Dr. Alfred Goldschmidt und seine Familie


Das ehemalige Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 heute Eigene Aufnahme
Das ehemalige Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 heute
Eigene Aufnahme
Lage
Lage der beiden Judenhäuser der Brüder Selig am Ring und in der Oranienstraße
Belegung des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 80
Belegung des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 80

 

 

 

 

 

 

 


Als Alfred Goldschmidt Anfang Juni 1938 in den Kaiser-Friedrich-Ring 80 einzog, war das Haus der Gebrüder Selig zwar noch kein Judenhaus, aber es wurde inzwischen schon von weiteren jüdischen Mietern bewohnt. Anfang des Jahres war Emma Terhoch mit ihren drei Töchtern eingezogen und im Wiesbadener Adressbuch von 1938 findet man auch einen Kaufmann B. Oppenheimer, der im vierten Stock wohnte und auch jüdischer Abstammung war.

Alfred Goldschmidt und seine Frau Maria waren damals die Hauptmieter einer Wohnung, in die auch Alfred Goldschmidts Onkel, der Arzt Dr. Adolf Lang, mit seiner Frau Rosa für mehrere Monate als Untermieter einzogen. Während letztere das Haus wieder verließen, bevor es den Status eines offiziellen Judenhauses erhielt, blieb das Ehepaar Goldschmidt sogar bis Ende Februar 1943. Dass sie nicht, wie alle anderen jüdischen Bewohner, spätestens bei der großen Deportation am 1. September 1942 abtransportiert wurden, hatte die Ursache darin, dass Alfred und Marie Goldschmidt in einer sogenannten Mischehe lebten. Maria Keßler, geboren am 24. November 1891 in Schönberg in Siebenbürgen, war die evangelisch getaufte Tochter von Martin Keßler und seiner Frau Maria, geborene Braisch. Ihre Eltern lebten zum Zeitpunkt der Eheschließung 1914 noch in ihrem Geburtsort, während sie selbst inzwischen nach Berlin gezogen war, wo damals auch ihr Ehemann gemeldet war.[1]

Stammbaum Alfred Goldschmidt
Stammbaum der Familien Lang und Goldschmidt
GDB

Nur wenig ist über den familiären Hintergrund von Alfred Goldschmidt bekannt. Immerhin nennt der Heiratseintrag die Namen seiner Eltern Gustav und Clara Goldschmidt, geborene Lang. Clara Goldschmidt / Lang war die Schwester von Dr. Adolf Lang, der mit seiner Frau damals ebenfalls in den Kaiser-Friedrich-Ring eingezogen war. Während die Familie Lang in Marisfeld beheimatet war, Clara Lang kam dort am 15. Juni 1854 zu Welt, stammten Goldschmidts aus dem etwa 20 km entfernten Meiningen. Alfreds Vater, von Beruf Kaufmann, war dort am 4. Mai 1850 geboren worden und ist auch dort am 10. November 1920 verstorben. Wann die Mutter verstarb, ist nicht bekannt. Alfred war der älteste von drei Söhnen des Paares. Ihm folgte am 7. Juli 1888 Max und dann am 25. April 1890 noch Paul, der allerdings schon am 20. April 1905 mit knapp fünfzehn Jahren verstarb.[2]

Synagoge Meiningen
Die noch unzerstörte Synagoge in Meiningen
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/8c/SynagogeMeiningen.jpg/800px-SynagogeMeiningen.jpg

In Meiningen gab es schon im Mittelalter jüdische Bewohner, aber im Gefolge der Pest und der Pogrome, die in ganz Deutschland während der Kreuzzüge aufflammten, wurde auch in Meiningen die gesamte jüdische Bevölkerung auf bestialische Weise ausgelöscht. Am Karfreitag des Jahres 1349 ließ der Würzburger Bischof die Meininger Juden gefangen nehmen. Auf sein Geheiß hin wurden sie samt Frauen, Kindern und Gesinde dem Feuer übergeben oder kurzerhand erschlagen. Zwar gab es in den folgenden Jahrhunderten vereinzelt jüdische Bewohner, denen aus unterschiedlichen Gründen ein Wohnrecht zugebilligt worden war, aber erst ab dem 19. Jahrhundert kann man wieder von einer kontinuierlichen, allerdings immer wieder von antisemitischen Ausschreitungen begleiteten  jüdischen Besiedlung sprechen. 1866, inzwischen lebten in Meiningen 28 jüdische Familien, wurde dann wieder eine Gemeinde gegründet, deren Mitglieder als Geschäftsleute, Juristen und Ärzte für die Stadt eine bedeutende Rolle spielten. Herausragend darunter war das Bank- und Handelshaus Strupp, das dort schon Anfang des 18. Jahrhunderts eine Dependance errichten durfte, lange bevor es der Familie gestattet worden war, sich selbst dort niederzulassen.

Straßenbild aus Meiningen um 1920 mit einem Geschäft, das einem Mitglied der großen Familie Goldschmidt gehörte
https://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/m-o/1293-meiningen-thueringen

Die weit verzweigte Familie Goldschmidt gehörte vermutlich ebenfalls zu denjenigen, die damals dort ansässig geworden waren. [3] Dass die Eltern zumindest einen gehobenen sozialen Status in der Stadt innehatten, kann man schon daraus schließen, dass sie ihrem ältesten Sohn eine akademische Ausbildung ermöglichen konnten. Nach dem Besuch der Volksschule in Meiningen legte er am dortigen Bernhardinum-Gymnasium sein Abitur ab und begann 1907 ein Studium der Medizin. Die ersten drei Semester besuchte er die Universität in München, wo er auch seinen Militärdienst absolvierte. Anschließend ging er für zwei Semester nach Heidelberg und zuletzt noch nach Berlin, wo er im Juni 1912 sein medizinisches Staatsexamen bestand. Anschließend absolvierte er in Berlin seine medizinischen Praktika, zunächst im Auguste-Victoria-Krankenhaus in Schöneberg, dann im Krankenhaus Neukölln. Im folgenden Jahr wurde er mit der Arbeit „Ein Fall von Osteosclerosis dolorosa“ zum Dr. med. promoviert.[4]

Heirat Gustav Goldschmidt

Heiratseintrag von Alfred und Maria Goldschmidt, geborene Keßler
Heiratsregister Berlin 329 / 1914

 

Im folgenden Jahr 1914 heiratete der inzwischen 28jährige am 26. Mai die 22jährige Maria Keßler.[5] Noch im selben Jahr zog das Paar in die Taunusgemeinde Laufenselden, wo Alfred Goldschmidt eine eigene Praxis eröffnete.[6] Dort wurde am 30. März 1915 die Tochter Lieselotte geboren. Ihre Schwester Ilse kam am 17. April 1922 zur Welt.[7]

Zwischen den beiden Geburten lagen die Jahre des Ersten Weltkriegs, zu dem auch Alfred Goldschmidt neben 14 weiteren jüdischen Männern aus Laufenselden eingezogen wurde.[8] Im Dezember 1934, als die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung schon längst begonnen hatte, wurde ihm zynischer Weise noch das von Hindenburg initiierte Ehrenkreuz für Frontkämpfer überreicht.[9] Diese Auszeichnung musste man eigens beantragen und viele Juden erhofften sich, angesichts des wachsenden, durch die Dolchstoßlegende befeuerten Antisemitismus, auf diese Weise einen Beleg für ihre Vaterlandstreue und damit auch einen Schutz gegen die zahlreichen Anfeindungen zu erhalten. Genutzt hat der Orden letztlich keinem.

