Julius und Regina Danneboom


Juden Wiesbaden, Judenhäuser
Das ehemalige Judenhaus in der Hallgarter Str. 6
Eigene Aufnahme
Judenverfolgung Wiesbaden
Lage des ehemaligen Judenhauses Hallgarter Str. 6
Judenhaus Wiesbadaen, Judenäuser Wiesbaden, Juden Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Hallgarter Str. 6
Das Judenhaus Hallgarter Str. 6 früher
Mit Genehmigung M. Sauber

 

 

 

 

 


 Auch das Ehepaar Danneboom war kein Bewohner des Judenhauses im eigentlichen Sinne, denn laut Wiesbadener Adressbuch hatte es schon seit 1915 in der Hallgarter Str. 6 gewohnt und Wiesbaden bereits verlassen, bevor die Judenhäuser eingerichtet wurden. Aber auch sie wurden Opfer der Verfolgung, weshalb auch ihrer in diesem Rahmen gedacht werden soll. Es gibt allerdings, obwohl sie viele Jahre in Wiesbaden lebten, leider nur wenige Spuren, die von ihrem Leben in hier zeugen.

Judenhaus Wiesbaden, Hallgarter Str. 6, Danneboom
Stammbaum der Familie Danneboom
(GDB-PLS)

Julius Danneboom, Sohn des Ehepaars Marcus Joseph und Rachel Danneboom, geborene Trompetter, war am 20. Oktober 1864 in Emlichheim an der holländischen Grenze geboren worden.[1] Auch seine Eltern stammten aus diesem Grenzgebiet, die Mutter aus Beilen in den Niederlanden, der Vater aus Veldhausen in Deutschland.[2] Während Julius das jüngste Kind von insgesamt wohl sechs Geschwistern war, war seine Frau Regina, geboren am 29. November 1869, die älteste von ebenfalls sechs Kindern der Eheleute Abraham und Bertha Löwenstein, geborene Freudenberg, aus Verlar, einem kleinen Ort in der Nähe von Paderborn. Sie hatten am 19. November 1894 in Düren geheiratet und waren dann nach Amsterdam gezogen. Am 11. Dezember wurden sie in das dortige Melderegister eingetragen.[3] Hier wurde am 4. oder 5. Juni 1896 der Sohn Markus / Max geboren.[4] 1911 hatte sich die Familie in Düsseldorf niedergelassen,[5] wo sie möglicherweise bis zum Umzug nach Wiesbaden blieb.

Danneboom Julius, Danneboom Regina, Judenhaus Hallgarter Str. 6, Wiesbaden
Eintrag im Amsterdamer Melderegister

Im ersten Eintrag im Wiesbadener Adressbuch von 1915 ist als Beruf von Julius Dannebomm „Kaufmann“ eingetragen. Im zweiten Stock in der Hallgarter Str. 6 betrieb er zunächst eine „Filiale der Deutschen Bierleitungs-Reinigungsgesellschaft“, in den folgenden Jahren ändern sich die Berufsbezeichnungen, mal steht nur „Kaufmann“, dann „Agentur und Commission“, zuletzt „Vertretungen und Großhandel“ für Lebensmittel.[6]

Franzreb, Haas, Lerch, Krause SA-Männer Wiesbaden, Mord Max Kassel
SA-Leute, die Dannebooms unter Druck setzten
HHStAW 468 278

Gleich zu Beginn der NS-Diktatur waren Dannebooms in das Visier der örtlichen SA geraten. Bei einer der in den April- und Maiwochen des Jahres 1933 durchgeführten Razzien, die nicht nur dazu dienten politische Gegner in Angst und Schrecken zu versetzen, sondern auch als ganz banale Raubzüge der SA angesehen werden können, hatten vier SA-Leute, von denen zwei auch an dem Mord an Max Kassel beteiligt waren, auch Dannebooms aufgesucht. Unter ihrem SA-Truppführer Ernst Krause waren Johannes Lerch, Johann Haas und Hermann Elsenberger von ihrem vereinbarten Treffpunkt, ein Cafe in der Lahnstraße, aufgebrochen, um bei bekannten KPD-Leuten „Hausdurchsuchungen“ durchzuführen. Da man die eigentlich Gesuchten nicht angetroffen hatte, kam Krause auf die Idee zu dem ihm bekannten jüdischen Händler Noteboom zu gehen, um hier die bisher gescheiterte Aktion doch noch zu einem „erfolgreichen“ Ende zu bringen. Im Polizeiverhör, in dem der Mord an Max Kassel aufgeklärt werden sollte, gab der Beschuldigte Haas ausführlich Auskunft über diesen „Besuch“: „Diese Adresse [von Dannebooms – K.F.] wusste Krause. Auch hier blieb Krause in der Nähe des Hauses stehen und gingen wir wieder zu dritt hinauf. Krause hatte ein Fahrrad bei sich. In der Wohnung des Danneboom angekommen, klingelte Elsenberg (!) und fragte er das öffnende Dienstmädchen, wo Danneboom sei. Diese sagte, dass er sich aller Wahrscheinlichkeit noch im Lager, welches gegenüberliegen würde, aufhalte. Wir gingen dann gegenüber in das Haus und trafen wir im Geschäftsraum – Lagerraum  – des Danneboom 2 Frauen an, von denen die eine Frau Danneboom war. (…) Die Unterhaltung zwischen der Frau Danneboom und uns führte Elsenberger. Dieser fragte, wo ihr Mann sei und sagte die D., dass er fort wäre und sei er nicht anwesend. Auf ihre Frage, was wir wollten, antwortete Elsenberger, dass wir geschäftlich kämen. Wir waren alle in Zivilkleidung. Wir hatten auch keine Parteiabzeichen anstecken. Wir unterhielten uns nicht länger, sondern sind dann wieder fort.“ Wie Elsenberger in seinem Verhör ergänzte, hatten sie den Eindruck, dass Frau Noteboom „Verdacht geschöpft“ hatte. [7] Wieder zogen sie unverrichteter Dinge von dannen. Aber Geld fanden sie dann doch noch bei ihrem nächsten Opfer, dem jüdischen Reichsbannerführer Wolff, der in der nahe gelegenen Rüdesheimer Straße wohnte.[8]

