Die Familie Otto Kahn aus Schierstein


Regina Beck, Regina Sichel, Julius Beck
Das Judenhaus heute
Eigene Aufnahme
Regina Beck, Regina Michel, Julius Beck
Lage des ehemaligen Judenhauses
Judenhaus Herrngartenstr. 11, Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Herrngartenstr. 11

 

 

 

 

 

 


Es waren wohl nur wenige Tage, die Otto Kahn, seine Frau Emilie, geborene Teutsch, und der gemeinsame Sohn Walter im Spätsommer 1942 vor der Deportation im Judenhaus in der Herrngartenstr. 11 verbringen mussten. Auch wenn es nur wenige Tage waren, so soll das Schicksal dieser alten jüdischen Familie aus Schierstein hier dennoch umfassend dargestellt werden, zumal sich an ihr exemplarisch aufzeigen lässt, mit welchen Problemen und Interventionen von Außen Familien in der Zeit der NS-Diktatur konfrontiert waren, wenn sie Deutschland damals verlassen wollten.[1]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenäuser Wiesbaden,
Stammbaum der Familie Kahn aus Schierstein
GDB

Sowohl die Familie Kahn, als auch die von Otto Kahns Frau Emilie stammten aus Orten mit einem traditionsreichen jüdischen Leben und auch die Familien selbst lassen sich zumindest zum Teil bis in das frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Beide Familien kamen vermutlich ursprünglich aus dem böhmischen Raum. Zumindest ist im Hinblick auf Daniel Kahn, dem Spross der Familie Kahn, der sich als erster in Schierstein bei Wiesbaden niederließ, vermerkt, dass er ein Sohn des Oberrabbiners Philipp Kahn aus Schwiesau in Böhmen und dessen Ehefrau Esther gewesen sei. Er hatte am 7. Juli 1819 die um 1800 in Schierstein geborene Sara Maier geheiratet und damit den Grundstein für eine der bedeutendsten jüdischen Familien des heutigen Stadtteils von Wiesbaden gelegt.[2] Daniel Kahn und seine Frau hatten insgesamt neun Kinder. Das erste, ein Mädchen, wurde nur 10 Tage alt. Abraham Salomon, der erstgeborene Sohn von Daniel und Sara Kahn, war der Großvater von Otto Kahn. Abraham war am 20. Mai 1820 in Schierstein zur Welt gekommen, wo er am 1. Juli 1857 die am 30 April 1829 in Ober-Ingelheim geborene Regina Mayer heiratete und mit ihr sieben Kinder zeugte.[3] Daniel David Kahn, ein Handelsmann und Ottos Vater, war der älteste dieser Kinderschar, über deren Schicksal aber nur wenig bekannt ist.[4] Am 4. September 1889 wurde in Meddersheim, der zwischen Idar-Oberstein und Bad Kreuznach gelegenen Heimatgemeinde der Frau, die Ehe zwischen Daniel David und Emma Feibemann geschlossen.[5] Im Juli des folgenden Jahres wurde dann in Schierstein das erste von insgesamt acht Kindern des Paares geboren. Sie fielen alle, so auch der zweitgeborene Otto, dem Holocaust zum Opfer oder hatten ihre Heimat verlassen müssen, um der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Eine weitere alte und bedeutende jüdische Familie war aus dem Gemeindeleben Schiersteins mit Gewalt gelöscht worden.

Abraham Salomon Kahn war derjenige, der im Jahr 1856 eine Firma im Handelsregister eintragen ließ,[6] die bis zu ihrem gewaltsamen Ende im Jahr 1938 über drei Generationen der Familie einen behaglichen Wohlstand bescherte, aber auch für die örtliche Wirtschaft von großer Bedeutung war. Zweck der Firma war der Handel mit Leder, Fellen und Häuten. Zudem wurden Därme besonders für die Wurstfabrikation und Talk für die Seifenherstellung zubereitet und verkauft. Abraham Kahn betätigte sich somit in einem damals für jüdische Gewerbetreibende typischen Wirtschaftszweig.

Am 7. Februar 1901 war der Firmengründer verstorben[7] und sein einziger Sohn Daniel wurde alleiniger Inhaber des Unternehmens. Allerdings war auch sein Schwager Moritz Hermann, der Ehemann von Danieles Schwester Mathilde, als stiller Teilhaber in die Gesellschaft aufgenommen worden.[8] Welche Bedeutung die Firma zu dieser Zeit in der Branche spielte, zeigt sich daran, dass bei ihr 1914 die Geschäftsstelle der Häuteverwertung für den gesamten Rheingau und Umgebung angesiedelt wurde, wodurch ihr automatisch von allen in Frankfurt versteigerten Häuten ein Anteil von 3 ¼ Prozent zufiel. Offenbar zählten weniger die örtlichen Metzger zu den Lieferanten der Firma, die Häute und Schlachtabfälle wurden vielmehr primär aus den umliegenden Ortschaften und sogar aus weiter entfernten Städten wie Landau, Mainz, Kaiserslautern oder Neustadt an der Weinstraße geholt.[9] Dennoch genoss die Familie in Schierstein ein sehr hohes Ansehen. Daniel Kahn war sogar im örtlichen Gemeinderat aktiv.[10] Der Betrieb stellte die Lebensgrundlage für eine zehnköpfige Familie dar, denn Daniel und Emma hatten zwischen 1890 und 1905 acht Kindern das Leben geschenkt. Die älteste Tochter Frida war am 6. Juli 1890 geboren worden. Nach Otto, geboren am 24. Dezember 1891, kamen wieder zwei Töchter zur Welt, zunächst Sophie am 20. Juli 1893, dann Ida am 10. April 1895. Robert wurde am 29. Dezember 1897 und Irma am 29. September 1898 geboren. Im neuen Jahrhundert kamen noch Else am 11. März 1901 und Adolf am 6. Februar 1905 zur Welt.[11]

Über die Kindheit und Jugend der Kinder liegen keine Informationen vor, aber bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren die beiden älteren Söhne eingezogen worden und erhielten für ihren Einsatz mehrere Auszeichnungen, die zumindest Robert später vielleicht sogar das Leben retteten. Er musste 1916 in die Armee eintreten und konnte sie erst am Ende des Krieges verlassen. Ausgezeichnet wurde er mit dem EK II und dem Verwundetenabzeichen.[12] Allerdings war Otto noch höher dekoriert worden, war als Frontkämpfer 1916 zum Leutnant der Reserve befördert, sogar mit dem EK I und EK II, dem Verwundetenabzeichen und dem Frontkämpferehrenkreuz ausgezeichnet worden, hatte darüber hinaus von 1917 bis 1920 in französischer Kriegsgefangenschaft verbringen müssen.[13] Ihm haben aber all diese Ehrungen und Opfer nicht geholfen, die Tore in die Freiheit zu öffnen.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden,
Hochzeitsfoto von Otto und Emilie Kahn 1936
Archiv Aktives Museum Spiegelgasse

Immer wieder wurde in den späteren Schriftwechseln von den Brüdern im Zusammenhang mit ihren Auswanderungsbegehren auf diese Kriegsauszeichnungen verwiesen und für den Leser ist nicht erkennbar, ob diese Verweise primär einen utilitaristischen Charakter hatten oder ob darin nicht doch noch immer etwas von dem Stolz mitschwingt, mit dem die Orden einst auch ans Revers geheftet wurden, wie man zum Beispiel auf dem Hochzeitsfoto von Otto Kahn noch 1936 sehen kann.[14] Offensichtlich war damals zumindest die Identifikation mit diesem Staat, wenn auch sicher nicht mit der Regierung, ungebrochen.

Nach dem Tod von Daniel David Kahn am 9. April 1930 traten die beiden inzwischen erwachsenen Söhne Robert und Otto, die auch schon zuvor im Unternehmen mitgearbeitet hatten, als Mitinhaber neben die Witwe Emma Kahn und Moritz Hermann.[15] Letzterer schied aber noch in der Zeit der Weimarer Republik durch Tod aus dem Unternehmen aus.[16] Die beiden Brüder hatten ohnehin auch bisher die Geschäfte geführt, während die Mutter Emma Kahn als Eigentümerin des Areals in der Bahnhofstr. 24, wo der Betrieb, die Fettschmelze, und das Lager eingerichtet waren, eher im Hintergrund blieb.

https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/hallgarter-str-6/julius-und-luise-loewenthal/
Daniel Kahn schildert die Lage seines Betriebes nach dem Ersten Weltkrieg
HHStAW 685 345 (12)

Allerdings war die einst prosperierende Firma nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zunehmend in schwierigeres Fahrwasser geraten. Nach dem Krieg war der Firmensitz, der bisher in der Dotzheimer Str. 2 angesiedelt war, vermutlich aus Kostengründen in das Wohnhaus der Familie in der Dotzheimer Str. 6 verlegt worden. Wohl aus dem gleichen Grund hatte man damals die Firma zum Eigentümer des Hauses gemacht. Schon 1921 gab Daniel Kahn in einem Brief an das Finanzamt, in dem er eigentlich seine schwierige finanzielle Lage darlegen wollte, auch Auskunft über die damalige familiäre Situation. So lebten zu dieser Zeit noch die Töchter Frieda, Sofie und Ida im gemeinsamen Haushalt, hatten aber weder ein eigenes Einkommen, noch Vermögen. Robert war damals zwar schon in das Geschäft aufgenommen, erhielt aber ebenfalls dafür kein eigenes Gehalt. Otto, der nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft zunächst arbeitslos war, hatte seit April 1921 in Köln als Geschäftsreisender bei der bekannten Lederfirma Phillips eine Anstellung gefunden.[17]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Adolph Kahn wird 1933 aus der Liste der zugelassenen Rechtsanwälte gestrichen
HHStAW 467 1483 (63)

Während seine älteren Brüder sich gemäß der Familientradition zu Kaufleuten hatten ausbilden lassen, ging der jüngste Sohn Adolph, der in dem Brief des Vaters nicht erwähnt wurde, neue Wege. Die Firma muss zumindest noch soviel Ertrag abgeworfen haben, dass die Eltern Adolph eine akademische Ausbildung ermöglichen konnten.[18] Sein Jura-Studium hatte er im September 1927 erfolgreich abgeschlossen. Anschließend war er in den Referendariatsdienst eingetreten. Am 16. Dezember 1931 wurde auch die Zweite Staatsprüfung abgelegt, sodass er am 18. Januar 1932 beim Landgerichtspräsidenten Wiesbaden einen Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt beim dortigen Amts- und Landgericht stellen konnte. Es dauerte allerdings bis Ende September 1932, bis er tatsächlich in den entsprechenden Anwaltslisten aufgenommen wurde. Inwieweit er danach beruflich tätig werden konnte, ist nicht bekannt, denn es blieb im knapp ein Dreivierteljahr, bis der NS-Justizapparat ihn aufgrund seiner jüdischen Abstammung und mit Verweis auf §. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft  vom 7. April 1933 – R.G.Bl. I. S. 188 wieder aus der Liste der Anwälte löschte.[19]

 

Abgesehen von der ältesten Tochter Frida, die zeitlebens ledig blieb und bis Ende der dreißiger Jahre in Schierstein im Elternhaus wohnte, wo sie den Haushalt der Mutter und den der Brüder führte, hatten die übrigen Töchter in den Jahren der Republik Ehepartner gefunden und waren von zu Hause ausgezogen.
Sophie war schon am 8. November 1921 mit Alfred May aus Mainz-Gonsenheim eine Ehe eingegangen und lebte mit ihrem Mann fortan auf der anderen Rheinseite. Er war der Sohn des dort ansässigen Möbelhändlers Lazarus May und dessen Frau Regina, geborene Lublin.[20]
Ebenfalls in Schierstein hatten sich Else Kahn und der Kaufmann Alfred Sommer vier Jahre später am 10. Januar 1925 das Ja-Wort gegeben. Wer die Eltern des am 19. Mai 1897 in Bacharach geborenen Kaufmanns waren, geht aus der Heiratsurkunde nicht hervor.[21]
Drei Jahre nach Else ging auch Irma eine Ehe ein. Sie heiratete am 5. August 1928 in ihrem Heimatort den Zahnarzt Dr. Friedrich Kahn, genannt Fritz, aus Grebenau. Er war in der kleinen Gemeinde des heutigen Vogelsbergkreises am 23. Juni 1901 geboren worden, lebte aber zum Zeitpunkt der Eheschließung in Egelsbach, wohin das Paar anschließend auch zog.[22] Im folgenden Jahr kam am 23. Dezember 1929 ihr Sohn Erich Mark, ihr einziges Kind, in Frankfurt zur Welt.[23]

Jakob Teutsch, Sara Feibelmann Teutsch, Lazarus Teutsch, Rosina Herz Teutsch, Johanna Teutsch, Isak Isaak Teutsch, Hilde Rau Teutsch, Eliabeth Babette Teutsch, Friedrich Wilhelm Teutsch, Thekla Teutsch Eisemann, Marius Siegfried Eisemann, Emilie Kahn Teutsch, Otto Kahn, Walter Kahn, Hans Josef John Teutsch Toyne, Kurt Teutsch, Oskar Teutsch, Thekla Berg Teutsch, Ilse Teutsch, Hermann Teutsch
Emilie Teutsch (rechts) mit ihren Schwestern Elisabeth (links) und Thekla (Mitte) um 1918
Archiv Aktives Museum Spiegelgasse

Die drei Söhne heirateten erst in den Jahren, in denen die Nazis bereits die Macht in ihren Händen hielten. Otto, der älteste, war auch der erste. Er ehelichte am 30. Januar 1936 Emilie Teutsch aus der Pfalzgemeinde Venningen, Tochter von Isak und Hilde Teutsch, geborene Rauh.[24] Emilie war dort am 26. März 1905 als letztes Kind des Paares geboren worden.[25] Ihr einziges Kind, der Sohn Walter Daniel, wurde am 30. Juni 1937 in Mainz geboren.[26] Die Familie lebte aber auch damals auf der anderen Rheinseite in Schierstein.
Die beiden jüngeren Brüder heirateten später, als ihre Auswanderungspläne schon konkrete Gestalt angenommen hatten, Robert 1938 und Adolph 1939.

