Auch Aurelie Kahn, die im Dezember 1938 zwei Zimmer im Parterre des Judenhauses Adolfsallee 30 erhielt, gehörte zu deren sehr begüterten Bewohnern.[1] Aus der Formulierung ihrer Mitteilung an die Devisenstelle Frankfurt – „dass ich meine Wohnung gewechselt habe & jetzt Adolfsallee 30 part. wohne“ – geht nicht hervor, wodurch dieser Wohnungswechsel herbeigeführt worden war.[2] Der Zeitpunkt 27. Dezember 1938 spricht eher gegen eine offizielle Einweisung, zumal sie mit den Eigentümern des Hauses in einer verwandtschaftlichen Verbindung stand. Arnold Kahn, der das Haus gekauft, dann aber nach seiner Auswanderung in die USA an seine Schwiegereltern Felix und Jenny Kaufmann verkauft hatte, war der Sohn ihres Schwagers August Kahn und somit ihr Neffe. Wahrscheinlicher ist, dass sie sich durch die Einschränkungen ihrer finanziellen Spielräume zu diesem Schritt gezwungen sah. Zuvor hatte sie sich nämlich im „Palasthotel“ am Kochbrunnenplatz eingemietet, eine auf Dauer sicher eher kostenträchtige Wohnform. Seit wann sie dort wohnte, ist nicht bekannt.
1881 war die am 4. September 1860 im unterfränkischen Haßfurt geborene Tochter des Weinhändlers Josef Lichtenstetter und seiner Frau Nanny, geborene Müller, nach Wiesbaden gekommen.[3] Die Lichtenstetters, auch Lichtenstädter, gehörten zu den alteingesessenen Familien der jüdischen Gemeinde von Kleinsteinach, zu der auch die Haßfurter Juden zählten. Die ersten Spuren jüdischen Lebens reichen in diesem Raum bis ins 15. Jahrhundert zurück. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Kleinsteinach fast die Hälfte der Einwohnerschaft aus, ging aber dann zu Begin des 20sten Jahrhunderts allmählich auf etwa ein Viertel zurück. Ein Tuchhändler Hajum Jakob Lichtenstädter und auch ein Warenhändler Salomon Hajum Lichtenstetter tauchen im ersten 1817 erstellten Matrikel der Gemeinde auf.[4] Nicht ausgeschlossen ist, dass dieser Salomon Hajum der Großvater von Aurelie Lichtenstetter war. Im Sterbeeintrag ihres Vaters Josef Lichtenstetter, der später auch nach Wiesbaden gezogen war und hier am 8. Mai 1886 verstarb, ist zu lesen, dass dessen Vater ein Salomon Lichtenstetter gewesen sei, verheiratet mit Jette, geborene Sturm.[5]
Wie es kam, dass dessen Enkelin Aurelie am 5. Oktober 1881 ihren Ehemann Julius Kahn aus Wiesbaden in Darmstadt heiratete, obgleich die Wohnanschrift der Einundzwanzigjährigen zu diesem Zeitpunkt in Würzburg war, ist wohl nicht mehr zu klären.[6] Aus der Ehe von Julius und Aurelie Kahn gingen drei Töchter hervor, die alle in Wiesbaden zur Welt kamen. Nach Erna, geboren am 20. Juli 1885,[7] folgten noch Ilse und Minna Laura, am 28. Februar 1889 bzw. am 16. August 1893.[8]
Auch wenn Aurelie Lichtenstetter selbst keineswegs aus ärmlichen Verhältnissen kam, so bedeutete die Ehe mit dem Wiesbadener Fell- und Lederhändler Julius Kahn ganz sicher einen sozialen Aufstieg. Das Handelsgeschäft, an dem der Ehemann beteiligt war, hatten ursprünglich sein Vater Josef II und dessen Bruder Jakob Kahn gegründet, Söhne von Jonathan und Sarah Kahn, geborene Gallinger, aus Partenheim in Rheinhessen.
Die Gebrüder Kahn waren in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts nach Wiesbaden gekommen. Erstmals ist ein Joseph Kahn im Wiesbadener Adressbuch des Jahres 1870/71 verzeichnet, von Beruf Weinhändler, der damals zunächst in der Friedrichstr. 42 wohnte, dann aber in den folgenden Jahren in die Kirchgasse verzog.[9] 1873 kam dann auch der Rauchwarenhändler Jacob / Jakob Kahn nach Wiesbaden und erwarb das Haus in der Ellbogengasse 11, vermutlich nur angemietet war ein weiteres Etablissement in der Aarstr. 5. Eines der beiden Gebäude wird vermutlich nur als Lager gedient haben. 1875 ist dann im entsprechenden Adressbuch zu lesen, dass der Weinhändler Joseph Kahn, der inzwischen, wie auch sein Bruder Jakob, in die Kirchgasse 13 gezogen war, neben seinem Weinhandel Teilhaber der Lederhandelsfirma ‚Gebr. Kahn’ geworden war.
Während die Nachkommen von Jakob Kahn und seiner Frau Johanna, vom Weinhandel abgesehen, weitgehend ihrem tradierten Gewerbe treu blieben,[10] stiegen mehrere Kinder von Josef und Johanna Kahn auch in andere lukrativen Geschäftszweige ein. Auch sie betätigten sich weiterhin im Weinhandel, aber drei von ihnen investierten ihr Kapital in eine Ziegelei in Wiesbaden-Dotzheim und stiegen so zu sehr erfolgreichen Unternehmern in der Baubranche auf. Aber auch diese blieben zumindest teilweise weiterhin als Miteigentümer dem alten Familienunternehmen verbunden.
Die Familie von Josef II und Johanna Kahn
Wann und wo Josef Kahn und seine Frau Johanna, geborene Blatt, geheiratet hatten, ist nicht bekannt, aber beide stammten aus zwei unmittelbar benachbarten Gemeinden in Rheinhessen, er aus Partenheim, sie aus Jugenheim. In der Ehe wurden dem Paar im Laufe der Jahre zehn Kinder geschenkt.
Ihr erstes Kind war der am 11. August 1847 geborene Eduard, der in anderen Dokumenten, selbst in seinem Heiratseintrag, als Geburtstag immer den 12. August angab.[11] Schon früh, d.h. mit 18 Jahren hatte er sich offenbar zur Auswanderung in die Neue Welt entschlossen. Zumindest ist er in einem in Mainz erstellten Auswandererregister des Jahres 1866 registriert worden.[12] Wie lange er, sofern er die Reise damals überhaupt angetreten hatte, in den USA blieb, ist nicht bekannt. Gut ein Jahrzehnt später war er auf jeden Fall wieder zurück, wohnte in Kaiserslautern und war, wie seine Eltern und Brüder, im Fell- und Häutehandel tätig. Das ergibt sich aus seiner Heiratsurkunde, die am 18. März 1878 in Usingen, der Heimatstadt seiner Braut Sophie Hirsch ausgestellt wurde, in der er als Rauchwarenhändler bezeichnet wird. Sie, geboren am 13. Januar 1854 in Anspach im Taunus, war die Tochter des Handelsmanns Emanuel Hirsch und seiner Frau Liebeth, geborene Löb. Während die Tochter bei ihrer Mutter in Usingen in der Obergasse wohnte, lebte der Vater offenbar getrennt von den beiden in Anspach.[13]
Die Ehe von Sophie und Eduard Kahn war nur von kurzer Dauer, denn Sophie Kahn verstarb schon wenige Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes am 29. Dezember 1878 in Kaiserslautern.[14] Die Tochter Sophie Stephanie war dort am 20. Dezember geboren worden.[15] Offenbar war sie nach dem Tod ihrer Mutter von dem Witwer nach Wiesbaden in die Obhut von Verwandten gegeben worden, denn dort verstarb das Kind am 29. August 1879 ein knappes Dreivierteljahr nach dem Tod der Mutter.[16] Die in der Sterbeurkunde angegebene Adresse war die Kirchgasse 19, die inzwischen seit 1879 zugleich auch die Geschäftsadresse der Firma ‚Gebr. Kahn, Rauchwaren und Lederhändler’ und auch die Wohnanschrift von Jakob und Josef Kahn war.
Auch die Cousins Albert Kahn und Max Kahn, Söhne der beiden Lederhändler, betrieben damals von dort aus ihre Weinhandlung. Eduard, der Vater des verstorbenen Kindes, kam um das Jahr 1883/84 dann auch von Kaiserslautern nach Wiesbaden und wurde zunächst Prokurist in der Weinhandelsfirma von Max Kahn.
1889 scheint es dann eine Umstrukturierung in der Firma ‚Gebr. Kahn’ gegeben zu haben, denn ab diesem Jahr werden sowohl Eduard als auch Julius Kahn, der bisher nur allgemein als Kaufmann bezeichnet wurde, als Teilhaber des Unternehmens in den Adressbücher geführt. Möglicherweise hatten die beiden Seniorchefs damals die Firma an die nachfolgende Generation übergeben. Jakob Kahn verstarb am 9. Dezember 1893, sein Bruder Josef am 23. April 1896, beide in Wiesbaden.[17]
Während Eduard, das älteste Kind von Josef und Johanna Kahn, nach seinem vermutlichen Aufenthalt in Amerika wieder von dort zurückgekommen war, war Jacob Kahn, das am 23. September 1860 geborene achte Kind des Paares, nach seiner Auswanderung dort geblieben.[18] Dies erfährt man aus einem Antrag zur Ausstellung eines Reisepasses, den der Kaufmann 1893 in Chicago stellte. Er sei, so erklärt er darin, am 5. Oktober 1876, also mit 16 Jahren, von Liverpool aus in die USA eingewandert und lebe inzwischen als eingebürgerter Amerikaner seit 17 Jahren ununterbrochen in diesem Land. Den Pass benötige er für eine längere Reise, von der er aber nach wenigen Monaten wieder in die USA zurückkehren werde. Ob er die Fahrt alleine oder mit seiner Familie antreten wollte, geht aus dem Antrag nicht hervor, auch nicht der Zweck und das Ziele der Reise. Seine Familie bestand damals aus seiner Frau Minnie, die im November 1866 in St. Joseph in Missouri geboren worden war und den beiden Kindern Don und Reta. Im Februar 1886 war zunächst der Sohn, dann im November 1889 die Tochter in der Heimatstadt der Mutter zur Welt gekommen. [19] In seinem Antrag hatte Jacob Kahn angegeben, dass er früher auch in St. Louis gelebt habe. In den Unterlagen der US-Volkszählung von 1880 findet man einen Jacob Kahn im entsprechenden Alter, der damals bei einer Familie von Siegmund Platt in St. Louis wohnte. Es liegt nahe, dass der Junge, der bei seiner Auswanderung gerade mal 16 Jahre alt war, bei Verwandten der Mutter – Johanna, geborene Blatt – untergekommen war.[20]
Bertha, geboren am 19. April 1849 in Partenheim,[21] war das zweite Kind von Joseph und Johanna Kahn. Sie heiratete den Weinhändler Leopold Vogel aus der Heimatgemeinde der Mutter und zog mit ihm auch nach Wiesbaden, wo ihre acht Kinder geboren wurden. Deren Eltern erlebten die Zeit der NS-Diktatur nicht mehr, soweit bekannt, waren auch die meisten Kinder bereits verstorben oder konnten, wie etwa der 1870 geborene Moritz Vogel, fliehen. Nur von Hugo Vogel, geboren am 6. November 1877, weiß man, dass er von den Nazis ermordet wurde.[22] Es scheint sogar so zu sein, dass er eines der ganz wenigen Opfer der großen Familie Kahn war. Vermutlich kam er im Ghetto von Riga ums Leben, in das er am 19. Januar 1942 von Berlin aus deportiert wurde.[23]
Die zweite Tochter, die am 13. Juni 1857 geborene Florentina,[24] wurde nur ein knappes halbes Jahr alt. Sie verstarb bereits am 31. Dezember 1957 in Partenheim. Möglicherweise trifft das auch für den zehn Jahre später, am 3. August 1867 geborenen Sohn Salomon zu. In den Unterlagen der Volkszählung aus dem Mai 1939 ist er nicht mehr aufgeführt, sodass man davon ausgehen muss, dass auch er damals bereits verstorben oder ausgewandert war. Sein Schicksal bliebt bisher ungeklärt.
