Paula Briefwechsler, geborene Blumenthal, und ihr Sohn Walter


Das ehemalige Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 heute Eigene Aufnahme
Das ehemalige Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 heute
Eigene Aufnahme
Lage
Lage der beiden Judenhäuser der Brüder Selig am Ring und in der Oranienstraße
Belegung des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 80
Belegung des Judenhauses Kaiser-Friedrich-Ring 80

 

 

 

 

 

 

 


Als Paula Briefwechsler am 31. Oktober 1941 in das Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 einzog, traf sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf Bekannte. Wie auch die Familie Kahn, stammte sie ursprünglich aus dem Raum Montabaur im Westerwald. Das Judenhaus war für sie und ihren damals elfjährigen Sohn die letzte Station auf ihrem langen Leidensweg, bevor sie beide im Gas von Sobibor dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer fielen.

 

Die Vorfahren von Paula Briefwechsler

Stammbaum Briefwechsler Blumenthal
Stammbaum der Familien Briefwechser und Blumenthal
GDB

Geboren wurde Paula am 15. September 1899 in Nordhofen bei Selters, etwa 12 km entfernt von Montabaur.[1] Ihr Vater Hermann Blumenthal und seine Frau Johanna / Anna, geborene Heldenmuth, besaßen dort ein kleines Schuhgeschäft, das vermutlich der zweite Ehemann ihrer Großmutter, der katholische Schumacher Johann Blum, eröffnet hatte. Am 14. Oktober 1879 war Regina Rosenau, verwitwete Blumenthal und inzwischen 41 Jahre alt, diese Ehe mit dem aus Kurtscheid bei Neuwied stammenden 25jährigen Mann eingegangen.[2]

 

Johann Blum
Johann Blum
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Regina Blumenthal, geb. Rosenau
https://media.geni.com/p14/29/e1/45/14/53444861b12ea837/blum_regina_reichel_geb_original.jpg?hash=413e64a37937ff56347f4565a81c840d7f6b08c474527c83b746f7574e06d19e.1679986799

Ihr erster Ehemann Wolf Blumenthal war am 3. Oktober 1875 im Alter von 69 Jahren verstorben.[3] Sein Vater „Wolf Haymann modo Blumenthal“ – wie es in dem Heiratseintrag seines Sohnes heißt -, war derjenige, der 1841, als die Juden gezwungen wurden, erbliche Familiennamen anzunehmen, sich für diesen Namen entschied, den dann auch sein Sohn Wolf und dessen mindestens fünf Kinder übernahmen.[4]

Heirat von Wolf Blumenthal und Regina Rosenau in Nordhofen im Jahr 1858

 

Zunächst war am 25. November 1859 die Tochter Bella geboren worden,[5] über deren weiteres Leben allerdings keine Informationen vorliegen.

Eine weitere Tochter mit Namen Caroline kam am 26. Mai 1863 zur Welt.[6] Sie ging am 6. Februar 1883 in Bendorf – wie auch zuvor schon ihre Mutter – die Ehe mit einem Katholiken ein, dem 1855 geborenen Hermann August Franke. Sie selbst konvertierte zum katholischen Glauben und auch die insgesamt acht Kinder des Paares wurden katholisch getauft. [7] Nach mehr als zwanzig Jahren wurde die Ehe am 29. September 1906 wieder geschieden. Sieben Jahre später heiratete Caroline – eigenartigerweise in London – den evangelischen Wäschehändler Friedrich Kraut, geboren am 18. Dezember 1876 in Neviges.[8] Vermutlich lebte das Paar zuletzt in Düsseldorf, wo Friedrich Kraut am 18. August 1939 in einem ‚Städtischen Pflegehaus’ verstarb.[9]

Sterbeurkunde von Caroline Franke aus Lohr a. M.

Auch Caroline Kraut war bis zuletzt in Düsseldorf gemeldet, lebte aber am Ende ihres Lebens laut Sterbeurkunde – die Gründe sind nicht bekannt – in Langenprozelten am Main. „Verstorben“ ist sie allerdings am 21. April 1944 in der nahe gelegenen Heil- und Pflegeanstalt Lohr am Main, angeblich an „Altersschwäche“.[10] Das ist nicht gänzlich ausgeschlossen, sie war fast 81 Jahre alt, aber angesichts der Bedingungen in diesem Haus im Jahr 1944 doch mehr als fraglich und in jedem Fall eine euphemistische Umschreibung ihres Todes. Auch wenn angeblich dort keine „Hungerkost“ wie in anderen Heimen verabreicht wurde, so sind nach Zeugenaussagen zahlreiche Menschen in der Anstalt dennoch verhungert. Manche hätten sogar das Holz der Möbel angebissen.[11] Von den knapp 1000 Insassen des Jahres 1944 starben allein in diesem Jahr 231, somit fast ein Viertel.[12] Zudem konnte aufgrund genauer Aktenstudien festgestellt werden, dass zumindest bei den Männern die Todesrate bei bestimmten Pflegern deutlich vom Durchschnitt abwich, sodass auch andere Instrumente der „wilden Euthanasie“ für den Tod von Caroline in Lohr verantwortlich sein könnten.[13] Man muss allerdings konstatieren, dass sie wegen eines Schlaganfalls dort eingeliefert worden war, nachdem das Kreiskrankenhaus in Lohr ihre Aufnahme wegen Überfüllung verweigert hatte. Neben den akuten Symptomen, hervorgerufen durch den Schlaganfall litt sie auch an Atherosklerose und wohl auch an Diabetes, zumindest erhielt sie angeblich eine diesbezügliche Diät. In einem Eintrag in der Krankenakte wenige Tage vor ihrem Tod ist zu lesen: „zunehmende Kachexie. Fühlt sich elend, wünscht zu sterben.“ Zwar sprechen der kurze Aufenthalt und der generelle körperliche Verfall gegen die Vermutung einer bewussten Euthanasiemaßnahme mittels Nahrungsentzugs, aber eine angemessene Pflege wird sie dort ganz sicher nicht mehr erhalten haben. Nach ihrem Tod wurde sie auf dem Anstaltsfriedhof beigesetzt.