An diesem Abend war ihnen nichts weiter passiert, aber Dannebooms wussten um die ständige Gefahr, der sie in Wiesbaden ab jetzt ausgesetzt sein würden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass es noch weitere, vielleicht sogar schlimmere Konfrontationen mit der SA oder anderen Nationalsozialisten gab. Dennoch blieben sie etwa fünf weitere Jahre in der Hallgarter Straße wohnen.

Erst gegen Ende 1938, so lässt sich dem Bericht einer im Jahr 1941 von der Devisenstelle angeordneten Devisenprüfung entnehmen, [9] waren die drei nach Holland ausgewandert. Sie hatten also nicht mehr erleben müssen, wie das Haus, das über so viele Jahre ihr Lebensmittelpunkt war, zum Judenhaus wurde.

Auf ihrem Weg nach Holland besuchten sie noch einmal Verwandte in Düren, zogen dann weiter nach Arnheim in ein Altersheim. „Heute u. morgen sind Tante Regina u. Julius hier, sie gehen Sonntag weiter nach Arnheim in ein Altersheim,“ schrieb Else Löwenstein, vermutlich die Schwägerin der beiden, an ihre Tochter Lotte Löwenherz am 31. Dezember 1938.[10] Kaum angekommen, verstarb Julius Danneboom am 26. Januar 1939 dort im Alter von 74 Jahren.

Das Geschäft in der Hallgarter Str. 6 war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch nicht liquidiert. Anders wäre nicht zu erklären, dass noch 1941 eine Devisenprüfung angeordnet wurde. In dem Bericht wurde festgehalten, dass die Firma noch Außenstände in Höhe von 1.385,86 RM habe, die einzutreiben dem Bankhaus Krier übertragen worden sei. Nach deren Angaben hatte ein einziger Schuldner in Monatsraten von dürftigen 3,- RM einen Teil seiner Verpflichtungen abgetragen. Die Übrigen waren sich wohl sicher, dass Schulden bei Juden in diesen Zeiten nicht mehr getilgt werden müssten, schon gar nicht, wenn sie das Land verlassen hatten. Ein Restguthaben von 109 RM auf einem Auswanderersperrkonto sollte nach dem Willen von Regina Danneboom einer jüdischen Wohlfahrtsorganisation zu Gute kommen. Dagegen erhob der Prüfer keine Einwände, hatten die Dannebooms Deutschland doch ohne jegliche Steuerschulden verlassen und solche Zuwendungen minderten letztlich auch die Soziallasten des deutschen Staates.[11]

Judenhaus Hallgarter Str. 6, Wiesbaden, Danneboom
Todesanzeige für Regine Danneboom
https://www.joodsmonument.nl/nl/page/536107/about-regina-danneboom-lowenstein

Nachdem die deutschen Truppen im Mai 1940 die Niederlande besetzt und die Jagd auf die dort lebenden Juden, Emigranten wie Einheimische, eröffneten, gerieten auch Regina Danneboom und ihr Sohn in die Fänge der Verfolger. Regina Danneboom wurde in das Lager Westerbork verschleppt, wo sie am 6. Februar 1943 im Alter von 73 Jahren ums Leben kam. Zwei Tage später wurde sie auf dem jüdischen Friedhof in Assen beerdigt. Der Sohn Max hat mit einer kleinen Todesanzeige versucht, die Erinnerung an sie wach zu halten.[12]

