Querstr. 6 in Schierstein


Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Heutige Bebauung der Querstr. 6
Eigene Aufnahme
Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Lage des ehemaligen Judenhauses in Schierstein in der Querstr. 6, heute Am Grünen Baum 6
Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Belegung des Judenhauses in der Schiersteiner Querstr. 6

 

 

 

 

 


Die Schwestern Frida Kahn und Ida Wehnert, geborene Kahn

 

Auf der im Januar 1940 erstellten Judenhaus-Liste findet man auch das Haus in der Schiersteiner Querstr. 6, die im alten Ortskern von Schierstein gelegen war. Es handelte sich um eine kleine mit nur wenigen Häusern bebaute Gasse, die heute die Bernhard-Schwarz-Straße mit der Backfischgasse verbindet. Laut dem Straßenlexikon der Stadt Wiesbaden wurde sie 1874/75 erstmals erwähnt. Da es auch in Biebrich eine Straße gleichen Namens gab, erhielt die in Schierstein im Jahr 1955 die neue Bezeichnung ‚Am Grünen Baum’. Das ehemalige Judenhaus ist heute somit unter der Adresse Am Grünen Baum 6 zu finden, allerdings ist das heutige Gebäude nicht mehr identisch mit dem, das dort von dem Ehepaar Wehnert während der NS-Zeit bewohnt wurde.

Verwunderlich ist, dass dieses Haus überhaupt in die Liste der Judenhäuser aufgenommen wurde, denn es handelte sich ursprünglich um ein sehr kleines Haus mit nur einer einzigen Wohnung, also eigentlich kaum geeignet, um mehrere Familien hier unterzubringen, selbst wenn man beabsichtigte, diese unter sehr beengten Verhältnissen einzuquartieren. Auch unter einem anderen Gesichtspunkt entspricht diese Zuweisung nicht den üblichen Gepflogenheiten der NS-Behörden. Zwar waren die beiden Eigentümerinnen, die Schwestern Frida und Ida Kahn, jüdischen Glaubens, aber während Frida ledig geblieben war, hatte Ida Kahn am 6. März 1933 den Arier Karl Wehnert geheiratet.[1] Auch wenn er nicht als Miteigentümer im Grundbuch der Stadt Wiesbaden aufgeführt war, so war es dennoch eher unüblich, dass das gemeinsame Wohnhaus von Ehepartnern in Mischehe, von denen zudem der männliche Partner kein Jude war, es sich also um eine „privilegierte Mischehe“ handelte, als jüdisches Vermögen behandelt wurde.[2]

Andererseits muss man feststellen, dass das Haus zwar auf der Liste der Judenhäuser stand, aber nie als solches genutzt wurde. In dem Haus hatte nach dem Einzug von Ida und Karl Wehnert nie jemand anderes als das Ehepaar selbst gewohnt, keine andere jüdische oder auch nichtjüdische Familie. Erst nach deren Deportation bzw. Tod wurde das Haus vermietet.

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Stammbaum der Familie Kahn aus Schierstein
GDB

Die beiden Geschwister Frida und Ida Kahn entstammten einer alten jüdischen Familie aus Schierstein, einem unmittelbar am Rhein gelegenen ehemaligen Vorort von Wiesbaden, der im Jahr 1926 eingemeindet wurde und damit seine bisherige Selbstständigkeit verlor. Die Eltern der beiden Schwestern, Daniel und Emma Kahn, geborene Feibelmann, besaßen in Schierstein ein Geschäft, das in der gesamten Region einen hervorragenden Ruf in der Sparte des Häute- und Lederhandels genoss. Auch mit der Verwertung anderer Metzgereiabfallprodukte, wie etwa der Fett- oder Darmverarbeitung, hatte die Familie über mehrere Generationen hinweg ein lukratives Geschäft aufgebaut. Frida Kahn war die älteste Tochter der insgesamt acht Kinder von Daniel und Emma Kahn. Sie war am 6. Juli 1890 in Schierstein geboren worden,[3] ihre Schwester kam dort am 10. April 1895 als viertes Kind zur Welt.[4]

Bei dem Haus, das Anfang des 20. Jahrhunderts die Nummer 2 bzw. 2a, später aber die Nummer 6 erhielt, handelte es sich um das Großelternhaus der beiden Schwestern und ihrer weiteren Geschwister. Ihr Großvater Abraham Salomon Kahn war dort am 7. Februar 1901 verstorben.[5] Auch in den Jahren zuvor muss er dort gewohnt haben, denn als eine seiner Töchter, Mathilde Kahn, im Jahr 1894 Moritz Hermann heiratete, wohnte die Familie Kahn bereits in der Querstraße. Allerdings ist in der Heiratsurkunde das Haus mit der Nummer 133 angegeben.[6] Da in der kleinen Straße aber auch heute nicht mehr als etwa zehn Gebäude stehen, kann man davon ausgehen, dass es sich um dasselbe Gebäude handelte und die Hausnummer 133 noch aus einer alten Zählung in Schierstein herrührte, in der die Nummerierung noch nicht überall spezifischen Straßen zugeordnet war. Aber auch mit der Neunummerierung von 2 auf 6 muss behördlicherseits einiges schief gelaufen sein, denn als sich das Deutsche Reich später einen Anteil des Hauses aneignen wollte, war im Grundbuchamt ein Grundstück im Band 10, Blatt 299 in der Querstraße mit der Hausnummer 6 nicht auffindbar. Bis 1944 war es dort mit der Hausnummer 2 eingetragen.[7]

Bei dem Haus handelte es sich ursprünglich um eine kleine Hofreite auf einer Grundfläche von etwa dreieinhalb Ar, bestehend aus einem Wohnhaus, einem Nebengebäude, zwei Scheunen und einem Keller mit einer Waschküche.[8] Dem Grundbuch ist zu entnehmen, dass beim Tod von Abraham und Regina Kahn das Haus zunächst in den Besitz von Mathilde Kahn kam, einer Schwester von Daniel Kahn, die mit dem Kaufmann Moritz Hermann verheiratet war.[9] Das Paar, das selbst keine Kinder hatte, bewohnte das Haus zunächst gemeinsam bis zum Ableben von Mathilde Hermann im Jahr 1922, danach lebte der Witwer dort alleine bis zu seinem Tod im Jahr 1932.[10] In ihrem Testament hatten die beiden zunächst festgelegt, dass das Haus dem Längstlebenden als Alleinerben übertragen werden sollte. In einem weiteren Testament vom 21. März 1927 hatte Moritz Hermann dann die Immobile seinen beiden Nichten Frida und Ida Kahn vermacht.[11]

Wieso er das Haus in der Querstraße ausschließlich seinen beiden Nichten vererbte und deren Geschwister – andere Neffen und Nichten gab es nicht – keinen Anteil erhielten, muss offen bleiben. Der Grund mag aber darin zu suchen sein, dass die anderen Schwestern inzwischen verheiratet und versorgt waren Die beiden Brüder Otto und Robert waren durch die Nutznießung des Geschäfts gesichert und Adolph hatte durch sein Jurastudium ebenfalls eine berufliche Karriere in Aussicht, die ihn vor finanzieller Not bewahren würde. Zwar gehörten auch Frida und Ida zur Erbengemeinschaft, die die Eigentumsrechte an der Immobilie der Familie Kahn in der Dotzheimer Str. 6 besaß, wohin Daniel Kahn mit dem Geschäft verzogen war, aber ein eigenes Hausgrundstück versprach in jedem Fall ein höheres Maß an Sicherheit für die beiden noch allein stehende Frauen. Lebensmittelpunkt der Familie Kahn blieb jedoch die Dotzheimer Str. 6. Dort wohnte sie spätestens seit 1910.[12] Auch Frida hat in all den Jahren dort gelebt und den Haushalt geführt. In das Haus in der Querstr. 6, das ihr zwar zur Hälfte gehörte, war sie selbst nie eingezogen.

