Josef Steinberg


Hirschkind, Dora
Das Judenhaus in der Albrechtstr. 13 heute
Eigene Aufnahme
Judenhaus Wiesbaden, Liebmann, Albert
Lage des ehemaligen Judenhauses Albrechtstr. 13
Albrechtstrf. 13, Judenhaus, Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Albrechtstr. 13

 

 

 

 

 

 


Lydia Bielschowski, Josef Steinberg
Stammbaum von Josef Steinberg
GDB

Sehr spärlich sind die Informationen über Josef Steinberg, dem jüdischen Bewohner, der, von Liebmanns abgesehen, am längsten in dem Haus in der Albrechtstraße lebte. Am 2. April 1893 war er in Berlin in der Dragonerstr. 44  geboren worden. Seine Eltern waren Elias und Sara Steinberg, geborene Hirsch.[1] Schon sein Vater übte als Tabakmeister den Beruf aus, den später auch sein Sohn ergreifen sollte. Wie dem Kriegsranglisteneintrag für Josef Steinberg zu entnehmen ist, waren beide Elternteile schon verstorben,[2] als ihr Sohn am 17. Juli 1915 zur 7. Bayrischen Feldartillerie eingezogen wurde, um im Ersten Weltkrieg das Deutsche Kaiserreich vor der angeblichen Aggression durch die Alliierten zu beschützen, ein Einsatz, den er mit einer Kriegsverletzung bezahlte.

Josef Steinberg
Kriegsranglisteneintrag für Josef Steinberg aus dem Ersten Weltkrieg
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1631/images/31421_BH14066-00040?treeid=&personid=&hintid=&queryId=c2c466f6c8819893c806829c9150a3da&usePUB=true&_phsrc=Ekt1059&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=3292707

Es ist nicht bekannt, wann Josef Steinberg nach Wiesbaden kam. Am 16. November 1920 heiratete er dort die am 8. Mai 1877 in Lodz in Polen geborene Jüdin Lydia Bielschowski.[3] In der Heiratsurkunde ist vermerkt, dass er damals in der Schwalbacher Str. 5 wohnte, ein entsprechender Eintrag in den Wiesbadener Adressbüchern ist aber auch für die folgenden Jahre nicht zu finden.

Josef Steinberg, Judenhaus Albrechtsr. 13, Wiesbaden
Heiratseintrag für Josef Steinberg und Lydia Bielschowski
Heiratsregister Wiesbaden 1284 / 1920

Nicht einmal ein Jahr später, am 8. Juli 1921, wurde die Ehe wieder aufgelöst. Ein weiterer Kontakt zwischen den geschiedenen Ehepartnern blieb offensichtlich nicht bestehen, denn in seiner im September 1940 abgegebenen Vermögenserklärung gab Josef Steinberg an, nichts über den Aufenthalt seiner früheren Frau zu wissen.[4]

Laut den Archiven von Yad Vashem lebte sie vor Ausbruch des Krieges im schlesischen Breslau. Ab 1941 begannen hier die Deportationen in die verschiedenen Lager der Umgebung. Lydia Bielschowski kam wohl im Oktober in das von den Nazis beschlagnahmte und zum Internierungslager umdefinierte Kloster Grüssau. Am 3. Mai 1942 wurde sie weiter nach Lublin verbracht, wo sie umgebracht wurde.[5]

Meldung des „Pg Hunger“ über die Bewohner des Hauses Albrechtstr. 13 im Sommer 1940
HHStAW 483 10127 (78)

Zu dieser Zeit wohnte Josef Steinberg seit einigen Jahren als Untermieter in einem der Mansardenzimmer des Judenhauses, wie der Blockwart namens Hunger dies im Juni 1940 der NSDAP-Ortsgruppenleitung meldete. Damals begannen die systematischen Vorbereitungen auf die Einweisungen von Juden in besondere Häuser. Die Block- bzw. Zellenwarte hatten zu diesem Zweck alle Juden in ihren Wohnvierteln zu melden und möglichst auch Angaben über die jeweiligen Wohnverhältnisse zu machen. Der eifrige PG notierte auf seinem Meldzettel, dass er dieselben Angaben schon einmal vor einem halben Jahr abgegeben habe.[6] Er trug somit keine Schuld daran, dass die Umsiedlung in Wiesbaden so schleppend voranging.

Der ehemalige Tabakmeister, der inzwischen völlig verarmt war, musste nicht mehr umgesiedelt werden. In seiner Vermögenserklärung gab er an, kein Vermögen zu besitzen und – abgesehen von einer kleinen monatlichen Rente von 53 RM – auch über kein weiteres Einkommen zu verfügen. Bei dieser finanziellen Notlage verzichtete die Devisenstelle auf die Anlage eines gesicherten Kontos, gewährte – und das kann man nur als blanken Zynismus bezeichnen – weiterhin den zunächst nur vorläufig gewährten Freibetrag von 300 RM.[7]

Wie er mit 53 RM überleben konnte, ist nur schwer vorstellbar. Möglicherweise wurde er von Verwandten in Berlin unterstützt, zumindest bedankte er sich in seinem letzten Brief an seine dortige Nichte Ruth für das Geld, das sie ihm habe zukommen lassen.

