Wilhelm und Mathilde Pfeiffer mit ihrer Tochter Johanna


Judenhaus Emser Str. 26a
An der Stelle des im Krieg zerstörten ehemaligen Judenhauses steht heute dieses Gebäude
Eigene Aufnahme
Das Judenhaus in der Emser Str. 26a
Juden Wiesbaden Judenhäuser
Belegung des Judenhauses Emser Str. 26a

 

 

 

 

 

 


 

Judenhaus, Wiesbaden, Emser Str. 26. a Leopold Katzenstein, Dorothea Katzenstein, Julie Strauss, Margarete Strauss, Johanna Pfeiffer
Stammbaum der Familien Katzenstein – Stern – Pfeiffer
GDB

Auch Wilhelm Pfeiffer mit seiner Frau Mathilde und der Tochter Johanna waren Mieter, die in einer verwandtschaftlichen Beziehungen zur Eigentümerfamilie standen. Der am 13. August 1887 in Wiesbaden geborene Wilhelm Pfeiffer[1] war der Bruder von Dorothea Katzenstein, der Ehefrau von Leopold Katzenstein. Wie sein Vater Gustav Pfeiffer hatte auch er im Bankwesen Karriere gemacht, war bist 1937 Bevollmächtigter der Commerzbank in Wiesbaden gewesen, bevor auch er im Zuge der „Entjudungspolitik“ seine Anstellung verlor und im Alter von 50 Jahren in den Ruhestand versetzt wurde.[2]

Am 25. März 1930 hatte die evangelische Mathilde Dorothea Christine Alma Bauer geheiratet. Die Braut, geboren am 4. Dezember 1893, war von Beruf Damenschneidermeisterin. Einer der Trauzeugen bei der Hochzeit war der zukünftige Schwager Leo Katzenstein.[3]

Am 12. November 1933 wurde die gemeinsame Tochter Johanna Wilhelmine geboren,[4] für sie, die Halbjüdin, der Eintritt in eine Welt der Erniedrigung, des Schreckens und des Grauens. In einem Brief an die Entschädigungsbehörde schilderte Johanna, inzwischen verheiratete Bächler, diese Phase ihres Lebens. Auch wenn es sich kaum um unmittelbar eigene Erinnerungen handeln kann – sie war dafür noch zu klein -, so hat sich die traumatische Erfahrung ihrer ersten Lebensjahre dennoch tief in ihre Seele eingegraben. Die Spuren des Erlebten, der Verlust des Vaters, sind in ihren Worten auch zwanzig Jahre nach den Ereignissen noch deutlich wahrnehmbar. Sie schilderte, wie die Mutter, nachdem ihr Vater ohne Einkommen war, durch ihren Schneiderberuf die Familie am Leben zu erhalten suchte, weil auch das Vermögen beschlagnahmt worden war. „So ging es [soll vermutlich „er“ heißen – K.F.] fort entehrt, verspottet, ausgestossen, gezeichnet und endete schließlich am 10. November 1938 in dem berüchtigten K.Z. Lager Buchenwald b. Weimar.“[5] Man hatte auch Gustav Pfeiffer im Zuge der Verhaftungswelle nach der Reichspogromnacht festgenommen und als sogenannten „Aktionsjuden“ dorthin verschleppt.

Seine Frau wandte sich am 19. November an die örtliche Gestapo in der Paulinenstraße. Sie verwies auf die Teilnahme ihres Mannes als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg und auf seine ehemalige berufliche Stellung. Aber diese Argumente waren angesichts der Tatsache, dass er eben auch Jude war, völlig ohne Bedeutung. Dagegen zählte, dass sie bereits alles Mögliche unternommen hatten, um Deutschland in Richtung USA zu verlassen.[6]

Geldkarte für Wilhelm Pfeiffer aus Buchenwald mit Entlassungsdatum
https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/6815792?s=Wilhelm%20Pfeiffer&t=0&p=0

Um wenigstens zunächst ihren Mann aus dem KZ und möglichst schnell auch aus Deutschland herauszubekommen, hatte Mathilde Pfeiffer noch weitere Beziehungen spielen lassen. Der Ehemann ihrer Schwester war Vizedirektor der Schweizer Verkehrsbetriebe in Zürich. Der wiederum kontaktierte den Chef der Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements in Bern und bat um dessen Hilfe. Der Schwager war zu jeder Hilfe bereit und bot an, zunächst Wilhelm Pfeiffer, dann auch die ganze Familie in der Schweiz für eine Übergangszeit, bis die entsprechenden Formalitäten für die Ausreise in die USA geklärt waren, bei sich aufnehmen. Allerdings benötigte er dafür die Zustimmung der dortigen Behörden. Nach seinen Angaben hatte er den Pfeiffers bereits im Sommer dringend geraten, beim amerikanischen Konsulat in Stuttgart ein Visum zu beantragen. Das notwendige Affidavit hatte dann ein in New York lebender Vetter von Wilhelm Pfeiffer, L. Carlebach, gestellt, sodass inzwischen die Auswanderungsgenehmigung mit der entsprechenden Nummer eingetroffen war. Natürlich sei offen, wann die Ausreise realisiert werden könne, schrieb er dem Berner Polizeichef. Um eine Beschleunigung des Verfahrens wolle er sich beim amerikanischen Konsulat aber selbst bemühen,

