Die Familie Marxheimer
Auf der 1940 entstandenen Liste der Wiesbadener Judenhäuser ist neben den Häusern am Kaiser-Friedrich-Ring mit den Nummern 43, 64 und 65 auch das mit der Nummer 72 aufgeführt. Im Hinblick auf die Größe und die Wohnraumgestaltung hätte es diese Funktion ohne weiteres einnehmen können, aber faktisch war dem nicht so. Außer den Eigentümern Emil und Leopold Marxheimer mit seiner Frau Hedwig beherbergte das große Haus zuletzt nur noch einen einzigen jüdischen Mieter, den Witwer Victor Weiss, der im Juli 1941 eingezogen war bzw. hatte einziehen müssen. Möglicherweise war auch hier der Grund derjenige, dass die nichtjüdischen Bewohner, die seit vielen Jahren entgegen den nationalsozialistischen Vorstellungen wohl ohne größere Konflikte mit ihren jüdischen Vermietern in einer „Hausgemeinschaft“ zusammen lebten, nicht bereit waren, ihre schönen und zentral gelegenen Wohnungen zu verlassen und sie jüdischen Mietern abzutreten. Aber auch in die Wohnung der Marxheimers wurden zunächst keine weiteren Personen eingewiesen.
Damals, in einer Zeit, in der der sogenannte Erste Ring noch nicht zu einer innerstädtischen Autobahn verkommen war, gehörten die dortigen Wohnungen, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden waren, zu den sehr begehrten Miet-, aber auch Anlageobjekten des gehobenen Mittelstandes.
Zunächst war, nachdem man die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aufgenommenen Planungen der westlichen Stadterweitung gegen Ende des Jahrhunderts zu realisieren begonnen hatte, der Abschnitt vom Sedanplatz bis zur Ringkirche in Angriff genommen worden. Hier dominieren bis heute noch nicht gar so opulente Fassaden und auch die Bewohnerschaft, eher Handwerker und Kleingewerbetreibende, unterscheiden sich deutlich von denjenigen, die im Abschnitt, der dann den Namen Kaiser-Friedrich-Ring erhielt, zu Bauherren oder auch nur zu Mietern wurden.[1]
„Der Kaiser-Friedrich-Ring beeindruckt durch sein besonders repräsentatives Erscheinungsbild. Der gesamte Straßenraum bildet eine Einheit und will im malerischen Zusammenwirken erlebt werden. Drei Platanenreihen als Mittelallee mit schattigem Gehweg trennen die gegenläufigen Fahrbahnen, gesäumt von breiten Bürgersteigen. Fast überragen inzwischen die mächtigen Baumkronen die herrschaftlichen Mietshausfassaden mit den pitoresken Dachaufbauten. Wenn auch in der einst überreichen Formvielfalt heute oft reduziert, vermitteln sie nachhaltig dem durch die Funktionalität moderner Architektur geprägtem Auge die alle Zweckform kunstvoll ummantelnde Ästhetik späthistoristischer Baukunst.“[2]
Zwar gehört das Haus mit der Nummer 72 nicht zu den ausgewählten Kulturdenkmälern der Stadt, aber es reiht sich ohne Abstriche ein in das gesamte Ensemble dieses Bauabschnitts, der trotz seiner geschlossenen Bebauung und Gebäuden mit vier bis fünft Hauptgeschossen sich durch die Vielfalt der gestalterischen Elemente, durch Türmchen, Erker und Balkone, eine gewisse Leichtigkeit bewahren konnte.
Als Leopold Marxheimer und sein Bruder Emil das Haus im Jahr 1919 gemeinsam von der bisherigen Eigentümerin, der Bauunternehmerwitwe Sophie Schäfer, für 115.000 RM erwarben,[3] wohnten dort Menschen mit einem ähnlichen sozialen Status: ein promovierter Geheimer Sanitätsrat, eine Apothekerwitwe, eine weiterer Kaufmann und ein Oberleutnant. In den Jahren vor dem Kauf hatte noch der jüdische Weinhändler Levitta im Parterre gewohnt und dort auch seinen Handel betrieben. Zwar waren die Brüder gemeinsam Eigentümer des Hauses, bewohnt wurde es aber zunächst nur von Leopold und seiner Familie. Er war dort bereits einige Jahre vor dem Kauf eingezogen. Im Wiesbadener Adressbuch von 1911 ist er erstmal mit dieser Adresse eingetragen. Sieht man die Ringstraße als eine Art Stufenleiter des gesellschaftlichen Aufstiegs, so markiert der Umzug vom Bismarckring 24, die vorhergehende Anschrift, in den Kaiser-Friedrich-Ring keinen großen Sprung, aber doch eine weitere Stufe des Erfolgs.
Wirtschaftliche Basis dieses Aufstiegs war der Handel mit Lederprodukten, den die Familie Marxheimer seit vielen Generationen, laut Angabe im späteren Entschädigungsverfahren sogar seit 400 Jahren, im Nassauer Raum betrieb.[4]
Die ältere Generation der Marxheimer
Spätestens seit dem 19. Jahrhundert war die Familie in Langenschwalbach, dem heutigen Bad Schwalbach, ansässig. Als dort 1829 eine Erhebung über die Berufstätigkeit der dort lebenden Schutzjuden durchgeführt wurde, gab es einen Juden, der sich ausschließlich vom Lederhandel ernährte.[5] Während der Zeit des Kaiserreichs, in dem zwar die bisherigen rechtlichen Beschränkungen für Juden weitgehend aufgehoben waren, in der aber der latente Antisemitismus weiterhin als Emanzipationshemmnis wirksam blieb, gelang es auch in Schwalbach nur wenigen Juden, sich neue berufliche Wege zu erschließen. Unter den 41 jüdischen Haushaltsvorständen gab es weiterhin neun Viehhändler und siebzehn weitere Händler in unterschiedlichen Branchen.[6] Drei von ihnen waren noch immer im Lederhandel aktiv, vermutlich handelte es sich um Mitglieder der Familie Marxheimer.
Der älteste bekannte Ahn dieser Familie in Langenschwalbach war ein Marx Samuel, der zwei Söhne hatte, die in der Tradition patronymer Namensgebung Samuel und Benedict Marx hießen. Im Zusammenhang mit der Einführung fester Nachnamen im Jahr 1841 nahmen die Familienmitglieder dann den Namen Marxheimer an.[7]
Bei dem genannten Benedict Marxheimer handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um den Großvater der späteren Judenhausbesitzers Leopold und Emil Marxheimer. Von Benedikt Marxheimer ist gesichert, dass auch er bereits von Beruf Lederhändler war und mit seiner Frau Adelheid, geborene Wolf(f), mindestens fünf Kinder hatte, die alle in der Taunusgemeinde geboren wurden, von denen aber später die meisten nach Wiesbaden zogen.[8]
Der jüngste, der am 27. Mai 1856 geborene Eduard Isidor blieb ledig und trug eine psychische Erkrankung in sich, die ihn dazu zwang, die letzten Jahre seines Lebens in verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten zu verbringen.[9] Wie seiner Krankenakte zu entnehmen ist, verhielt er sich in seiner Kindheit noch völlig unauffällig. Erst während der Schulzeit zeigte sich eine eher außergewöhnliche Zurückhaltung gegenüber seinen Mitschülern. Gleichwohl galt er als fleißiger Schüler und auch die Lehre als Kaufmann absolvierte er ohne Probleme. Erst im Alter von etwa 24 Jahren traten erste Symptome seiner Krankheit zu Tage, er hatte Wahnvorstellungen, hörte Stimmen und neigte zu Gewalttätigkeiten. Eine kurzzeitige Besserung ermöglichte es ihm, dann noch einmal im Betrieb seines Bruders Löb mitzuarbeiten. Ab Mitte der 80er Jahre verschlechterte sich sein Zustand aber dann rapide, sodass er seit dieser Zeit in unterschiedlichen Pflegeheimen untergebracht werden musste. Stationen waren Michelstadt, Heidelberg und zuletzt, vor seiner Einweisung auf den Eichberg, ein Haus in Andernach. In die bei Kiedrich im Rheingau gelegene Anstalt Eichberg wurde der inzwischen völlig erblindete am 2. Juni 1902 mit der Diagnose Dementia praecox eingeliefert. Er verstarb dort am 30. Juni 1905 im Alter von 49 Jahren.[10]
Derjenige, der sich um den kranken Eduard während seiner Klinikaufenthalte kümmerte und auch formal die Pflegschaft innehatte, war sein etwa ein Jahr älterer, um 1855 geborener Bruder Löb Leopold. Er war mit seiner Frau, der Frankfurterin Lina Stein, in seinem Heimatort geblieben. In seiner Sterbeurkunde wird er als Kaufmann bezeichnet. Aus den Briefen, die er an die Anstaltsleitung des Eichberg richtete, kann man schließen, dass auch er im Lederhandel tätig war. Den Briefkopf ziert immer das Firmensignet des Geschäfts von Benedict Marxheimer. Vermutlich war er mit einem Firmenanteil in Langenschwalbach geblieben und hatte das väterliche Unternehmen dort weitergeführt.
Löb Leopold und seine Frau Lina, die beide selbst die Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr erlebten,[11] hatten einen Sohn. Marx, auch Max gerufen, war am 3. Juni 1883 geboren worden und Zeit seines Lebens ledig geblieben.[12] Er war, wie andere Nachkommen der Schwalbacher Marxheimers, die eine akademische Ausbildung genossen hatten, Rechtsanwalt geworden. In Frankfurt war der promovierte Jurist 1910 beim Landgericht und 1921 beim dortigen Oberlandesgericht zugelassen worden. Zwei Jahre später erhielt er die Ernennung zum Notar. Unabhängig davon, dass er Jude war, musste er als Mitglied des „Reichsbanners“, der sich für die demokratischen Errungenschaften der Novemberrevolution einsetzte, den neuen Machthabern nach 1933 ein Dorn im Auge gewesen sein. 1935 verlor er seine Zulassung als Notar und 1938 die als Rechtsanwalt. Nur als ‚Konsulent’ durfte er weiterhin für seine jüdischen Mitbürger aktiv sein. Als solcher engagierte er sich auch in der Verwaltung der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt.
Laut Zeugenaussagen wurde er 1942 verhaftet und in das berüchtigte Arbeitserziehungslager Heddernheim eingeliefert, wo er unter menschenunwürdigsten Verhältnissen vermutlich für die ‚Vereinigten Deutschen Metallwerke’ schuften musste.[13] Wann er von dort nach Auschwitz überführt wurde, ist nicht bekannt, aber immerhin kennt man den Tag, an dem er dort ermordet wurde. Es war der 17. Januar 1943.[14]
Die einzige Tochter von Benedict und Adelheid Marxheimer, Johanna, genannt Hannchen, heiratete als 27jährige am 21. Mai 1878 den Kaufmann Eliakim Löwensberg, der neben seiner Berufbezeichnung Kaufmann auch den Vornamen Kaufmann trug.[15] Kaufmann Löwensbergs Vater Lazarus entstammte ursprünglich einer alteingesessenen und recht vermögenden Igstadter Familie. Er hatte aber seinen Geburtsort verlassen und war in die Wiesbaden Vorortgemeinde Biebrich gezogen, wo er als Landproduktenhändler zum sehr erfolgreichen und angesehenen Geschäftsmann aufgestiegen war. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1890, übernahm sein Sohn Kaufmann die Firma. Wenn das Angebot in seinem Laden jetzt auch Lederwaren beinhaltete, dann sicher auch wegen der verwandtschaftlichen Verbindung zu der Langenschwalbacher Lederhändlerfamilie Marxheimer. Möglicherweise war aber die Ehe auch zur Absicherung schon zuvor etablierter Geschäftsbeziehungen eingegangen worden.
In der Ehe von Kaufmann und Hannchen Löwensberg wurden sechs Kinder geboren, von denen aber nur zwei das Erwachsenenalter erreichten, zwei starben schon unmittelbar nach der Geburt. Die Tochter Adelheid, das jüngste der Kinder, lebte zuletzt mit ihrer Mutter im Judenhaus Horst-Wessel-Str. 45, der heutigen Straße der Republik in Biebrich. Dort verstarb Johanna Löwensberg am 26. April 1939. Ihre Tochter Adelheid wurde am 10. Juni 1942 „nach dem Osten“, nach Lublin, deportiert und kurze Zeit später in Sobibor umgebracht.
Die Familie von Benjamin und Settchen Marxheimer
Wie Johanna waren auch übrigen Kinder von Benedict und Adelheid Marxheimer nach Wiesbaden gezogen. Im Hinblick auf den weiteren Lebensweg der Familie von Benjamin Marxheimer, der schon bald seinem Bruder Siegmund nach Wiesbaden gefolgt war, verfügen wir über sehr viele Informationen, zum Teil auch Zeitzeugenberichte von Enkeln bzw. Enkelinnen.
Nachkommen von Benjamin und Settchen Marxheimer anlässlich von deren 80. Geburtstag 1930
Von links: Philipp Sämann, Herbert Marx, Johanna Marxheimer, Moritz Marxheimer, Hilde Marxheimer, Eugen Marxheimer, Hedwig Bentheim, Adelhais Sämann
Vorne: Rolf Marxheimer, Settchen Marxheimer, Lilo Marxheimer, unbekannt, Ruth Sichel
USC Shoah Foundation
Anders als sein Bruder Benjamin suchte der um 1846 Geborene nicht in der Lederbranche, sondern durch die Übernahme des Wiesbadener Herrenausstatters ‚M. Seckbach’ in der Textilbranche seinen wirtschaftlichen Erfolg. Verheiratet war er mit der um 1850 geborenen Settchen Schmidt. Geschäft und Wohnung lagen in der Webergasse 16, wo auch die – soweit bekannt – fünf Kinder des Paares geboren wurden.
Moritz, das älteste der Kinder, kam am 25. Mai 1875 zur Welt.[16] Mit seiner Frau Fanny Wertheim, die er am 18. September 1908 in Kassel, dem Wohnort ihrer Eltern, heiratete, hatte er die beiden Kinder Lilly Berta und Herbert Benjamin, die beide in Wiesbaden geboren wurden – Lilly am 11. Juli 1909 und Herbert im folgenden Jahr am 27. Juli.[17] Wie auch andere Mitglieder der großen Marxheimer-Familie hatte Moritz Marxheimer ein Jurastudium absolviert und war zuletzt in Frankfurt als Rechtsanwalt tätig. Nicht geklärt werden konnte, ob die Familie schon nach Südafrika ausgereist war, als Moritz Marxheimer 1939 unter Zurücklassung erheblicher Vermögenswerte über Hamburg mit dem Schiff ‚Pretoria’ der Hapag-Linie dorthin fuhr,[18] oder ob seine Frau mit den Kindern ihm später folgten. Ganz sicher gab es gute Verbindungen nach Südafrika, denn seine Frau Fanny hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung mit ihren Eltern zwar in Kassel gewohnt, geboren worden war sie aber in Graaff-Reinet im Land am Kap der Guten Hoffnung.[19] Man kann daher sicher zurecht vermuten, dass die Familie hier in der Zeit der Verfolgung relativ leicht Aufnahme finden konnte. Über das weitere Schicksal der Familie, die in dem Land ansässig wurde, ist nur wenig bekannt, aber immerhin weiß man, dass Moritz Marxheimer am 27. Januar 1952 in Johannesburg verstarb. Vermutlich war seine Frau Fanny zu diesem Zeitpunkt bereits tot, denn auf dem damals ausgestellten Erbschein sind nur die beiden Kinder erwähnt. Herbert lebte damals in Kapstadt, seine Schwester, inzwischen eine verheiratete Hausmann, in Johannesburg.[20]
Hedwig, die etwa ein Jahr jüngere Schwester von Moritz Marxheimer, hatte am 18. Mai 1899 in Wiesbaden den Fabrikanten Simon Bentheim aus Bickenbach an der Bergstraße geheiratet.[21] Am 18. Februar 1900 kam in Frankfurt ihr einziges Kind, der Sohn Arthur zur Welt. Er hatte bereits das rettende amerikanische Ufer erreicht und in New York eine Unterkunft gefunden, als auch seine Eltern am 22. Dezember 1938 mit dem Schiff ‚Manhattan’ dort anlandeten.[22]
Eduard, der folgende Sohn, geboren am 28. Juni 1881, erhielt seinen Vornamen eigenartiger Weise erst am 20. August, also knapp zwei Monate nach seiner Geburt.[23] Er heiratete am 15. März 1913 in Wiesbaden Martha Katzenstein aus Bielefeld. Sie war am 13. Oktober 1890 als Tochter von Wilhelm und Emma Katzenstein, geborene Goldschmidt, zur Welt gekommen, lebte aber zum Zeitpunkt der Eheschließung in Wiesbaden am Gutenbergplatz 1.
Die recht wohlhabenden Eltern besaßen eine eigene Firma in der für Bielefeld so bedeutsamen Leinenindustrie.
Ihr Ehemann, der laut Heiratsdokument von Beruf Kaufmann war, hatte seine Heimatstadt Wiesbaden ebenfalls bereits verlassen und war in Düsseldorf beruflich tätig.[24] Ob er bei dem gleichen Unternehmen angestellt war, wie sein jüngerer Bruder Eugen, ist nicht sicher, aber eher wahrscheinlich. Beide arbeiteten jeweils für eine Telefongesellschaft, Eugen für die ‚Rheinische Telefongesellschaft’ in Köln, Eduard für eine namentlich nicht bekannte im benachbarten Düsseldorf. Und nach den Aussagen ihrer Kinder, die über ihr Schicksal umfassend in Interviews für die USC Shoa Foundation Auskunft gegeben haben,[25] waren beide Brüder sehr begütert. Nach Aussage seiner Tochter Lieselotte, genannt Lilo, war ihr Vater sogar Eigentümer der Firma in Düsseldorf. Lilo war am 9. März 1920 geboren worden, ihre Schwester Hilde, mit vollem Namen Hilde Anna Liesa, war bereits am 15. Januar 1914 ebenfalls in Düsseldorf zu Welt gekommen.[26]
Beide Familien gehörten zu den weitgehend assimilierten Juden, die im alltäglichen Leben ihre religiöse Herkunft nicht nach Außen trugen und nur an hohen Feiertagen die Synagoge besuchten. Ein erster Schicksalsschlag traf die Familie von Eduard Marxheimer als dieser bei einem Urlaubsaufenthalt in der Schweiz durch eine fehlerhafte Medikation mit nur 46 Jahren sein Leben verlor.
Die Mutter, die einige Jahre später eine neue Ehe mit einem Herrn Breitenfeld einging, zog seinetwegen mit ihren beiden Töchtern 1931 nach Berlin, wo die Töchter die dortige Schule besuchten und seit 1933 immer mehr mit den antisemitischen Ausgrenzungen konfrontiert wurden. Diese alltäglichen Erfahrungen waren umso schlimmer zu ertragen, als sie sich auch mit ihrem Stiefvater nicht verstanden. Mit dem Gefühl, völlig allein und auf sich gestellt durch eine insgesamt feindliche Welt gehen zu müssen, durchlitten sie die Jahre des aufkommenden Faschismus in der Reichshauptstadt. 1935, in dem Jahr, in dem sie ihre bisherige Schule verlassen musste, heiratete ihre Schwester Hilde am 5. Januar den halbjüdischen und deswegen arbeitslos gewordenen Rechtsanwalt Martin Georg Seligmann.[27] „I was kind of lost. I didn’t know where I belonged,“ resümierte Lilo Marxheimer später diese Phase ihres Lebens. In Italien durfte sie zumindest eine rudimentäre Ausbildung im medizinischen Bereich beginnen, die sie aber nicht beenden konnte, weil der NS-Staat den Geldtransfer zu Finanzierung der Schule nicht länger duldete. Zurück in Berlin arbeitete sie als Hilfskraft im Jüdischen Krankenhaus. Dort erlebte die Familie dann auch die sogenannte „Kristallnacht“, allerdings eher aus der Distanz von ihrem Haus in Dahlem aus. Aber die Ereignisse ließen dennoch bei allen Familienmitgliedern die Entscheidung reifen, Deutschland sobald als möglich zu verlassen – wobei aber alle unterschiedliche Pläne hatten.
Hilde Seligmann, bei der Lilo zuletzt noch gewohnt hatte, ging mit ihrem Mann im Februar 1939 nach Brasilien, der Stiefvater, der während der Novemberereignisse inhaftiert worden war, verließ nach seiner Freilassung zunächst Deutschland allein und gelangte über Belgien nach Frankreich. Die Mutter folgte ihm einige Monate später am 1. September 1939 und Lilo selbst, inzwischen 18 Jahre alt, wollte ihre eigenen Wege gehen. Ihre Versuche über Holland nach England zu gelangen scheiterten, da sie an der Grenze keine entsprechenden Visen vorweisen konnte. Kurzzeitig wurde sie in Kaltenkirchen in ein Lager eingewiesen, dann aber per Zug zurück nach Berlin beordert, wo sie bald darauf erneut inhaftiert wurde. Inzwischen war auch der Krieg ausgebrochen und die Hoffnung, Deutschland noch verlassen zu können, schwand immer mehr. Die Affidavite, die sie von Verwandten aus den USA erhalten hatte, nutzten ihr wenig, da ihre Kontingentsnummer viel zu hoch war. Freunde machten sie darauf aufmerksam; dass es auch einen Fluchtweg in Richtung Osten über die Sowjetunion, Sibirien, China, Korea, Japan Panama und Haiti gäbe – ein unglaublich weiter Weg, für den unzählige Visen notwendig waren. Entscheidend, so erzählte sie, war das letzte Visum für Haiti, weil für die anderen Staaten dann nur die leichter zu beschaffenden Transitvisen notwendig waren. Nach einigen Wochen und verbunden mit hohen Kosten gelang es ihr alle notwendigen Papiere zu erhalten und sie machte sich im Juni 1940 auf diese lange Reise. Als sie drei Monate, nachdem sie Deutschland verlassen hatte, im Hafen von Los Angeles anlandete, verweigerte man ihr wegen der zu hohen Registrierungsnummer die Einreise und ließ sie nicht von Bord. Mit anderen Passagieren, die das gleiche Problem hatten, fuhr sie nach Panama, wo sie etwa ein Dreivierteljahr blieb, arbeitete und einen Österreicher heiratete, dessen Eltern bereits in New York lebten. Durch diese Ehe, die später geschieden wurde,[28] war es ihr nun immerhin möglich, in die USA einzureisen.
