Emma Altmann


Regina Beck, Regina Sichel, Julius Beck
Das Judenhaus heute
Eigene Aufnahme
Regina Beck, Regina Michel, Julius Beck
Lage des ehemaligen Judenhauses
Judenhaus Herrngartenstr. 11, Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Herrngartenstr. 11

 

 

 

 

 

 


Emma Altmann, die unmittelbar nach dem Jahreswechsel 1940/41 in das Judenhaus in der Herrngartenstr. 11 eingezogen war, gehörte zu dessen ersten vermutlich zwangseingewiesenen Bewohnern. Ansonsten ist aber nur wenig über die allein stehende Frau bekannt. Nicht einmal bezüglich ihres Geburtsdatums sind die Quellen eindeutig.

Emma Altmann, Moritz Altmann, Sophie Altmann Boas, Klara Altmann Stenzel, Judenhaus, Wiesbaden, Herrngartenstr. 11
Stammbaum der Familie Altmann
GDB

Vermutlich wurde sie aber am 24. Februar 1891 in Berlin geboren, zumindest ist dieses Geburtsjahr in der einzig vorliegenden amtlichen Akte, ihrer Devisenakte, so angegeben.[1] Ihre Eltern waren der Kaufmann Moritz Altmann und seine Frau Sophie, geborene Boas.[2] Aber auch über sie weiß man fast nichts. Sie müssen aber zumindest eine weitere Tochter namens Klara gehabt haben, die am 3. Januar 1872 ebenfalls in Berlin zur Welt kam. Sie heiratete am 3. Juni 1911 in Rixdorf, einem kleinen Bezirk des Berliner Stadtteils Neukölln, Johann Friedrich Wilhelm Stenzel.[3] Auf Basis dieser Eheschließung kann man zumindest Vermutungen über den sozialen Hintergrund der Familie anstellen. Die Braut wird in dem Heiratseintrag als Arbeiterin bezeichnet und der Bräutigam war, wie auch die beiden Trauzeugen, von Beruf Maurer. Der Vater von Johann Stenzel, ebenfalls ein Johann Wilhelm Stenzel, wird darin als Fischermeister bezeichnet. Er lebte mit seiner Frau Johanna Auguste, geborene Petras, damals in dem heute polnischen Glauchow an der Elbe. Die Eltern der Schwestern waren zum Zeitpunkt der Eheschließung von Klara bereits beide verstorben.

Emma Altmann, Moritz Altmann, Sophie Altmann Boas, Klara Altmann Stenzel, Judenhaus, Wiesbaden, Herrngartenstr. 11
Sterbeeintrag für die Schwester Klara
Sterberegister Berlin 3830 / 1941

Ganz offensichtlich war die Familie eher dem proletarischen Milieu zugehörig und fühlte sich auch den jüdischen Traditionen und der jüdischen Gemeinde nur wenig verbunden. Anders ist es nicht zu erklären, dass Klara Altmann einen protestantischen Ehemann heiratete. Auch wenn man sonst über das weitere Leben des Paares nichts weiß, so haben die Nationalsozialisten – vielleicht zwangsweise – Klara Stenzel sich ihrer jüdischen Herkunft wieder bewusst werden lassen. Sie verstarb nämlich am 14. August 1941 im Jüdischen Krankenhaus in der Berliner Iranischen Str. 2 an chronischem Nierenleiden und Herzmuskelschwäche.[4]

Ob Emma Altmann außer Klara noch weitere Geschwister hatte, ist nicht bekannt. Ebenso wenig konnte etwas über ihre Kindheit in Berlin und ihren weiterer Lebensweg herausgefunden werden. In Wiesbaden taucht sie das erstmals im Jahr 1916 im dortigen Adressbuch auf. Zwar ist hier nur ein „Frl. E. Altmann“ verzeichnet, aber es handelt sich unzweifelhaft um die spätere Judenhausbewohnerin. Ihre Anschrift ist damals mit Kapellenstr. 49 angegeben. Diese Adresse ist auch noch in der folgenden Ausgabe von 1917 zu finden, wo der Vorname mit Emma jetzt auch ausgeschrieben ist. Zusätzlich erfährt man darin, dass sie ein „Fremdenheim“ betrieb. Dieses war 1917 sowohl unter der genannten wie auch unter der Adresse Kapellenstr. 14 I eingetragen, die in den folgenden Jahren auch ihre Wohnanschrift bleiben sollte. Auch der Pensionsbetrieb war ab 1918 nur noch dort angemeldet.