Ihm selbst blieb eine solche letzte Aufmerksamkeit versagt. In Arnheim, wo er gewohnt und als Kaufmann tätig gewesen war, lautete seine letzte bekannte Adresse im Jahr 1943 Amsterdamsche Weg 1-3. Es handelte sich hierbei um  ein jüdisches Krankenhaus, möglicherweise schon ein Sammelquartier für die Deportation. Zumindest stand er auf der Liste der am 9. März 1943 aus Arnheimer deportierten Juden. Sie waren zunächst in das im Januar 1943 zur Entlastung der Lager Amersfoort und Westerbork neu errichtete SS-Lager Herzogenbusch, das Kamp Vught, gebracht worden.[13] In diesem Lager verlieren sich die Spuren von Max Danneboom. Ob er schon dort umkam oder später in einem der Vernichtungslager im Osten, ist nicht bekannt.

Stand: 21. 03. 2019

 

 

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Anmerkungen:

 

[1] http://www.geschichtswerkstatt-dueren.de/juedische-mitbuerger-innen/article/781-danneboom. (Zugriff: 15.3.2019).

[2] Marcus Joseph Danneboom lebte von 1819 bis 1899, seine Frau Rachel von 1819 bis 1909. Die Stammbäume beider Familien lassen sich weitere Generationen zurückverfolgen, siehe https://www.genealogieonline.nl/stamboom-lehrer/I23671.php.  Zugriff: 15.3.2019).

[3] https://archief.amsterdam/138926hUyt3Yxr01/indexen/overgenomen_delen_1892-1920/zoek/query.nl.pl?i1=1&v1=Julius&a1=Danneboom&x=25&z=b#OGDA00151000018. Der Zugang zur Datenbank ist nur für registrierte Benutzer möglich.

[4] Ebd. bzw. http://www.geschichtswerkstatt-dueren.de/juedische-mitbuerger-innen/article/781-danneboom, (Zugriff: 15.3.2019).

[5] In Düren, wie auch später in Düsseldorf hatten sie zusammen mit Leopold Danneboom gewohnt, dem am 13.5.1861 ebenfalls in Emlichheim geborenen älteren Bruder von Julius.

[6] Siehe die Wiesbadener Adressbücher von 1915 bis 1935.

[7] HHStAW 468 424 (71), siehe auch die übereinstimmende Aussage von Elsenberger, ebd. (63). Sprachliche Fehler im Original.

[8] Siehe zu den Vorgängen in diesen Tagen und zu den Tätern ausführlich oben im Kapitel zu Yvonne Wiegand und ihrem Vater Max Kassel.

[9] HHStAW 519/3 28378 (3).

[10] Für den Hinweis auf diesen Brief möchte ich mich bei Herrn Bernd Hahne von der Geschichtswerkstatt Düren herzlich bedanken.

[11] HHStAW 519/3 28378.

[12] https://www.joodsmonument.nl/nl/page/30091/regina-danneboom-lowenstein (Zugriff: 15.3.2019).

[13] Die Information stammt von Dave Gerressen, siehe Genealogische Datenbank der Paul-Lazarus-Stiftung Wiesbaden. Die Liste selbst lag mir nicht vor.
Zum Lager Herzogenbusch in Nord-Brabant siehe Wachsmann, KL, S. 357 f. Im Lager waren zwischen Januar 1943 und September 1944, dem Zeitpunkt als die letzten Gefangenen abtransportiert wurden, mehr als 30.000 Gefangene inhaftiert. Neben dem Großteil jüdischer Häftlinge, waren dort auch etwa 12.000 politische Gefangene, Sinti und Roma, Kriminelle und Zeugen Jehovas interniert. Der jüdische Teil des Lagers war als eine Art Ghetto konzipiert, in dem die Juden selbst den Alltag organisierten. Sie durften sogar ihre Zivilkleidung tragen und auch den Familien war es trotz der Trennung gestattet, sich gegenseitig zu besuchen. Es gab intern Geschäfte und eine organisierte Essensverteilung, sogar Kontakte zu Anwälten oder Verwandten außerhalb waren möglich. Ein internes, von den Juden selbst organisiertes Rechtswesen unter Vorsitz eines ehemaligen Richters diente dazu, Konflikte untereinander zu entschärfen. Es habe – so Zeitzeugen – kaum Übergriffe der SS in den Lageralltag gegeben. All das erweckte den Eindruck, dass es dort im Vergleich zu den anderen Lagern „nur halb so schlimm“ sei – so ein ehemaliger Gefangener. Diese ganzen Maßnahmen dienten aber nur der Maskierung der tatsächlichen Funktion auch dieses Lagers. Nicht nur wurden etwa 750 Gefangene dort unmittelbar ermordet, alle übrigen Insassen wurden in mehreren Schüben deportiert und fast alle in den Vernichtungslagern in Osteuropa umgebracht.