Den Kontakt zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater hatte sie, anders als den zur Schwester in Brasilien, längst verloren. Beide waren inzwischen von Belgien weiter nach Frankreich geflohen, wo Marthas Ehemann dann verhaftet und in Gurs interniert wurde. Es gelang ihm jedoch von dort zu fliehen und sich nach Südfrankreich durchzuschlagen. Wieder folgte ihm Martha Breitenfeld und beide trafen sich in Marseille, wo sie allerdings beide erneut verhaftet wurden. Auf dem Transport nach Drancy, der Zwischenstation auf dem Weg nach Auschwitz, gelang es Marthas Mann erneut zu entkommen. Nicht aber ihr. Am 6. November 1942 wurde sie von Drancy aus in die Todesfabrik von Auschwitz überstellt und ermordet.[29]
Sie war damit die einzige aus den Familien der Nachkommen von Benjamin und Settchen Marxheimer, die dem Holocaust zum Opfer fiel, denn auch der Familie von Eduards Bruder Eugen gelang es durch glückliche Umstände immer wieder, ihrem Schicksal zu entkommen.
Wie bereits angemerkt, war Eugen Marxheimer in Köln Direktor, nach Aussage seines Sohnes Rolf sogar Miteigentümer, der ‚Rheinischen Telefongesellschaft’. Entsprechend wohlhabend war die Familie, besaß ein großes Mehrfamilienhaus in Köln, in dem sie eine Etage selbst bewohnte. Hausangestellte nahmen die alltägliche Arbeit und auch teilweise die Erziehung der beiden Kinder ab. Verheiratet war Eugen Marxheimer seit dem 28. Mai 1921 mit Johanna Mendel aus Straelen, einer kleinen Stadt an der belgischen Grenze. Dort war sie am 29. Oktober 1877 in einer gläubigen jüdischen Viehhändlerfamilie zur Welt gekommen. Am 14. März 1923 war zunächst der Sohn Rolf Benjamin, vier Jahre später, am 15. Mai 1927, ein weiterer Sohn namens Dieter Eduard geboren worden.
In Köln zählten die assimilierten Marxheimers, bei denen jüdische Traditionen und Glaubensinhalte kaum noch eine Rolle spielten, zu den honorigen Bürgern der Stadt, mit denen keiner zögerte, gesellschaftlichen Umgang zu pflegen. Zum näheren Bekanntenkreis gehörte in der Zeit vor 1933 zum Beispiel auch der damalige Oberbürgermeister und spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer. Und er war nur eine der prominenten Persönlichkeiten, mit denen die Familie in Berührung kam.
Diese gediegene bürgerliche Welt, in der die Kinder das renommierteste Kölner Gymnasium besuchen durften, zu Hause dafür mit Musikunterricht drangsaliert wurden, brach 1933 zusammen. Der Vater verkaufte die Telefongesellschaft, wohl damals schon ahnend, was der NS-Staat mit jüdischen Unternehmen zu tun gedachte, und investierte das Kapital in eine neue Firma in Frankreich, die diverse Haushaltsartikel wie Besen, Bürsten und dergleichen herstellte. Sein Schwager Philipp Sämann, der in dieser Branche seit vielen Jahren tätig war, stand ihm dabei zur Seite. Auf diese Weise gelang es noch, einen großen Teil des Vermögens ins Ausland zu schaffen, bevor die Nazis dem Kapitaltransfer immer mehr Fesseln anlegten. Nachdem Eugen Marxheimer 1936 wegen angeblich unerlaubter Vermögensverschiebungen von einem Mieter seines Hauses denunziert und dann auch kurzeitig in Haft genommen worden war, entschloss sich die Familie, Deutschland endgültig zu verlassen. Zwar durfte man kein Geld mitnehmen, aber viel Kapital war bereits im Ausland, zudem konnte man damals noch die gesamte Wohnungseinrichtung, wie auch Kunstwerke und Schmuck, durch eine Spedition über die Grenze bringen lassen. Zunächst blieben sie drei Monate in Brüssel, gingen dann aber nach Paris. In Frankreich wurden sie nun angefeindet, nicht weil sie Juden, sondern weil sie Deutsche – „Boche“ – waren. Trotzdem florierte das Unternehmen und man konnte im Wesentlichen den gewohnten Lebensstil aufrechterhalten. Sohn Rolf wurde nach England, nach Brighton, geschickt, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, und trat dort bei einem Tennismatch gegen die damals noch jugendliche, spätere englische Königin Elizabeth an. Mit Ausbruch des Krieges wurde er von seinem Vater zurück nach Frankreich beordert und die Familie verließ für kurze Zeit Paris, da man vermutete, die Deutschen würden mit ihrer Luftwaffe sofort die Hauptstadt angreifen. Als dies nicht geschah, kehrten sie Ende 1939 dorthin zurück und die Kinder konnten wieder zur Schule gehen. Als dann im Mai 1940 im Westen die Invasion der deutschen Truppen begann, wurden viele Deutsche, zumeist Juden, von der französischen Polizei interniert, auch Eugen Marxheimer und sein ältester Sohn Rolf, der sich in Frankreich Rene nannte.[30] Beide wurden per Zug in den Süden gebracht und dort in Lagern untergebracht, – Lager, die allerdings in keiner Weise mit deutschen Konzentrationslagern zu vergleichen waren -, während Johanna Marxheimer mit dem jüngeren Eduard in Paris bleiben durfte. Im Herbst konnte Eugen Marxheimer mit seinem Sohn wieder zurückkommen und Rolf durfte auch wieder zur Schule gehen. In Philosophie bekam er einen neuen Lehrer, der gerade aus der deutschen Kriegsgefangenschaft entlassen worden war. Sein Name: Jean Paul Sartre. Obwohl der große Philosoph damals für Rolf noch ein unbeschriebenes Blatt war, hatte er ihn und auch seine Mitschüler, wie er sich erinnerte, mit seinen Fragestellungen und Denkansätzen sofort unglaublich fasziniert.
1941 wurde die Situation für Juden, für einheimische wie auch für Flüchtlinge, zunehmend bedrohlich. Ein Kollaborateur wurde als Geschäftsführer an die Spitze der Firma gesetzt, die Pässe der Juden erhielten das große rot eingefärbte „J“ und man entzog den deutschen Juden ihre bisherige Staatsangehörigkeit. Immer öfter wurden Freunde und Bekannte verhaftet und in einem der Lager wie Gurs oder Drancy eingesperrt. Die Resistance hatte in dieser Zeit Kontakt mit Rolf Marxheimer aufgenommen, um ihn wegen seiner perfekten französischen und deutschen Aussprache um Hilfe bei der Befreiung von Gefangenen aus Drancy zu befreien. Zwei Mal beteiligte er sich, ausgestattet mit falschen Papieren und ohne Wissen seiner Eltern, an solchen gefährlichen, clandestinen Aktionen.
In dieser Zeit entschlossen sich Marxheimers, ihr bisheriges Exil Frankreich so schnell wie möglich zu verlassen. Der brasilianische Botschafter war bereit, Visa für Juden auszustellen, aber Eugen Marxheimer besaß keinen gültigen Reisepass mehr, in den das Visum hätte eingetragen werden können. Bei dem Versuch, eine Verlängerung des Dokuments bei der Pariser Gestapoführung zu erreichen, wurde er verhaftet. Begründung: „Frecher Jude“. Allerdings – wieder eines der vielen Wunder – wurde er wohl auf Fürsprache einer Bürokraft im Gestapo-Hauptquartier, bei der Johanna Marxheimer vorstellig geworden war, nach zwei Wochen entlassen und nicht, wie sonst üblich, in ein deutsches KZ überstellt.
Ende 1941 fuhr die Familie getrennt und zu unterschiedlichen Zeiten in das „freie Frankreich“ nach Grenoble, wo sie sich einmal in der Woche bei der Polizei melden musste. Im September kam das Gerücht auf, es werde eine groß angelegte Razzia geben, bei der alle Juden verhaftet und deportiert werden sollten. Zuständig war die Vichy-Polizei. Nur diejenigen, die nachweisen konnten, auf der Seite Frankreichs gestanden zu haben, hatten eine Chance, freigelassen zu werden. Der ehemalige französische Botschafter in Berlin, der inzwischen in der Nähe von Grenoble wohnte, bestätigte, dass die Firma Marxheimer das französische Militär beliefert hatte und erreichte so wieder einmal die Freilassung. Aber er warnte auch, dass er beim nächsten Mal nicht mehr würde helfen können und flehte sie an, Frankreich schnellstens zu verlassen. Aber ohne gültige Papiere gab es nur die Möglichkeit über die grüne Grenze in die Schweiz zu gelangen, ein gefährlicher Weg über die Berge, auf beiden Seiten der Grenze von Patrouillen bewacht. Zuerst brachen die beiden Söhne auf, wurden entdeckt, aber dann von den französischen Grenzern doch wieder frei gelassen. Die Eltern folgten, nachdem sie in Grenoble über Umwege eine Nachricht erhalten hatten, dass die Flucht ihrer Kinder gelungen war. Dank eines freundlichen Grenzers und dem Glück, dass das Gold, das in dem Koffer eingenäht war, unentdeckt blieb, wurden auch sie über die Grenze gelassen und die Familie traf in Lausanne zusammen.[31]
In der Schweiz studierte Rolf an einer technischen Hochschule Ingenieurswissenschaft, Eduard dagegen Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Ende des Krieges wanderten sie im Dezember 1947 von Rotterdam kommend zusammen in die USA ein und beantragten dort 1953, als Staatsbürger aufgenommen zu werden.[32]
Eduard Marxheimer war 1950 in die amerikanische Armee eingetreten und hatte in deren Auftrag in den fünfziger Jahren in Deutschland, in Mannheim, gearbeitet und mit den Deutschen verhandeln müssen. Den Eindruck, den die Deutschen damals bei ihm hinterlassen hatten, erschütterten ihn auch noch 50 Jahre später: „It was unreal. There I was in Germany talking to – that was my job in the American Army – former Nazis. And I couldn’d believe it. These guys were still absolutely and complete convinced of the superiority of the aryen race and that the aryen race will win the next war and take over the world.”[33]
Wie für ihre beiden Brüder spielte das Rheinland auch im Leben von Adelhaid, dem jüngsten der Kinder von Benjamin und Settchen Marxheimer, eine zentrale Rolle. Adelhaid, mitunter auch Adelheid geschrieben, war am 11. April 1885 in Wiesbaden geboren worden.[34] Möglicherweise hatte sie durch ihre Brüder auch ihren zukünftigen Ehemann, der zum Zeitpunkt der Heirat in Düsseldorf wohnte, kennen gelernt. Der jüdische Kaufmann Philipp Sämann stammte ursprünglich aus dem kleinen mittelfränkischen Ort Sugenheim bei Neustadt an der Eich, wo er am 19. Januar 1880 als Sohn von Gabriel und Jetta Sämann, geborene Winter, zur Welt gekommen war.[35] Die Ehe wurde zwar dann am 5. Dezember 1907 in Wiesbaden geschlossen,[36] aber das Paar lebte anschließend in Düsseldorf. Dort betrieb Philipp Sämann in der Duisburger Str. 77 ein Handelsgeschäft und ein Lager für Bürsten und ähnliche Haushaltsartikel. Kinder scheinen aus der Ehe aber nicht hervorgegangen zu sein.
Es ist nicht bekannt, ob es einen konkreten Anlass gab, der das Paar veranlasste, schon am 29. September 1934 Deutschland zu verlassen und sich in den Niederlanden niederzulassen.[37] Aber auch diese mögliche Weitsicht hatte ihr Leben letztlich nicht retten können. Zunächst konnten sie aber nach der Flucht ihr Gewerbe auch in den Niederlanden wohl mit recht großem Erfolg weiter betreiben und sogar dem Bruder bzw. Schwager – wie bereits erwähnt – beim Aufbau eines ähnliches Unternehmens in Frankreich behilflich sein. Nachdem die deutschen Truppen das Land besetzten, gehörten sie als Juden aber wieder zu den Verfolgten. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Holland 140000 Juden, darunter 25000 Flüchtlinge aus Deutschland. Spätestens ab dem Frühjahr 1941 wurde unter dem dort eingesetzten Reichskommissar Seyß-Inquart die Lage für alle immer bedrohlicher: Verhaftungen und Durchsuchungen allenthalben aus geringstem Anlass und ab Juli 1942 begannen dann die Massendeportationen in die Vernichtungslager im Osten Europas.
Am 23. September wurden auch Philipp und Adelhaid Sämann an ihrem Wohnort Bussum verhaftet und in das berüchtigte Sammellager Westerbork überstellt, wo sie rund eineinhalb Jahre unter unmenschlichen Bedingungen ausharren mussten. Am 4. September 1944 brachte sie dann einer der vielen Züge von dort zunächst in das Ghetto Theresienstadt. Am 23. Oktober 1944 verließ der Zug mit der Bezeichnung „Et“ mit 1715 Jüdinnen und Juden das Ghetto, um diese Menschen nach Auschwitz zu bringen. Zwar wurden nach einer Selektion davon mehr als 400 in Durchgangs- oder Nebenlager überführt. Von diesen überlebten 210 den Holocaust. Philipp und Adelhaid Sämann gehörten nicht dazu. Beide wurden zwei Tage nach ihrer Ankunft im Gas von Birkenau ermordet.[38]
Die Familie von Samuel Siegmund und Röschen Marxheimer
Das erste Kind von Benedict und Adelheid Marxheimer, das Langenschwalbach verlassen hatte, um sich in Wiesbaden anzusiedeln, war Samuel Siegmund, der aber nur unter seinem nichtjüdischen Vornamen bekannt war. 1869 hatte der um 1856 geborene Siegmund in Wiesbaden eine Lederhandlung eröffnet, vermutlich zunächst als eine Dependance der Langeschwalbacher Geschäfts.[39] Im Wiesbadener Adressbuch von 1869/70 ist er erstmals mit der Adresse Markstr. 36 gemeldet. Ob er auch weiterhin an der Firma seines Bruders Löb in Langenschwalbach beteiligt war, konnte nicht ermittelt werden. Aber 1905 stellte er den Antrag, in Langenschwalbach eine eigene Gerberei und Lederzurichterei errichten zu dürfen. Nach einem halben Jahr wurde ihm nach Einspruch eines Zellstofffabrikanten, der für seine Produktion bisher den gleichen Bach genutzt hatte, die entsprechende Genehmigung unter verschiedenen Umweltauflagen erteilt. Ob die Gerberei tatsächlich gebaut und zur Produktion genutzt wurde, ob vielleicht Löb eine Funktion dort innehatte, ließ sich nicht klären.[40]
Leider konnte auch nicht ermittelt werden, wann Siegmund Marxheimer die aus Weilmünster stammende Röschen Feist, Tochter von Ferdinand und Heimchen Feist, geborene Heymann, heiratete. Aus der Altersangabe in ihrem Sterbeeintrag ergibt sich, dass sie um das Jahr 1843 geboren worden sein muss.[41] Vermutlich hat die Eheschließung aber um 1870 stattgefunden, denn am 28. Februar 1871 wurde in Wiesbaden das erste Kind des Paares, der später sehr bekannte Rechtsanwalt Moritz Marxheimer geboren.[42] Wiesbaden war auch der Geburtsort der weiteren sechs Kinder. Im folgenden Jahr kam am 29. Mai die einzige Tochter Johanna zur Welt[43] und wiederum ein Jahr später am 16. Dezember 1873 der spätere Judenhausbesitzer Leopold.[44] Dann wurden die Abstände der Geburten etwas größer. Julius wurde am 18. August 1875 geboren,[45] Emil Moses am 15. August 1877,[46] Saly am 7. April 1880[47] und zuletzt Benjamin am 29. August 1886.[48]
Moritz Marxheimer
Moritz, der älteste und sicher auch bekannteste der Nachkommen von Siegmund und Röschen Marxheimer, nahm, nachdem er 1889 sein Abitur an dem humanistischen Gymnasium am Luisenplatz, der heutigen Dilthey-Schule, abgelegt hatte, im folgenden Jahr sein Studium der Rechtswissenschaften auf, das ihn nach Heidelberg, Berlin und Marburg führte. Nach Abschluss des Referendariats ließ er sich in seiner Heimatstadt als Rechtsanwalt nieder. Am 10. Mai 1899 wurde er am Landgericht Wiesbaden, am 6. September 1919 auch am Landgericht in Frankfurt zugelassen, wohin er nach dem Ersten Weltkrieg seine Anwaltspraxis für eine kurze Zeit verlegt hatte. Kurz zuvor war er am 10. Juli 1919 zum Notar bestellt worden.[49] Noch während des Krieges, in dem er zum Dienst „im Feld“ herangezogen wurde,[50] hatte man ihm den Titel eines Justizrats verliehen.
1921 kehrte er von Frankfurt nach Wiesbaden zurück und gründete mit Dr. Alfred Landsberg und Dr. Karl Weber eine Kanzlei. Während der Kriegsfreiwillige Dr. Alfred Landsberg auf Grund der antisemitischen Stimmungsmache im Zusammenhang mit der „Dolchstoßlegende“ zu einem engagierter Zionisten wurde, hatte der Sozius Karl Weber einen christlichen Hintergrund. Wie bedeutungslos die religiöse Einstellung der Menschen in der Zeit der Weimarer Republik zumindest für die Mehrheit, gerade in den eher gehobenen Schichten, war, zeigt sich daran, dass die Sozietät in der Luisenstr. 41 mit ihren zwei jüdischen Anwälten zu eine der bedeutendsten Kanzleien der Stadt avancierte.
Über die privaten Verhältnisse von Moritz Marxheimer ist nur wenig bekannt. Am 27. April 1904 heiratete er Elise Henriette Steinhart, genannt Else oder auch Elsa, geboren am 12. April 1882 in München.[51] Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen und wohl nicht erst in den letzten Jahren lebte das Paar auch voneinander getrennt. Im Jüdischen Adressbuch von 1935 sind sie beide zwar noch als Bewohner des Hauses Uhlandstr. 8 eingetragen, aber ob das den Tatsachen entsprach, ist eher fraglich. Denn schon im Jahr 1926 hatte Moritz Marxheimer ein Vermächtnis für seine langjährige Haushaltshilfe Emilie Roth formuliert, in dem er ihr „in dankbarer Anerkennung ihrer langjährigen treuen Dienste, insbesondere während der vielen Jahre, in welchen meine Frau abwesend war, eine lebenslängliche Rente von 1200 Reichsmark“ zusicherte.[52] Auch auf der Gestapokarteikarte von Moritz Marxheimer ist festgehalten, dass das Paar getrennt leben würde. Zum Zeitpunkt der Volkszählung im Mai 1939 wohnte Elise Marxheimer in Berlin Wilmersdorf in der Litzenburger Str. 51[53] und erhielt von ihrem Mann eine monatliche finanzielle Unterstützung. Seit wann das der Fall war und ob es zwischenzeitlich auch wieder Phasen des gemeinsamen Lebens gab, ist nicht zu sagen, aber sie blieben bis zuletzt in einem engen Kontakt miteinander und scheinen auch alle finanziellen Angelegenheiten einvernehmlich getroffen zu haben.
Wie gut die Kanzlei in den ersten beiden Jahrzehnten lief, zeigt sich allein daran, dass Moritz Marxheimer schon zu Beginn des Kriegs ein architektonisches Juwel Wiesbadens als Wohnsitz erwerben konnte. Die große Villa in der Uhlandstr. 8, erbaut um die Jahrhundertwende im damals angesagten Renaissancestil,[54] bewohnte er zunächst mit seiner Frau, später dann alleine, allerdings umsorgt von der langjährigen Haushaltshilfe. Erst später wurde die untere Etage abgetrennt und als eigene Wohnung vermietet.[55] Zudem besaß Moritz Marxheimer als Kapitalanlage seit Mitte der zwanziger Jahre auch das Haus Eckerförder Str. 21, das 1928 mit einem Einheitswert von 54.200 RM taxiert worden war.[56] .