Kurz vor seinem Tod 1930, schon unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise, legte Daniel Kahn gegenüber dem Finanzamt erneut dar, mit welchen Problemen die Firma im vergangenen Jahrzehnt konfrontiert war. Möglicherweise verursacht durch die wachsende Bedeutung der chemischen Industrie war es in der Zwischenkriegszeit zu einem deutlichen Preisverfall bei Häuten gekommen, während die allgemeinen Gestehungskosten, auch die Lohnkosten, immer weiter angestiegen waren. Von den ursprünglich drei Arbeitern konnte am Schluss – neben einem Chauffeur – nur noch ein einziger gehalten werden. Trotz aller Sparmaßnahmen ließen sich Gewinne nicht mehr erzielen. Im Gegenteil, das Geschäftsjahr 1929 war mit einem großen Verlust abgeschlossen worden. Auch im Jahr 1930 schrieb man rote Zahlen in einer Höhe von mehr als 10.000 RM.[27] Insofern ist die Beurteilung in dem in der Nachkriegszeit von der Auskunftei Blum erstellten Gutachten für das Entschädigungsverfahren, der „Geschäftsgang“ sei auch bis 1933 „leidlich“ gewesen, nicht falsch. Allerdings trifft diese Aussage vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise auf nahezu alle Unternehmen der industriellen Welt zu und sagt nichts über die eigentliche Substanz der Firma aus. In den Jahren 1931 und 1932 konnten auch Kahns wieder schwarze Zahlen schreiben, zunächst fast 3.500 RM, dann sogar etwas mehr als 4.000 RM.[28] Immerhin muss Blum, dessen Gutachten sich nahezu immer zu Ungunsten der jüdischen Antragsteller in den Verfahren äußerten, zugeben, dass die Gebr. Kahn O.H.G. „in Schierstein und Umgegend bekannt und eingeführt“ gewesen sei und die Inhaber als „fleißig und tüchtige Handelsleute“ galten.[29]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Adolph Kahn um 1940
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104075_00094?treeid=&personid=&hintid=&queryId=17ef54be002271f0d356f64e8196e9d0&usePUB=true&_phsrc=Ekt2180&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=121857&lang=de-DE

Äußerst gering ist in dem Gutachten – in dem allerdings jeglicher Bezug auf konkrete Daten fehlt – das vermutete Einkommen der Inhaber taxiert. In den Jahren bis 1933 soll das „monatliche Nettoeinkommen der Firma Gebr. Kahn“ (!) etwa 600 RM betragen haben, was wohl bedeuten soll, dass dieser Betrag unter den Anteilseigner aufgeteilt werden musste.[30] Die Antragsteller hingegen machten diesbezüglich völlig andere Angaben. Adolph Kahn schätzte das frühere Einkommen seines Bruders Robert allein auf etwa 8.000 RM -.[31] Angesichts fehlender Steuerunterlagen ließen sich diese Angaben aber nicht mehr verifizieren. Die Akten waren – so die Auskunft des Finanzamts Wiesbaden –  „auf Anordnung der damaligen Regierung“ Ende 1944 sämtlich vernichtet worden.[32] Die fundamentale Ungerechtigkeit dieser Verfahren bestand ohnehin darin, dass neben der Berufsausbildung das Einkommen der letzten drei Jahre vor dem Beginn der Verfolgung, sprich im Allgemeinen zwischen 1930 und 1933, zur Grundlage der Entscheidung über die zustehende Entschädigung gemacht wurde. Und genau das waren die schlimmsten Krisenjahre, die gerade für selbstständige Gewerbetreibende oft mit hohen Verlusten verbunden waren.

Nach 1933 gingen dann Umsätze und Erträge bedingt durch den wachsenden Boykottdruck deutlich zurück. So mussten am 1. April 1933, dem landesweiten Boykotttag gegen jüdische Geschäfte, auch Kahns ihre Firma geschlossen halten. Hatte die Entschädigungsbehörde auf Grundlage für die Jahre vor 1933 noch durchschnittliche Erträge von jährlich mehr als 7.000 RM angenommen, so betrugen die 1933 und 1934 nur noch etwa 4.000 RM, stabilisierten sich dann aber um die 2.000 RM bis 3.000 RM.[33] Bisherige Kunden wurden in dieser Zeit des Boykotts denunziert, wenn sie das Haus betraten, und die die lukrative Funktion als Geschäftsführung der regionalen Häuteverwertung wurde ihnen selbstverständlich auch entzogen.[34] Im Zusammenhang mit seiner Ausreise gab Robert Kahn im Juni 1939 an, im Jahr 1936 ein Jahreseinkommen von knapp 1.000 RM und im folgenden Jahr etwa 1.300 RM gehabt zu haben.[35]

Schon bevor am 12. November die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben verkündet wurde,[36] – die Pläne hatten schon im April 1938 Gestalt angenommen – war die traditionsreiche Firma der Familie Kahn am Ende. Zwei Tage zuvor war sie im Zuge des Novemberpogroms in Schutt und Asche gelegt worden.

Die Ereignisse am 10. November 1938 konnten im ersten Prozess, der im Frühjahr 1946 in Deutschland gegen die vielen Brandstifter während dieses Pogroms überhaupt eingeleitet wurde, zumindest was die Schändung der Synagoge anbelangt, weitgehend geklärt werden.[37] Die Zerstörungen am Nachmittag, bei denen sich auch der Überfall auf die Firma Kahn und deren Privatwohnungen ereignete, blieben allerdings weitgehend im Dunklen. So heißt es im Urteil vom 6. April 1946: „Über die Zerstörungen am Nachmittag fehlen zuverlässige Angaben. Dies ist bedingt dadurch, dass über Geschehensablauf und Täterschaft damals die Beweissicherung durch die Polizeiorgane nicht durchgeführt wurde, letztere sich lediglich darauf beschränkte, einen allgemeinen Bericht der vorgesetzten Dienststelle vorzulegen.
Überdies ergeben sich auch Schwierigkeiten daraus, dass die Erinnerungen aller Beteiligten durch die Kriegswirren und deren Folgen verblasst und überschattet sind.“
[38]
Anders als im bereits zitierten „Gutachten“ von Blum, in dem es unter Bezug auf die Zerstörungen bei Kahns lapidar heißt: „Im Jahr 1938 entstand durch Angehörige der N.S.D.A.P., die von außerhalb kamen, entsprechender Schaden“,[39] kamen die Täter keineswegs nur von außerhalb. Angeführt wurde die Aktion vielmehr vom SA-Ortstruppenführer Pickard, der bereits 1933 als SA-Truppenführer in die Organisation eingetreten war. Im zivilen Beruf hatte er, obwohl eigentlich für einen landwirtschaftlichen Beruf ausgebildet, über die Partei eine Stellung im Wiesbadener Standesamt erhalten. In der SA wurde er später noch zum Sturmführer, dann sogar noch zum Obersturmführer befördert. Auch sein mitangeklagter Rädelsführer, der Eisendreher Albert Heberle, war bereits 1933 in die SA eingetreten. Nur zehn Jahre nach der Verurteilung der beiden aus Schierstein stammenden Haupttäter wegen „schweren Landfriedensbruch in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung“ bzw. wegen „Beihilfe“ konnte offenbar in einem so genannten „Gutachten“ unwidersprochen geleugnet werden, dass die Täter ehemalige Mitbürger waren.[40]

Anders als im Strafprozess kamen im Entschädigungsverfahren von den Antragstellern benannte Zeugen zu Wort, die die Aktionen an diesem 10. November zum Teil auch aus eigener Anschauung miterlebt hatten. So berichtete ein Zeuge:
“Es ist mir bekannt, dass das frühere Fabrikgebäude, Bahnhofstr. 24, in der Kristallnacht am 10. Nov. 1938 als Boykottmaßnahme gegen die Juden von der SA oder irgend einer sonstigen Formation der NSDAP in Brand gesetzt wurde. Mir ist auch bekannt, dass damalig Benzin über die zuerst schwer brennbaren Gegenstände geschüttet wurde, sodass die etwas nassen Waren, die in der Hauptsache sehr viel Fett enthielten, nachher doch noch gut brannten und dass das gesamte Gebäude vollständig ausgebrannt ist. (…) Das Gebäude, das nur einstöckig war, umfasste in der Hauptsache die Lagerung von Fellen und Häuten, sowie in großen Bottichen die Fettabscheidung, die sich aus einem solchen Betrieb ergibt.“[41]

Ein weiterer Zeuge, der damals in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte, bestätigte, dass die Fettschmelz vollständig ausbrannte und das Dachgebälk teils zusammengestürzt oder verkohlt war. Die Fenster wie auch die Türen seien herausgerissen worden und der Schornstein sei durch die Hitze in sich zusammengestürzt. „Die Fettschmelze sah wenige Tage nach dem Brand wie eine Ruine aus, denn es standen ja nur noch die Mauern da, die nicht mehr besonders stabil waren, weil der Mörtel durch das Salz und die Säuren stark angefressen waren. Selbst die gemauerten Öfen in dem einen Raum waren mit Gewalt unbrauchbar gemacht worden.“ Wie schon bei der Synagoge habe die Feuerwehr sich darauf beschränkt, das Übergreifen der Flammen auf Nachbargebäude zu verhindern.[42]
Eher außergewöhnlich war, dass die Brandversicherung einen Teil des Schadens übernahm. Laut der „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbetrieben vom 12. November 1938, RGBl. I S. 1581“ waren die jüdischen Gewerbetreibenden verpflichtet, die Kosten für die Beseitigung der Schäden selbst zu tragen, Versicherungsansprüche, etwa auf Grund einer Brandversicherung, sollten nach dieser Verordnung vom Staat beschlagnahmt werden. Der sich in Liquidation befindlichen Gebr. Kahn OHG, bzw. dem Gesellschafter Otto Kahn wurde die Möglichkeit eingeräumt, die Leistung der Versicherung von 650 RM als Teil der vierten Rate der Judenvermögensabgabe anzugeben. Das Geld der Versicherung ging somit direkt an den Fiskus, minderte aber dennoch die Last der Sondersteuer für Otto Kahn.[43]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden,
Das Haus in der ehemaligen Dotzheimer Str. 6 heute
Eigene Aufnahme

 

 

 

 

 

Aber nicht nur die Produktionsanlagen der Kahns wurden an diesem Nachmittag zerstört, auch ihre Wohnungen wurden angegriffen und ebenfalls beträchtlich demoliert. Das betraf die Wohnungseinrichtung in der Dotzheimer Str. 6, dem Elternhaus, in dem damals Robert Kahn mit seiner Frau Alice und auch seiner Schwester Frida wohnten, aber auch die Wohnung von Otto Kahn und seiner Familie in der damaligen Wilhelmstr. 44. In die Wohnung in der Dotzheimer Straße waren die SA-Männer gewaltsam eingedrungen und hatten mit Handbeilen fast alle Einrichtungsgegenstände, darunter auch Erbstücke der Familie, zerschlagen. Bezeugen konnten das nichtjüdische Mitbewohner, die die Parterrewohnung angemietet hatten und wohl selbst Opfer der Zerstörungen geworden waren.[44]
Bezüglich der Zerstörung des Mobiliars in der Wohnung von Otto Kahn hat Adolph Kahn der Behörde eine dezidierte Aufstellung des Schadens übermittelt. Die Gegenstände seien zum größten Teil erst 1936 anlässlich der Eheschließung von Otto und Emilie Kahn angeschafft worden. Er kam auf einen Gesamtschaden, neben Möbeln auch Wäsche und dergleichen inbegriffen, von etwa 11.500 DM.[45] Wie schon im Fall seines Bruders Robert, reduzierte die Behörde die Schadenssumme, weil die Gegenstände nicht näher beschrieben worden seien, es im Besonderen an Angaben zum Anschaffungspreis oder bei den Möbeln zur Holzart fehle. Auch seien keine genauen Angaben zur Verarbeitung der Wäsche, des Hausrats und der übrigen Gegenstände vorgelegt worden. Die Feststellung des Schadens sei „nur im Wege einer Einschätzung nach pflichtgemäßem Ermessen möglich“. „Auf Grund von Erfahrungen der Entschädigungsbehörde aus ähnlich gelagerten Fällen“ reduzierte man den Wert des Schadens willkürlich um mehr als 50 Prozent. Zudem erklärte man den in Amerika gestrandeten Überlebenden, „dass der Ankauf von gebrauchtem Mobiliar in der Bundesrepublik Deutschland im heutigen Zeitpunkt ohne größere Aufwendungen jederzeit möglich“ sei, was an Zynismus kaum mehr zu überbieten war und wohl heißen sollte: Kommt doch einfach mal rüber in das Land eurer Verfolger und kauft euch dort ein paar gebrauchte Möbel, wenn euch Amerika zu teuer ist ! Im weiteren Halbsatz wurde die geforderte Einsetzung des Neuwerts der Möbel mit dem Argument, dass „auch nur kurzfristig gebrauchte Gegenstände einer erheblichen Wertminderung unterliegen“ würden, abgeschmettert.[46]

Zu den Vermögensschäden durch die gewalttätigen Aktionen der SA-Horden kam natürlich noch die Einziehung der so genannten „Sühneleistung“ hinzu, mit der die Juden den angerichteten Schaden am deutschen Volksvermögen ersetzen sollten. Auch in dieser Sache wurden Ansprüche wegen fehlender Zahlungsbelege schlicht verweigert. Insgesamt waren aber nachweislich von Otto Kahn 5.400 RM, von Robert Kahn 1.600 und von Frida Kahn 1.300 RM dieser Sondersteuer zumeist durch Übertragung von Aktien und Wertpapieren gezahlt worden,[47] Vermutlich war die Summe aber noch größer.

