Dorothea Meyer


Lanzstr. 6 heute
Das ehemalige Judenhaus Lanzstr. 6 heute
Eigene Aufnahme
Lage Lanzstr 6
Lage des ehemaligen Judenhauses Lanzstr. 6
Belegung des Jugendhauses Lanzstr. 6

 

 

 

 

 


Dorothea Meyer war eine der vielen jüdischen Hausangestellten, die zumeist in den wohlhabenden Familien ihrer Glaubensgenossen im Hintergrund bescheiden ihre Arbeit verrichteten. Unscheinbar blieb nicht nur ihr alltägliches Wirken, sondern auch ihr Leben insgesamt. Es sind nur wenige Spuren, die sie in Wiesbaden hinterlassen hat. Und die Stadt war nur die letzte Station auf ihrem 46jährigen, unsteten Lebensweg, der von hier aus direkt in die Todeskammern von Sobibor führte.

Stammbaum der Familie Meyer
Stammbaum der Familie Meyer
GDB

Geboren wurde Dorothea Elisabeth Meyer am 26. Mai 1896 in der Ruhrmetropole Essen. Ihr Vater, der Kaufmann Moritz Meyer, führte ein Handelsgeschäft für Mehl und Getreide, das schon vor der Jahrhundertwende, vermutlich von seinem Vater Hermann Meyer dort gegründet worden war. Zumindest findet man im Essener Adressbuch von 1865 einen Hermann Meyer, der in der Stadt ein Fruchthandelsgeschäft betrieb.

Geburt Dorothea Meyer
Geburtsurkunde von Dorothea Elisabeth Meyer

Die Lebensdaten von Hermann Meyer sind leider nicht bekannt, dafür aber die seiner Frau Regina Meyer, geborene Levy, die auf dem jüdischen Friedhof in der Essener Lazarettstraße beerdigt wurde. Geboren wurde die am 3. August 1813 in Essen Verstorbene am 5. Januar 1899 an einem allerdings unbekannten Ort.[1]

Um die Jahrhundertwende war das Geschäft in der Bornstr. 24 gelegen, dann aber in die Bahnhofstr. 87, die spätere Hindenburgstraße, verlegt worden. Die Geschäfte müssen recht gut gelaufen sein, denn das dortige Haus war Eigentum von Hermann Meyers Sohn Moritz. Der Name der Firma „Julius & Moritz Meyer“ verweist auf eine Personengesellschaft mit mehreren Teilhabern.

Eintrag der Firma im Essener Adressbuch von 1916

Bei den beiden genannten Gesellschaftern handelt es sich eigentlich um die am 24. August 1849 geborenen Zwillinge Moses und Joel Meyer. Es ist nur schwer zu beurteilen, ob die beiden später ihre Vornamen zumindest im Adressbucheintrag nur aus wirtschaftlichen Gründen quasi entjudaisierten, oder ob dies auch auf eine gewachsene Distanz zu ihrer jüdischen Herkunft, Tradition und Glauben schließen lässt. Dagegen spricht, dass beide mit jüdischen Ehepartnern verheiratet waren, Julius mit Sara Anna, geborene Cahen,[2] Moritz mit Rosalie Löwenberg.[3] Im Jahr 1916 ist Moritz Meyer im Adressbuch von Essen als alleiniger Inhaber verzeichnet, sein Zwillingsbruder war 27. Februar 1913 verstorben.[4] Moritz Meyer verstarb fünf Jahre später am 13. Juli 1918 ebenfalls in Essen.[5]