Allein aus diesen Vermögenswerten kann man auf das frühere Einkommen des Anwalts und Notars schließen. Finanzakten aus den ersten Jahrzehnten der Kanzlei sind leider nicht erhalten geblieben, sodass man auch in den Entschädigungsverfahren auf vage Informationen bauen musste. Aber immerhin konnte das Finanzamt Wiesbaden mit Einkommenszahlen aus den Jahren 1930 bis 1938, dem letzten Jahr, in dem er ein Einkommen verzeichnen konnte, aufwarten. In den Jahren vor 1933 bewegte sich das jährliche Einkommen aus seiner anwaltlichen Tätigkeit grob zwischen 30.000 und 40.000 RM. Schon im ersten Jahr nach der „Machtergreifung“ halbierte es sich gegenüber 1930 auf nur noch 17.000 RM, um in den folgenden Abrechnungsperioden kontinuierlich abzunehmen. 1935 betrug es noch 12.000 RM, im folgenden Jahr knapp 4.000 RM und 1938 dann nur noch 1.623 RM.[57] Sein Gesamteinkommen lag in all diesen Jahren allerdings beträchtlich höher, da er sowohl aus seinem Mietshaus als auch in noch größerem Umfang aus der Verzinsung seiner Wertpapieren Einkommen bezog. Betrachtet man dieses Zahlen, so zeigen sie aber die gleiche Tendenz. Lag sein zu versteuerndes Einkommen 1933 noch bei 24.000 RM, so sank es 1938 auf rund 10.000 RM und betrug 1940 nur noch 5.400 RM.[58]
Die Zahlen spiegeln nur die zunehmende Entrechtung der Juden überhaupt in diesem Zeitraum wider, im Besonderen die der jüdischen Anwälte. Zwar durfte Moritz Marxheimer, anders als viele jüngere jüdische Anwälte, zunächst noch weiter arbeiten, weil er unter die sogenannte „Altanwaltsregel“ fiel,[59] aber am 14. November 1935 verlor auch er sein Notariat. Am 1. Dezember 1938 strich man dann die noch praktizierenden jüdischen Anwälte endgültig aus den Zulassungslisten und auch Moritz Marxheimer durfte fortan nur noch als „Konsulent“ für jüdische Klienten tätig werden.
Unter diesem äußeren Druck löste sich auch allmählich die gemeinsame Kanzlei auf. Dr. Landsberg, der schon 1932 ausgeschieden war, um nach Palästina auszuwandern, konnte damals noch durch den jungen, aber nicht weniger renommierten Anwalt Siegfried Hallgarten ersetzt werden. Allerdings fiel dieser nicht unter die „Altanwaltsregel“ und erhielt schon im Sommer 1933 Berufsverbot, weshalb er sich gezwungen sah, nach England auszuwandern.[60] Im September 1933 verließ auch Karl Weber die Praxis und Moritz Marxheimer verlegte seine Kanzlei von der Wilhelmstraße in die Rheinstr. 39.
Sein Vermögen soll laut Finanzamt Wiesbaden zum 1. Januar 1935 einen Wert von 298.212 RM betragen haben, weshalb die Reichsfluchtsteuerstelle im Oktober 1938 von ihm eine Sicherheit für eine möglicherweise fällige Reichsfluchtsteuer von knapp 75.000 RM forderte.[61]
Es wird angenommen, dass er selbst nicht gewillt war, Deutschland und wohl noch weniger seine Jüdische Gemeinde in Wiesbaden zu verlassen. Dies bezeugte der ehemalige Friedhofsverwalter Maurer im Entschädigungsverfahren, in dem es eigentlich darum ging, ob Moritz Marxheimer zuletzt noch so rüstig gewesen sei, um seinen beruflichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Maurer sagte damals aus, dass er Moritz Marxheimer „wiederholt gebeten hätte, ins Ausland zu gehen“, er dies aber immer im Hinblick auf seine Verpflichtung gegenüber der Jüdischen Gemeinde abgelehnt habe.[62] Und diese Verpflichtungen waren nicht nur vielfältig, sondern sie waren in diesen letzten Jahren auch weitaus nervenaufreibender, als es eine Anwaltstätigkeit üblicherweise gewesen wäre.[63] Auch bestanden sie schon seit vielen Jahren. Bereits 1922 hatte er die Jüdischen Gemeinden aus Nassau bei der Gründungsversammlung des Preußischen Landesverbandes vertreten und im folgenden Jahr wurde er Vorsitzender der Gemeinde, eine Aufgabe, der er sich in all den folgenden Jahren der politischen Wirren und Bedrängungen über nahezu zwanzig Jahre und somit fast bis zum Ende der Gemeinde 1942 mit großer Aufopferung annahm.
Und diese Arbeit war nicht sein einziges Engagement für das jüdische Gemeindeleben in Wiesbaden. Bereits während des Studiums gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der jüdischen Studentenverbindung „Badenia“ in Heidelberg. Schaut man sich die Zusammenstellung der verschiedenen jüdischen Organisationen und deren Mitglieder im Jüdischen Adressbuch von 1935 so findet man zig mal den Namen von Moritz Marxheimer: Er war Mitglied im „Centralverein der Juden in Deutschland“, im „Hilfsverein der Juden in Deutschland“, im „Israelischen Waisenunterstützungsverein“, im „Jüdischen Lehrhaus“, im Verein „Kindertagesheim“, im „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten“, in der Vereinigung „Rituelle Küche für den Mittelstand“ und im „Verein zur Errichtung eines israelitischen Krankenhauses und Schwesternheims“, seine Frau Else engagierte sich im „Verband jüdischer Frauen für Palästina-Arbeit“ und in der „Vereinigung Jüdischer Frauen“.[64]
Paul Lazarus, der langjährige Rabbiner der Gemeinde, schrieb in seinem Erinnerungsbuch über Moritz Marxheimer: „Seine ganze Liebe galt der Gemeinde Wiesbaden, die er dann später so lange, in guten wie vor allem in so schweren Jahren führte und sie zu einer großen blühenden Gemeinde in Deutschland auszubauen verstand, gemeinsam mit seinen Mitarbeitern im Vorstand. (…) Alle seine Gehilfen, den verschiedensten jüdisch-politischen Parteien und sozialen Schichten angehörig, ordneten sich bereitwillig dem Vorsitzenden unter: sein Rat suchte man in allen schwierigen Fällen. Über alle Parteien hinweg war ihm die Einheit der Gemeinde, an der er mit allen Fasern seiner Seele hing und für deren Wohl er unablässig bis zu seiner Deportierung besorgt war, das Höchste. (…) Sein Name bleibt mit der Geschichte der Gemeinde Wiesbadens, vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten ihres Bestehens, für immer verbunden.“[65]
Auch Faber nimmt in seinem Artikel über die jüdischen Juristen dieses Narrativ auf, wenn er schreibt: „Obwohl ihm vor Ausbruch des Krieges mehrfach angeboten worden war, nach England auszuwandern, blieb er in Wiesbaden, um sich auch weiterhin um die Jüdische Gemeinde zu kümmern; er wollte die zurückgebliebenen Mitglieder ‚nicht im Stich lassen’.“[66]
Es mag sein, dass gerade die Auswanderung von Paul Lazarus im Jahr 1939 nach Palästina Moritz Marxheimer zunächst zum Bleiben bewogen hatte, weil er sich als einzig verbliebene Instanz ansah, die der Gemeinde wenigstens in dieser letzten Phase ihrer Existenz ein Minimum an Stabilität und Kontinuität verleihen konnte.
Allerdings sprechen gegen dieses schöne Bild vom guten Hirten, der in der Gefahr bei seiner Herde bleibt, mehrere Indizien und auch deutliche Belege.
Spätestens seit 1939 hatte auch Moritz Marxheimer Maßnahmen in die Wege geleitet, um Deutschland zu verlassen. So hatte er bereits im März 1939 beim Finanzamt Wiesbaden eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung mit der Begründung beantragt, er wolle am 30. Juni 1939 auswandern.[67] Immerhin eine sehr konkrete Angabe. Das Finanzamt berechnete darauf die fällige Reichsfluchtsteuer – sein Vermögen war u. a. durch die Zahlungsverpflichtung zur Judenvermögensabgabe erheblich geschwunden – auf etwas mehr als 45.000 RM.[68] Im Zusammenhang mit der Zahlung der „Sühneleistung“ gab er in einem Formularblatt jeweils an, dass er mit seiner Ehefrau „so bald als möglich“ auszuwandern beabsichtige und dafür Geldmittel in noch nicht bekannter Höhe benötige.[69]
Noch 1939 war es auch zu einem Vertragsabschluss über den Verkauf des Hauses in der Uhlandstraße gekommen. Genauer: Die Villa sollte gegen ein Haus in Argentinien, das einem Franz Basse gehörte, getauscht werden. Dieser wollte als Rückkehrer sich wieder in Deutschland ansiedeln, was zu diesem Zeitpunkt sicher einiges über die politische Haltung dieses Aspiranten verrät. Vermutlich ging man auch deshalb davon aus, dass die Behörden diesem Tausch ohne Probleme ihr Plazet geben würden. Dem war aber nicht so. Wegen einer ungeklärten Hypothekenbelastung verweigerte der Regierungspräsident dem Vertrag die Zustimmung.[70] Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb Moritz Marxheimer damals zunächst in Deutschland blieb.
Aber aufgegeben hatte er seine Absicht keineswegs, was man daran sehen kann, dass der Fälligkeitstermin der Reichsfluchtsteuer von diesem Zeitpunkt an um jeweils ein Vierteljahr nach hinten verschoben wurde, zunächst auf den 31. Dezember 1939, dann auf den 31. März, den 30. Juni 1940 usw. bis zum letzten Termin, dem 31. März 1941.[71] Ein weiterer Brief vom Mai des gleichen Jahres an das Finanzamt Wiesbaden belegt, dass er noch immer die Absicht hatte, aus Deutschland herauszukommen. Er bat darin um eine der üblichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die die Pfändung von Wertpapieren zur Sicherung seiner Reichsfluchtsteuer bestätigen sollte. Er müsse ein solches Schreiben bei der Devisenstelle vorlegen, wo er als Interessent für den Erwerb von Grundbesitz in Argentinien gemeldet sei. Der dortige Eigentümer, ein Deutscher, habe, wie in dem vorherigen Fall, die Absicht in das nationalsozialistische Deutschland zurückzukehren.[72] Das Finanzamt bestätigte, dass er keine Steuerrückstände habe. Ob der Erwerb des argentinischen Grundstücks aber zustande kam, ist unbekannt. Aber am 10. September 1941 überwies Moritz Marxheimer den hohen Betrag von 47.300 RM von seinem Konto auf das der „Deutschen Golddiskontbank“.[73] Später wurde noch ein weiterer Betrag von mehr als 10.000 RM auf dieses Konto überwiesen, sodass insgesamt fast 60.000 RM bei dieser staatlichen Bank hinterlegt waren. Ein solcher Kapitaltransfer diente normalerweise dazu, den entsprechenden Betrag unter hohen Abzügen – zuletzt bis zu 94 Prozent – in Form von Devisen zurückzuerhalten.[74] Wenn man solche Einbußen in Kauf zu nehmen bereit war, dann musste man in jedem Fall schon sehr ernsthaft die Emigration ins Auge gefasst haben. Auch die Entschädigungsbehörde wertete später diese Kapitaleinlage als Beleg dafür, „dass der Verfolgte zur Auswanderung entschlossen war, um nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen, und das dieser Betrag für einen Transfer verwendet werden sollte.“[75] Als Moritz Marxheimer diese Einzahlungen vornahm, war es allerdings bereits zu spät. Er blieb notgedrungen, vielleicht aber auch aus Pflichtgefühl bis zum bitteren Ende.
Wieso die Pläne nicht schon früher realisiert werden konnten, geht aus den Akten nicht hervor. Möglicherweise gab es bürokratische Hürden, Probleme beim Kapitaltransfer oder ähnliches, aber ganz sicher war es bei ihm auch eine Frage der Entschlusskraft. Ganz sicher wird auch er eine solch schwerwiegende Entscheidung immer wieder neu reflektiert und abgewogen haben – gute Argumente gab es in diesem Dilemma für beide Seiten und alle guten Argumente erwiesen sich unter einer anderen Perspektive als falsch, als unverantwortlich. Zuletzt nahm ihm der NS-Staat die Entscheidung ab: Am 1. Oktober 1941wurde die Auswanderung von Juden durch die Reichsregierung generell untersagt.
Aber immerhin war seiner Frau Else die Emigration nach Argentinien noch gelungen und möglicherweise sollte der Geldtransfer und der Versuch oder auch der tatsächliche Erwerb der Immobilie in Argentinien zu ihrem Unterhalt dienen. Er hatte schon zuvor die Sicherheit für die Reichsfluchtsteuer gestellt,[76] die am 31. Mai 1940 nach einer Neuberechnung auf 5.000 RM festgesetzt wurde. Am gleichen Tag bat er darum, 7.000 RM von seinem gesicherten Konto auf das seiner Frau in Berlin zur Finanzierung der Schiffspassage freizugeben. Auch die übrigen Kosten für die Spedition u. a. übernahm er.[77] Die Dego-Abgabe über 1.400 RM für die neu erworbenen Waren, die Elsa Marxheimer vor ihrer Ausreise nach Argentinien noch angeschafft hatte, wurde ebenfalls von seinem Konto abgebucht.[78]
Über das Leben seiner Frau im argentinischen Exil ist nichts bekannt. Sie verstarb dort schon wenige Jahre nach dem Kriegsende am 10. Juli 1948 im Alter von 66 Jahren.[79]
Mit der schwierigen Frage, gehen oder bleiben, musste sich Moritz Marxheimer spätestens seit der Reichspogromnacht, seit dem klar, war, dass Juden in diesem Land keinen sicheren Ort mehr finden würden, befasst haben. Zwar blieb die Villa in der Uhlandstraße damals von den SA-Horden verschont [80] und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass er mit den anderen erwachsenen männlichen Juden nach Buchenwald verbracht wurde, aber die finanziellen Konsequenzen hatte auch er zu tragen.
Als sogenannte „Sühneleistung“ musste er einen Betrag von insgesamt 63.500 RM in fünf Raten á 12.700 RM, seine Frau 11.500 in Raten á 2.300 RM aufbringen.[81] Zu einem wesentlichen Teil – 7.000 RM sind belegt – wurde der Betrag durch die Abgabe von Wertpapieren beglichen.[82] Ob der Beschluss, sich von seinem Haus in der Eckernförder Str. 21 zu trennen, auch aus der hohen Zahlungsverpflichtung resultierte oder eher wegen der beabsichtigten Auswanderung erfolgte, ist nicht klar, vermutlich hat aber beides eine Rolle gespielt. Der Verkaufsvertrag über dieses Haus mit dem Ehepaar Tischer war bereits am 13. Dezember 1938 abgeschlossen worden, also noch bevor die genauen Forderungen bekannt waren.[83]
Im Rückerstattungsverfahren in der Nachkriegszeit hat die damalige Erwerberin Einspruch gegen die Herausgabe des Wohngrundstücks eingelegt, da es sich nach ihrer Meinung um einen ganz normalen Verkauf gehandelt habe: „Herr Immobilienmakler Dr. jur. Hermann Schmidt war von Herrn Justizrat Marxheimer beauftragt, das Haus für 36.000 RM zu verkaufen. Er bot es uns an und wir kauften es zu diesem Preis, welcher dem damaligen Verkaufswert voll entsprach.“[84] Dass selbst der 1938 festgelegte Einheitswert von 37.000 RM damit um mehr als 1.000 RM unterschritten wurde – der gezahlte Betrag belief sich auf 35.675 RM -,[85] unterschlug die Käuferin geflissentlich, ganz zu Schweigen vom tatsächlichen Verkehrswert der Immobilie.[86]
Unmittelbar nach dem Verkauf wurden die kontrollierenden Finanzbehörden aktiv. Mit dem Vermerk „Eilt“ ersuchte die Zollfahndungsstelle in Mainz die Devisenstelle in Frankfurt, dafür sorgen zu tragen, dass das Vermögen von Moritz Marxheimer gesichert werde.[87] Zwar hatte man seine Bank von der bald danach angeordneten Sicherungsmaßnahme unterrichtet, nicht aber Moritz Marxheimer selbst, sodass dieser darum bitten musste, ihm den Umfang der Beschränkungen mitzuteilen. Erst am 9. Mai 1939 erging dann die offizielle Sicherungsanordnung durch die Devisenstelle auch an ihn, in der ihm ein Freibetrag von monatlich 1.000 RM, über den er ohne besondere Genehmigung verfügen können sollte, gewährt wurde.[88]
Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme hatte die Zollfahndungsstelle Angaben über die gesamten Vermögenswerte von Moritz Marxheimer zum damaligen Zeitpunkt aufgeführt. Unzweifelhaft gehörte er mit einem Gesamtvermögen von 250.000 RM noch immer zu den wohlhabenden jüdischen Bürgern Wiesbadens.[89]
Mit Genehmigung der Devisenstelle unterstützte Moritz Marxheimer auch Angehörige der Familie finanziell. So erhielt seine Cousine Adelheid Löwensberg, die Tochter von Kaufmann und Johanna Löwensberg, geborene Marxheimer, monatlich 50 RM. Den gleichen Betrag ließ er Jenny Steinharter, seine Schwiegermutter in München, zukommen. Eine Nichte aus der Familie der Steinharters wurde mit 100 RM unterstützt und 400 RM hatte er bis zu ihrer Ausreise monatlich an seine Frau in Berlin übersandt. [90] Eine nicht bekannte Frau Strauss in Frankfurt erhielt 60 RM. Es handle sich bei den genannten, so Moritz Marxheimer, „um in Not geratene Verwandte, für die ich nicht unterhaltspflichtig bin, denen gegenüber ich mich aber aus sittlichen Gründen zur Hingabe der vorn im einzelnen angeführten Beträge lt. beifolgenden Abschriften der notariellen Urkunden verpflichtet habe.“[91]
Im Februar 1940 musste Moritz Marxheimer der Devisenstelle erneut seine finanziellen Verhältnisse offen legen. Sein Vermögen war inzwischen auf etwa die Hälfte zusammengeschmolzen. Es betrug noch etwa 121.000 RM, abgezogen hatte er schon die 45.000 RM für die Reichsfluchtsteuer, die zwar noch nicht fällig geworden war, über die er aber nicht mehr verfügen konnte. Knapp 10.000 RM hatte er in den letzten zwölf Monaten als Einkünfte verbuchen können, wohl zum größten Teil aus der Verzinsung seines Kapitals. Seine monatlichen Ausgaben inklusive der Unterstützungsgelder und der Kosten für eine Haushaltshilfe bezifferte er auf 1.215 RM. Bewilligt wurde ihm jedoch nur ein Freibetrag von 1.000 RM.[92] Aber auch das war im Vergleich zu dem, was andere Jüdinnen und Juden zur Verfügung hatten, sehr üppig.
Nachdem der Haustausch mit der argentinischen Immobilie gescheitert war, musste Moritz Marxheimer 1940 sich doch noch von seiner Villa in der Uhlandstraße trennen. Finanzielle Gründe spielten dabei keine Rolle. Man hatte ihn offensichtlich zum Verkauf gezwungen, wie Zeugen nach dem Krieg im Rückerstattungsverfahren angaben, darunter auch der langjährige Bürovorsteher seiner Kanzlei Mauer. Er gab damals folgende Aussage zu Protokoll: „Bezüglich des von dem Verfolgten mit den Antragsgegnern geschlossenen Kaufvertrags hat der Verfolgte mir gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß er zum Abschluss dieses Vertrages – insbesondere durch die Einschaltung von Parteidienststellen – gezwungen worden sei, wo ihm auch eröffnet worden sei, dass Dr. Stemmler und niemand anders das Haus bekommen soll.“[93] Das verwundert nicht, denn Landesmedizinalrat Dr. Stemmler war „Pg“, Parteigenosse, wie aus der von der Militärverwaltung 1946 erstellten Liste über den Verkauf jüdischer Immobilien hervorgeht. Grundlage für die Liste wiederum waren Meldungen, die die NSDAP Wiesbaden auf Geheiß des Gauleiters Sprenger im Sommer 1941 eingeholt hatte, um sich über den Stand der Arisierung des jüdischen Wohneigentums zu informieren. Dort heißt es „Stemmler, Dr. Wiesbaden, Pg erwarb das Haus Uhlandstr. 8 von dem jüd. Besitzer Marxheimer lt. Schr. v. 22.7.1941.“[94] Stemmler war darüber hinaus auch stellvertretender Leiter der Wiesbadener Ortsgruppe der „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“,[95] also gewiss ein Mann, der hinter der Arisierungspolitik des Staates stand.