Zudem waren auch zwei der männlichen Familienmitglieder von den Verhaftungen betroffen, die in den Tagen nach dem Pogrom von der Gestapo durchgeführt wurden. Otto Kahn war nach Buchenwald verbracht worden, wo ihm die Häftlingsnummer 29792 gegeben wurde. Wie seiner Geldverwaltungskarte zu entnehmen ist, durfte er am 13. Dezember 1938 wieder nach Hause zurück.[48] Sein Bruder Adolph, Häftlingsnummer 27262, war schon knapp zwei Wochen zuvor aus Dachau entlassen worden.

https://collections.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010607/0045/56302710/001.jpg
Geldverwaltungskarte aus Buchenwald für Otto Kahn
https://collections.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/0913/122950380/001.jpg
https://images.findagrave.com/photos/2015/77/143919797_1426803645.jpg
Häftlingskarte aus Dachau für Adolph Kahn
https://collections.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010607/0045/56302710/001.jpg

Über das dort erlebte äußerte er sich einmal im Zusammenhang mit einer Beschwerde über die zu langsame Bearbeitung seines Entschädigungsantrags. Der Sachbearbeiter hatte seine Angaben zur Zahlung der Judenvermögensabgabe in Frage gestellt und wollte Belege vorgelegt bekommen. Darauf Adolph Kahn: „Wenn Zahlungen im einzelnen nicht nachgewiesen werden können, besteht die praesumptio juris et de jure, d.h. die unwiderlegbare Rechtsvermutung, dass keiner der Juden es gewagt haben würde, die Judenabgabe, Sühne für den Mord des Herr von Rath (!), nicht zu bezahlen. Ich war in Dachau über 3 Wochen und weiss, dass wir nicht den Mut gehabt hätten, auch nur einen Hauch falsch zu pfeifen. Auf meinen Schadensersatz für 3 Wochen Dachau verzichte ich ausdrücklich, da ich dafür wirklich nichts haben will, weil ein Schadensersatz für diese schreckliche Zeit in Geld nicht bemessen werden kann.“[49]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Helene Kahn, geb. Heumann um 1940
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104075_00098?treeid=&personid=&hintid=&queryId=17ef54be002271f0d356f64e8196e9d0&usePUB=true&_phsrc=Ekt2180&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=121857&lang=de-DE

Unmittelbar nach seiner Entlassung floh er von Wiesbaden nach Euskirchen, wo er sich allerdings zunächst polizeilich nicht anmeldete. In Köln hatte er eine – wie er schrieb – „Notstelle“ angenommen und erst 1939 wohnte er auch offiziell in Euskirchen in der Baumstr. 7, im Elternhaus seiner zukünftigen Frau, der Verkäuferin Helen Heumann, geboren am 22. Januar 1904 in Hellenthal. Ihre Eltern waren dort Eigentümer des traditionsreichen und bekannten, aber im Oktober 1938 ebenfalls arisierten ‚Euskirchener Strumpfwaren- und Trikotagenhaus’. Die Ehe war am 28. März 1939 geschlossen worden, sicher auch in der Hoffnung, bald gemeinsam auswandern zu können.[50]
Dafür, dass auch Robert Kahn damals inhaftiert wurde, liegen keine Belege vor, wenn, dann war das nur kurzeitig der Fall. Im Zusammenhang mit einem angeblichen Devisenvergehen von Otto Kahn war es zu einer Devisenprüfung bei Kahns gekommen.[51] In dem Bericht heißt es, dass „Otto Kahn infolge der jüngsten antijüdischen Bewegung in Haft genommen worden“ sei und deshalb sein Bruder Robert Kahn Auskunft erteilt habe. Die Prüfung war am 26. November angeordnet worden und hatte am 30. November stattgefunden. [52]

Zu der Devisenprüfung war es gekommen, weil die Familienmitglieder bereits vor dem Pogrom begonnen hatten, sich auf eine Ausreise aus Deutschland vorzubereiten. Die Ereignisse vom 10. November hatten aber sicher allen deutlich gemacht, dass Eile in der Angelegenheit unbedingt geboten war.

Wegen der bereits getroffenen Vorbereitungen, war Ende Juli 1938 auf Betreiben der Zollfahndungsstelle Mainz gegen Otto Kahn eine Sicherungsanordnung erlassen worden. Sein Vermögen – Papiere im Wert von etwa 11.000 RM, Wert des Firmenanteils etwa 12.000 RM und Anteil an den Grundstücken der Erbengemeinschaft 13.000 RM – wurde damit seinem Zugriff entzogen. Eine Erbschaft, die in den USA über die Familie Feibelmann angefallen war, deren Wert man aber damals noch nicht genau kannte, wurde in der Aufstellung nur erwähnt. Die Wertpapiere, die bisher in seinem Safe lagen, musste er in ein Depot bei der Nassauischen Landesbank hinterlegen, ein Freibetrag von monatlich 300 RM wurde ihm zugestanden. Begründet wurde die Sicherungsanordnung damit, dass bereits Verkaufsverhandlungen über die Gebr. Kahn OHG liefen und Kahns beabsichtigen würden, demnächst auszuwandern. „Es besteht der Verdacht, dass Otto Kahn plötzlich unangemeldet auswandert und Vermögenswerte entgegen den Devisenbestimmungen ins Ausland verbringt. Im Ausland kann er mit der Unterstützung einer Schwester rechnen, die bereits ausgewandert ist.“[53]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Antrag auf die amerikanische Staatsbürgerschaft von Else Sommer, geb. Kahn 1941
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104051_00347?treeid=&personid=&hintid=&queryId=17e6b44f6598922faa4f201d54c29a54&usePUB=true&_phsrc=Ekt2179&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=101902

Tatsächlich hatte Else, die jüngste Tochter von Emma und Daniel Kahn, zu diesem Zeitpunkt Deutschland mit ihrer Familie bereits verlassen, den Novemberpogrom deswegen nicht mehr erleben müssen. Nach der Hochzeit mit dem Kaufmann und Viehhändler Alfred Sommer am 10. Januar 1925 in Schierstein [54] war das Paar nach Bacharach, dem Heimatort des Ehemanns, in die Blücherstr. 31 gezogen, wo auch die beiden ersten Kinder Margot Margarete am 21. März 1926 und Lotte am 2. Februar 1928 zur Welt kamen.[55] Wann sie dann nach Gonsenheim bei Mainz zogen, konnte nicht geklärt werden, aber dort wurde am 28. August 1937 ihre Tochter Edith Emma geboren.[56] Am 14. Juni 1938 hatten sie in Stuttgart die notwendigen Visen zur Einreise in die USA erhalten und nur 14 Tage später konnten sie am 30. Juni in Le Harve die ‚Manhattan’ besteigen, die sie eine Woche später in New York an das rettende Ufer brachte.[57] Die Familie ließ sich anschließend in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin nieder, wo bereits ein Schwager von Alfred Sommer wohnte. 1941 stellten auch die dort neu angekommenen Sommers, die sich auch hier im Viehhandel betätigten, einen Antrag auf Einbürgerung in die Vereinigten Staaten.[58]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Schiffspassage der Familie Sommer 1938
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6178-0811?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=23540243&lang=de-DE

Die übrige Familie war sicher froh, einen Kontakt in den Staaten zu haben, als sie mit der Realisierung ihrer eigenen Ausreisepläne begann. Schon im Juni 1938 war das Elternhaus in der Dotzheimer Straße an die Mieterin Sofie Stoll für 17.000 RM verkauft worden. 3.000 RM sollten sofort, die Restsumme bis zum 1. September 1938 gezahlt werden.[59] Wahrscheinlich waren diese Verkaufsverhandlungen der Anlass für das bereits erwähnte Eingreifen der Zollfahndung gewesen, woraufhin die Devisenstelle die Sicherungsanordnung erließ und die Käuferin verpflichtete, das Geld auf das gesicherte Konto einzuzahlen.[60] Am 26. Oktober 1938 meldete die Nassauische Landesbank der Devisenstelle, dass das Konto eingerichtet sei.[61]

Otto Kahn war mit seiner Familie bereits zuvor zunächst in die Zeilstr. 28, anschließend in die Schiersteiner Wilhelmstr. 44 gezogen, wo sie bis 1942 wohnen konnten. Das Haus gehörte dem Juden Arthur Katz, der dort früher ein Schuh- und Herrenkonfektionsgeschäft betrieben hatte.[62] So konnten Kahns relativ sicher sein, auch nach Verabschiedung der neuen Mietgesetze nicht auf die Straße gesetzt zu werden.

In das Haus von Arthur Katz zog aber auch Robert Kahn ein, der damals schon einige Schritte für seine Auswanderung in die Wege geleitet hatte. Im Juni 1938 heiratete er die aus Mainz stammende Alice Wendel.[63] Seit Mai 1938 planten sie ihre Ausreise und hatten deshalb auch darauf verzichtet, noch einen gemeinsamen Hausstand zu gründen. So blieb Robert Kahn in Schierstein bei seinem Bruder wohnen, seine Frau Alice bei ihrer Mutter in Mainz in der Bilhildisstr. 17.

Durch den Verkauf des Hauses musste auch Frida, die bisher im Haushalt der Brüder mitgearbeitet hatte und auch dort gemeldet war, umziehen. Seit Januar wohnte sie in der Langgasse 20 in der Wiesbadener Innenstadt.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Die Erbengemeinschaft Kahn verkauft in Vorbereitung auf ihre Auswanderung Äcker in Schierstein
HHStAW 519/3 11200 (3)

Mitte Dezember 1938 kam ein weiterer Kaufvertrag über zwei Äcker zustande, laut dem ein Schiersteiner Landwirt, wohnhaft in der Bahnhofstr. 7, die Grundstücke für 4.300 RM erwarb.[64] Im Dezember oder Januar 1938/39, so berichtete im Entschädigungsverfahren der spätere Käufer Luh aus Niederwalluf, sei Otto Kahn mehrfach an ihn herangetreten, um ihm das Grundstück an der Bahnhofstraße mit dem zerstörten Gebäude zum Kauf anzubieten. Schon am 24. Januar 1939 waren die Verhandlungen abgeschlossen und der Kaufvertrag konnte unterschrieben werden.[65] Gegenstand des Vertrages waren neben dem Betriebsgelände samt Gebäude noch zwei in Schierstein gelegene Äcker, für die insgesamt eine Summe von 8.000 RM zu zahlen war, 2.000 RM sofort, der Rest sollte nach Eingang der notwendigen behördlichen Genehmigungen überwiesen werden. Anfang März bestätigte das Wiesbadener Vermessungsamt auf einem Formular mit der Überschrift „Betr.: Entjudung des Grundbesitzes“ den Eingang des Kaufvertrags bei der Devisenstelle.[66]
Wie der Devisenakte der Erbengemeinschaft Kahn zu entnehmen ist, waren von der Verkaufssumme 6.000 RM an den Notar gegangen, der damit Forderungen des Finanzamtes bzw. Hypotheken abdecken musste. Der Rest des Kaufpreises sollte „Otto Kahn zur Deckung der von ihm für die Erben Kahn gemachten Vorlagen“ ausgezahlt werden.[67] Von dem Geld war somit faktisch nichts mehr übrig. Dennoch verfügte zumindest Otto Kahn damals noch über ein kleines Kapitalpolster.

Der damalige Käufer gab nach dem Krieg an, die Verkäufer seien „recht zufrieden gewesen, dass ich das Grundstück ihnen abgenommen (!) habe.“[68] Beim damals vereinbarten Preis bezog man sich auf eine Taxe des damaligen Ortsgerichts, bei der allerdings ausschließlich der Grundstückswert herangezogen wurde, weil das Gebäude nach der Zerstörung als wertlos erachtet wurde. Der Einheitswert des Grundstücks mit Gebäude war 1935, ohne die beiden zusätzlichen unbebauten Grundstücke, alleine auf mehr als 10.000 RM festgesetzt worden.[69] Dass der Käufer, der zugegebenermaßen einige Investitionen im dem zerstörten Komplex finanzieren musste, dennoch ein für ihn gutes Geschäft gemacht hatte, ergibt sich schon daraus, dass er in einem 1950 getroffenen Vergleich zu einer Ausgleichszahlung von fast 10.000 DM an die ehemaligen Eigentümer bereit war.[70]

 

Das Feibelmannerbe und die Tragik der gescheiterten Emigration

Angesichts der Tatsache, dass von dem Geld aus den Verkäufen der Immobilien nicht mehr viel geblieben war, das Wenige zudem unter der Erbengemeinschaft aufgeteilt werden musste, war der Tod eines in den USA lebenden Onkels, wenngleich traurig, doch auch willkommen, da ein nicht unbeträchtlicher Erbteil auch den Geschwister Kahn zugedacht war.
Aber für einige Mitglieder der Familie Kahn war diese Erbschaft mehr Fluch als Segen. Gefangen im Geflecht gegensätzlicher Interessen wurden sie zum hilflosen Objekt bürokratische Abläufe, die zuletzt unter den Bedingungen des Krieges und dem damit verbundenen Zusammenbruch notwendiger Kommunikationsstränge, nicht mehr funktionierten und die Flucht der Geschwister Frida, Otto, Sophie, Ida und Irma Kahn mit ihren jeweiligen Familien zum Scheitern brachten. Die Abläufe sollen im Folgenden so minutiös wie möglich nachgezeichnet werden, weil sie exemplarisch offen legen, wie selbst dann eine Flucht aus Deutschland damals misslingen konnte, wenn sie bereits im Sommer 1938 und somit eigentlich rechtzeitig geplant worden war.
Der verstorbene Julius Feibelmann, geboren am 17. Oktober 1868 in Meddersheim, war bereits 1891 nach Amerika ausgewandert und hatte 1897 die US-Staatsbürgerschaft erworben. Er war danach mehrfach zu Besuchen nach Deutschland zurückgekommen, hatte also die Verbindung in die Heimat nie gekappt. Aus den damals ausgestellten Reisepässen ergibt sich, dass er ledig und vermutlich auch ohne Kinder geblieben war.