Geburtseinträge der drei Brüder Albert, Sigismund und Julius Kahn in Partenheim
Die übrigen Söhne von Josef und Johanna Kahn waren vermutlich zusammen mit den Eltern alle nach Wiesbaden gezogen, so auch der am 7. Oktober 1858 geborene August Kahn. [25] Er war aber anders als die anderen nicht in das väterliche Leder- und Häutegeschäft eingestiegen, sondern war Weinhändler geworden.[26] Am 29. Mai 1884 heiratete er in Offenbach am Main Hedwig Berg. Sie war dort am 12. Februar 1869 als Tochter des Bäckers Arnold Berg und dessen Frau Bertha Babette zur Welt gekommen.[27] Allerdings verstarb August Kahn laut einer Meldung des St. Josephs Hospitals in Wiesbaden schon am 28. Oktober 1895 im Alter von nur 37 Jahren.[28] Ob der frühe Tod durch Krankheit oder einen Unfall verursacht wurde, ist nicht bekannt. Zuvor waren dem Paar noch zwei Kinder geboren worden: Arnold am 1. Juni 1890 und Anna am 26. Juli 1893.[29] Die beiden Kinder, die so früh ihren Vater verloren hatten, wuchsen allein bei der Mutter auf. Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation heirateten beide später in bedeutende jüdische Familien ein, deren jeweiliges Schicksal auch mit den in Wiesbaden errichteten Judenhäusern verbunden war. Arnold Kahn heiratete Dorothea Kaufmann, die Tochter von Felix und Jenny Kaufmann, den Eigentümern des Judenhauses Adolfsallee 30, in das später Aurelie Kahn einzog. Ursprünglich hatte Arnold Kahn sogar selbst das Haus erworben, es aber vor seiner Emigration an seine Schwiegereltern verkauft. Seine Schwester Anna ehelichte Abraham Arthur Hamburger, den Cousin von Adolf Weyl, dem das Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 64 gehörte. Arnold und Anna Kahn gelang mit ihren jeweiligen Familien und auch mit ihrer Mutter Hedwig über den Umweg Kuba die Flucht in die Vereinigten Staaten.
Die Eigentümer der Ziegelei Eichbaum
Die übrigen Kinder von Josef und Johanna Kahn waren alle an der Firma beteiligt, die die Grundlage für deren weiteren gesellschaftlichen Aufstieg und ihr später sehr beträchtliches Vermögen bildete: die „Ziegelei Eichbaum“. Dieser Betrieb ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil sich in seinen Besitzstrukturen zugleich die familiären Beziehungen der Kahns untereinander widerspiegeln. Gegründet wurde die „Ziegelei Eichbaum“ am 24. Januar 1901 als GmbH. von Sigismund Kahn, dem am 18. März 1853 [30] geborenen älteren Bruder von Julius, und von Samuel Eichbaum aus Mainz mit einem Stammkapital von 100.000 RM, von dem beide jeweils die Hälfte bereitstellten.[31] Dass es zu dieser geschäftlichen Verbindung zwischen den Familien Kahn und Eichbaum kam, hatte vermutlich seinen Grund darin, dass Samuel Eichbaum der Ehemann von Helena Kahn war, der am 7. Dezember 1867 geborenen jüngeren Schwester von Sigismund, genannt Siegmund, Julius und Albert. Die beiden waren fünf Jahre vor der Firmengründung am 19. Mai 1886 in Mainz die Ehe eingegangen.[32]
Schon ein Jahr später war auch Julius Kahn in die Firma eingestiegen, zwar zunächst wohl ohne eigenes Kapital, dennoch war er damals sogar mit der Geschäftsführung betraut worden. In den Adressbüchern wird er aber auch weiterhin als Teilhaber der Firma ‚Gebrüder Kahn’ bezeichnet. Wiederum ein Jahr später änderte sich dann auch die Zusammensetzung der GmbH. Samuel Eichbaum stieg aus nicht bekannten Gründen aus dem Unternehmen aus. Er verstarb im Alter von 66 Jahren am 8. März 1916 in Mainz und wurde auf dem dortigen Jüdischen Friedhof begraben.[33] Er hinterließ nicht nur seine Frau, sondern auch eine Tochter namens Ida, die am 27. April 1887 geboren worden war.[34] Ob die beiden finanzielle Ansprüche an ihre Brüder bzw. Onkel aus dem früheren Mitbesitz an der Ziegelei hatten, ist nicht bekannt. Unabhängig davon war Ida vermutlich durch ihre Heirat mit Heinrich Jacobi im Jahr 1907 finanziell unabhängig, denn ihr Ehemann war ein Zigarrenfabrikant aus Mannheim. Die Firma gehörte damals aber wohl noch seinen Eltern Markus und Amalie Jacobi, geborene Neckarsulmer.[35]
Seit dem Ausstieg von Salomon Eichbaum wurde das Stammkapital nun von den drei Brüdern Siegmund, Albert und Julius Kahn gemeinsam gehalten, wobei Julius zusammen mit Albert die Geschäftsführung innehatte, beide aber jeweils nur ein Viertel des Stammkapitals besaßen. Zwar blieben die beiden auch weiterhin die Geschäftsführer, aber 1909 übernahm Julius die Hälfte des Stammkapitals und die beiden anderen Brüder teilten sich die andere Hälfte.[36]
Am 16. April 1918 starb Albert Kahn.[37] An seine Stelle trat die Witwe Ida Kahn, geborene Gottschalk, die den Gesellschafteranteil geerbt hatte.[38] Die im Dezember 1864 geborene Ida war die zweite Frau von Albert Kahn.[39] In erster Ehe war Albert Kahn mit Laura Lichtenstetter, der Schwester seiner Schwägerin Aurelie, verheiratet gewesen. Die am 2. Juni 1859 in Haßfurt geborene Laura war bereits am 2. Mai 1886 im Alter von nur 26 Jahren verstorben.[40] Die Familien waren also nicht nur durch die Kapitalgesellschaft, sondern auch durch die wechselseitigen Geschwisterehen eng miteinander verbunden. Aus der ersten Ehe war 1881 der Sohn Oskar hervorgegangen.[41] Am 29. Mai 1884 wurde ihnen dann auch noch die Tochter Hedwig geschenkt, die am 23. November 1905 in Wiesbaden den Kölner Handlungsreisenden Eugen Gottschalk heiratete und mit ihm in dessen Heimatstadt zog.[42] Auch die zweite Ehe mit Ida Gottschalk hatte einen Sohn hervorgebracht, den am 1. März 1891 in Wiesbaden geborenen Erich, der sich später in seinem amerikanischen Exil Eric nannte.[43] Am 9. Juni 1894 kam dann noch die Tochter Elisabeth ebenfalls in Wiesbaden zur Welt.[44]
Als am 3. September 1921 der ledig gebliebene Siegmund Kahn starb,[45] wurden die Gesellschafteranteile wieder halbiert, sodass Ida und Julius Kahn jeweils die Hälfte des Unternehmens besaßen.
Als Geschäftsführer trat nun an die Stelle von Siegmund Kahn der 31jährige Schwiegersohn von Julius Kahn, der aus Frankfurt stammende Diplom-Ingenieur, Architekt und Regierungsbaumeister a.D. Albert Heinrich Hess.[46] Alfred Hess war am 20. September 1875 in Frankfurt als viertes von fünf Kindern seiner Eltern Moritz Salomon und Karoline Hess, geborene Landauer, zur Welt gekommen. Am 28. Februar 1907 hatte er die älteste Tochter von Julius und Aurelie Kahn, Erna Kahn, geheiratet.[47] Das Paar wohnte in den ersten sieben Jahren nach der Eheschließung in einem der wunderschönen Häuser, in dem mit der Nummer 7, die dem Ensemble um die Ringkirche ihren besonderen Charakter verleihen. Schon damals war das Büro des Architekten aber am Luisenplatz gelegen, wo die Familie dann ab 1917 selbst wohnte, zunächst im Haus mit der Nummer 4, dann ab 1929 in der Nummer 2.
Beide Häuser hatte Albert Hess selbst entworfen und errichten lassen. Am Haus mit der Nummer 2 prangt noch heute im Putz der zur Rheinstraße gerichteten Fassade eine Inschrift mit dem Hinweis, dass er dieses Haus erbaut habe. Sie hat die Zeit der Nazis – vielleicht unentdeckt – unbeschädigt überdauert. 1910 ist der Regierungsbaumeister erstmals als Eigentümer der beiden Hausgrundstücke in den Adressbüchern eingetragen. Albert Kahn, der ältere Bruder seines Schwiegervaters, war bis etwa 1915 Miteigentümer des Hauses Luisenplatz 2. Von 1920 ist dann Julius Kahn bis 1931 als Miteigentümer des zweiten Hauses Luisenplatz 4 eingetragen.[48]
Die Ehe zwischen Erna Kahn und Albert Heinrich Hess war aus Sicht des Ziegelei-Unternehmens eine durchaus gute Wahl, denn Albert Heinrich Hess verfügte durch seinen Beruf und als ehemaliger Regierungsbaumeister sicher über viele Kontakte, die der Firma förderlich sein konnten. Er war zum Zeitpunkt, als er die Geschäftsführung der ‚Ziegelei Eichbaum’ übernahm, ein sehr beschäftigter Architekt, der vielfache Spuren auch im Stadtbild von Wiesbaden hinterlassen hat.[49] Wenn man sich zudem die Bedeutung vergegenwärtigt, die Backsteine und dementsprechend Ziegeleien für die Baugeschichte Wiesbadens im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten,[50] dann wird klar, woher das Vermögen der Kahns stammte.
Wie kein anderes Indiz spiegeln die unterschiedlichen Wohnadressen von Julius Kahn den gesellschaftlichen Aufstieg der Familie wider. Neun Mal war er mit seiner Frau in Wiesbaden umgezogen. Hatte die Familie, die erstmals 1882 im Wiesbadener Adressbuch vermerkt ist, zunächst noch in der sicher schon recht guten, aber keineswegs sehr guten Wohnlage zwischen Ring und Innenstadt gewohnt – von der Adelheidstr. 46, zog man in die Oranienstr. 24, dann in die Adolfstr. 10, weiter in die Nicolasstraße 33, die heutige Bahnhofstraße, – so lebte sie ab der Jahrhundertwende in der exklusiven Kurparkumgebung. Von 1902 an bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bewohnte sie das Haus Wilhelmstraße 10a bzw. 14, das Julius Kahn um die Jahrhundertwende erworben hatte, dann aber verkaufte.[51]
Von da an mieteten sie sich für nahezu weitere 10 Jahre in dem Haus in der Martinstraße 10 ein. Dieses Domizil lag schon ganz in der Nähe ihrer letzten selbst gewählten Unterkunft, der Beletage des Hauses Victoriastr. 9, die sie ab 1930 ebenfalls nur angemietet hatten.[52] Wer hier in einer der besten Lagen Wiesbadens wohnte, der verfügte in jedem Fall über die entsprechenden finanziellen Mittel. Aber nicht nur das repräsentative Gebäude an der ‚Rue‘, wie die Wilhelmstraße von den Wiesbadenern noch heute genannt wird, gehörte über viele Jahre zum Immobilienbesitz von Julius Kahn, er hatte auch das in der unmittelbaren Nachbarschaft, in der Friedrichstr. 8 gelegene mehrstöckige Haus mit Mittel- und Hinterhaus und einer großen Zahl von Mietern kurz nach der Jahrhundertwende erworben. Am 26. September 1923 war es dann auf den Namen der drei Töchter und deren jeweilige Ehemänner zu gleichen Teilen übertragen worden, allerdings mit einem lebenslangen Nießbrauchrecht für die Eltern.[53] An einem der beiden Gebäude seines Schwiegersohns am Luisenplatz war er, wie bereits erwähnt, seit 1920 ebenfalls beteiligt.
Die späteren Wohungen von Julius und Aurelie Kahn. Links die Martinstr. 10, rechts die Victoriastr. 9 heute
Eigene Aufnahme
Auch Albert Heinrich Hess selbst konnte seinen Immobilienbesitz in den zwanziger Jahren erheblich erweitern. Neben dem Wohnkomplex am Luisenplatz besaß er seit 1924 das Wohn- und Geschäftshaus Taunusstr. 19 und ab etwa 1929 auch die Immobilie Dotzheimer Str. 55.