Welche Gründe für Alfred Goldschmidt maßgeblich waren, sich in der kleinen Taunusgemeinde niederzulassen, lässt sich nicht mehr feststellen. Zwar gab es in Wiesbaden eine Reihe von Familien mit dem gleichen Namen, aber eine verwandtschaftliche Beziehung oder wenigstens eine ähnliche regionale Herkunft lässt sich nicht nachweisen. Möglicherweise war die Stelle eines Arztes einfach nur ausgeschrieben und Dr. Goldschmidt hatte sich erfolgreich darauf beworben.
Laufenselden war in jedem Fall kein Ort, um eine bedeutende berufliche Karriere zu machen. Zwar hatte die Gemeinde, die im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt wurde, bereits ein Jahrhundert später Stadt- und Marktrechte erhalten, aber die Zahl der Einwohner lag zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder unter der Eintausendermarke.
Im frühen 18. Jahrhundert gab es sechs jüdische Familien, die den Status von Schutzjuden hatten. Die wohl älteste dort ansässige jüdische Familie waren die Oppenheimers, deren Nachkommen auch noch zur Zeit, als Alfred Goldschmidt nach Laufenselden zog, eine wichtige Rolle spielten und ihm möglicherweise sogar den Weg nach Wiesbaden geebnet hatten. Die jüdischen Familien gingen den für sie typischen Berufen als Viehhändler, Krämer oder Metzger nach. „Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren nicht besonders“, konstatiert Arnsberg, der auch den Arzt Dr. Alfred Goldschmidt ausdrücklich erwähnt.[10] Aber dieser war selbstverständlich nicht nur für die etwa 70 Juden zuständig, die damals dort lebten, sondern für die gesamte Gemeinde und auch die Patienten umliegender Orte.

Vermutlich hatte er auch schon von Anbeginn an in dem kommunalen Arzthaus, von dem später in dem 1933 geschlossenen Vertrag die Rede ist, wohnen und auch praktizieren dürfen. Über die Einkommensverhältnisse in den ersten Jahren lässt sich mangels entsprechender Unterlagen nichts sagen. Da er aber der einzige Arzt vor Ort war, wird man davon ausgehen können, dass er sich einen Lebensstandard leisten konnte, der dem anderer Landärzte in diesen Zeiten entsprach.

Für die Jahre ab 1926 liegen dann auch seine Einkommensteuererklärungen vor. Von diesem Zeitpunkt an konnte er sein zu versteuerndes Einkommen in den folgenden Jahren von ca. 10.000 RM auf 16.000 RM im Jahr 1930 steigern. Allerdings ging es dann bis 1933 wieder auf 11.000 RM zurück.[11]
Den Steuererklärungen ist auch zu entnehmen, dass die beiden Töchter in Wiesbaden zur Schule gingen und dort das Lyzeum besuchten. Sie wohnten dort während der Woche in einer Pension und kamen nur am Wochenende zu den Eltern nach Laufenselden.[12]

Wie sehr die Gemeinde die Anwesenheit des Arztes im Ort auch nach der „Machtergreifung“ noch wünschte, kann man daran erkennen, dass noch im April 1933 die Gemeinde, vertreten durch den Bürgermeister, unter Beteiligung der Ärztekammer mit ihm einen Vertrag schloss, in dem die wechselseitigen Rechte und Pflichten sowie die jeweiligen Gebühren genau festgeschrieben waren. Zwar war der Vertrag zunächst auf ein Jahr befristet, konnte aber nur aus wichtigen Gründen gekündigt werden. Im Falle von Streitigkeiten wurde zur Klärung sogar ein institutionelles Verfahren festgelegt, an dem die Vertragsparteien gleichberechtigt beteiligt sein sollten. Neben den Honoraren stand ihm als „Entgelt das Arzthaus zur alleinigen freien Nutzung zur Verfügung“, zudem verpflichtete sich die Gemeinde ihm jährlich gratis 3 Klafter Buchenscheidholz als Heizmaterial zu liefern.[13]
Gleichwohl bedeutete dieser neue Vertrag eine deutliche Verschlechterung seiner bisherigen Situation. In den Jahren zuvor hatte man ihm dafür, dass er Gemeindemitglieder zu ermäßigten Sätzen und die Ortsarmen gegen ein noch geringeres Entgelt zu behandeln hatte, neben seinen normalen Gebühren ein zusätzliches fixes Einkommen von 2.160 RM zugesichert.[14] Der Vertrag markiert somit in Wirklichkeit die beginnende Ausgrenzung von Alfred Goldschmidt und seiner Frau aus dem Gemeindeleben. Auch Maria Goldschmidt war selbst unmittelbar betroffen. Seit 1928 gab es auch in Laufenselden eine sogenannte Frauenfortbildungsschule, wo die Mädchen – gemäß der traditionellen Frauenrolle – Haushaltskunde, Kochen, Nahrungsmittellehre und Säuglingspflege lernen sollten. Das letztgenannte Fach hatte Maria Goldschmidt die letzten Jahre unterrichtet. 1933 wurde ihr die Lehrberechtigung entzogen.

Alfred Goldschmidt, Laufenselden
Spende von Alfred Goldschmidt zur Förderung der nationalen Arbeit
HHStAW 671 7 (104)

Dennoch versuchte Alfred Goldschmidt offenbar mit den neunen Machthabern, die im Besonderen durch den Bürgermeister einen willfährigen Handlanger vor Ort hatten, klar zu kommen. So kann man eine ganze Reihe von Quittungen in den Steuerakten finden, die belegen, dass er das Projekt der Nazis „zur Förderung der nationalen Arbeit“ finanziell unterstützte. Es handelte sich um keine großen Summen, sondern um mehrere Kleinspenden. Allerdings ist nicht mehr feststellbar, ob das Geld tatsächlich freiwillig gegeben oder quasi abgepresst wurde.[15] Wie dem auch sei, solche Spenden hielten die örtlichen Nazis nicht vor weiteren Maßnahmen gegen den Arzt ab.

Alfred Goldschmidt Laufenselden
Kündigung der Arztwohnung in Laufenselden
HHStAW 518 11981 (16)

Am 25. September 1935 wurde ihm zum Ende des Jahres „um dem Sinne des Führers und Reichskanzlers gerecht zu werden“ die bisher mietfreie Wohnung samt Praxis gekündigt. Der zwei Jahre zuvor geschlossene Vertrag, der eine solche einseitige Maßnahme eigentlich nicht zuließ, wurde damit ebenfalls aufgehoben.[16]
Bereits im Mai 1935 hatte das Ehepaar Goldschmidt in Laufenselden ein eigenes Haus in der damaligen Rathausstraße für 6.500 RM erworben.[17] Es war wohl dieses neue Haus, in das im Oktober 1937 ein Gefäß mit einer stinkenden Flüssigkeit durch die Fensterscheibe geworfen wurde.[18] Ganz offensichtlich hatte die öffentliche Diffamierung durch die kommunalen Behörden die jüdischen Mitbewohner inzwischen zu Parias werden lassen und die Hemmschwelle für direkte tätliche Angriffe soweit absinken lassen, dass sie ihres Lebens nicht mehr sicher sein konnten.