Bei seinem Tod am 15. September 1935 [71] hatte er ein Erbe im Wert von etwa 48.000 Dollar hinterlassen, das auf die noch lebenden sechs Geschwister bzw. deren Nachkommen aufgeteilt werden sollte. Insgesamt waren 16 über Deutschland, USA und Luxemburg verteilte Erbberechtigte ausgemacht worden, denen jeweils unterschiedliche Beträge zustanden.[72] Der jüngere Bruder Rudolf Feibelmann, der mit seiner Familie noch im Dezember 1938 ausgewandert war, hatte sicher keine Probleme an das Geld zu kommen. Leopold war verstorben, hatte aber vermutlich Nachkommen hinterlassen. Unbekannt ist, ob die älteste Schwester Sara noch lebte. Die beiden jüngsten Brüder waren aber zum Zeitpunkt des Todes noch in Deutschland, Otto Feibelmann lebte in Wiesbaden und Albert in Karlsruhe. Allerdings war er bevor das Erbe zur Verteilung anstand ebenfalls verstorben, sodass seine Frau Klara als Nacherbin an seine Stelle trat. Die in Schierstein lebende Emilie Kahn, geborene Feibelmann, war ebenfalls ein halbes Jahr vor dem Erblasser verschieden, sodass deren Kinder, die damals alle noch in Deutschland lebten, als Erbberechtigte mit einer Summe von jeweils etwa 1.000 Dollar eingesetzt worden waren.

Schon bei der Devisenprüfung im Dezember 1938 spielte die ausstehende Erbschaft eine Rolle. Man vermutete, dass die „Erbauseinandersetzung erst nach der Auswanderung sämtlicher Erbberechtigten erfolgen (solle), um dann der Ablieferungspflicht nicht mehr nachzukommen“ müssen. Der Devisenprüfer riet dazu, eine „Genehmigung zur Auswanderung durch die Polizeibehörde in Wiesbaden erst nach erfolgter Erbauseinandersetzung und Ablieferung der den inländischen Erbberechtigten anfallenden Anteile aus dieser ausländischen Erbmasse (ausl. Wertpapiere) an die Reichsbank erteilen zu lassen. Die Polizeibehörde in Wiesbaden müsste davon in Kenntnis gesetzt werden.“ Eine entsprechende Sicherungsanordnung für die Erbmasse sei zu erlassen.[73]
Die Behörde wurde noch im selben Monat aktiv, unterrichtete die Gestapo, beantragte die geforderten Sicherungsanordnungen und bestellte Robert und Otto Kahn, wie auch Otto Feibelmann zu einer Befragung ein. Letzterer wies bei diesem Treffen schon darauf hin, dass die amerikanischen Testamentsvollstrecker mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet seien – welche war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar -, die eine schnelle Erbauseinandersetzung vermutlich behindern könnten. Als der in Wiesbaden ansässige Haupterbe, wurde er beauftragt, eine Kopie des Testaments zu beschaffen, was aber insofern unnötig war, weil eine solche bei der Devisenstelle Ludwigshafen, wo Rudolph Feibelmann bzw. dessen Witwe Klara damals wohnte, bereits vorlag. In Karlsruhe war bei der dort zuständigen Devisenstelle Ludwigshafen von Klara auch schon ein Freigabeantrag für ihren Erbschaftsanteil eingereicht worden. Um ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten war die Angelegenheit samt Testament im März dem Reichswirtschaftsminister in Berlin übergeben worden, der zentral eine Entscheidung für alle beteiligten Erben treffen sollte.[74]
In Berlin wusste man, mit welchem Problem man auch in diesem Fall konfrontiert sein würde: „Es ist auch hier wiederholt beobachtet worden, dass amerikanische Erbschaften Testamentsvollstreckern mit ausserordentlich weitgehenden Vollmachten übertragen werden. Diese Maßnahmen erfolgen offensichtlich nur, um die anfallenden Vermögenswerte der deutschen Devisenbewirtschaftung vorzuenthalten. Um dies soweit wie möglich zu verhindern, ersuche ich die Freigabe nur unter der Bedingung zu genehmigen, dass ein erheblicher Betrag, etwa 2/3 des auf den inländischen Erben entfallenden Nachlasses ins Inland verbracht wird. Ich ersuche demgemäß auch im vorliegenden Fall zu verfahren und durch geeignete Massnahmen, insbesondere durch Entziehung des Passes sicherzustellen, dass die Antragstellerin nicht vor Erledigung der Angelegenheit Deutschland verlässt.“[75] Angesichts der Devisenknappheit war der NS-Staat bestrebt, dass die Erben ihre Dollarerbschaft in Deutschland antreten und dabei auf den größten Teil verzichten. Der amerikanische Staat verfolgte genau das entgegen gesetzte Interesse. Die Flüchtlinge sollten im Exil auf ein möglichst großes Startkapital zurückgreifen können, damit sie dem Aufnahmeland nicht zur Last fallen würden. Zudem hatte man natürlich auch ein Interesse daran, dem Deutschen Reich die notwendigen Devisen für die Aufrüstung vorzuenthalten. Druckmittel gab es auf beiden Seiten genügend. Opfer waren die Migrationswilligen, die in diesem Konflikt zerrieben wurden.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Robert Kahn bleibt der Pass vorenthalten
HHStAW 519/3 12272 (28)

So wurde das Mittel des Passentzugs sofort bei Robert Kahn angewandt. Die Polizei in Wiesbaden wurde zwar mit der Ausstellung des Passes beauftragt, der sollte aber nicht übergeben, sondern der Devisenstelle zugestellt und erst nach Beendigung der Erbauseinandersetzung ausgehändigt werden.[76] Am 13. April wurde der Pass dann an das amerikanische Konsulat nach Stuttgart geschickt, wo das notwendige Visum einzutragen war. Aber das Konsulat wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Pass nicht Robert Kahn, der dort am 20. April einen Termin hatte, ausgehändigt werden dürfe, sondern per Einschreiben an die Devisenstelle zurück geschickt werden müsse, woran sich die Botschaft offenbar prinzipiell hielt.[77] Allerdings gelangte der Pass zunächst nicht nach Frankfurt, sodass er im Mai angemahnt werden musste. Das Konsulat reagiert Ende Mai mit der Feststellung, dass das Dokument wie vereinbart vor vier Wochen abgeschickt worden sei. Ende Juni verwies nach erneuter Anfrage das Konsulat noch einmal auf die längst ergangene Rücksendung, nachdem man von Frankfurt aus eine Nachforschung beantragt hatte. Am 3. Juli 1939 gab dann die Devisenstelle zu, dass der Pass „infolge Irrlaufs“ erst jetzt aufgefunden worden sei.[78] Ein Vierteljahr war inzwischen verstrichen, wenngleich auch ein früheres Auffinden des Dokuments die Lage für Robert Kahn nicht wirklich verbessert hätte.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden,
Karte von Klara Feibelmann an die Zurückgebliebenen
HHStAW 519/3 12272

Aber nicht alle Devisenstellen und auch das Reichswirtschaftsministerium selbst verfuhren offensichtlich nicht nach der einmal ausgegeben Direktive. Bei seinem Besuch auf der Devisenstelle hatten Robert und sein Bruder Adolph Kahn eine Postkarte vorgelegt, die seine Tante Klara, die Witwe von Albert Feibelmann, am 5. April von der ‚Washington’ auf ihrer Überfahrt in die USA abgeschickt hatte. Entsprechend baten auch sie um die Freigabe ihres Erbes und die Möglichkeit zur Auswanderung. Darauf hin fragte die Devisenstelle Frankfurt in Ludwigshafen nach, wie es sein könne, dass Klara Feibelmann schon ausreisen konnte, wo doch eine Klärung der Erbauseinandersetzung noch völlig offen sei.[79]
Die Devisenstelle Ludwigshafen teilte der in Frankfurt mit, „im Benehmen mit dem Reichswirtschaftsminister“ sei ein Angebot der amerikanischen Testamentsvollstrecker angenommen worden, die Hälfte, also 6.000 Dollar, an die deutsche Golddiskontbank zu überweisen, wenn der Erbberechtigten die andere Hälfte in den USA zur Verfügung stehen würde. Nach Eingang des Geldes war Klara Feibelmann sofort ausgereist. Das entsprechende Visum war vermutlich schon vorher erteilt worden.

Am 9. Mai 1939 erschien der Rechtsanwalt Frank, der als Vertreter der Testamentsvollstrecker in den USA zu Verhandlungsführung in Deutschland beauftragt war, auf der Devisenstelle und unterbreitete das Angebot der amerikanischen Anwälte, dass die zur Dienststelle Frankfurt gehörigen Berechtigten auf ein Drittel der auf sie entfallenden Summe verzichten könnten und sie diese ersatzlos an die Golddiskontbank abführen würden. Die Geschwister Kahn hätten jeweils somit von ihren 1.000 Dollar etwa 660 Dollar behalten, Otto Feibelmann als Bruder hätte einen höheren Betrag – um die 8.000 Dollar – erhalten, In diesem Fall sei man zu weiteren Zugeständnissen bereit, etwa gemäß der Vereinbarung, die bei Klara Feibelmann getroffen worden sei.[80] Der Bearbeiter bei der Devisenstelle war bereit, diesen Vorschlag dem Reichswirtschaftsminister zu unterbreiten.

Etwa zeitgleich stellten die Geschwister offiziell Freigabeanträge für ihre Anteile, wobei derjenige mit den umfassendsten Erläuterungen von Otto Kahn gestellt wurde. Die übrigen schlossen sich diesem Schreiben an, ergänzten es nur noch im Hinblick auf persönliche Daten.

Otto Kahn erklärte seine Absicht, mit seiner Frau und seinem Kind nach Ecuador auswandern zu wollen. Er müsse zur Visumserteilung 800 Dollar vorweisen und benötige 200 Dollar zur Existenzgründung. Wenn ihm der Dollar-Betrag nicht zur Verfügung stehen würde, sei seine Auswanderung kaum möglich. Er verwies zudem darauf, dass es für Klara Feibelmann als einer allein stehenden Frau ein Leichtes gewesen sei, auf 6.000 Dollar zu verzichten, wenn ihr trotzdem noch die gleiche Summe blieb. Bei 1.000 Dollar sehe das aber ganz anders aus, zumal seine Geldmittel in Deutschland weitgehend erschöpft seien. Zudem verwies er auf die große Zahl der Ehrungen, die ihm als Soldat des Ersten Weltkriegs verliehen worden waren und die belegen würden, welche Opfer er für Deutschland schon erbracht hatte.[81]

Auch Frida bat darum, ihr den gesamten Anteil von 1/48 der Erbschaft zu belassen: „Ich bin ledig und stehe im 49. Lebensjahr und war seither im Haushalt meiner Brüder in Wiesbaden-Schierstein tätig, nach dessen Auflösung ich in Wiesbaden wohne.
Meine Mittel sind derart, dass ich nicht in der Lage bin, längere Zeit noch in Deutschland verweilen zu können. Andererseits bin ich gesundheitlich nicht so stark, um jede grobe Arbeit verrichten zu können, die an mich im Ausland herangetragen würde. Aus diesen Gründen habe ich die Erbschaft als eine letzte Hoffnung für mich betrachtet, im Auslande, bei meiner Notlage, mir eine bescheidene Existenz aufzubauen, zumal ich in Handarbeiten Fertigkeiten besitze.“
[82]

Robert wies darauf hin, dass er bereits im Besitz eines gültigen Visums sei und er so schnell wie möglich das Land verlassen wolle. Auch er erinnerte noch einmal an die ihm erteilten Kriegsauszeichnungen EK II und Verwundetenabzeichen.[83] Seine Ausreisevorbereitungen und die seiner Frau waren ohnehin schon recht weit gediehen. Das Umzugsgut war in der Wohnung der Schwiegermutter in Mainz zusammengestellt und auf einer Liste erfasst worden, die man am bereits am 5. April 1939 der Devisenstelle zur Kontrolle übergeben hatte. Sogar die Schiffspassage auf der ‚Bremen’ war gebucht und man beabsichtigter eigentlich am 19. Mai von Bremen aus nach Amerika zu fahren, wo als Kontaktperson in Milwaukee / Wisconsin der Bruder von Alice seit 18 Jahren wohnhaft war.[84] Die notwendigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen lagen der Devisenstelle ebenfalls bereits vor.[85] In ihrer Vermögenserklärung gab Alice Kahn an, nur 500 RM zu besitzen, die sie unbedingt für die Auswanderung benötige.[86]

Auch Ida Wehnert, die in Mischehe lebte, schloss sich den Anträgen an, schränkte allerdings ein, dass sie zur Zeit, da ihr Mann noch einen Arbeitsplatz habe, selbst nicht auszuwandern beabsichtige. Sie wolle sich aber die Möglichkeit dazu in der Zukunft weiterhin offen halten.[87]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Vermerkt in der Devisenstelle über ein Angebot des Rechtsanwalts Frank
HHStAW 519/3 (12272 (32)