Seit ihrem Umzug im vorausgegangenen Jahrhundert nach Wiesbaden war es der Familie Kahn gelungen, mit ihren Unternehmen und Immobilienerwerbungen ein beträchtliches Vermögen anzusammeln. Als die Zollfahndungsstelle Mainz im Juli 1938 eine Sicherungsanordnung für das Vermögen der Aurelie Kahn erwirkte, betrug dieses fast eine halbe Millionen Reichsmark, wovon allein die Wertpapierdepots bei der Deutschen und der Dresdner Bank sich auf nahezu 300.000 RM summierten.[54] Neben Hypothekenforderungen und normalen Bankguthaben war noch ein Produktivkapital von etwa 30.000 RM aufgeführt, wobei es sich dabei um den halben Anteil an der Ziegelei handelte.
Aber schon ab 1933 gingen die Umsätze der Ziegelei deutlich zurück und die eigenständige Ausführung von Bauaufträgen war dem Juden Albert Hess schon von diesem Zeitpunkt an verwehrt. Am 29. April 1935 wurde ihm dann die Mitgliedschaft in der „Reichskammer der bildenden Künste – Fachverband Baukunst“ mit der Begründung verweigert, dass er „als Nichtarier (…) die für die Erzeugung deutschen Kulturgutes erforderliche Zuverlässigkeit und Eignung nicht besitze(n)“, was ein faktisches und endgültiges Berufsverbot bedeutete.[55]
Am 4. Februar 1935 starb dann auch Julius Kahn im Alter von 79 Jahren,[56] der letzte aus der Gründergeneration des Unternehmens, und dies in einer Zeit, in der jüdische Betriebe mit allen Mitteln aus dem Wirtschaftsleben herausgedrängt wurden.
Möglicherweise war Aurelie Kahn kurz danach aus ihrer bisherigen Wohnung in der Victoriastraße in das gegenüberliegende Haus in der Frankfurter Straße 17 umgezogen.[57] Vermutlich stand ihr hier nur eine kleinere Wohnung zur Verfügung, denn im Entschädigungsverfahren gab die Tochter Hildegard an, dass sie nach dem Tod des Vaters gezwungen war „den vorhandenen Hausrat durch Auktionäre verschleudern zu müssen. (…) Der Erlös war außerordentlich gering. Es handelte sich um eine erstklassige Hauseinrichtung, die einen hohen Wert hatte.“[58] Damit begann nun die schrittweise Enteignung ihrer gesamten Habe.
Am 1. Oktober 1936 wurde die GmbH. aufgelöst und das Unternehmen liquidiert bzw. verkauft. Die Verkaufsabwicklung konnte der Geschäftsführer Albert Heinrich Hess nicht mehr bis zum Ende begleiten. Er verstarb bereits am 13. November 1937,[59] nur ein halbes Jahr nachdem auch seine Frau Erna verstorben war. Sie war nicht in Wiesbaden, sondern am 5. Februar 1937 in München verstorben,[60] Vermutlich hatte die damals an Krebs Erkrankte dort ihre Tochter Edith bzw. ihren Schwiegersohn, den Arzt Dr. Engel, aufgesucht, um im Endstadium ihrer Krankheit einen Mediziner ihres Vertrauens um sich zu haben. Sie und ihr Mann fanden ihre letzte Ruhe in dem Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof an der Platter Straße.
Käufer der Ziegelei war ein arischer Konkurrent, nämlich die ebenfalls in Dotzheim ansässige Ziegelei Adam u. Leonhard Weckwert. Auf welche Weise der Verkauf zustande kam, ob ein angemessener Preis dafür gezahlt wurde, ist nicht bekannt, darf aber bezweifelt werden. In einer Wertermittlung der Zollfahndungsstelle Mainz vom April 1938 wurde der Wert der Firma auf insgesamt 61.500 RM geschätzt, wobei hierin auch Konten und zwei wohl auf dem Grundstück stehende Häuser einbezogen wurden. Die Ziegelei selbst, vermutlich der Anlagewert, wurde mit 25.000 RM veranschlagt.[61]
Ob den beiden noch lebenden Eigentümerinnen, die Schwägerinnen Ida und Aurelie Kahn, der vereinbarte Kaufpreis noch ausgezahlt wurde, ist nicht sicher. Im Dezember 1938 war diese Summe noch nicht beglichen. Der als Liquidator eingesetzte Wirtschaftsprüfer Meisner teilte der Devisenstelle Frankfurt den Grund für die Verzögerung mit: „Die Liquidation ist beendet. In dem Anteil der Frau Aurelie Kahn an den vorgenannten Vermögenswerten der Gesellschaft befindet sich eine Forderung gegen die Herren A. und L. Weckert mit …12.746, 72 RM, die ich nicht einziehen kann, da die forderungsberechtigte Frau Aurelie Kahn Jüdin ist.“[62] Es ist anzunehmen, dass auch Ida Kahn die Auszahlung ihres Anteils verweigert wurde.
Auch dieser – im wahrsten Sinne des Wortes – „Liquidator“ war ein gut geschmiertes Rädchen im Getriebe der staatlichen Enteignung, denn er übermittelte mit der gleichen Post die Abtretungserklärung für die nicht geleistete Forderung an den Oberfinanzpräsidenten Kassel, sodass dieser anstelle von Aurelia Kahn Einzugsberechtigter wurde.[63]
Letztlich war es auch ohne Bedeutung, ob das Geld überwiesen wurde oder nicht, denn im Oktober 1938 hatte die Devisenstelle Frankfurt bereits die Sicherung des Vermögens von Aurelie Kahn angeordnet und nur die Erträge freigestellt.[64]
Das Innere des Palast-Hotels in den großen Zeiten der Kurstadt Wiesbaden
Genau in diese Zeit fällt ihr Umzug aus dem „Palast Hotel“ in das Judenhaus Adolfsallee 30.[65] Der monatliche Freibetrag, der im Dezember auf Antrag von Aurelie Kahn auf 1.500 RM festgelegt worden war, dann im Mai 1940 zwar auf 600 RM abgesenkt wurde, hatte aber zunächst das zehnfache von dem betragen, was die Nazis den ärmeren Juden zur Verfügung stellten. Durch die gemeinsame Not der Verfolgung wurden die traditionellen sozialen Unterschiede also keineswegs überdeckt oder gar aufgehoben.
In der Aufstellung vom Juni 1940 bezifferte sie ihr Vermögen auf 215.000 RM, aus dem sie jährliche Erträge von etwa 17.000 RM erziele.[66] Zu diesem Zeitpunkt war das ursprüngliche Vermögen durch den Zugriff des Staates schon erheblich dezimiert worden. 109.000 RM hatte Aurelie Kahn insgesamt als Judenvermögensabgabe aufzubringen, aber auch weitere Zahlungen, etwa an die Reichsvereinigung von mehr als 40.000 RM, sind hier dokumentiert. Auch ist hier die Zahlung der Reichsfluchtsteuer in einer Gesamthöhe von 112.000 RM aufgeführt Zwar ist hier nicht angegeben, für wessen Ausreise diese zu zahlen war, aber eigentlich kann es sich nur um die der Töchter mit ihren jeweiligen Ehemännern gehandelt haben.[67] Für Ilse und Wilhelm Neuburger war allerdings auch eine Grundschuld über 24.000 Goldmark auf das Haus Friedrichstr. 8 in Wiesbaden zu Gunsten des Deutschen Reiches, vertreten durch das Finanzamt München eingetragen. Sie diente der „Sicherung für Steuerrückstände, Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe und sonstige eventuelle noch anfallende Steuern“ des Paares. Das Pfandrecht war am 22. August 1940 dann gelöscht worden, die Summe offenbar gezahlt worden.[68]
In der 1940 von Aurelie Kahn abgegebenen Vermögenserklärung bezifferte sie ihren eigenen Bedarf auf monatlich etwa 820 RM. Als Ausgaben benannte sie Posten wie Friseur, Zeitung, Trinkgelder, Friedhofspflege, Fußpflege, Telefon und Geschenke. [69] Auch in dieser Aufstellung spiegelt sich die soziale Kluft innerhalb der Verfolgten wider.
Dass sie aber auch andere mit ihrem Geld unterstützte, ist zumindest durch einen Antrag über die Freigabe von zusätzlichen 1.900 RM aus dem gesicherten Guthaben bei der Deutschen Bank belegt, die sie fünf verschiedenen Personen zukommen lassen wollte.[70].
Der Antrag wurde zunächst abgelehnt, weil eine Begründung und eine genaue Adresse der Empfänger fehlen würde. Nur von Thea Lilienstein ist eine solche Begründung für ihre Bedürftigkeit in den Akten erhalten geblieben. Sie schrieb, dass sie bisher von Verwandten unterstützt worden sei, die aber inzwischen nach Litzmannstadt umgesiedelt wurden. Sie selbst verdiene als Hilfsarbeiterin – eigentlich Zwangsarbeiterin – bei der Firma Söhngen & Co. 42 RM im Monat und sei daher auf Hilfe dringend angewiesen.[71] Weder für sie, noch für die anderen genannten Personen ist verbürgt, dass sie jemals die Ihnen zugedachten Zuwendungen empfingen.
Aber nicht nur durch die Judenvermögensabgabe hat der Staat sich am Vermögen der Aurelie Kahn bereichert. Angesichts der für die Aufrüstung unbedingt erforderlichen Devisen, wurde auch sie schon im Sommer 1938 gezwungen, ihre ausländischen Wertpapiere innerhalb einer Woche der Reichsbank zum Verkauf anzubieten.[72] Auch hatte sie Wertgegenstände wie Pelze, Schmuck und andere Edelmetalle, deren Gesamtwert im Entschädigungsverfahren mit etwa 18.000 RM angegeben wurde, abzuliefern.[73]
Ein besonders dreister Griff in den Besitzstand erlaubte sich die „Reichsvereinigung der Juden“ noch kurz vor ihrem Tod. Aurelie Kahn hatte zuvor bereits Zahlungen von mehr als 20.000 RM an die Organisation geleistet. In den letzten Tagen ihres Lebens wurde sie dann durch ihren Vermögensverwalter aber noch zu einer Änderung des ursprünglich mit ihrem Mann Julius verfassten Testaments und einem Legat über 30.000 RM zugunsten der Reichsvereinigung veranlasst.
Wenn die Darstellung der Vorgänge, die im Entschädigungsverfahren vom Rechtsanwalt der leiblichen Erben vorgetragen wurde, richtig ist, dann handelt es sich um einen unglaublichen Vorgang, in den auch der renommierte Anwalt und Notar Buttersack eine sehr fragwürdige Rolle gespielt zu haben scheint:
„Am 29.1,1942, vierzehn Tage vor ihrem Tod, muss die Erblasserin, 82-jährig und so todsterbenskrank, dass sie – wie das notarielle Protokoll ausweist – durch Krankheit am Sprechen verhindert ist, vor dem Notar Dr. Buttersack erscheinen, wo in Anwesenheit von zwei herbeigerufenen jüdischen Zeugen auf der Schreibmaschine des Notars ein weiteres Testament der Erblasserin errichtet wird, dessen einziger Inhalt und Zweck es ist, der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Wiesbaden , eine größere Summe zu vermachen. Die Aussetzung eines solchen Vermächtnisses erscheint um so verdächtiger, als zunächst nur die Summe von 10.000,- vorgesehen war; die offensichtlich von der Hand des Notars vorgenommene Verbesserung auf Reichsmark 30.000,- lässt auf ein Verhandeln oder besser Handeln bei Errichtung dieses dubiosen Testaments (wenn nicht auf Schlimmeres) schließen. Wie allerdings mit der im wahrsten Sinne des Wortes sprachlosen Erblasserin verhandelt oder gehandelt worden sein soll, ist unvorstellbar! Eine höchst makabre Szene!. Offenbar ist hier die Erblasserin mit den ‚wohltätigen Zwecken’, denen das Vermächtnis zufließen sollte, hinter das Licht geführt worden. Denn im Jahre 1942, als die Deportation der Juden in die Vernichtungslager ihren Höhepunkt erreicht hatte, konnte der Notar wohl kaum mehr an die Wohltätigkeit der Zwecke glauben. Es spricht vielmehr die Vermutung dafür, dass gerade ihm als Notar bekannt war, welchen Zwecken die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland dient, nämlich vor allem der, den Juden ihr Vermögen zu entziehen. Offenbar hat sich der Notar hier zum Handlanger dafür hergegeben. Er hat die Erblasserin, die ja schon Tausende und Abertausende an Sonderabgaben geleistet hatte, also diese ihre Verpflichtungen in vollem Umfange erfüllt hatte, genötigt, eine letzte Sonderabgabe in Form eines Vermächtnisses zu Gunsten der Reichsvereinigung der Juden zu leisten.“[74]
Initiativ bei diesem Vorgang war der Testamentsvollstrecker des gemeinsam von Julius und Aurelia Kahn bereits im Jahr 1924 errichteten Testaments, der Buchrevisor Emil Thumann. Er war ursprünglich vom Gau-Rechtsamt der NSDAP in Frankfurt beauftragt worden, die Vermögensverhältnisse von Aurelie Kahn zu verwalten und dadurch bestens über die finanzielle Lage der Erblasserin informiert.[75]
Im ursprünglichen Testament waren eigentlich die drei Töchter als gleichberechtigte Erben vorgesehen gewesen. Ihnen, bzw. deren Kindern, war mit dem nachträglichen Legat ein beträchtlicher Teil ihres Erbteils entzogen worden. Aber nicht nur ihnen.
