießen, S. 489 und https://www.giessen.de/Erleben/%C3%9Cber-Gie%C3%9Fen/Stolpersteine/Asterweg-53-Moses-Ida-Margot-Helmut-und-Hilde-Bauer-Abraham-Bermann-Wolf-Willy-und-Emma-Reinstein.php?object=tx,2874.1320.1&ModID=7&FID=2874.62397.1&NavID=2874.396&La=1, dazu https://www.mappingthelives.org/bio/a0e4b2d4-a941-4fcf-ad3e-435b75ba9904 und https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/28337-wolf-reinstein/. (Zugriff: 14.4.2024). Obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass es sich bei dem genannten Willy Reinstein um einen Bruder von Sally handelt, gibt es keinen sicheren Beleg.

Über die beiden folgenden bei GENI genannten Töchter Funny, geboren 1875, und Martha, geboren 1876, konnte nichts in Erfahrung gebracht werden. Allerdings könnte es sein, dass wegen eines Lesefehlers aus einer Flora Reinstein eine Martha Reinstein wurde. Flora Reinstein taucht in dem Stammbaum bei GENI nicht auf, sie muss aber in einem nahen verwandtschaftlichen Verhältnis zu Sally Reinstein gestanden haben, denn sie war es, die nach seinem Tod die Nachricht dem Wiesbadener Standesamt überbrachte. Sie war, so ist dem Eintrag zu entnehmen, eigentlich in Berlin wohnhaft und damals in Wiesbaden nur zu Besuch. Siehe Sterberegister Wiesbaden 1888 / 1938. In Berlin waren damals sogar zwei verschiedene Flora Reinstein gemeldet, beide gebürtig aus Strelno, aber mit unterschiedlichen Geburtsdaten. Während die am 13.6.1870 geborene verheiratet war und in Theresienstadt ermordet wurde, war die am 22.6.1876 geborene ledig geblieben. Zumindest das Geburtsjahr stimmt mit dem bei GENI für Martha angegebenen überein. In der Todesfallanzeige für die erstgenannte Flora sind auch deren Eltern genannt, die nicht identisch mit denen von Sally sind. Die zweite Flora beging am 1.4.1942 in Berlin unmittelbar vor der für sie vorgesehenen Deportation Suizid. In dem nachlässig ausgefüllten Sterbeeintrag sind leider weder die Eltern, noch das Geburtsdatum noch der Geburtsort aufgeführt, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei um diejenige handelt, die zuvor in Wiesbaden war. Siehe Sterberegister Berlin 2302 / 1942, dazu https://www.mappingthelives.org/bio/cbc91e3d-3006-4b1b-87b3-04ed59250b6b und https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11612231&ind=1. (Zugriff: 14.4.2024).

Die laut GENI zwei jüngeren Brüder von Sally, der 1877 geborene Berthold und der am 7.9.1878 geborene Jacques, sollen wie ihr Bruder Simon lange vor der NS-Zeit nach Amerika ausgewandert sein. Berthold habe dort zuletzt in Sulphur, Louisiana, gelebt, wo er 1957 verstorben sein soll. Weitere Belege für diese Angaben konnten nicht gefunden werden.

Auch der am 7.9.1878 in Strelno geborene Jacques Reinstein soll nach seiner Militärzeit, in der er unter dem ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik Prinz Max von Baden gedient haben soll, sich als Kaufmann in Wiesbaden niedergelassen oder zumindest aufgehalten haben. Jedoch ist in keinem Adressbuch der in Frage kommenden Jahre sein Name zu finden. Er soll hier als Händler für Schwerter und Juwelen tätig gewesen und anschließend durch Europa und Asien gereist sein. Im November 1905 ist ein Jacques Reinstein, geboren am 7.9.1878 in Strelno, dann nachweislich von Rotterdam nach New York ausgereist. 1912 beantragte er die amerikanische Staatsbürgerschaft, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/250375:2500. (Zugriff: 14.4.2024). Verheiratet war er mit Relly / Aurelie Schlachter. Das Paar hatte einen Sohn, der den gleichen Namen wie der Vater erhielt. Aus seinen zwei Ehen gingen mehrere Nachkommen hervor. Sein Vater verstarb am 18.12.1956 in Washington, seine Mutter am 2.10.1968 in Florida. Siehe zu der Familie von Jacques Reinstein auch https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/187406800/person/342452549684/facts. (Zugriff: 14.4.2024).