Dorotheas Mutter Rosalie Löwenberg stammte aus dem kleinen Ort Hohenwepel bei Warburg, etwa auf halber Strecke zwischen Kassel und Paderborn gelegen. Schon im 17. Jahrhundert gab es in dem kleinen Ort einen Juden, der damals mit Getreide und Tuchen handelte und auch ein kleines eigenes Haus besaß. Weitere jüdische Bewohner ließen sich im folgenden Jahrhundert in dem Ort nieder, um sich an dem lukrativen Garnhandel zu beteiligen. Um die Wende zum 19. Jahrhundert zählte man sechs jüdische Haushalte mit insgesamt 32 Personen. Als 1808 die Juden genötigt wurden, feste Familiennamen anzunehmen, war es der Handelsmann Lucas Michel, der für sich und seine vier Söhne den Namen Löwenberg wählte und damit die Ahnenreihe begründete, an deren Ende Dorothea Meyer stand. Wie die genaue genealogische Verbindung zwischen der um 1861 geborenen Mutter Rosalie und der vorausgegangenen Generation der Löwenbergs aussehen, konnte im gegebenen Rahmen nicht ermittelt werden.[6] Aber ganz offensichtlich hatte sich die Familie in der Gemeinde etabliert, wenngleich es auch in den vorausgegangenen Jahrzehnten aus verschiedensten Gründen immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den christlichen und den jüdischen Bewohnern gekommen war.[7]

Vermutlich waren in der Ehe von Moritz und Rosalie Meyer mehr als die beiden bekannten Kinder Dorothea und ihr älterer Bruder Friedrich, genannt Fritz, zur Welt gekommen. Zumindest weiß man, dass mit Fritz am 29. Mai 1889 eine Zwillingsschwester zur Welt kam, die aber als Totgeburt keinen Namen mehr erhielt.[8]

Dorothea Meyer war ledig geblieben und auf Grund ihres Berufs als Hausangestellte zu einem eher unsteten Leben gezwungen. Wann sie erstmals ihre Heimatstadt verlassen hatte, ist nicht bekannt, aber im November 1920 kam die damals Vierundzwanzigjährige aus Osnabrück wieder nach Hause, wohnte zunächst bei den Eltern in der Bahnhofstr. 87, bezog aber nach zwei Wochen eine andere Wohnung in Essen. Vermutlich hatte sie dort eine neue Anstellung gefunden. Nach vier Jahren verließ sie die Stadt erneut, um in Bottrop zu arbeiten. Nach weiteren 5 Jahren ging sie nach Duisburg. Leider ist die Meldekarte beschädigt, sodass nicht mehr lesbar ist, wo sie in den Jahren 1930 und 1931 verbrachte. Bevor sie dann nach Wiesbaden kam war sie bis Ende Juni 1936 in Freiburg im Breisgau gemeldet.[9]

Meldekarte von Dorothea Meyer aus Essen
Stadtarchiv Essen, Bestand 3000

Da die Meldeunterlagen der Stadt Wiesbaden im Krieg zerstört wurden, ist nicht genau zu sagen, seit wann sie hier gemeldet war. Aber aus der Einkommensteuererklärung ihres vermutlich ersten Arbeitgebers, dem Rentierehepaar Jacobsohn,[10] das damals gerade in die Luxuspension Haus Eden in der Sonnenberger Str. 22 umgezogen war, kann man entnehmen, dass sie vom 1. Oktober 1936 an bei dem Ehepaar angestellt war. Das Arbeitsverhältnis endete zunächst nach nicht ganz zwei Jahren zum 1. Mai 1938.[11] Die Gründe dafür sind nicht bekannt, aber sie hängen sicher mit dem Umzug des Paares in die Lanzstr. 6 zusammen, die am 1. Juni stattfand. Obwohl Jacobsohns unmittelbar eine andere Frau einstellten, kann es kaum zu einem Zerwürfnis zwischen Dorothea Meyer und den bisherigen Arbeitgebern gekommen sein, denn am 1. September 1940 stellten Jacobsohns sie wieder ein.
Für die Zeit dazwischen sind auf ihrer Gestapokarteikarte drei andere Adressen vermerkt. Zwar bedeutet das nicht notwendigerweise, dass sie dort auch angestellt war, aber wahrscheinlich ist es doch, denn wovon hätte sie andernfalls leben sollen.