Aber nicht nur die Arztfamilie war betroffen, die Anfeindungen richteten sich auch gegen die anderen jüdischen Familien, die seit Generationen dort ansässig waren. So heißt es in der Schulchronik vom März 1936 in gestelztem Deutsch: „Am 9. März fand nach jahrzehntelanger Pause wieder zum erstenmal ein judenfreier Markt in unserem Dorf statt. Nicht die Tatsache allein, daß ein Kram- und Viehmarkt wieder lebendig wurde, ist zu behaupten, sondern daß die Herrschaft der Juden, die ja in Laufenselden bekanntlich einen starken Stützpunkt hatten, endgültig gebrochen ist. Und das ist uns mehr wert, als materieller Vorteil, wenn wir dies auch für unsere Gemeinde nicht nebensächlich behandeln wollen.“[19]
Solche Anordnungen, die auf die Ausgrenzung der Juden aus dem Wirtschaftsleben abzielten, bekam auch Alfred Goldschmidt noch im gleichen Jahr zu spüren. 1936 ließ der Bürgermeister durch den „Ortsbüttel“ öffentlich ausrufen, dass diejenigen, die im Krankheitsfall weiterhin Dr. Goldschmidt konsultieren, fristlos entlassen und ohne öffentliche Unterstützung bleiben würden. Ein solcher Fall ist dann auch tatsächlich aktenkundig geworden, viele andere bisherige Patienten des einstmals angesehenen Arztes wird allein die Androhung von einem weiteren Besuch abgehalten haben.[20] 1936 wurde dann auf Veranlassung des Landrats und der Ärztekammer noch ein weiterer Mediziner in Laufenselden zugelassen, obwohl ein Arzt alleine die Krankheitsfälle ohne weiteres alleine hätte bewältigen können. Entsprechend rückläufig waren die Einkünfte, die sich bis 1938 halbierten.[21] Aber immerhin hatte trotz aller Anfeindungen und Androhungen eine ganze Reihe von Patienten offenbar ihrem alten Arzt bis zuletzt die Treue gehalten.[22]

Die Ruine der Synagoge von Laufenselden
https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20175/Laufenselden%20Synagoge%20010.jpg

Die Hoffnung, in einer der größeren Städte des Rhein-Main-Gebietes in Frieden leben zu können, hatte viele jüdische Landbewohner im Laufe der Jahre zum Umzug veranlasst. Und auch Familie Goldschmidt vollzog im Sommer 1938 diesen Schritt, gab das Haus und die Praxis in Laufenselden auf, um nach Wiesbaden zu ziehen. Als im November 1938 der Mob auch die letzten Bewohner in der Taunusgemeinde überfiel, deren Geschäfte und Wohnungen zertrümmerte, die unter breiter öffentlicher Anteilnahme 1861 eingeweihte Synagoge in Brand setzte, da gab es nur noch wenige jüdische Bewohner im Ort.[23]

Dass die Familie Goldschmidt damals im Haus Kaiser-Friedrich-Ring 80 unterkam, welches den Brüdern Otto und Lucian Selig gehörte, scheint kein Zufall gewesen zu sein. In dem Haus lebte 1938 der ehemalige Pferdehändler Benny Oppenheimer, der ebenfalls aus Laufenselden stammte und wie Alfred Goldschmidt Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs war. Nachdem er seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte und er in Hahnstätten, wohin er nach seiner Verheiratung gezogen war, immer mehr unter den Anfeindungen der dortigen Bewohner zu leiden hatte, verkauft er sein dortiges Haus und zog 1935 nach Wiesbaden in den Kaiser-Friedrich-Ring 80. In jedem Fall müssen sich die beiden Familien gekannt haben und vermutlich hatte Benny Oppenheimer ein gutes Wort für Goldschmidts bei den Vermietern eingelegt. Benny Oppenheimer war während des Novemberpogroms 1938 verhaftet worden und wie Alfred Goldschmidt im städtischen Polizeigefängnis für zwei Tage inhaftiert worden. Anders als Letzterer wurde er nicht nach Buchenwald verbracht, sondern freigelassen, weil er vermutlich damals schon alle Vorbereitungen für seine Ausreise getroffen hatte. Unmittelbar nach der Entlassung verließ er mit seiner Familie, seiner Frau Auguste und seiner Tochter Johanna, das Land, um in die USA zu emigrieren.[24] Das bedeutet aber, dass beide Familien noch einige Monate gemeinsam in dem Haus verbrachten. Eine gemeinsame Wohnung, werden sie aber kaum gehabt haben, denn mit der Familie Goldschmidt zog auch die seines Onkels Dr. Adolf Lang, der ebenfalls Mediziner war, als Untermieter mit in die Wohnung ein. Letztere blieben aber nur etwa ein Dreivierteljahr. Möglicherweise war es die unvermeidliche Enge, die sie dazu veranlasste, Anfang März 1939 in die Humboldtstr. 9 zu ziehen.

Auch wenn wegen fehlender Meldeunterlagen nicht sicher zu sagen ist, ob die beiden Töchter Lieselotte und Ilse ebenfalls dort einzogen, so ist das aber sehr wahrscheinlich, zumindest im Hinblick auf die erst 16 Jahre alte Ilse. Ostern 1938 hatte sie die Schule mit der Unterprimareife abgebrochen, weil sie schon damals ahnte, dass sie ihren eigentlichen Berufswunsch, Medizin zu studieren und Ärztin zu werden, auch als „Mischlingskind“ in diesem Staat kaum mehr würde realisieren können. Auch gab Ilse an, dass die Familie eigentlich die Absicht hatte, aus Deutschland auszuwandern. Das Vorhaben habe aber nicht realisiert werden können, „weil meine Eltern eine zu niedrige Auswanderungsquote zugeteilt erhielten“.[25] So wechselte sie zunächst auf eine Höhere Handelsschule in Wiesbaden und ging anschließend noch nach Gernrode im Harz wo sie ihren vorherigen Abschluss mit einer Zusatzausbildung zur kaufmännischen praktischen Arzthelferin ergänzte. Aber auch nach ihrem Examen Ostern 1940 fand sie als „Mischling I. Grades“ mit dieser Qualifikation nirgendwo eine Anstellung. So musste sie als einfache Bürokraft Arbeit bei der Mainzer Gewürzmühle ‚Klein & Rindt’ annehmen, wo sie von Juli 1940 bis August 1943 für 120 RM im Monat tätig war.[26] Abgesehen von der Zeit, die sie im Harz verbrachte, wohnte Ilse daher mit großer Wahrscheinlichkeit immer zusammen mit den Eltern im Haus am Kaiser-Friedrich-Ring.
Unklar ist aber, ob dies auch auf ihre ältere Schwester Liselotte, die in Wiesbaden keinerlei Spuren hinterlassen hat, zutrifft.[27]

Wann genau sich die Familie Goldschmidt in Wiesbaden anmeldete, ist nicht mehr feststellbar, aber es muss Anfang Juni 1938 gewesen sein. Am 7. Juni stellte die Spedition Rettenmayer die Umzugskosten von Laufenselden nach Wiesbaden in Rechnung.[28]
Die Umzugskosten zu entschädigen, weigerte sich nach dem Krieg die Behörde mit dem folgenden, höchst fragwürdigen Argument: „Der Umzug von Laufenselden nach Wiesbaden geschah nicht ‚im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verfolgung auf Veranlassung oder mit Billigung’ einer der amtlichen Dienststellen oder Amtsträger (§ 17 EG), sondern ergab sich als mittelbare Folge des Berufsverbots und der Kündigung der Dienstwohnung (Bl. 16). Demnach entfällt die gesetzliche Voraussetzung für die Wiedergutmachung des Schadens.“[29]

Alfred Goldschmidt, Adolf Lang
Bescheinigung des „Krankenbehandlers“ Alfred Goldschmidt – siehe Stempel – für seinen Onkel Adolf Lang
HHStAW 685 432 B (77)

Wie in dem Zitat erwähnt, war Alfred Goldschmidt, wie allen anderen jüdischen Ärzten auch, sukzessive die Möglichkeit, seinem Beruf als Arzt auszuüben, entzogen worden. Seit dem 1. Januar 1938 war ihm zunächst die Abrechnung von Leistungen über die Krankenkassen gekündigt worden, sodass er nur noch Privatrechnungen stellen konnte.[30] Auf Grund der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz durfte er ab dem 1. September 1938 seinen Beruf zunächst überhaupt nicht mehr ausüben. Vom 9. Dezember gewährte man ihm dann den Status eines „Krankenbehandlers“, der es ihm erlaubte, wenigstens jüdische Patienten versorgen zu dürfen.[31] Offenbar war der Bedarf an ärztlicher Versorgung für Juden in Wiesbaden so hoch, dass er in den folgenden Jahren gegenüber 1938 sein Einkommen wieder verdoppeln konnte. Hatte er 1938 laut Finanzamt Wiesbaden etwa 4.200 RM eingenommen, so waren es 1939 fast 8.000 und 1941 wie auch 1942 sogar mehr als 10.000 RM.[32] Allerdings ist nicht feststellbar, ob diese Einkünfte allein aus der ärztlichen Tätigkeit erwuchsen, hinzu kamen möglicherweise auch Zinseinnahmen aus Wertpapieren oder auch eine berufliche Tätigkeit seiner nichtjüdischen Frau, die nicht gleichermaßen eingeschränkt war.

