Die Schwestern Amalie Wilhelmine Ullmann, geb. Honig, und Ernestine Auguste Honig

 


Judenhaus Alexandrastr. 6 Wiesbaden, Albert Frank
Das Judenhauses Aexandrastr. 6 heute
Eigene Aufnahme
Judenhaus Alexandrastr. 6, Wiesbaden
Lage des Judenhauses
Judenhaus Alexandrastr. 6, Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Alexandrastr. 6

 

 

 

 

Die beiden Schwestern Amalie Wilhelmine Ullmann, geb. Honig, und Ernestine Auguste Honig waren 1941, jedoch nicht zum gleichen Zeitpunkt, in das Judenhaus eingezogen. Am 6. Mai 1941 war zunächst Auguste aus der Hindenburgallee 42 II gekommen, ein Vierteljahr später, am 23. August, folgte dann Amalie. Auch wenn der Zeitpunkt eigentlich dafür spricht, dass es sich hier um eine Zwangseinweisung handelte, so ist dennoch zu vermuten, dass die beiden unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich auf eigene Initiative hier eingezogen waren. Vielleicht erhielten sie sogar das kleine Privileg jeweils ein eigenes Zimmer bewohnen zu dürfen, [1] weil sie Verwandte, genauer Großnichten, von Albert Frank waren, dem Hausverwalter und Vater der Eigentümerin Lizzie Spier. Er war allerdings in der Zeitspanne zwischen Augustes und Amalies Einzug verstorben.

Albert Frank, Siegmund Honig, Sofie Schwab Honig, Amalie Wilhelmine Honig Ullman, Auguste Honig, Joseph Ullmann, Judenhaus Alexandrastr. 6, Wiesbaden, Judenhäuser, Juden Wiesbaden
Stammbaum der Familie Honig
GDB

Die beiden Schwestern entstammten der bereits erwähnten sehr traditionsreichen jüdischen Familie Honig aus Worms.[2] Ihr Großvater Alexander Honig, der Bruder von Albert Franks Frau Franziska, hatte dort den Eisenhandel vom Urgroßvater Zacharias Honig übernommen. Die Eltern der beiden Schwestern, Siegmund Honig (1840 – 1906) und seiner Frau Sophie, geborene Schwab (1845 – 1924), betrieben das Geschäft weiter, verkauften zuletzt auch Kohle und andere Brennmaterialien. Aber unabhängig davon, dass spätestens die Nationalsozialisten dem Betrieb ein Ende bereitet hätten, gab es danach auch keinen Nachfolger im unmittelbaren Familienverband mehr. Zwar hatten Siegmund und Sophie Honig vier Kinder, aber eine Weiterführung des Unternehmens war dennoch nicht möglich. Der Sohn Max Josef, am 31. März 1870 wie alle anderen Kinder auch in Worms geboren, war bereits 1897 einer Krankheit zum Opfer gefallen, die er sich nach Aussage seiner Schwester Florentine bei einem Militärmanöver zugezogen hatte.[3] Diese ältere Schwester Florentine Antonie, geboren am 1. Mai 1869, hatte bereits 1899 den portugiesischen Staatsbürger Jakob Levi Azancot geheiratet und war mit ihm schon damals in dessen Heimat ausgewandert.[4]