Die Gestapo hatte Mathilde Pfeiffer wohl zugesichert, dass ihr Mann aus dem KZ entlassen würde, wenn zum einen der Schwager den deutschen Behörden gegenüber schriftlich seine Bereitschaft erklärte, Wilhelm Pfeiffer bei sich aufzunehmen und er zum anderen eine Bestätigung der Schweizer Fremdenpolizei beifüge, dass Wilhelm Pfeiffer dort auch einreisen dürfe. Er fragte seinen Schweizer Kontaktmann, ob dieser unter der Voraussetzung, dass es sich nur um einen kurzfristigen Aufenthalt der Familie handeln werde, bereit sei, eine solche Bestätigung der Schweizer Behörden über das Schweizer Konsulat in Frankfurt an die dortige und die Wiesbadener Gestapostelle zu übermitteln.[7]

Wohl dem, der in diesen Zeiten als Jude über solche Kontakte in die Schweiz und die USA verfügte – aber selbst die konnten Wilhelm Pfeiffer nicht mehr retten. Er wurde zwar am 10. Dezember 1938 aus dem KZ entlassen – ob die geforderten Bescheinigungen dabei eine Rolle spielten, ist nicht bekannt – und die Devisenstelle in Frankfurt gestattete zwei Tage später auf Bitten von Mathilde Pfeiffer die Freigabe der erforderlichen Geldmittel für die Schiffspassage vom gesicherten Konto -,[8] aber er selbst war von den Misshandlungen und Torturen so gezeichnet, zu krank und schwach, als dass er diese Reise noch hätte antreten können. Nur drei Wochen in „Freiheit“ blieben ihm noch. Am 1. Januar 1939 verstarb er an einer Lungenentzündung und der damit einhergehenden Schwäche des Kreislaufs im Wiesbadener Paulinenstift.

 

Als im Sommer 1938 die Zollfahndungsstelle Mainz von der Auswanderungsabsicht Pfeiffers erfahren hatte, beantragte sie sofort die Sicherung der Depots und Konten im Wert von ca. 30.000 RM bei der Devisenstelle in Frankfurt, um so zu verhindern, dass „Pfeiffer plötzlich unangemeldet auswandert und Vermögenswerte entgegen den Devisenbestimmungen ins Ausland verbringt.“[9] Dieses Vermögen war auch zur Grundlage für die Berechnung der Judenvermögensabgabe gemacht worden. Die Finanzbehörden bestanden auf der Zahlung, obwohl der jüdische Partner in der Familie bereits tot und die Sicherungsanordnung deshalb bereits im Februar 1939 sogar wieder aufgehoben worden war.[10] Im März 1939 bat Mathilde Pfeiffer das Wiesbadener Finanzamt zunächst noch um einen Zahlungsaufschub. Sie hatte sich am 7. Februar per Brief an Hermann Göring persönlich gewandt, um durch ihn den Erlass der Sondersteuer zu erreichen.

 „Mein Mann, Wilhelm Pfeiffer, Israelit, war seit dem Jahr 1936 Bankbevollmächtigter i. R. Er hat den Weltkrieg 4 ½ Jahre an der Front mitgemacht und erhielt am 30.1.1935 vom Führer und Reichskanzler das Ehrenkreuz. Auf Grund der Original-Vorlage dieser Verleihung wurde er am 10. Dezember 1938 nach 4 ½ wöchiger Internierung von Buchenwalde b./ Weimar entlassen. Er starb im 52.ten Lebensjahr am 1. Januar 1939 mitternachts 1.45 Uhr an Lungenentzündung und Kreislaufstörung.
Mein Kind, Johanna Wilhelmine, am Wahlsonntag des 12. November 1933 geboren, evangelisch getauft durch Herrn Pfarrer Dr. von Bernus, besucht seit drei Jahren einen arischen Kindergarten und ist von uns, ganz im Einverständnis meines verstorbenen Mannes, im Sinne des Christentums erzogen. Da ich selbst ev. Christin bin, gebot mir das heilige Gefühl der Mutterschaft meinem Kinde diejenigen Möglichkeiten der Lebens- und Weltanschauung mit auf den Lebensweg zu geben, dir mir eine Gewähr geben, für einen innerlich starken Menschen, der allen Stürmen des Lebens gegenüber gewappnet ist.“