Der Kaufvertrag, in dem als Preis der Einheitswert von 34.000 RM vereinbart worden war, wurde am 11. März 1940, nur eine Woche nach Abschluss des Vertrages, von der Preisbehörde im Vermessungsamt der Stadt Wiesbaden genehmigt. Selbstverständlich musste das Geld auf das gesicherte Konto eingezahlt werden.[96]
Welches Schnäppchen man damals auf Seiten der Käufer gemacht hatte, zeigt sich an dem Vergleich, der nach dem Krieg geschlossen wurde. Die Neubesitzer und die Erben des Moritz Marxheimer kamen darin überein, dass erstere, die durch „schwerer Entziehung“ unrechtmäßig zu dem Besitz gekommen waren, ihn unter der Bedingung behalten dürften, dass sie der Erbengemeinschaft eine Ausgleichszahlung in Höhe von 42.000 –jetzt – DM (!) zu zahlen bereit wären. Sie waren dazu bereit, offensichtlich noch immer ein gutes Geschäft.[97]
Wie seiner Gestapokarteikarte zu entnehmen ist, zog Moritz Marxheimer nach dem Verkauf am 2. August 1940 in die Kapellenstr. 26, wo seit März 1939 die Familie seines Bruders Julius wohnte. Ob sie Moritz Marxheimer damals bei sich aufnahmen, was eher wahrscheinlich ist, oder ob er eine eigene Wohnung bzw. ein Zimmer anmietete, ist nicht bekannt.[98]
Auch für ihn, der zumindest bisher über hinreichende finanzielle Mittel verfügen konnte, wurden die Lebensumstände zunehmend bedrückend. Am 13. Dezember 1941 wurde sein Freibetrag auf nur noch 400 RM herabgesetzt.[99] Als allmählich immer deutlicher durchdrang – wenige Wochen später sollten auf der Wannsee-Konferenz die entsprechenden Beschlüsse gefasst und die entsprechenden organisatorischen Vorbereitungen getroffen werden -, welches Schicksal die Nazis den Juden zugedacht hatten, sorgte sich Moritz Marxheimer noch um seine nichtjüdische Haushaltshilfe Emilie Roth. Seit 25 Jahren hatte sie in seinen Diensten gestanden, am 1. April 1941 musste er sie gezwungenermaßen entlassen. Schon in den zwanziger Jahren hatte er ein Vermächtnis zu ihren Gunsten hinterlegt, in dem er aus Dankbarkeit für ihre Treue und Hilfe ihr ein lebenslanges Wohnrecht mit geringer Miete in dem damals noch ihm gehörenden Haus in der Eckernförder Straße und auch eine monatliche Rente zugesichert hatte. Dieses Vermächtnis wurde 1938, nach dem Verkauf des Hauses, abgeändert und sollte nun aus einer monatlichen Rente von 150 RM bestehen, zudem sollte sie das gesamte Mobiliar seiner Wohnung in der Uhlandstr. 8 erhalten.[100] Aber auch dieses Vermächtnis musste angesichts der finanziellen Verfügungsbeschränkungen noch einmal geändert werden. Im April 1942 bat er die Devisenstelle darum, ihr eine monatliche Rente von 60 RM zusichern zu dürfen, ein Versprechen, dass einzulösen ihm zunächst erlaubt wurde.[101] Als nach seiner Deportation und seinem Tod der Staat sich seines Vermögens bemächtige, wurde die langjährige Angestellte ebenfalls zu einem Opfer. Sie erhielt selbstverständlich die versprochene Rente nicht, weder vom NS-Staat, noch von dessen Nachfolger, der Bundesrepublik Deutschland.[102]
Nach Aussage des langjährigen Bürovorstands der Kanzlei Wilhelm Heuser, war Moritz Marxheimer noch einige Wochen vor seiner Deportation in Haft genommen worden: „Damals wurden ja alle Juden aus Wiesbaden verschleppt, die noch da waren, mit einigen wenigen Ausnahmen. Wenn ich nicht irre war es 1942. Zuerst kam er [Moritz Marxheimer- K.F.] einige Wochen ins Gefängnis, dann mit dem ganzen Schub ins K.Z.“[103]
Auch Charlotte Opfermann, die Tochter von Berthold Guthmann, erwähnt diese Verhaftung in einem Interview mit Lothar Bembenek. Anlass sei ein Gespräch von Moritz Marxheimer mit einem ehemaligen nichtjüdischen Kollegen auf der Straße gewesen, das von dem Wiesbadener Gestapo-Chef Bodewig beobachtet wurde – ein „Vergehen“, für das der nichtjüdische Gesprächspartner in „Schutzhaft“ genommen werden konnte, der jüdische auf jeden Fall in „Schutzhaft“ zu nehmen war.[104]
Ob er vor seiner Deportation noch einmal frei kam, ist nicht bekannt, aber eher wahrscheinlich, denn als Adresse auf der entsprechenden Deportationsliste ist die Kapellenstr. 26 angegeben. Er gehörte zu den noch in Wiesbaden lebenden Jüdinnen und Juden, die sich am 29. August in der Synagoge in der Friedrichstraße zu versammeln hatten, um dort die letzten Formalitäten für ihre „Wohnortverlagerung“ zu erledigen. Dazu gehörte auch der Abschluss der sogenannten „Heimeinkaufsverträge“, die den Unterzeichnenden angeblich ein sorgenfreies Leben in Theresienstadt garantieren sollten. Sie dienten aber in Wahrheit dazu, der SS ihren Beuteanteil am Vermögen der Juden zu sichern, bevor der Reichsfinanzminister darauf zugreifen konnte. Ein solcher Zwangsvertrag wurde auch von Moritz Marxheimer unterzeichnet. Am 17. September 1942 wurde sein Konto – er war zu diesem Zeitpunkt schon längst deportiert – mit einem Betrag von 37.575 RM belastet und beim Bankhaus Tecklenburg & Co., Berlin, zu Gunsten des Reichssicherheitshauptamts gutgeschrieben.[105] Die Einzugsanordnung über das restliche Vermögen durch den Reichsminister der Finanzen, ausgestellt am 30. September 1942, ist das letzte Dokument der Devisenakte.[106]
Am 1. September 1942 rollte der Zug mit seinen 371 Insassen aus dem Wiesbadener Bahnhof nach Frankfurt, wo weitere nahezu 800 Jüdinnen und Juden aus dem südhessischen Raum, die die Nacht zuvor in der Großmarkthalle unter schlimmsten Bedingungen verbracht hatten, dem Transport noch zugeführt wurden. Der Zug „Da 503“ erreichte mit mehr als 1100 Menschen am 2. September sein Ziel: Theresienstadt, die ehemalige Garnisonsstadt in Böhmen, die zum sogenannten Altersghetto umfunktioniert worden war. Ein kurzes Schreiben, datiert mit genau diesem Ankunftsdatum 2. September, hatte ihn zynischerweise noch aufgefordert, eine „Aufstellung der gegenwärtigen Ausgaben für (seinen) Lebensunterhalt“ der Devisenstelle in Frankfurt zu übermitteln. Nicht nur sollte sein Lebensunterhalt eigentlich durch den abgeschlossenen „Heimeinkaufsvertrag“ abgedeckt sein, sein Leben war mit dem Antritt der Fahrt ohnehin verwirkt.
Lange überlebte Moritz Marxheimer Theresienstadt nicht. Aber es bleiben gewisse Unklarheiten über seinen Tod am 27. Oktober 1942.[107] Nicht verwunderlich ist das baldige Sterben des alten Mannes nach seiner Ankunft im Lager, verwunderlich ist aber der Ort, an dem er sein Leben verlor. Er starb nicht in Theresienstadt, sondern laut Urkunde des Sonderstandesamts Arolsen und auch laut Information des Roten Kreuzes im Konzentrationslager Mauthausen im heutigen Österreich, vermutlich in einem der vielen zugeordneten Nebenlager, die nahezu alle als Arbeitslager fungierten. In einem Schreiben der Zollfahndungsstelle Mainz vom 12. Juni 1943 heißt es: „Am 1. September 1942 ist Marxheimer durch die Geheime Staatspolizei nach Theresienstadt evakuiert worden. Scheinbar ist er unterwegs erkrankt, denn laut Vermerk auf dem Einwohnermeldeamt ist er am 27. Okt. 1942 in Mauthausen II Oberdonau gestorben.“[108]
Allerdings stellt sich hier schon die Frage, wieso man einen alten, über 70 Jahre alten Mann noch in ein Arbeitslager verfrachtet haben soll? Auf seiner Gestapokarteikarte hatte man noch in Wiesbaden notiert: „Arbeitsunfähig, krank“. In Oberdonau gab es zwei Konzentrationslager, die beide dem ‚Reichswerk Hermann Göring’ zugeordnet waren und Stahl für den Panzerbau produzierten. Moritz Marxheimer konnte hierbei wohl kaum von irgendeinem Nutzen gewesen sein.
In der Chronologie der Zugänge für 1942 sind zudem keine Transporte aus Theresienstadt in der fraglichen Zeit notiert. Nur von einigen Polen, Belgier und Franzosen, die Anfang September kamen, ist dort die Rede, dann noch einmal 220 Häftlinge aus Wien und am 9. Oktober noch einmal „einige Franzosen“. 55 niederländische Juden waren dann noch einen Tag vor Marxheimers Tod im Lager angekommen.[109] Angaben darüber, wann Moritz Marxheimer in Mauthausen eingeliefert worden sein könnte, sind in den dortigen Unterlagen nicht festgehalten worden. Laut Nachforschungen des IRK wurde aber seine Häftlingsnummer 13812 am 25. Oktober 1942 ausgegeben, sodass man davon ausgehen kann, dass er an diesem Tag oder unmittelbar zuvor dort angekommen sein müsste.[110]
Einen Tag vor seinem Tot fuhr andererseits der erste Sonderzug der sogenannten „Herbstsaktion“ von Theresienstadt nach Auschwitz. Viele Wiesbadener Juden des Septembertransports, mehr als 90, wurden mit einem dieser Züge den Gaskammern von Auschwitz zugeführt. Moritz Marxheimer wäre der einzige des Transports vom 1. September gewesen, den man – sinnloser Weise – von Theresienstadt noch nach Mauthausen gebracht hätte. Es ist keineswegs auszuschließen, entspricht sogar mit größter Wahrscheinlichkeit den Tatsachen, denn es hätte auch keinen Sinn gemacht, einen möglichen anderen tatsächlichen Sterbeort – Auschwitz oder Theresienstadt – zu verschleiern. Aber erstaunlich bleibt es dennoch.[111]
Am 7. September 1945 erschien im „Aufbau“ eine kleine Todesanzeige von seiner Frau für ihren ermordeten Ehemann. Sie war damals noch davon ausgegangen, dass er in Theresienstadt sein Leben verloren hatte.[112]
In Wiesbaden wurde im Klarenthal, einem Neubaugebiet der 60er Jahre, in dem alle Straßen an Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus erinnern, auch eine Straße nach Moritz Marxheimer benannt. Allerdings fällt auf diese Ehrung ein Schatten, denn er war nur zweite Wahl. Ursprünglich sollte die Straße nach Bertold Guthmann und seiner Frau Claire benannt werden. Dagegen hatte aber die Jüdische Gemeinde Bedenken erhoben und als Alternative Moritz Marxheimer vorgeschlagen.[113] So kam es am 14. März 1968 im Magistrat zu dem Beschluss, dass die Straße nun seinen Namen trägt.[114] Vor seinem früheren Haus in der Uhlandstr. 8 wurde am 1. Oktober 2013 ein Stolperstein mit seinem Namen verlegt.
Johanna Fürth, geborene Marxheimer
Auch Johanna, die jüngere, am 29. Mai 1872 in Wiesbaden geborene Schwester vom Moritz Marxheimer, konnte mit ihrem Mann Theodor David Fürth ihrem Schicksal nicht entkommen. Auch eines der drei Kinder fiel dem Holocaust zum Opfer.
Über die Kindheit und Schulzeit von Johanna liegen keine Informationen vor. Im Jahr 1898, am 5. Mai, heiratete sie in Wiesbaden den neun Jahre älteren Theodor David Fürth aus der Lederstadt Offenbach. Er war am 24. Mai 1863 als Sohn von Moses Fürth und dessen Frau Jettchen, geborene Simon, zur Welt gekommen.[115] Ob es auch eine Liebesheirat war, ist nicht mehr zu sagen, aber geschäftlich machte sie ganz sicher Sinn. Theodor Fürth hatte mit einem Kompagnon Eduard Michels 1893 in Offenbach eine Fabrikation und einen Großhandel für Lederwaren als O.H.G. gegründet und war damit in der gleichen Sparte aktiv wie die Familie Marxheimer.[116] In der Heiratsurkunde ist er als „Portefeuillefabrikant“ bezeichnet. Produziert wurden in der kleinen Fabrik in der Löwenstr, 16, in der noch weitere Lederfabriken angesiedelt waren, kleine Taschen, besonders Damentaschen, Schreibmappen, Brieftaschen, Geldbörsen, Zigarren- bzw. Zigarettenetuis und dergleichen mehr.[117]
Nach der Eheschließung zog Johanna zu ihrem Mann nach Offenbach in die Frankfurter Str. 97, wo in den folgenden Jahren auch ihre drei Kinder geboren wurden. Manfred kam am 17. 1899 zu Welt, sein Bruder Max Otto am 20. August 1901 und zuletzt die Tochter Elisabeth am 14. Juni 1904.[118]
Die Familie gehörte mit ihrem kleinen, aber gut gehenden Unternehmen der gehobenen Mittelschicht an und zumindest die beiden Söhne wurden als Kaufleute auf eine spätere Übernahme des väterlichen Betriebs vorbereitet. Zwar liegen keine Geschäftszahlen des zuständigen Finanzamts mehr vor, aber zumindest liefern die Zahlen des städtischen Gewerbesteueramtes Offenbach Anhaltspunkt über den Geschäftsverlauf zwischen dem Ende der zwanziger Jahre und 1938. Ende der zwanziger Jahre wären demnach Gewinne von jährlich mehr als 25.000 RM erzielt worden, die aber dann in den Folgejahren zunächst vermutlich durch die Wirtschaftskrise, dann aber durch die antisemitischen Boykottaktionen auf bis zu einem Zehntel zurückgingen.[119]
Es gab keinen Grund mehr, länger in diesem Land zu bleiben. Noch bevor die Reichspogromnacht die Brutalität des Systems und noch mehr die Häme der „Volksgenossen“ während des Pogroms offen zu Tage treten ließ, hatten Fürths beschlossen, Deutschland zu verlassen. Aber es gab noch Dinge zu regeln, wie etwa den Verkauf der Firma. Als Käufer boten sich der langjährige Mitarbeiter und Prokurist Heinrich Augst und sein Bruder Friedrich an. Man kann nur staunen, welchem Knebelvertrag Fürths in ihrer Notsituation zustimmen mussten, vorgelegt von einem, dem man lange Jahr das Vertrauen geschenkt, den man vielleicht sogar als Freund betrachtet hatte.[120] Die Firma wurde zu einem Wert verkauft, der im Wesentlichen dem Lagerbestand zu Gestehungskosten bzw. den Einkaufspreisen entsprach. 1.000 RM sollten noch pauschal für die Einrichtung, die Werkzeuge und Maschinen gezahlt werden. Der Wert der Firma, ihr Name und frühere Kundenbindungen, stille Reserven und mögliche Gewinnerwartungen als nun arisches Unternehmen blieben unberücksichtigt. 24.000 RM betrug die Summe, auf die man sich einigte. Ob dieser Betrag den Verkäufern wenigstens noch partiell zu Verfügung stand, ist nicht klar. Im Entschädigungsverfahren wurde das bestritten. Vielleicht wurde das Geld auch zumindest teilweise zur Begleichung der Judenvermögensabgabe verwendet, zu der Theodor Fürth in der Höhe von 11.600 RM für die ersten vier Raten veranschlagt worden war.[121] Die hatte er vermutlich noch zahlen müssen, andernfalls hätte man die Familie kaum aus Deutschland herausgelassen.
Der Kaufvertrag war auf Seiten der Verkäufer unterschrieben von Theodor und Max Führt. Der älteste Sohn Manfred hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Holland – so der irrige Glaube – in Sicherheit gebracht, nach Angaben seines Bruders im Januar 1937.[122] 1939 folgten seine Eltern. Sie hatten sich am 20. März nach Den Haag abgemeldet,[123] lebten aber dann vermutlich zusammen mit ihrem Sohn Manfred im holländischen Bussum.
Am 23. Juni 1941 verlobte Manfred sich dort mit Grete Auerbach, geboren am 3. August 1909 in Dortmund.[124] Wann die beiden heirateten, ist nicht bekannt, aber am 5. Juni 1943 wurde ihre Tochter Marion Anita geboren. Sie kam zur Welt an einem Ort des Todes, im Sammellager Westerbork, in dem die Mutter vermutlich seit dem 11. März 1943 interniert war. Nur einen Tag soll die Neugeborene am Leben geblieben sein.[125] Der Vater war wahrscheinlich seit Anfang März 1943 in dem erst Anfang des Jahres fertig gestellten Konzentrationslager Vught bei Herzogenbusch interniert, in dem etwa 30.000 Häftlinge untergebracht waren.[126] Am 11. März 1943, also drei Monate vor deren Geburt seiner Tochter wurde er von Vugh nach Westerbork verlegt. Von dort deportierte man ihn am 25. Februar 1944 nach Theresienstadt, wo er etwa ein halbes Jahr blieb. Am 1. Oktober 1944 ging einer der vielen Züge im Rahmen der sogenannten „Herbstaktion“ mit 1500 Insassen von dort nach Auschwitz. Zwei Tage später wurde er dort ermordet.[127]
Gefangenenkarte für Manfred Fürth aus den Lagern Vught und Westerbork
Arolsen Archiv
Seine Frau Grete starb am 8. September, nur ein Vierteljahr nach der Geburt der Tochter im Lager Westerbork. Die Umstände ihres Todes konnten nicht geklärt werden, außer dass sie am selben Tag eingeäschert wurde. Die Urne mit ihrer Asche soll auf dem jüdischen Friedhof in Diemen beigesetzt worden sein.[128]
Auch Johanna und Theodor Fürth waren, nachdem sie gefasst worden waren, zuletzt in Westerbork eingeliefert worden. Wann das geschah, ist nicht bekannt, aber vermutlich ebenfalls im Frühjahr 1943. Am 4. Mai 1943 wurden beide von dort aus nach Sobibor deportiert und ermordet. Der 7. Mai gilt als ihr Todestag.[129]
Den beiden jüngeren Kindern von Johanna und Theodor Fürth, Max und Elisabeth, gelang es, die Zeit der Verfolgung zu überstehen und ihr Leben zu retten. Max hatte sich am 4. November 1938, also nur wenige Tage vor der Reichspogromnacht, in Offenbach abgemeldet.[130] Allerdings verzögerte sich die Ausreise dann doch noch um einige Tage, denn am 11. November schrieb er noch von seiner Heimatstadt aus an das dortige Bankhaus Hengst, dieses möge doch bitte des noch vorhandene Guthaben von rund 16.000 RM an die Deutsche Golddiskontbank in Berlin überweisen und den entsprechenden Wert in Form von Devisen an die Irving Trust Company in New York senden. Die notwendigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen solle ein Bekannter vorlegen, was aber wohl erst sehr verspätet geschah. Denn erst ein halbes Jahr danach erhielt er von der Bank die Bestätigung, dass das Geld, umgetauscht in Britische Pfund, in Form eines Schecks an seine neue amerikanische Adresse in New York herausgegangen sei. Bei diesem „Tausch“ hatten sich die 16.000 RM auf 66 Pfund reduziert, was einem Reichsmarkwert von 739 RM entsprach.[131]
Offenbar war Max Fürth Hals über Kopf in den Pogromtagen geflohen, weshalb er auch selbst nicht mehr die notwendigen Papiere vorlegen konnte. Zumindest schrieb sein Rechtsanwalt im Rahmen des Entschädigungsverfahrens, dass sein Mandant zunächst nach England fliehen musste, „weil seine Verhaftung unmittelbar bevorstand“, was auch glaubhaft ist, da nahezu alle jüdischen Männer im Erwachsenenalter in den Tagen nach der sogenannten „Kristallnacht“ inhaftiert wurden. Am 26. November 1938 kam er mit seiner Frau Margot Bertha, geborene Cahn, die er am 14. Dezember 1932 in Offenbach geheiratet hatte,[132] von Southampton kommend in New York an, wo es offenbar einen Cousin bzw. eine Cousine gab, der oder die ihnen in der ersten Zeit helfen konnte.[133] Wenigstens ihr Mobiliar hatten sie mit einer Spedition in die USA überführen können.[134] In ihrer neuen Heimat musste sich Max Führt als Fabrikarbeiter verdingen, seine Frau trug als Haushaltshilfe zum gemeinsamen Verdienst bei. Erst nach etwa vier Jahren erzielten sie wieder ein Einkommen, das ihnen eine „ausreichende Lebensgrundlage“ bot.[135] Zu versorgen hatten sie auch Margots Mutter Paula Cahn, die nur kurz nach ihnen, am 2. Dezember 1938 von Hamburg aus in New York angekam und dort dann mit ihnen zusammen lebte. Alle drei fanden nach ihrem Tod ein gemeinsames Grab auf dem Evergreen Cemetary in Tannersville im Staat New York.[136] [Bild]
Wenig weiß man über das Schicksal von Max’ Schwester Elisabeth. Sie ist zwar mehrfach in den Unterlagen des Entschädigungsverfahrens erwähnt, hat aber nie Aussagen zu ihrer Biographie gemacht. Dass es ihr irgendwie gelungen war, nach Argentinien zu flüchten, ergibt sich aus dem 1950 ausgefertigten Erbschein, der für ihren Onkel Leopold im Jahr 1950 ausgestellt worden war. Damals lebte sie als Elisabeth Rosa Stern in Vincente Lapez in der Provinz Buenos Aires und war offensichtlich verheiratet, vielleicht auch schon verwitwet.[137] Wie ihr Ehemann hieß, wann die Ehe geschlossen wurde und auf welchem Weg sie wann nach Südamerika gelangt war, konnte nicht ermittelt werden.