Das Passbild von Hedwig Blumethal auf ihrem Einbürgerungsantrag
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Henriette, geboren am 1. Mai 1865, war die dritte Tochter von Wolf und Regina Blumenthal.[14] Offenbar war sie schon als junge Frau, vielleicht sogar noch als Mädchen alleine in die USA ausgewandert.[15] Am 15. Mai 1887 heiratete sie in Manhattan den Anstreicher Moses Löwenstein, der 1861 als Sohn deutscher Emigranten schon in New York zur Welt gekommen war.[16] In verschiedenen Volkszählungen ist das weiterhin in New York lebende Paar aufgeführt. Henriette, die noch als Hedwig Blumenthal geheiratet hatte, nahm später den für Amerikaner leichter auszusprechenden Vornamen Hattie an. In der Ehe kamen insgesamt vier Söhne zur Welt, die schon alle typisch amerikanische Vornamen erhielten.[17] Die Eltern starben beide noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in New York, Hattie Löwenstein am 1. Februar 1943 und ihr Mann Moses am 22. Juli 1944.[18]

Zerline, genannt Lina, war am 3. September 1871 geboren worden.[19] Zwar ist auch über ihr Leben nicht sehr viel bekannt, aber es scheint sicher zu sein, dass sie zu den Überlebenden des Holocaust gehörte. Sie wurde noch als Lina Fuerste bei der Volkszählung im Mai 1939 wohnhaft in Roitzsch bei Bitterfeld im heutigen Sachsen-Anhalt mit der Adresse Lange Str. 49 registriert.[20] Am 13. Januar 1944 deportierte man sie dann mit dem Transport XVI/4 von Leipzig aus nach Theresienstadt. Bei diesen Transporten Anfang 1944 handelte es sich zumeist um kleinere Gruppen von Ehepartnern aus Mischehen, die durch den Tod bzw. die Scheidung ihren bisherigen Schutz verloren hatten.[21] Auch wenn nicht sicher ist, wer ihr Ehemann war, so kann bei ihrem hohen Alter von mehr als 70 Jahren vermutet werden, dass auch sie inzwischen verwitwet war und damit wieder den Status einer „Volljüdin“ erhalten hatte. Yad Vashem zählt sie zu den Überlebenden,[22] aber wo sie nach der Befreiung lebte und wie lange sie noch am Leben blieb, konnte nicht ermittelt werden.

 

Die Familie von Hermann und Hannchen Blumenthal

Henriette Blumenthal, Hermann Blumenthal, Johanna Blumenthal Heldenmuth, Zerline Blumenthal, Caroline Blumenthal, Walter Blumenthal, Paula Blumenthal Briefwechsler, Hedwig Blumenthal, Erna Blumenthal Weis, Hermann Weis, Friedrich Weis Heinrich Weis, Selma Blumenthal Gamiel, Fritz Gamiel, Karl Blumenthal Margarete Blumenthal Rückersberg, Judenhäuser Wiesbaden, Juden Wiesbaden, Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80, Klaus Flick
Anzeige des Geschäfts im Adressbuch von Selters im Jahr 1922

Hermann, geboren am 20. Juli 1868,[23] war das vierte Kind des Paares. Er war derjenige, der selbst auch Schuhmacher wurde und das Geschäft seines Stiefvaters in Nordhofen übernahm.
Die dortige jüdische Gemeinde bestand in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts aus neun Familien, die aber nach und nach den Ort verließen und in größere Gemeinden oder Städte zogen. Blumenthals blieben in der Nähe und siedelten sich im benachbarten Selters an.[24] Allerdings muss das nach 1896 gewesen sein, denn in diesem Jahr heiratete Hermann Blumenthal am 21. Juli in Gießen Johanna, genannt Hannchen Heldenmuth. Die Braut war am 12. Januar 1868 in Atzbach bei Wetzlar als Tochter des Händlers Kaufmann Heldenmuth und seiner Frau Bette, geborene Süßkind, zur Welt gekommen. Beide waren inzwischen verstorben und Hannchen Heldenmuth hatte in der mittelhessischen Stadt eine neue Bleibe gefunden.[25] Als Wohnort des Bräutigams wurde damals in der Urkunde noch Nordhofen angegeben.[26] Erst bei der Geburt ihres letzten Kindes, dem Sohn Karl, der am 17. März 1905 zur Welt kam,[27] ist als Geburtsort Selters eingetragen, während alle vorhergehenden fünf Kinder noch in Nordhofen zur Welt gekommen waren. Vor Karl war zuletzt Selma am 4. Oktober 1903 noch dort geboren worden.[28] Daraus lässt sich schließen, dass der Umzug der Familie nach Selters um das Jahr 1904 stattgefunden haben muss und Hermann Blumenthal etwa ab diesem Zeitpunkt sein Schuhgeschäft in Selters betrieb.
Die vier Kinder, die vor den beiden bereits genannten geboren wurden, kamen im Zeitraum zwischen 1897 und 1902 zur Welt.
Dem am 20. Oktober 1897 geborener Walter war nur ein kurzes Leben beschieden, er kam bereits mit jungen Jahren am 25. Mai 1918 im Ersten Weltkrieg ums Leben.[29]
Etwa zwei Jahre später, am 15. September 1899, wurde Paula Bila geboren,[30] die zukünftige Frau von Simon Briefwechsler und spätere Bewohnerin des Judenhauses in Wiesbaden.
Ihr folgten dann noch Hedwig am 14. November 1900 und Erna am 7. Januar 1902.[31]

Jugendliche 1930 im Strandbad Freilingen. Die beiden Mädchen in der Mitte der ersten Reihe sind Selma (l) und Erna (r) Blumenthal
Mit freundlicher Genehmigung von U. Jungbluth

Es grenzt geradezu an ein Wunder, dass von allen Nachkommen von Wolf und Regina Blumenthal einzig Paula und ihr Sohn Walter ihr Leben in der Shoa verloren. Allen anderen, sofern sie nicht zuvor verstorben waren, gelang die Flucht und selbst Paulas Schwester Zerline, die sogar schon das Tor zur Mordfabrik durchschritten hatte, konnte noch in letzter Minute entkommen.

Paula selbst besuchte bis zu ihrem 14ten Lebensjahr die Volksschule in ihrem Heimatort, anschließend noch für ein oder zwei Jahre eine Handelsschule, um sich auf ihre Mitarbeit im elterlichen Geschäft vorzubereiten. Nach Angaben ihres späteren Ehemanns Simon Briefwechsler war sie dort sowohl für den Ein- und Verkauf, aber auch für die Buchhaltung verantwortlich.[32]

Vermutlich kam über ihre berufliche Tätigkeit auch die Verbindung zu ihrem späteren Ehemann zustande, der fernab von der Westerwaldgemeinde in Wien, der Hauptstadt der damaligen k.u.k.-Monarchie, geboren worden war. Es bleibt allerdings ein Geheimnis, wie es überhaupt zu dieser Verbindung kam.