Diese Funktion bezog sich nicht auf das ganze Haus, sondern ausschließlich auf die erste Etage.[5] Man wird sich daher den Betrieb, den Emma Altmann trotz aller Krisen in all den folgenden Jahren aufrechterhalten konnte, nicht als allzu groß vorstellen dürfen. Das Fremdenheim oder der auch mal als Pension bezeichnete Betrieb existierte bis etwa 1931. Im folgenden Jahr ist Emma Altmann gar nicht, dann in den weiteren Jahren mit ständig wechselnden Anschriften in den Wiesbadener Adressbüchern vertreten.[6] Laut Jüdischem Adressbuch von 1935 wohnte sie damals in der Müllerstr. 7, eine Anschrift, die in den offiziellen Adressbüchern nicht erscheint. Es könnte sein, dass die ständig wechselnden Wohnungen ein Hinweis darauf sind, dass Emma Altmann, nachdem sie die Pension aufgegeben hatte, sich ihren Lebensunterhalt als Hausdame, Wirtschafterin oder Pflegerin verdiente. In der Müllerstr. 7 wohnte damals auch die 80jährige Witwe Laura Rosenthal, die angesichts ihres hohen Alters vermutlich auf Hilfe angewiesen war. Die Vermutung ist auch deshalb nahe liegend, weil die folgenden Einträge auf ihrer Gestapokarteikarte, die sich fast nahtlos an die der Wiesbadener Adressbücher anschließen, unter der Rubrik „bei“ alle mit einem Namen versehen sind. Der erste Eintrag, der nicht datiert ist, nennt ihre Adresse Geisbergstr. 4 „bei Weiss“. Es handelte sich hier um die 1862 geborene Witwe des 1937 verstorbenen Markus Weiss. Die alte Frau litt an Brustkrebs und bedurfte ganz sicher der Hilfe. Nachdem sie wohl im Februar oder Anfang März in das Jüdische Krankenhaus in Frankfurt eingeliefert worden war, wo sie am 18. März 1939 verstarb,[7] zog Emma Altmann am 2. März 1939 in die Pagenstecherstr. 1 zu Pohl. Hierbei handelte es sich allerdings um eine Fremdenpension, die von einem Peter Pohl geführt wurde. Aber damit ist nicht ausgeschlossen, dass sie mit ihren beruflichen Erfahrungen auch hier in Diensten stand und nicht nur vorübergehend eine Unterkunft gefunden hatte. Über die Dauer ihres dortigen Aufenthalts macht die Gestapokarteikarte wiederum keine Angaben. Bei der nächsten Adresse Nerotal 43 ist als Zusatzangabe „bei Bacharach“ vermerkt. Das Haus im Nerotal 43 war eines der in dieser Zeit eingerichteten Judenhäuser, das dem recht vermögenden Kaufmann Carl Bacharach gehörte. Ihn und seine Frau hatte man im vorangegangenen Sommer wegen angeblicher Devisenvergehen auf dem Wiesbadener Bahnhof bei der Ausreise in die Schweiz verhaftet. Unmittelbar nach seinem wohl unter brutalsten Bedingungen vollzogenen Verhör verstarb Carl Bacharach in den Städtischen Kliniken in Wiesbaden.[8] Die verwitwete Anna Bacharach, die Ende 1939 aus der Haft entlassen worden war, hatte wohl unmittelbar danach Emma Altmann als Haushälterin eingestellt. Unter dieser Adresse erreichte sie ein Schreiben der Devisenstelle in Frankfurt, das ursprünglich an die alte Anschrift in der Pagenstecherstraße gegangen, dann aber mit dem Vermerk „jetzt Nerotal“ weitergeleitet worden war. Der Brief enthielt die Information, dass die Behörde unter dem Aktenzeichen „JS-403“ eine „Judensicherungsmappe“ angelegt hatte und zu diesem Zweck Auskunft über ihr Vermögen und Einkommen einforderte.[9] Man bewilligte ihr den üblichen vorläufigen Freibetrag von 300 RM, der nach Klärung der finanziellen Verhältnisse entsprechend angepasst wurde.