Benjamin und Saly Marxheimer
Außer dem Notar Moritz und den drei Brüdern Leopold, Julius und Emil Marxheimer, die in Wiesbaden die Lederhandlung betrieben, gab es noch zwei weitere Brüder, über die aber nur wenige Informationen vorliegen. Immerhin weiß man von dem jüngsten Benjamin, der am 29. August 1886 geboren wurde,[138] dass er eine höhere Schule besuchte und auch ein Jurastudium in Marburg im Jahr 1913 mit einer Promotion abschloss.[139] Der Beginn des Ersten Weltkriegs verwehrte ihm dann jedoch die berufliche Karriere. Am 23. Oktober 1916 starb er als Landsturm Rekrut bei Thiaumont in der mörderischen Schlacht um Verdun.[140]
Noch weniger weiß man über den am 7. April 1880 geborenen älteren Bruder Saly.[141] Abgesehen von der Geburtsurkunde, konnten keine Dokumente gefunden werden, die über sein weiteres Leben Aufschluss geben würden. Er war am 21. April 1906 mit 26 Jahren verstorben und auf dem Jüdischen Friedhof an der Platter Straße beerdigt worden. Vermutlich starb er aber nicht in seiner Heimatstadt, denn ein entsprechender Eintrag im Wiesbadener Sterberegister ist nicht zu finden. Auffällig ist zudem, dass er erste drei Tage nach seinem Tod zu Grabe getragen wurde, er also vermutlich erst überführt werden musste. Das hatte möglicherweise dann auch zur Folge, dass im Begräbnisbuch der Jüdischen Gemeinde sein Sterbealter fälschlicherweise mit 24 statt mit 26 Jahren eingetragen wurde.[142]
Die Brüder Leopold, Julius und Emil Marxheimer.
Während sich somit der älteste und der jüngste der Söhne von Siegmund und Röschen Marxheimer der Rechtswissenschaft gewidmet hatten, Salys Leben weitgehend im Dunklen bleiben muss, hatten die drei mittleren Brüder, die jeweils im Abstand von zwei Jahren geboren wurden, gemeinsam den väterlichen Betrieb in Wiesbaden übernommen. Genauer gesagt: Seit 1908 waren Leopold und Julius Marxheimer die im Handelsregister zu gleichen Teilen eingetragenen Inhaber der als O.H.G. neu organisierten Firma,[143] während ihr jüngerer Bruder Emil, ausgestattet mit Prokura, formal nur angestellt war und ein festes Gehalt bezog.[144] Diese internen Verhältnisse traten aber nach außen nicht in Erscheinung, da wurde Emil auch als Mitinhaber angesehen. Auch die Zollfahndungsstelle Mainz ging später davon aus, dass Emil Miteigentümer der Firma gewesen sei. In einer Vermögensaufstellung aus dem Jahr 1938 wird sein Anteil mit einem Drittel bemessen. Da für ihn auch keine Pflichtabgaben an die Sozialversicherung geleistet wurden, muss man ihn wohl tatsächlich als faktischen Mitinhaber der Firma ansehen, der auch am Gewinn direkt und nicht nur über ein festes Gehalt beteiligt war.[145]
Man habe in all den Jahren vor der NS-Herrschaft ein gutes Leben führen können, erklärte Julius Marxheimer in den Entschädigungsverfahren und bezifferte sein damaliges Einkommen auf durchschnittlich etwa 10.000 RM im Jahr.[146]
Zumindest waren die wirtschaftlichen Verhältnisse der Brüder so gut, dass der Frankfurter Apotheker Neumeier, immerhin ein Akademiker, zwei seiner vermutlich drei Töchter den Inhabern der Lederhandlung in Wiesbaden zur Frau gab.
Am 20. Januar 1911 wurden in Frankfurt, der Heimatstadt der Braut, Leopold Marxheimer und Hedwig Neumeier getraut. Hedwig war die um 1890 geborene Tochter des ursprünglich aus Heilbronn stammenden Siegmund Neumeier und seiner Frau Emilie, geborene Landsberg, die aus Darmstadt kam.[147]
Zwei Jahre später, am 14. Mai 1913, heiratete Julius die am 24. Oktober 1891 geborene Louise Jacobine Neumeier, die Schwester von Hedwig.[148] In beiden Ehen wurde jeweils eine Tochter geboren. In Leopolds und Hedwigs Ehe kam am 28. März 1912 die Tochter Ruth Henriette zur Welt,[149] am 27. September 1915 wurde dann in der der Geschwister Gertrud Rosy geboren.[150]
Emil Marxheimer, der jüngste der drei Brüder, blieb ledig und kinderlos.
Die beiden Inhaber der Firma waren somit nicht nur wirtschaftlich, sondern durch die Ehen auch familiär sehr eng miteinender verbunden. Vor ihrer Ehe hatten die Brüder noch zusammen am Bismarckring 24 gewohnt. Nach dem Erwerb des späteren Judenhauses, war dort die Familie von Leopold eingezogen, während sein Bruder Julius eine Wohnung im gegenüberliegenden Haus mit der Nummer 71, das der Nassauischen Landesbank gehörte, anmietete – ein Gebäude mit einer noch beeindruckenderen Fassade als die des Hauses mit der Nummer 72.[151] Die geräumige 7-Zimmerwohnung der Familie bestand aus einem Salon, einem Herrenzimmer, einem kleineren Wohnzimmer, einem Speisezimmer, einem großen Schlafzimmer, einem Kinderzimmer, einem Schrankzimmer und einer Küche – eine insgesamt fraglos sehr komfortable Wohnsituation, die auch den gehobenen gesellschaftlichen Status der Familie belegt.[152]
Abgesehen von dem gemeinsamen Unternehmen war auch der jüngere Bruder Emil dadurch eingebunden, dass er zusammen mit Leopold Eigentümer des Hauses Kaiser-Friedrich-Ring 72 war, wenngleich er dort selbst erst im Jahr vor seiner Deportation noch einzog. Der ledig Gebliebene wohnte in den besseren Zeiten im Geschäftshaus der Firma an der Ecke Kleine Langgasse / Wagemannstraße. Das Haus, das ursprünglich dem Mühlenbesitzer Heymann gehörte, war seit 1910 Eigentum der Familie bzw. der Firma Marxheimer. Es gehörte den drei Brüdern jeweils zu einem Drittel.[153] Ursprünglich war das Geschäft in der Marktstr. 36 angesiedelt gewesen, zog dann um die Jahrhundertwende für kurze Zeit in das Nachbarhaus mit der Nummer 34.[154] 1903 wurde dann das Eckhaus Kleine Langgasse 1 im alten Stadtkern, dem sogenannten „Schiffchen“, Sitz der Firma ‚S. Marxheimer – Lederfabrikationen’.
Obwohl das Geschäft damit ein wenig in eine Seitengasse abgedrängt worden war, muss die Firma auch weiterhin recht erfolgreich gewesen sein. Steuerunterlagen für die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts lagen allerdings schon in den Entschädigungsverfahren nicht mehr vor, sodass man diesbezüglich primär auf den Besitzstand rekurrieren muss, der mit Beginn der NS-Herrschaft immer schärfer kontrolliert und deshalb recht genau erfasst wurde.
Der erste der Brüder, gegen den die Zollfahndungsstelle Mainz am 1. September 1938 bei der Frankfurter Devisenstelle ein Antrag auf eine Vermögenssicherung stellte, war Emil Marxheimer. Wie üblich lautete die Begründung, dass die Gefahr bestünde, der Eigentümer könne seinen Besitz, der im Folgenden aufgeführt war, illegal ins Ausland schaffen. Neben dem Anteil am Haus Kaiser-Friedrich-Ring und dem Firmenanteil, zusammen auf gut 36.000 RM veranschlagt, besaß er noch weitere 24.000 RM hauptsächlich in Form von Wertpapieren, allerdings auch eine Hypothekenschuld von knapp 9.000 RM, insgesamt also ein Vermögen von etwas mehr als 50.000 RM.[155] Noch Anfang Oktober folgte die offizielle Sicherungsanordnung durch die Devisenstelle, die dem Eigentümer nur noch die Erträgnisse der Papiere zur freien Verfügung überließ.[156]
Im Oktober 1938 wurde dann das gleiche Prozedere auch an Leopold Marxheimer vollzogen. Sein Vermögen von rund 75.000 RM bestand zu etwa gleichen Teilen aus dem Geschäftsvermögen und dem Anteil am Haus Kaiser-Friedrich-Ring auf der einen und Wertpapieren und Spareinlagen auf der anderen Seite.[157] Die entsprechende Verfügung erging am 18. Januar des folgenden Jahres. Auch er sollte nur über die Erträgnisse der Wertpapiere noch frei verfügen können.[158]
Im Januar 1939 war auf Auforderung der Mainzer Zollfahndung eine ähnlich lautende Anordnung auch gegen Julius Marxheimer ergangen. Neben dem Firmenanteil und einem Areal Bauland in der Mainzer Straße, besaß er Wertpapiere von etwa 20.000 RM. In der Sicherungsanordnung war in seinem Fall schon ein fester monatlicher Freibetrag von 400 RM angegeben.[159]
Als diese Anordnungen ergingen, hatte die traditionsreiche Firma schon sehr schwere Jahre hinter sich gebracht und war inzwischen auch gezwungener Maßen aufgelöst worden. 1935 hatte der Bruder Moritz Marxheimer der Firma noch ein zinsloses Darlehen über 17.000 RM zur Verfügung gestellt,[160] das er nach der Liquidation als uneinbringlich abschreiben musste. Wenn auch keine Steuerunterlagen des Finanzamts mehr vorlagen, so lieferten in den Entschädigungsverfahren zumindest die Unterlagen der städtischen Gewerbesteuern Anhaltspunkte über die Entwicklung des Unternehmens in den Jahren 1933 bis 1938. Nachdem der Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise überwunden war, konnte 1933 ein Ertrag von 4.500 RM erwirtschaftet werden. Bis 1935 ging es sogar weiter bergauf, d.h. der Ertrag verdreifachte sich innerhalb dieses Zeitraums auf mehr als 13.000 RM. Erst ab 1936 lässt sich eine negative Tendenz erkennen, zunächst fiel er auf 10.500 RM, dann auf 9.700 RM und im letzten Geschäftsjahr betrug er noch 8.500 RM. Während diese Zahlen den Gewerbeertrag widerspiegeln, zeigen die des Gewerbekapitals eine deutlich dramatischere Entwicklung. Dieses verminderte sich im gegebenen Zeitraum von mehr als 100.000 RM auf knapp 25.000 RM. Die Ursache dafür kann nur vermutet werden. Zuletzt trug sicher der Verkauf des Hauses zu diesem Kapitalschwund bei. In den Jahren zuvor könnte auch der Verkauf der bestehenden Lagerbestände dazu beigetragen haben. Vermutlich war man in all diesen Jahren beim Einkauf boykottiert worden oder hatte vielleicht, angesichts der Lage, sogar selbst auf Neubestellungen verzichtet. [161] In jedem Fall ist dieser Verlust an Substanz ein eindeutiges Indiz für den Schaden, der dem Unternehmen in diesen Jahren trotz der noch relativ guten Erträge widerfahren war. Betrachtet man die Ertragszahlen nur isoliert, dann scheint der Einbruch unter den Nazis und die Wirkungen der Boykottkampagne gerade zu Beginn nicht allzu groß gewesen zu sein.[162] Aber selbst das ist nur schwer zu beurteilen, wenn man die Zahlen der zwanziger Jahre nicht kennt und als Ausgangsbasis nur die schlechten Krisenjahre vor Augen hat. Julius Marxheimer, der Überlebende der Brüder, gab im Entschädigungsverfahren an, dass sein Einkommen sich in den dreißiger gegenüber den zwanziger Jahren im Durchschnitt halbiert habe.[163]
Unabhängig davon, dass ein Weiterbetrieb der Firma sich immer weniger rentierte, gab es ja auf Seiten der NS-Regierung auch den im November 1938 als Verordnung verabschiedeten Beschluss, die Juden gänzlich aus dem Wirtschaftsleben zu entfernen.[164] Es blieb den Brüdern daher gar keine andere Wahl, als sich von ihrer Firma zu trennen, sie zu liquidieren. Am 31. Dezember 1938 wurde der Betrieb eingestellt und am 9. Februar 1939 im Handelsregister gelöscht.[165]
Anschließend wurde dann auch das mit seinen Geschäftsräumen nutzlos gewordene Haus verkauft. Am 16. März 1939 kam ein Kaufvertrag zwischen den Brüdern und den zwei miteinander verwandten Ehepaaren Hahn und Zitzmann zustande, laut dem diese das Geschäftshaus in der Kleinen Langgasse 1 für insgesamt 24.200 RM erwarben. Der Preis lag zehn Prozent über der letzten Taxierung aus dem Jahr 1938. Dieser Zuschlag hatte eigentlich an die Stadt Wiesbaden abgetreten werden sollen. Auf ihr Betreiben, so die Darstellung der Käufer, konnte dann doch der gesamte Betrag den Brüdern Marxheimer gegeben werden. Wie von Seiten der Familie Hahn im späteren Rückerstattungsverfahren ebenfalls betont wurde, hatte man eigentlich gar keine Absicht gehabt, die Immobilie zu erwerben und sich erst nach einem dritten Besuch von Julius Marxheimer überhaupt zu einer Besichtigung des Hauses breitschlagen lassen. Erst auf die dringende Bitte der Brüder habe man das Haus, dessen Lage ihnen eigentlich nicht zugesagt habe, dann doch gekauft. Emil Hahn, eigentlich ein Konkurrent der Marxheimers, betrieb bisher in der Neugasse 2 ebenfalls eine Lederhandlung. Man habe – so die Selbstdarstellung – den früheren jüdischen Konkurrenten mit dem Kauf also nur einen Gefallen tun wollen. Am 16. September 1939 wurde das Geschäftshaus im Grundbuch der Stadt Wiesbaden auf den Namen der Käufer Hahn und Zitzmann eingetragen.[166] Noch immer – 2022 – betreibt die Familie Hahn, in Wiesbaden bekannt als ‚Leder-Hahn’, dort ihr Geschäft.
Mit diesem, zwar vertraglich vereinbarten, letztlich aber gewaltsamen Ende einer jahrhundertealten Familientradition, waren die Brüder auch ihrer bisherigen Einkommensquelle beraubt worden, so dürftig sie zuletzt auch gesprudelt hatte. Es blieb ihnen nur die Möglichkeit, von ihren Ersparnissen und – soweit vorhanden – von den Erträgnissen ihrer Wertpapiere und ihres Immobilienbesitzes zu leben. Aus letzterem konnten Leopold und Emil Marxheimer zuletzt keinen Gewinn mehr erzielen und schon in den frühen 30er Jahren belief sich dieser auf nur wenige hundert Reichsmark.[167] Und auch ein großer Teil ihrer Wertpapiere ging in diesen Tagen verloren, denn selbstverständlich wurden auch sie alle drei nach der Reichspogromnacht zur „Sühneleistung“ herangezogen. Berechnungen des Finanzamt Wiesbadens liegen nicht mehr vor, aber aus Abbuchungen der Konten bzw. Übertragungen aus den Depots lassen sich annährende Werte ermitteln, die als Sondersteuer im Laufe des Jahres 1939 gezahlt wurden. Julius und Emil Marxheimer hatten vermutlich um die 10.000RM aufzubringhen,[168] bei Leopold Marxheimer hat die Entschädigungsbehörde sogar eine geleistete Abgabe von 11.000 RM anerkannt.[169]
Vier Wochen nach Erlass der Sicherungsanordnung gegen Emil Marxheimer verlangte das Finanzamt Wiesbaden im Oktober 1938 von ihm eine Sicherung für die im Falle einer Ausreise fälligen Reichsfluchtsteuer in Höhe von 12.400 RM.[170] Auch wenn diese vom Fiskus tatsächlich erst bei der tatsächlichen Emigration eingefordert worden wäre, stand der Betrag seinem eigentlichen Besitzer ab sofort nicht mehr zur Verfügung. Letztlich war das aber auch gleichgültig, weil das Geld in jedem Fall an den Staat gefallen wäre, entweder bei der Ausreise oder aber beim Vermögensverfall nach der Deportation. Julius Marxheimer hatte man im Dezember 1938 ebenfalls eine solche Reichsfluchtsteuersicherung in der Höhe von 15.500 RM auferlegt. Nach Zahlung der 5. Rate der Judenvermögensabgabe, war diese Forderung dann aber aufgrund der nun notwendigen Neuberechnung des Vermögens auf 4.700 RM reduziert worden.[171] Auch bei Leopold Marxheimer wurde eine Sicherung der Reichsfluchtsteuer in Höhe von etwa 10.000 RM im Entschädigungsverfahren angenommen, entschädigt wurde der Betrag aber aus den oben genannten Gründen nicht. Es sei damals keine Zahlung erfolgt. Allein daran sieht man, wie chaotisch und widersprüchlich die Verfahren um angemessene Entschädigungen in den Nachkriegsjahren abliefen.
Neben diesen Zwangsabgaben mussten auch noch Beträge an die Reichsvereinigung der Juden entrichtet werden, die dann ebenfalls in eine der Kassen des NS-Staats flossen. Bis zum 31. März 1939 hatten auch Marxheimers ihren Schmuck und Haushaltsgeräte aus Edelmetallen bei den staatlich eingerichteten Ankaufstellen abzugeben. Julius Marxheimer gab in seinem Entschädigungsantrag an, durch diesen Zwangsverkauf einen Verlust von etwa 8.000 RM gemacht zu haben.[172]
Die Reichspogromnacht hatte aber nicht nur finanzielle Konsequenzen. Während die beiden anderen Brüder offenbar verschont blieben, gehörte Emil Marxheimer zu denjenigen, die im Gefolge der Ereignisse verhaftet und in Buchenwald eingeliefert wurden. Am 24. November entließ man ihn und weitere 104 Häftlingen wieder aus Buchenwald in eine mehr als ungewisse Zukunft.[173]
Der Verkauf des Geschäftshauses in der Kleinen Langgasse, hatte auch zur Folge, dass Emil Marxheimer, der bisher dort auch gewohnt hatte, sich eine neue Bleibe suchen musste. Er fand eine solche in der Nähe der Brüder, nämlich im Haus Kaiser-Friedrich-Ring 47 im 3. Stock, einem Mietshaus, das einem Münchner Kaufmann gehörte.
Bald darauf, im März 1939, musste aber die Familie seines Bruders Julius die große und schöne Wohnung am Ring verlassen, in der sie seit vielen Jahren gewohnt hatte. Alle jüdischen Mieter des Hauses Kaiser-Friedrich-Ring 72 erhielten unmittelbar nach der Verabschiedung des neuen Mietgesetzes, das diesen nahezu jeden Schutz entzog, von dem Eigentümer, der Nassauischen Landesbank, ein Schreiben mit der fristlosen Kündigung. Die dreiköpfige Familie mietete daraufhin eine Wohnung in der Kapellenstr. 26, im Haus der jüdischen Witwe Franziska Rosenthal,[174] die sicher prinzipiell groß genug und auch schön gelegen war, aber es nicht ermöglichte, dort auch das gesamte bisherige Mobiliar unterzubringen. Ein großer Teil der Einrichtungsgegenstände musste kurzfristig verschleudert werden, darunter das komplette Speisezimmer, Teile des Schlafzimmers und ein wertvoller Bechstein-Flügel. Andere Sachen wurden einfach zurückgelassen, wie das Kinderzimmer von Ruth, die, inzwischen 23 Jahre alt, sich in einem der Zimmer in der neuen Wohnung ein eigenes kleines Wohn-Schlafzimmer einrichtete.[175] Das Konto von Julius Marxheimer war damals gesperrt, sodass er weder auf den im eigentlich zustehenden Freibetrag von 400 RM zugreifen konnte, noch die Rechnung für den Umzug in Höhe von ebenfalls 400 RM bezahlen konnte. Für beide Beträge musste er über die Deutsche Bank zunächst bei der Devisenstelle um Freigabe der entsprechenden Mittel betteln.[176]
Nur Leopold Marxheimer konnte damals mit seiner Familie in dem ihm gehörenden Haus bleiben.
1939 war das Jahr, in dem auch viele derjenigen, die bisher gehofft hatten, der Nazi-Spuk werde schon vorübergehen, die tatsächliche Gefahr für Leib und Leben erkannten und auch unter größten materiellen Verlusten zur Ausreise bereit waren. Aber die Möglichkeiten wurden auch für diejenigen, die über die notwendigen finanziellen Mittel verfügten, immer geringer, weil auch die Bereitschaft des Auslandes zur Aufnahme der Bedrohten immer weiter abnahm. In dieser Situation wollte man zumindest die Kinder in Sicherheit wissen, so auch bei Julius und Luise Marxheimer.
