Fanny Schwarz, geborene Fowler


Judenhäuser Wiesbaden, Felix Goldschmidt, Berthold Goldschmidt, Helene Wreschner, Frieda Strauß Goldschidt, Paul Leo Goldschmidt, Charlotte Goldschmidt
Das ehemalige Judenhaus in der Hermannstr. 17
Eigene Aufnahme
Wiesbaden, Juden, Felix Goldschmidt, Berthold Goldschmidt, Frieda Goldschmidt, Philippsbergstr. 25
Lage des Judenhauses Hermannstr. 17
Judenhaus, Judenhäuser Wiesbaden, Hermannstr. 17
Belegung des Judenhauses Hermannstr. 17

 

 

 

 

 

 


Obwohl die bereits 1940 in das Judenhaus eingewiesene Fanny Schwarz länger als zwei Jahre dort leben musste, ist über sie nicht viel mehr bekannt, wie über ihren Mitbewohner Leo Mayer. Anders als er kam sie ursprünglich aus Osteuropa und besaß die russische Staatsangehörigkeit. Sie war laut ihrer Gestapokarteikarte und den Eintragungen in ihrer schmalen Devisenakte – der einzigen Akte, die über sie überhaupt noch existiert – am 4. Januar 1880 in Nikolajew / Mykolajiw geboren worden. Ein berüchtigter Ort, ein Tatort, der wie so viele andere unbekannt blieb oder in Vergessen geriet.

Das alte Nikolajew

Die am Ende des 18. Jahrhunderts etwa 100 Kilometer östlich von Odessa in der heutigen Ukraine gegründetes Stadt war schon bald ein Anziehungspunkt für geschäftstüchtige jüdische Handel- und Gewerbetreibende, sodass Juden am Ende des 19. Jahrhunderts etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Neid und Missgunst führten bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu schweren Pogromen, die schon damals viele dazu bewegten, diese Stadt mit ihrer blühenden jüdischen Kultur zu verlassen.

Mahnmal für die ermordeten Juden von Nikolajew

Die viel gravierende Bedrohung für die gebliebenen Juden rief der Überfall der deutschen Truppen auf die Sowjetunion im Juni 1941 hervor. Als am 17. August die Deutsche Wehrmacht die Stadt besetzte, ergriffen viele überstürzt die Flucht. Die verbliebenen etwa Sechstausend pferchte man in einem schnell errichteten Ghetto, das schon nach zwei Wochen liquidiert wurde, zusammen. Zunächst wurden am 18. September alle Männer in einer Schlucht nahe dem Jüdischen Friedhof vom Sonderkommando 11a erschossen, an den folgenden beiden Tagen erlitten die Frauen und Kinder das gleiche schreckliche Schicksal. Die gesprengten Hänge der Schlucht bedeckten die unzähligen Leichen der Kinder, Frauen und Männer nur notdürftig.

Fanny Kowlwer, Rosa Kowler, Rosa Ostrach, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 17
Stammbaum von Fanny Schwarz

Fanny Schwarz hatte vermutlich bereits im Gefolge der Pogrome nach der Jahrhundertwende ihre Heimat verlassen, nichtahnend, dass sie ihren späteren Mördern damit direkt in die Arme lief. Wann sie nach Deutschland kam, ist nicht bekannt. Allerdings lassen sich Vermutungen anstellen, die nicht abwegig, aber auch nicht wirklich durch Belege verifiziert werden können. Laut dem Biographischem Handbuch der Würzburger Juden lebte seit 1914 in Würzburg eine Rosa Gita Ostrach / Oistrach, die eine geborene Kowler war. Sie war am 21. Oktober 1881 ebenfalls in Nikolajew geboren worden. Ihre Eltern waren Mendel und Beile / Bertha Kowler. Auch wenn keine Geburtseinträge vorliegen, so spricht sehr viel dafür, dass sie die jüngere Schwester von Fanny Schwarz war, die mit Mädchenname ebenfalls Kowler hieß. Auch Strätz erwähnt in seinem Artikel zu Isay Ostrach, dem Ehemann von Rosa Kowler, eine Fenja Schwarz, die früher in Wiesbaden gelebt haben soll. Sie wird von ihm allerdings fälschlicherweise als seine Schwester und nicht als seine Schwägerin bezeichnet. [1]