[28] In dem Haus wohnte im 1. Stockwerk der bekannte jüdische Anwalt Dr. Albert Stahl, der später in den beiden Judenhäusern Bahnhofstr. 46 und Adelheidstr. 94 wohnte und in Theresienstadt ermordet wurde. Möglicherweise hatte er Adolf zum Studium der Rechtswissenschaften ermuntert.

[29] Dies geht aus einem Schreiben seiner Frau hervor, in dem sie dem Finanzamt Wiesbaden am 12.2.1917 mitteilte, dass sich ihr Mann im Heeresdienst befände und deshalb z. Zt. keine Steuererklärung abgeben könne, siehe HHStAW 685 650a (4).

[30] Alice Keiles war die Ehefrau des Wiesbadener Zigarettenfabrikanten Hans Keiles, ihr Bruder arbeitete ebenfalls als Prokurist in der Firma. Ihnen gehörte auch das Nachbarhaus Langgasse 5, wo sie auch zusammen wohnten, nachdem die Ehe von Alice Keiles im Februar 1939 geschieden worden war. Das Unternehmen der Keiles war schon 1933 arisiert worden, die Häuser in der Langgasse mussten 1940 verkauft werden. Alice und ihrem Bruder gelang noch die Flucht aus Deutschland. Sie lebten später wieder zusammen in Chicago. Zur Familie und zum Unternehmen Keiles siehe Müller-Dannhausen, Keiles, bes. S. 58 f., wo auch ein Foto des Geschwisterpaares abgebildet ist. Das Mietverhältnis von Sally Reinstein bei Keiles könnte vielleicht Hintergrund für eine mögliche Anstellung seines Bruders Willy Reinstein in deren Zigarettenfabrik gewesen sein.
Heute steht an dieser Stelle der leer stehende Monsterbau der ehemaligen Kaufhalle.

[31] HHStAW 685 650a (1).

[32] Genauere Zahlen aus den Jahren der Weimarer Republik sind leider nicht überliefert, die Vermögenserklärungen aus Dezember 1923 mit 5.900 RM, dem Jahr 1927 mit 8.600 RM und dem aus 1928 mit 10.000 RM spiegeln zumindest die aufsteigende Tendenz wider. Siehe Ebd. (32, 40, 43).

[33] Ebd. (48).

[34] HHStAW 518 855 (63).

[35] HHStAW 518 48924 (89).

[36] HHStAW 518 855 (34, 6), dazu 518 48924 (89). Im Entschädigungsverfahren wurde die Arbeit von Clara Reinstein nicht als entschädigungswürdig anerkannt, da es sich um eine Tätigkeit gehandelt habe, zu der sie durch ihre Ehe verpflichtet gewesen sei! HHStAW 518 855 (62-64).

[37] HHStAW 685 650c (20).

[38] HHStAW 518 48947 (20).

[39] Ebd. (61).

[40] Ebd. (66).

[41] Jüdischen Adressbuch Wiesbaden von 1935, S. 218. Auch die übrigen Angaben zur Mitgliedschaft der Familienmitglieder in den verschiedenen Organisationen sind dem Adressbuch entnommen.

[42] HHStAW 518 48924 (56).

[43] Ebd. (5, 6).

[44] Ebd. (7).

[45] Ebd. (10).

[46] Ebd. (12).

[47] Ebd. ( 94, 99). Eine Zeugin im Entschädigungsverfahren gab an, dass auch Frau Reinstein „stille Teilhaberin“ gewesen sei, „da sie 60.000 RM mit in die Ehe gebracht und 1914 90.000 RM geerbt (habe)“. HHStAW 518 48947 (20). Ob diese Angaben zutreffend waren, konnte nicht überprüft werden.