Ihre Tochter Ruth hatte als Schülerin das Lyzeum I am Schlossplatz in Wiesbaden besucht. Nach der Machtübernahme muss ihr der Unterricht zunehmend zur Qual geworden sein, sowohl durch den plötzlichen Verhaltensumschwung ihrer Mitschülerinnen, aber auch durch die Behandlung seitens mancher Lehrer. Aber es gab auch andere, die das seelische Leid ihrer jüdischen Schüler und Schülerinnen zur Kenntnis nahmen. In einem Brief im Rahmen des Entschädigungsverfahrens gab ein früherer Lehrer von Ruth 1965 Auskunft über seine ehemalige Schülerin:
„Fräulein Marxheimer war vor mehr als 30 Jahren – ich selbst bin inzwischen 84 Jahre alt geworden – meine Schülerin. Vor den Ereignissen des Jahres 1933 war sie ein frohes, gesundes Mädel, in ihrer Klasse sehr beliebt, sonst wäre sie nicht Vertrauensschülerin geworden. Nach der sog. „Machtergreifung“ u. ihren Folgen auf das ganze deutsche Leben wurde sie mit den Dingen nicht mehr fertig u. litt seelisch darunter. Sehr oft suchte sie schriftlich oder heimlich mündlichen Rat u. Hilfe bei mir in ihren Nöten. Sie werden verstehen, daß es für mich nicht immer leicht war, sie zu trösten oder ihr Hoffnung zu geben. Sie konnte einfach nicht verstehen, daß sie keine Deutsche mehr sein sollte, obwohl sie in Deutschland geboren sei u. es so sehr liebte.“[177]
Der Schulleiter riet damals den Eltern, ihre Tochter von der Schule zu nehmen, aber sie blieb und legte 1935 dort ihr Abitur ab.[178] Eigentlich hatte sie geplant, an einer deutschen Universität das Studium der Philologie aufzunehmen. Dieser Wunsch erübrigte sich, weil bereits seit 1933 mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Hochschulen und Schulen“ alle Juden aus den Universitäten herausgedrängt wurden und ab 1934 ein Abitur nicht mehr als generelle Zugangsberechtigung für eine Hochschule galt.
Um sich auf eine Ausreise nach Palästina vorzubereiten, ging sie für ein Jahr nach England an eine landwirtschaftliche Schule, an die eine Hühnerfarm angeschlossen war. Während dieses Aufenthalts traten erstmals so starke manifeste psychische Störungen auf, dass die Eltern sie zurückholen und in einem Schweizer Sanatorium unterbringen mussten. Nachdem sie sich dort nach einer Weile gut erholt hatte, nahm sie an der Universität in Genf zunächst das von ihr gewünschte Philologiestudium auf. Im Hinblick auf mögliche Zukunftsperspektiven wechselte sie später in den naturwissenschaftlichen Fachbereich. Das alles bedeutete aber auch erhebliche finanzielle Belastungen für die Eltern in Wiesbaden, da sowohl hohe Studiengebühren anfielen, als auch der Lebensunterhalt der Tochter monatlich rund 250 Schweizer Franken verschlang.[179].
Ihre Prüfungen hatte sie alle bestanden, nur die Abschlussprüfung konnte sie nicht mehr absolvieren, da die Eltern nicht mehr in der Lage waren, sie finanziell länger zu unterstützen. In dieser Situation entschloss sie sich mit dem Einverständnis ihrer Eltern, ein neues Leben in den USA zu beginnen. Im Januar 1939 konnte sie von Genf aus über Cherbourg eine Schiffspassage nach New York buchen, die ihr der Vater noch zahlen konnte.[180] Den New Yorker Hafen erreichte sie am 3. Februar 1939 mit 30 Dollar in der Tasche.[181]
Die amerikanische Staatsbürgerschaft hatte sie schon bald nach ihrer Ankunft im Juni 1939 beantragt. 1944 nahm sie den für Amerikaner leichter auszusprechenden Namen March, statt Marxheimer an.[182]
Da sie in den USA zunächst völlig mittellos war, nahm sie unmittelbar nach ihrer Ankunft eine Stelle als Haushaltshilfe in einer Arztfamilie an. 1940 konnte sie einen einjährigen Laborantinnenkurs absolvieren, den sie durch eine zusätzliche berufliche Tätigkeit aber selbst finanzieren musste. Nach einem neuerlichen Krankheitsrückfall und einem längeren Klinikaufenthalt begann sie eine Ausbildung als Bibliothekarin und erhielt eine Anstellung an der Universitätsbibliothek in Princeton. In den folgenden Jahren wechselte sie immer wieder zwischen ihren beiden erlernten Berufen und nahm Stellen in den unterschiedlichsten Städten der USA an. Immer wieder litt sie unter ihrer psychischen Erkrankung, die sie zu längeren stationären Aufenthalten zwang und eine ständige therapeutische Begleitung notwendig machte. Eine Anerkennung des Leidens als Folge ihrer Verfolgungsgeschichte wurde von den deutschen Entschädigungsbehörden abgelehnt.[183]
Der Hoffnung, auf Grund ihres früheren Studiums in der Schweiz an einer amerikanischen Universität aufgenommen zu werden, scheiterte, weil man dort die bisherigen Prüfungen aus der Schweiz nicht anerkannte. Noch 1955 forderte man von ihr den Besuch von weiteren zwei Jahren an einer Studienanstalt, bevor man sie zu einer Prüfung für ein „undergraduate degree“ zulassen könne. Ob Ruth diese Strapaze angesichts ihrer Krankheit noch auf sich genommen hatte, ist nicht bekannt. Als sie 1955 ihren Entschädigungsantrag stellte, gab sie an, von Beruf Laborantin zu sein.
Ruth March verstarb am 29. Januar 1997 in Baltimore.[184]
Von den Mitgliedern der Eigentümerfamilien der Wiesbadener Lederhandlung war Ruth die einzige, der vor dem Beginn der Deportationen die Flucht gelang. Dabei hätte es auch für Leopold Marxheimer und seine Tochter Gertrud vielleicht eine Rettung geben können. Die beiden waren am 21. August 1937 von Hamburg aus mit der berühmten „St. Louis“ nach New York aufgebrochen, um in Pennsylvania einen Freund namens Arthur Blass zu besuchen. Ihr Aufenthalt sollte drei Monate dauern.[185] Man wird davon ausgehen können, dass die beiden damals nicht nur einen freundschaftlichen Besuch machten, sondern angesichts der verschärften Maßnahmen nach der Olympiade 1936 auch über mögliche Perspektiven in den USA sprachen. Da aber die Ehefrau bzw. Mutter zurückgeblieben war, vielleicht auch quasi als Pfand zurückbleiben musste, konnte der NS-Staat relativ sicher sein, dass Vater und Tochter wieder zurückkehren würden. Nur wenige Monate nach der Rückkehr der beiden starb Hedwig Marxheimer am 29. Mai 1938 in Wiesbaden mit nur 48 Jahren.[186]. Auch besaß man damals noch das Haus, das man vermutlich noch als einen sicheren Schutzraum gegen die Gefahren von Außen und als Kapitalreserve angesehen hatte. Das aufzugeben fiel ganz sicher nicht leicht. So blieb man in Deutschland und harrte aus, hoffend, dass es nicht noch schlimmer kommen werde.
Am 10. August 1939 verließ allerdings Gertrud Wiesbaden und blieb laut einem Eintrag auf der Gestapokarteikarte ihres Vaters für ein halbes Jahr in Berlin. Dort wohnte sie im Bezirk Grunewald in der Metzenheimstr. 36, wo sie als Haushaltshilfe angestellt war. Ob diese Anstellung damals der alleinige Grund war, nach Berlin zu gehen, erscheint eher unwahrscheinlich. Aber welche weiteren Zwecke sie mit diesem Aufenthalt in der Reichshauptstadt verbunden hatte, muss im Dunklen bleiben. Am 4. Februar des folgenden Jahres kehrte sie wieder zurück in die elterliche Wohnung am Ring.
Im November 1940 musste Leopold Marxheimer gegenüber der Devisenstelle erneut seine finanziellen Verhältnisse offen legen. Einem Aktivvermögen von 43.000 standen Schulden von rund 16.000 RM entgegen. Er selbst und seine Tochter erwarteten ein Jahreseinkommen von 550 RM. Ihre monatlichen Ausgaben beliefen sich auf 310 RM. Entsprechend wurde der monatliche Freibetrag diesem Wert angepasst.[187]
Am 19. Mai 1941 zog dann auch Emil Marxheimer in das Haus Kaiser-Friedrich-Ring 72, das ihm zur Hälfte gehörte. Der Zeitpunkt spricht eigentlich dafür, dass es sich um einen erzwungenen Umzug gehandelt haben könnte, zumal das Haus am Ring mit der Nummer 47, in dem er bisher gewohnt hatte, nicht in jüdischem Besitz war und einer Kündigung des jüdischen Mieters somit nichts im Wege gestanden hätte. Andererseits liegt es auch nahe, dass die beiden nun allein stehenden Brüder, allein um Kosten zu sparen, damals zusammenzogen. Seit Februar 1940 stand Emil Marxheimer, nachdem er ein Sicherungskonto eingerichtet hatte, ein fester Freibetrag von 300 RM zur Verfügung.[188] Als er dann im Herbst darum bat Papiere im Wert von 1.000 RM verkaufen zu dürfen, um so seine Lebenshaltungskosten zu finanzieren, wurde im das von der Devisenstelle verweigert. Sie verlangte zunächst eine aktuelle Aufstellung seines Vermögens, seines Einkommens und seiner Ausgaben.[189] Eine solche Vermögenserklärung hatte die Stelle schon eigentlich im Frühjahr eingefordert. Er war damals dieser Aufforderung nicht nachgekommen, weil er, wie er schrieb, wegen seiner Erkrankung dazu derzeit nicht in der Lage sei. Wie schwer und woran er erkrankt war, ist nicht bekannt. Aber die Krankheit war offenbar auch der Grund dafür, dass er eine ursprünglich geplante Auswanderung aus Deutschland nicht mehr weiter verfolgte. Es liegen in den Akten zumindest keine weiteren Belege für dieses Vorhaben vor.[190]
Die Erkrankung könnte zudem ein weiterer Grund zum Zusammenziehen der Brüder gewesen sein. Die Lebensverhältnisse der Jüdinnen und Juden hatten sich im Laufe der Jahre 1940 / 1941 so sehr verschlechtert, dass es kaum mehr des unmittelbaren bürokratischen Drucks bedurfte, um ein Konzentration der jüdischen Bevölkerung in wenigen Häusern herbeizuführen. Man tat das oft notgedrungen „freiwillig“.
Emil Marxheimer kam im Herbst der Aufforderung der Devisenstelle, eine aktuelle Vermögenserklärung abzugeben, umgehend nach und reichte am 21. November 1940 das entsprechende Formular ein. Demnach besaß er damals nach Abzug von Schulden noch rund 25.000 RM, wovon aber 18.500 RM im Hausanteil Kaiser-Friedrich-Ring 72 gebunden waren. Sein Jahreseinkommen, das ausschließlich aus den noch vorhandenen Wertpapieren fließen konnte, schätzte er für das laufende Jahr auf gerade mal noch 380 RM. Für seine Wohnung hatte er warm 115 RM monatlich zu zahlen, hinzu kam eine Haushaltshilfe, die 40 RM im Monat erhielt. Bei einer gemeinsamen Haushaltsführung mit seinem Bruder und dessen Tochter ließen sich gewiss diverse Einsparmöglichkeiten finden.
Wie sich das Leben von Vater, Tochter und Bruder in den folgenden Monaten in dem inzwischen zum Judenhaus erklärten Haus gestaltete, ist nicht bekannt. Die überlieferten Akten enthalten darüber keine Informationen. Aber offensichtlich war zunächst niemand anderes in die Wohnung eingewiesen worden. Das änderte sich nach dem 10. Juni 1942. An diesem Tag wurde die inzwischen dreißigjährige Gertrud im Rahmen der ersten Massendeportation aus Wiesbaden „in den Osten“ verbracht. Der Transport „Da 18“, der endgültig in Frankfurt zusammengestellt wurde, nahm auch mindestens 370 Wiesbadener Jüdinnen und Juden mit in den Tod. Zählt man die Menschen aus Nordenstadt hinzu, dann waren es sogar mehr als 380. Den Tag, an dem sie in den Gaskammern von Sobibor, in die die giftigen Abgase aus alten Motoren hineinströmten, in einer viertel bis zu einer halben Stunde dauernden, grauenhaften Tortur ermordet wurde, kennt man nicht, aber es muss bald nach Ankunft des Zuges geschehen sein.[191] In Ermangelung genauerer Daten wurde als ihr Todestag der 8. Mai 1945, der Tag der deutschen Kapitulation, festgesetzt.
Unfreiwillig hatte sie Platz gemacht für Victor Weiss, den einzigen jüdischen Bewohner des Judenhauses, der nicht aus der Familie Marxheimer stammte. Mit ihm verbrachten Leopold und Emil Marxheimer gemeinsam die letzten Wochen zwischen Juni und 1. September 1942, an dem dann der nächste Transport nach Osten rollte. Allerdings muss es in den letzten Tagen noch einmal eine Veränderung gegeben haben, denn Emil Marxheimer wurde nicht aus dem Haus Kaiser-Friedrich-Ring, sondern aus der Geisbergstr. 24 geholt. Das Haus, ein ehemaliges Jüdisches Schwesternwohnheim, das zuletzt auch als Altersheim genutzt wurde, fungierte als eine vorletzte Sammelstelle vor der Deportation, wie sich aus der großen Zahl von etwa 50 Personen ergibt, deren Deportationsadresse mit Geisbergstr. 24 angegeben ist. Es handelte sich fast ausschließlich um Menschen über 70 Jahre. Emil Marxheimer gehörte mit 65 Jahren zu den Jüngsten. Aber vielleicht war seine Krankheit der Grund, weshalb man ihn zuvor dorthin beordert hatte. Vermutlich wurden die alten und behinderten Menschen dort im Laufe der Woche oder Wochen vor der Deportation dort gesammelt, um sie am 29. August per Lastwagen in die eigentliche Sammelstelle in der Friedrichstr. 33, die ehemalige Synagoge, zu schaffen.
Man fragt sich heute, ob es sich um Zynismus oder um die Defizite eines diktatorischen Verwaltungsstaates handelt, wenn Leopold Marxheimer am 2. August und Emil Marxheimer sogar noch am 24. August 1942 eine erneute Aufforderung zur Abgabe einer Vermögenserklärung erhielten. Das an Emil Marxheimer gerichtete Schreiben, war noch an seine bisherige Adresse Kaiser-Friedrich-Ring gerichtet. Ob er am 24. dort noch wohnte, ist nicht zu sagen. Beide Brüder gaben eine solche Erklärung nicht mehr ab. Emil Marxheimer schrieb mit zittriger Hand – ob aus Wut oder wegen seiner Erkrankung, ist nicht zu sagen: „Da in kurzer Zeit eine Änderung in meiner Lebenshaltung erfolgt, kann ich erst später auf Ihr Ersuchen zurückkommen.“[192] Er benötigte kein Geld mehr für seine Lebenshaltung, bzw. er sollte auch bald kein Geld mehr besitzen. Bereits am 27. August, zwei Tage bevor die Menschen in der Synagoge zusammenkamen, hatte der deutsche Staat das gesamte noch vorhandene Vermögen von Emil Marxheimer und aller anderen dort versammelten Jüdinnen und Juden eingezogen.[193]
Eineinhalb Jahre überlebte Emil Marxheimer das Ghetto Theresienstadt. Persönliche Information über diese recht lange Leidenszeit liegen nicht vor. Am 13. April 1944 wurde er erlöst. Unter welchen Umständen er verstarb, sprich ermordet wurde, ist nicht bekannt.[194]
An Julius Marxheimer hatte man sogar die Aufforderung, eine Aufstellung über seine Lebenshaltungskosten zu übermitteln, noch am 2. September, dem Tag, an dem der Zug sein Ziel Theresienstadt erreichte, geschickt.[195] Die letzte diesbezügliche Abfrage stammte vom Februar 1940. Damals besaß er noch 18.000 RM, zumeist in Form von Wertapieren, aber auch das Bauland war damals noch in seiner Hand. 400 RM gab er als Lebenshaltungskosten an, 150 RM davon allein als Mietanteil mit allen Nebenkosten.[196]. Was von den finanziellen Mitteln Ende August 1942 noch übrig war, ist nicht bekannt. Die 11. und 13. Verfügung zum Reichsbürgergesetz, durch die den Juden beim Grenzübertritt automatisch das Bürgerrecht entzogen wurde, lieferte dem NS-Staat die rechtliche Grundlage, um sich auch dieses Restvermögens „legal“ zu bemächtigen.
Es ist kaum zu vermuten, dass in der kurzen Zeit zwischen der am 22. August veröffentlichten Aufforderung an die noch in Wiesbaden lebenden Jüdinnen und Juden, sich für die „Wohnsitzverlagerung“ in den Osten bereitzuhalten und der Abfahrt des Zuges Zeit blieb, das Mobiliar noch zu einem angemessenen Preis zu verkaufen, was ja letztlich ohnehin gleichgültig gewesen wäre, da auch solche Einnahmen vom Staat konfisziert worden wären. Die zum Teil wertvollen Sachen blieben einfach herrenlos zurück und fanden unter den Frauen und Männern der Herrenrasse neue Herren bzw. Frauen. Insgesamt bezifferte Julius Marxheimer den Wert seiner zurückgelassenen Möbel auf fast 12.000 RM.[197] Auch Ruth verlor auf diesem Weg ihre Bibliothek mit etwa 500 Bänden, die nach ihrer Ausreise im Haus in der Kapellenstraße bei ihren Eltern eingelagert worden waren.
Als auch Julius und Luise Marxheimer im Nieselregen des 1. September an der Viehladestation des Bahnhofs am frühen Morgen den Zug nach Theresienstadt bestiegen, werden die Gedanken aber weniger in die Vergangenheit als in die Zukunft gerichtet gewesen sein, unsicher und verängstigt, was sie in Theresienstadt – nur wenig hatte man bisher über das sogenannte „Altersghetto“ gehört – erwarten würde. Zumindest von Luise Marxheimer weiss man, dass sie zu harter Arbeit herangezogen wurde. In den Flugzeugwerken von Messerschmidt und Heinke musste sie in der Glimmerfabrik schuften, eine gefährliche Arbeit, weil sich der Metallstaub in den Lungen festsetzt.
Wie lange sie dort arbeitete und ob auch ihr Mann dort zur Zwangsarbeit eingeteilt war, ist nicht bekannt. Aber es gelang beiden die Zeit zu überleben, sogar befreit zu werden, bevor die deutschen Truppen endgültig geschlagen waren. Das, was Wachsmann als „Himmlers Endspiel“ bezeichnete,[198] bedeutete für viele KZ-Gefangene die Erlösung von einem seit Jahren ertragenen unmenschlichen Leid. In der Hoffnung, die Westalliierten zu einem gemeinsamen Kampf gegen den „Bolschewismus“ bewegen und damit zugleich ein nationalsozialistischen Deutschland und noch mehr seine eigene Haut retten zu können, versuchte Himmler in den ersten Monaten des Jahres 1945 Kontakte mit den Alliierten und verschiedenen Organisationen, wie dem Roten Kreuz, herzustellen. Als Vorleistung bot er die Befreiung von KZ-Häftlingen an. Viele gelangten damals nach Skandinavien, aber einige Transporte gingen auch in die Schweiz. Nach Absprache mit dem ehemaligen Bundesratsvorsitzenden Musy durften am 5. Januar 1945 mit dem Transport ‚78-EW’ 1200 Häftlinge Theresienstadt verlassen. Luise Marxheimer gab in einer eidesstattlichen Erklärung Auskunft über diese entscheidenden Stunden ihrer Befreiung:
„Eines Tages, im Februar 1945, wurden wir um 12 Uhr nachts aufgerufen und vom Hausaeltesten gefragt, wer nach der Schweiz wollte. Gegebenenfalls sollten wir uns sogleich im sogenannten „Rathaus“ einfinden. Dort fragte man uns, ob wir Verwandte im Ausland haetten, und auf unsere Bejahung wurde uns gesagt, dass wir uns um 7 Uhr morgens bei dem Lagerkommandanten melden muessten. Dieser fragte uns nach Namen, Alter und Herkunft und wollte wissen, in welchem Lande unsere Verwandten wohnten. Wir antworteten, dass wir eine Tochter in Amerika haetten.