Simon Briefwechsler war am 4. Januar 1894 als Sohn von Leo / Leiser / Eliezer Briefwechsler und Anna / Chane Hudes, geborene Horowitz, zur Welt gekommen.[33] Über die Familie ist wenig bekannt, aber man weiß, dass er mit Berthold Benjamin David einen jüngeren Bruder hatte, der am 10. November 1903 ebenfalls in Wien geboren wurde.[34] Wann seine Schwester mit dem Namen Anna / Hanna Debora zur Welt kam, konnte nicht ermittelt werden. Dass es aber eine solche gab, kann man aus den späteren Ehen von Simon Briefwechsler schließen.
Zunächst hatte Simon Briefwechsler – unterbrochen von einem vierjährigen Einsatz als Soldat im Ersten Weltkrieg – bis 1926 in Wien, dann noch zwei Jahre im nahe gelegenen Brunn am Gebirge gelebt, bevor er nach Deutschland kam.[35]

Nach seiner Schulzeit hatte er eine kaufmännische Lehre absolviert und war – so gibt er in seinem Lebenslauf an – danach noch mehrere Jahre als Angestellter in St. Pölten tätig.[36]
1918 kam es zur Eheschließung zwischen ihm und seiner am 26. Mai 1896 geborenen Nichte Pepy Hönig.[37] Sie war die Tochter von Jakob Michael und Anna Debora Hönig, geborene Briefwechsler. Da Simon Briefwechsler Pepys Schwester Rosa, die er nach dem Krieg heiratete, als seine Nichte bezeichnete,[38] muss deren Mutter Hanna Debora seine eigene Schwester sein. Jakob Michael und Anna Debora Hönig lebten bei der Geburt ihrer Töchter in dem Städtchen Treysa im Raum Kassel. Auch die zweite Tochter Rosa war dort am 22. März 1900 zur Welt gekommen.[39] Zumindest ein weiterer Sohn namens Abraham Jakob war ebenfalls noch aus dieser Ehe hervorgegangen.[40] Die Kinder waren damals alle noch unter dem Namen Hönig geboren worden, dem Namen, den die Familie damals noch führte. Wann sie aus welchem Grund später den Namen Alster annahm, ist nicht bekannt.

Goldschmidtsche Haus Usingen
Das ‚Goldschmidtsche Haus‘ in Usingen in der Bildmitte halbrechts
Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Usingen.

In der ersten Ehe von Simon Briefwechsler mit seiner Nichte Pepy war am 26. November 1920 eine Tochter namens Anna geboren worden. Im Alter von nur zwei Jahren verlor das Kind ihre Mutter, denn Pepy erlag 1928 einer Tuberkuloseerkrankung.[41]

Noch im selben Jahr verließ der Witwer Österreich und zog mit seiner Tochter nach Hessen, um sich im dortigen Usingen mit einem Schuhgeschäft selbstständig zu machen. Welche Hintergründe dieser doch frappante Einschnitt in seinem Leben hatte, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Aber offensichtlich gab es über die Familie seiner Frau bzw. Schwester Verbindungen nach Hessen. Aber weder ist bekannt, ob diese auch nach Usingen oder in den Raum Montabaur reichten, noch, wo er die Zeit bis zur Übernahme des Ladens verbrachte. Der Schuhladen, den er übernehmen wollte, war das alteingesessene Geschäft des jüdischen Eigentümers Leopold Goldschmidt.

Eröffnungsanzeige des Schuhhauses Goldschmidt 1886

Der 1886 eröffnete Laden wurde bald nach seiner Gründung in ein frühbarocke Haus in der Pfarrgasse 1 verlegt, das seitdem als das ‚Goldschmidtsche Haus’ mit seinem Namen verbunden blieb.[42] Er selbst, der sich auch kommunalpolitisch engagierte,[43] gehörte offensichtlich zu den honorigen Bürgern der Stadt. Aus Altersgründen und weil er und seine Frau Josephine, geborene Rosenberger, entweder selbst keine Kinder hatten oder diese an der Weiterführung des Geschäfts nicht interessiert waren, suchte er einen Nachfolger außerhalb der Familie. In Simon Briefwechsler fand er offensichtlich Anfang der dreißiger Jahre einen Mann, der die entsprechenden Qualifikationen mitbrachte.
Bevor Simon Briefwechsler Eigentümer des Schuhgeschäfts in Usingen wurde, muss er in Österreich bereits in dieser Branche tätig gewesen sein, denn in einer Anzeige anlässlich der Geschäftsübernahme bekundet er, seit über 20 Jahren als „Schuhfachmann in leitender Stellung bedeutender Schuhfabriken“ hinreichend Kenntnisse für seine neue Aufgabe erworben zu haben. Auch der Vorbesitzer bat darum, seinem Nachfolger das Vertrauen entgegenzubringen, das er über viele Jahre selbst genossen habe.[44]

Das ‚Goldschmidtshaus‘ links neben der Kirche
Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Usingen

Vor der Geschäftsübernahme war er offenbar auch schon mit Paula Blumenthal verlobt, denn sie wird in der Anzeige als seine „zukünftige Frau, die das Schuhwarengeschäft ihrer Eltern selbständig leitete“, vorgestellt. Zusammen würden sie daher „besondere Gewähr für tadellose und erstklassige Bedienung“ bieten.

Geschäftsübernahme des Goldschmidt-Geschäfts durch Simon Briefwechsler

Demnach musste er Paula Blumenthal bereits gekannt haben, bevor er sich in Usingen niederließ. Nach seinen eigenen Angaben war er bereits 1928, nach Auskunft der dortigen Ortspolizei allerdings erst am 8. Januar 1929 „von Selters kommend“ – nicht von St. Pölten – nach Usingen verzogen.[45] Ob er aber zuvor in Selters auch offiziell gemeldet war, konnte nicht ermittelt werden. Das Geschäft firmierte nach der Übernahme unter dem Namen ‚Schuhhaus Goldschmidt Nachf. S. Briefwechsler’.