[48] Ebd. (25). In einer anderen, ebenfalls vom Finanzamt Wiesbaden 1937 im Zusammenhang mit einem Antrag auf Verlängerung des Reisepasses erstellten Einkommensaufstellung, sind ähnliche, allerdings insgesamt etwas niedrigere Angaben gemacht. Das höchste Einkommen wurde demnach mit knapp 4.000 RM aber ebenfalls im Jahr 1935 erreicht, siehe HHStAW 685 650a (57). Bemerkenswert ist die darin enthaltene steuerliche Beurteilung des Antragstellers. Über ihn, heißt es da, sei im Hinblick auf seine steuerliche Zuverlässigkeit nichts Negatives bekannt und es lägen auch keine Verdachtsgründe vor, die Anlass für eine Steuerprüfung geben würden – eine Beurteilung, die in diesen Zeiten nicht vielen jüdischen Geschäftsleuten zuteil wurde.

[49] HHStAW 518 48947 (4, 48).

[50] Siehe HHStAW 685 650c (passim).

[51] HHStAW 519-2 2111 (o.P.).

[52] HHStAW 685 650a (56).

[53] HHStAW 685 650d (o.P.). Ummeldung vom 5.7.1937.

[54] Kropat, Kristallnacht in Hessen, S. 130. (Hervorhebung K.F.)

[55] HHStAW 518 48924 (94) und HHStAW 518 48947 (34). In einem Schreiben des Rechtsanwalts Robert Kempner – es handelt sich um den gleichen Anwalt, der auch bei den Nürnberger Prozessen als stellvertretender Chefankläger auftrat – war der Wert der Einrichtung sogar auf 20.000 RM taxiert worden, siehe ebd. (3, 4).

[56] Ebd. (48). Im Entschädigungsverfahren war dann nur noch von dem geringeren Betrag die Rede, der allerdings nur teilweise entschädigt wurde. Ebd. (68, 71 ff.).

[57] HHStAW 685 650 d (o.P.).

[58] Sterberegister Wiesbaden 1888 / 1938. Wie bereits erwähnt – siehe Anm. 25 – überbrachte Flora Reinstein dem Standesamt am gleichen Tag die Todesnachricht. In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis die Genannte zu dem Verstorbenen stand, konnte bisher nicht sicher geklärt werden.

[59] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wiesbaden-Mitte. (Zugriff: 14.4.2024). In das Namensband der Gedenkstätte am Michelsberg wurde er allerdings nicht aufgenommen.

[60] HHStAW 518 48924 (94) und HHStAW 518 48947 (34). Alfred Reinstein gab in seinem Schreiben den Betrag für die Rechnungen in Dollar an, vermutlich handelt es sich dabei um einen Tippfehler.

[61] HHStAW 518 855 (32.

[62] RGBl 1938 I S. 1709.

[63] HHStAW 518 48947 (38).

[64] HHStAW 519/3 5692 (2), auch HHStAW 685 650 (o.P.). Alfred Reinstein schrieb am 26.5.1945 in einem Brief an den damals in Deutschland stationierten Schwager: „By the way Schweitzer didn’t buy our business. He just bought the furniture for 250 RM and Fisher bought the merchandise for 4500 RM which had an inventory Value oft 15 times as much. Besides that was all that merchandise which was stolen and destroyed.” HHStAW 519-VA-1231-321 (o.P.). Wer der genannte Herr Fisher / Fischer war, ist nicht bekannt.

[65] HHStAW 685 650b (5).

[66] HHStAW 518 48924 (68).

[67] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1724/53385938/001.jpg und https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010501/0014/119867385/001.jpg. (Zugriff: 14.4.2024).

[68] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1724/123067172/001.jpg. (Zugriff: 14.4.2024).

[69] HHStAW 519-VA-1231-321 (o.P.).

[70] HHStAW 518 48924 (69).

[71] HHStAW 519-VA-1231-321 (o.P.).

[72] HHStAW 685 650b ((5).

[73] Ebd. (9).

[74] Meinl / Zwilling, Legalisierter Raub, S. 41.

[75] HHStAW 519-VA-1231-321 (o.P.).

[76] Ebd.

[77] Ebd.

[78] HHStAW 685 650b (104, 110).

[79] Ebd. (68), dazu die genauen Kosten, die auch entschädigt wurden, unter HHStAW 518 48924 (104).