Nach dem Tod von Aurelie Kahn am 15. Februar 1942 – es handelte sich nach amtlichem Sprachgebrauch um einen „natürlichen“ Tod -,[76] erfolge ein Jahr später am 8. Mai 1943 der Vermögenseinzug.[77] Damit wäre selbstverständlich auch der „verschenkte“ Teil ohnehin in staatliche Hände gelangt. Hier ging es aber um die Beuteanteile. Kam der eingezogene Teil dem Fiskus zugute, so konnte die SS bzw. das RSHA, unter dessen Ägide die Reichsvereinigung operierte, auf solche Legate zugreifen und sie für ihre eigenen Zwecke nutzen.
Obwohl Aurelie Kahn mehr als drei Jahre im Judenhaus in der Adolfsallee 30 verbrachte, gibt es keine Zeugnisse über ihr dortiges Alltagsleben, über die Kontakte, die sie pflegte, über ihr Empfinden, ihre Sorgen und Ängste. Es ist auch nicht bekannt, ob die familiären Kontakte aufrechterhalten werden konnten. Vielen ihrer Nachkommen und näheren Verwandten war die Flucht gelungen, aber ganz sicher wussten viele bis lange nach dem Ende des Krieges nicht, welches Schicksal sie jeweils getroffen hatte, nicht einmal ob sie überlebt oder der Mordmaschinerie zum Opfer gefallen waren.
Die Enkelgeneration von Aurelie Kahn
Aus der Ehe von Erna und Albert Heinrich Hess waren die beiden Töchter Edith Marie, geboren am 27. März 1908 in Wiesbaden, und fast zehn Jahre später Hildegard Charlotte, geboren am 14. Mai 1917 in München, hervorgegangen.[78] Den beiden Töchtern, den Enkelinnen von Aurelie Kahn, war rechtzeitig die Flucht nach Palästina gelungen, was aber auch bedeutete, dass sie in den letzten Lebensjahren der Großmutter nicht mehr zur Seite stehen konnten.
Edith Marie hatte am 31. Mai 1928 noch in Wiesbaden den Biebricher Arzt Dr. Theodor Engel geehelicht, der am 25. Februar 1898 geborene Sohn des dort ansässigen Metzgers Rudolf Engel und seiner Frau Johanna, geborene Blatt.[79] Seit dem wohnten sie bis zu ihrem Umzug nach München im Haus der Eltern in der Friedrichstr. 8 – in einer 8-Zimmerwohnung -, in der Dr. Theodor Engel auch seine Arztpraxis eingerichtet hatte. Edith Engel, die im Entschädigungsverfahren ihren Beruf als Röntgenassistentin bezeichnet hatte, war schon in Wiesbaden als Helferin bei ihrem Mann tätig.[80] Kurzzeitig müssen sie dann noch in München gewohnt haben, von wo aus sie aber schon 1933 Deutschland verließen und über Paris im April 1934 nach Palästina gelangten,[81] Dort konnten beide nach erheblichen Einschränkungen in den Anfangsjahren ihre bisherige berufliche Tätigkeit fortsetzen. 1937 wurde ihnen der Sohn Joel geboren, der später in die Fußstapfen seines Vaters trat und Arzt wurde. Den Eltern war in Israel trotz des erfahrenen Leids noch ein langes Leben vergönnt. Beide verstarben im hohen Alter in Tel Aviv, Edith am 28. November 2004 im Alter von 96 Jahren, ihr Mann am 2. Mai 1990 im Alter von 92 Jahren.[82]
Auch ihrer Schwester Hildegard Charlotte, die sich später nur noch Hilde nannte, gelang über Umwege später die Auswanderung nach Palästina. In einem von ihr selbst verfassten Lebenslauf gab sie an, in Wiesbaden zunächst bis 1932 das Lyzeum I am Schlossplatz, dann noch für ein Jahr das Lyzeum II, die heutige Elly-Heuss-Schule, besucht zu haben. Ein weiteres Jahr wurde sie in der Internatsschule in Jugenheim an der Bergstraße unterrichtet.
Im Jahr der Machtübergabe an die NSDAP begann sie im Juni eine Lehre in dem großen Wäschegeschäft der Firma ‚Beckardt & Kaufmann’ in der Kirchgasse Ecke Friedrichstraße.[83] Schon bald waren die Firmenbesitzer aber gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben und Hilde Hess konnte ihre Lehre nicht mehr zu Ende bringen. Einen neuen Anlauf, um einen Lehrabschluss zu erhalten, machte sie bei der ‚Maschinenfabrik Wiesbaden’ in Dotzheim. Aber auch hier wurde sie als Jüdin bereits im September 1934 wieder entlassen. Beim dritten Versuch gelang es ihr, ihre Ausbildung abzuschließen und anschließend auch eine Anstellung in der Weinkellerei und dem Weinhandelsgeschäft ‚Engel, Steiner und Gebr. Simon’ in Wiesbaden zu erhalten. Von den jeweiligen Unternehmen erhielt sie bei ihrem erzwungenen Weggang immer ausgezeichnete Zeugnisse. Da aber in Palästina eher handwerkliche Fertigkeiten gefragt waren, erlernte sie damals zusätzlich den Beruf einer Friseuse, mit dem sie sich dort in den ersten Jahren tatsächlich über Wasser halten konnte.
Bereits in Vorbereitung auf die Emigration von Hilde Hess trennten sich die Schwestern von dem ererbten Haus in der Dotzheimer Str. 55. Am 23. September 1938 wurde im Beisein des Notars Buttersack ein Vertrag mit dem Bäckermeisterehepaar Schmitt abgeschlossen. 30.000 RM musste der Käufer, der bereits seit einigen Jahren in dem Haus wohnte und dort auch seine Bäckerei betrieb, zahlen. Allerdings übernahm er damit auch die auf dem Grundstück lastende Hypothek über 20.000 RM, sodass an die beiden Schwestern nur jeweils 5.000 RM auszuzahlen waren. Der Kaufvertrag wurde vom Regierungspräsidenten unter der Voraussetzung genehmigt, dass der Erlös auf ein gesichertes Konto eingezahlt würde.
Vor ihrer Auswanderung am 6. April 1939 heiratete sie am 2. November 1938 in Mainz den Buchdrucker Franz Rudolf Mayer. In den folgenden Monaten lebten sie dann zusammen auf der anderen Rheinseite. Ob Hilde Hess, jetzt Mayer, den Umzug beim Einwohnermeldeamt gemeldet hatte, ist nicht bekannt. Die Devisenstelle hatte sie in jedem Fall nicht davon unterrichtet, was eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre. Als diese Ende August 1939 von ihr eine aktuelle Vermögens- und Einkommenserklärung anforderte, ging der Brief zurück. Der Postbote hatte auf der Rückseite des Kuverts notier: „Empfänger verstorben“.
Das war zwar nicht der Fall, aber zu diesem Zeitpunkt hatte sie zusammen mit ihrem Mann von ihrem letzten Wohnsitz Mainz aus Deutschland längst in Richtung England verlassen. Erst im Januar 1940 gelang beiden dann die Weiterreise nach Palästina. Erst im Januar 1940 gelang beiden die Weiterreise nach Palästina. Das Paar wohnte damals in sehr beengten Verhältnissen in Tel Aviv zusammen mit der Familie von Hildas Schwester Edith Engels in der Hamanstr. 40.[84] Fünf Jahre nach der Ankunft in dem inzwischen zum Staat Israel ausgerufenen Land wurde die Ehe der Mayers geschieden. Noch im gleichen Jahr, am 5. August 1945, ehelichte Hilde den aus dem rheinhessischen Norheim stammenden Sally Strauss.[85] Am 18. Juni 1947 kam ihr einziges Kind, die Tochter Nurit zur Welt, die später Menachem Blustein heiratete, dessen Vorfahren aus Polen nach Palästina eingewandert waren. Nurit Blustein, die Urenkelin von Aurelie Kahn, hat inzwischen selbst eine Reihe Enkel und lebt noch immer in Israel, hat aber mehrfach Wiesbaden, die Heimatstadt ihrer Vorfahren, besucht – zuletzt im Dezember 2022 mit ihren Töchtern. Ihr Vater Sally Strauss verstarb am 10. Mai 1964 im Alter von 49 Jahren in Tel Aviv, seine Frau Hilde erst viele Jahre später am 11. Mai 2002.[86]
Die zweite Tochter von Julius und Aurelie Kahn, Ilse Kahn, hatte am 26. Dezember 1909 in Wiesbaden den Rechtsanwalt William / Wilhelm Neuburger geheiratet, der, wie auch die Mutter von Ilse, aus der Gegend um Haßfurt stammte.[87] Das Paar lebte aber wohl nur sehr kurz in Wiesbaden in der Wilhelmstr. 10a. Wie Ilse Kahn im Entschädigungsverfahren angab, wohnten sie ab 1910 bis zu ihrer Flucht im Jahr 1939 in München.[88] Als Freiwilliger war Wilhelm Neuburger schon 1896 in das bayrische Heer eingetreten und hatte dann während des Ersten Weltkriegs als Feldwebel an verschiedenen Schlachten an den verschiedensten Fronten teilgenommen. Dafür hatte man ihn mit dem Eisernen Kreuz, II. Klasse und einem bayrischen Orden, dem König-Ludwig-Kreuz, ausgezeichnet.[89] Angesichts dieser Militärbiographie wird man davon ausgehen können, dass es sich bei ihm um einen sehr national eingestellten Menschen gehandelt haben wird.
Noch bevor der Erste Weltkrieg begann, waren dem Paar der Sohn Michael Georg geboren worden. Michael kam am 7. Oktober 1914 in München zur Welt. Die Tochter Ellen wurde vermutlich erst im amerikanischen Exil geboren.[90] 1939 wurden die Eltern, allerdings ohne ihre Kinder, als Flüchtlinge in Großbritannien registriert.[91] Im folgenden Jahr, nachdem sie im November als Bürger des Feindstaats Deutschland von einer Internierung befreit wurden,[92] konnten sie am 12. April 1940 von Liverpool in die USA ausreisen.[93] Ihr Sohn Michael Georg war bereits im Jahr zuvor dorthin emigriert. Er war ebenfalls zunächst nach England gegangen, dann aber von Southampton auf der ‚Manhattan’ über Lissabon am 17. August 1939 in New York eingelaufen.[94] Von Oktober 1942 bis zum September 1945 diente er in der amerikanischen Armee. Das ermöglichte ihm im Juni 1943 in Florida, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er, der in den USA auch unter dem Namen Newburgh geführt wurde, bereits seine Frau Else geheiratete.[95] Ob das Paar Kinder hatte, ist nicht bekannt. Michael George hatte sich mit seiner Frau in Wichita in Kansas niedergelassen, hatte aber, wie diversen Passagierlisten zu entnehmen ist, vielfache Reisen, auch nach Europa, unternommen. Er verstarb am 31. Mai 1997 in den USA.[96]
Minnie Laura, die jüngste Tochter von Julius und Aurelie Kahn, hatte am 14. März 1913 in Wiesbaden den promovierten Juristen und Generaldirektor Julius Schülein geheiratet. Er war der Sohn von Josef und Ida Schühlein, geborene Bär.[97] Auch dieses Paar zog vermutlich im Jahr 1913 nach München. Schon ein Jahr vor der Schwester – abgemeldet hatten sie sich in München am 20. Dezember 1938 –[98] emigrierten auch sie in die USA, wo sie zunächst im Raum New York eine Bleibe fanden. Zwar blieb die Tochter Marian wohl kinderlos, der Sohn John aber hat eine ganze Reihe von Nachkommen, sodass auch diese Familie den Plan der Nazis, die Juden gänzlich auszulöschen, erfolgreich vereiteln konnte.[99]
Der Verkauf des Hauses Friedrichstr. 8
Nach der Ausreise der Kinder bzw. Enkel versuchte Aurelie Kahn in deren Namen das große Haus in der Friedrichstr. 8 zu verkaufen. Sie handelte dabei als Generalbevollmächtigte von Wilhelm und Ilse Neuburger, die sich, wie auch Minni und Julius Schühlein, bereits in den USA befanden. In Palästina lebten die beiden Enkelinen Edith und Hilde, die Töchter der verstorbenen Erna und Albert Hess. Ein Käufer bzw. genauer gesagt eine Käuferin war bereits gefunden. Wie nicht unüblich, handelte es sich um ein Ehepaar, welches durch die berufliche Tätigkeit dem NS-Staat eng verbunden war: Dr. Hans Quambusch, der Ehemann der Käuferin Irmgard Quambusch, diente dem NS-Staat in seiner Funktion als Oberstaatsanwalt. Da das Paar in Gütertrennung lebte, konnte diese Verbindung leicht kaschiert werden, indem nur die Ehefrau als Käuferin auftrat. Allerdings waren beide keine Mitglieder der NSDAP, wohl auch keine Anhänger der NS-Bewegung, dennoch bleibt die Rolle von Hans Quambusch umstritten. .