Heiratseintrag von Simon Briefwechsler und Paula Blumenthal
Heiratsregister Usingen 4 / 1929

Am 8. März 1929 fand dann in Usingen auch die Trauung des Paares statt [46] und etwa eineinhalb Jahre später kam am 4. Januar 1930 dort auch ihr einziges Kind, der Sohn Walter, zur Welt.[47] Vermutlich wurde dieser Name in Erinnerung an Paulas gefallenen Bruder gewählt.
Die Familie bewohnte anfangs noch das schöne Geschäftshaus in der Pfarrgasse, sodass Paula den Laden weitgehend alleine führen konnte, während ihr Mann die Kunden in den umliegenden Ortschaften besuchte.[48] Allerdings erwies sich angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise der Zeitpunkt der Übernahme als äußerst unglücklich. Schon bald, nämlich 1932, mussten Briefwechslers das Geschäft wieder aufgeben.

Anzeige im Usinger Anzeiger 1932

Noch im gleichen Jahr offerierte Goldschmidt im ‚Usinger Anzeiger’ seinen „Laden mit schöner Wohnung, eventuell mit großen Hintergebäuden und Hof für jede Branche geeignet“ anderen Interessenten.[49]

Die Familie Briefwechsler zog in die Nauheimer Str. 27 und Simon übernahm als Reisender, allerdings auf eigene Rechnung, die Vertretung für die ‚Württemberger Trikotagen-Fabrik Gehring’. „Wir waren bei den Leuten in Usingen und Umgebung recht beliebt. Ich hatte mich gut eingeführt und konnte deshalb mit meiner Familie wohl bescheiden, aber sonst frei in Usingen leben.“[50] Das Einkommen für die vierköpfige Familie konnte er durch die Übernahme der Buchführung für das städtische Elektrizitätswerk noch ein wenig aufstocken. Aber auch diese Phase währte nur noch wenige Monate, dann kam der 30. Januar 1933 und seine Möglichkeiten, in den umgebenden Orten seine Waren gefahrlos anbieten zu können, waren dahin. In Schmitten im Taunus war er von einer Gruppe junger Männer misshandelt worden und Angst wurde zum ständigen Begleiter auf seinen Touren durch das Land. Immerhin gab es kirchliche Würdenträger in Usingen, die sich damals noch schützend vor ihn stellten. Aber als ihm dann 1935 der Gewerbeschein entzogen wurde, musste er aufgeben. Auch die Nebentätigkeit bei der Stadt, die ihm aber nur den bescheidenen Betrag von 30 RM im Monat eingebracht hatte, wurde ihm im gleichen Jahr gekündigt. Bezog er zwischen 1930 und 1933 noch ein jährliches Einkommen von 2.000 bis 3.000 RM, so waren er und seine Familie von 1935 an ohne jedes Arbeitseinkommen und blieben auf die Unterstützung durch Verwandte und der Jüdischen Gemeinde angewiesen.

In dieser ausweglosen Situation entschloss sich Simon Briefwechsler am 1. Dezember 1935 zunächst alleine wieder zurück nach Österreich, nach St. Pölten,[51] zu gehen, um hier in dem noch nicht „angeschlossenen“ Land wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen – eine Hoffnung, die sich bald zerschlug, denn in Österreich war die wirtschaftliche Lage nicht weniger desolat als in Deutschland. Der Versuch, sich als Versicherungsvertreter zu etablieren, scheiterte bald. Sein Einkommen reichte nicht aus, um die Familie nachzuholen und sie zu versorgen. Auch in St. Pölten war er zum Überleben wieder auf Almosen der Jüdischen Gemeinde angewiesen.

Seine Frau hatte mit den beiden Kindern Usingen 1935 ebenfalls verlassen, war aber nach Selters zu ihren dort noch lebenden Geschwistern Erna, Selma und Karl zurückgegangen. Aber auch dort hatte sich die Stimmung inzwischen gewandelt. Schon bei den Reichstagswahlen im März 1933 hatte die NSDAP 66 Prozent der Stimmen erhalten, der heutige Marktplatz war in Adolf-Hitler-Platz umbenannt worden und in der Kirche variierte die Orgel im Gottesdienst das Horst-Wessel-Lied.[52] Aber es scheinen im Besonderen die Jugendlichen und Kinder vom Gift des Judenhasses infiziert gewesen zu sein. Jungbluth berichtet davon, dass eine Schülergruppe eine alte Jüdin ständig piesackte [53] und Walter, der inzwischen sechsjährige Sohn der Briefwechslers war nach Angaben seines Vaters damals von anderen Kindern so schwer misshandelt und blutig geschlagen worden, dass die Mutter sich entschied, mit den Kindern ihren Heimatort wieder zu verlassen und trotz der schwierigen Situation ebenfalls nach St. Pölten zu ziehen, wo die wiedervereinte Familie zuletzt in der Kremser Landstr. 57 wohnte.[54]

In der Zeit unmittelbar vor dem „Anschluss“ hatte die dortige einstmals blühende jüdische Gemeinde etwa 400 Mitglieder. Ihre völlige Zerstörung begann mit der Reichspogromnacht, in der auch die Synagoge in Brand gesetzt und geschändet wurde. Von den etwa 400 Menschen, die sich an diesem Akt der Barbarei beteiligten, wurde übrigens nach dem Krieg nicht einer zur Rechenschaft gezogen. Angesichts der immer bedrohlicheren Situation hatte Simon Briefwechsler die Möglichkeit genutzt und seine Tochter Anna von St. Pölten aus mit einer Jugendgruppe nach Palästina geschickt, ihr somit das Überleben gesichert.[55]

Er selbst wurde nach dem Pogrom inhaftiert. Sein Name ist einer von vielen, die auf der Eingangsliste des Konzentrationslagers Dachau mit dem Zugangsdatum 14. November eingetragen wurde.

Inhaftierung des „Jüd(ischen) Agenten Simon Briefwechsler in Dachau
https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/130429602?s=Simon%20Briefwechsler&t=532940&p=0