In Anbetracht unzähliger absolut inhumaner Entscheidungen der Frankfurter Devisenstelle muss das Schreiben, das der mit der Angelegenheit betraute Sachbearbeiter an das Wirtschaftsministerium schickte, geradezu erstaunen. Er unterbreitete am 1. Juni 1939 den Vorschlag des Rechtsanwalts Frank und verwies auf die Vorgehensweise bei Klara Feibelmann, die man auch bei Otto Feibelmann anwenden könne. Bei den übrigen Erben halte er es für angebracht, die persönlichen Verhältnisse, nämlich fast völlige Mittellosigkeit, zu berücksichtigen. Er ging sogar soweit, dass man den Geschwistern den Wert des einbehaltenen Dollarbetrages in Reichsmark auszahlen solle.[88]
Offensichtlich hatten sich die Briefe überkreuzt, denn am folgenden Tag, dem 2. Juni, traf in Frankfurt die Genehmigung des Reichswirtschaftsministers ein, dass Otto Kahn „mit Rücksicht auf dessen Kriegsauszeichnungen bei der Ablieferung der Hälfte“ – statt Zweidrittel – „des ihm zustehenden Nachlassanteils“ ausreisen dürfe.[89]
Ende Juni fragte Rechtsanwalt Frank nach, ob man in Berlin eine Entscheidung bezüglich der anderen Geschwister getroffen habe.[90] Das war nicht der Fall. Nach telefonischer Rückfrage erhielt der Sachbearbeiter dann den Bescheid, dass, wie zuvor festgelegt, bei diesen Zweidrittel der Erbsumme einbehalten werden müsse. Das solle man auch den amerikanischen Testamentsvollstreckern mitteilen.[91]
Am 6. Juli 1939 wurde bei der Devisenstelle in Frankfurt zunächst ein Vermerkt bezüglich einer möglichen Lösung des Interessenskonflikts gemacht, bei dem der „Präzedenzfall“ Klara Feibelmann in die Überlegungen eingeschlossen wurde. Die vom Reichswirtschaftsministerium geforderte Zweidrittel-Abgabe wurde als eine „schwere Zurücksetzung“ der übrigen Erben angesehen. „Ich sehe jedoch“, notiert der Bearbeiter, „eine Möglichkeit, wenn wenigstens der RM-Gegenwert der abgelieferten Devisen den Erben belassen werden kann, soweit sie zur Bestreitung der Auswanderungskosten darauf angewiesen sind.“ Der Sachbearbeiter im Wirtschaftsministerium habe sich mit dieser Regelung einverstanden erklärt und die Devisenstelle bezüglich der Quote zu kleinen Zugeständnissen ermächtigt.[92]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Der Familie von Otto Kahn werden trügerische Hoffnungen auf eine mögliche Auswanderung gemacht
HHStAW 519/3 12272 (57)

Wenige Tage später, am 10. Juli, wurde Alice Kahn, der Ehefrau von Robert, bestätigt, dass Otto Kahn die Hälfte des Betrages verbleiben solle, bei den übrigen Erben aber die Zweidrittel-Regelung mit dem Zugeständnis der Überlassung eines entsprechenden RM-Betrags Anwendung finden müsse. Am folgenden Tag wurde dem Ministerium die beschlossene Vorgehensweise übermittel: Otto Kahn erhält 50 Prozent, der Devisen, etwa 500 Dollar, aber keinen Ersatz in RM. Robert Kahn, der weniger Kriegsorden vorweisen konnte, erhält 360 Dollar, bekommt aber soweit für die Ausreisekosten notwendig, zumindest eine teilweise Erstattung in Reichsmark. Die übrigen Geschwister müssen 2/3 ohne Erstattung abgegeben.[93]
Alice Kahn hatte bei ihrem Besuch in der Devisenstelle den Sachbearbeiter schon von einer neuen gesetzlichen Regelung in den USA in Kenntnis gesetzt, wonach nur noch ein sehr geringer Teil einer solchen Erbschaft den Erben entzogen werden dürfe. Dem Devisenklau der Deutschen Reichsbank war damit jetzt nicht mehr nur durch eine privatrechtliche Regelung in einem Testament, sondern durch staatliche Gesetzgebung eine Schranke gesetzt worden. Das wurde auch durch ein Schreiben des Rechtsanwalts Frank vom 13.Juli 1939 bestätigt. Noch bevor ein Plazet für den übermittelten Vorschlag aus Berlin in Frankfurt ankam, wies er darauf hin, dass auch diese Regelung kaum von den Testamentsvollstreckern in New York hingenommen werde. „Man darf nicht übersehen, dass die Erben in keiner Weise einen Anspruch auf Auszahlung haben und dass es vollkommen von dem Ermessen der Testamentsvollstrecker abhängt, ob sie mit den Vorschlägen des Herrn Reichswirtschaftsministers einverstanden sind.
Der Vertragspartner ist in all den Fällen nicht der evtl. in Deutschland in Frage kommende Erbe. Der Vertragspartner für den Herrn Reichswirtschaftsminister sind die Testamentsvollstrecker.“
Mit dem neuen Gesetz seien aber sogar diesen jetzt die Hände im Hinblick auf mögliche Kompromisse gebunden.[94]

Aus den USA hatte man nach der neuen gesetzlichen Regelung schon Anfang Juni geschrieben – unklar ist, wann der Brief, der nur in einer Abschrift existiert, von der Devisenstelle zur Kenntnis genommen werden konnte -, dass man sich auf keinen Fall auf einen Deal wie bei Klara Feibelmann mehr einlassen werde. Zu kleinen Kompromissen sei man zwar bereit, aber bei zu hohen Forderungen der deutschen Seite werde man das Geld beim Nachlassgericht hinterlegen. „In diesem Falle ist es selbstverständlich, dass die deutschen Behörden nie ein Teilchen davon bekommen.“[95] Die Geschwister Kahn waren damit endgültig zum Spielball amerikanischer und deutscher Behörden geworden. Auf seine erneute Nachfrage machte die Devisenstelle Rechtsanwalt Frank klar, dass eine Ausreise in jedem Fall erst erfolgen könne, wenn die Erbschaftssache endgültig abgeschlossen sei.
Anfang August 1939 unterbreitete Rechtsanwalt Frank der Devisenstelle und auch den amerikanischen Testamentsvollstreckern ein neues Angebot. Danach sollte jetzt Robert Kahn, der sich in einer wirtschaftlichen Notlage befände, 60 Prozent der Erbmasse behalten dürfen, die übrigen jeweils 50 Prozent. Inwieweit dies in RM-Beträgen erstattet werden könne, sollten weitere Verhandlungen ergeben.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Die Familie von Robert Kahn darf auswandern
HHStAW 519/3 12272 (80)

Ohne Bezugnahme auf die neue Situation hatte die für Adolph Kahn zuständige Devisenstelle in Köln am 1. August noch geschrieben, sie sei bereit, der Nachlassregelung zuzustimmen, wenn Zweidrittel, also 650 Dollar abgeliefert würden.[96] Inzwischen hatten sich die Testamentsvollstrecker mit der für Robert Kahn getroffenen Vereinbarung einverstanden erklärt und 400 Dollar an die Deutsche Bank überwiesen. So kam es, dass Robert Kahn und seiner Frau am 9. August ihre Reisepässe ausgehändigt wurden.[97] Am 11. August 1939 wurde die Dego-Abgabe für neuwertige Güter in Höhe von 275 RM beglichen [98] und am 17. August 1939 konnten sie das Schiff besteigen, dass sie in Sicherheit brachte.[99]

Zu welcher Entscheidung man in New York bezüglich der übrigen Erben gekommen war, blieb trotz verschiedener Anfragen von Rechtsanwalt Kahn weiterhin offen. Inzwischen hatte sich in New York Robert Kahn mit den dort zuständigen Rechtsanwälten getroffen, um von dort aus die Ausreise der Geschwister zu forcieren. Aber auch der konnte keine Klärung in der Frage erreichen, welche Devisensumme man bereit war, nach Deutschland zu überweisen. Rechtsanwalt Frank schlug vor, dass man vorab 400 Dollar überweisen solle, vielleicht würden sich die deutschen Behörden damit zufrieden geben. Robert selbst hatte inzwischen die Bürgschaft von Verwandten erhalten, mit der zumindest die Kosten der Überfahrt von Otto Kahn und seiner Familie, die in Dollar bezahlt werden musste, finanziert werden konnte. Ob auch die anderen Geschwister noch entsprechende Pläne hegten, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Es scheint aber, als habe nur Otto Kahn inzwischen in Stuttgart einen Visumsantrag für die USA gestellt, hatte allerdings eine Wartenummer um 18000 erhalten.[100] Welche Wartezeit mit dieser Nummer verbunden war, ist heute nur schwer zu beurteilen. Offenbar hatte aber Adolph Kahn zuvor ebenfalls einen Visumsantrag in Stuttgart gestellt, denn auf seiner Fahrt nach Stuttgart hatte er am 4. März 1940 in Frankfurt bei der Devisenstelle in der Hoffnung vorgesprochen, die Freigabe des Geldes zu erreichen. Das amerikanische Konsulat habe eine Bar-Bürgschaft von 3.000 Dollar gefordert, die aber nur zum Teil von amerikanischen Verwandten gestellt werden könne. Von den ihm zustehenden 1.000 Dollar würde er unbedingt 700 Dollar benötigen, um diese Summe aufbringen zu können. In dem Gesprächsvermerk notierte der Sachbearbeiter anschließend: „Kann es verantwortet werden, die Überweisung eines Dollarbetrages von 4-500,– zu fordern ohne Aussicht, dass nur ein Dollar nach dem Inland überwiesen wird, sodass die Auswanderung des Juden Adolf Kahn in Frage gestellt wird, oder ist es volkswirtschaftlich richtiger, einen Betrag von Dollar 300.—nach Deutschland zu verbringen, um so die Auswanderung des Kahn zu ermöglichen?“[101]

Offensichtlich hatte dann der Sachbearbeiter, ein Herr Stippler, eigenmächtig die Angelegenheit in die Hand genommen und Adolph Kahn aufgefordert, die Testamentsvollstrecker in den USA zu bitten, sofort 300 Dollar nach Deutschland zu überweisen, dann werde ihm der Restbetrag unter der Bedingung, dass er tatsächlich ausreisen werde, zur Vervollständigung seiner Bürgschaft überlassen bleiben.[102] Danach ging es relativ schnell, Briefe, Telefongespräche und Kabel zwischen den verschiedenen Akteuren hatten zur Folge, dass Adolph Kahn am 8. Mai 1940 einen Termin im amerikanischen Konsulat zur Visumserteilung erhielt. Vermutlich verließen sie Deutschland dann Mitte August. Auf der Gestapokarteikarte von Robert Kahn heißt es, dass der „Ehemann am 10.8.39 nach U.S.A. Milwauke (!) ausgewandert“ sei. Daneben ist bei Alice zwar zu lesen „lebt in Mainz“, aber man kann davon ausgehen, dass sie damals die Reise gemeinsam antraten. Am 11. September 1940 betraten beide zusammen in Seattle amerikanischen Boden. Sie müssen wohl eine längere Odyssee hinter sich gebracht haben, denn sie waren in die am Pacific gelegene Stadt im Staat Washington mit dem Schiff ‚Yawata Maru’ von der japanischen Hafenstadt Yokohama aus eingelaufen, hatten womöglich Deutschland in östliche Richtung verlassen.[103] Von Seattle zogen auch sie nach Milwaukee, wo auch die verschiedenen anderen Mitglieder der Familie, u.a. inzwischen auch Robert Kahn, sich niedergelassen hatten.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Robert Kahn
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104065_00140?treeid=&personid=&hintid=&queryId=6fe9f7025ba5ff455d153187fb083603&usePUB=true&_phsrc=Ekt2210&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=113547&lang=de-DE
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104065_00140?treeid=&personid=&hintid=&queryId=6fe9f7025ba5ff455d153187fb083603&usePUB=true&_phsrc=Ekt2210&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=113547&lang=de-DE
Alice Kahn, geb. Wendel
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104073_00057?treeid=&personid=&hintid=&queryId=6fe9f7025ba5ff455d153187fb083603&usePUB=true&_phsrc=Ekt2214&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=120088&lang=de-DE

In Frankfurt war noch vor der Abreise von Adolph Kahn ein Bericht für das Reichswirtschaftsministerium über den Stand der Angelegenheit verfasst worden, in dem zunächst festgestellt wurde, dass man bisher keinen Erfolg damit gehabt habe, den gesamten Erbschaftsbetrag als Devisen nach Deutschland zu bringen. Im Weiteren wurden die Lösungen dargelegt, die man im Fall von Robert und Adolph Kahn gefunden hatte, um überhaupt einen gewissen Teil des Dollarbetrages zu erhalten. Mit Otto Feibelmann habe man sich ebenfalls bereits geeinigt, dass er von seinen zu erwartenden 8.000 Dollar nur 3.000 Dollar behalten dürfe, was angesichts der insgesamt großen Summe von diesem akzeptiert wurde, ob auch von den amerikanischen Testamentsvollstreckern blieb offen. Bei den übrigen Erbberechtigten müsse man von Fall zu Fall entscheiden, da es auf die Bereitwilligkeit der Testamentsvollstrecker ankäme, welche Lösung da jeweils gefunden werden könne. Man bat das Wirtschaftsministerium, sich mit den getroffenen Entscheidungen, die ja schon zumindest teilweise in die Tat umgesetzt worden waren und eigentlich gegen die Vorgabe des Ministers verstießen, im Nachhinein einverstanden zu erklären. Der Bericht enthält am Ende, datiert mit dem 28.6.1940, noch einen handschriftlichen Vermerk, laut dem er in dieser Form nicht herausgegeben werden dürfe und in einer Neufassung hervorgehoben werden müsse, „dass eine gleichmäßige Behandlung der kleinen Erbanteile zweckmäßig sei“ [104].