Am 18. Juli 1941 wurde im Beisein des Konsulenten Guthmann, des Rechtsanwalts Buttersack und Aurelie Kahn der Vertrag geschlossen, nach dem der Gebäudekomplex zum Preis von 117.000 RM verkauft werden sollte. Das entsprach zwar in etwa dem im Jahr 1935 festgestellten Einheitswert von 117.600 RM, unterschied sich aber nicht unerheblich von dem 1939 vom Feldgericht geschätzten Wert von 130.000 RM,[100] vom Verkehrswert ganz zu schweigen. Dass dieser auch von den Käufern weit höher veranschlagt war, ergibt sich daraus, dass sie zur Zahlung eines sogenannten Abgeltungsbetrags in Höhe von 52.500 RM verpflichtet hatten. Dieser Betrag war sozusagen der Beuteanteil des Staates bei diesem Geschäft. Im Kaufvertrag blieb er unerwähnt.[101]
Aurelie Kahn sollte von dem Erlös 54.000 RM, die Ehepaare der beiden Kinder jeweils 21.000 RM und die Enkelinnen jeweils 10.500 RM erhalten. Schon im Kaufvertrag war festgeschrieben, dass keiner der Verkäufer über das Geld würde verfügen können. Der Betrag für Aurelie Kahn war auf ein gesichertes Konto und das für die bereits Ausgewanderten auf ihr Auswanderersperrkonto einzuzahlen. Da eine Vertragspartei nichtarischer Rasse war, wurde das endgültige Zustandekommen des Abschlusses ausdrücklich von der erforderlichen behördlichen Genehmigung abhängig gemacht.[102] Und damit begannen die Probleme.
Dass die Regierung bzw. der Preußische Staat, ein Vorkaufsrecht für das Grundstück im Grundbuch eingetragen haben wollte, da es Überlegungen gab, die Grundstücke von der Friedrichstraße bis zum Schillerplatz aufzukaufen und mit Regierungsgebäuden neu zu bebauen, war das kleinste Hindernis. Einem solchen Eintrag wurde bereits im Sommer 1941 zugestimmt. Und man war sich auch sicher, dass „die noch zu hörende parteiamtliche Stelle hinsichtlich der Person der Käuferin (…) keine Bedenken“ [103] haben würde, sprich: bei ihr und auch bei ihrem Mann handelte es sich um Menschen, die zumindest nicht in offener Opposition zum NS-Staat standen. Das Problem waren vielmehr die Verkäufer und deren rechtlicher Status, mit dem zugleich die Frage verbunden war, ob sie überhaupt noch im Besitz der Immobilie waren. Die entscheidende Rolle spielte dabei die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, erlassen am 25. November 1941, durch die allen deutschen Staatsangehörigen, die das Land verlassen hatten oder zukünftig verlassen würden, die Staatsangehörigkeit entzogen werden konnte, was zugleich bedeutete, dass das Vermögen der Ausgereisten, zumeist Juden oder Oppositionelle, automatisch dem Reich verfiel. Hatten diese aber inzwischen eine andere Staatsbürgerschaft erworben, so kam es zu keinem Vermögensverfall, da man andernfalls befürchtete, das Auslandsvermögen deutscher Unternehmen oder Privatpersonen im Ausland könnte von den entsprechenden Regierungen ebenfalls eingezogen werden. Die Frage bezüglich des Hauses Friedrichstr. 8 bestand somit darin, ob die Verkäufer der Familie Kahn, also die drei Schwestern bzw. deren Kinder, bei Vertragsabschluss überhaupt noch Eigentümer der Immobilie waren.
Der Konsulent Guthmann hatte die Vermutung geäußert, dass die beiden nach Israel ausgewanderten Ehepaare dort die palästinensische Staatsbürgerschaft erworben hatten. Diese wurde, wenn auch völkerrechtlich nicht anerkannt, jedem Neuankömmling auf Antrag unmittelbar nach Ankunft ausgestellt. Als ausländische Staatsbürger konnten sie frei über ihr Vermögen verfügen, d.h. es verkaufen.[104] Es war nicht dem Reich verfallen, allerdings war es auf Grund der devisenrechtlichen Bestimmungen nicht möglich, das Geld problemlos außer Landes zu schaffen. Das eigentliche Hindernis für den Verkauf stellten die beiden in die USA ausgereisten Paare dar, die noch keine amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen. Ihr Zweidrittelbesitz an der Friedrichstraße war strittig. Zwar war der Vertrag vor Erlass der Verordnung zustande gekommen, und durch notarielle Beglaubigung am 1. August 1941 in den Besitz der Käuferin übergegangen,[105] aber die erforderliche Genehmigung durch die Behörden war bis zu diesem Termin noch nicht eingegangen. Auch war noch nicht geklärt, ob die beiden in den USA lebenden Eigentümerpaare durch die 11. Verordnung ihre Staatsbürgerschaft und damit ihre Eigentumsrechte am Haus verloren hatten.
Es begann eine sich über fast vier Jahre hinziehende Korrespondenz zwischen den verschiedenen Ämtern in den verschiedenen Städten. So war z.B. die Gestapo München und das Finanzamt München zuständig, wo die Ehepaare zuletzt gewohnt hatten, das Finanzamt Berlin Alt-Moabit und damit der Oberfinanzpräsident in Berlin waren zunächst grundsätzlich für Auslandsvermögen zuständig bis dies an die jeweiligen Oberfinanzpräsidenten, in diesem Fall Kassel, übertragen wurde. Dieses wiederum delegierte die Zuständigkeit an die jeweils örtlichen Finanzämter und die dort zuständigen Verwertungs- bzw. „Entjudungsstellen“. Auch das Finanzamt Mainz war eingebunden, weil das der letzte Wohnort des Ehepaars Mayer war. Erst im Januar 1943 stellte das ebenfalls involvierte RSHA in Berlin offiziell den Vermögensverfall für die Ehepaare Neuburger und Schühlein fest und beauftragte das Finanzamt München mit der Verwertung des Hauses in Wiesbaden.[106] Verschiedene Einsprüche der Käufer durch entsprechend juristisch geschulte Antragsteller, in denen es um die Frage ging, ob durch den damaligen Vertragsabschluss ein „klagbarer Anspruch auf Erfüllung“ erworben worden sei, füllt viele Seite der Akte. Im Juni 1943 beschied man in München gegenüber dem Vertreter der Käufer, dass dies nicht der Fall sei und der Vertrag daher nicht zustande gekommen und eine Umschreibung der Eigentumsverhältnisse im Grundbuch daher nicht möglich sei.[107] Am 20.oder 30. des gleichen Monats wurde – wie einem Schreiben aus der Nachkriegszeit zu entnehmen ist – die zweidrittel Anteile des Hausgrundstücks, der bisher den beiden in den USA lebenden Ehepaaren gehörte, im Grundbuch der Stadt Wiesbaden auf das Deutsche Reich übertragen.[108] Ebenfalls im Juni 1943, also zwei Jahre nach dem ursprünglichen Vertragsabschluss, beantragte das Finanzamt Wiesbaden in München, ihm die Verwertung der Immobile zu übertragen, was auch geschah. Aber die Käufer blieben bei ihrer Rechtsauffassung und beantragten erneut eine Überprüfung des Sachverhalts beim Oberfinanzpräsidenten in Kassel. Am 19. Januar 1944 entschied der erneut, dass der Vertrag keine Gültigkeit habe.[109] Um so erstaunlicher ist dann die Mitteilung des Oberfinanzpräsidenten Kassel – auf den Tag genau ein Jahr später -, dass der Reichsminister am 8. Januar 1945 per Erlass doch die Genehmigung zum Verkauf der Friedrichstr. 8 erteilt habe und „Weiteres zu veranlassen“ sei.[110]
Vielleicht ist diese Kehrtwende dann aber doch nicht so erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Nazi-Staat kurz vor seinem Zusammenbruch stand und versuchte, noch alle nur erdenklichen finanziellen Mittel zusammen zu kratzen. Im Februar 1945 erhielt dann der vor fast vier Jahren abgeschlossene Kaufvertrag mit der Zustimmung des Oberfinanzpräsidenten seine Gültigkeit,[111] zu einer Umschreibung und somit zu einem rechtskräftigen Eigentumswechsel kam es angesichts des ausbrechenden Chaos nicht mehr. Nach der Übertragung des Teils auf das Deutsche Reich wurde kein weiterer Besitzwechsel dort verzeichnet.[112] Als die US-Truppen in Wiesbaden eintrafen wurde auch das Gebäude in der Friedrichstr. 8 von der Militärregierung beschlagnahmt.
Nicht ganz klar ist, wer all die Jahre den Nutzen aus dem Haus gezogen hat, vermutlich war es für lange Zeit die Käuferin, die aber nie wirklich Eigentümerin war. In einem Schreiben der für das Haus zuständigen Verwaltung an den für die Verwertung jüdischen Eigentums zuständigen Oberinspektor Schreck vom 18. September 1944 heißt es: „Sie gaben mir vor Monaten mündlich die Anordnung die Überschüsse aus dem Hause Friedrichstrasse 8, bis zur Klärung der Hauskaufsangelegenheit nicht mehr an die Erwerberin (…) auszuzahlen.“ Leider fehlt eine zeitliche Angabe, wann die Anordnung ergangen war. Der Verwalter reklamierte, dass er keine schriftliche Bestätigung dafür erhalten hatte und schrieb, dass er ohne eine solche, die Erträgnisse wieder der Erwerberin zukommen lassen würde.[113] Vermutlich hatten beide, Staat und Erwerber, zumindest über einige Jahre ihren Nutzen aus dem Raub des jüdischer Vermögens gezogen.