Frieda Kahn

Frida hatte keinen Beruf erlernt, war ökonomisch aber über die Familie abgesichert und hatte  im Laufe der Jahre zudem auch persönlich ein, wenn auch bescheidenes Vermögen angespart. Als der NS-Staat in Vorbereitung auf den großen Raubzug an den Juden 1938 von diesen eine Aufstellung der jeweils vorhandenen Vermögenswerte nach Stand 27. April 1938 verlangte, gab sie dem Finanzamt umfassend Auskunft. Der größte Teil bestand allerdings in Immobilienwerten, die zu gleichen Teilen zwischen den Geschwistern aufgeteilt waren.[13] Abgesehen von Robert, auf den ein um etwa 50 Prozent größeren Anteil entfiel, betrug der der übrigen jeweils 2.000 RM. Darin enthalten waren neben dem Anteil am Haus Dotzheimerstr. 6, für das insgesamt ein Wert von 17.000 RM angesetzt worden war, einige Äcker und das Betriebsgelände in der Bahnhofstr. 24. Für Frida kamen noch eine Darlehensforderung von 450 RM an die Firma ‚Gebr. Kahn’ und der Anteil am Haus in der Querstr. 6 in Höhe von 4.000 RM hinzu. Des Weiteren besaß sie ein Aktienpaket, dessen Kurswert seinerzeit etwa 5.000 RM betrug.[14] Wie ihre Geschwister gehörte auch sie zu den Begünstigten der Erbschaft des am 15. September 1935 in den USA verstorbenen Julius Feibelmann, einem Bruder der Mutter Emma. Auf Frida sollte von der insgesamt auf 160.000 RM geschätzten Erbmasse – wie für alle Kahn-Erben – ein 48stel, d.h. etwa 3.000 RM, entfallen.[15] Im Dezember 1938 legte Frida Kahn dem Finanzamt allerdings eine korrigierte Wertschätzung ihres Vermögens vor, in der das Haus in der Querstraße mit nur noch 6.000 RM statt der bisherigen 8.000 RM veranschlagt wurde, in der zudem die Erwartung auf das amerikanische Erbe auf 2.000 RM reduziert und auch der Aktienbesitz durch Verkauf und Kursverluste leicht gemindert war.[16] Die auf diesen Angaben beruhende Berechnung der Judenvermögensabgabe betrug bei dem damals festgestellten Gesamtvermögen von rund 14.000 RM insgesamt 2.800 RM. Sie sollte in vier Raten mit je 700 RM beglichen werden.[17]

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Berechnung der Judenvermögensabgabe für Frida Kahn
HHStAW 685 346a (12)

Zwischen der ersten Abgabe des Vermögensverzeichnisses im Sommer 1938 und der Berechnung der Judenvermögensabgabe hatte sich die Lebenssituation für Frida Kahn und ihre Geschwister grundlegend verändert. Das Geschäft, durch Drohungen und Boykott im Niedergang begriffen, war unmittelbar vor dem Novemberpogrom liquidiert worden. Das Haus in der Dotzheimer Str. 6 hatte man auch in der Hoffnung, Deutschland so bald als möglich verlassen zu können, für 17.000 RM an Frau Hirth, eine Mieterin, verkauft.[18] Und im Gefolge des Pogroms sah man sich nicht nur mit den finanziellen Forderungen der Finanzbehörden konfrontiert, sondern Fridas Brüder Otto und Adolph waren auch verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald bzw. Dachau eingeliefert worden. Von den Gewalt- und Zerstörungsaktionen war auch das Haus der Kahns und damit auch Frida unmittelbar betroffen. Nicht nur hatte man den Betrieb in der Bahnhofstraße in Brand gesetzt, sondern auch das Mobiliar und andere Einrichtungsgegenstände in der Dotzheimer Str. 6 und in der Wilhelmstr. 44, wo Otto Kahn mit seiner Familie inzwischen wohnte, demoliert.

Nur wenige Wochen nach dem Pogrom verließ Frida Kahn ihren Heimatort Schierstein und zog in die Wiesbadener Innenstadt. Sicher hatten dabei auch die Ereignisse vom November eine Rolle gespielt. Allerdings waren ihre anderen Geschwister trotz des gegen sie gerichteten Terrors in Schierstein geblieben. Eine wohl entscheidende Rolle spielt die Tatsache, dass der Haushalt in der Dotzheimer Str. 6 nach dem Verkauf des Hauses aufgelöst werden musste und Robert mit der Mutter eine Wohnung bei Arthur Katz in der Wilhelmstr. 44 in Schierstein bezog, wo der Bruder Otto mit seiner Familie bereits wohnte. Für die Schwester wird es dort vermutlich keinen Platz mehr gegeben haben. Am 30. Januar 1939 meldete sich Frida Kahn bei der Polizei als Mieterin im Haus des jüdischen Arztes Dr. Eduard Laser in der Langgasse 20 an, wo sie im zweiten Stockwerk ein Zimmer bezog.[19] Auf welchem Weg der Mietvertrag zustande gekommen war, ob durch eigene Initiative oder die Vermittlung des Wohnungsamts, ist nicht bekannt, aber eine förmliche Einweisung auf Druck der NSDAP muss zu diesem Zeitpunkt als eher unwahrscheinlich angesehen werden.

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Umzug von Frida Kahn in die Wiesbadener Langgasse 20
HHStAW 685 346 (13)

Vermutlich war sie davon ausgegangen, dass ihr Aufenthalt in der Langgasse nur von kurzer Dauer sein würde, da sie, wie auch ihre Geschwister, eigentlich geplant hatten, Deutschland so bald als möglich zu verlassen. Die bereits erwähnte amerikanische Erbschaft schien die nötigen finanziellen Mittel für einen solchen Schritt bereitzustellen.

In einem Brief vom 3. Mai 1939 an die Devisenstelle teilte sie dieser ihre Auswanderungsabsichten mit und bat darum, ihr die etwa 1.000 Dollar aus der Erbschaft freizugeben, um „im Auslande, bei meiner Notlage, mir eine bescheidene Existenz aufzubauen“.[20]

Und tatsächlich war Frida Kahn trotz des nominal relativ großen Vermögens inzwischen in eine finanzielle Notlage geraten, denn der weitaus größte Teil bestand in nicht liquiden Anteilen an Häusern und Grundstücken. Nachdem sie die erste Rate der Judenvermögensabgabe gezahlt hatte, wendete sie sich im Januar 1939, unmittelbar vor ihrem Umzug, an das Finanzamt Wiesbaden und bat darum, ihr die drei weiteren Raten zu erlassen. Sie wäre, „falls mir die Zahlung nicht erlassen würde, in absehbarer Zeit der Wohlfahrt vollständig überlassen.“ Man hatte sie daraufhin vorgeladen und nach Darlegung der gültigen „Rechtslage“ sie dazu veranlasst, ihren Antrag wieder zurückzuziehen.[21] Nicht klar ist, ob die „wegen Judenvermögensabgabe“ vorgenommene Abtretung von Hypothekenforderungen der Erbengemeinschaft Kahn in Höhe von etwa 1.500 RM „zum Zwecke der Zahlung“ sich auf ihre eigenen Verpflichtungen oder die der Familie bezog.[22]