Emma Altmann gab an ein Vermögen von 150 RM in bar zu besitzen und fügte hinzu: „Ich friste mein Leben, bis zu meiner Auswanderung, durch Haushaltshilfe, stundenweise (bei Frau Bacharach) teils durch Nähereien.“[10] Die Pflicht zur Führung eines gesicherten Kontos wurde ihr daraufhin eine Woche später, am 28. Februar 1940 erlassen. Sie dürfe monatlich 120 RM verdienen und über diesen Betrag auch frei verfügen.

Ob der hier gegebene Hinweis auf eine geplante Auswanderung irgendeine realistische Grundlage hatte, ob irgendwelche Formalitäten diesbezüglich schon eingeleitet worden waren, ist nicht bekannt. Sie hätten eigentlich auch in der Devisenakte ihren Niederschlag finden müssen. Es scheint eher so, als sei das ein nicht mehr realisierbarerer Traum gewesen.

Und mit diesem Schreiben ist die aus insgesamt nur 5 Seiten bestehende Akte fast geschlossen. Am 5. Oktober 1942, also zweieinhalb Jahre später, wurde in die Mappe noch ein knapper Vermerk eingelegt, in dem die Registratur aufgefordert wurde, auf der Karteikarte „evakuiert“ einzutragen und anschließend die Akte zu schließen.[11]

Bevor dies geschah war Emma Altmann aber noch weitere zweimal umgezogen. Am 16. April 1940 nahm sie eine Wohnung in der Lanzstr. 3, angeblich zusammen mit oder bei Johanna Baer, geborene Lewy, die im September 1939 aus Pirmasens nach Wiesbaden gekommen war. Aber wieder einmal sind die Eintragungen auf den Gestapokarteikarten nicht konsistent, denn Johanna Baer war laut ihrer eigenen Karteikarte bereits am 8. Januar 1940, also ein Vierteljahr zuvor, dort aus- und in die Kirchgasse 40 gezogen. Möglicherweise hatte Emma Altmann nur ihr früheres Zimmer dort erhalten, vielleicht sind aber die Datumsangaben auch einfach falsch. Laut ihrer Karteikarte blieb Emma Altmann dort bis zum 2. Januar 1941, um anschließend in das Judenhaus in der Herrngartenstr. 11 zu ziehen. Dort ist unter der Rubrik „bei“ der Name der Hausbesitzerin Regina Beck angegeben. Vielleicht hatte sie auch bei der ebenfalls über 70 Jahre alten Frau Beck Versorgungs- oder Pflegeaufgaben übernommen. Laut der Liste über die vorhandenen, von Juden bewohnten Räume, die nach der Deportation vom Juni 1942 erstellt worden war, bewohnte Emma Altmann aber ein eigenes Zimmer im ersten Stock des Hauses, Regina Beck verfügte selbst über zwei eigene Zimmer auf der gleichen Etage und wahrscheinlich auch in der gleichen Wohnung. Außerdem war hier mit einem weiteren eigenen Zimmer noch Ottilie Herz untergebracht, eine durch Kinderlähmung behinderte Frau, die aber erst im Juli 1942 dort einquartiert worden war.[12]