Zwar hatte sich somit seine wirtschaftliche Situation nach dem Umzug wieder verbessert, dass aber Wiesbaden auch kein sicherer Ort sein würde, musste Alfred Goldschmidt schon bald erfahren. Im Gefolge der Reichspogromnacht wurde auch er in seinem neuen Zuhause verhaftet und zunächst für zwei Tage im städtischen Polizeigefängnis festgehalten, dann für vier Wochen in das KZ-Buchenwald überstellt. Am 10. Dezember 1938 durfte er wieder zurückkehren.[33]

IUnhaftierung Alfred GoldschmidtInhaftierung Alfred Goldschmidt

 

 

 

 

 

Die nur schlecht erhaltene Kopie der Inhaftierungsbescheinigung von Alfred Goldschmidt
HHStAW 5128 11981 (5, 6).

 

Im Januar 1939 erhielt er den Bescheid über die von ihm zu leistende Judenvermögensabgabe. Sie sollte insgesamt 4.800 RM betragen, zahlbar in vier Raten mit jeweils 1.200 RM. Den Bescheid über die zusätzliche fünfte Rate erhielt er am 11. November 1939, sodass sich die Zahlung insgesamt auf 6.000 RM summierte.[34]

Zumindest grob lassen sich aus dieser Steuerforderung Rückschlüsse auf die Vermögensverhältnisse des Ehepaars Goldschmidt ziehen. Weil die Juden durch diese „Sühneleistung“ gezwungen wurden zunächst 20, dann 25 Prozent ihres Vermögens an den NS-Staat abzutreten, muss dieses damals etwa 20.000 RM betragen haben.

Da Goldschmidts den geforderten Betrag etwa je zur Hälfte durch die Überschreibung von Wertpapieren und in bar entrichten konnten, waren sie nicht genötigt, ihr Haus in Laufenselden zu verkaufen. Dazu wurden sie nicht durch finanzielle Not, sondern direkt gezwungen. Das Haus, das auf Grund der getätigten Renovierungsarbeiten nach Alfred Goldschmidt einen Wert von etwa 10.000 RM besaß, musste er am 29. März 1939 an ein Wiesbadener Ehepaar zu einem Preis von 5.900 RM abgeben. Der Preis, der vom Laufenseldener Ortsgericht festgelegt worden war, lag deutlich unter dem vom Eigentümer angegebenen Wert, sogar noch unter dem Wert, für den Alfred Goldschmidt es vier Jahre zuvor erstanden hatte.[35]

Das waren nicht die einzigen finanziellen Verluste, die Alfred Goldschmidt zu erleiden hatte. Die Wegnahme eines Radios 1939 im Wert von etwa 400 RM war da noch am ehesten zu verschmerzen. Der erzwungene Rückkauf mehrerer Versicherungen schlug da schon stärker ins Gewicht.[36] Ohne diesen Raub in irgendeiner Weise beschönigen zu wollen, so ging es der Familie auf Grund des laufenden Einkommens trotz aller Einschränkungen im Vergleich zu den Lebensumständen vieler anderer Juden in den Jahren zwischen 1939 und 1942 vermutlich noch relativ gut. Da am 1. Juni 1941 das Ehepaar Emil und Johanna Neumann, eine ehemalige Kaufmannsfamilie aus Sonnenberg, in ihre Wohnung eingewiesen wurde, konnten sie auch zusätzliche Mieteinnahmen verbuchen, deren Höhe aber nicht bekannt ist.
Allerdings weiß man nicht, welche Sorgen sie umtrieben, als sie mit ansehen mussten, wie ihre Glaubensbrüder und –schwestern allmählich in den Lagern im Osten verschwanden, welche Befürchtungen sie um ihr eigenes Leben und um das ihrer Töchter damals hatten. Es gibt keine Unterlagen, keine Briefe oder Akten, die Auskunft über die Jahre geben würden, die sie im Judenhaus verbrachten. Auch weiß man nicht, wie der zuletzt einzige jüdische Mieter von seinen Mitbewohnern behandelt wurde, nachdem am 1. September 1942 die letzten Jüdinnen und Juden aus dem Haus nach Theresienstadt deportiert worden waren.
In der Mieterliste steht von da an der Name Goldschmidt neben denen der übrigen Mieter, so als sei das ganz normal. 100 RM musste er als Miete für die Wohnung bezahlen, die, nachdem die Eigentümer deportiert waren, von dem Hausverwalter Briel für das Finanzamt Wiesbaden zur Verwertung verwaltet wurde.[37]

Ein dreiviertel Jahr blieben Goldschmidts noch im Kaiser-Friedrich-Ring 80 wohnen, dann mussten sie auf Geheiß der Gestapo nach Frankfurt übersiedeln.[38] Auch Ilse gab damals ihre Stellung in Mainz auf und zog mit nach Frankfurt, wo sie bei der Firma Philipp Wandel als Kontoristin mit einem monatlichen Gehalt von 185 RM eingestellt wurde.[39]

Ihre neue Wohnung fanden sie in der Uhlandstr. 54, zumindest wurde an diese Adresse die Rechnung der Umzugsfirma Rettenmayer gerichtet, die auch schon zuvor die Möbel aus Laufenselden nach Wiesbaden gebracht hatte.[40] Seine Praxis musste Alfred Goldschmidt im Haus der Reichsvereinigung der Juden im Hermesweg 5-7 einrichten,[41] ein Haus, das bisher als Jüdisches Krankenhaus, als Altersheim und auch als Sammelstelle für die Deportationen fungiert hatte.[42] Neben den Büroräumen gab es dort eine Krankenstation und ein Zimmer für „Krankenbehandler“.[43] Wie viele dort tätig waren, ist nicht bekannt, aber Alfred Goldschmidt wird nicht der einzige gewesen sein. Allerdings war auch Frankfurt inzwischen weitgehend „judenfrei“. Daneben gab es noch eine Schuhmacherwerkstatt und eine Haftstätte der Gestapo für alleinstehende Juden, die aus einer nicht mehr bestehenden „privilegierten Mischehe“ stammten, aber nicht deportiert werden sollten. Der glühende Antisemit Ernst Holland mit dem Titel ‚Beauftragter der Geheimen Staatspolizei bei der Jüdischen Wohlfahrtspflege in Frankfurt am Main’, der ebenfalls in diesem Haus residierte, überwachte dort das gesamte Geschehen. Er war es auch der schon 1943 gegen den Willen des Sicherheitshauptamts in Berlin damit vorpreschte, jüdische Ehepartner aus Mischehen in den Tod zu schicken.[44] Alfred Goldschmidt hatte das Glück, verschont geblieben zu sein.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober wurde das Gebäude im Hermesweg durch einen alliierten Bombenangriff völlig zerstört, wobei auch die Praxiseinrichtung von Alfred Goldschmidt vernichtet wurde.[45] Die verschiedenen Aufgaben, die bisher im Hermesweg ausgeübt worden waren, wurden danach in die ‚Gemeinschaftsunterkunft’ Ostendstr. 18 verlegt. Ob es da auch eine Einrichtung für die noch tätigen „Krankenbehandler“ gab, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

Wie Alfred Goldschmidt die weiteren eineinhalb Jahre der Naziherrschaft erlebte, wo er wohnte und wovon er lebte, ist nicht bekannt. Laut seinen Steuerunterlagen hatte er aber auch in den Jahren in Frankfurt ein relativ hohes Einkommen von durchschnittlich etwa 10.000 RM. Allerdings ist kaum vorstellbar, dass er dieses aus der Behandlung kranker Juden beziehen konnte, da nahezu alle seine potentiellen Patienten bereits deportiert und ermordet worden waren.