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Zahlung der „Sühneleistung“
HHStAW 685 346 a (18)

Vermutlich ist letzteres der Fall, denn sie selbst teilte am 1. März 1939 dem Finanzamt mit, dass sie über die Nassauische Landesbank Wertpapiere verkauft habe, womit ein noch offener Betrag von 26,60 RM aus der ersten Rate beglichen, zudem je 700 RM für die zweite und dritte Rate und ein Restbetrag für die vierte Rate zur Verfügung gestellt werde.[23]
Als dann im November 1939 eine zusätzliche 5. Rate gefordert wurde, bat sie erneut mit einem ausführlichen Schreiben das Amt, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, in Härtefällen auf diese zusätzliche Forderung zu verzichten. Nicht nur sei ihr Vermögen erheblich zusammengeschrumpft, es betrage nur noch 7.700 RM und würde damit deutlich unter der ursprünglich festgelegten Besteuerungsgrenze von 10.000 RM liegen, sondern von diesem Geld seien nur 2.200 RM für sie real greifbar. Nach der Auswanderung ihres Bruders Robert sei sie zudem völlig auf sich alleine gestellt und müsse mit dem noch vorhandenen Geld bis zu ihrer eigenen Ausreise leben können. Da sie eine sehr hohe Registrierungsnummer vom amerikanischen Konsulat erhalten habe – Nummer 50 224 – könne ihre Emigration – so vermutete sie selbst eher resigniert – wohl erst in mehreren Jahren erfolgen.[24] Vermutlich glaubte sie damals selbst nicht mehr an einen solchen Ausweg.

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Frida Kahn bittet vergeblich um Erlass der 5. Rate der Judenvermögensabgabe
HHStAW 685 346 a (21)

Der Sachbearbeiter beim Finanzamt blieb auch diesmal hart. Unabhängig davon, ob das ursprüngliche Vermögen sich vermindert habe und für Frida Kahn greifbar sei, bestand er darauf, dass die Berechnungsgrundlage weiterhin 11.600 RM betrage. „Den Antrag der Jüdin Frida Sara Kahn, Wiesbaden – Langgasse 20/22 habe ich nach Prüfung der Verhältnisse als unbegründet abgelehnt“, beschied er knapp auf der Rückseite ihres Antrags.

Aus der Vermögenserklärung des Jahres 1940 geht hervor, dass sie jetzt tatsächlich nur noch ein Vermögen von weniger als 7.000 RM besaß, auch deshalb, weil der Einheitswert des Hauses in der Querstr. 6 inzwischen noch weiter nach unten korrigiert und von ursprünglich 8.000 RM, dann 6.000 RM nun auf 4.720 RM heruntergesetzt worden war, Frida Kahns Anteil somit nur noch 2.360 RM betrug.[25] Unmittelbar verfügbares Geld besaß sie eigentlich nicht. Der völlig offene Erbanspruch aus dem amerikanischen Vermächtnis stellte in dem Gesamtbetrag von 6.700 RM mit 2.500 RM noch den größten Teil dar, gefolgt von dem ebenfalls nicht nutzbaren Wert des Hausanteils. Da auch der Anspruch aus der Hypothek von 530 RM nicht ohne weiteres in Geld umzuwandeln war, blieben allein die noch vorhandenen Wertpapiere von 1.400 RM, die sie hätte flüssig machen können, um ihre Kosten zu decken.[26] Die Aufstellung von Vermögen und Aufwendungen hatte sie der Devisenstelle übermitteln müssen, weil die inzwischen ebenfalls in die USA ausgereiste Tante Klara Feibelmann, die Witwe ihres Onkels Albert, ihr 300 RM geschenkt hatte, um ihre prekäre finanzielle Lage wenigstens ein wenig zu verbessern. Das Geld durfte sie aber erst in Empfang nehmen, nachdem sie ein gesichertes Konto eingerichtet hatte.[27] Am 28. Februar 1940 wurde in diesem Zusammenhang eine so genannte „Judensicherungsmappe“ unter dem Aktenzeichen JS 4113 angelegt, und ihr ein Freibetrag von 300 RM zugestanden. Soviel durfte sie ohne weitere Verwendungsnachweise von diesem gesicherten Konto zukünftig abheben.[28] Ihre Lebenshaltungskosten bezifferte sie damals auf 280 RM, wobei allein die Miete mit 90 RM zu Buche schlug. Als eigenes Einkommen hatte sie für 1940 einen Betrag von insgesamt 345 RM angegeben, hatte dann aber diese Angabe wenige Tage später auf 545 RM korrigiert. Woher diese Summe kam oder kommen sollte, ist nicht klar. Es könnte sich um die Verzinsung der Wertpapiere handeln, vielleicht konnte sie aber auch mit Handarbeiten, bei denen sie, wie sie in einem Brief erwähnte,[29] sehr geschickt war, einige kleine Einkünfte erzielen. Möglicherweise hatte sie aber auch im Haushalt ihres Vermieters eine Verdienstmöglichkeit gefunden.

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser21)
Frida Kahn meldet der Devisenstelle ihre Tätigkeit als Zwangsarbeiterin
HHStAW 519/3 3272 (12)

Erst im folgenden Jahr lassen sich in den Unterlagen der Devisenstelle Belege für eine Anstellung finden, der sie seit dem 27. September 1941 nachging. Allerdings handelte es sich selbstverständlich nicht um eine normale Beschäftigung, sondern – wie Frida Kahn sich ausdrückte – um einen „Arbeitseinsatz“, sprich Zwangsarbeit. Dies ergibt sich auch aus dem äußert kargen Lohn von 38 Pfg., den ihr die Biebricher Firma Rasche & Co. Pro Stunde zahlte.[30] Zwar durfte sie den wöchentlichen Nettolohn von etwa 14 – 15 RM in bar entgegennehmen, dafür wurde ihr aber sofort der monatliche Freibetrag auf 240 RM gekürzt.[31]

Im Jahr 1941 hatte Frida Kahn versucht ihren Hausanteil an der Querstr. 6 zu verkaufen.[32] Dabei wird es ihr aber kaum darum gegangen sein, ihre liquiden Mittel zu vergrößern, denn als Käufer war ihr Schwager Karl Wehnert, der Ehemann ihrer Schwester Ida, vorgesehen. Geld war da kaum zu erwarten. Auch werden die ursprünglichen Auswanderungsabsichten zu diesem Zeitpunkt kaum noch eine Rolle gespielt haben. Vermutlich ging es ihr bei diesem Verkauf noch einzig darum, das Haus durch die Veräußerung in arische Hände vor dem Zugriff des NS-Staates zu bewahren. Am 25. April 1941 erhielt sie die Mitteilung, dass der bereits vollzogene Verkauf vom Oberbürgermeister der Stadt Wiesbaden nicht genehmigt worden sei und die bereits gezahlte Grunderwerbssteuer von 125 RM zurückerstattet werden würde.[33] Gründe wurden dafür nicht angegeben, aber man kann sicher davon ausgehen, dass man die Absicht der Kaufpartner durchschaute und sie durchkreuzen wollte.