Gestapokarteikarte von Dorothea Meyer
Stadtarchiv Wiesbaden

Die erste auf der Karte eingetragene Adresse ist die Wilhelmstr. 16 bei Hausdorf (!).[12] Irritierend ist allerdings, dass das Ehepaar Hausdorff laut den Angaben auf ihrer eigenen Gestapokarteikarte damals nicht in der Wilhelmstraße, sondern am Leberberg 15 wohnte. Das ist aber sicher damit zu erklären, dass die Karten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgestellt wurden und es inzwischen eine recht große Fluktuation der jüdischen Mieter gab. Im September 1939 verzogen Josef und Marianne Hausdorff nach Berlin, nachdem ihr Sohn Hans Mitte August nach Argentinien ausgewandert war.[13] Vermutlich waren diese Pläne der Grund dafür, dass Dorothea Meyer sich damals eine neue Arbeitsstelle suchen musste.
Bereits ein Vierteljahr vor dem Wegzug der Hausdorffs, ab dem 1. März 1939, fand sie in Goldbergs in der Kapellenstr. 5 einen neuen Arbeitgeber. Unter dieser Adresse lebte damals Rosa Goldberg, die 1870 in Hagen geborene Witwe des Justizrats Davis Goldberg, der zuvor am 31. Januar 1936 verstorben war. Auch der Sohn Paul, ebenfalls Jurist, war bis Juni 1940 dort noch gemeldet. Da die Mutter fast das 70ste Lebensjahr erreicht hatte und auch vermögend war, ist die Anstellung von Dorothea Meyer nachvollziehbar. Aber auch dort konnte sie nicht lange bleiben. Wer die entsprechenden Verbindungen und die finanziellen Mittel besaß, verließ Deutschland, so auch Mutter und Sohn Goldberg. Im Frühjahr 1940 emigrierte Rosa Goldberg in die Schweiz. Ihr Sohn, der 1940 geheiratet und einen eigenen Hausstand gegründet hatte, folgte ihr mit seiner Frau im Jahr 1941. Anders als seine Mutter, die in der Schweiz blieb, zog er von dort weiter in die USA.[14]
Noch in der Zeit, in der Dorothea Meyer in der Kapellenstraße ihren Dienst verrichtete, hatte die Devisenstelle Frankfurt eine sogenannte „JS-Mappe“ – eine „Judensicherungsmappe“ für sie angelegt, um ihre Finanzen zu kontrollieren. Vorläufig sollte sie monatlich über einen Freibetrag von 300 RM verfügen können.[15] Die Freigabe des Geldes war mit der Auflage verbunden, bei der Behörde eine Vermögenserklärung abzugeben, in der ihr Einkommen und ihr vorhandenes Kapital detailliert aufgeführt werden sollte.
Da sich ihre Lebensumstände erneut änderten, kam sie nicht sofort dazu, der Forderung unmittelbar nachzukommen, wie es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre. Am 16. September – sie war inzwischen in der Lanzstr. 6 I wohnhaft – schickte sie das Formular unausgefüllt an die Behörde zurück. Stattdessen merkte sie auf der Rückseite an: „Ich bin Hausangestellte ohne Vermögen, und verdiene im Monat Mk 50,- wovon ich noch die Kultusabgabe, im viertel Jahr Mk 3,- abgebe.[16]
Angesichts dieser finanziellen Verhältnisse verzichtete die Devisenstelle darauf, eine Sicherungsanordnung zu erlassen. Offenbar gab es hier nichts, was dem NS-Staat hätte verloren gehen können. Der monatliche Freibetrag wurde im gleichen Schreiben auf nur noch 200 RM herabgesetzt – eine Geldmenge, die Dorothea Meyer nie zur Verfügung stand.[17]