Seine Tochter Ilse blieb bis zum Februar 1945 bei der Firma in Frankfurt, in die sie 1943 eingetreten war. Dann wurde sie auf Geheiß der Gestapo noch als Zwangsarbeiterin mit einem Stundenlohn von 50 Pfennigen bei dem auch heute noch existierenden Arzneimittelhersteller ‚Bykopharm’ eingesetzt. Der Einmarsch der amerikanischen Truppen beendete die bis zuletzt lebensbedrohliche Situation für die Familie Goldschmidt.

Als Alfred Goldschmidt nach dem Krieg seinen Entschädigungsakte stellte, wohnte er in Frankfurt in der Weiherstr. 4, dem heutigen Lerchesbergring. Bereits im Jahr zuvor hatte er einen Antrag auf eine Beihilfe zur Existenzgründung gestellt, um wieder eine Arztpraxis eröffnen zu können, was von der Betreuungsstelle auch befürwortet wurde.[46]
Wie lange er noch praktizierte, konnte nicht ermittelt werden. Am 21. Januar 1962 verstarb er in Frankfurt im Heilig Geist Hospital mit 75 Jahren, seine Frau folge ihm am 12 Dezember des folgenden Jahres.[47]

Auch Ilse Goldschmidt hatte, als sie 1955 ihre Entschädigung beantragte, als Adresse die Weiherstraße angegeben, allerdings scheint sie inzwischen geheiratet zu haben, denn sie hieß nun mit Familienname Müller.[48] Wann die Eheschließung stattgefunden hatte, geht aus den Akten nicht hervor, aber im Haus in der Weiherstr. 4 war 1955 auch ein Student namens H. J. Müller gemeldet, vielleicht ihr späterer Ehemann. Ilse arbeitete damals in ihrem gelernten Beruf als Arzthelferin, möglicherweise sogar bei ihrem Vater.

Der Neuanfang in der Bundesrepublik wird nicht nur wegen der Vergangenheit, sondern auch angesichts der vielen demütigenden Auseinandersetzungen mit der Entschädigungsbehörde für Alfred Goldschmidt sicher sehr belastend gewesen sein. Auch Ilse musste sich zumindest in den ersten Jahren mit der Ignoranz und der mangelnden Empathie der Behörden herumschlagen. So zweifelte man verschiedene Angaben in ihrem Lebenslauf an: Ein Lyzeum am Schlossplatz sei in Wiesbaden nicht bekannt. Der Brief, der ihre Angabe über ihre dortige Schulzeit überprüfen sollte, war als unzustellbar zurückgekommen. Dass das Lyzeum bei einem Fliegerangriff in Schutt und Asche gelegt worden war, hatte man nicht wahrgenommen. Zudem bezweifelte man, dass man ihr ein Medizinstudium verwehrt hätte, da sie nach im ihrem Abgang vom Gymnasium doch auch andere Schulen habe besuchen können.[49] Letztlich gewährte man ihr aber dann doch insgesamt 10.000 DM als Entschädigung für die verhinderte Ausbildung zur Ärztin,[50] was natürlich kaum eine angemessene Abfindung darstellt, weder finanziell, noch im Hinblick auf eine mögliche berufliche Identität.

Wie bereits angemerkt, liegen kaum Informationen über das Schicksal ihrer Schwester Liselotte vor. In der Entschädigungsakte ihres Vaters befindet sich allerdings ein Schreiben vom 6. Dezember 1956 der entsprechenden Behörde in Tübingen, laut der sie dort einen Antrag auf Entschädigung ebenfalls wegen Schadens in ihrer Ausbildung eingereicht hatte. Demnach müsste ihr Wohnsitz während der Zeit des Nationalsozialismus in der Umgebung der süddeutschen Stadt gewesen sein. Die „Antragstellerin Liselotte Meyer, geb. Goldschmidt, geb. 30.3.1915“ sei in Nizza wohnhaft.[51] Wann sie nach Frankreich geflohen oder ausgewandert war, wann sie geheiratet hatte und wer der Ehemann war, konnte nicht ermittelt werden, aber immerhin gibt dieses Schreiben die Gewissheit, dass auch sie nicht Opfer der nationalsozialistischen Rassenwahns geworden war. Am 25. November 2002 soll sie im Alter von 87 Jahren in ihrer Wahlheimatstadt Nizza verstorben sein.[52]

 

Überlebt hat auch die Familie von Max Goldschmidt, dem jüngeren Bruder von Alfred. Zwar konnten über ihn bisher nur wenige verlässliche Informationen ermittelt werden und manches muss daher im Bereich von Mutmaßungen bleiben.[53] Gesichert ist aber, dass er mit seiner Familie schon bald nach der „Machtergreifung“ erste Schritte unternahm, um Deutschland zu verlassen. Dieser Entschluss war umso leichter in die Tat umzusetzen, als er schon früher in den USA gelebt hatte und zudem mit einer Amerikanerin verheiratet war.

Vermutlich um die entsprechenden Vorbereitungen für eine endgültige Übersiedlung zu treffen, war die gesamte Familie am 2. Mai 1934 mit der „Bremen“ aus der namensgleichen Stadt kommend im Hafen von New York angekommen. Als Reisende standen auf der Passagierliste neben Max Goldschmidt seine Frau Isabelle und die drei Töchter Marion, 11 Jahre alt, Elenore, 9 Jahre alt, und Doris, 5 Jahre alt.[54]

 

 

 

 

 

 

 

Erste Ausreise der Familie von Max Goldschmidt in die USA im Jahr 1934
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_5483-0460?treeid=&personid=&hintid=&queryId=36058d7551b00d2d4418ce7f4730182c&usePUB=true&_phsrc=svo1753&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=2017110665

Alle drei Kinder waren in Meiningen geboren worden, was darauf schließen lässt, dass die Familie mindestens bis in die späten zwanziger Jahre dort wohnte. In seinem am 27. April 1943 gestellten Antrag auf Einbürgerung gab er als letzten Wohnsitz in Deutschland allerdings Berlin an.[55]

Als Kontaktperson in der Heimat war in der Passagierliste sein damals noch in Laufenselden wohnender Bruder Alfred eingetragen, für die USA seine „mother in law“, seine Schwiegermutter L. Sicklick, in New York, was bedeutet, dass seine Frau ebenfalls eine geborene Sicklick war. Allerdings ist es schwierig, sie und ihre Familie in den USA mit Sicherheit zu identifizieren, da die Angaben über ihr Alter in den verschiedenen Dokumenten nicht kohärent sind. So gab sie bei dieser ersten Überfahrt 1934 in die USA an, 39 Jahre alt zu sein, was bedeuten würde, dass sie um 1895 geboren sein müsste. Bei einer erneuten Einreise in die USA allein mit ihrem Mann 1937 ist ihr Alter mit 45 Jahren angegeben, was auf ein Geburtsjahr um 1892 schließen lässt.[56] Im folgenden Jahr reiste sie erneut, diesmal wieder mit der gesamten Familie ein, erneut verweist die Altersangabe von 46 Jahren auf das Geburtsjahr 1892.[57] In seinem Einbürgerungsantrag, den Max Goldschmidt am 1. Dezember 1938 in New York einreichte, gab er das Geburtsdatum seiner Frau mit dem 6. August 1892 an.[58]