Am 21. April 1942 verlangte die Devisenstelle erneut Informationen über ihre gegenwärtigen Lebenshaltungskosten. Diese betrugen jetzt nur noch 125 RM, hatten sich also seit der letzten Aufstellung mehr als halbiert. Der Grund ist sicher zum einen darin zu suchen, dass sie über mehr Geld nicht verfügte, allerdings hatten sich auch die Mietkosten, die zuvor mit 90 RM angegeben waren, auf 36 RM reduziert. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die Miete angesichts der Lage seiner Mitbewohner von Dr. Laser heruntergesetzt worden war, der wahrscheinlichere Grund ist aber darin zu suchen, dass inzwischen weitere Mieter hinzugekommen waren, die sich nun die Räume und damit auch die Mietkosten teilen mussten bzw. konnten. Das Ehepaar Georg und Margarethe Goldstein war bereits etwa eine Woche vor Frida Kahn in die Langgasse gezogen, kann also die gesunkene Miete nicht verursacht haben. Die weiteren Mitbewohner Elise Baer und Auguste Herz kamen dagegen erst im Mai 1941 in die Wohnung im zweiten Stock der Langgasse 20. Mindestens mit einer der beiden allein stehenden Frauen wird sich Frida Kahn ihr Zimmer von da an geteilt haben müssen.[34]
Aus der Aufstellung geht auch hervor, dass Frida Kahn weiterhin als Zwangsarbeiterin tätig gewesen zu sein scheint. Ob es sich noch um die gleiche Firma handelte, lässt sich daraus nicht entnehmen. Aber ein Betrag von monatlich 9 RM war darin für Fahrtkosten zur Arbeitsstätte angegeben.[35] Auch wurde ihr in dem darauf folgenden Sicherungsbescheid vom 30. April 1942 erneut die Entgegennahme des Lohns in bar erlaubt, zugleich aber ihr Freibetrag erneut gesenkt, diesmal auf nur noch 70 RM.[36]

Es blieb ihr ohnehin nur noch eine knappe Lebenszeit von sechs Wochen. Ihr Name stand auf der Liste derjenigen, die am 10. Juni 1942 deportiert wurden. Etwa 370 Menschen waren an diesem Tag nach Frankfurt gebracht worden, wo der Zug am 11. Juni seine Fahrt nach Lublin aufnahm. Ein zahlenmäßig nur vage bestimmbarer Teil – etwa 190 bis 250 arbeitsfähige Männer – wurden dort zum Aufbau des Lagers Majdanek abkommandiert. Die verbliebenen Insassen brachte man vermutlich in das Vernichtungslager Sobibor, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden.[37]

Wiederum vier Wochen später wurde ihr restliches Vermögen – vermutlich war kaum noch mehr da als ihr Anteil am Haus in der Querstraße – vom Deutschen Reich konfisziert.[38] Auf Anforderung des Finanzamts Wiesbaden vom 24. August 1944 wurde am 7 September 1944 die entsprechende Korrektur im Grundbuch vorgenommen. Der halbe Hausanteil gelangte damit in den Besitz des Reichsfiskus und wurde vom Finanzamt Wiesbaden verwaltet.[39]

 Ida Wehnert, geborene Kahn

Sehr viel weniger als über Frida ist über ihre jüngere Schwester Ida bekannt, der Miteigentümerin am Haus in der Querstraße. Sie war am 10. April 1895 als viertes Kind von Daniel und Emma Kahn in Schierstein geboren worden, hatte – wie dem Geburtseintrag zu entnehmen ist – ihren Vornamen aber erst knapp zwei Wochen nach der Geburt erhalten.[40] Über ihre schulische und berufliche Ausbildung liegen keine Informationen vor. Allerdings erwähnt ihr Vater in einem Brief aus dem Jahr 1920 an das Wiesbadener Finanzamt, dass neben anderen seiner Kinder auch Ida, die damals schon 25 Jahre alt war, in seinem Geschäft tätig sei, aber kein eigenes Einkommen bezöge.[41] Möglicherweise blieb sie auch in den folgenden Jahren im elterlichen Betrieb beschäftigt und trat erst aus, nachdem sie am 6. März 1933 eine Ehe eingegangen war.[42] Ihr Ehemann war der am 5. September 1892 in Kehl am Rhein geborene und evangelisch getaufte Karl Konrad Wehnert, von Beruf Dreher.[43] Er hatte im Ersten Weltkrieg – so seine Frau – „den Krieg in Tsingtau mitgemacht und (war) erst spät nach Beendigung desselben in die Heimat zurückgekehrt.“[44] Bei den Kämpfen um die ehemalige deutsche Kolonie hatten die dort stationierten deutschen Truppen vergeblich versucht, die japanischen Angriffe abzuwehren. Nach ihrer Kapitulation im November 1914 geriet wohl auch Karl Wehnert in japanische Gefangenschaft. Erst 1920 wurden die letzten Kriegsgefangenen aus den verschiedenen Lagern auf japanischen Boden entlassen. Vermutlich schon bei den Kämpfen selbst war er verwundet worden und hatte sein Gehör nach Angabe von Ida Wehnert weitgehend verloren.

Seit 1921, so die Aussage eines Zeugen im späteren Spruchkammerverfahren gegen den Schiersteiner Ortsgruppenleiter Rudolf Dauster, habe er mit Karl Wehnert bei der Firma Kalle zusammen gearbeitet.[45] Offenbar war dieser bald nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft nach Schierstein gekommen, wo dann allerdings erst sehr viel später die Ehe mit Ida Kahn zustande kam.

Wann das Paar in die Querstr. 6 zog, ist nicht genau zu sagen. Erstmals sind sie im Wiesbadener Adressbuch von 1936/37 mit dieser Adresse aufgeführt, aber im Jüdischen Adressbuch von 1935 ist Ida Wehnert als jüdische Ehefrau mit dieser Adresse schon zu finden. Vielleicht waren sie aber bereits unmittelbar nach dem Tod von Moritz Hermann dort eingezogen.

Es liegen auch keine Informationen darüber vor, inwieweit das Haus bei dem Novemberpogrom betroffen war. In den Ermittlungsakten gegen die beiden Haupttäter ist es nicht erwähnt. Offensichtlich war auch Ida Wehnert nicht zur Judenvermögensabgabe herangezogen worden. Zumindest ließen sich im Entschädigungsverfahren keine Belege für eine solche steuerliche Sonderleistung finden.[46]

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Zunächst plante Ida Wehnert keine Auswanderung aus Deutschland
HHStAW 519/3 12272 (34)

Allerdings hatten die Antragsteller eine solche Zahlung vermutet und es ist trotz fehlender Belege nicht von der Hand zu weisen, dass zumindest Ida Kahn über eine ähnlich großes Vermögen verfügt haben muss, wie ihre Schwester Frida, da auch sie, neben dem Haus in der Querstraße, der Erbengemeinschaft angehörte, der die übrigen Gebäude und Ländereien der Familie Kahn gehörten. Auch stand ihr der 48ste Teil der amerikanischen Feibelmannerbschaft zu. Allerdings hatte sie 1939, als die Frage anstand, ob die Geschwister im Hinblick auf eine geplante Auswanderung auf den Nachlass angewiesen seien, noch geantwortet, dass sie eine solche zur Zeit nicht plane, weil ihr Mann noch in einem festen Arbeitsverhältnis stehe. Da ein solcher Schritt aber zukünftig nicht ausgeschlossen sei und ihr Mann auf Grund seiner Kriegsverletzung im Ausland nur schwer eine neue Existenz aufbauen könne, erhebe sie ebenfalls Anspruch auf ihren Nachlassanteil.[47] Weder sie, noch ihre Schwester gelangten jedoch an dieses Geld, da die amerikanischen Nachlassverwalter nicht bereit waren, den größten Teil der Devisen dem deutschen Staat zu überlassen, wie dieser gefordert hatte.[48]