Wann genau Dorothea Meyer Frau Goldberg verlassen hatte ist auf der Karteikarte nicht eingetragen, aber auch bei ihrer folgenden Anstellung hatte sie vermutlich eine alte, allein stehende Frau zu versorgen: Amalie Hirsch war die Eigentümerin der inzwischen zum Judenhaus erklärten Villa in der Blumenstr. 7, in der zu dieser Zeit etwa 10 jüdische Mieter wohnten. Nicht ausgeschlossen ist allerdings auch, dass die Gestapo sie damals einfach in dieses Haus gezwungen hatte, wahrscheinlicher ist aber, dass sie dort eine neue Arbeitsstelle angetreten hatte. Vielleicht ist auch beides der Fall gewesen. Zwar ist nicht sicher, wer von den dort lebenden, zumeist wohlhabenden Jüdinnen und Juden, die, sofern die Devisenstelle die entsprechenden Geldmittel freigab, eine eigene Hausangestellte beschäftigte, aber in der Vermögenserklärung der Hausbesitzerin Amalie Hirsch, die sie Mitte August 1940 abgeben musste, ist unter den monatlichen Kosten explizit eine solche eingetragen, die monatlich 150 RM erhielt.[18] Auch wenn es dafür keinen sicheren Beleg gibt, so liegt es doch nahe, dass hier Dorothea Meyer gemeint ist.

Die Villa in der Lanzstr. 4 war baugleich mit der im Krieg zerstörten Lanzstr. 6 Mit Dank an Herrn D. Schaller
Die Villa in der Lanzstr. 4 war baugleich mit der im Krieg zerstörten Lanzstr. 6
Mit Dank an Herrn D. Schaller

Schon zu Beginn des folgenden Monats September war sie dann wieder in Diensten der Familie Jacobsohn, die aber nicht mehr in ihrer bisherigen Wohnung in der Lanzstr. 11, sondern im Haus Lanzstr. 6 wohnte, das inzwischen ebenfalls zum Ghettohaus geworden war. Auch diesmal sind die Gründe für den Arbeitsplatz- und den damit verbundenen Wohnungswechsel nicht bekannt. Amalie Hirsch blieb noch bis wenige Wochen vor ihrer Deportation in ihrem Haus wohnen. Aber Opfer einer Zwangsumsiedlung in das Judenhaus Lanzstr. 6 war sie auch diesmal vermutlich nicht. Sie wohnte ja wieder mit vertrauten Menschen zusammen, die sie seit etwa vier Jahren kannte.
Diesmal blieb sie aber wieder nur ein Dreivierteljahr bei Nathan und Clara Jacobsohn, um dann für drei Monate in der Pagenstecherstr. 4 zu arbeiten. Dort wohnte Rosa Marx, geborene Sendsiowski, eine aus Polen stammende, ebenfalls verwitwete allein stehende Frau. Ihr Mann, Emil Marx, lebte schon seit mehreren Jahren in München, wo er am 29. März 1939 verstorben war.[19] Möglicherweise war die Hilfsbedürftigkeit der Witwe der Grund dafür, dass sie die dortige Stelle annahm und sich dort auch einquartierte. Da das Haus in der Pagenstecherstraße kein Judenhaus war, ist kaum davon auszugehen, dass man sie dort zwangsweise einquartiert hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich zumindest vorübergehend eine neue Bleibe suchen müssen, weil nach dem Bombenangriff auf Wiesbaden in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai in der Wohnung von Jacobsohns in der Lanzstraße eine nichtjüdische Familie einquartiert worden war, mit der diese  sich von da ab die vorhandenen Räume teilen mussten. Ein Mansardenraum, in dem vermutlich Dorothea Meyer bisher gewohnt hatte, wurde nun von Jacobsohns benutzt. Auch waren vermutlich Umräum-, wenn nicht sogar kleinere Umbauarbeiten zu verrichten. Obwohl die einquartierte Familie weiterhin, sogar bis zum Kriegsende Räume in Beschlag nahm, konnte Dorothea Meyer nach drei Monaten am 15. September 1941 aber wieder in das Haus zurückkehren.
Sie blieb noch ein weiteres Dreivierteljahr bei Jacobsohns im Judenhaus in der Lanzstraße. Trotz einiger Unterbrechungen waren Nathan und Clara Jacobsohn ihr in den sechs Jahren, die sie in Wiesbaden verbrachte, vermutlich zu vertrauten Menschen geworden, mit denen sie, trotz aller sozialen Unterschiede, das alltäglich gemeinsam erfahrene Leid teilen konnte.