Der Aufenthalt in diesem KZ war schon als solcher grauenhaft genug. So berichtete er, dass er mit anderen Gefangenen einmal 72 Stunden – nachts von Scheinwerfern angestrahlt – auf dem Appellplatz stehen musste, ohne etwas essen zu oder zum Abort gehen zu dürfen. Simon Briefwechsler wurde aber darüber hinaus offensichtlich mehrfach gefoltert. Völlig nackt sei er bei starkem Frost über eine Strecke von mehr als 500 Metern zum Baden geschickt worden. Ein anderes Mal sei er von SS-Leuten ebenfalls im Winter in kaltes Wasser geworfen worden. Anschließend musste er sich nackt, nur mit einer leichten Decke über sich, in seiner Baracke auf einen Strohsack legen. Die folgende fiebrige Erkrankung hatte er durchgestanden, ohne die Krankenstation zu besuchen, wo er fürchtete, noch Schlimmeres ertragen zu müssen.[56]
Auf Grund seines Fronteinsatzes als Feldwebel im Ersten Weltkrieg wurde er am 6. oder 7. Februar 1939 wieder entlassen.[57] Wie üblich war die Freilassung mit der Auflage verbunden, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Deswegen plante die Familie unmittelbar danach, in die USA zu emigrieren. Alle Möbel und der gesamte Hausrat, der nach Simon Briefwechslers Angaben einen ungefähren Wert von 3.000 RM besaß, wurde zu Schleuderpreisen verkauft. Nur 800 RM konnten sie damals erzielen.[58]
Mit Genehmigung der SS durften sie zunächst nach Wiesbaden ziehen, um von dort ihre endgültige Ausreise vorzubereiten. Am 10. Juli 1939 hatte Simon Briefwechsler – aber nur er! – ein Visum für England erhalten.[59] Eine Woche später kam die Familie laut Eintrag auf der Gestapokarteikarte in Wiesbaden an.

 

 

 

 

 

 

 

 

Unterlagen zur geplanten Auswanderung der Familie Briefwechsler aus Wien
https://www.myheritage.de/research/collection-11000/osterreich-wien-judische-auswanderungsantrage-1938-1939?7

 

Wiesbaden wird zum Treffpunkt der Familien Blumenthal, Weis und Briefwechsler

Das man damals nicht nach Usingen oder Selters zurückkehren wollte, ist nur zu verständlich, angesichts der Erfahrungen, die man dort in den vergangenen Jahren gemacht hatte.
Wiesbaden bot sich aus mehreren Gründen als Zwischenstation an. Zum einen lebten dort mehrere Geschwister von Paula, zum anderen hatte Simon Briefwechsler vermutlich in Dachau Freundschaft mit dem Wiesbadener Schneider Sally Blum geschlossen, der nach der Reichspogromnacht ebenfalls dort inhaftiert war. Eine Wohnung fanden sie nämlich nicht bei einer der Schwestern, sondern bei dem ehemaligen Mitgefangenen und dessen Frau Karoline in der Luisenstr. 26.[60] Deren Sohn Leopold war zuvor im Mai in die USA ausgewandert, sodass es zumindest ein wenig Platz für die Neuankömmlinge gab. Man ging sicher davon aus, dass es sich nur um eine kurze Zeit der Einschränkung handeln würde.

Das Hotel Kronprinz
Ansichtskarte um 1930

Für Paula Briefwechsler war es sicher wichtiger, dass sie in Wiesbaden auch einige ihrer Geschwister um sich hatte, von denen Hedwig schon am längstem dort lebte.
Seit wann das war, gab die nächst jüngere Schwester von Paula in ihrem Entschädigungsverfahren selbst nicht an. „Schon lange vor 1933“, schrieb sie, habe sie in Wiesbaden eine „leitende Stellung“ in dem bekannten koscheren, jüdischen ‚Hotel Kronprinz’ in der Taunusstraße 38 innegehabt.[61] In den Unterlagen zu ihrer späteren Ausreise ist allerdings die Zeit, die sie in Wiesbaden verbrachte, genauer erfasst. Demnach war sie vom 15. Januar 1918 bis zum 19. Dezember 1931 und dann wieder vom 1. März 1932 bis zu ihrer Emigration in Wiesbaden gemeldet.[62] Vermutlich hatte sie in dieser Zeit auch immer im ‚Kronprinz’ gearbeitet.

Das Ehepaar Rosa und Robert Rückersberg
Sammlung AMS

Das Hotel, das sich gerade unter jüdisch-orthodoxen Kurgästen seit vielen Jahren großer Beliebtheit erfreute, war den Nazis ein besonderer Dorn im Auge. Nur wenige Wochen nach der „Machtergreifung“ waren NS-Schlägertruppen in das Hotel eingedrungen, hatten das Mobiliar demoliert und die Gäste geschlagen und auf andere Weise drangsaliert. Das Hotel gehörte der Familie Rückersberg und war um 1893 von dem Schreiner Tobias Rückersberg eröffnet worden. Es war aus einer „israelitische Restauration“ hervorgegangen, die dieser zunächst 1889 am gleichen Ort eingerichtet hatte. Dass Hedwig Blumenthal eine Anstellung, sogar eine leitende Stellung als Buchhalterin in diesem renommierten Hotel fand, ist deshalb nicht verwunderlich, weil die Familie Rückersberg, wie sie selbst, auch aus Selters stammte. Allerdings gehörten Rückersbergs nicht zu den dort alteingesessenen jüdischen Familien, denn weder ist ihr Name im Verzeichnis der Juden von 1815, noch in der Liste von 1841 aufgeführt, als diese feste Familiennamen annehmen mussten. Der Hotelgründer Tobias Rückersberg war am 25. März 1835 in Rückeroth geboren worden.[63] Sicher ist aber, dass die Familie in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in der bei Montabaur gelegenen Westerwaldgemeinde Selters ansässig war. Nach dem Tod von Tobias Rückersberg im Jahr 1900 wurde das Hotel von der Witwe und den beiden Söhnen Robert und Karl Heinz weitergeführt, bis es schließlich unter der Herrschaft der Nazis aufgegeben werden musste.[64]

Das Haus der Familien Weis und Dreifuss in der Weiherstr. 11 in Hochheim
Eigene Aufnahme

Nach der Reichspogromnacht waren auch Hedwigs Schwester Erna und ihr Bruder Karl nach Wiesbaden gekommen. Beide hatten nach dem Tod ihres Vaters und dem Wegszug von Paula aus Selters den elterlichen Schuhladen dort zunächst gemeinsam weitergeführt. Bis zu ihrer Hochzeit mit dem aus Hochheim am Main stammenden Friedrich, eigentlich Frederick Weis, die am 4. Juni 1936 in dessen Heimatstadt stattfand, hatte Erna in Selters gewohnt und den allmählichen Niedergang des Geschäfts miterleben müssen. Mit ihrer Heirat trat sie als Mitarbeiterin in die Firma ‚Weis & Dreifuss’ ein. Das Manufakturwarengeschäft, an dem ihr Ehemann beteiligt war, hatte seinen Sitz in der Hochheimer Weiherstr. 11.
Das Unternehmen war 1906 von dem 1873 geborenen Hermann Weis und seinem Schwager Herz, genannt Hugo Dreifuss gegründet und im folgenden Jahr in das neu errichtete Gebäude in der Weiherstraße verlegt worden, das zugleich als Wohnhaus diente.[65] Das Ehepaar hatte zwei Söhne, den am 22. Januar 1899 geborenen Friedrich und den ein Jahr später am 27. Mai geborenen Heinrich.[66] Ihr Vater verstarb bereits im April 1912 mit nur 39 Jahren. Bei der Beerdigung des sehr beliebten Geschäftsmanns auf dem gerade erst eröffneten Jüdischen Friedhof am Flörsheimer Weg – er war der erste, der dort begraben wurde – war eine große Zahl der Hochheimer Bürger dem Sarg gefolgt.[67] Die Mutter Rosa beging 1923 aus nicht bekannten Gründen Suizid.[68]