Ohne dieses Geld war die Auswanderung nicht zu bewerkstelligen und Ida Kahn, obwohl vermeintlich durch ihre Ehe mit einem Arier geschützt, letztlich auch der Vernichtung preisgegeben. Schon lange, aber verschärft seit 1938 hatte zudem der Ortsgruppenleiter (OGL) von Schierstein Rudolf Dauster laut verschiedener Zeugenaussagen in seinem späteren Spruchkammerverfahren dem Ehepaar Wehnert das Leben „zur Hölle“ gemacht.[49] Dauster saß damals schon wegen Rädelsführerschaft bei dem Novemberpogrom in Schierstein in Haft. In der Klageschrift heißt es, dass er, NSDAP-Mitglied seit dem 1. September 1930, sich „als überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, insbesondere ihrer Rassenlehre erwiesen“ habe: „Durch sein scharfes Vorgehen wurde die Bevölkerung eingeschüchtert, besser gesagt, mundtot gemacht und dadurch wiederum wurde die Gewaltherrschaft der NSDAP wesentlich gefördert.“[50]

Zu den Opfern dieses strengen Regiments des OGL gehörte nicht zuletzt auch das Ehepaar Wehnert. Offenbar hatte eine Nachbarin in der Querstraße Dauster immer wieder die notwendigen denunziatorischen Informationen geliefert, wobei allerdings in dem Verfahren unklar blieb, welche Motive sie gehabt haben könnte. Dauster soll Karl Wehnert in den Jahren der NS-Herrschaft immer wieder bedrängt haben, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen. Wenn er dieser Forderung nicht nachkäme, hätte er die entsprechenden Folgen zu tragen. Gemeint war der Verlust des Arbeitsplatzes, den er inzwischen seit 25 Jahren zur vollen Zufriedenheit seines Arbeitgebers ausgeübt hatte. „Auch hier hat W[ehnert] bei mir als Vertreter des zuständigen Leiters der technischen Werkstätten, Herr Ober-Ing. Müller, Schutz gesucht. W[ehnert], der mit tränenden Augen und vollkommen erschöpft in der Hauptwerkstatt der Firma Kalle & Co. vor mir stand, wußte nicht mehr, was er noch machen sollte.“[51]
Einmal soll er sogar in die NSDAP-Ortsgruppe einbestellt worden sein, wo man ihn dann vor die Alternative gestellt habe„wenn er die Kraft und den Mut nicht finden würde, sich scheiden zu lassen, dann solle er sich selbst erschießen“.[52] Die Drangsalierungen gingen noch weiter. Auf Dausters Veranlassung wurde es lokalen Geschäften, u. a. Bäckereien, verboten, dem „Judengesindel“ weiterhin Lebensmittel zu verkaufen. Diese musste sich Karl Wehnert, der öfter im Außendienst arbeitete, dann von auswärts besorgen. In der Dunkelheit brachte er sie dann ins Haus – blieb dabei allerdings nicht unbeobachtet. Es war wohl wieder die Nachbarin, die den Ortsgruppenleiter davon unterrichtete und ihn als „Hamsterer“ denunzierte. Als sich wieder einmal die Gelegenheit bot, soll Dauster den zuständigen Zellenwart beauftragt haben, zu Wehnerts zu gehen, die Lebensmittel zu konfiszieren und sie zum Rathaus zu bringen. Damals wurde Wehnerts eine Strafe von 1.000 RM obendrein auferlegt. [53]

Man kann sich nur vage vorstellen, wie sehr Karl und Ida Wehnert unter diesen ständigen Repressalien und Anfeindungen gelitten haben müssen. Offenbar hatte Ida sich schon längst mit der Frage auseinandergesetzt, wie sie sich dieser unerträglichen Situation entziehen könne. Zwar war sie bei allen großen Deportationen des Jahres 1942 verschont geblieben, aber viele ihrer Verwandten und Bekannten waren inzwischen „evakuiert“ worden. Inzwischen, spätestens seit März 1943, gewährte auch ihr rechtlicher Status als Partnerin in einer Mischehe faktisch keinen Schutz mehr vor der Deportation, selbst dann nicht, wenn der arische Partner noch am Leben war. Seit dem Frühjahr waren immer wieder kleinere Transporte mit solchen formal noch geschützten Ehepartnern von Wiesbaden aus in verschiedene KZs anberaumt worden. Als Ida Wehnert im Frühherbst 1943 auf das Wiesbadener Polizeipräsidium einbestellt wurde, wird sie geahnt haben, was das zu bedeuten hatte. Sie fasste damals den Entschluss, der Aufforderung nicht Folge zu leisten, sondern sich im Rhein das Leben zu nehmen, eine verzweifelte, aber zugleich auch letzte selbst bestimmte Entscheidung.
Der Versuch scheiterte. Ida Wehnert wurde in Walluf an das Ufer gespült und gerettet. Ein Cousin von Karl Wehnert gab im Spruchkammerverfahren zu Protokoll, dass Dauster sich damals mit den Worten „An diesem Weibe könnte ihm nichts mehr liegen!“ weigerte, einen Krankenwagen für den Transport der Geretteten zur Verfügung zu stellen. Ihr Mann musste sie mit einem Leiterwagen in Wallau abholen und unter dem Gespött der Schiersteiner Bürger zum Rathaus bringen. Von dort wurde sie dann in die Städtischen Kliniken transportiert.[54]

Frida Kahn, Daniel Kahn, Ida Kahn, Ida Wehnert, Karl Wehnert, Schierstein, Wiesbaden, Judenhaus, Querstr. 6, Judenhäuser
Deportationsbuchhaltung der Stadt Wiesbaden
Stadtarchiv Wiesbaden WI / 2 2225

Ihren Heimatort, in dem man ihr so Schreckliches angetan hatte, sah sie nie mehr wieder. Am 8. September 1943 wurde sie unmittelbar vom Krankenhaus aus in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überführt.[55]
Am gleichen Tag deportierte man auch den ebenfalls in einer Mischehe lebenden Friedrich Buschhoff, allerdings nach Buchenwald. Am 15. September schickte man Siegfried Hirschberg, ebenfalls mit einer evangelischen Partnerin verheiratet, nach Auschwitz und am folgenden Tag waren es sogar sechs jüdische Partner aus Mischehen, die den Weg nach Auschwitz antreten mussten.[56]

Sicher lässt sich Ravensbrück nicht mit Auschwitz Birkenau oder Mauthausen vergleichen, aber ein Ort des Grauens war das Lager dennoch unzweifelhaft. Über die Torturen, die Ida Wehnert hier zu ertragen hatte, gibt es keine genauen Informationen. Die meisten Insassen wurden zu harter Arbeit in der Landwirtschaft oder beim Aufbau des Lagers verpflichtet, seit Kriegsbeginn im Allgemeinen 11 Stunden täglich. Auf Grund der seit 1943 sprunghaft ansteigenden Einlieferungszahlen – zumeist aus osteuropäischen Ländern – wurden immer mehr der gefangenen Frauen in Außenlager verbracht, wo sie in Rüstungsfirmen eingesetzt wurden.[57] Ida Wehnert scheint aber in Ravensbrück geblieben zu sein, denn von hier schickte sie noch am 30. Oktober 1944 einen Brief an Verwandte bzw. Bekannte nach Wiesbaden. Auf einem der für jede Häftlingsgruppe eigens geschaffenen Briefformular, auf dem seit Kriegsbeginn genau 16 Zeilen zur Verfügung standen und dessen Inhalt selbstverständlich zensiert wurde, durften die gefangenen Frauen einen Brief im Monat abschicken und empfangen. Wie dem vorliegenden Brief zu entnehmen ist und was auch durch Häftlingsberichte bestätigt wird, durften die Gefangenen auch Pakete erhalten und ihre Wünsche in diesen Briefen den Kontaktpersonen außerhalb mitteilen.
Der Brief lässt nur erahnen, in welcher ausweglosen Situation sie sich damals befand, zumal ein weiterer Schicksalsschlag in dem Brief angesprochen wird:

„Liebe Elisabeth,
als Dein Brief kam war ich schon von anderen Leuten von dem schweren Schicksal, was mich betroffen hat, unterrichtet. Für Deine Teilnahme herzl. Dank. Mit Deinem Vorschlag betreff’s Deiner Mutter bin einverstanden. Ich bitte die Miete für mich zu verwenden mir weiter Pakete zu schicken. Aus meinen Sachen, 1 Hemd, 1 Schlüpfer 2 p. Strümpfe, Nachthemd u. Strumpfgürtel (neu). Gib mir weiter Nachricht. Ich hoffe Euch alle gesund u. grüße Dich u. klein Gertrud besonders, Eure Ida Wehnert.
Für Frau Klara Gresch. Liebe Klara, hart u. schwer hat mich das Schicksal getroffen. Das Beste wurde mir genommen. Wie soll ich auch dieses noch ertragen. Ich danke Ihnen für alles, was Sie an meinem geliebten Mann getan haben. Pflegt mir das Grab. Ich bitte Sie herzlich, mich nicht zu vergessen u. mir weiter zu schicken. Als Andenken lassen Sie sich das Radio im Hause geben. Erwarte Brief. Grüße an alle.
Ida“
[58]

Worüber man sie informiert hatte, war der Tod ihres Mannes, der am 19. September 1944 in Biebrich ums Leben kam. Zwar sind die genauen Umstände seines Todes nicht bekannt, aber auf Grund der Angaben im Leichenschauschein und im Sterberegister kann man doch begründete Vermutungen anstellen: Der Tag seines Todes war einer derjenigen im Spätsommer 1944, an denen Wiesbaden zum Ziel alliierter Bombenangriffen wurde. Weichel schreibt über die Ereignisse am diesem Septembertag:
Die Angriffe gingen schon am 19. September weiter, nur sollte es diesmal wieder Biebrich treffen. Die chemische Industrie in diesem Stadtteil war nach Einschätzung der Amerikaner und Briten von keiner kriegsentscheidenden Bedeutung. Aber sie standen auf der Liste potentieller Ziele, die jede Bomberbesatzung mitführte. An diesem Tag konnte ein geplanter Angriff der 8. amerikanischen Bomberflotte auf Ziele im Mittelrheingebiet wegen schlechter Sicht nicht durchgeführt werden. Die Flugzeuge drehten ab und suchten in einzelnen Pulks nach Gelegenheitszielen. Die 452. und 96. Bombardgroup nahmen Kurs auf die Firmen Kalle und Albert, die 34. griff den Flugplatz Erbenheim an. 38 „fliegenden Festungen“ warfen 99 Tonnen Sprengbomben über den Fabriken ab. Trotz des heftigen Flakfeuers — ein Flugzeug der 96. wurde dabei abgeschossen – schlugen etwa 75% der mitgeführten Sprengbomben in das Zielgebiet ein.“.[59]

Karl Wehnert war tragischerweise Opfer dieses Angriffs der Befreier geworden. Beim Ort, wo er laut Leichenschauschein verstarb, handelt es sich um die damalige Rheinstr. 44 in Biebrich, der Sitz der Firma Kalle & Albert, wo er seit vielen Jahren eine Anstellung hatte. Schon der Arzt hatte als Todesursache „totale Verbrennung“ notiert, im Sterberegister ist diese Aussage „durch Luftangriff“ ergänzt. Die Todesmeldung beim Standesamt erfolgte damals durch die Kriminalpolizei. In beiden Dokumenten ist daneben aber eine weitere, nicht wirklich zu deutende Todesursache festgehalten: „Genickschuß“. War dieser Genickschuss durch den Angriff der Alliierten erfolgt oder war er – was allerdings kaum vorstellbar ist – quasi ein Art „Gnadenschuss“, mit dem man dem Schwerstverletzten weiteres Leiden ersparen wollte oder hatte man am Ende sogar die Gelegenheit genutzt, um so ganz nebenbei sich eines „jüdisch versippten Volksfeinds“, dessen Frau im KZ einsaß, zu entledigen ? Offene Fragen, die nicht mehr zu klären sind.

 

Mit dem Tod von Karl Wehnert und der Inhaftierung von Ida Wehnert in einem Konzentrationslager auf dem Boden des „Altreichs“ war für die Behörden, aber auch für den vom Finanzamt Wiesbaden eingesetzten Hausverwalter Spring, eine rechtlich schwierige Situation entstanden. Der Hausverwalter versuchte zwar die ihm übertragene Aufgabe mit Verweis auf Arbeitsüberlastung abzuwehren, denn er erkannte wohl sehr schnell die Komplexität dieses Falls. Der Eigentumsanteil von Frida Kahn war zwar eingezogen und auch wenige Tage vor dem Tod von Karl Wehnert im Grundbuch auf das Deutsche Reich übertragen worden, aber wem gehörte die andere Hälfte. Schon der Umgang mit der verbliebenen Wohnungseinrichtung bereitete dem Verwalter Probleme. Deshalb schrieb er am 19. Oktober 1944 an das Finanzamt Wiesbaden: „Ob auch der Erblasser Wehnert (Karl) Miteigentum an dem Grundstück hat, konnte ich in Ermangelung diesseitiger Unterlagen bisher noch nicht feststellen. Wie dem auch sei, möchte ich nicht verfehlen, wegen der Räumung der Wohnung-Wehnert mit Ihnen in Verbindung zu treten. Da mir nicht bekannt ist, was von dem Hausrat pp der Wohnung im Eigentum des Erblassers bezw. im Eigentum der Ida Wehnert geb. Kahn steht, bitte ich den Räumungstermin nicht zu früh ansetzen zu wollen.
Ich bitte um angemessene Vorschläge. Teilen Sie mir bei dieser Gelegenheit auch mit, welche Grundstücksanteile durch das Finanzamt als vertreten gelten und wie es hinsichtlich der nicht vertretenen Anteile gehandhabt werden soll.“
[60]
Das Finanzamt wandte sich daraufhin an die Institution, von der im NS-Staat am ehesten Klärung zu erwarten war: die Gestapo. Von ihr erfuhr man, dass eine Konfiskation des Anteils von Ida Wehnert weder nach deren Verhaftung vorgenommen worden war, noch nach dem Tod ihres Mannes beabsichtigt sei. Der Grund dafür ist vermutlich darin zu suchen, dass Ida Wehnert nicht ins Ausland „abgeschoben“ worden war, sondern sich weiterhin im Deutschen Reich aufhielt, was eine Enteignung nur im Rahmen eines individuellen und langwierigen Verfahrens ermöglicht hätte.[61]

Querstr. 6, Judenhaus Wiesbaden Schierstein
Brief des Hausverwalters Spring an das Finanzamt Wiesbaden vom 18.11.1944
HHStAW 519/2 2168

Etwa einen Monat später teilte Spier dem Finanzamt mit, dass Erben gefunden seien – Namen nennt er nicht -, die in absehbarer Zeit auch einen Erbschein erlangen würden.[62] Es kann sich dabei nur noch um Verwandte von Karl Wehnert gehandelt haben, die dann – so kann man dem Brief von Ida Wehnert entnehmen – eigenständig Mieter gefunden hatten.