Ein ausführliches Schreiben an das Ministerium war dann aber erst im Dezember verfasst worden, nachdem zuvor ein Gespräch mit einem Vertreter der inzwischen auch eingeschalteten Reichsbank zustande gekommen war. Dieser hatte der Devisenstelle die Devisenlage des Reiches dargestellt und auf das erhebliche Interesse des Reiches an der Erlangung von Dollarbeträgen hingewiesen. Er hatte weiter davon berichtet, dass bei der Reichshauptbank im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister und der Behörde des Vierjahresplans eine Sonderabteilung eingerichtet worden sei, die sich um die Hereinbringung von amerikanischen Erbschaften bemühe.[105]

Im Weiteren wurde von der Devisenstelle erneut erläutert, mit welchen Problemen man bei der Realisierung des vorgegebenen Ziels der Devisenbeschaffung im vorliegenden Fall Feibelmann / Kahn konfrontiert war und ist. Devisen werde man nur erhalten, wenn die Auswanderungen tatsächliche gelängen. Dies werde aber einerseits durch den Kriegsausbruch immer schwierigen, andererseits auch durch die restriktiven Bestimmungen der amerikanischen Gesetzgebung verunmöglicht, solange das Deutsche Reich an seinen Forderungen festhalte. Von den auswanderungswilligen Erben besäße keiner ein wesentliches inländisches Vermögen, weshalb diese auf die Erbschaft zur Finanzierung der Auswanderung, die in Dollar aufgebracht werden müsse, selbst angewiesen seien. Es sei zudem nicht davon auszugehen, dass die Testamentsvollstrecker mehr Dollar nach Deutschland überweisen würden, als für die Überfahrt gebraucht würden.[106] Welche Konsequenzen die offensichtlich jetzt zuständige Sonderabteilung der Reichsbank aus dem Bericht zog, blieb offen. Auf eine Nachfrage der Devisenstelle Mitte Februar 1941wurde geantwortet, eine entsprechende Stellungnahme läge noch nicht vor. Auf eine weitere Anfrage einen Monat später erfolgte die gleiche Antwort. Im Mai 1941 teilte die Reichsbankstelle Frankfurt dann der Devisenstelle mit, dass die Devisenabteilung der Deutschen Reichsbank in Berlin nach einer Klärung mit dem Reichswirtschaftsministerium um eine Anweisung über das weitere Vorgehen gebeten habe. Die beiden Stellen hatten zwar konferiert, waren aber nur zu dem Ergebnis gekommen, dass man den Rechtsanwalt Frank bitten wolle, bei seinem nächsten Besuch in Berlin sich zu einem gemeinsamen Gespräch einzufinden. Sobald es weitere Neuigkeiten gäbe, werde man sich melden. Anfang September fragte die Devisenstelle bei der Reichsbank erneut an, ob es vielleicht im Laufe des letzten halben Jahres zu dem Gespräch gekommen sei, worauf diese antwortete, dass man nichts Neues erfahren habe. Am 15 September erhielt man dann in Frankfurt die Nachricht, das Gespräch habe doch schon am 24. Mai stattgefunden, und es sei beschlossen worden, dass den Erben 65 Prozent ihres Anteil belassen würden, sofern der Restbetrag in Form von Devisen entschädigungslos dem Reich überwiesen würde.[107]

Die Entscheidung hatte Rechtsanwalt Frank nach eigenen Angaben nach New York übermittelt, habe danach viermal um eine Antwort nachgefragt, aber bis zum 6. Dezember 1941 keine Reaktion von dort erfahren.[108] Wenige Tage später traten die USA nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Habor in den Zweiten Weltkrieg ein, womit alle auch noch so kleinen Hoffnungen auf eine Ausreise zunichte wurden. Am 15. Dezember 1941 wurde auf der Rückseite des letzten an die Devisenstelle gerichteten Schreibens des Rechtsanwalts Frank notiert:

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Moargot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Das Ende aller Hoffnungen
HHStAW 519/3 12272 (114)

„Vermerk: Devisenrechtliche Zuwiderhandlungen liegen nicht vor. Der sachlichen Entscheidung des RMW ergibt sich aus dem Erlaß vom 10.7.1941 (Bl. 113) Tatsächlich ist ein  Deviseneingang wegen des inzwischen ausgebrochenen Krieges mit den USA nicht zu erwarten.“[109]
Weil es „nichts weiter zu veranlassen“ gebe, wurde die Akte geschlossen und damit war auch das Schicksal der Geschwister Kahn besiegelt, denen die Ausreise bisher nicht gelungen war.

Wo ist – natürlich vor dem Hintergrund der nur sehr begrenzten Möglichkeiten, die der NS-Staat zuließ – die Schuld für das Scheitern der Flucht zu suchen. Auch hier spielte die Bürokratie, die undurchsichtigen, sich überlagernden Kompetenzen der verschiedenen Behörden, eine wichtige Rolle. Und all das angesichts der damals beschränkten Möglichkeiten der Kommunikation, sodass Briefe verloren gingen oder fehlende Antworten zu spät entdeckt wurden, Pässe als Irrläufer wochenlang unterwegs waren, wo doch der Zeitdruck bei all diesen Prozessen von zentraler Bedeutung war. Man muss allerdings zugeben, dass die Mitarbeiter der Devisenstelle vor dem Hintergrund ihrer nur sehr begrenzten Möglichkeiten alles taten, um Kahns die Ausreise zu ermöglichen. Man gewinnt sogar den Eindruck, dass es ihnen dabei weniger um die Devisen als um das Leben der Menschen ging. Haben Otto Kahn und seine Schwestern zu lange gezögert, den Ernst der Lage nicht erkannt ? Hatte Otto Kahn zu lange auf eine Auswanderung nach Südamerika gesetzt, weil die Erlangung eines US-Visums vielleicht als noch komplizierter angesehen wurde als die Übertragung zumindest eines ausreichenden Dollarerbteils für die Einreise in ein anderes Land? Aber letztlich hatten er und seiner Schwestern keine wirklichen Optionen. Die waren weitgehend beschränkt durch die gut gemeinte Entscheidung der Testamentsvollstrecker in den USA bzw. zum Schluss auch des amerikanischen Staates selbst, den jüdischen Auswanderern von dem ererbten Dollarvermögen in jedem Fall möglichst viel zu ihrem Nutzen zu sichern. Tragischerweise bestand deren Einsatz bei diesem Pokerspiel der Kontrahenten, in das sie selbst nicht aktiv eingreifen konnten, in ihrem eigenen Leben. Und am Schluss hatten sie das Spiel verloren.

In diesen Jahren des Hoffens und Bangens seit 1938 wurde die Schlinge allmählich immer enger gezogen. Konnte Otto Kahn Anfang 1939 noch über einen Freibetrag von monatlich 500 RM verfügen, so wurde dieser im April auf 300 RM heruntergesetzt.[110] Man hatte von ihm auch eine Vermögensaufstellung verlangt, laut der er noch knapp 10.000 RM besaß. Impliziert war darin aber auch sein Erbanspruch über 1.000 Dollar, sprich 3.000 RM, sodass er faktisch über weit weniger verfügte. Immerhin durften Kahns fast bis zum Ende in der Wohnung in der Schiersteiner Wilhelmstr. 44 bleiben. Erst unmittelbar vor dem Deportationstag am 1. September wurden sie noch in ein innerstädtisches Judenhaus umgesiedelt, wobei nicht einmal klar ist, in welches. Laut ihrer Gestapokarteikarte waren sie am 25. August umgezogen. Neben dem Datum steht zunächst die Adelheidstr. 94, unmittelbar darunter die Herrngartenstr. 11, mit der sie auch auf der Deportationsliste eingetragen sind. Ob sie in den wenigen Tagen tatsächlich noch ein weiteres Mal die Wohnung wechselten oder ob es sich um eine Fehleintragung handelt, lässt sich nicht mehr klären.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden,
Walther Daniel Kahn um 1940
Archiv Aktives Museum Spiegelgasse

Mit ihnen zogen auch die Eltern von Emilie Kahn, Isak und Hilde Teutsch, in das dortige Judenhaus ein. Auch bei ihnen ist auf der Karteikarte neben der Herrngartenstr 11 das Haus in der Adelheidstr. 94 eingetragen. Am Schabbat vor dem 1. September hatten sich Teutschs, Otto Kahn, seine Frau Emilie und ihr fünfjähriger Sohn Walter in der Synagoge in der Friedrichstraße einzufinden, wo die Formalitäten des Abtransports und die letzten Eigentumsübertragungen erledigt wurden. Auch Otto Kahn hatte man offensichtlich noch dazu gebracht, einen so genannten Heimeinkaufsvertrag abzuschließen, der der Familie in Theresienstadt einen Lebensabend ohne Armut sichern sollte. Letztlich sicherte sich damit aber nur die SS ihren eigenen Anteil an der Beute, bevor der Reichsfiskus durch die Anordnung des Vermögensverfalls sich des übrigen Vermögens bemächtigte. Zumindest gibt es einen Beleg, nach dem am 8. September 1942, also eine Woche nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hatte, ein Betrag über 2.317 RM beim Berliner Bankhaus H. Tecklenburg einging, das diese Gelder für die SS einsammelte und verwaltete.[111]

Am grauen Morgen des 1. September wurde der Zug der etwa 350 Juden, Frauen, Männer und wenige Kinder durch die Straßen Wiesbadens von der Synagoge zur Viehverladestation am Bahnhof getrieben. Nur wenige Bilddokumente solcher Deportationen aus Deutschland sind überhaupt erhalten geblieben. Von diesem Morgen gibt es solche Bilder, die der Wiesbadener Fotograf Rudolph möglicherweise im Auftrag der Gestapo damals anfertigte. Eines dieser Bilder zeigt Otto Kahn, das Bündel mit dem Gepäck tragend, sein Frau Emilie mit dem kleinen Walter an der Hand, kurz vor dem Besteigen des Zuges.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden,
Otto Kahn mit seiner Frau Emilie und dem Sohn Walter auf der Wiesbadener Viehladestation
Mit Genehmigung des Aktiven Museums Spiegegasse, Wiesbaden

Natürlich gab es die versprochene Versorgung und das Heim in Theresienstadt nicht, sondern nur ein Leben unter völlig menschenunwürdigen Bedingungen. Von daher grenzt es schon an ein Wunder, dass es der Familie gelang, dort zwei Jahre zu überleben. Nachrichten, wie ihr das gelang, liegen nicht vor. Am 2. September 1942 wurden sie mit einem Transport, einem der so genannten „Herbst-“ oder auch „Liquidationstransporte“, der etwa 2500 Menschen umfasste, von Theresienstadt nach Auschwitz gebracht. Vermutlich wurden Walter und seine Mutter Emilie Kahn etwa vier Wochen später für den Tod in der Gaskammer selektiert. Ihr Todestag ist in den einschlägigen Listen mit dem 4. Oktober 1944 angegeben.[112] Zu Otto Kahn enthält sowohl das Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz als auch die Opferliste von Yad Vashem den absurden Eintrag, wonach er verstorben war, bevor er nach Auschwitz transportiert wurde. Als sein Todestag ist dort jeweils der 31. Dezember 1943 genannt, zugleich wird gesagt, dass er am 28. September 1944 nach Auschwitz gekommen sei.[113] Die Wiesbadener Opferliste und auch der Stolperstein, der vor dem Haus in der Wilhelmstr. 44, heute Reichsapfelstr. 15, liegt, gibt als Datum den 28. September 1944 an, also den Tag, an dem der Zug Theresienstadt verließ. Er ereichte sein Ziel aber erst am folgenden Tag. Worauf die Datierung gründet, ist nicht klar, denn nach Gottwaldt / Schulle wurden von diesem Transport zwar zunächst nur drei Zwillingspaare von Mengele registriert, aber ein Viertel der Ankommenden in das Durchgangslager Birkenau eingewiesen, von wo viele wiederum später in andere Lager überführt wurden. Zwischen 380 und 480 von den Eingelieferten dieses Transports haben Auschwitz vermutlich sogar überlebt.[114] Dass Otto Kahn auf Grund seiner Kriegsverletzungen aber kaum mehr zu „gebrauchen“ war, wird Mengele auf der Rampe von Auschwitz sicher sofort erkannt haben und ihn unmittelbar der Gruppe der Todgeweihten zugeteilt haben, weshalb einiges für das Todesdatum 29. Oktober 1944 spricht.

Otto Kahn, Walter Kahn, Emilie Kahn, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Wiesbaden Schierstein
Stolpersteine für die Familie Kahn in der ehemaligen Wilhelmstr. 44 , der heutigen Reichsapfelstr. 15 in Wiesbaden Schierstein
Eigene Aufnahme

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Geldverwaltungskarte für Dr. Fritz Klein aus Buchenwald
https://collections.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1178/133386852/001.jpg

Auch seine Schwester Irma konnte sich mit ihrer Familie nicht retten. Nach ihrer Eheschließung mit dem Zahnarzt Dr. Fritz Kahn und der Geburt ihres Kindes Erich Mark, waren sie zu einem nicht bekannten Zeitpunkt von ihrem bisherigen Wohnort Egelsbach weggezogen. Ob sie zunächst noch eine Zeit in Frankfurt lebten, wo der Sohn zu Welt gekommen war, konnte nicht geklärt werden. Spätestens seit 1938, aber wahrscheinlich schon früher, hatten sie sich in Mainz niedergelassen. Die erste bekannte Adresse war dort die Kaiserstr. 26.[115] In den Dokumenten über die Auseinandersetzung um das amerikanische Erbe wurden Irma und Fritz Kahn nur zweimal am Rande erwähnt, da für sie nicht die Devisenstelle in Frankfurt, sondern die in Darmstadt zuständig war. Ein Freistellungsantrag, der in Frankfurt eingegangen war, wurde am 1. Juni 1939 dorthin übermittel.[116] Die Gründe, weshalb für die Familie keine Lösung, wie etwa für Robert oder Adolph Kahn gefunden wurde, sind nicht bekannt.
Als im Mai 1939 der NS-Staat eine „Volkszählung“ veranstaltete, dabei auch eine besondere „Judendatei“ erstellt wurde, wohnten Kahns noch immer in der Kaiserstraße, jetzt aber im Erdgeschoss des Hauses 21. In ihrer Wohnung lebte auch ein Adolf Kahn, geboren am 25. Juni 1864 in Wöllstein, vermutlich ein naher Verwandter von Fritz Kahn, vielleicht sogar sein Vater. Er verstarb am 2. Mai 1941 und blieb damit von den Deportationen verschont.[117] Insgesamt wohnten in dem Haus bereits im Mai 1939 fünfzehn jüdische Personen, weshalb man vermuten kann, dass es sich auch hier zumindest faktisch um ein Judenhaus handelte. Wie viele in den folgenden Monaten noch hinzukamen, ist nicht bekannt. Irma und Fritz Kahn sowie ihr Sohn Erich mussten zu einem ebenfalls nicht bekannten Zeitpunkt aber noch in das auch als solches deklarierte Judenhaus in der Admiral Karrillonstr. 54 umziehen, von dem aus sie am 30. September 1942 mit etwa fünfzig anderen Bewohnern deportiert wurden,[118] offiziell als „Wohnsitzverlegung nach dem General-Gouvernement“ bezeichnet. Weder Todeszeitpunkt, noch –ort sind bekannt, aber es wird vermutet, dass der Zug am 2. Oktober Treblinka erreichte und die Insassen umgehend in den dortigen Gaskammern ermordet wurden. Der Todestag wurde nach dem Krieg auf den 8. Mai 1945 festgesetzt.[119] Fälschlicherweise ist für Irma Kahn auf den Inschriften des Mahnmals am Michelsberg Auschwitz statt Treblinka als Ort ihrer Vernichtung angegeben.