Dieser Brief, geschrieben am 9. Juni 1942, am Abend vor der Deportation, dokumentiert das Wissen um das kommende Schicksal, die Verzweiflung und auch die kleinste Hoffnung, an die er sich selbst wenige Stunden vor dem Transport noch klammerte:

„Wiesbaden, d. 9.6.42

Meine liebe Ruth, Werner(,) Papa Karl u. goldige Kinder
Unfaßbar für mich am Sonntag die Mitteilung trotz Atteste u. transportunfähig Abmarsch wegen Jude. Lebt wohl alle Ihr Guten(,) danke Euch für das Geld(,) möge Eure Güte belohnt werden. Anbei meine Papiere. Sollte ich leben(,) so bitte ich Dich Ruth(,) sobald Frieden ist Dich mit Max Chaskaloff in Verbindung zu setzen(,) Mamas Bruder, Kinder und mit Spatz. Eben wird mir mitgeteilt 2 Firmen hätten ihre Leute freigegeben dann besteht ein Fädchen das(s) ich 14 Tage gerettet bin(,) es ist nur ein Hauch. Morgen früh 5 Uhr denkt an mich auch werde ich noch mal untersucht(,) morgen so heißt es(,) bei letztem Abmarsch mussten Blinde gleichfalls mit. Nochmals Lebewohl denket an mich(.) Sollte ich noch je schreiben dürfen so hört Ihr sofort (von den letzten ist nichts mehr zu hören).

1000 Küße Euer unglücklicher
Onkel Seppl“
[8]

 

Die Hoffnung war vergebens. Wie er schon geahnt hatte, sollte er seine Verwandten nicht mehr sehen. Am 10. Juni wurde er mit 371 anderen Wiesbadener Juden über Frankfurt nach Lublin verbracht, dem Ort, wo nur wenige Wochen zuvor seine ehemalige Frau ums Leben gekommen war. Von den insgesamt 1253 Insassen des Zuges wurde etwa ein Fünftel der arbeitsfähigen Männer für einen Arbeitseinsatz im Lager Majdanek selektiert. Angesichts der Tatsache, dass Josef Steinberg laut einem Eintrag auf seiner Gestapo-Karteikarte kriegsbeschädigt war und deswegen als nicht arbeitsfähig galt, muss es erstaunen, dass er zu dieser Gruppe gehört haben soll. In der Opferdatenbank des Bundesarchivs ist aber Majdanek als der Ort genannt, an dem er am 1. Juli 1942 nach nicht einmal drei Wochen Lager verstarb oder umgebracht wurde. Immerhin ist er einer der wenigen aus dem Transport vom 10. Juni, von dem man den Todestag und auch den Ort sicher benennen kann.

Am 4. Juli 1942 wurde seine dünne, nur aus wenigen Blättern bestehende Akte auf der Devisenstelle in Frankfurt mit dem Vermerk „evakuiert“ geschlossen.

 

 

Veröffentlicht: 15. 11. 2017

Letzte Änderung: 13. 01. 2021

 

 

 

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Anmerkungen:

 

 

[1] Geburtsregister Berlin 636 / 1893. Josef war nicht das einzige Kind von Elias und Sara Steinberg. Wie aus dem unten zitierten Brief an seine Nichte Ruth hervorgeht hatte Josef noch einen Bruder Karl. Bei seiner Heirat war ein Bernhard Steinberg zugegen, der zwei Jahre jünger als Josef war und ein weiterer Bruder von ihm gewesen sein könnte.

[2] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1631/images/31421_BH14066-00040?treeid=&personid=&hintid=&queryId=c2c466f6c8819893c806829c9150a3da&usePUB=true&_phsrc=Ekt1059&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=3292707. (Zugriff: 3.1.2021).

[3] Heiratsregister Wiesbaden 1284 / 1920.

[4] HHStAW 519/3 8015 (3).

[5] Siehe zu ihrem Schicksal die Seiten des Holocaust Museums Washington und von Yad Vashem: https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=4076053 (Zugriff: 15.11.2017) und http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11474224&ind=0. (Zugriff: 15.11.2017). Siehe auch http://www.jewishgen.org/databases/holocaust/0054_BreslauDeportations.htm (Zugriff: 15.11.2017) zu den Deportationen aus Breslau.

[6] HHStAW 483 10127 (78).

[7] HHStAW 519/3 8015 (3, 4).

[8] Der Brief ist als Faksimile abgedruckt auf dem Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für Josef Steinberg. Auf dem Erinnerungsblatt sind auch zwei Fotos von Josef Steinberger aus den dreißiger Jahren zu sehen, http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/Steinberg_Josef.pdf. (Zugriff: 15.11.2017). Kommata wurden zur besseren Lesbarkeit eingefügt.