Mit der Mieteinnahme sollten Pakete, vermutlich hauptsächlich Lebensmittelpakete, nach Ravensbrück finanziert werden. Dies war seit Oktober 1942 in unbegrenzter Zahl möglich, um so die völlig unzureichende Ernährungslage aufzubessern. Auch deshalb blieb die Sterblichkeitsquote in Ravensbrück in den folgenden Monaten im Vergleich mit anderen Konzentrationslagern relativ niedrig.[63]

 

Mit der sich abzeichnenden Niederlage des NS-Staates und dem Vormarsch der sowjetischen Truppen wurde aber die Situation in allen im Osten gelegenen Lagern, trotz der nahenden Befreiung, immer desolater und für die Insassen immer lebensbedrohlicher. Immerhin konnten im April noch etwa 7500 Frauen im Besonderen durch die Initiative des schwedischen und dänischen Roten Kreuzes evakuiert und gerettet werden. Weitere 2500 Frauen wurden im März / April noch entlassen. Für die übrigen bedeutete die Räumung des Lagers eine letzte Kraftanstrengung, die viele nicht mehr aufbringen konnten. Die Kranken und gehunfähigen Frauen, etwa 3500, ließ man einfach zurück. Sie hatten das Glück am 29. / 30. April 1945 von der Roten Armee befreit zu werden.

Ida Wehnert, Querstr. Schierstein Judenhaus Wiesbaden
Stolperstein für Ida Wehnert vor ihrem Haus, heute Am Grünen Baum 9 in Wiesbaden Schierstein
Eigene Aufnahme

Etwa 20.000 wurden auf Befehl Himmlers von Ravensbrück aus auf Todesmärsche nach Nordwesten getrieben, darunter auch Ida Wehnert. Sie erreichte zwar noch das Lager Bergen-Belsen, aber zum Überleben fehlte ihr die Kraft, vielleicht auch der Wille. Sie verstarb noch dort bzw. in dem zum Ortsteil Bergen gehörenden Camp Loheide am 2. Juni 1945, nur wenige Wochen nach der Befreiung.[64]

 

Im Grundbuch waren nach dem Krieg als Eigentümer des ehemaligen Judenhauses der „Reichsminister der Finanzen (als Rechtsnachfolgerinder Frieda Sara Kahn)“ und noch Ida Wehnert eingetragen.[65] An Stelle der Letztgenannten waren nach deren Tod ihre rechtzeitig in die USA ausgewanderten Erben, die Geschwister Else Sommer, Adolph Kahn und Robert Kahn, getreten. Deren Rückerstattungsantrag für die vom Reich konfiszierte Haushälfte von Frida Kahn war am 8. September 1949 positiv beschieden worden.[66]

Veröffentlicht: 10. 04. 2021
Letzte Revision: 27. 09. 2023

 

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Anmerkungen:

[1] Heiratsregister Wiesbaden 10 / 1933.

[2] Das Judenhaus in der Dotzheimer Str. 15 war allerdings ebenfalls ein Haus, das einem Eigentümer gehörte, der in einer Mischehe lebte. Gustav Abraham war mit der christlich getauften Anna Messerschmidt verheiratet. Allerdings war in diesem Fall der allerdings bereits 1925 verstorbene, männliche Partner Jude und die Witwe wohnte selbst nicht in dem Haus. Siehe dazu das Kapitel über die Familie Abraham.

[3] Geburtsregister Schierstein 37 / 1890.

[4] Geburtsregister Schierstein 30 / 1895. Wesentliche Informationen zur gesamten Familie Kahn, die auch das Schicksal von Frida und Ida betreffen, sind im Kapitel über Otto Kahn und seine Frau Emilie, geborene Teutsch, zu finden. Zur Familie Teutsch siehe ebenfalls oben das Kapitel zum Judenhaus Herrngartenstr. 11. Das Aktive Museum Spiegelgasse hat zudem ein Erinnerungsblatt für Ida Wehnert, geborene Kahn, veröffentlicht. Siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Wehnert-Ida.pdf. (Zugriff: 8.4.2021).

[5] Sterberegister Schierstein 9 / 1901. Die Todesnachricht hatte der älteste Sohn Daniel Kahn dem Standesamt überbracht. Die Änderung der Nummerierung erfolgte vermutlich, nachdem der Zwischenraum zwischen dem ersten und letzten Haus in der kleinen Straße bebaut worden war. Im Grundbucheintrag, HHStAW 519A 891 (12), und im Rückerstattungsantrag von 1949, ebd. (2), heißt es ausdrücklich „Querstrasse Nr 2 a jetzt 6, Wiesbaden –Schierstein.“ Im Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für Ida Wehnert ist versehentlich die frühere Nummer des Hauses mit 3 angegeben.

[6] Heiratsregister Schierstein 10 / 1894.

[7] HHStAW 519/2 2168 (o.P.) Vermerk des Finanzamts Wiesbaden vom 30.5.1944.

[8] HHStAW 519A 891 (2).

[9] Ebd. (12). Grundbuch Schierstein Bd. 10 Bl. 299. Moritz Hermann war bis zu seinem Tod auch Anteilseigner an der OHG Kahn gewesen.

[10] HHStAW 519/2 2168 (o.P.). Mathilde Hermann, geboren am 26.9.1867 in Schierstein, verstarb dort am 8.7.1922, ihr Mann war am 8.3.1864 in Heldenbergen geboren worden. Sein Tod erfolgte am 2.8.1932 ebenfalls in Schierstein.

[11] Ebd.

[12] In diesem Jahr, in dem erstmals im Wiesbadener Adressbuch die Bewohner Schiersteins aufgeführt wurden, ist Daniel Kahn mit dieser Adresse aufgeführt. Die Firma ,Gebr. Kahn’ war damals bis zum Ende des Ersten Weltkriegs allerdings in der Dotzheimer Str. 2 angesiedelt.

[13] HHStAW 685 346a (1ff.).

[14] Ebd.

[15] Ebd. (6). Siehe dazu ausführlich oben im Kapitel über Otto Kahn.

[16] Ebd. (15).

[17] Ebd. (12).

[18] HHStAW 519A 892 (10).

[19] HHStAW 685 346a (o.P.). Siehe dazu auch den Eintrag in der Liste X 3, die die Überschrift „Freigewordener Wohnraum von evakuierten Juden am 10. 6. 1942“ trägt. Darin ist sie unter der Nummer 67 aufgeführt. Es heißt weiter, dass sie ein Zimmer als „Teilwohnung b. Laser“ bewohnt habe. Die Langgasse 20 war kein offizielles Judenhaus, aber immerhin waren dort in der Zeit zwischen 1939 und 1942 insgesamt 20 jüdische Personen einquartiert und immerhin 6 Personen waren auch aus diesem Haus heraus deportiert worden.

[20] HHStAW 519/3 12272 (37).

[21] HHStAW 685 346a (14).

[22] Ebd. (16).

[23] Ebd. (18).

[24] Ebd. (21).

[25] HHStAW 685 346b (1).

[26] HHStAW 519/3 3272 (5).

[27] Ebd. (1).

[28] Ebd. (3).

[29] HHStAW 519/3 12272 (37).

[30] HHStAW 519/3 3272 (11, 12). Über welchen Zeitraum die Anstellung als Hilfsarbeiterin lief, ist nicht bekannt.