Am 17. November 1948 beantragten die ehemaligen, ins Ausland geflohenen Eigentümer des Hauses Friedrichstr. 8 erfolgreich die Rückerstattung ihres ehemaligen Besitzes. Am 24. Januar 1950 war der entsprechende Beschluss gefasst worden. [114]
Auch Ida Kahn, geborene Gottschalk, die Witwe des Weinhändlers Albert Kahn, gelang im Februar 1939 noch die Flucht nach Bombay. Hier traf sie auf ihren Sohn Erich, der Deutschland schon im August 1933 alleine, ohne seine Familie verlassen hatte. Dr. med. Erich Kahn hatte zuvor Medizin studiert und besaß eine Praxis in Dresden, als er am 24. März 1921 die Berliner Arzttochter Marie Neumann, geboren am 11. Februar 1898, dort heiratete.[115] Während in Dresden zunächst am 12. April 1922 die gemeinsame Tochter Lieselotte zur Welt kam, wurde ihr Bruder Peter Albert am 25. August 1927 in Wiesbaden geboren.[116] Nach seiner frühen Flucht konnte Dr. Erich Kahn noch im selben Jahr in Bombay eine neue Praxis eröffnen. Im Februar des folgenden Jahres kam seine Frau mit dem 7jährigen Sohn Peter Albert nach, während die Tochter möglicherweise mit einem Kindertransport in England in Sicherheit gebracht wurde.[117]
Bombay war für Ida Kahn nur eine relativ kurze Zwischenstation. Von dort gelangte sie im November 1939 über Manila noch vor dem Eintritt der Amerikaner in den Weltkrieg in die USA,[118] wo sie im März 1940 einen Antrag auf Einbürgerung stellte. Ihr Sohn Eric war, so ist diesem Antrag zu entnehmen, mit seiner Familie in Bombay geblieben,[119] aber Ida Kahns Tochter Elisabeth, jetzt Elizabeth, lebte damals schon in Kalifornien.[120] Sie hatte am 1. Januar 1920 in Wiesbaden den dort geborenen, aber inzwischen in Hamburg lebenden Kaufmann Adolf Floersheim geheiratet.[121] Offensichtlich hatten sie sich nach ihrer Hochzeit auch in der norddeutschen Hafenstadt niedergelassen, denn dort wurden auch ihre beiden Söhne geboren, Heinz Albert am 19. Oktober 1920, Hanns am 11. Dezember 1922.[122] Sie waren bereits im Oktober 1937 von Southampton auf dem Schiff ‚Aquitania’ nach New York gekommen, dann aber an die Westküste weitergezogen.[123]
Auf dem Schiff befand sich auch der Bruder von Adolf Flörsheim, Julius Flörsheim, mit seiner Frau Ella und der Tochter Marion.[124] Der Bruder hatte als Kontakt in New York einen Cousin Benjamin Rosenthal angegeben, Adolf Flörsheim mit seiner Familie eine Mrs. Spier in Los Angeles. Man kann mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich hierbei um die dort lebende Elisabeth Frank, verheiratete Spier, handelte, die wie die Familie Flörsheim vor ihrer Emigration in Hamburg gelebt hatte. Lizzy Spier, wie sie sich in den USA nannte, stammte ursprünglich auch aus Wiesbaden, war die Tochter von Albert Frank und zumindest formal sogar die Eigentümerin des Judenhauses Alexandrastr. 6. Im Jahr 1940, als in den USA ein Zensus durchgeführt wurde, lebte auch die Familie Flörsheim in Los Angeles. Die beiden Söhne von Adolf und Elizabeth Flörsheim waren jetzt 19 und 17 Jahre alt und nannten sich jetzt Henry und Warner.[125]
Elisabeth Flörsheim verstarb im Mai 1971 in Los Angeles, ihr Mann war damals schon seit zwanzig Jahren tot. Er war am 26. Juli 1951 ebenfalls in der Kalifornischen Metropole verstorben. [126]
Die Opfer des Holocaust
Es ist bei einer so großen und weitverzweigten jüdischen Familie schon außergewöhnlich, dass selbst im weiteren Familienkreis fast keine Opfer des Holocaust zu betrauern waren. Neben Hugo Vogel, dem Sohn von Leopold und Bertha Vogel, geborene Kahn, gehörte aber auch Helene Eichbaum, geborene Kahn und die Witwe von Salomon Eichbaum, dem Mitbegründers der Ziegelei, zu dem Ermordeten. Sie war als Nummer 437 mit dem Transport XVII/1 am 27. / 28. September 1942 mit fast 1300 weiteren fast ausschließlich älteren Opfern aus verschiedenen Gemeinden des ehemaligen Volksstaats Hessen über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert worden.[127] Am 10. August 1945, nachdem die Tochter Ida in ihrem amerikanischen Exil vom Schicksal ihrer zurückgebliebenen Mutter erfahren hatte, schaltete sie in der Zeitung ‚Aufbau’ eine Todesanzeige zum Gedenken an sie.[128]
Ida selbst war erst am 18. Februar 1942 von Marseille kommend über Lissabon in die USA eingereist. Wie lange sie sich schon in Frankreich aufgehalten hatte, ist nicht bekannt. Aber Idas Ehemann Heinrich Jacobi war im Oktober 1940 dort inhaftiert und in das berüchtigte Lager Gurs überstellt worden. Am 22. Oktober 1940 sollte er deportiert werden – wohin ist nicht bekannt. An den Folgen von Misshandlungen, vermutlich während des Transports, verstarb er zwei Tage später am 24. im etwa 150 Kilometer südwestlich gelegenen Montrejeau in der Provinz Haute Garonne.[129]
Auf der Todesanzeige sind auch Idas Tochter Marianne und deren Kinder erwähnt. Bei ihnen wohnte die Mutter 1942, als sie in Kalifornien ihren Antrag auf Einbürgerung stellte. Marianne Jacobi war am 27. November 1908 in Mannheim geboren worden, hatte am 2. Dezember 1930 in Mannheim Jakob Wolff geheiratet und war mit ihm zusammen nach Hamburg gezogen. Dort waren ihre beiden Kinder Robert Michael und Ruth Dorothea zur Welt gekommen, er am13.Oktober 1931, sie am 9. August 1934. Die erfolgreiche Flucht der Familie in die USA startete am 11. Mai 1938 in Rotterdam. Nach etwa sechs Wochen betraten sie am 24. Juni 1938 in San Francisco amerikanischen Boden.[130] Jakob, amerikanisiert Jack Wolff verstarb im Raum Oakland am 9.Juli 1950, seine Frau Marianne am 28. Juni 2007. Sie hatte sogar die beiden Kinder überlebt, denn Ruth verstarb bereits am 27.Mai 1996, ihr Bruder am 15. November 2004.[131]
Veröffentlicht: 30. 11. 2017
Letzte Revision: 16. 12. 2022
Anmerkungen:
[1] Die Angabe, dass sie bis zuletzt 2 Zimmer bewohnte ergibt sich aus einer Aufstellung der finanziellen Verpflichtungen an ihrem Todestag. Es heißt dort, dass sie die Miete von 86,50 RM für die Miete im März 1942 für 2 Zimmer schuldig geblieben war., HHStAW 518 21339 (26).
[2] HHStAW 519/3 3649 (16).
[3] HHStAW 518 21339 (1) Angabe der Töchter Ilse Neuburger, geborene Kahn, und Minna Laura Schülein, geborene Kahn, im Entschädigungsantrag. Das Geburtsdatum ist mehrfach verbürgt, siehe z.B. Heiratsregister Darmstadt 200 / 1881.
[4] https://www.alemannia-judaica.de/kleinsteinach_synagoge.htm. (Zugriff: 27.12.2021). Zum jüdischen Leben in Kleinsteinach siehe auch https://www.museum-kleinsteinach.de/index.html. (Zugriff: 27.12.2021).
[5] Sterberegister Wiesbaden 383 / 1886.
[6] Heiratsregister Darmstadt 200 / 1881. Wieso die Ehe in Darmstadt geschlossen worden war, ist nicht klar, denn laut der Heiratsurkunde wohnte zum Zeitpunkt der Eheschließung Julius Kahn in Wiesbaden, Aurelie in Würzburg.
[7] Geburtsregister Wiesbaden 800 / 1885 Im gleichen Jahr kamen die Eltern von Aurelie Kahn nach Wiesbaden. Joseph Lichtenstetter verstarb hier schon bald danach im Jahr 1886, seine Frau Nanny erst 1904, siehe Sterberegister Wiesbaden 383 / 1886 und 1503 / 1904.
[8] Geburtsregister Wiesbaden 256 / 1889 und 1210 / 1893. Am 12.10.1891 war noch ein Junge geboren worden, der aber nach 6 Stunden namenlos verstarb, siehe Sterberegister Wiesbaden 1013 / 1891.
[9] Ob die jährlich wechselnden Hausnummern Umzüge oder eine Neubebauung der Straße bedeuteten, konnte nicht festgestellt werden.
[10] Siehe zu diesem Familienzweig ausführlich das Kapitel über die Gebrüder Kahn in der Bearbeitung des Judenhauses Adolfsallee 24.
[11] Geburtsregister Partenheim 29 / 1847, dazu Heiratsregister 29 / 1847, dazu Heiratsregister Usingen 5 / 1858.
[12] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7507/images/41521_ausw1865186902-00143?treeid=&personid=&hintid=&queryId=1e72ac8ef647c186134264ba932619ff&usePUB=true&_phsrc=Ekt4127&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=4222. (Zugriff: 27.12.2021).
[13] Heiratsregister Usingen 5 / 1878. Trauzeuge war der damals in Wiesbaden lebende Leopold Hirsch, ein Bruder von Sophie.
[14] https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/119380228/person/162251234225/facts?_phsrc=svo904&_phstart=successSource. (Zugriff: 30.10.2022).
[15] Sterberegister Wiesbaden 158 / 1879.
[16] Ebd.
[17] Sterberegister Wiesbaden 1454 / 1893 und 407 / 1896.
[18] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1242980:1174?tid=&pid=&queryId=ee727ca41f5856c8a4f04fa9a7726405&_phsrc=Ekt4217&_phstart=successSource. (Zugriff: 27.12.2021).
[19] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1242980:1174?tid=&pid=&queryId=9c061271fa5370a51a696038cb9a773c&_phsrc=Ekt4144&_phstart=successSource. (Zugriff: 27.12.2021) und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/45277630:7602?tid=&pid=&queryId=1471e7056ae74d6cf47a2a084c71cff7&_phsrc=Ekt4186&_phstart=successSource. (Zugriff: 27.12.2021). Die Familie von Jacob Kahn findet sich auch in den Unterlagen der Volkszählung von 1900.
[20] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/26037710:6742?tid=&pid=&queryId=697681e25007c89c86eec228135354c0&_phsrc=Ekt4162&_phstart=successSource&nreg=1. (Zugriff: 30.10.2022).
[21] Geburtsregister Partenheim 12 / 1849.
[22] Zum Schicksal der Familie Vogel siehe ausführlich das Kapitel über Emmy Vogel, Bewohnerin des Judenhauses Bahnhofstr. 25.
[23] https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11648702&ind=1. (Zugriff: 27.12.2021).
[24] Geburtsregister Partenheim 16 / 1857.
[25] Geburtsregister Partenheim 34 / 1858.
[26] Die Weinhandlung lag im Haus in der Adelheidstr. 16, in der später auch Ida Kahn, die Witwe von Albert Kahn, und Siegmund Kahn wohnten.
[27] Heiratsregister Offenbach / Main 105 / 1884.
[28] Sterberegister Wiesbaden 1187 / 1895.
[29] Für Arnold Kahn siehe Geburtsregister Wiesbaden 722 / 1890, für Anna Kahn Geburtsregister Wiesbaden 1120 / 1893.
[30] Geburtsregister Partenheim 9 / 1853.
[31] HHStAW 469/33 1098 (6). Vermutlich ist der Sohn von Joseph und Johanna Kahn identisch mit dem seit 1874 in den Adressbüchern aufgeführten Siegmund, der als Weinhändler zunächst in der Schwalbacher Str. 33, später in der Moritzstr. 15 wohnte. Dieser Siegmund Kahn avancierte in den 80er Jahren zum „Hoflieferanten seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Carl von Preußen“. 1900 wird er zunächst nur noch als Kaufmann, im folgenden Jahr dann als Geschäftsführer der ‚Ziegelei Eichbaum’ geführt.
[32] Heiratsregister Mainz 207 / 1886. Seine Eltern waren Mendel und Jeanette Eichbaum, geborene Heymann, die zuletzt in Gunzenhausen gelebt hatten, wo auch ihr Sohn am 25.7.1849 geboren worden war. Siehe auch https://jl-gunzenhausen.de/de/eichbaum-leopold.html, (Zugriff: 27.12.2021), zu den Geschwistern von Samuel Eichbaum.
[33] https://de.findagrave.com/memorial/179271093/samuel-eichbaum. (Zugriff: 27.12.2021).
[34] Geburtsregister Mainz 672 / 1887. Im Geburtseintrag ist der Beruf des Vaters jetzt als Schuhfabrikant angegeben. Möglicherweise war der Umstieg in diese Sparte auch der Grund dafür, dass Samuel Eichbaum sich aus der Ziegelei zurückgezogen hatte.
[35] Heiratsregister Mainz 710 / 1907. Die Ehe war am 14.11.1907 in Mainz geschlossen worden.
[36] HHStAW 469/33 1098 (43).
[37] Sterberegister Wiesbaden 553 / 1918.
[38] HHStAW 469/33 1098 (57).