Vermögen Dorothea Meyer
Vermögenserklärung von Dorothea Meyer aus dem Jahr 1940
Vermögen Dorothea Meyer
HHStAW 519 5112 (3)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie war gerade 46 Jahre alt geworden, als sie am 6. Juni die Aufforderung erhielt, sich für die für den 10. Juni geplante „Evakuierung“ nach dem Osten bereitzuhalten. Wie viele Menschen damals dieses Panik auslösende Schreiben der Bezirksstelle Hessen-Nassau der Reichsvereinigung erhalten hatten, weiß man nicht. Manchen gelang es, sich aus verschiedenen Gründen von der Deportation zurückstellen zu lassen. Dorothea Meyer hatte keine entsprechenden Gründe anzugeben und so gehörte sie zu den letztlich 372 Jüdinnen und Juden, die am Morgen des 10. Juni in einer Kolonne zum Wiesbadener Hauptbahnhof zogen, dort in den bereitgestellt Zug einstiegen, der sie zunächst nach Frankfurt brachte. Vom dortigen Hauptbahnhof zogen die Menschen erneut als Kolonne – für alle sichtbar ! – quer durch die Stadt zur Großmarkhalle, wo dann der eigentliche Transport zusammengestellt wurde. Insgesamt umfasste er etwa 1.200 bis 1.300 Menschen, die – so der ursprüngliche Plan – eigentlich in das Ghetto Izbica gebracht werden sollten.

Bahnsteig Sobibor
Foto (Ausschnitt): Jacques Lahitte, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Wikipedia-sobibor-1.jpg

Der Zug blieb aber zunächst in Lublin stehen, wo arbeitsfähige Männer – etwa 190 bis 260 – zum Aufbau des Lager Majdanek abkommandiert wurden. Für die übrigen ging danach die Fahrt weiter, direkt in das Vernichtungslager Sobibor. In den neu geschaffenen drei Gaskammern, in die starke Dieselmotoren ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Kohlendioxid hinein bliesen, wurden die etwa eintausend Menschen vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft auf grausamste Art ermordet.[20]

Auch Dorothea Meyers Bruder Fritz wurde ein Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Es war bis 1936 als Kaufmann in Essen angestellt, hatte aber dann die Stadt verlassen. Der Zeitpunkt lässt darauf schließen, dass sein „Wegzug“ – auf seiner Meldekarteikarte heißt es: „12.9.36 – auf Reisen“ – politisch motiviert war und es sich in Wirklichkeit um eine Flucht aus Deutschland handelte.[21]

Meldekarte von Fritz Meyer aus Essen
Meldekarte von Fritz Meyer aus Essen
Stadtarchiv Essen, Bestand 3000

In Yad Vashem sind die Stationen seiner vergeblichen Flucht festgehalten.[22] Offenbar war er damals nach Belgien gegangen, wo er nach der deutschen Invasion festgenommen wurde. Damit begann für ihn eine Odyssee durch die verschiedenen Lager Frankreichs, die das Vichy-Regime den Deutschen bereitwillig zur Verfügung stellte. Die ersten Stationen waren Ste Livrade bei Montauban und Villemur am Rande der Pyrenäen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er zwischenzeitlich noch einmal freigekommen wäre und vielleicht versucht hätte, sich über die Pyrenäen nach Spanien durchzuschlagen. Von Bordeaux, wo er anschließend inhaftiert war, wurde er in das berüchtigte Lager Saint Cyprien am Rand der Pyrenäen gebracht. Das ehemalige Lager für die dem Spanischen Bürgerkrieg entkommenen Widerstandskämpfer und Oppositionellen, war vom Vichy-Regime in ein quasi Konzentrationslager verwandelt worden, in dem französische, wie auch nach Frankreich oder Belgien geflohene Juden interniert wurden. Wer in diesem Lager nicht schon den absolut unmenschlichen Bedingungen erlag, wurde von den deutschen Besatzern sukzessive über Drancy in die Vernichtungslager des Ostens deportiert. Fritz Meyer gehörte zu dem Transport, der Drancy am 10. August 1942 mit dem Ziel Auschwitz verließ. Wann er dort umgebracht wurde, ist nicht bekannt.