In diesem Antrag machte er auch eine Angabe, dass die Ehe am 20. März 1920 in New York geschlossen worden war, eine Angabe, die auch durch seinen späteren Sterbeeintrag bestätigt wird.[59] Ein Dokument, eine Draft-Card vom Juni 1917 belegt, dass er sich bereits während des Ersten Weltkriegs in den Vereinigten Staaten aufgehalten und in dieser Zeit vermutlich seine zukünftige Frau kennen gelernt hatte. Er ist eindeutig am Geburtsort und –tag zu identifizieren. Seit wann er sich dort aufhielt, ist nicht bekannt. Beschäftigt war er damals bei einer Firma ‚Buxbaum & Co.’ in New York als Buchhalter. Auf die Frage, „Do you claim exemption from draft ?“ anwortete er mit einem deutlichen “Yes”.[60] Man wird sicher davon ausgehen können, dass er damals nicht in die amerikanische Armee eingezogen wurde. Wann er nach Deutschland zurückkehrte, war nicht zu ermitteln.

Max Goldschmidt
Registrierung von Max Goldschmidt 1917 in den USA
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/9014988:1002

Verwunderlich ist allerdings, dass er sich zu dieser Zeit überhaupt für einen längeren Zeitraum außer Landes aufhielt, denn Max Goldschmidt hatte damals gerade eine große unternehmerische Verantwortung übernommen. In der Draft-Card wird sein Beruf zwar als Buchhalter bezeichnet, in den späteren Passagierlisten gab er immer an, „Manufacturer“, also Fabrikant, zu sein. Und tatsächlich handelt es sich bei ihm um den Max Goldschmidt, der an der in Meiningen ansässigen, bedeutenden Textilfirma ‚Welton Meiningen’ beteiligt war.[61] Das 1860 von einem M. Frank zunächst als Herrenwäschefabrik gegründete Unternehmen war noch vor dem Ersten Weltkrieg von den jüdischen Kompagnons Max Goldschmidt und Julius Grünstein übernommen worden. Grünstein stieg später zu einem nicht bekannten Zeitpunkt allerdings aus dem Unternehmen wieder aus. 1928 trat an seine Stelle als Mitbeteiligter Erich Deipser, der auch Prokura besaß. 1937/38 übernahm Deipser dann auch die Anteile von Max Goldschmidt, nachdem dieser sich endgültig zur Auswanderung entschlossen hatte. Das arisierte Unternehmen firmierte von da an als ‚Welton Herrenwäschefabrik Erich Deipser’. Spätestens seit 1935 wird das operative Geschäfte in den Händen des späteren Besitzers gelegen haben, denn ab diesem Zeitpunkt hatte die Firma einen Großteil ihrer Umsätze mit der Herstellung von Uniformen zunächst für die verschiedenen Organisationen der NSDAP, ab 1939 dann auch für die Wehrmacht gemacht.[62]

In seinem Einbürgerungsantrag hatte Max Goldschmidt auch angegeben, dass sein letzter Wohnsitz in Deutschland Berlin gewesen sei. Wann genau die Familie dorthin verzogen war, ist nicht bekannt, aber im Berliner Adressbuch von 1936 ist ein Fabrikant Max Goldschmidt als Bewohner des Hauses in Berlin Charlottenburg, Kronprinzenstr. 40, verzeichnet. 1934 war er laut dem Meininger Adressbuch noch in seiner Heimatstadt gemeldet, wo die Familie in der Helenenstr. 7 wohnte.

Gemeinsam traten sie im Spätsommer 1938 die endgültige Ausreise in die USA an. Auf der Passagierliste der „Normandie“, die am 7. September 1938 diesmal von Le Havre kommend in New York anlandete, sind die drei Kinder mit ihrem Alter angegeben. Marion war damals 16, Eleonore 14 und Doris 10 Jahre alt.[63]

Einbürgerungsantrag von Max Goldschmidt
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6702406:2280?tid=&pid=&queryId=bccce8ee6b2c7d8ad91ef397c3f40994&_phsrc=svo1941&_phstart=successSource.

Bei dem auf dem noch im gleichen Jahr eingereichten Antrag zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft gab der Vater diesmal auch die genauen Geburtsdaten der Kinder an: Marion war am 25 Juli 1922, Eleonore /Elinor am 7. März 1924 und Doris am 29. Juni 1928 geboren worden.[64] Als Max Goldschmidt im April 1943 sein Einbürgerungsbegehren in Massachusetts erneute, gab er nun an, der Vater von nur zwei Kindern zu sein.[65] Die älteste Tochter Marion war schon bald nach der Ankunft in Amerika am 2. Oktober 1939 in einem New Yorker Hospital im Alter von 17 Jahren verstorben.[66]
Das weitere Schicksal der Familie in Amerika konnte leider nicht ermittelt werden. Irgendwann muss aber zumindest Max Goldschmidt wieder zurück nach Deutschland gekommen sein, denn er verstarb am 6. November 1975 wie sein Bruder in Frankfurt am Main. Zuletzt hatte er dort in der Schönbornstr. 43 gewohnt.[67]

 

 

Veröffentlicht: 01. 08. 2023

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] Heiratsregister Berlin 329 / 1914.

[2] Angaben laut Auskunft des Stadtarchivs Meiningen vom 5.7.2023.

[3] Bisher steht eine umfassende genealogische Aufarbeitung der Verwandtschaftsverhältnisse dieser Familie noch aus, sodass eine genaue Zuordnung aller Familienmitglieder noch nicht möglich ist.

[4] Die Angaben zu seiner Person sind dem in der Promotion abgedruckten Lebenslauf entnommen, siehe Goldschmidt, Alfred, Ein Fall von Osteosclerosis dolorosa, Lepzig 1913, S. 29.

[5] Heiratsregister Berlin 329 / 1914. Für Maria Keßler war es bereits die zweite Ehe, denn sie wird in der Heiratsurkunde als geschiedene Reiner bezeichnet.

[6] Göbel / Hengstenberg, Synagoge in Laufenselden, S. 23.

[7] HHStAW 671 6 (42).

[8] Göbel / Hengstenberg, Synagoge in Laufenselden, S. 23.

[9] Ebd. S. 24. Hier ist auch ein Faksimile der Urkunde abgebildet.

[10] Arnsberg, Jüdische Gemeinden in Hessen 1, S. 480 f.

[11] HHStAW 671 7 (passim).

[12] Ebd. (26, 79). Die Angabe machte Alfred Goldschmidt erstmals 1926 für seine elfjährige Tochter, d.h. für Lieselotte. 1931 schrieb er, dass beide Töchter während der Woche in Wiesbaden untergebracht seien und er dafür jährlich 2.400 RM aufbringen müsse, was man bitte bei der Steuerberechnung berücksichtigen möge.

[13] HHStAW 518 11981 (44).

[14] Ebd. (32 f., 107). Im Entschädigungsverfahren erklärte die Gemeinde, dass auch den nachfolgenden Ärzten das Fixum nicht mehr gezahlt worden sei, offensichtlich in der Absicht, die ursprünglich wohl antisemitisch motivierte Maßnahme als neutrale Sparmaßnahme zu kaschieren.