[39] In der Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden ist ihr Geburtstag mit dem 12.12.1864 angegeben, in ihrem Antrag zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft gab sie den 21.12.1864 an, der Geburtsort war aber in jedem Fall Essen, wo nach ihren Angaben am 12.3.1809 (!) auch die Hochzeit stattfand. Vermutlich handelt es sich um einen Schreibfehler und soll 1890 heißen, denn ein Jahr später wurde ihr Sohn Erich in Wiesbaden geboren.
[40] Sterberegister Wiesbaden 369 / 1886.
[41] Geburtsregister Wiesbaden 927 / 1881. Sein weiteres Schicksal konnte nicht geklärt werden.
[42] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden und Heiratsregister Wiesbaden 952 / 1905
[43] Geburtsregister Wiesbaden 330 /1891. Ob es sich bei der zweiten Ehefrau um eine Verwandte von Hedwigs Ehemann Eugen Gottschalk handelte, konnte nicht geklärt werden.
[44] Geburtsregister Wiesbaden 907 / 1894.
[45] Sterberegister Wiesbaden 1067 / 1921
[46] Heiratsregister Wiesbaden 107 / 1907. Dazu HHStAW 469/33 1098 (61, 70, 72) und Information von Nurit Blustein
[47] Heiratsregister Wiesbaden 104 / 1907, dazu HHStAW 518 15240 (15). Heiratsregister Wiesbaden 104 / 1907, dazu HHStAW 518 15240 (15). Beide Herkunftsfamilien von Albert Heinrich Hess lassen sich weit zurückverfolgen. Die väterliche Linie führt zurück auf den am 14.8.1763 in Sossenheim geborenen Mayer Rosenstein, der mit Dorothea Levy aus Kronberg verheiratet war. Heiratsregister Wiesbaden 104 / 1907, dazu HHStAW 518 15240 (15). Beide Herkunftsfamilien von Albert Heinrich Hess lassen sich weit zurückverfolgen. Die väterliche Linie führt zurück auf den am 14.8.1763 in Sossenheim geborenen Mayer Rosenstein, der mit Dorothea Levy aus Kronberg verheiratet war. Seine Mutter, eine geborene Landauer war die Cousine von Paul Cantor, Bewohner des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 65., eine geborene Landauer, war die Cousine von Paul Cantor, Bewohner des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 65.
[48] Wie groß die jeweiligern Kapitaleinlagen waren, wurde im gegebenen inhaltlichen Zusammenhang nicht ermittelt. Ab 1920 war Oskar Kahn, der Sohn von Albert Kahn, in das Haus Luisenplatz 2 eingezogen. Ab 1920 bewohnten mit Hans und Alice Keiles weitere prominente jüdische Bürger das Haus von Alfred Hess am Luisenplatz 4: Hans Keiles war der Sohn von Issak und Martha Keiles, und späterer Miteigentümer der deutschlandweit bekannten Zigarettenfabrik Keiles. Siehe zur Familie und zum Unternehmen Keiles, Müller-Dannhausesn, Keiles, zu Hans und seinen Wohnverhältnissen i. B. S.25 ff. Bereits 1913 ist erstmals die noch in der Nachkriegszeit dort ansässige Buchhandlung Schwaedt als Mietpartei im Eckhaus mit der Nummer 4 registriert.
[49] Eine Aufstellung wichtiger Bauaufträge befindet sich in HHStAW 518 15240 (26 f.). Zur Ausschaltung aus der Berufstätigkeit siehe ebd. (29).
[50] Siehe dazu den Artikel „Ziegeleien“ von Michael Knoll im Stadtlexikon der Stadt Wiesbaden. Seinen Angaben nach gab es um 1900 im Stadtgebiet von Wiesbaden 22 Ziegeleien. Wiesbaden – Stadtlexikon, Wiesbaden 2017 S. 1016.
[51] Käufer war die Diskontgesellschaft, aus der später die Deutsche Bank hervorgegangen ist.
[52] Die Angaben beruhen auf den Wiesbadener Adressbüchern der Jahre 1882 bis 1939. Das Haus Wilhelmstraße 10a erhielt durch einen Neubau in der Straße um 1910 die neue Nummer 14. Das Haus Victoriastr. 9 ist zusammen mit dem spiegelbildlichen Pendant des Hauses mit der Nr. 7 aus künstlerischen und städtebaulichen Gründen in die Liste der Wiesbadener Kulturdenkmäler aufgenommen. Über die beiden Gebäude ist zu lesen, dass sie weniger durch den Detailreichtum der Fassaden, als durch ihre „blockhafte Geschlossenheit“ eine gewisse „Klassizität“ ausstrahlen würden und „als Ensemble (…) von bereichsprägender Wirkung“ seien. Siehe Denkmaltopographie – Kulturdenkmäler in Hessen, Wiesbaden, Bd. Wiesbaden II, Villengebiete, S. 220.
[53] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 85 Bl. 1278 Innen
[54] HHStAW 519/3 3649 (1).
[55] HHStAW 518 15240 (18).
[56]Sterberegister Wiesbaden 191 / 1935.
[57] Dies würde die Doppelnennung von Aurelie bzw. Amalie Kahn im Jüdischen Adressbuch von 1935 erklären. Dass es sich hier um die identische Person handelt, ist sehr wahrscheinlich, denn in beiden Fällen wird ihr Mädchenname mit Lichtenstetter angegeben. Die Amalie Kahn in der Frankfurter Str. 17 wird als Witwe, die Aurelie Kahn in der Victoriastr. 9 als Frau von Julius Kahn bezeichnet.
[58] HHStAW 518 15240 (8).
[59] Sterberegister Wiesbaden 1722 / 1937. Abweichend davon ist in HHStAW 518 15240 (8) sein Todestag mit dem 14.11.1937 angegeben.
[60] Sterberegister München 228 / 1937, siehe auch die Begräbnisliste des Jüdischen Friedhofs Platter Straße, HHStAW 365 916, demnach war sie am 8.2.1937 eingeäschert worden und am 12.2.1937 fand dann die Beisetzung der Urne statt.
[61] HHStAW 519/3 3649 (3).
[62] HHStAW 519/3 3649 (13) Im Mai 1939 meldete Meisner dem Wiesbadener Amtsgericht, dass die Liquidation noch immer nicht beendet sei, da noch ein „Abzahlungsvertrag mit dem Käufer des Ziegeleigrundstücks, der Firma Weckwert“ noch nicht erledigt sei., HHStAW 469/33 1098 (132).
Die Firma Ziegelei Weckwert gehörte auch zu denjenigen, die sich intensiv um Kriegsgefangene als Arbeitskräfte bemühte. Nach einer Aufstellung des Wiesbadener Oberbürgermeisters vom November 1940 arbeiten zu dieser Zeit 10 der insgesamt 507 zum Arbeitseinsatz gezwungenen französischen Gefangenen in der Ziegelei von Weckwert. Im Sommer 1941 waren es sogar 30, die auch im eigens dafür eingerichteten Lager der Firma untergebracht worden waren. Siehe Brüchert, Zwangsarbeit in Wiesbaden, S. 49 und 54.
[63] HHStAW 519/3 3649 (13).
[64] HHStAW 519/3 3649 (4, 6), Wann sie aus der Frankfurter Str. in das Palast Hotel gezogen war, konnte nicht ermittelt werden.
[65] HHStAW ebd. Der Brief mit der Umzugsmeldung ist mit 27.12.1938 datiert.
[66] HHStAW 519/3 3649 (30).
[67] HHStAW 518 21339 (140 ff.) der Betrag war nur zu Hälfte mit Barmittel, der Rest durch die Abgabe von Wertpapieren beglichen worden, was im Entschädigungsverfahren zu erheblichen Verzögerungen durch Einsprüche der Entschädigungsbehörden führte. Die Summe als solche wurde jedoch nicht bestritten, zumal in der Devisenakte ein Brief der Commerzbank an die Devisenstelle Frankfurt erhalten geblieben ist, in dem die Zahlung von 20.258 RM für die zweite Rate aus dem gesicherten Konto mitgeteilt wird. Siehe auch HHStAW 519/3 3649 (18, 20). Hinterfragt wurde aber die Höhe der Reichsfluchtsteuer, die nicht für Aurelie Kahn selbst fällig geworden sein kann. Auch sie muss, sollte sie gezahlt worden sein, in der Form von Wertpapierabtretungen beglichen worden sein.
[68] HHStAW 519/2 2072 (20).
[69] HHStAW 519/3 3649 (30) Ihre Bitte den im Monat zuvor auf 600 RM abgesenkten Freibetrag wieder auf 840 RM zu erhöhen, wurde stattgegeben.
[70] Siehe HHStAW 519/3 3649 (35). Es handelte sich um die folgenden Personen, wovon die ersten drei 500, die letzten beiden 200 RM erhalten sollten: Als erste ist „Thea Hess, Wwe Wiesbaden“ genannt. Vermutlich handelt es sich hierbei um Thekla Hess, die Schwester von Felix Kaufmann, dem Eigentümer des Judenhauses Adolfsallee 30, deren Nichte Dorothea mit ihrem Neffen Arnold Kahn verheiratet war. „Frl. Emmy Vogel“ war wie Thekla Hess Bewohnerin des Judenhauses Bahnhofstr. 25 und ebenfalls eine entfernte Verwandte. Emmy Vogels Tante Bertha Vogel, geborene Kahn, war die Schwägerin von Aurelie Kahn. Wer Matthias Bernady war, konnte nicht ermittelt werden. Die beiden letztgenannten, „Frl. Thea Lilienstein, Wiesbaden“ und „Benny Schönfeld, Nordenstadt“, standen, soweit erkennbar, in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Aurelie Kahn. Benny Schönfeld wurde in Majdanek ermordet, Thea Lilienstein in Auschwitz, Emmy Vogel vermutlich in Sobibor und Thekla Hess in Theresienstadt.
[71] HHStAW 519/3 3649 (35) Die Wiesbadener Firma Söhngen, heute in Taunusstein ansässig, lieferte damals Verbandsmaterialien an die Deutsche Wehrmacht, u.a. den Verbandskasten „Wiesbasan“, ein noch immer beliebter Artikel bei Militariasammlern.
[72] HHStAW 518 21339 (28).
[73] HHStAW 518 21339 (141)
[74] HHStAW 518 2139 (165 f.)
[75] Ebd. (165) Ob die hier geschilderten Vorgänge tatsächlich so abgelaufen sind, ließ sich nicht überprüfen. Aber im Prozess, in dem es darum ging, ob dieses „Vermächtnis“ tatsächlich ein solches war, wie das Land Hessen behauptet und eine entsprechende Entschädigung zunächst verweigert hatte, wurde durch ein Urteil vom 23.11.1960 des Landgerichts Wiesbaden beschieden, dass es sich hier um eine Sonderabgabe handelte, die auch zu entschädigen sei. Ebd. (173 ff). Das zuvor gemeinschaftliche Testament der Eheleute hätte, und das mussten alle beteiligten Rechtsvertreter wissen, im Nachhinein einseitig gar nicht mehr abgeändert werden dürfen, weil eine entsprechende Klausel im ersten Testament nicht vorhanden war. Siehe zu dem Vorgang auch HHStAW 518 21339 (17).
[76] Sterberegister Wiesbaden 365 / 1942. In Yad Vashem ist Aurelie Kahn als Opfer des Holocaust aufgeführt. Sie sei, so die Angabe unter https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=7983895&ind=1 (Zugriff: 27.12.2021) am 1.9.1942 von Wiesbaden aus nach Theresienstadt deportiert worden. Das ist definitiv falsch. Aber sie ist tatsächlich auf der entsprechenden Deportationsliste unter der Nummer 839 aufgeführt, obwohl sie schon länger als ein halbes Jahr tot war. Yad Vashem zeigt auch das Bild von dieser Liste, sagt aber dann – ein weiterer Fehler -, dass es sich um die Liste der Deportation vom 10.6.1942 handeln würde.
[77] HHStAW 518 21339 (38) Der Vermögensverwalter Thumann erhielt am 25.10.1943 die Anweisung vom Finanzamt Wiesbaden die Vermögenswerte zu überweisen und „Kleider, Koffer und sonstige Gegenstände dem Vollzugsbeamten (…) zu übergeben“.
[78] Geburtsregister Wiesbaden 636 / 1908 und Heiratsregister Wiesbaden 104 / 1907.