Fannys Schwester Rosa Kowler hatte 1900 den am 9. April 1873 in Balta / Ukraine geborenen Kaufmann Isay Ostrach geheiratet. Am 16. Oktober 1901 war ihnen der Sohn Leo, am 2. Mai 1906 die Tochter Paula geboren worden. Wegen seines Engagements in der zionistischen Bewegung verließen beide nach den Pogromen 1909 ihre Heimat und siedelten sich in Deutschland an, zunächst in Plauen im Vogtland, dann nach zwei Jahren in Frankfurt am Main und wiederum nach drei weiteren Jahren in Würzburg, wo das Paar aber während des Ersten Weltkriegs wegen seiner russischen Herkunft weiterhin ständiger Verfolgung und Repressalien ausgesetzt war.[2] Es ist naheliegend, dass auch Fanny damals die ukrainische Heimat verlassen hatte und nach Deutschland gekommen war. Wo und wann sie ihren Mann kennenlernte, ist sowenig bekannt, wie dessen Name und Herkunft. Sie hatte sich später von ihm scheiden lassen, aber auch darüber liegen keine Informationen vor. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Kinder aus dieser Ehe hervorgegangen wären. In keinem der Wiesbadener Adressbücher ist ihr Name aufgeführt, sodass es auch keinen Anhaltspunkt gibt, seit wann sie in der Stadt lebte.[3] Allein im Jüdischen Adressbuch von 1935 ist ihr Name mit dem Vermerk „geschieden“ und „russische Staatsangehörige“ eingetragen. Die als Kontoristin Bezeichnete wohnte zu dieser Zeit als einzige Jüdin in der Aarstr. 4, ob sie den Beruf damals noch ausübte, ist ebenfalls nicht bekannt. Ihre folgende Anschrift war die Seerobenstr. 31, wo sie im Mai 1939 zum Zeitpunkt der Volkszählung gemeldet war. Diese Adresse ist auch auf dem Umschlag der Devisenakte notiert, die am 14. August 1940 unter dem Aktenzeichen JS-9726 angelegt worden war.[4]

Fanny Schwarz, Rosa Ostrach, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 17
Angabe in der Vermögens-erklärung von Fanny Schwarz
HHStAW 519/3 8001 (3)

Am 17. September sandte sie den Fragebogen zu ihren Vermögens- und Einkommensverhältnissen an die Devisenstelle Frankfurt zurück. Einträge hatte sie – abgesehen von der handschriftlichen Bemerkung, sie „besitze kein Vermögen und werden von der Israelischen Wohlfahrtsfürsorge laufend unterstützt“, nicht vorgenommen.[5] Die Devisenstelle verzichtete daraufhin, von ihr die Einrichtung eines Sicherungskontos zu verlangen, solange ihr Einkommen unterhalb des auch weiterhin mit 300 RM vergleichsweise recht großzügig bemessenen Freibetrags bleibe. Sie durfte die finanzielle Hilfe der Jüdischen Gemeinde auch weiterhin in bar entgegennehmen.[6] Die Akte enthält nur noch den Vermerkt vom 3. Juli 1942, dass in der JS-Mappe und auf der Karteikarte „evakuiert“ eingetragen wurde, die Sicherheitsanordnung damit „erledigt“ und die Akte wegzulegen sei.[7] Ein Leben, das etwa drei Wochen zuvor im Gas von Sobibor gewaltsam beendet worden war, hatte mit diesem Eintrag auch seinen verwaltungsmäßigen Abschluss gefunden.

Zuvor hatte Fanny Schwarz am 15. Februar 1940 ihr bisheriges Mietverhältnis aufgeben müssen und war im Judenhaus Hermannstr. 17 in der Wohnung der Familie Hirschberg untergekommen.[8] Ob sie dort ein eigenes Zimmer hatte oder sich mit Betty Hirschberger, mit der sie am 10. Juni 1942 auch über Lublin nach Sobibor deportiert wurde, ein Zimmer teilen musste, lässt sich den dürftigen Angaben auf ihrer Gestapokarteikarte nicht entnehmen.