Sie legte dann ihre damalige finanzielle Situation dar, betonte, dass in den im Depot liegenden Vermögenswerten auch ihr Einkommen als Schneiderin enthalten sei. „Da ich nach dem Tode meines Mannes als Vollarierin zu betrachten bin, so appelliere (!sic) ich heute an das Herz Ew. Excellenz mir und meinem Kinde doch die 20%ige Vermögensabgabe erlassen zu wollen.“

Bitte von Mathilde Pfeiffer-Bauer um Erlass der 5. Rate der Judenvermögensabgabe
HHStAW 518 21459 (79)

Es ist kaum zu vermuten, dass der Brief Göring je erreicht hatte. Vermutlich wurde er bereits von unteren Chargen abschlägig behandelt, was Mathilde Pfeiffer veranlasste, einen weiteren Brief, diesmal an den Reichsminister der Finanzen von Schwerin Krosigk zu richten. Auch auf diesen Brief, in dem sie betonte, dass sie durch ihre Sparsamkeit und ihren Fleiß sich eine finanzielle Reserve für das Alter geschaffen habe, die man ihr doch bitte nicht schmälern solle.[11]

Aber auch diese „Excellenz“ lies sich offensichtlich nicht erweichen, denn als im November 1939 die 5. Rate fällig wurde, stellte sie erneut den Antrag, diesmal nur noch beim Oberfinanzpräsidenten in Kassel, dass man ihr die Zahlung erlassen möge, weil sie zum einen vermutlich unter 5.000 RM läge, zum anderen, weil sie als Arierin hierfür nicht in Betracht komme.[12]

Die Nichtjüdin Mathilde Pfeiffer und ihre Tochter Johanna blieben auch weiterhin im Judenhaus wohnen, wurden vermutlich auch weiterhin in der Öffentlichkeit als Juden behandelt. Zumindest schrieb die Tochter in ihrem bereits zitierten Brief, dass sie „in dieser Zeit beschimpft u. verspottet“ und ihr auch der Schulbesuch nicht gestattet wurde.[13]

Leo Katzenstein, Dorothea Katzenstein
Die Ruine des ehemaligen Judenhauses an der Ecke Emser Straße und Walramstraße
Foto W. Rudolph – Mit Genehmigung des Stadtarchivs Wiesbaden

Aber für Johanna war das Trauma ihrer Kindheit noch nicht beendet. Bei einem Fliegerangriff 1945, der das Judenhaus Emser Str. 26a in Schutt und Asche legte, wurde auch sie mit ihrer Mutter und deren Schwester, die an diesem Tag zufällig zu Besuch gekommen war, verschüttet. Anders als ihre Mutter und ihre Tante, die beide nur tot geborgen werden konnten, gelang es nach 18 Stunden die damals Elfjährige lebend aus den Trümmern des Hauses herauszuholen. Das Waisenkind, das beide Elternteile durch das NS-Regime verloren hatte, wurde zunächst von einer Bauernfamilie aufgenommen. 1946, so schrieb sie, sei sie „ohne Hab und Gut“ in die Schweiz gelangt, vermutlich vermittelt durch die dort ansässigen Verwandten, und habe dort noch eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert.[14]

1957 kehrte sie nach Deutschland zurück.

Veröffentlicht: 24. 11. 2017

Letzte Revision: 07. 07. 2023

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Anmerkungen:

[1] HHStAW 518 21549 (8) Geburtsurkunde.

[2] HHStAW 518 21549 (3).

[3] HHStAW 518 21549 (9). Heiratsurkunde.

[4] HHStAW 518 21549 (27) Geburtsurkunde.

[5] HHStAW 518 21549(10).

[6] HHStAW 518 21549 (3, 73).

[7] HHStAW 518 21549 (73f.). Pfeiffers hatten die Registrierungsnummer 16158.

[8] HHStAW 519/3 10400 (6).

[9] HHStAW 519/3 10400 (1).

[10] HHStAW 519/3 10400 (o.P.).

[11] HHStAW 518 21549 (78 f).

[12] HHStAW 518 21549 (79). Fiel die 5. Rate unter das genannte Limit, dann konnte man einen Antrag auf Befreiung stellen. Im späteren Entschädigungsverfahren wurde die Zahlung von 4 Raten á 800,- RM als gesichert angenommen und entsprechend entschädigt. Ebd. (91).

[13] HHStAW 518 21549 (10).

[14] Ebd.