Die am 14. März 1871 geboren Amalie Wilhelmine hatte Joseph Ullmann geheiratet, der aber ebenfalls schon am 1. September 1923 an den Folgen einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg in Frankfurt verstarb. Die Ehe war kinderlos geblieben, aber Amalie bezog als Kriegerwitwe eine lebenslange Rente vom deutschen Staat. Möglicherweise war diese Rente, die so etwas wie ein allerdings trügerisches Sicherheitsversprechen darstellte, der Grund dafür, dass sich Amalie „weigerte“ –so die Schwester Florentine – Deutschland zu verlassen, solange es noch möglich gewesen wäre.[5]
Die ein Jahr jüngere Schwester Auguste, geboren am 31. Mai 1872, blieb ledig und ebenfalls kinderlos. Sie war Lehrerin geworden und bis 1930 an der Neusatzschule in ihrer Heimatstadt Worms als Volksschullehrerin tätig. Wie damals nicht unüblich, ging sie in diesem Jahr in den vorzeitigen Ruhestand und zog nach Wiesbaden. Erstmals werden die beiden Schwestern 1931 im Wiesbadener Adressbuch, zunächst mit der Anschrift Adolfsallee 47 verzeichnet. Nach den Eintragungen im folgenden Adressbuch von 1932 hatten sie inzwischen die Wohnung gewechselt und zumindest Auguste lebte fortan bis zu ihrem Umzug in das Judenhaus in der Hindenburgallee 42 II.[6] Auch sie war unabhängig, hätte also noch rechtzeitig aus Deutschland heraus gekonnt. Wie Amalie weigerte sie sich aber, einen solchen Schritt zu tun, wie einem Brief zu entnehmen ist, aus dem ihre Schwester Florentine im Entschädigungsverfahren zitierte: „Dass es hier fortzieht, erübrigt sich zu sagen, und doch hängt man an dem Boden, der einem Heimat war, ist und bleibt, trotz allem Gelichter, das es nicht haben will. Wer kann mir die Liebe am Rhein aus dem Herzen reißen!“[7]

Über das Leben der beiden in Wiesbaden, einzeln wie auch gemeinsam, ist so gut wie nichts bekannt. Einzig der Raubzug der Nazis hat in den amtlichen Akten Spuren ihres Lebens hinterlassen.

Aber es waren nicht nur amtliche Stellen, auch die kleinen Nazis aus der „Volksgemeinschaft“ meinten einen Freibrief zu haben, um sich am Eigentum ihrer jüdischen Mitbürger zu vergreifen. So war ihnen von einem Jugendlichen eine Gartenbank gestohlen und anschließend verkauft worden. Noch am gleichen Tag, an dem Juden verboten wurde ein Radio zu besitzen, wurde auch ihr „Blaupunkt“-Gerät unter Drohungen aus der Wohnung geholt. Ob es sich dabei um eine amtliche oder private Konfiszierung handelte, ist nicht klar.[8] Raub war es allemal.

1938 musste auch Auguste Honig eine Vermögenserklärung abgeben, knapp 5.000 RM hatte sie damals auf ihrem Konto bzw. in ihrem Depot. Zwei Jahre später hatte sich die Summe auf dem inzwischen gesicherten Konto halbiert.

Im April 1939 war sie gezwungen worden, der städtischen Leihanstalt ihre Edelmetalle anzubieten. Die Angaben der Schwester im späteren Entschädigungsverfahren über den Wert des abgelieferten Gutes sind nicht sehr präzise, aber für 430 Gramm Silber hatte Auguste gerade mal 7,74 RM erhalten. Auch Amalie Ullmann musste sich von ihrem Schmuck im Wert von 1.400 RM trennen. Ihr wurden 84,64 RM dafür ausgezahlt.[9] Ihr Vermögen betrug 1938 etwa 13.000 RM. Dies ergibt sich aus der Judenvermögensabgabe von ursprünglich 4 Raten à 800 RM, insgesamt also 3.200 RM, die ja mit 25 % des Vermögens veranschlagt war.[10] 1940 verfügte sie noch über ein Vermögen von etwa 10.000 RM.

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Hausdurchsuchung bei den Schwestern Auguste Honig und Amalie Ullmann
HHStAW 469-33 616 (5)

Auch Auguste Honig besaß Wertpapiere, die sie zumindest teilweise nicht, wie es Vorschrift war, bei der Bank deponiert hatte. Als sie solche Papiere im Oktober 1939 einlösen wollte, war sie von dem Bankangestellten auf die Vorschrift zur Hinterlegung der Papiere aufmerksam gemacht worden. Da sie aber keine Zinsen abwarfen, war Auguste Honig der Meinung, dass diese Vorschrift für sie ohne Bedeutung sei. Als sie zwei Monate später erneut ein Papier einlösen wollte, setzte die Bank das Finanzamt darüber in Kenntnis. Dies wiederum informierte die Kriminalpolizei, die daraufhin ein Strafverfahren gegen Auguste Honig in die Wege leitete. Es ging tatsächlich nur um geringe Beträge, die die Eigentümerin sogar in ihrer Vermögenserklärung pflichtgemäß angegeben hatte. Dennoch wurde im Februar 1940 eine Hausdurchsuchung anberaumt, bei der alle gefundenen Wertpapiere sichergestellt wurden.