[80] Zum gesamten Vorgang siehe die umfangreiche Strafakte HHStAW 519/3 35224.

[81] Dr. med. Friedrich Walther Lomnitz, geboren am 12.1.1889 in Diez a. d. Lahn, wohnte in der Taunusstr. 3 und betrieb seine Praxis in der Adolfstr. 10. Er konnte mit seiner Frau Natalie Fanny, geborene Wittenberg, ebenfalls im November 1938 aus Deutschland ausreisen und später in die USA emigrieren.

[82] Ebd. (19, 30). Andererseits wurde es als „strafverschärfend“ angesehen, „daß der Angeklagte sich (…) nicht gescheut hat, zugunsten von Juden gesetzwidrige Handlungen zu begehen; dies zeugt von einem starken Charaktermangel des Angeklagten.“ Ebd. (57).

[83] Ebd. (38).

[84] Im Zusammenhang mit dem Herausschmuggeln eines Mikroskops für eine andere Person konnte die Staatsanwaltschaft ein Schreiben von Lückefett vorlegen, in dem er dem Interessenten, der bereits in den USA lebte, anbot, dass er das Gerät über die Schweiz nach England schaffen könne, wo es von Dr. Adolf Reinstein übernommen werde, dieser würde es dann bei seiner eigenen Ausreise mit in die USA nehmen. Dann heißt es: „Die Begleichung kann in Deutschland in Reichsmark erfolgen, sei es durch die Mutter des Herrn Dr. Reinstein oder durch Herrn Steinberg in Wiesbaden und zwar nach Empfangsbestätigung von Ihrer Seite aus.“ HHStAW 519/3 35224 (38). Erstaunlicherweise war gegen Clara Reinstein kein Verfahren wegen Devisenvergehens eingeleitet worden.

[85] Der Hauptangeklagte Lückefett wurde zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 18.500 RM verurteilt. Am 12. April 1940 wurde das Verfahren gegen die übrigen Angeklagten, darunter auch Adolf Reinstein eingestellt. Sie fielen unter den „Gnadenerlass des Führers und Reichskanzlers für die Zivilbevölkerung vom 9.9.1939 Reichsgesetzblatt“. Ebd. (59).

[86] HHStAW 519/3 25947 (o.P.).

[87] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3282112:8745. (Zugriff: 14.4.2024).

[88] Auf der ‚Female Enemy Alien‘ – Registrierungskarte, laut der sie am 24.11.1939 von einer Internierung bewahrt blieb, ist ihr Beruf als Sekretärin angegeben. Offensichtlich war sie Jüdin, denn auf dieser Karte ist hinter ihrem eigentlichen Vornamen Else der von Deutschland übernommene Zwangsname Sara eingetragen. Auch für Adolf war eine solche Karteikarte angelegt worden, laut der auch er am gleichen Tag von einer Internierung verschont blieb, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/18123:61665. (Zugriff: 14.4.2024).

[89] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6348346:2280. (Zugriff: 14.4.2024).

[90] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/8418138:2442. (Zugriff: 14.4.2024).

[91] HHStAW 518 48924 (68).

[92] Ebd. (126) Jüdische Heiratsurkunde.

[93] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/343644:61788. (Zugriff: 14.4.2024). Sie war die Tochter des Kaufmanns Hermann Ehrlich und seiner Frau Anna, geborene Sichel, die aus dem südthüringischen Römhild stammten. Siehe dazu https://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank/detailsinclude.php?global=;search;21739;;;1;Ehrlich;Hermann;;;;;;;;;;;;;alle;;;;;~ORDER~BY~Name,Vorname~;;;;;;1;111111111111111111;000_speziell_gesucht;ENDE;1~21739~. (Zugriff: 14.4.2024).

[94] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/10833239:61596. (Zugriff: 14.4.2024).

[95] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1006983407:7488 und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1006983407:7488. (Zugriff: 14.4.2024). Carl Ehrlich war am 20.6.1915 ebenfalls in Coburg geboren worden.

[96] HHStAW 519/3 5692 (10).