[79] Heiratsregister Wiesbaden 420 / 1928. Johanna Blatt, die Ehefrau von Rudolf Engel und Mutter von Theodor Engel war die Tochter von Ferdinand und Rosina Blatt, geborene Wolf. Ferdinand Blatt wiederum war der Sohn aus der zweiten Ehe von Salomon Blatt und Christina / Jettle Feibel. In dessen erster Ehe mit Ester Teutsch war am 20.1.1826 die Johanna Blatt geboren worden, die die Ehefrau von Joseph Kahn II wurde.
[80] HHStAW 518 74729 (5).
[81] Ebd. (34). Im Wiesbadener Adressbuch von 1932/33 sind sie noch als Bewohner der Friedrichstr. 8 verzeichnet. Der Aufenthalt in München kann daher nur relativ kurz gewesen sein.
[82] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.
[83] Die Firma Beckardt & Kaufmann hatte in den zwanziger Jahren die Nachfolge der insolvent gewordenen Firma ‚Nassauische Leinenindustrie’ der Familie Baum angetreten. Zur Familie Baum siehe das Kapitel über Alice Hess, verwitwete Baum, Bewohnerin des Judenhauses Bahnhofstr. 25.
[84] HHStAW 518 21339 (14).
[85] Sally Strauss, geboren am 16.5.1813, ist ein Sohn von Julius und Else Strauss, geborene Grünwald, und ein Enkel von Jakob und Maria Klein. Julius Strauss hatte neben dem Bruder Simon einen weiteren Bruder namens Josef, geboren am 20.11.1871, der ebenfalls eine Frau namens Selma aus der Familie Grünwald geheiratet hatte. Selma Grünwald war möglicherweise die Schwester von Emma. Das jüngste Kind von Josef und Selma Strauss, die am 29.1.1908 geborene Betty Strauss heiratete durch ihre Ehe mit Richard Leopold Kramer aus Nieder Olm in die bedeutende Wiesbadener Familie Selig ein. Ihr Ehemann Richard Leopold Kramer war der Sohn von Albert und Jenny Kramer, geborene Selig, der Halbschwester von Otto und Lucian Selig, die gemeinsam Eigentümer der Wiesbadener Judenhäuser Kaiser-Friedrich-Ring 80 und Oranienstr. 60 waren.
Auch bei Bettys älterer Schwester, der am 20.9.1902 geborenen Karoline, gibt es einen Bezug zu anderen Wiesbadener Judenhäusern. Sie war verheiratet mit Hermann Isselbächer und bewohnte mit ihm und der Tochter Eleonore zeitweise das spätere Judenhaus Hermannstr. 26.
[86] Information von Nurit Strauss.
[87] Heiratsregister Wiesbaden 851 / 1909. Geboren wurde William am 20.1.1878 in Wonfurt, seine Eltern waren Michael Neuburger und Regine, geborene Fleischmann.
[89] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1631/images/31433_BH04214-00114?treeid=&personid=&hintid=&queryId=4806cfce76e08738f09ee3b264a23e82&usePUB=true&_phsrc=Ekt4212&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=5328993 und https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1631/images/31010_174536-00101?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=17910. (Zugriff: 27.12.2021).
[90] Erwähnung findet sie aber nur in GENI, https://www.geni.com/people/Ellen-Hoslosky/6000000060777660913?through=6000000047246622845#/tab/source (Zugriff: 27.12.2021). Eine amtliche Quelle für sie konnte nicht gefunden werden. Daher ist dieser Information mit Vorsicht zu begegenenm.
[91] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/10593669:61596. (Zugriff: 27.12.2021).
[92] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61665/images/48741_b429057-00751?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=99583, (Zugriff: 27.12.2021).
[93] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/2997/images/41039_b001554-00136?treeid=&personid=&hintid=&queryId=de9190299a3f9e2b302a6ec5f97ad1df&usePUB=true&_phsrc=Ekt4247&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=143139499. (Zugriff: 27.12.2021)
[94] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/2280/images/47294_302022005557_0598-00041?treeid=&personid=&hintid=&queryId=c400c0c0b62e159bdb2e9dc50bc7e675&usePUB=true&_phsrc=Ekt4257&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=6717100. (Zugriff: 27.12.2021).
[95] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/735694:1850. (Zugriff: 27.12.2021)
[96] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?dbid=3693&h=45158765&indiv=try&o_vc=Record:OtherRecord&rhSource=2280. (Zugriff: 27.12.2021).
[97] Heiratsregister Wiesbaden 107 / 1913. Der Vater des Bräutigams wird in der Heiratsurkunde als Brauereidirektor bezeichnet, wohnhaft in München.
[98] HHStAW 519/2 2072 (25).
[99] Siehe GENI Eintrag zu Julius Kahn, https://www.geni.com/family-tree/index/6000000060777187108 (Zugriff: 24.11.2017).
[100] HHStAW 519/2 2072 (1), dazu Stadtarchiv Wiesbaden WI/3 983.
[101] Solche Abgeltungsbeträge wurden vereinbart, wenn bei der „Entjudung“ von Immobilien der an die Juden gezahlte Preis deutlich unter deren Wert lag. Man kann im Allgemeinen davon ausgehen, dass trotz dieser Zahlung die Käufer noch immer ein gutes Geschäft gemacht hatten, sonst hätten sie den Kauf nicht getätigt. Der einzige Geschädigte war der jüdische Verkäufer, dem der Betrag ja faktisch entzogen wurde. Dass auch in diesem Fall eine solche Vereinbarung getroffen wurde, ergibt sich aus einem Schreiben des Finanzamt Wiesbaden an die Finanzkasse vom 3.7.1943, in dem es heißt: „Von dem für das Hausgrundstück Wiesbaden Friedrichstr. 8, (…) festgesetzten Abgeltungsbetrag in Höhe von RM 52.500 ist ein Teilbetrag von 20.600 RM vorläufig bis 1.10.43 ausser Hebung zu belassen, weil das Besitzverhältnis noch nicht restlos geklärt ist.“ HHStAW 519/2 2072 (33). Nicht klar ist, ob die andere Hälfte bereits gezahlt war oder ob dafür ein späterer Zahlungstermin vereinbart war.
[102] Ebd. ( 2-7).
[103] Ebd. (8, 46). Nicht ganz durchsichtig ist die Rolle, die Berthold Guthmann beim Zustandekommen des Vertrages gespielt hat. Er war nicht nur mit dem anwesenden Käufer, dem Oberstaatsanwalt Quambusch bekannt, sondern dieser hatte sich nach der Inhaftierung von Berthold Guthmann im Gefolge der Reichspogromnacht 1938 in Buchenwald auch für dessen Freilassung eingesetzt und dafür gesorgt, dass er die Funktion des für Wiesbaden zuständigen Konsulenten erhielt, eine Aufgabe, die zwar mit vielen Risiken und Konflikten verbunden war, zugleich aber auch einen gewissen Schutz gewährte. In jedem Fall musste sich Guthmann gegenüber dem Ehemann der Käuferin in gewisser Weise verpflichtet fühlen. Ob dies beim Zustandekommen des Vertrags eine Rolle gespielt hatte, ist allerdings aus heutiger Sicht nur schwer zu beurteilen. Siehe dazu die Ausführungen im Artikel über die Familie Guthmann, im Besonderen auch die Anm. 68.
[104] Ebd. (9).
[105] Ebd. (1). Auch die NSDAP Wiesbaden wusste offensichtlich nicht genau, ob das Haus tatsächlich verkauft war. Im undatierten „Verzeichnis der jüdischen Häuser in Wiesbaden“, kurz „Judenliste“ genannt, ist unter Friedrichstr. 8 angemerkt „soll verkauft sein“. Der Name Hess als Eigentümer ist durchgestrichen und eine Markierung hinzugefügt, die besagt, dass das Haus inzwischen in arischem Besitz ist. Aber ganz sicher war man sich offenbar nicht. Siehe HHStAW 519/2 3146 (o.P.).
[106] HHStAW 519/2 2072 (30).
[107] Ebd. (32).
[108] Ebd. (o.P.). Schreiben des Hessischen Ministers der Finanzen vom 20.6.1949. Nicht klar ist, ob der Eintrag am 20. oder 30.6.1943 stattfand, da das Datum überschrieben wurde.
[109] Ebd. (49).
[110] Ebd. (o.P.).
[111] Ebd. (o.P.).
[112] Ebd. (o.P.).
[113] Ebd. (o.P.).
[114] HHStAW 518 21339 (16, 68). Auch das Haus Taunusstr. 19, des dem Ehepaar Hess bzw. deren Töchtern gehörte, wurde am 13.3.1951 zurückerstattet., ebd. (68).
[115] Heiratsregister Berlin-Schönefeld 239 / 1921. Zeuge auf dem Standesamt war u.a. Erichs Halbbruder Oskar Kahn.
[116] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.
[117] Siehe zum Schicksal der Familie HHStAW 518 18663.
[118] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7949/images/cam1764_99-0322?pId=2936626. (Zugriff: 27.12.2021)
[119] Peter Albert muss aber später in die USA ausgewandert sein, denn er heiratete 1948 in Boston Sylvia Siegel, geboren am 19.7.1928. Das Paar hatte die beiden Kinder Merle Sandra und Eric David. Die Eltern verstarben in Virginia, Peter Albert Kahn am 29.1.1999, seine Frau am 29.1.2020.
Peter Alberts Schwester Liselotte, die sich später mit Vornamen Lilo nannte, hatte vermutlich in England ebenfalls eine Familie gegründet. 1949 reiste eine Familie Gareh, Lilo 27 Jahre alt, ihr Mann Marquis Fortune Gareh, 35 Jahre alt und die beiden Kinder Sonja Ruth und Michael David, 6 und 3 Jahre alt, von Southampton nach Bombay, vermutlich um den Bruder zu besuchen. https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/2997/images/41039_b001648-00511?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=144938383&lang=de-DE. (Zugriff: 27.12.2021) Auf einer Passagierliste des Jahres 1953 des Schiffes ‚Cilicia’, das die Route von Bombay nach Liverpool gefahren war, findet man erneut die Familie Gareh, allerdings ohne Marquis Fortune Gareh. https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1518/images/30807_A001301-00181?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=6403414. (Zugriff: 27.12.2021). Unklar ist, ob die Familie drei Jahre in Bombay geblieben war oder es sich hierbei um eine erneute Reise gehandelt hatte.
[120] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/3998/images/40735_1220701439_0080-01345?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=902422593&lang=de-DE. (Zugriff: 27.12.2021)
[121] Heiratsregister Wiesbaden 1 / 1920. Er war der Sohn des Kaufmanns Samuel Floersheim und seiner Frau Amalie, geborene Kahn, die zum Zeitpunkt der Eheschließung beide verstorben waren, aber zuletzt in Wiesbaden gelebt hatten.
[122] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/3998/images/40735_1220706418_0045-00860?treeid=&personid=&hintid=&queryId=90918135569992e46445cea13161d754&usePUB=true&_phsrc=Ekt4269&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=1763274. (Zugriff: 27.12.2021)
[123] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/3998/images/40735_1220706418_0045-00860?treeid=&personid=&hintid=&queryId=90918135569992e46445cea13161d754&usePUB=true&_phsrc=Ekt4269&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=1763274. (Zugriff: 27.12.2021)
[124] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6061-0377?treeid=&personid=&hintid=&queryId=90918135569992e46445cea13161d754&usePUB=true&_phsrc=Ekt4270&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=23390496. (Zugriff: 27.12.2021).
[125] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/73417688:2442&nreg=1. (Zugriff: 27.12.2021).
[126] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?indiv=1&dbid=3693&h=19713636&tid=&pid=&queryId=90918135569992e46445cea13161d754&usePUB=true&_phsrc=Ekt4272&_phstart=successSource und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2369630:5180?tid=&pid=&queryId=f441e5aef15e95b2856401387da7c9bb&_phsrc=Ekt4275&_phstart=successSource. (Zugriff: 27.12.2021).
[127] Zu diesem Transport siehe Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 333 f.
[128] http://freepages.rootsweb.com/~alcalz/genealogy/aufbau/1945/1945pdf/j11a32s19.pdf. (Zugriff: 27.12.2021).
[129] https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11529250&ind=1. (Zugriff: 27.12.2021).
[130] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1386452:7949. (Zugriff: 27.12.2021).
[131] https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/119380228/person/162042427895/facts. (Zugriff: 27.12.2021).