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Der Strafbefehl über 50 RM bzw. Gefängnis
HHStAW 468-33 616 (17)

Auguste Honig erhielt einen Strafbefehl über 50 RM, bzw. fünf Tage Gefängnis, falls keine Zahlung erfolgen sollte.[11] Zur Judenvermögensabgabe scheint sie aber nicht herangezogen worden zu sein, was Beleg dafür ist, dass der Wert der gefundenen Papiere tatsächlich eher unbedeutend gewesen sein muss.

Im selben Monat erging die Sicherungsanordnung der Devisenstelle mit der Aufforderung ihr Vermögen und ihren Lebensbedarf anzumelden.[12] Etwa 220 RM brauche sie monatlich für sich, meldete sie nach Frankfurt, die ihr dann auch als Freibetrag zugestanden wurden.

1941 musste sie die Stelle bitten, ihr etwa 120 RM zusätzlich freizugeben. Der Angriff der britischen Luftwaffe in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1941 auf Wiesbaden hatte das Haus in der Hindenburgallee und die Einrichtung beschädigt. Anders als bei „deutschen Volksgenossen“ wurden solche Schäden am Hausrat nicht von der öffentlichen Hand erstattet, die Juden mussten dafür selbst aufkommen. Den gleichen Betrag musste auch ihre Schwester aufbringen.[13]

Das Datum 5./6. Mai 1941 markiert eine weitere wichtige Veränderung im Leben der beiden Schwestern. Wahrscheinlich veranlasst durch die Zerstörungen in der bisherigen Wohnung waren beide an diesem Tag gezwungen, ihre Wohnung zu wechseln. Vermutlich blieb ihnen gar keine andere Wahl, als in ein Judenhaus zu gehen. Nach Eintrag in der jeweiligen Gestapo-Karteikarte erhielt Auguste ein Zimmer im ersten Stock des Judenhauses ihrer Verwandten in der Alexandrastr. 6, Amalie zog zunächst für etwa vier Monate in das Judenhaus Bahnhofstr. 25 zu Guthmanns, bevor auch sie dann am 23. August 1941 ein Zimmer in der Alexandrastraße in der gleichen Etage wie ihre Schwester erhielt.

 

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Auguste Honig bittet um die Freigabe von monatlich 20 RM zur Unterstützung bereits deportierter Verwandter oder Freunde
HHStAW 519/3 345 (9)

Auch von dieser letzten Phase ihres Lebens sind nur wenige Spuren erhalten. Am 20. April 1942 bat Auguste Honig die Devisenstelle 20 RM von ihrem gesicherten Konto freizugeben – zur „Linderung der Not in bedrängter Lage“, wie sie schrieb. Jeweils 10 RM wollte sie den beiden „Fräuleins“ Dora Strauß und Helene Fuld zukommen lassen. Ob das Geld freigegeben wurde und wenn, ob es sie noch erreichte, ist ungewiss. Helene Fuld, deren Verbindung zu Auguste Honig nicht geklärt werden konnte, war am 25. März 1942 von Darmstadt aus mit 15 weiteren Juden aus Worms nach Piaski deportiert worden.[14] Einen Tag zuvor war die zweite Bedachte, Dora Strauß, von Nürnberg aus nach Izbica verbracht worden.[15] Auch hier ist weder die konkrete Beziehung zu Auguste Honig, noch ihr weiteres Schicksal bekannt.

Aber die beiden gingen den Weg voraus, den die Schwestern nur wenige Monate später, am 1. September 1942, auch antreten mussten. Ihr Ziel war allerdings Theresienstadt. Auguste erhielt die Transportnummer 702, ihrer Schwester die Nummer 769. Bald nach ihrer Ankunft wurden sie am 29. September weiter in das Vernichtungslager Treblinka gebracht und am gleichen Tag unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet.[16]

Stolpersteine für die beiden Schwestern in der Biebricher Allee 42, ehemalige Hindenburgallee, verlegt am 30. April 2013

 

 

Der Fiskus machte sich danach über die noch vorhandenen Vermögenswerte her. Noch vor der Deportation war vermutlich ein „Heimeinkaufsvertrag“ mit Amalie Ullmann abgeschlossen worden. Die Überweisung von 10.963 RM an die „Reichsvereinigung der Juden Deutschlands“ legt das nahe.[17] Das zurückgelassene Mobiliar wurde versteigert und brachte etwas mehr als 2.000 RM ein. Der Wert Einrichtungsgegenstände, so Florentine Azanecot im Entschädigungsverfahren, muss weit darüber gelegen haben, denn es habe sich um alte Möbel noch aus dem Elternhaus gehandelt. Auch die bisher gesperrten Bankkonten eignete sich jetzt der Staat an.