Um 11 Uhr abends kam der Befehl, dass wir uns abfahrtbereit in der Theresienstadter Kaserne einzufinden haetten, von wo aus um 5 Uhr frueh am naechsten Morgen die Abfahrt nach der Schweiz erfolgte, wo wir zwei Tage spaeter ankamen. Der Transport bestand aus 1200 Personen. Soviel mir bekannt ist, wurde er aufgrund von Verhandlungen mit dem SS-Fuehrer Himmler und einer juedischen Organisation vorgenommen und finanziert.“[199]
Julius und Luise Marxheimer waren dem Tod entkommen, aber nicht frei, denn in der Schweiz wartete ein Internierungslager auf sie, in dem sie die folgenden Monate verbringen mussten.[200]
Im Oktober 1946 erhielten sie von der amerikanischen Botschaft die Papiere, die ihnen die Einreise in die USA erlaubten. Ende Januar des folgenden Jahres betraten sie dann nach einer Flugreise von Basel über Amsterdam nach New York amerikanischen Boden.[201] Leider hatte dieser Weg in die Freiheit einen sehr bitteren Nachgeschmack, da die deutschen Entschädigungsbehörden die Übernahme der Kosten für die Ausreise zunächst verweigerten. Das damals noch gültige Entschädigungsgesetz war tatsächlich so ausgestaltet, dass – abgesehen von denen, die bereits zuvor das rettende Ausland erreicht hatten – davon nur diejenigen profitieren konnten, die am 1. Januar 1947 entweder in einem Lager für ‚Displaced Persons’ oder in Deutschland bzw. in dem jeweils zuständigen Bundesland gemeldet waren. Wer, wie Marxheimers, in der Schweiz lebte, sollte keine Ansprüche für die Fortführung der Emigration mehr geltend machen dürfen. Erst diverse Klagen und eine gesetzliche Änderung führten dazu, dass auch Julius und Luise Marxheimer die Kosten erstattet wurden. Allerdings waren sie selbst zu diesem Zeitpunkt – 1969 ! – schon längst verstorben und ihre Tochter Ruth erhielt nach langem Kampf einen Betrag von etwas mehr als 600 Dollar.[202]
Bei ihrer Ankunft in den USA war Julius über 70 Jahre alt und beide, besonders aber seine Frau, waren von der Zwangsarbeit in Theresienstadt gezeichnet. Ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen, war ihnen nicht mehr möglich. Umso dringender waren sie auf die Entschädigungen für den Entzug der Freiheit und den Verlust ihres Vermögens angewiesen. Und diese Verfahren zogen sich über Jahre hin, was nicht nur daran lag, dass den Opfern immer wieder die Beweislast für Schäden auferlegt wurde, die zu erbringen ihnen kaum möglich war. Es waren auch unglaublich viele Verfahren, die die Behörden auch bei einem mitunter vorhandenen guten Willen einfach überforderten. Immerhin erhielt das Ehepaar Marxheimer wenigstens vorab etwas Geld aus einem Härtefond. Allerdings schrieb man da schon das Jahr 1952 und Julius Marxheimer war inzwischen 77 Jahre alt geworden.[203] Fünf Jahre später, am 8. Dezember 1957 starb er in den Universitätskliniken von New York im Stadtteil Manhattan.[204]
Seine Frau verstarb am 12. Oktober 1965 in einer Klinik im New Yorker Stadtteil Queens an den Folgen ihres Lungenleidens.[205] 1962 war bei ihr ein Tumor in der Lunge diagnostiziert worden. [206] Die Entschädigungsbehörde sah – man berief sich auf ein medizinisches Gutachten – keinen Zusammenhang zwischen der Zeit im Konzentrationslager und der aufgetretenen Erkrankung und lehnte einen Antrag auf Entschädigung ab.[207]
So gehörten Julius, Luise Marxheimer und ihre Tochter Ruth zwar zu den Überlebenden der Shoa. Aber, abgesehen von der ständigen materiellen Not, allein wegen der vielen Verfahren, die sie immer wieder mit dem erlittenen Leid konfrontierten, war es für sie, wie für so viele andere Überlebende, nicht möglich, diesen Rest des Lebens in Freiheit zu genießen.
Julius Marxheimer hatte in der Shoa im engeren Familienkreis vier seiner Geschwister verloren, einen Schwager und eine Schwägerin und weitere Nichten und Neffen. Es gab aber auch eine Reihe von Angehörigen, die rechtzeitig Deutschland verlassen hatten und als Erbengemeinschaft zumindest den materiellen Schaden ansatzweise ausgeglichen haben wollten. Zumindest die Immobilien wurden zurückerstattet. Die Frage, ob alle übrigen Schäden, die in den Entschädigungsverfahren mit dem Hinweis, es handle sich nicht um Endschädigungs-, sondern um Rückerstattungsfälle, abgeschmettert wurden, dann tatsächlich noch auf diesem Weg ausgeglichen wurden, würde weitere umfängliche Nachforschungen nach sich ziehen müssen und auch dann wohl kaum mehr zu klären sein. Zweifel sind allemal angebracht.
Auch das ehemalige Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 72 wurde zurückerstattet. Nachdem die beiden Eigentümer Leopold und Emil Marxheimer deportiert worden waren und deren Vermögen „durch Vfg. des Regierungspräsidenten in Wiesbaden I 9 – 337/42 vom 27. August 1942 zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden“ war, beantragte das Finanzamt Wiesbaden, das „mit der Verwaltung und Verwertung des Vermögens der Genannten durch den OFPräs. [Oberfinanzpräsidenten – K.F.] Berlin bezw. Kassel beauftragt“ worden war, am 26. Juni 1943 beim Amtsgericht Wiesbaden die Umschreibung des Wohngrundstücks auf das Deutsche Reich.[208] Ohne jedwede Einsprüche konnte dieser Raub dann problemlos bürokratisch vollzogen werden. Schon am 6. Juli 1943 meldete das Amtsgericht Vollzug. Das Haus war nun im Besitz des Reichsfiskus.[209]
Unmittelbar danach forderte am 3. August 1943 der Oberpräsident der Provinz Hessen Nassau vom Oberfinanzpräsidenten in Kassel – es handelt sich um unterschiedliche Behörden – seiner Behörde die Wohnungen für Bürozwecke unentgeltlich zur Verfügung zustellen. Das wurde abgelehnt. Wenn, dann könne das Haus nur an die Behörde verkauft, aber nicht unentgeltlich abgegeben werden. Aber auch das werde vermutlich nicht genehmigt werden, weil der Verkauf eingezogener jüdischer Immobilien nach „Führererlass“ erst nach dem Ende des Krieges möglich sein würde, um auch den noch im Feld stehenden Soldaten die Chance zu geben, sich an diesem Raubzug zu beteiligen.[210] Mit der Verwaltung bzw. der Verwertung der Immobilie wurde stattdessen die Hausverwaltung Bier beauftragt,[211] die nun die monatliche Kostenabrechnung bei der Verwertungsstelle für jüdische Vermögen im Finanzamt Wiesbaden, geleitet von dem Beamten Schreck, vorlegen musste. Bier forderte im Sinne einer ordentlichen Buchhaltung aber erst einmal vom Finanzamt die fällige Miete für die Wohnung Marxheimer über 122, 59 RM, weil diese seit Anfang September leer stehe. Auf dem Schreiben hat vermutlich der Sachbearbeiter im Finanzamt, vielleicht aber auch Bier selbst handschriftlich in roter Schrift „Judenhaus“ notiert.[212] Ob der Fiskus aber tatsächlich einen Nutzen von dem Gebäude hatte, scheint eher fraglich, denn zumindest die erhaltenen Abrechnungen enthalten nur Negativsalden, wobei allerdings die jeweils fälligen Hauszins- und Grundsteuern den größten Batzen bei den Kosten ausmachen, die ja zugleich als Einnahmen auf einem anderen Konto verbucht werden konnten.[213]
1944 wurde das Haus zu einem noch größeren Ballast, da es durch Luftangriffe vom 28. Juli und erneut am 11. Oktober unbewohnbar wurde und zudem erhebliche Kosten für Reparaturen anfielen. Bier bat das Finanzamt die Mietzahlungen für die ausgezogenen Mieter zu übernehmen, damit er seinen finanziellen Verpflichtungen, z.B. Gebühren an die Stadt und dergleichen, nachkommen könne.[214]
Nach dem Sieg der alliierten Truppen übernahm die amerikanische Militärregierung am 3. Oktober 1945 auch offiziell die Kontrolle über die konfiszierten jüdischen Immobilien und setzte statt Bier den unbescholtenen und dem Widerstand nahe stehenden Steuerberater Heinzmann als Hausverwalter für fast 20 solcher Mietgrundstücke ein.[215]
Am 8. Dezember 1948 wurde der Rückerstattungsantrag beim Zentralanmeldeamt in Bad Nauheim eingereicht, dem der Hessische Finanzminister unter der Voraussetzung zustimmte, dass die Antragsteller sich als Erbberechtigte ausweisen könnten.[216] Ein Hindernis entstand, als die ehemalige Haushälterin von Emil Marxheimer gegen den vorgelegten Erbschein zugunsten von Julius Marxheimer, Max Otto Fürth und Rosa Stern, geborene Fürth, Einspruch einlegte, weil dieser sie testamentarisch zur Alleinerbin bestimmt habe. Zwar konnte sie ein solches Testament nicht vorlegen und auch keine Zeugen benenne, aber offenbar war die Einlassung nicht ganz unglaubhaft, denn die Erben sagten ihr durch einen entsprechenden Eintrag im Grundbuch zu, dass sie nach der Rückerstattung und dem Verkauf des Hauses, an dem sie selbst kein Interesse mehr hatten, ihr 10.000 DM geben würden. Auch aus der Ausgleichszahlung für das Haus Kleine Langgasse sollte sie weitere 5.000 RM bekommen.[217]
Nachdem die Rückerstattung am 6. Juni 1951 vollzogen worden war und das Haus zu Gunsten der Erben am 4. Juli 1951 im Grundbuch eingetragen wurde,[218] verkauften diese im Jahr 1955 die Immobilie.
Weder das Gebäude in der Kleinen Langgasse, noch das am Kaiser-Friedrich-Ring ist bisher als ehemaliges jüdisches Eigentum zu erkennen. Vor keinem der beiden Häuser erinnern wenigsten Stolpersteine an ihre ehemaligen Bewohner und Eigentümer.
Veröffentlicht: 11. 09. 2022
Anmerkungen:
[1] Denkmaltopographie – Kulturdenkmäler in Hessen, Wiesbaden, Bd. 1.2 Stadterweiterung innerhalb der Ringstraße, S. 368.
[2] Ebd. S. 381.
[3] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 43 Bl. 650 Innen. Auf dem Haus lastete eine Hypothek von 69.000 RM, die von den Käufern übernommen wurde, der Restbetrag wurde ausgezahlt. Sophie Schäfer war eine geborene Rosenfeld. Der Name legt zwar nahe, dass auch sie einen jüdischen Hintergrund hatte, aber laut seiner Sterbeurkunde war ihr Vater Philipp Anton Rosenfeld katholischer Konfession gewesen, siehe Sterberegister Wiesbaden 67 / 1893.
[4] HHStAW 518 826 I (47).
[5] Schüler, Juden in Bad Schwalbach, S. 151. In der Liste der damaligen Schutzjuden, ebd. S. 165, ist zwar keiner mit dem Namen Marxheimer aufgeführt, was aber nicht verwunderlich ist, da es damals noch keine festen Nachnamen gab.
[6] Ebd. S. 155.
[7] Ebd. S. 167.
[8] Wann Benedict und Adelheid Marxheimer verstarben, konnte nicht ermittelt werden. Vermutlich starben aber beide in Langenschalbach. In den verschiedenen Urkunden ihrer Kinder heißt es, dass die Eltern zuletzt in der Taunusgemeinde gewohnt hätten, nur im Sterbeeintrag ihres Sohnes Löb steht, dass Benedict Marxheimer zuletzt in Frankfurt, seine Frau aber in Langenschwalbach gelebt hätte. Möglicherweise war er zuletzt in einem Frankfurter Krankenhaus, wahrscheinlich dem Jüdischen Krankenhaus oder auch Altersheim, untergebracht und dort verstorben, aber weiterhin in seinem Wohnort gemeldet.
[9] HHStAW 430/1 4108 (o.P.). Abschrift der Geburtsurkunde in der Krankenakte.
[10] Ebd. und Sterberegister Erbach / Rheingau 55 / 1905
[11] Löb Leopold Marxheimer starb am 27.8.1915 in Langenschwalbach, Sterberegister Bad Schwalbach 55 / 1915, seine Frau am 27.12.1928 in Frankfurt, Sterberegister Frankfurt V 1250 / 1928.
[12] Zu seinem Schicksal siehe HHStAW 518 8921 (passim).
[13] Zu diesem Lager siehe Gedenkstätten, S. 298 f.
[14] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01020401/0019/114712850/001.jpg. (Zugriff: 30.8.2022).
[15] Heiratsregister Langenschwalbach 12 / 1876. Johanna war am 10. 4.1851 in Langenschwalbach geboren worden. Zur Familie Löwensberg und damit auch zum Schicksal von Johanna Löwensberg, geborene Marxheimer, siehe den Artikel im Kapitel über das Judenhaus Hermannstr. 17.
[16] Geburtsregister Wiesbaden 147 / 1875.
[17] Geburtsregister Wiesbaden 1266/1909 und 1289 / 1910.
[18] Zu den gezahlten Leistungen, Judenvermögensabgabe DEGO-Abgabe usw., siehe 518 55782 (passim), zur Ausreise (27).
[19] Heiratsregister Kassel 144 / 1953. Bei der Urkunde muss es sich um eine nachträglich ausgestellte Kopie handeln.
[20] HHStAW 518 55782 (42).
[21] Heiratsregister Wiesbaden 327 / 1899.Hedwig Marxheimer war am 16.8.1876, ihr Ehemann am 6.12.1883 geboren worden. Seine Eltern waren Salomon und Nannche Bentheim.
[22] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6263-0568?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=25210166&lang=de-DE. (Zugriff: 30.8.2022).
[23] Geburtsregister Wiesbaden 734 / 1881.
[24] Heiratsregister Wiesbaden 108 / 1913.
[25] Über das Schicksal der Familie von Edward gab seine Tochter Liselotte Auskunft bei der USC Shoa Foundation, siehe https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vyp0257.proxy.fid-lizenzen.de/viewingPage?testimonyID=9025&returnIndex=0. Über die von Eugen berichteten die beiden Söhne Rene https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vyp0257.proxy.fid-lizenzen.de/viewingPage?testimonyID=8665&returnIndex=0 und Ed https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vyp0257.proxy.fid-lizenzen.de/viewingPage?testimonyID=59009&returnIndex=0. (Zugriff: 30.8.2022). Um die Interviews hören zu können, bedarf es gesonderter Lizenzen. Sie bilden die Grundlage für die folgende, sehr verkürzte Darstellung der jeweiligen Schicksale. Auch die jeweilig angegebenen Lebensdaten beruhen auf diesen Interviews und wurden nicht weiter überprüft.
[26] Heiratsregister 1 / 1935 Berlin Dahlem.
[27] Ebd. Martin Georg Seligmann war am 10.7.1900 in Berlin Steglitz geboren worden.
[28] 1969 heiratete sie in einer weiteren Ehe Kurt Strauss.
[29] https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11480001&ind=1. (Zugriff: 30.8.2022). Lilo gab in ihrem Interview an, dass sie bereits Ende 1942 vom Tod ihrer Mutter in Auschwitz erfahren habe.
[30] Hier kam es zu einer Begegnung mit Otto Strasser, der mit seinem Bruder Gregor als Anführer der ‚Schwarzen Front’ galt. Beide gehörten ursprünglich zu den sogenannten ‚Alten Kämpfern’, gerieten aber zunehmend in Opposition zu Hitler und wurden von im Zusammenhang mit dem „Röhm-Putsch“ von den inzwischen etablierten Nazis verfolgt. Gregor Strasser wurde ermordet und Hugo Strasser musste die Flucht ergreifen. Im Vélodrome d’Hiver hatte man Eugen Marxheimer und Hugo Strasser zufällig unmittelbar nebeneinander liegende Schlafplätze zugewiesen.
[31] Die hier vorgetragene Version der Flucht aus Frankreich beruht auf dem Interview der USC Shoa Foundation mit Rolf Rene Marxheimer. Sein Bruder Eduard, Ed, hat eine andere Version in dem von ihm gegebenen Interview vorgetragen, die allerdings einige Fragen aufwirft. Siehehttps://vha-1usc-1edu-1vd5a2vyp0aad.proxy.fid-lizenzen.de/viewingPage?testimonyID=59009&returnIndex=0. (Zugriff: 30.8.2022). Laut Ed Marxheimer wurde der Vater, als er im Gestapo-Hauptquartier in Paris um die Verlängerung seines Reisepasses bat, nicht verhaftet, er sei dort vielmehr auf seinen alten Kriegskameraden und einst besten Freund Danike getroffen, der dort inzwischen zum Chef der Gestapo aufgestiegen war. Dieser habe dann persönlich die Familie an die Schweizer Grenze gebracht und ihr den Weg in die Schweiz gewiesen. Nach dem Krieg sei sein Vater als Entlastungszeuge im Kriegsverbrecherverfahren gegen Danike aufgetreten, allerdings erfolglos. Danike sei zum Tode verurteilt und sofort erschossen worden.
Das Problem dieser Version besteht darin, dass ein Danike als Chef der Gestapo in Paris nicht bekannt ist. Möglicherweise meinte Ed Marxheimer allerdings Theodor Dannecker, die rechte Hand von Eichmann, der tatsächlich von September 1940 Leiter des Judenreferats in Paris war und für die Verfolgung der Juden in Frankreich wesentlich die Verantwortung trägt. Allerdings wurde dieser Dannecker nicht in einem Verfahren nach dem Krieg zu Tode verurteilt, sondern er nahm sich am Tag nach seiner Verhaftung durch die amerikanische Armee am 10.12.1945 selbst das Leben.
[32] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_7517-0858?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=3023061128. (Zugriff: 30.8.2022).
[33] https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vyp0aad.proxy.fid-lizenzen.de/viewingPage?testimonyID=59009&returnIndex=0. (Zugriff: 30.8.2022).
[34] Geburtsregister Wiesbaden 378 / 1885.
[35] Heiratsregister Wiesbaden 899 / 1907.
[36] Ebd.
[37] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de958084 und https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de958075. (Zugriff: 30.8.2022). Dazu Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 440.
[38] Ebd.
[39] HHStAW 518 8537 (48).
[40] Siehe dazu HHStAW 422 1040.
[41] Sterberegister Wiesbaden 690 / 1901. Laut GENI war sie das zweite von insgesamt vier Kindern. https://www.geni.com/family-tree/index/6000000004096340026. (Zugriff: 30.8.2022).
[42] HHStAW 365 / 915 (57). Der Vorname ist in der dortigen Geburtseintragung mit „tz“ geschrieben, so auch in den amtlichen Papieren der Entschädigungsakten und im Jüdischen Adressbuch von 1935. In seiner eigenen Untrschrift ließ er das „t“ normalerweise weg und auch in den Einträgen in den Wiesbadener Adressbüchern fehlt es. Diese Schreibweise ist auch von Faber, Jüdische Juristen S. 148 ff. in seinem Artikel über ihn, auf die im Folgenden im Hinblick auf seine juristische Karriere Bezug genommen wird, übernommen worden. Davon abweichend wird hier dennoch die Schreibweise mit „tz“ aus dem Geburtseintrag beibehalten.
[43] Heiratsregister Wiesbaden 295 / 1898.
[44] Heiratsregister Frankfurt 39 / 1911.
[45] Geburtsregister Wiesbaden 111 / 1875.
[46] Geburtsregister Wiesbaden 4 / 1877.
[47] Geburtsregister Wiesbaden 462 / 1880.
[48] Geburtsregister Wiesbaden 1001 / 1886.
[49] https://www.yumpu.com/de/document/read/5016314/kurzbiographien-der-anwalte-judischer-herkunft. (Zugriff: 30.8.2022), auch HHStAW 518 8539 (97).
[50] HHStAW 685 555a (6).
[51] Der Tag der Eheschließung ist im Ehevertrag von 1934 festgehalten, siehe HHStAW 685 555a (132). Zum Geburtsdatum siehe https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/70480104?s=Elise%20Marxheimer&t=589021&p=0. (Zugriff: 30.8.2022), auch Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.
[52] HHStAW 518 47943 (39).
[53] https://www.mappingthelives.org/bio/9be9900c-b005-4699-af12-4d1679ed9d33. (Zugriff: 30.8.2022).
[54] Das Haus ist heute „aus künstlerischen Gründen mit besonderer Bedeutung für den malerischen Rhythmus des Straßenbildes“ in die Liste der Wiesbaden Kulturdenkmäler aufgenommen. Siehe Denkmaltopographie – Kulturdenkmäler in Hessen, Wiesbaden Bde II. Die Villengebiete, S. 216.
[55] Die entsprechenden Umbauarbeiten machte er in der Steuererklärung von 1937 geltend, siehe HHStAW 685 555b (113).
[56] HHStAW 685 555a (86).
[57] HHStAW 518 8539 (98). Es gehört wohl zu den typischen Entscheidungen damaliger Entschädigungsverfahren, dass man zunächst nur bereit war, Einbußen ab 1936 zu entschädigen. Dass bereits vor dem Verlust des Notariats das Einkommen erheblich gemindert worden war, sollte unbeachtet bleiben. Erst durch weitere Prozesse konnten die Erben in einem Vergleich zumindest weitere Zahlungen durchsetzen. Es hieß in der ersten Entscheidung vom 8.6.1961: „Bis zum Jahre 1935 einschließlich hat jedoch die Einkommensminderung nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der ausreichenden Lebensgrundlage (…) geführt, so dass der Zeitraum der wesentlichen Beschränkung in der Erwerbstätigkeit erst mit dem 1.1.1936 beginnt.“ Ebd. (118). Willkürlich war der Entschädigungszeitraum auch nach hinten beschnitten worden. Er sollte am 28.2.1940, also mit Vollendung des 69sten Lebensjahrs enden. Auch hier bedurfte es weiterer Klagen, bis der Zeitraum wenigsten bis zum Todestag am 27.10.1942 ausgedehnt wurde. Ebd. (179).
[58] HHStAW 685 555 (77-137 passim).
[59] Diese Ausnahmebestimmung galt für Anwälte, die bereits vor dem 1.8.1914, somit vor dem Ersten Weltkrieg, zugelassen worden waren oder für diejenigen, die selbst an der Front gekämpft hatten, bzw. deren Väter oder Brüder im Krieg gefallen waren. Siehe das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933, §1, [2].
[60] Siehe zu Fritz Hallgarten, Faber / Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 85-88.
[61] HHStAW 685 555a (128). Bis Ende des Monats hatte Moritz Marxheimer die entsprechenden Wertpapiere verpfändet, ebd. (129).
[62] HHStAW 518 8539 (153, 155).