Fanny Schwarz, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 17
Rosa Ostrach (mitte links), ihre Tochter Paula mit Ehemann Noah Ringart und und den beiden Enkelinnen
https://yadvashem-france.org/les-justes-parmi-les-nations/les-justes-de-france/dossier-11421/

Während Fanny Schwarz in den Todesmühlen der Nazis zugrunde ging, gelang es ihrer Schwester Rosa Ostrach mit ihren beiden Kindern Leo und Paula zu überleben.[9] Sie verließ mit diesen bereits 1933 Deutschland, während ihr Mann zunächst in Würzburg zurückblieb.[10] Nach wenigen Monaten kamen sie aber zunächst noch einmal zurück, um dann im Frühjahr 1938 nach einem erzwungenen Umzug innerhalb von Würzburg dann gemeinsam nach Frankreich auszuwandern. Bis zum Einmarsch der deutschen Truppen lebten sie in Paris. Isay Ostrach wurde kurzzeitig interniert, dann freigelassen, aber unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Im Zuge der verschärften Verfolgungswelle wurde er im November 1942 erneut inhaftiert und von Drancy aus am 9. November nach Auschwitz deportiert und ermordet. Seine Frau konnte mit ihrer Tochter Paula[11] und der kleinen Enkelin Anna untertauchen und mit Hilfe eines französischen Dorfbürgermeisters, der die drei in wechselnden Unterkünften versteckte, ihr Leben retten.[12] Paulas Ehemann, dem Fotografen Noah Ringart, und auch dem Bruder Leo gelang es, sich alleine bis zum Ende des Krieges durchzuschlagen. Rosa Gita starb 1965 im hohen Alter von 84 Jahren, viele Enkel und Urenkel hinterlassend.[13]

Stand: 07. 09 2019

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] Strätz, Würzburger Juden, S. 434. In der Datenbank Historisches Unterfranken wurde dieser Fehler korrigiert und Fanny und Rosa wurden als Schwestern ausgegeben. Siehe http://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank/detailsinclude.php?global=;search;30131;unscharf;;1;Schwarz;;;;;;;;;;;;;;alle;;;;;~ORDER~BY~name,vorname~;;;;;;6;111111111111111111;000_speziell_gesucht;ENDE;30~4087~34885~30125~30126~36852~36444~30127~36854~30128~42713~37493~37990~30129~30130~42714~30131~37951~30132~30133~30134~30135~30136~42715~30137~33144~40834~30139~30140~30141~30142~. (Zugriff. 7.9.2019).

[2] http://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank/detailsinclude.php?global=;search;28113. (Zugriff. 7.9.2019).

[3] Nicht auszuschließen ist allerdings, dass unter der „F. Schwarz, Angestellte“, mit der Adresse Mittelheimer Str. 18 im Adressbuch von 1937 die Gesuchte eingetragen ist.

[4] HHStAW 519/3 8001.

[5] Ebd. (3).

[6] Ebd. (4).

[7] Ebd.

[8] Siehe unbekannte Liste X1, der Wohnungswechsel in das Judenhaus war der Devisenstelle bekannt, denn auf dem Aktendeckel ist die alte Adresse durchgestrichen und durch die des Judenhauses ersetzt worden. Ein Brief oder eine Notiz darüber ist aber innerhalb der Akte nicht zu finden.

[9] Die folgenden Angaben nach http://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank/detailsinclude.php?global=;search;28113.  (Zugriff. 7.9.2019).

[10] Vermutlicher Grund dafür war ein Verfahren wegen angeblicher Rasseschande, das ein im Haus wohnender Nazi gegen ihn in Gang gesetzt hatte. Isay Ostrach lege „seinen ganzen glühenden Hass gegen sie ( die Familie des NSDAPlers) in seine Blicke und seine Gesten, murmelt nicht nur gegen die Erwachsenen, sondern sogar gegen die Kinder Verwünschungen und beleidigt und verhöhnt sie durch seine Gesten“; so der Denunziant, völlig verfangen im Glauben an die magischen Kräfte der Juden. Siehe zu Isay Ostrach ausführlich das Erinnerungsblatt der Stolpersteingruppe Würzburg, https://www.stolpersteine-wuerzburg.de/wer_opfer_lang.php?quelle=wer_paten.php&opferid=439. (Zugriff. 7.9.2019).

[11] Paula Ringart, geborene Ostrach war gelernte Teppichweberin, die in der Tradition des Bauhauses stand und ihre Ausbildung bei einer Schülerin von Paul Klee absolviert hatte, siehe http://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank/detailsinclude.php?global=;search;28666;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;;111111111111111111;;ENDE;. (Zugriff. 7.9.2019).

[12] https://yadvashem-france.org/les-justes-parmi-les-nations/les-justes-de-france/dossier-11421/. (Zugriff. 7.9.2019).

[13] https://www.geni.com/family-tree/canvas/6000000029579504111. (Zugriff. 7.9.2019).Auf Initiative der Enkelin Anna Ringart Dittmann wurden sieben französische Retter ihrer Eltern und ihrer Großmutter in Yad Vashem als ‚Gerechte unter den Völkern’ geehrt.