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Fehlerhafter Eintrag an der Gedenkstätte für Irma Kahn
Eigene Aufnahme

Im Transport vom 30. September 1942 saß auch Irma Kahns Schwester Sophie mit ihrem Mann Alfred May und dem am 10. August 1925 in Mainz geborenen Sohn Ernst Josef.[120] Auch sie hatten eigentlich darauf gebaut, mit Hilfe der amerikanischen Erbschaft auswandern zu können und waren stattdessen im Gas von Treblinka umgekommen.
Nach ihrer Heirat 1921 und der sich allmählich stabilisierenden wirtschaftlichen Lage sah es so aus, als würde das Leben auch für sie eine gute Entwicklung nehmen. Die Geburt des Sohnes und der berufliche Erfolg des Ehemanns schienen das zu versprechen. Der Sohn besuchte zunächst wie alle Kinder die Gonsenheimer Volksschule und ihr Mann hatte als Prokurist bei der Gonsenheimer Schuhfabrik ‚Weis und Co.’ eine gute und einträgliche Stellung. Er verdiente offensichtlich so gut, dass man sich entschloss, in der Gonsenheimer Jahnstr. 18 mit einem weiteren Prokuristen der Firma gemeinsam ein Doppelhaus zu errichten. Im April 1928, also nur eineinhalb Jahre bevor die Weltwirtschaftskrise auch Europa und das kleine Gonsenheim erreichte, erhielten sie die Baugenehmigung. In der Krise wurde der Arbeitgeber von Alfred May insolvent und er verlor seine Stellung und damit auch das Einkommen für die Familie. Möglicherweise war das der Grund dafür, dass das Haus am 23. April 1939 für einen wohl deutlich zu geringen Preis von etwas mehr als 16.000 RM verkauft werden musste. Die „Vermittlung“ hatten nämlich NSDAP-Funktionsträger übernommen. Vermutlich waren Mays auch darauf angewiesen, Vermögen für die Judenvermögensabgabe liquide zu machen, vielleicht spielte aber auch die geplante Auswanderung beim Verkauf des Hauses eine Rolle. Als die Devisenstelle im Dezember 1940 zusammenstellte, wer von den Feibelmann-Erben noch in Deutschland lebte und wer inzwischen ausgewandert war, sind auf dieser Liste Mays mit der Adresse Gonsenheim, Heidesheimer Str. 20 vermerkt.[121] Sie hatten demnach inzwischen ihr ehemaliges Haus verlassen müssen. Mindestens ein weiteres Mal mussten sie danach noch umziehen. Auch sie wohnten zuletzt in einem Mainzer Judenhaus, nämlich in dem in der Admiral Karrillon Str. 13. Nach der Deportation am 30. September 1942 blieben sie verschollen. Ihre Asche wurde aber vermutlich in Treblinka vergraben. Am 18. Juli 1948 wurden sie vom Amtsgericht Mainz für tot erklärt. Als Todestag wurde der Tag der Deportation festgesetzt.

 

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Einbürgerungsantrag von Robert Kahn
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104065_00140?treeid=&personid=&hintid=&queryId=6fe9f7025ba5ff455d153187fb083603&usePUB=true&_phsrc=Ekt2210&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=113547&lang=de-DE
Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Einbürgerungsantrag von Alice Kahn
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104073_00057?treeid=&personid=&hintid=&queryId=6fe9f7025ba5ff455d153187fb083603&usePUB=true&_phsrc=Ekt2214&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=120088&lang=de-DE

Robert Kahn und seine Frau hatten am 17. August 1939, knapp zwei Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, in Hamburg die ‚New York’ bestiegen, die sie etwa eine Woche später, es war der 25. August, genau in die Stadt mit diesem Namen bringen sollte.[122] Die erste Zeit in den USA muss auch für sie schwer gewesen sein. Sie wurden zunächst von Roberts Schwester Else unterstützt, erst ab 1941 bezog Robert als Arbeiter in einer Häutehandlung ein bescheidenes Einkommen. Nur allmählich gelang es ihm, einen Lebensstandard zu erreichen, der vergleichbar mit dem früheren in Deutschland war.[123] Sie hatten sich ebenfalls in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin niedergelassen, wo Alice Kahn am 24. August 1978 verstarb.[124] Robert war bereits am 9. Januar 1960 dort verschieden.[125]

Adolph Kahn besuchte nach dem Krieg noch mehrfach mit seiner Frau Europa, so etwa im Jahr 1952.[126] Anlass für diese Reisen könnten die nur wenig erfreulichen Entschädigungsverfahren gewesen sein.[127] So schrieb er am 9. Mai 1961 an die Behörde, nachdem er noch einmal darauf aufmerksam gemacht hatte, dass fünf seiner Geschwister im Konzentrationslager ermordet wurden: „Wer soviel Opfer, wozu noch die Kinder der Ermordeten hinzukommen, der Verfolgung zuzuschreiben hat, abgesehen von meiner eigenen Verfolgung, verbittet sich ganz entschieden derartige Ungezogenheiten, wie sie in Absatz 4 des vorgenannten Schreibens [es ging um fehlende Belege – K.F.] enthalten sind. (…) Das ist Unrecht und Unrecht lasse ich nicht mehr aufkommen. Ich bitte endlich anstelle von Redensarten, Tatsachen und Durchführung der Tatbestände vorzunehmen, damit diese alte Sache weitergeht.“[128]
Vielleicht waren diese vielen Aufregungen und Ärgernisse mitverantwortlich für seinen frühen Tod . Adolph Kahn verstarb am 28. März 1966 mit 61 Jahren in Milwaukee, seine Frau Helen überlebte ihn um mehr als 20 Jahre. Sie verstarb ebenfall dort am 15. Mai 1987.[129]

Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Todesanzeige für Adolph Kahn
http://www.familienbuch-euregio.de/genius/php/showFoto.php?tab=1&sub=PublicAll&bar=0&sid=1869fc5dfe488f97cd18155e755a5c41&paid=19598&rx=1920&ry=1080
Frida Kahn, Otto Kahn, Emilie Kahn Teutsch, Sophie Kahn May, Alfred May, Ida Kahn Wehnert, Robert Kahn Alice Kahn Wendel, Irma Kahn, Dr. Fritz Kahn, Else Kahn, Alfred Sommer, Adolph Kahn, Helene Kahn Heumann, Walter Kahn, Ernst Josef Kahn, Margot Margarete Kahn, Lotte Kahn, Edith Kahn, Wiesbaden Schierstein, Judenhaus Herrngartenstr. 11, Querstr. 6, Daniel David Kahn, Emma Feibelmann Kahn, Judenhäuser Wiesbaden
Grabstein für Adolph und Helen Kahn in Milwaukee
https://images.findagrave.com/photos/2015/77/143919797_1426803645.jpg

Else Sommer, die Schwester von Robert und Adolph, die als erste der Geschwister nach Amerika gelangt war und auch die Todesanzeige ihres Bruders unterzeichnet hatte, lebte ebenfalls mit ihrer Familie in Milwaukee. Auch ihr Mann Alfred war bereits am 1. August 1967 entschlafen, während sie selbst erst am 9. März 1999 verstarb.[130] Welchen weiteren Lebensweg ihre drei Kinder Margot Margarete, Lotte und Edith nahmen, ist nicht bekannt.

 

Veröffentlich: 12. 03. 2021

 

 

<< zurück                              weiter >>


 

Anmerkungen:

[1] Zu Otto Kahn und seiner Familie hat das Aktive Museum Spiegelgasse auch ein Erinnerungsblatt herausgebracht, siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Kahn-Otto.pdf. (Zugriff: 3.3.2021). Im folgenden Artikel wird nur am Rande auf die beiden Schwestern Frida und Ida Kahn eingegangen, die Eigentümerinnen des Judenhauses in Schierstein, Querstr. 6, waren. Ihnen wird deshalb ein eigener Artikel gewidmet. Ebenfalls sei hier auf den Artikel über die Eltern von Emilie Kahn, Isak und Hilde Teutsch, verwiesen, die zuletzt ebenfalls im Judenhaus in der Herrngartenstr. 11 wohnen mussten.

[2] Angaben nach Zivilstandsregister Schierstein, bearbeitet von Fritzsche, Wolfgang, 2000. Es heißt darin: 7.4. „Tag der Trauung: 7.7.1819
DANIEL KAHN, geb. 1783 zu Schwiesau in Böhmen, Schutzjud und Vorsänger derJudengemeinde zu Schierstein.
E: Philipp Kahn und Esther, Oberrabbiner zu Schwiesau in Böhmen.
SARA, geb. 1800 zu Schierstein. Jüdischer Religion, ledigen Standes, zu Schierstein.
E: Maier Abraham und Meta, mosaischer Schutz- und Handelsjud zu Schierstein.
Der Copulierende: Heium Abraham, Rabbiner zu Wiesbaden.“

Allerdings konnte von mir keine Gemeinde Schwiesau in Böhmen gefunden werden, sondern nur Schwiesau in der Altmark im Amt Neuendorf.
Die Linie der Ehefrau Sarah Maier lässt sich sogar noch zwei Generationen weiter zurückverfolgen. Ihr Großvater war der 1798 in Schierstein verstorbene Benjamin Wolf. Siehe dazu auch den Stammbaum der Familie Baum. Hier wird deutlich, wie groß die Bedeutung der Familie Kahn auch über Schierstein hinaus für das gesamte Wiesbadener Judentum war, siehe https://www.thekesters.net/Genealogy/Baum.html. (Zugriff: 3.3.2021).

[3] Abraham Salomon Kahn verstarb am 7.2.1901 in Schierstein, seine Frau Regina war bereits am 14.6.1883 verstorben, siehe Sterberegister Schierstein 9 / 1901 und 24 / 1883

[4] Daniel David Kahn war am 31.7.1859 in Schierstein geboren, siehe Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.

[5] Heiratsregister Meddersheim 16 / 1889.

[6] HHStAW 685 345 (30). Es gab auch in der Stadt Wiesbaden seit dem 19. Jahrhundert eine Firma ‚Gebr. Kahn, die ebenfalls mit Häuten, Fellen handelte und eine Talkschmelzerei in der Schlachthofstr. 23 besaß. Ob es eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen diesen beiden Kahn-Familien gab, konnte nicht ermittelt werden.

[7] Sterberegister Schierstein 9 / 1901.

[8] Ebd. Er war mit 45 Prozent am Gewinn des Unternehmens beteiligt.

[9] HHStAW 518 8365 (18, 64, 101).

[10] Faber / Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 109.

[11] Die Geburtsangaben alle nach Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.

[12] HHStAW 519/3 12272 (35).

[13] HHStAW 519/3 12272 (40).

[14] Siehe das Bild von Otto Kahn auf dem Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für Otto Kahn, siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Kahn-Otto.pdf. (Zugriff: 3.3.2021).

[15] Sterberegister Schierstein 13 /1930, dazu HHStAW 518 8365 (16, 30).

[16] Moritz Hermann starb am 2.8.1932, seine Frau Mathilde Hermann war bereits am 8.7.1922 verstorben.

[17] HHStAW 685 345 (12).

[18] Siehe hierzu HHStAW 467 1483 (passim), auch Faber / Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 109 f.

[19] HHStAW 467 1483 (63).

[20] Heiratsregister Schierstein 44 / 1921. Alfred May war am 25.4.1885 in Mainz geboren worden. Seine Mutter war bereits 1916 verstorben, sein Vater starb 1937, siehe Landesarchiv Speyer J10 3010.

[21] Heiratsregister Schierstein 1 / 1925.

[22] HHStAW 685 345 (79).

[23] https://www.mappingthelives.org/bio/ed74dd7b-6095-49d0-a193-f98d04a3c9b2. (Zugriff: 3.3.2021)

[24] Heiratsregister Venningen 1 /1936.

[25] Geburtsregister Venningen 7 / 1905.

[26] Geburtsregister Mainz 1252 / 1937.

[27] Ebd. (94).

[28] HHStAW 518 783 (67).

[29] HHStAW 518 8365 (61).

[30] Ebd.

[31] Ebd. (17).

[32] HHStAW 518 783 (10).

[33] Ebd. (63 f.). Der Ertrag von fast 4.000 RM im Jahr 1938 ist sicher durch Verkäufe im Zuge der Liquidierung des Unternehmens begründet.

[34] HHStAW 518 8365 (17).

[35] HHStAW 519/3 18430 (4).

[36] RGBl. 1938 I S. 1580. Siehe dazu Barkai, „Entjudung“, S. 137-144, der zurecht betont, dass das Dekret nur noch der formale Abschluss eines seit langem laufenden Arisierungsprozesses war.

[37] Siehe dazu Ausführungen im Kapitel Löwenthal. Siehe zum Nachkriegsverfahren das Urteil des Landgerichts Wiesbaden, II Kammer, 2 KLs 4/46. Wesentliche Auszüge sind in einer Abschrift enthalten, in: Die Jüdische Gemeinde Schierstein, hg. Verein Wiesbadener Museum der Neuzeit, zusammengestellt von Lothar Bembenek, Wiesbaden 1985, siehe zu den Ereignissen in Schierstein auch Bembenek, November 1938, S. 99-102.

[38] Bembenek, Die Jüdische Gemeinde Schierstein, S. 4-6.

[39] HHStAW 518 8365 (61).

[40] Pickard war zu 5 Jahren, Heberle zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

[41] HHStAW 518 8365 (64).

[42] Ebd. (73).

[43] HHStAW 518 783 (14).