[63] Im Entschädigungsverfahren schrieb der Anwalt seiner Erben, „dass der Verfolgte bis zum letzten Tage vor seiner Deportation eine ehrenamtliche Tätigkeit als erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden ausgeübt hat, die derjenigen einer vollberuflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts und Notars in jeder Weise – was Arbeitsumfang, Einsatz der geistigen und körperlichen Kräfte usw. anlangt – entsprach, wobei noch hinzuzufügen ist, dass die mit dieser Tätigkeit des Verfolgten verbundene tägliche Lebensgefahr und gesundheitliche, durch Erregung ausgelöste Schädigungsgefahr wesentlich höher war als diejenige eines nicht mit seinen Todfeinden und nach seinem Leben trachtenden künftigen Mördern verhandelnden Rechtsanwalts und Notars.“ Ebd. (156).
[64] Siehe Jüdischen Adressbuch von 1935 S. 217-264 (passim). In Faber, Jüdische Juristen S. 149 sind noch weitere Mitgliedschaften überregionaler Organisationen benannt. Anderle, hat in seinem Aufsatz über die jüdischen Mitglieder des ‚Nassauischen Vereins für Naturkunde’ während der Zeit des Nationalsozialismus, zu deren Mitgliedern Moritz Marxheimer ebenfalls gehörte, auch diesem einen längen Abschnitt gewidmet und darin dessen Leidensgeschichte dargestellt. Leider wurde der Autor der Judenhaus-Seite erst nach der Veröffentlichung seines Textes auf den Aufsatz von Anderle aufmerksam. Siehe Anderle, Jüdische Mitglieder des Nassauischen Vereins für Naturkunde, S. 29-32.
[65] Lazarus, Erinnerungsbuch, S. 77 f.
[66] Faber, Jüdische Juristen S. 150. Auch Anderle, Jüdische Mitglieder des Nassauischen Vereins für Naturkunde, S. 31, der allerdings auch erwähnt, dass Moritz Marxheimer im Juni 1939 Auswanderungsabsichten hatte.
[67] HHStAW 685 555a (148).
[68] HHStAW 519/3 4762 (10).
[69] HHStAW 685 555a (20, 21), betr. 2. und 3. Rate..
[70] Ebd. (153), dazu 519/3 4762 (12).
[71] HHStAW 685 555a (159, 162, 170, 188, 194).
[72] HHStAW 685 555b (139).
[73] HHStAW 518 8539 (392).
[74] Siehe dazu oben das Kapitel Auswanderung, Deportation und die Rolle der Finanzverwaltung.
[75] HHStAW 518 8539 (394).
[76] HHStAW 685 555a (135).
[77] HHStAW 519/3 4762 (47, 48, 51). Unter den übrigen Kosten befindet sich auch ein Betrag für eine ‚Immobilien-Verkehrsges.m.b.H.’, was darauf hindeuten könnte, dass der Immobilienerwerb doch zustande gekommen war.
[78] HHStAW 518 8539 (196).
[79] Ebd. (55).
[80] Zwar gab es einen Entschädigungsantrag wegen der Plünderung des wertvollen Weinkellers von Moritz Marxheimer, in dieser Nacht. Das erwies sich aber als Irrtum der Erbberechtigten. Sowohl der Wiesbadener Polizeipräsident als auch weitere Zeugen versicherten, dass das Haus nicht angegriffen worden sei. Die Plünderung des Weinkellers habe erst stattgefunden, nachdem das Gebäude verkauft war und von einer nationalsozialistischen Horde durchsucht worden sei. Siehe dazu HHStAW 518 8539 (217, 245, 250-253).
[81] HHStAW 685 555a (o.P). Das Paar hatte seit der Eheschließung nach gesetzlichem Güterrecht gelebt, am 5.3.1934 aber notariell die Gütertrennung vereinbart, siehe ebd. (132). Dennoch wurde die Judenvermögensabgabe seiner Frau durch Hinterlegung von Wertpapieren durch Moritz Marxheimer gesichert, vermutlich auch gezahlt, siehe HHStAW 519/3 4762 (6).
[82] HHStAW 519/3 4762 (6), dazu HHStAW 685 555a (20, 21), betr. 2. und 3. Rate.
[83] Ebd. (3).
[84] HHStAW 519-A-1091 (36).
[85] HHStAW 518 8539 (196).Der vereinbarte Kaufpreis betrug zwar36.000 RM, siehe HHStAW 519/3 4762 (3), aber offensichtlich hatte man den Verkäufer zumindest mit einem Teil der Kosten des Transfers belastet.
[86] Zum Einheitswert des Hauses Eckernförder Str. 21, siehe Stadtarchiv Wiesbaden WI/3 983 (9). Er war gegenüber 1928 um nahezu 20.000 RM gemindert worden. Die Immobilie wurde im Rückerstattungsverfahren den Nachkommen von Moritz Marxheimer zurückgegeben. Da die Judenvermögensabgabe bereits entschädigt worden war, bevor die Rückerstattung durchgesetzt werden konnte, wurde die Angelegenheit dann recht kompliziert, da eine Doppelentschädigung vermieden werden musste.
[87] HHStAW 519/3 4762 (4).
[88] Ebd. (11, 15-17).
[89] Ebd. (14).
[90] HHStAW 519/3 4762 (26). Adelheid Löwensberg wurde am 10.6.1942 nach Lublin deportiert und bald darauf in Sobibor ermordet. Jenny Steinharter, geborene Walter, war vermutlich die Mutter von Elise Steinharter. Sie lebte zuletzt in der Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn und wurde am 15.6.1942 von dort aus ebenfalls nach Sobibor deportiert.
[91] HHStAW 685 555b (8). Bisher konnte die Ausgaben steuerlich geltend machen, ab. Ab 1933 verweigerten die Finanzbehörden dies mit der Begründung, dass es sich trotz der notariellen Verpflichtung um eine freiwillige Leistung handle, ebd. (60).
[92] HHStAW 519/3 4762 (33, 42).
[93] HHStAW 519/A 1090 (45).
[94] HHStAW 483 10127. In der Auflistung des Wiesbadener Stadtarchivs ist der Verkauf des Hauses nicht notiert, siehe WI/3 983.
[95] HHStAW 483 10247 (o.P.).
[96] HHStAW 519/3 4762 (43).
[97] HHStAW 519/A 1090 (44-46).
[98] Das Haus gehörte Julius Rosenthal, bzw. seiner Witwe Franziska, geborene Kallmann. Julius Rosenthal war bereits 1921 verstorben. Franziska Rosenthal wurde am 1.9.1942 nach Theresienstadt deportiert. Nur einen Tag nach ihrer Ankunft und drei Tage vor ihrem 82sten Geburtstag verlor sie dort ihr Leben.
[99] HHStAW 519/3 4762 (56).
[100] HHStAW 518 47943 (39, 40).
[101] HHStAW 519/3 4762 (58).
[102] Auch die Bundesrepublik Deutschland verweigerte ihr die Rente, obwohl die Betreuungsstelle der Stadt Wiesbaden eigens ein Befürwortungsschreiben an den Regierungspräsidenten geschickt hatte und auf die Notsituation der ledigen 57jährigen Frau aufmerksam gemacht hatte, HHStAW 518 47943 (3).In einer Entscheidung des Regierungspräsidenten vom 5.8.1950 heißt es: „Den Wiedergutmachungsansprüchen war der Erfolg zu versagen. Die rückständigen und zukünftigen Unterhaltsrenten des jüdischen Erblassers Marxheimer kann sie im Rahmen des Entschädigungsgesetzes nicht verlangen, weil sie (…) nicht gesetzliche Erbin der ersten und zweiten Ordnung (…)ist, auch wenn man sie als Vermächtnisnehmerin überhaupt als erbberechtigt im Sinne der genannten Vorschrift ansehen sollte. (…) Was der (sic) ihr persönlich zugefügte Schaden angeht, so hat sie vielleicht einen mittleren Schaden erlitten; denn eine Verfolgung unmittelbar gegen sie persönlich, vermag sie nicht einmal zu behaupten.“ Ebd. (18). So ging man im neuen Staat mit denjenigen um, die bis zuletzt sich nicht von der antijüdischen Hetze hatten beeinflussen oder verängstigen lassen.
[103] HHStAW 518 8539 (250). Abgesehen von dem Sprachgebrauch – und hier handelt es sich um eine gegenüber Moritz Marxheimer positiv eingestellte Person -, ist an der Aussage interessant, dass man offenbar schon in den frühen 60er Jahren auch unter Zeitzeugen nicht mehr so genau wusste, wann die großen Deportationen in Wiesbaden stattgefunden hatten.
[104] Opfermann, Stationen, S. 49.
[105] HHStAW 518 8539 (6, 34)
[106] HHStAW 519/3 4762 (60).
[107] Sonderstandesamt Arolsen 524 / 1950, dazu HHStAW 518 8539 (228).
[108] HHStAW 519/3 33472 (1).
[109] Marsalek, Mauthausen, S. 133. Das Buch stammt allerdings aus dem Jahr 1980 und könnte inzwischen veraltete und unvollständige Angaben enthalten.
[110] HHStAW 518 8539 (228).
[111] Im Totenbuch von Mauthausen ist Moritz Marxheimer gelistet, aber es liegen keine weiteren Informationen zu ihm vor. Paul Lazarus hatte in seinem Erinnerungsbuch noch angegeben, Moritz Marxheimer sei in Auschwitz ermordet worden. Worauf diese Angabe gründete, hat er nicht erwähnt, siehe Lazarus, Erinnerungsbuch, S. 77. Man muss allerdings auch konstatieren, dass dieser erste Zug Auschwitz erst am 28.10.1942 erreichte, somit einen Tag nach Moritz Marxheimers Tod.
[112] Aufbau 7.9.1945 https://archive.org/details/aufbau111945germ/page/n595/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 30.8.2022). Bei Faber, Jüdische Juristen, S. 150, wird in der Bildunterschrift leider das falsche Erscheinungsjahr angegeben, in der Quellenangabe ist dagegen das richtige Jahr 1945 genannt.
[113] Die Gründe sich gegen die Ehrung Guthmanns auszusprechen, sind in der Rolle zu suchen, die Berthold Guthmann in seiner Funktion als Leiter der Geschäftsstelle der ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland’
im Bezirk Hessen-Nassau einnahm. Da die ‚Reichsvereinigung’ faktisch als verlängerte Arm der Gestapo fungieren musste, stand er nach dem Ende des Nationalsozialismus immer wieder im Verdacht, gemeinsame Sache mit dem Regime gemacht zu haben.
[114] Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, Beschlussnr. 86 vom 21. März 1968. Interessant ist hier zudem, dass der damalige Oberbürgermeister Schmitt noch 1968 davon ausging, dass Moritz Marxheimer in Auschwitz ermordet worden sei, obwohl die Sterbeurkunde aus Arolsen mit dem Sterbeort Mauthausen bereits seit 1950 vorlag.
[115] Heiratsregister Wiesbaden 295 / 1998.
[116] HHStAW 518 56383 I (88).
[117] Ebd. (164).
[118] Für Manfred Geburtsregister Offenbach 646 / 1899, für die beiden weiteren Geschwister HHStAW 518 8537 (63). Zur Adresse ebd. (147).
[119] Ebd. (161). Die Behörde wies darauf hin, dass die Angaben sich eigentlich immer auf das vorausgegangene Geschäftsjahr, möglicherweise sogar auf das zwei Jahre zurückliegende Jahr beziehen würden, zudem der Freibetrag – zwischen 2.500 und 5.000 RM bereits vom zu versteuernden Ertrag abgezogen sei, d.h. er bei einer Beurteilung des Geschäftsverlaufs wieder addiert werden müsste.
[120] Ebd. (66 f.).
[121] Ebd. (28).
[122] Ebd. (21).
[123] Ebd. (129).
[124] https://www.joodsmonument.nl/nl/page/27422/grete-f%C3%BCrth-auerbach. (Zugriff: 30.8.2022). Sie war die Tochter von Karl Ernst und Olga Auerbach, geborene Rothschild.
[125] https://www.genealogieonline.nl/de/balogh-family-tree/I23961.php. (Zugriff: 30.8.2022).
[126] https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Herzogenbusch und https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Kamp_Vught?uselang=de. (Zugriff: 30.8.2022).
[127] Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz.
[128] https://www.joodsmonument.nl/nl/page/507626/about-grete-furth-auerbach. (Zugriff: 30.8.2022). Wie der Gefangenenkarte von Manfred Fürth zu entnehmen ist, war auch Olga Auerbach, Gretes Mutter, in Westerbork inhaftiert. Laut Joods Monument wurde sie am 20.3.1943 in Sobibor ermordet. Siehe https://www.joodsmonument.nl/nl/page/150290/olga-auerbach-rothschild. (Zugriff: 30.8.2022).
[129] Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz.
[130] HHStAW 518 56383 I (8).
[131] Ebd (24).
[132] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6701779:2280?lang=de-DE. (Zugriff: 30.8.2022).
[133] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6254-0400?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=24993636&lang=de-DE. (Zugriff: 30.8.2022).
[134] HHStAW 518 56383 I (36).
[135] Ebd.
[136] Die 1881 geborene Mutter von Margot war 1968, ihre Tochter 1987 gestorben. Ein Jahr später war auch Max Fürth zu Grabe getragen worden. Siehe https://images.findagrave.com/photos/2020/284/121685554_738fa518-8e1d-4c2a-9b12-d74f1098fb64.jpeg.
[137] HHStAW 518 8537 (63).
[138] Geburtsregister Wiesbaden 1001 / 1886.
[139] Das Thema der Dissertation lautete „Die Zweigniederlassung (Filiale) im Handelsrecht“. Siehe https://archive.org/stream/cataloguedesdiss3339bibluoft/cataloguedesdiss3339bibluoft_djvu.txt. (Zugriff: 30.8.2022).
[140] Sterberegister Wiesbaden 1853 / 1916.
[141] Geburtsregister Wiesbaden 462 / 1880.
[142] HHStAW 365 916.
[143] HHStAW 518 826 (52) Auszug aus Handelsregistereintrag.
[144] HHStAW 518 826 I (47).
[145] Die Frage spielte im Entschädigungsverfahren später eine wichtige Rolle und in einem Urteil des Landgerichts Wiesbaden wurde auch die Mitinhaberschaft angenommen, siehe HHStAW 518 8538 (130-137).
[146] Ebd. und HHStAW 518 8537 (68).
[147] Heiratsregister Frankfurt 39 / 1911.
[148] Heiratsregister Frankfurt 86 / 1913.
[149] Geburtsregister Wiesbaden 486 / 1912.
[150] Geburtsregister Wiesbaden 1152 / 1915.
[151] Über das Haus ist in dem Band über die Kulturdenkmäler Wiesbaden zu lesen: „Vom Jugendstil beeinflusst ist die vorwiegend gotisierende, alterümelnde Ornamentik der mit Elementen aus Sandstein und Zement pittoresk gestaltete Mietshausfassade. Bemerkenswert ist die asymmetrische Häufung von zum Teil ineinander verschachtelter architektonischen Motive.“ Im Inneren führte neben einem Aufzug, eine breit angelegte Marmortreppe mit einem aufwendigen Jugendstilgeländer in die oberen Stockwerke. Anders als das Haus mit der Nummer 72 gehört das mit der Nummer 71 zu den Kulturdenkmälern Wiesbadens. Denkmaltopographie – Wiesbaden, Bd. 1.2 Stadterweiterung innerhalb der Ringstraße, S. 439.
[152] HHStAW 518 826 I (170).
[153] HHStAW 518 8537 (3).
[154] Das Haus mit der Nr. 36 war zu diesem Zeitpunkt von dem Kaufmann Poulet erworben worden, dessen Familie bis in die jüngste Vergangenheit Eigentümer blieb.
[155] HHStAW 519/3 4750 (1).
[156] Ebd. (4).
[157] HHStAW 519/3 4774 (1).
[158] Ebd. (3).
[159] Ebd.(10).
[160] HHStAW 685 555a (111).
[161] HHStAW 518 8538 (84).
[162] Die Entschädigungsbehörde wollte zunächst in einer Entscheidung aus dem Jahr 1961 deshalb einen wirtschaftlichen Schaden für Leopold Marxheimer erst ab 1937 anerkennen, ließ sich dann aber wenigsten auf eine Anerkennung ab 1936 ein. Siehe HHStAW 518 8537 (81, 113). Bei Julius Marxheimer wurde dagegen in einer Entscheidung der Behörde von 1955 ein Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen ab dem 1.7.1933 angenommen, siehe HHStAW 518 826 (73).
[163] Ebd. (47).
[164] RGBl. 1938 I, S. 1709.
[165] HHStAW 518 8537 (71, 111), HHStAW 518 826 I (52a).
[166] HHStAW 519-A-1085 (21-30).
[167] HHStAW 518 8537. (80).
[168] HHStAW 518 8537 (21, 356) und HHStAW 518 8538 (35). Dass alle fünf Raten gezahlt wurden, geht aus den Belegen ebenfalls hervor. Problematisch war aber auch hier die Entschädigung, weil in dem Moment, wo die Leistungen durch Abgabe von Wertpapieren erfolgt war, zumindest zunächst eine Entschädigung verweigert wurde und die Geschädigten auf langwierige Rückerstattungsverfahren vertröstet wurden.
[169] HHStAW 518 8537 (30).
[170] Ebd. (7).
[171] HHStAW 518 826 II (326 f.).
[172] Ebd. (72).
[173] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010501/0014/119866660/002.jpg, auch https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1181/133402672/001.jpg. (Zugriff: 30.8.2022).
[174] Franziska Rosenthal, geborene Kallmann, wurde mit ihren Mietern am 1.9.1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie starb dort drei Tage vor ihrem 82. Geburtstag und nur einen Tag nach der Ankunft im Ghetto am 3. September.
[175] Ebd. I (170).
[176] HHStAW 519/3 4788 (3).
[177] HHStAW 467 2552 (10). Die Akte enthält auch einen sehr interessanten Artikel des Rabbi Joseph Asher, der als Josef Ansbacher in der gleichen Zeit die Gutenbergschule in Wiesbaden besuchte und dort ähnliche Erfahrungen wie Ruth Marxheimer am Lyzeum machte. In diesem Artikel, der am 20.4.1965 in der amerikanischen ‚Look’ erschien, berichtete er aber nicht vorrangig über die NS-Zeit, sondern primär über einen Besuch in seiner alten Schule, den er kurz zuvor unternommen hatte. Er wollte wissen, wie sehr die neue Schülergeneration der 60er Jahren noch vom Gift des Antisemitismus beeinflusst ist und inwieweit die klassischen Stereotype von dem Juden latent oder sogar offen noch wirksam sind – eine ernüchternde Erfahrung damals – und nicht nur damals.
[178] HHStAW 518 8540 (9).
[179]Zu ihrer Biographie siehe ebd. (passim, bes. 7-8)
[180] HHStAW 518 826 I (179 ff.). Ursprünglich hatte die Entschädigungsbehörde 1960 die Kosten der Flucht nicht erstatten wollen, weil ja die Tochter aus dem sicheren Ausland Schweiz in die USA gereist sei. Erst in einem Widerspruchsverfahren wurde dies korrigiert. Zum Glück hatte Ruth ihren ersten Wohnsitz in Wiesbaden aufrechterhalten, sodass sie formal von dort aus geflohen war. Mit solchen Spitzfindigkeiten waren die Überlebenden damals bei dem Versuch, wenigstens eine materielle Entschädigung zu erhalten, konfrontiert.
[181] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6280-0330?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=1004111757. (Zugriff: 30.8.2022).
[182] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/7674187:1629. (Zugriff: 30.8.2022).
[183] HHStAW 518 8540 (172-182).
[184] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/31933832:60901. (Zugriff: 30.8.2022).
[185] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6035-0545?treeid=&personid=&hintid=&queryId=a78abd0ad5880cf76790d230c8d29bd6&usePUB=true&_phsrc=svo413&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=23779248. (Zugriff: 30.8.2022).
[186] Sterberegister Wiesbaden 924 / 1938.
[187] HHStAW 519/3 4774 (19, 21).
[188] HHStAW 519/3 4750 (9).
[189] Ebd. (13).
[190] HHStAW 518 8538 (39).
[191] Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 214.
[192] HHStAW 519/3 4750 (20).
[193] HHStAW 518 8538 (39).
[194] https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/24027-emil-marxheimer/. (Zugriff: 30.8.2022).
[195] HHStAW 519/3 4788 (16).
[196] Ebd. (13).
[197] HHStAW 518 826 I (72).
[198] Wachsmann, KL, S. 659 ff.
[199] HHStAW 518 826 (239).
[200] Ebd. (149).
[201] Ebd. 150-153).
[202] HHStAW 8536 (150-153).
[203] HHStAW 518 826 (29a).
[204] Ebd. 104).
[205] Ebd. (81).
[206] HHStAW 518 8536 (121
[207] Ebd. (189-193).
[208] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 43 Bl. 650 Innen.
[209] HHStAW 519/2 2172 (11, 15, 16).
[210] Ebd. (28).
[211] Ebd. (27).
[212] Ebd. (26).
[213] Ebd. (30).
[214] Ebd. (34, 35, 36)
[215] Ebd. (44). Siehe zu Heinzmann, der dem Freundeskreis Heinrich Roos nahe stand, Verfolgung und Widerstand, S. 509-515.
[216] HHStAW 519-A-1086 (45).
[217] Ebd. (52 f., 63-65).
[218] Ebd. (44), dazu Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 43 Bl. 650 Innen.