Emma Altmann, Moritz Altmann, Sophie Altmann Boas, Klara Altmann Stenzel, Judenhaus, Wiesbaden, Herrngartenstr. 11
Transportkarte für Emma Altmann von Theresienstadt nach Sobibor
https://collections.arolsen-archives.org/archive/4963575/?p=1&s=Emma%20Altmann&doc_id=4963575

Wie die drei alten, allein stehenden bzw. verwitweten Frauen diese Wochen und Monate in den beengten Verhältnissen im Judenhaus verbrachten, ob sie an den Abende zusammen saßen, um sich gegenseitig zu stützen und zu trösten, ob sie ihre Sorgen um das, was auf sie zukommen würde, gemeinsam besprachen, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, ob Regina Beck die Entscheidung, die sie unmittelbar vor ihrer Deportation traf, nämlich nicht in den Zug nach Theresienstadt zu steigen, sondern sich lieber selbst das Leben zu nehmen, mit den anderen beiden besprochen hatte. Anders als Regina Beck bestieg Emma Altmann am 1. September 1942 den Zug, der nahezu alle noch in Wiesbaden lebenden Juden – es waren zumeist die über 65jährigen – nach Theresienstadt brachte. Noch einmal musste sie von dort weiterziehen. Nach nur vier Wochen, am 29. September 1942, ging ein Transport von Theresienstadt nach Sobibor. Diejenigen die in diesem Zug saßen trieb man sofort nach Ankunft in die Gaskammern. Der Tag dieses Transports gilt offiziell als Todestag von Emma Altmann.

 

Veröffentlicht: 03. 12. 2020

 

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] HHStAW 519/3 392. Die Akte ist im Staatsarchiv z. Zt. nicht mehr auffindbar. Deswegen kann hier nur auf frühere Notizen zurückgegriffen werden. Die dortige Angabe über ihr Geburtsjahr entspricht auch weiteren Quellen. So ist das gleiche Geburtsjahr auch in der Datenbank Jüdischer Bürger des Stadtarchivs Wiesbaden übernommen worden, ebenfalls ist es in diversen Dokumenten des Arolsen-Archivs so angegeben. Andere Quellen bezüglich des Geburtsdatums unterscheiden sich im Hinblick auf das Geburtsjahr. Mapping the Lifes nennt das Jahr 1877, siehe https://www.mappingthelives.org/bio/9aa21cfe-bd44-4ea2-8282-5972ead3b208. (Zugriff: 3.12.2020) und auf ihrer Gestapokarteikarte ist sogar das Jahr 1879 angegeben. Bei Tag und Monat stimmen alle Quellen hingegen überein.

[2] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?indiv=1&dbid=61114&h=514835&tid=&pid=&usePUB=true&_phsrc=ryV249&_phstart=successSource. (Zugriff: 3.12.2020).

[3] Heiratsregister Rixdorf 241 / 1911.

[4] Sterberegister Berlin 3830 / 1941. Etwas irritierend, dass die Todesmeldung eine Ella Altmann dem Standesamt hinterbrachte, die die Schwiegertochter der Verstorbenen gewesen sein soll. Eigentlich hätte die Schwiegertochter den Nachnamen Stenzel haben müssen.

[5] In der zweiten Etage wohnte zeitweise Frau Rubinstein, die später auch Mitbewohnerin im Judenhaus in der Herrngartenstr. 11 wurde.

[6] Im Wiesbadener Adressbuch 1934/35 mit Mainzer Str. 27, 1936/37 mit Rheinstr. 4 und 1938 mit Wilhelmstr. 12 II.

[7] Sterberegister Frankfurt 416/V 1939.

[8] Zum Ehepaar Bacharach hat des Aktive Museum Spiegelgasse ein Erinnerungsblatt veröffentlicht, siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Bacharach.pdf. (Zugriff: 3.12.2020)-

[9] HHStAW 519/3 392

[10] Ebd. (3).

[11] (Ebd. (5).

[12] Siehe unbekannte Liste X 1.