Wie aus Zeitzeugenberichte hervorgeht, waren Brüder „in der Gemeinschaft der Hochheimer Kinder und Jugendlichen heran(gewachsen)“ und als „Juddebube“ auch aktiv im örtlichen Fußballverein aktiv. Auf ihre berufliche Zukunft waren sie durch ihre Ausbildung als Kaufleute bestens vorbereitet, zumal sie quasi schon von Kindesbeinen an auch im elterlichen Geschäft mitgeholfen hatten.[69] Beim Tod des Vaters waren sie schon alt genug, um in das Geschäft einsteigen zu können. Sie teilten sich den Firmenanteil des Verstorbenen, sodass Hugo Dreifuss 50 Prozent, sie jeweils 25 Prozent am Firmenkapital besaßen. Unterstützung konnten sie auch von ihrem Onkel, dem Kompagnon ihrer Eltern, erwarten, der mit seiner Frau Sophie und dem 1911 geborenen Sohn Heinrich mit ihnen zusammen im Haus Weiherstr. 11 wohnte.[70]
Auch wenn die Großfamilie sich an den jüdischen Traditionen orientierte und an den entsprechenden Feiertagen das Geschäft geschlossen blieb, zählte man selbstverständlich auch die christlichen Mitbürger zu den Kunden. Viele Kinder hatten ihre Kleidung für den Weißen Sonntag oder die Konfirmation bei ‚Weis & Dreifuss’ erhalten. Wie gut man in das lokale Vereinsleben integriert war, kann man auch daran sehen, dass verschiedene Vereine ihre Siegespokale oft in den Schaufenstern des jüdischen Geschäfts ausstellten. Ein zusätzlicher Erwerb ergab sich aus der Verbindung mit der Frankfurter Reinigung und Färberei Röver, für die man in Hochheim als Annahmestelle fungierte.[71]

Passbild von Erna Weis auf ihrem Einbürgerungsantrag
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2131292:61196?tid=&pid=&queryId=aaa6c995-37de-4bfb-8c7f-a782766f8bbf&_phsrc=svo4429&_phstart=successSource

Es handelte sich um ein einst florierendes Unternehmen, in das die Schuhhändlerstochter Erna Blumenthal – nach Aussage einer Hochheimer Bäuerin eine „sehr schöne Frau“ mit blonden Haaren –[72] 1936 mit 34 Jahren einheiratete – zu einem Zeitpunkt allerdings, als dessen Vernichtung schon besiegelt war und der Niedergang auch schon begonnen hatte. Detailliert schildert Luschberger, wie sich das Klima in den Jahren zwischen 1933 und 1938 auch in Hochheim veränderte. „Die jüdischen Familien waren wohl bekannt und geachtet, man wusste um die Sitten und Gebräuche, kannte ihre Geschäftigkeit und ihre Eigenheiten, sie waren durchaus angesehen und populär, nicht wenigen Einwohnern sogar durch ihre Hilfsbereitschaft und ihr Entgegenkommen nützlich“, zitiert der Chronist der jüdischen Geschichte Hochheims frühere Zeitzeugen.[73] Und es bedurfte offenbar zunächst auch einiger Anstrengungen der ortsansässigen Nationalsozialisten, die Mitbürger davon zu überzeugen, dass die Juden ihr Unglück seien. Die reichsweite Boykottaktion gegen die „jüdische Greuelpropaganda“ hatte nur wenig Anklang gefunden, obwohl im Laufe der Zeit dann doch immer mehr nichtjüdische Kaufleute per Schild ihre Kunden darüber informierten, dass sie bei ihnen in einem rein deutschen Geschäft bedient würden. Wie auch an anderen Orten waren die Metzger diejenigen, die wegen des Schächtungsrituals als erste mit antisemitischer Hetze überzogen wurden und allmählich entfaltete das Gift auch in Hochheim seine Wirkung. Allmählich gingen die Umsätze der jüdischen Geschäfte immer mehr zurück. ‚Weis & Dreifuss’ sahen sich genötigt, ihren Kunden immer größere Zugeständnisse in Form von Rabatten zu machen, um sie überhaupt noch halten zu können. Heinrich Dreifuss ging mit einem Bauchladen sogar hausieren, um die Umsätze zu vergrößern – eine eher verzweifelte Aktion ohne wirkliche Perspektive. Er war daher einer der Ersten, die Hochheim verließen. 1936, dem Jahr, in dem Erna nach Hochheim kam, emigrierte er in die USA.[74] Ab diesem Zeitpunkt gingen immer mehr jüdische Bewohner weg, zogen in die größeren Städte wie Frankfurt oder Wiesbaden oder kehrten dem Land ganz den Rücken.
1937, an Hitlers Geburtstag, wurde die Straße, in der die Wohnung und das Geschäft der Familien Weis und Dreifuss gelegen war, in Adolf-Hitler-Straße umbenannt. Genau vor diesem Haus stand am 10. November 1938 der Autor des Buches über die Juden in Hochheim, damals noch Schüler an einem Mainzer Gymnasium, das alle ihre Schüler nach Hause geschickt hatte, damit sie sich an den Aktionen gegen die Juden beteiligen konnten. Seine Erinnerungen an diesen Tag sollen hier als Zeitzeugnis umfassend wiedergegeben werden. Ob sich alles genau so abgespielt hat, ob der von ihm zitierte Tatortzeuge tatsächlich so unbeteiligt war und ob der SA-Mann tatsächlich mit der angeordneten Schutzhaft das Opfer vor der Gewalt der Meute schützen wollte, sei allerdings dahingestellt:

„Am späten Nachmittag dieses Tages hatte sich bei den Leuten herumgesprochen: Beim Dreifuß sinn se! Nur 150 Meter vom Elternhaus entfernt, im Zentrum der Stadt, befand sich das jüdische Textil- und Manufakturwarengeschäft, ein kleines Kaufhaus, das jetzt meine Neugier fand. Ich machte mich auf die Beine: eine stattliche Menschenmenge im Halbkreis in der Weiherstraße vor der Schaufensterfront.
In den Verkaufsräumen hatte man schon gewirkt: die Türen geöffnet, Schaufenster zerschlagen, Einrichtungsgegenstände und Waren auf den Bürgersteig geworfen. Jetzt waren die Männer in den beiden oberen Stockwerken zu Gange, die ausschließlich von den Familien Weis und Dreifuß als Wohnräume genutzt wurden. Dort war man voll in Aktion: eine Rechenmaschine sah ich aus dem Fenster fliegen, Möbelstücke hintennach, schließlich schlug ein kleiner Kanonenofen, in dem sich noch Brikett-Glut befand, mit lautem Knall auf das Straßenpflaster. Diesen Aufschlag haben sogar Einwohner ein ganzes Stück vom Geschehen entfernt gehört, wie mir jetzt noch von Zeitzeugen berichtet wurde. Bald hatte ich regelrecht die Nase voll von dem, was hier geschah, auch löste das ungewohnte Schauspiel bei den unbeteiligten Zuschauern Betroffenheit und bei einzelnen sogar blankes Entsetzen aus. Etwa freudige Reaktionen des Publikums oder gar ermunternde Zurufe für die Übeltäter, von denen sich hin und wieder einer an einem Fenster oder an der Eingangstür sehen ließ, habe ich nicht vernommen. Aber auch keine Gegenstimmen. Zivilcourage war unmöglich. Hätte sich ein Hochheimer so weit vorgewagt und die Geschehnisse nachdrücklich kritisiert, dann wäre er gleich am nächsten Tag mit den männlichen Juden zwischen 18 und 60 Jahren in ein Konzentrationslager eingeliefert worden.
Meine letzte Beobachtung: Die Sanitäter kamen mit ihrem per Hand geschobenen Krankenwagen, stellten diesen vor „Weiß & Dreifuß“ ab und begaben sich ins Haus. Was sich dort abspielte, entnehme ich den Aussagen von Zeugen Zunächst muß man festhalten, daß es auswärtige SA-Leute waren, die in Zivil vom Wiesbadener Sturmbannführer Krause nach Hochheim geschickt worden waren. Aber auch etliche Hochheimer hatten sich der Aktion angeschlossen und sollen, wie eine spätere Gerichtsverhandlung in Wiesbaden ergeben hat, an den Zerstörungen ganz gehörig mit Hand angelegt haben. Die SA aus Wiesbaden war nachmittags an der Bushaltestelle vor Burgeff und dort gemeinsam mit dem damaligen NS-Ortgruppenleiter Peter Krimmelbein aufgebrochen. Erstes Ziel: „Weis & Dreifuß“. Unterwegs hatte sich Krimmelbein von ihnen getrennt und begab sich zu seiner Wohnung in der Kirchstraße. Nach seinen eigenen Aussagen vor Gericht hat er die Aktion in Höhe des „Plan“ bemerkt und war dort hingegangen.
Dies bestätigt ein Zeuge, der seine HJ-Uniform anhatte und von Krimmelbein in der Kirchstraße angesprochen und mit den Worten Du kommst gerade recht aufgefordert wurde, mitzukommen zu Weis und Dreifuß. Man müsse den alten Dreifuß in Schutzhaft nehmen, damit ihm von den Leuten dort kein Leid zugefügt werde. Der Zeuge ging mit und begab sich mit Krimmelbein in das jüdische Haus, wo man Hugo Dreifuß in seinem ehelichen Schlafzimmer im Obergeschoß vorfand. Er habe im Bett gelegen und jämmerlich geweint. Wiederholt habe er gestammelt, was er denn Böses getan hätte. Krimmelbein habe Dreifuß durch Handauflegen erklärt, daß er sich jetzt in Schutzhaft befände und seinen Begleiter, den Zeugen, gebeten, hier zu bleiben und Dreifuß vor tätlichen Angriffen der im Haus randalierenden Eindringlinge zu beschützen. Der Zeuge:
Krimmelbein bemerkte: ,Dreifuß muß ins Krankenhaus, in diesem Zustand kann er nicht hierbleiben‘, verließ das Schlafzimmer und ging nach unten, ich blieb bei dem kranken Dreifuß. Nach einer Weile kamen mehrere Rabauken in die Stube und kippten mit großer Kraftanstrengung den schweren eichenen Schlafzimmerschrank nach vorne um. Dabei zerbrach ein in der Mitte eingearbeiteter Spiegel, die Scherben fielen teils zu Boden, teils ins Bett. Dem Kranken ist nichts passiert – er hat ständig geweint, Nachdem es ruhiger geworden war, ging ich auch nach unten: währenddem muß wohl Herr Dreifuß versucht haben, sich mit Spiegelglasscherben die Pulsader zu öffnen.
So war es auch – Dreifuß versuchte sich das Leben zu nehmen. Doch schnell wurde Dr. Theodor Santlus, der Hausarzt der Familien Weis und Dreifuß und nur einige Häuser entfernt wohnend, informiert und war bald zur Stelle, traf die erforderlichen Rettungsmaßnahmen und ließ den Kranken von den Sanitätern unverzüglich ins Hochheimer St. Elisabeth-Krankenhaus bringen. Dies alles geschah in der Zeit, als ich unten stand und dann auch die Sanitäter mit dem Krankenwagen kommen sah.
[75]

Friedrich und Erna Weis haben im Rahmen des Entschädigungsverfahrens detailliert aufgeführt, was damals in ihrem Haus zerstört wurde: Zwei Schlafzimmer, das Wohnzimmer, das Fremdenzimmer, die Küche, ein Klavier, zig Schränke und Kommoden, um nur die wichtigsten zu nennen. Ölbilder und Teppiche waren mit Rasierklingen zerschnitten worden. Weil damals schon die Ausreise geplant war, hatte sich das Paar diverse neue Kleidungsstücke angeschafft, die ebenfalls unbrauchbar gemacht wurden.[76]