 

Veröffentlicht: 03. 02. 2024

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] Mitteilung des Stadtarchivs Essen vom 31.1.2024.

[2] Sterberegister Essen 322 / 1913.

[3] Sterberegister Essen 808 / 1904.

[4] Sterberegister Essen 322 / 1913.

[5] Sterberegister Essen 1764 / 1918.

[6] Im Sterbeeintrag von Rosalie Meyer heißt es, dass ihre Eltern unbekannt seien, siehe Sterberegister Essen 808 / 1904.
Über die Löwenbergs etwa zur Zeit der Geburt von Rosalie Löwenberg heißt es in Hist. Hdb. jüdischer Gemeinschaften Westfalen Lippe, S. 764:
“1853 lebten in Hohenwepel folgende selbständig tätige Juden: der Witwer Lucas Löwenberg, die unverheirateten Heiman (Löwenberg, (…)sowie der Witwer Abraham Löwenberg. Lucas Löwenberg besaß 1837 65 Morgen Land. Mit 43 Tlr. Klassensteuer gehörte er zu den finanzkräftigsten Juden der Region. 1859 zahlten Simon Löwenberg (Haus Nr. 85), Samuel Buchthal (Nr. 23) und Selig Buchthal (Nr. 62) zwischen 22 Tlr. und 11 Tlr. Steuern; alle 3 gehörten der 2. Klasse an, zur 3. Klasse zählten Abraham Löwenberg (Nr. 58) und Aron Buchthal (Nr. 66).
1869 war aus Hohenwepel Simon Löwenberg mit 30 Tlr. zu entrichtender Steuer in der 1. Klasse, in der 3. waren Abraham Löwenberg, Aron Buchthal und Selig Buchthal. 1875 gehörten Abraham Löwenberg, Selig Goldschmidt und Salomon Rosenblatt der 3. Steuerklasse an.“

[7] Ebd.

[8] Geburtsregister Essen 1304 / 1889.

[9] Die Angaben sind der Meldekarte von Dorothea Meyer aus Essen entnommen, Stadtarchiv Essen Bestand 3000.

[10] Zum Ehepaar Jacobsohn, Bewohner des Judenhauses Lanzstr. 6, siehe den Artikel oben.

[11] HHStAW 685 328 a

[12] Müsste eigentlich Hausdorff heißen.

[13] Josef Hausdorff floh von Berlin aus über Holland nach Frankreich, wurde dort verhaftet und über Drancy am 7.3.1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Seine nichtjüdische Frau konnte nach dem Krieg zu ihrem Sohn nach Argentinien auswandern.

[14] Siehe zur Familie Goldmann Faber / Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 60 f.

[15] HHStAW 519/3 5112 (1).

[16] HHStAW 519/3 5112 (3).

[17] Ebd. (4).

[18] HHStAW 519/3 661 (20).

[19] HHStAW 685 549.

[20] Zur Deportation vom 10. / 11. Juni 1942 siehe Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 117-122, auch Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 214.

[21] Meldekarte Fritz Meyer, Stadtarchiv Essen Bestand 3000.

[22] Siehe zu den folgenden Angaben https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11593782&ind=1 und https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=3203231&ind=2. (Zugriff: 30.1.2024)