[15] Ebd. (104 ff.). Die Spendensumme bildete ein Sondervermögen des Reichs, aus dem Darlehen zur Finanzierung öffentlicher Arbeiten gewährt wurden, um so die Arbeitslosigkeit abzubauen. Unzweifelhaft wurde mit diesem scheinbar sozialen Programm nicht nur die Legitimation der Diktatur gefördert, sondern auch schon die geplante Wehrfähigkeit des NS-Staates finanziert.

[16] Ebd. (16).

[17] Ebd. (28 f.). In dem Schreiben des Rechtsanwalts ist zwar ein Kaufpreis von 65.000 RM genannt, aber offensichtlich handelt es sich dabei um einen Schreibfehler, denn es heißt dann weiter, das Haus sei mit erheblichen Aufwendungen renoviert worden, wovon ca. 2.000 RM durch Rechnungen nachweisbar seien. Der spätere Verkaufspreis habe knapp 6.000 RM betragen.

[18] Ebd. (40).

[19] Zit. nach Göbel / Hengstenberg, Synagoge in Laufenselden, S. 25.

[20] HHStAW 518 11981 (34, 41).

[21] Ebd. (23). Laut Auskunft des Finanzamts betrugen sie 1938 nur noch 4.200 RM. In einer ersten Stellungnahme der Entschädigungsbehörde auf die Entschädigungsforderungen von Alfred Goldschmidt wollte diese ihm eine entsprechende Kompensation verweigern. Die Begründung ist kennzeichnend für die Haltung der Behörde in den frühen 50er Jahren bzw. die damals gültige Rechtsauffassung: „Die Minderung Ihres Einkommens (…) dürfte nicht auf offiziellen Boykott (also Rechtsvorschrift oder im Verwaltungswege verordnet) (vergl. Wilden-Klückmann, Kommentar zum Entschädigungsgesetz. Seite 82) zurückzuführen sein, sondern auf ein effektives, mehr oder weniger furchtsames Verhalten der Bevölkerung.“ Dass dieses „furchtsame Verhalten“ etwas mit den staatlichen Maßnahmen und Verlautbarungen zu tun hatte, wird schlicht geleugnet. Außerdem behauptete man, Dr. Goldschmidt habe letztlich überhaupt keine Einkommensverluste erlitten, da seine Einkünfte in den Jahren nach 1938, nachdem er nach Wiesbaden gezogen war, sich wieder denen vor 1933 angenähert hätten. Siehe ebd. (32, 53).

[22] So auch Göbel / Hengstenberg, Synagoge in Laufenselden, S. 25.

[23] Siehe die Auflistung der angerichteten Schäden in Laufenselden unter HHStAW 418 1564 (37-39). Der angerichtete Schaden belief sich auf etwa 6.730 RM, ebd. (41). Auch Schülergruppen waren dazu aufgefordert worden, sich an dem Pogrom zu beteiligen, siehe Kropat, Reichskristallnacht, S. 68.

[24] HHStAW 518 63513 (5). Das Schicksal der Familie von Benny Oppenheimer wird detaillierter dargestellt im Kapitel über die Familie seines Bruders Sali Oppenheimer, der Bewohner des Judenhauses Rheinstr. 81 war. Sali Oppenheimer und seine Frau Emma wurden am 1.9.1942 von Wiesbaden nach Theresienstadt deportiert, überlebten aber, da sie zu der Gruppe von Gefangenen gehörten, die kurz vor dem Ende der NS-Herrschaft im Februar 1945 durch einen Deal von Himmler mit dem IRK die Ausreise in die Schweiz ermöglicht wurde.

[25] HHStAW 518 76693 (5). Gemeint ist sicher, dass die Registrierungsnummer, die ihnen im zuständigen amerikanischen Konsulat in Stuttgart zugeteilt worden war, so hoch war, sodass sie bei den bestehenden Quotierungen keine Chance für eine rechtzeitige Auswanderung hatten. Allerdings finden sich in allen anderen Unterlagen keine weiteren Indizien, die diese Pläne der Eltern bestätigen würden.

[26] Ilse hat diese Angaben in ihrem Lebenslauf gemacht, den sie im Zusammenhang mit ihrem Entschädigungsverfahren verfasste, siehe HHStAW 518 76693 (4, 5).

[27] Bei der Registrierung der Steuerunterlagen von Juden nach dem Krieg durch die Amerikaner sind allerdings beide Töchter als in Wiesbaden wohnhaft notiert, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/8170235:61758?tid=&pid=&queryId=a3e193c8f578ccb8004a653bef51dcbe&_phsrc=svo1837&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023). Aber das ist eine zu vage Angabe, um daraus weitere Schlüsse ziehen zu können.

[28] HHStAW 518 11981(17).

[29] Ebd. (45) (Hervorhebung im Original).

[30] Ebd. (42).

[31] Ebd. (34).

[32] Ebd. (23).

[33] Ebd. (6, 14). Die Haftentschädigung für 4 Wochen KZ betrug 150 DM, siehe ebd. (31).

[34] Ebd. (19, 20, 47).

[35] Ebd. (29 f.). Das Haus musste nach dem Krieg zurückerstattet werden.

[36] Ebd. (oP). Diese Verluste wurden allerdings im Juli 1959 mit 7.500 DM entschädigt.

[37] HHStAW 519/2 2173 (o.P.).

[38] HHStAW 518 11981 (50).

[39] HHStAW 518 76693 (5).

[40] HHStAW 518 11981 (18). Die Rechnung ist datiert mit dem 6.3.1943 und belief sich auf 552,60 RM. Immerhin war die Entschädigungsbehörde bereit diese Kosten zu entschädigen, weil der Umzug durch eine staatliche Stelle angeordnet war.

[41] Seit dem 1. Januar 1943 beherbergte das Gebäude die ‚Bezirksstelle Hessen/Hessen-Nassau der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland’, in der organisatorisch die bisherigen Bezirksstellen Hessen-Nassau, Hessen und die Jüdische Gemeinde Frankfurt zusammengefasst worden waren.

[42] Ein Vierteljahr nach Goldschmidts mussten auch die letzten noch in Wiesbaden verbliebenen Mitglieder des ehemaligen Gemeindevorstands nach Frankfurt in den Hermesweg ziehen. Es handelte sich um das Ehepaar Georg und Margarete Goldstein, Arthur und Anna Strauss und Berthold Guthmann mit seiner Frau Claire und den Kindern Paul und Charlotte. Charlotte Guthmann, verheiratete Opfermann, hat später über ihre Tätigkeit im Hermesweg berichtet, die Familie Goldschmidt bleibt aber in diesem Bericht unerwähnt. Siehe Opfermann, Hermesweg, S. 403-414.

[43] Siehe Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 380 f.

[44] Ebd. S. 376 ff.

[45] Da Bombenschäden durch das Entschädigungsgesetz nicht abgedeckt waren, erhielt er auch für diesen Schaden keine Kompensation, siehe HHStAW 518 11981 (24, 25, 45).

[46] Ebd. (2).

[47] Sterberegister Frankfurt 551 / 1961 und 7380 / 1962.

[48] HHStAW 519 76693 (2). In einer Bescheinigung der Stadt Frankfurt heißt es, dass Ilse Müller seit dem 27.11.1945 „von Langenweddingen kommend“ in Frankfurt in der Weiherstr. 4 wohne. Möglicherweise stammte ihr Ehemann aus dieser Gemeinde in der Nähe von Magdeburg. Ebd. (14).

[49] HHStAW 518 76693 (12).die

[50] Ebd. (17, 23)

[51] HHStAW 518 11981 (91).

[52] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/13935661:62201?tid=&pid=&queryId=66e36dbfcf3689c9955ba1ba40b3c26a&_phsrc=svo1827&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023).