[97] HHStAW 518 855 (46, 57). Für 1939 nennt das Finanzamt 163 RM aus Kapital und 180 RM aus Vermietung, 1940 dann 148 RM aus Kapital und 210 RM aus Vermietung und 1941 betrug der Zinsertrag nur noch 99 RM, die Mieteinnahmen stiegen dafür auf 540 RM an.

[98] Auf der Gestapokarteikarte ist der Einzug „bei Rheinstein“ (sic!) mit dem 30.3.1939 datiert.

[99] HHStAW 519/3 5692 (7).

[100] Angabe der NSDAP-Liste über den freigewordenen Wohnraum nach der Deportation vom 10.6.1942.

[101] Ebd. (5).

[102] Ebd. (11).

[103] HHStAW 519-VA-1231-321 (o.P.). Brief vom 13.5.1945.

[104] Zu dem Transport siehe Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 214 und umfassend Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 117-122.

[105] HHStAW 518 48924 (62).

[106] Alfred Reinstein schrieb in einem Brief im Rahmen des Entschädigungsverfahrens, seine „Mutter wurde im Jahr 1942 im Frankfurter Hauptbahnhof auf dem Abtransport entweder nach Auschwitz oder Theresienstadt von den Nazis erschlagen, weil sie nicht schnell genug laufen konnte.“ Siehe HHStAW 518 48947 (4). Auch auf dem Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für Clara Reinstein heißt es, dass sie laut Zeugenaussagen auf dem Transport ums Leben gekommen sein soll. Weder stimmen aber die von Alfred Reinstein angegebenen Ziele des Transports, noch gibt es irgendeinen Hinweis darauf, dass sie bereits unterwegs und auf diese Weise zu Tode gekommen war. Gänzlich ausschließen lässt sich das allerdings auch nicht. Monica Kingreen hat sich intensiv mit den 1942 von Frankfurt ausgegangenen Transporten befasst und viele Zeitzeugen befragt. Ein solches Ereignis wäre von ihr ganz sicher aufgegriffen und in einer ihrer Publikationen erwähnt worden. So schrieb sie im Zusammenhang mit der ersten Mai-Deportation auch, dass dabei der 22jährige Erich Mannheimer von einem SA-Mann erschlagen worden sei. Kingreen, Großmarkthalle, S. 169. Siehe zu ihren anderen Veröffentlichungen, die sich alle mit den damaligen Deportationen befassen, die Literaturliste.
Eine andere Vermutung, die er über das Schicksal seiner Mutter auf Basis einer angeblichen Information vom Roten Kreuz seinem Schwager in Wiesbaden 1945 mitteilte – „she was left over in a hospital when the big deportation to Theresienstadt happened“ – ist ebenfalls nicht richtig, siehe 519-VA-1231-321 (o.P.). Dass diese, wie auch die erste Information von seinem Schwager stammte, ergibt sich aus der Rückfrage, die dieser in dem zweiten Brief formulierte: „Whom did you see to get that information about the hospital and about the slaying in Frankfurt and who of the Jews is still there [in Wiesbaden –K.F.].“ Ebd. Brief vom 13.5.1945. Leider ist der Antwortbrief von Carl Ehrlich nicht erhalten geblieben.

[107] Ebd.

[108] Ebd.

[109] HHStAW 518 48924 (68)

[110] https://de.wikipedia.org/wiki/Nothilfe-_und_Wiederaufbauverwaltung_der_Vereinten_Nationen. (Zugriff: 14.4.2024).

[111] HHStAW 518 48924 (1). Laut Angabe ihrer Mutter vom Mai 1976 waren beide wie ihr Vater Juristen geworden und als Staatsanwälte in Phönix, Arizona, tätig, siehe ebd. (137).

[112] HHStAW 518 48924 (100). Im Januar 1958 erhielt er noch einmal einen pauschalisierten Betrag von 5.000 RM dafür, dass er sein Referat nicht beenden durfte. Ebd. (70 f.).

[113] Ebd. (119).

[114] Ebd. (56-59), auch (99).

[115] Ebd. (128). Hervorhebung im Original.

[116] Ebd. (129, 130).

[117] Ebd. (152 f.).

[118] Ebd. (127).