 

Veröffentlicht: 22. 10. 2017

Letzte Änderung: 28. 01. 2021

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] Unbekannte Liste X1.

[2] Siehe oben die Ausführungen zu Albert Frank.

[3] HHStAW 518 67148 (12).

[4] Ebd. (27). Ihr Mann verstarb bereits im Jahr 1927. Florentine blieb aber in Lissabon. Sie hatte durch die Heirat die deutsche Staatsbürgerschaft verloren und stattdessen die portugiesische angenommen.

[5] Ebd. (4).

[6] In den folgenden Adressbüchern bis 1939 ist Amalie Ullmann nur in dem von 1934/35 eingetragen, hier mit der gleichen Adresse wie 1931, die identisch mit der ihrer Schwester war. Vermutlich wird sie trotz fehlender Einträge auch in den anderen Jahren bis zum Mai 1941 dort gewohnt haben.

[7] HHStAW 518 17100 (3).

[8] HHStAW 518 17100 (4).

[9] HHStAW 518 67148 (4).

[10] HHStAW 518 67148 (28) Die 5. Rate wurde ihr zum Teil erlassen, sodass sie letztlich 3.500 RM zu entrichten hatte. Weil der Entschädigungsbehörde später kein sicherer Nachweis über die Zahlung der fünften Rate vorlag, war sie nur bereit 3.200 RM zu entschädigen, siehe Bescheid vom 30.9.58, ebd. (46).

[11] Siehe zum gesamten Vorgang HHStAW 469/33 616 passim. Die Strafe machte etwa in Fünftel bis ein Sechstel ihres monatlichen Ruhegehalts aus, das für das gesamte Jahr bei etwa 3.150 RM brutto lag. Siehe HHStAW 519/3 345 (3).

[12] HHStAW 519/3 345 (3). Hier ist der Wert der Papiere mit insgesamt 1.400 RM angegeben, das Gesamtvermögen von Auguste Honig belief sich hiernach auf etwa 2.600 RM.

[13] HHStAW 519/3 345 (7, 8).

[14] Zu diesem Transport mit insgesamt etwa 1.000 Juden und deren Schicksal siehe Gottwaldt, Schulle, Judendeportationen, a.a.O. S.186 f.

[15] Ebd. S.185 f. Dora Strauss wurde laut Gedenkbuch des Bundesarchivs für tot erklärt.

[16] http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4892638&ind=2 (Zugriff: 21.11.2017). und http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4776516&ind=8 (Zugriff: 21.11.2017).
In Yad Vashem ist von der Witwe des Neffen der beiden Schwestern auch eine ‚Page of Testimony’ hinterlegt. Für Auguste https://namesfs.yadvashem.org/YADVASHEM/NEW_APP/200705100802_275_8146/197.jpg. (Zugriff: 21.11.2017). Und für Amalie https://namesfs.yadvashem.org/YADVASHEM/NEW_APP/200705100802_275_8146/198.jpg. (Zugriff: 21.11.2017).

Allerdings sind die Angaben hier nicht immer richtig. Dies gilt i.B. für den Ort und den Zeitpunkt des Todes.

[17] HHStAW 518 67148 (25). Irritierend ist allerdings das Datum der Bareinzahlung, die von der Süddeutschen Bank am 1.3.1957 bestätigt wurde: Die Einzahlung bzw. die Buchung soll am 22.10.1942 stattgefunden haben, zu einem Zeitpunkt also, an dem Amalie schon mehr als 3 Wochen tot war. Die Zahlung wurde aber von der Entschädigungsbehörde in ihrem Bescheid vom 30.9.1958 als zu entschädigende Leistung akzeptiert, siehe ebd. (48).