[53] Erschwert wird die Rekonstruktion seines Lebens auch dadurch, dass es in Meiningen einen zweiten Max Goldschmidt gab, der am 7.3.1879 geboren wurde, aber in keiner unmittelbaren Verbindung zu der hier in Frage stehenden Familie Goldschmidt stand. Zudem gab es einen Max Goldschmidt aus Frankfurt, der ebenfalls im Jahr 1888, allerdings im Mai, geboren worden war und schon in den ersten Jahrzehnten des 20 Jahrhunderts in die USA ausreiste, sich dort aber in Chicago niederließ.

[54] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_5483-0460?treeid=&personid=&hintid=&queryId=36058d7551b00d2d4418ce7f4730182c&usePUB=true&_phsrc=svo1753&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=2017110665 (Zugriff: 15.07.2023). Wo die Kinder geboren wurden, ist allerdings nicht bekannt. In Meiningen sind sie nach Auskunft des Stadtarchivs nicht registriert worden.

[55] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/901251382:2361. (Zugriff: 15.07.2023).

[56] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/23821:9734?tid=&pid=&queryId=45e42b99389e3a8413c5184fceb415e9&_phsrc=svo1937&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023). Siehe den weiterführenden Ling auf die Bremer Passagierlisten unter dem Namen Goldschmidt.

[57] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6215-0073?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=21020204. (Zugriff: 15.07.2023). Diesmal ist als Kontakt in den USA ein Cousin von Isabella Goldschmidt namens George Sicklick genannt. Für Deutschland ist erneut der inzwischen im Kaiser-Friedrich-Ring 80 wohnende Bruder Alfred angeführt.

[58] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6702406:2280?tid=&pid=&queryId=bccce8ee6b2c7d8ad91ef397c3f40994&_phsrc=svo1941&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023). Möglicherweise stammte seine Frau aus der Familie von Michael / Michel und Elizabeth / Lizzie Sicklick, die Ende des 1900 Jahrhunderts aus Russland eingewandert waren. Die Familie bestand laut der Volkszählung von 1910 neben den Eltern aus weiteren fünf Kindern, einem Sohn und vier Töchtern, von denen Isabelle / Isabela die zweitälteste war. Während die älteste Tochter Sophia noch in Russland geboren wurde, soll Isabelle die erste gewesen sein, die in Amerika das Licht der Welt erblickte. Siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/140251641:7884?tid=&pid=&queryId=41b29f9c8a6e6c48843fb4192108d7ef&_phsrc=svo1878&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023). Sophia gab in der Volkszählung von 1930 allerdings an, sie sei 1894 in die USA eingewandert. Wenn die Isabelle dieser Familie Sicklick die Frau von Max Goldschmidt war, dann kann sie allerdings kaum 1892 in New York geboren worden sein. Abgesehen vom Census des Jahres 1900, wo ihr Alter sicher fälschlicherweise mit 2 Jahren angegeben ist, kommt man bei allen weiten Volkszählungen von 1905, 1910 und 1920 auf ein Geburtsjahr 1894/95, was mit dem von Sophia angegebenen Einwanderungsjahr übereinstimmen würde. Zwar ist bei den Altersangaben in den Passagierlisten, in denen eindeutig eine Isabelle Sicklick als Frau von Max Goldschmidt identifiziert werden kann, auch einmal das Jahr 1895 zu finden, aber ansonsten sind immer abweichender Jahre genannt.
Es könnte sich bei der in den Volkszählungen genannten Isabelle Sicklick auch um eine andere Person handeln, denn eine Isabelle Sicklick war im Dezember 1918 bzw. Anfang 1919, in jedem Fall unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im Rahmen der Jüdischen Fürsorgebehörde für einen Auslandsdienst ausgewählt worden. Die 1917 im Zusammenhang mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg gegründete Organisation hatte im Groben sich zum Ziel gesetzt, die vielen jüdischen Soldaten bei ihrer schwierigen Mission nicht alleine zu lassen, sie in ihrem Glauben aber zugleich auch in ihrer Identität als amerikanische Staatsbürger zu festigen. Sie sollten wissen, für welches Ziel sie in diesen Krieg zogen. Diese Betreuungsarbeit fand vorrangig in den Ausbildungscamps in den USA, aber dann auch hinter der Front in Europa – allerdings weitgehend in Frankreich – statt. Die vom Jewish Welfare Board ausgewählte Isabelle Sicklich hatte in einer Erklärung, die sie am 6. Dezember 1918 unterzeichnet hatte, angeben, 32 Jahre alt zu sein, was bedeuten würde, dass sie im Jahr 1886 geboren worden sein müsste. Sollte ihr Geburtstag am Jahresende gelegen haben, so könnte sie identisch mit der in den Volkszählungen genannten Isabelle Sicklick sein. Möglicherweise handelt es sich hier aber sogar um eine dritte Person gleichen Namens, die aber vielleicht alle drei einen gemeinsamen familiären Hintergrund hatten. Die Abkunft von Max Goldschmidts Ehefrau muss aber weiterhin als ungesichert angesehen werden.

[59] Sterberegister Frankfurt 6799 / 1975.

[60] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/15869982:6482?lang=de-DE. (Zugriff: 15.07.2023).

[61] Es gab in Meiningen noch einen jüdischen Bürger Max Goldschmidt, geboren am 7.3.1879, der ebenfalls Kaufmann war, dann nach Erlangen verzog, um von dort aus über England in die USA zu emigrieren. Er erreichte mit seiner Frau Anna und den beiden Kindern Hede und Thea die USA im August 1940. Siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/39607:61195?tid=&pid=&queryId=01a9e48eb1ff08cd77c630371fa793da&_phsrc=svo1943&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023). Dass der 1888 und nicht der 1879 geborene Max Goldschmidt, der ebenfalls in der Textilbranche tätig war, Eigentümer der Firma war, lässt sich durch zwei Unterschriften zweifelsfrei belegen. Die Unterschrift von Max Goldschmidt auf der Abtretungsurkunde eines Schuldscheins der Stadt Meiningen auf seinen Nachfolger aus dem Jahr 1938 ist eindeutig von derselben Hand geschrieben, wie die auf dem Antrag zu seiner Einbürgerung in die USA aus dem gleichen Jahr.

[62] Nach dem Krieg wurde die Firma enteignet und in DDR-Zeiten produzierten bis zu 600 Mitarbeiter*innen in dem ‚VEB Welton Meningen’ Herrenoberhemden. Nach der Wende musste sie 1991 Konkurs anmelden. https://de.wikipedia.org/wiki/Welton_Meiningen. (Zugriff: 15.07.2023). Die nicht überprüften Angaben bei Wikipedia beruhen angeblich auf einem Artikel des Stadtlexikons Meiningen.

[63] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6215-0073?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=21020204. (Zugriff: 15.07.2023). Es mag Zufall sein, dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich auch ein 20jähriger Student namens Hans Theodor Kessler auf dem Schiff befand, möglicherweise ein Verwandter der Wiesbadener Schwägerin.

[64] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6702406:2280?tid=&pid=&queryId=bccce8ee6b2c7d8ad91ef397c3f40994&_phsrc=svo1941&_phstart=successSource. (Zugriff: 15.07.2023).

[65] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/901251382:2361. (Zugriff: 15.07.2023).

[66] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/618147:61778. (Zugriff: 15.07.2023). Interessant ist zudem, dass er bei der Namensangabe Max Goldschmidt als Alias Max Lang Goldsmith angab, also den Mädchenname der Mutter mit einbezog. Dieser vollständige Name ist auch in seinem späteren Sterbeeintrag aufgenommen.

[67] Sterberegister Frankfurt 6799 / 1975.