[44] HHStAW 518 8365 (241). Die Entschädigungsbehörde wertete die Angaben dennoch nicht für glaubhaft, da die Familie Kahn nur im ersten Stock gewohnt habe, sie aber auch zerstörte Möbel aus dem Parterre als Schaden angegeben habe. Auch sei aus der Tatsache, dass es sich zum Teil um Erbstücke gehandelt habe, zu schließen, dass sie gebraucht und wohl abgenutzt gewesen seien, somit der angegebene „Wert der zerstörten Gegenstände weit übersetzt“ sei, also zu hoch angesetzt sei. Nicht die einzige zweifelhafte und zu Ungunsten der Antragsteller gefällte Entscheidung, die den Juristen Adolph Kahn, Antragsteller im Verfahren für sich und seine Geschwister, immer wieder zur Verzweiflung brachten.

[45] HHStAW 518 783 (20).

[46] Ebd. (85).

[47] Wegen der sehr unübersichtlichen Datenlage siehe HHStAW 518 783 und 518 8365 (passim).

[48] https://collections.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/0913/122950380/001.jpg. (Zugriff: 3.3.2021). Nach Aussage von Robert Kahn gegenüber der Devisenstelle war er aber erst am 16.12.1938 in Schierstein eingetroffen, siehe 519/3 12772 (15).

[49] HHStAW 518 8365 (13 f.).

[50] siehe http://www.familienbuch-euregio.de/genius/php/show.php?tab=1&tid=&sub=PublicAll&det=175154&eworec=0&bar=0&ssm=&sid=1869fc5dfe488f97cd18155e755a5c41&rid=&mod=&findlist=&lis=&tm=1615311941811 auch http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=blu-9. (Zugriff: 3.3.2021). Ihre Eltern waren Samuel und Cäcillia Heumann, geborene Schmitz. Helen oder auch Lene war das letzte von insgesamt neun Kindern des Paares, von denen zwei Brüder im Ersten Weltkrieg gefallen waren und drei weitere Geschwister sowie der Vater dem Holocaust zu Opfer fielen. Zum Geschäft der Eltern siehe http://www.hans-dieter-arntz.de/arisierungen_juedischer_geschaefte.html. (Zugriff: 3.3.2021).

[51] Man hatte angenommen, Otto Kahn habe das Geld aus dem Hausverkauf erhalten und nicht auf seinem Sicherungskonto eingezahlt. Er konnte aber nachweisen, dass die Summe von der Käuferin direkt auf das gesicherte Konto eingezahlt worden war, er somit nicht gegen das Devisengesetz verstoßen hatte, was dann auch von der Behörde als wahrheitsgemäß akzeptiert wurde. Siehe HHStAW 519/3 12272 (17).

[52] Ebd. (5).

[53] HHStAW 519/3 3416 (1, 2). Da Otto Kahn aber kein Einkommen aus dem Geschäft mehr bezog, bat er die Devisenstelle monatlich Wertpapiere verkaufen zu dürfen, um auf diese Weise die 300 RM zum Leben zu erlangen

[54] Heiratsregister Schierstein 1 / 58.

[55] Aversano-Schreiber, Dagmar, Dokumentation zur ersten Stolperstein-Verlegung in Bacharach am Rhein am 22. August 2014, S. 76 ff.

[56] Ebd. S. 77.

[57] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6178-0811?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=23540243&lang=de-DE. (Zugriff: 3.3.2021)

[58] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104051_00347?treeid=&personid=&hintid=&queryId=17e6b44f6598922faa4f201d54c29a54&usePUB=true&_phsrc=Ekt2179&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=101902. (Zugriff: 3.3.2021).

[59] HHStAW 519/3 11200 (1).

[60] Ebd. (6).

[61] HHStAW 519/3 3416 (10).

[62] Arthur Katz wurde im April 1942 nach Mauthausen deportiert, wo er eine Woche später ermordet wurde.

[63] Alice Wendel war am 28.4.1911 in Mainz-Bretzenheim als Tochter von Ludwig und Rosa Wendel, geborene Kahn, geboren worden. Ihr Vater war im Krieg gefallen und die Mutter erblindet. In einem Schreiben an die Devisenstelle hatte Robert Kahn betont, dass sein Schwiegereltern beide für ihren selbstlosen Einsatz im Ersten Weltkrieg mehrfach ausgezeichnet wurden, siehe HHStAW 519/3 18430 (2). Die Angaben zum Datum der Heirat sind in den vorliegenden Unterlagen widersprüchlich. In dem Antrag auf Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft gaben beide Ehepartner den 17.6.1938 an, in einem Schreiben an die Devisenstelle vom 17.2.1939 gab Alice Kahn dagegen als Heiratsdatum den 27.7.1938 an, siehe HHStAW 519/3 18430 (o.P.).

[64] Ebd. (3). Im Zusammenhang einer im Dezember stattgefundenen Devisenprüfung heißt es dagegen, das das Haus erst am 1.10.1938 verkauft worden sei, ebd. (6). In einem Aktenvermerk zum Prüfbericht wird betont, dass der „Bericht zur Weiterleitung an die Berichtsfirma nicht geeignet“ sei, ebd. 10.

[65] HHStAW 518 8365 (66a-d).

[66] HHStAW 519/3 3416 (13).

[67] HHStAW 519/3 112000 (5), auch HHStAW 519/3 3416 (15 f.).

[68] Ebd. (66).

[69] Stadtarchiv Wiesbaden  WI/3 983.

[70] HHStAW 518 8365 (66).

[71] HHStAW 519/3 12272 (58).

[72] Ebd. (105).

[73] Ebd. (7 f.).

[74] Ebd. (24).

[75] Ebd. (27).

[76] Ebd. (28). Schon am folgenden Tag, dem 5.4. erhielt die Devisenstelle den Pass.

[77] Ebd. (30).

[78] Ebd. (50).

[79] Ebd.

[80] Ebd. (32).

[81] Ebd. (40).

[82] Ebd. (37).

[83] Ebd. (35).

[84] HHStAW 519/3 18430 (o.P.).

[85] Ebd. (o.P.). Sie liegen z.T. sogar mehrfach vor, weil ihre Gültigkeit mittlerweile verfallen war.

[86] Ebd. (o.P.)

[87] HHStAW 519/3 12272. (34).

[88] Ebd. (43 f.) Das Schreiben ging auch an die Devisenstelle Köln, die für Adolph Kahn zuständig war.

[89] Ebd. (57).

[90] Ebd. (48).

[91] End. (50)

[92] Ebd. (61).

[93] Ebd. (66).

[94] Ebd. (67). In der Anlage übermittelte Rechtsanwalt Frank der Devisenstelle den Gesetzestext in deutscher und englischer Sprache.

[95] Ebd. (71).

[96] Ebd. (78).

[97] Ebd. (78, 80, 81, 82).

[98] HHStAW 519/3 18430 (13).

[99] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6387-0459?treeid=&personid=&hintid=&queryId=fb15d77dc892e24075b051d263bfba03&usePUB=true&_phsrc=Ekt2228&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=1004596233. (Zugriff: 3.3.2021).

[100] HHStAW 519/3 12272. (84).

[101] Ebd. (87).

[102] Ebd.

[103] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104075_00095?treeid=&personid=&hintid=&queryId=17ef54be002271f0d356f64e8196e9d0&usePUB=true&_phsrc=Ekt2180&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=121857. (Zugriff: 3.3.2021). Nicht richtig sind die Angaben in dem knappen Artikel von Faber in Faber / Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 119 f., wonach „Adolf Kahn mit zwei Geschwistern, Robert und Elsa, sowie seinem Schwager Alfred Sommer Deutschland verlassen hätten. Wahrscheinlich nahmen sie eines der letzten Schiffe, die überhaupt noch fuhren.“ Ganz sicher verließen die drei Geschwister Deutschland zu völlig unterschiedlichen Zeiten. Auch die folgenden Sätze erscheinen eher fraglich, sind auch nicht durch Quellenangaben gesichert: „Das Umzugsgut (von Adolph Kahn – K.F.) wurde erst am 20 Oktober 1939 an das Lagerhaus der Holland-Amerika-Linie nach Rotterdam gebracht. Zu diesem Zeitpunkt war der Zweite Weltkrieg schon ausgebrochen. Dort wurde es bei einem verheerenden Angriff auf die Stadtvernichtet.“ Wenn Adolph Kahn erst am 11.9.1940 einen Termin in Stuttgart zur Visumserteilung hatte, wird sein Reisegepäck nicht schon ein Jahr zuvor in Rotterdam eingelagert worden sein. Ausgeschlossen ist es allerdings nicht.

[104] HHStAW 519/3 12272 (96 f.).

[105] Ebd. (105). Die Devisenbeständer der Reichsbank waren zwischen 1928 und 1938 auf ein Minimum zusammengeschmolzen. Betrugen sie 1928 noch 2506 Mrd. RM, lag ihr Wert 1939 bei nur noch 77 Mrd. RM, siehe Aleff, Das Dritte Reich, S. 125

[106] Ebd. (105-107).

[107] Ebd. (112).

[108] Ebd. (114).

[109] Ebd.

[110] HHStAW 519/3 3416 (14, 19).

[111] HHStAW 518 783 (13).

[112] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de891888 und https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de893393. (Zugriff: 3.3.2021).

[113] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de892908. (Zugriff: 3.3.2021). Dieses Todesdatum erscheint in dem am 3.3.1949 in Mainz ausgestellten Erbschein, siehe HHStAW 518 783 (18a) und beruht auf der am 12.2.1948 ausgestellten Todeserklärung für Otto Kahn, seine Frau Emilie und den Sohn Walther Daniel. Auch für Frida Kahn wurde damals dieser Todestag festgelegt. Siehe HHStAW 469/33 2204 (18).  Zu diesem frühen Zeitpunkt war das Schicksal der Genannten noch nicht hinreichend erforscht.

[114] Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 435 ff.

[115] Die Adresse ist im Zusammenhang mit dem Verkauf des Elternhauses in Schierstein angegeben, siehe HHStAW 519/3 11200 (3).

[116] HHStAW 519/3 12272 (44). In einer Aufstellung der anspruchsberechtigen Erben vom 1.5.1939 wird Irma Kahn ebenfalls erwähnt, hier eigenartigerweise mit der vagen Anschrift Wiesbaden-Schierstein, siehe ebd. (59). Es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass sie und ihre Familie tatsächlich wieder nach Wiesbaden gezogen waren.

[117] https://www.mappingthelives.org/bio/e0a27129-e1ba-4550-a035-aa79b9e81b58. (Zugriff: 3.3.2021)

[118] http://www.mainz1933-1945.de/rundgang/teil-i-innenstadt/judenhaus.html. (Zugriff: 3.3.2021).

[119] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de892295, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de892163 und https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de891946. (Zugriff: 3.3.2021). Siehe auch Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 228.

[120] Die folgenden Ausführungen beruhen zumindest zu einem Teil auf einem knappen Artikel zur Familie May im Ausstellungskatalog Gonsenheimer Erinnerungen, S. 79-83. Hinzugezogen wurde auch die Rückerstattungsakte für das Haus in der Jahnstr. 21 in Mainz Gonsenheim. Der Rückerstattungsantrag war zunächst nur von den überlebenden Geschwistern von Sophie May, geborene Kahn, gestellt worden. Erst im Laufe des Verfahrens konnte mit Walter Josef May ein ebenfalls berechtigter Neffe von Alfred May ausfindig gemacht werden. Es handelte sich um den einzig überlebenden Sohn der Familie May, der mit 17 Jahren nach Palästina ausgewandert war. Er war der Sohn von Alfred Mays Bruder Wilhelm May und seiner Frau Thekla, geborene Lehmann. Die beiden weiteren Geschwister lebten nach dem Krieg nicht mehr, der ledige Jakob Emil war verschollen und musste für tot erklärt werden, die Schwester Jenny war am 19.3.1942 im Jüdischen Krankenhaus von Mainz verstorben. Endgültig abgeschlossen wurde das Verfahren durch einen Vergleich im Juni 1954, laut dem sich die Neubesitzer zu einer Nachzahlung von 3.000 DM bereiterklärten. Der Betrag wurde zwischen den beiden anspruchsberechtigten Familien aufgeteilt. Siehe Landesarchiv Speyer J19 3010 (passim).

[121] HHStAW 519/3 12272 (105).

[122] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?indiv=1&dbid=7488&h=1004596233&tid=&pid=&queryId=fb15d77dc892e24075b051d263bfba03&usePUB=true&_phsrc=Ekt2228&_phstart=successSource und https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61213/images/100104065_00140?treeid=&personid=&hintid=&queryId=6fe9f7025ba5ff455d153187fb083603&usePUB=true&_phsrc=Ekt2210&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=113547. (Zugriff: 3.3.2021). Die beiden sind laut Passagierliste in Hamburg an Bord gegangen, in dem Einbürgerungsantrag ist aber Bremen als Ort genannt, von dem aus sie in die USA emigrierten.

[123] HHStAW 518 8365 (46). Hatte er 1941 ein Jahreseinkommen von nur 1.000 $, so war das bis 1948 auf etwa 5.000 $ angestiegen.

[124] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/550118834:61843. (Zugriff: 3.3.2021).

[125] HHStAW 518 8365 (141).

[126] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_8175-1020?treeid=&personid=&hintid=&queryId=17ef54be002271f0d356f64e8196e9d0&usePUB=true&_phsrc=Ekt2181&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=3039578595. (Zugriff: 3.3.2021).

[127] So muss er auch noch einmal im September 1962 persönlich in Wiesbaden im Zusammenhang mit der Entschädigung für seine Schwester Frida bei der Entschädigungsbehörde erschienen sein, siehe HHStAW 518 8364, wo anschließen ein Protokoll angefertigt wurde, in dem es heißt: „Der Antragsteller Adolph Kahn sprach heute vor …“.

[128] Ebd. (128).

[129] Siehe den Eintrag auf dem Grabstein, https://images.findagrave.com/photos/2015/77/143919797_1426803645.jpg. (Zugriff: 3.3.2021).

[130] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?indiv=1&dbid=3693&h=58788458&tid=&pid=&queryId=c2a97b9d535fb284a4ee0b273b314772&usePUB=true&_phsrc=Ekt2264&_phstart=successSource und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/30909933:60901. (Zugriff: 3.3.2021).