[31] Ebd. (13).

[32] HHStAW 685 346 b (7).

[33] Ebd. (8).

[34] Elise Baer und Auguste Herz waren für die Deportation am 1.9.1942 vorgesehen. Elise Baer nahm sich unmittelbar vor dem Termin am 25.8.1942 in ihrer Wohnung in der Langgasse das Leben, Auguste Herz ging auf den Transport und verstarb am 14.12.1942 in Theresienstadt. Das Ehepaar Goldstein, das zusammen mit dem Ehepaar Guthmann die Bezirksstelle Hessen-Nassau der ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland’ zunächst leitete und dann von Frankfurt aus abwickeln musste, zog am 22.11.1942 in den dortigen Hermesweg 4. Von dort aus wurden sie am 18.3.1943 über Berlin nach Theresienstadt deportiert, wo Georg Goldstein am 31.8.1943 zu Tode kam, während seine Frau noch nach Auschwitz gebracht wurde. Sie wurde dort am 9.10.1944 ermordet. Zur Familie Goldstein hat das Aktive Museum Spiegelgasse ein Erinnerungsblatt veröffentlicht, siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/Erinnerungsblatt%20Dr.%20Georg%20und%20Margarethe%20Goldstein.pdf. (Zugriff: 8.4.2021)

[35] HHStAW 519/3 3272 (14). Das Schreiben ist von ihr versehentlich mit 25.4.1925, statt 1942 datiert worden, stammt aber aus dem April 1942, wie dem Eingangsstempel der Devisenstelle zu entnehmen ist.

[36] Ebd. (16).

[37] Siehe Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 214, Kingreen, Gewaltsam verschleppt, S. 373 f.

[38] HHStAW 519/3 3272 (17), auch HHStAW 519/2 2168.

[39] HHStAW 519/2 2168 Schreiben des Amtsgerichts Wiesbaden an die Devisenstelle Frankfurt vom 2.10.1944.

[40] Geburtsregister Schierstein 30 / 1895.

[41] HHStAW 685 345 (12).

[42] Heiratsregister Wiesbaden 10 / 1933. Als einer der Trauzeugen fungierte ein Pensionär Ludwig Wehnert. In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis er zu dem Bräutigam stand, ist nicht bekannt. In Schierstein war der Name Wehnert recht häufig anzutreffen.

[43] Sterberegister Wiesbaden 283 / 1944. In der Sterbeurkunde ist unter Eltern ausschließlich die Mutter Sofie Wehnert erwähnt, die zuletzt in Schierstein gewohnt hatte. Dies könnte darauf hindeuten, dass Karl unehelich geboren worden war.

[44] HHStAW 519/3 12272 (34).

[45] HHStAW 529/38 55674 (23).

[46] HHStAW 518 55234 (6, 17, 25 ff).

[47] HHStAW 519/3 12272 (34).

[48] Siehe dazu im Kapitel zur Familie Kahn.

[49] HHStAW 520/38 55674 (25).

[50] Ebd. (42).

[51] Ebd.

[52] Ebd. (26).

[53] Ebd. (27, 28).

[54] Ebd. (25, 26, 42).

[55] Rudolf Dauser, der anwaltlich u. a. durch den ehemaligen Wiesbadener NSDAP-Oberbürgermeister Mix vertreten wurde, konnte in seinem Spruchkammerverfahren wie üblich eine Vielzahl von „Persilscheinen“ vorlegen, die die allzeit gerechte und humane Amtsführung des OGLs bezeugten. Darunter befindet sich auch die Aussage des jüdische Mitbürgers Julius Löwenthal, ebenfalls in einer Mischehe lebend. Dauster habe sich stets für alle, auch für Jüdinnen und Juden, eingesetzt und Schlimmeres verhütet. Gleichwohl wurde Dauster im Verfahren der Gruppe 2, somit den Aktivisten, zugeordnet und zu vier Jahren Arbeitslager verurteil, Zudem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt und weitere Einschränkungen auferlegt. In wirtschaftlicher Hinsicht musste er 20 Prozent seines Vermögens abtreten und die Kosten des Verfahrens über 31.000 DM tragen. Die Verurteilung beruhte aber im Wesentlichen auf seiner Rolle während der Reichspogromnacht. Seine Rolle bei den anderen Aktionen war nicht immer zweifelsfrei nachzuweisen. So heißt es zu den Anschuldigungen bezüglich der Familie Wehnert in dem Urteil:
“Auf Grund glaubwürdiger Zeugenaussagen war erwiesen, dass der Betroffene den inzwischen verstorbenen Wehnert wiederholt zu sich bestellte und ihn zu veranlassen suchte, sich von seiner jüdischen Ehefrau, mit der Wehnert in bester Harmonie lebte,  scheiden zu lassen. Da die Eheleute Wehnert in einer ‚privilegierten’ Ehe lebten, hätte diese Ehescheidung bedeutet, dass Frau Wehnert ihren letzten Schutz verloren hätte (Art: 7/I/3).
Ohne Zweifel lag die Möglichkeit nahe, dass der Selbstmordversuch der Frau Wehnert mit den Absichten des Betroffenen in ursächlichem Zusammenhang stand. Einen Beweis hierfür glaubt die Kammer nicht geführt zu sehen.
Nicht zweifelsfrei nachgewiesen erschien, ob der Betroffene es war, der den Transport auf einem Krankenwagen der Lebensmüden verweigert hatte, sodass diese in einem menschenunwürdigen Kondukt von der Stätte ihres Selbstmordversuches abtransportiert werden musste.
Inwieweit der Betroffene für die Wegschaffung von 21 Juden aus Schierstein verantwortlich war, blieb ungeklärt.
Unerwiesen blieb auch, ob auf des Betroffenen Befehl drei Nationalsozialisten 1941/42 dem Ehepaar Wehnert ‚gehamsterte’ Lebensmittel rechtswidrig weggenommen hatten. Die hohe Wahrscheinlichkeit erreichte nicht den Grad der Gewissheit.
Letzteres gilt auch von der Verantwortlichkeit des Betroffenen an der endlichen physischen Vernichtung der Frau Wehnert im KZ, wohin sie als Partnerin einer privilegierten Ehe zu jenem Zeitpunkt normalerweise nicht gekommen wäre.“
Ebd. Urteil (o.P.).

[56] Siehe ‚Wanderungsbewegung der Juden in der Stadt Wiesbaden vom 1. Januar 1934 an’, Stadtarchiv Wiesbaden, WI / 2 2225.

[57] Arndt, Ravensbrück, S. 146, nennt 34 solcher Außenkommandos, die hauptsächlich in Mecklenburg oder Brandenburg, aber auch in Bayern lagen.

[58] Der Brief ist als Faksimile auf dem Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für Ida Wehnert abgedruckt, siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Wehnert-Ida.pdf. (Zugriff: 8.4.2021)

[59] Weichel, Wiesbaden im Bombenkrieg, S. 46 f.

[60] HHStAW 519/2 2168 (o.P.) vom 19.10.1944,

[61] Siehe dazu oben

[62] HHStAW 519/2 2168 (o.P.).

[63] Arndt, Ravensbrück, S. 141 und 149.

[64] https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11651202&ind=1. (Zugriff: 8.4.2021).
Yad Vashem gibt zwar Bergen-Belsen als Sterbeort an, im Entschädigungsverfahren ist allerdings die wohl präzisere Angabe Loheide gemacht worden, siehe 518 55234 (35).

[65] HHStAW 519A 891 (12).

[66] Ebd. (19).