Natürlich waren das Geschäft und die Wohnungen der Familien Weis und Dreifuss nicht die einzigen, die demoliert wurden. Die Meute zog weiter und richtete bei den anderen jüdischen Familien ähnliche Verwüstungen an. Den Brief des Bürgermeisters, in dem die Opfer aufgefordert wurden, umgehend die Schäden auf eigene Kosten zu beseitigen, damit das Ortsbild nicht in Mitleidenschaft gezogen würde, erhielten auch Heinrich und Friedrich Weis am 17. November.[77]

Der Verhaftung der männlichen Juden nach dem Pogrom konnten sich die Brüder Weis zunächst durch ihre Flucht nach Koblenz entziehen. Dort wurden sie von der Polizei doch noch aufgegriffen und festgenommen. Da Heinrich Weis noch während der Aktion schwer erkrankte, lieferte man ihn in ein Frankfurter Krankenhaus ein, seinem Bruder Friedrich blieb aber die Haft in Dachau, wohin man in am 15. November brachte, nicht erspart.[78]

Friedrich Weis Dachau
Eingangsbuch von Dachau mit dem Eintrag für Friedrich Weis
https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01010602/aa/ag/zb/001.jpg

Nach Luschberger hatte der damalige Bürgermeister Peter Hirschmann bei der Freilassung der Hochheimer Juden eine wesentliche Rolle gespielt. Er habe sich persönlich bei der Gestapo für deren Entlassung eingesetzt und bescheinigt, diese hätten alle bereits vor dem Pogrom ihre Auswanderung aus Deutschland geplant und seien mit ihren Vorbereitungen auch schon weit fortgeschritten. Zur Vergabe der Reisepässe und Visen sei es unbedingt notwendig, dass sie persönlich bei den Ämtern vorsprechen könnten. Mit der Auflage, sich zweimal wöchentlich bei der Polizei zu melden, durften sie dann das KZ verlassen. Friedrich Weis kam am 23. Dezember 1938 wieder nach Hause,[79] sein Bruder litt weiterhin an seiner Erkrankung und musste sich deswegen nicht bei der Polizei melden, stand aber weiterhin unter ihrer Überwachung.

Noch im selben Monat wurde das traditionsreiche Geschäft liquidiert. Eine Abordnung der Wiesbadener IHK hatte das Geschäft inspiziert und festgestellt, „dass in Hochheim / M. die nichtarische Firma Weis & Dreifuß, Manufaktur-, Kurz- und Schuhwaren, über keine Bestände mehr verfügt. Das Haus, welches sich in einer guten Geschäftslage befindet, soll für Zwecke der NSDAP in Aussicht genommen sein.“[80]

Nach Auskunft des Hochheimer Magistrats im Entschädigungsverfahren soll die Geschäftstätigkeit schon am 1. November und somit vor der Pogromnacht eingestellt worden sein, offiziell abgemeldet wurde es dann am 22. Dezember.[81]

 

Bevor die verschiedenen Mitglieder der Familie Weis Hochheim verließen, um nach Wiesbaden zu ziehen, kam am 2. März 1939 erst noch Karl Blumenthal, der Bruder von Erna, mit seiner Familie aus Selters übergangsweise nach Hochheim. Karl hatte seine eigene Familie am 24. März 1935 in Bad Ems durch die Heirat von Margarete Rückersberg gegründet.[82] Sie war am 19. Juni 1915 zwar in Hagen geboren worden, stammte aber aus der Familie, die das ‚Hotel Kronprinz’ in Wiesbaden betrieb und in dem ihre Schwägerin Hedwig angestellt war. Der Vater von Margarete, Julius Rückersberg, war ein Großcousin des Hotelbesitzers Robert Rückersberg.[83]
Schon vier Wochen nach der Eheschließung war am 16. April 1935 ihr erster Sohn Walter in Goddert, einem Ort, nur etwa zwei Kilometer von Selters entfernt, zur Welt gekommen. Der zweite Sohn Werner wurde dann am 7. April 1936 in Selters geboren.[84] Um etwa diese Zeit war Karls Schwester nach Hochheim verzogen und er musste von nun an das Schuhgeschäft mit seiner Frau allein durch ein immer schwierigeres Fahrwasser bringen.

Das Schuhgeschäft der Familie Blumenthal in Selters. Leider ist weder bekannt, wann das Foto entstand, noch wer die abgebildeten Personen sind.
Archiv Dr. U. Jungbluth

Karl Blumenthal hatte im Entschädigungsverfahren angegeben, dass er in den Jahren vor der Nazizeit immer ein Einkommen von etwa 7.800 RM aus dem Geschäft bezogen habe,[85] wobei allerdings nicht klar ist, ob er diese Summe für sich alleine zur Verfügung gehabt haben will oder sie mit seiner Schwester teilen musste, bzw. es sich um das gemeinsame Haushaltseinkommen handelte.
Sicher ist aber, dass seit 1933 die Einnahmen deutlich zurückgingen. Nach seinen Angaben betrugen sie schon 1933 nur noch 4.000 RM und gingen bis 1936 jährlich um etwa 1.000 RM zurück, um dann bei etwa 1.000 RM zu stagnieren.[86] Steuerunterlagen, die die Angaben hätten bestätigen oder widerlegen können, gab es nach dem Krieg nicht mehr. Die Zahlen können nur vage widerspiegeln, mit welchem Ausmaß an alltäglicher Ausgrenzung die alteingesessene Familie Blumenthal in diesen Jahren konfrontiert war. Ende 1937 gab Karl Blumenthal sein Geschäft auf.

Anders als andere, die schon längst abgewandert waren, hielt es die Familie aber zunächst noch weiter in Selters aus, weshalb sie auch die Ereignisse im November 1938 dort erleben musste, mit ansehen musste, wie die Synagoge zum zweiten Mal in diesem Monat in Brand gesteckt wurde und die Gebetbücher sowie die Inneneinrichtung dem Feuer zum Opfer fielen. Die Grabsteine, die auf dem jüdischen Friedhof umgeworfen wurden, hatte man mit rot lackierten Davidsternen verunziert. Die Jüdinnen und Juden selbst waren aus ihren Häusern gejagt und in das Gerichtsgefängnis von Selters verbracht worden. Auf dem Weg dorthin wurde nicht nur von auswärtigen SA-Leuten, sondern auch von der örtlichen Bevölkerung auf sie eingeschlagen. Es gab aber wohl auch einige wenige, die Juden bei sich aufnahmen und sie vor der Meute versteckten. Einige Häuser von Juden scheinen quasi zu Privatgefängnisse umgewandelt worden zu sein. So schreibt Jungbluth, dass „die Familie Blumenthal zwei Wochen lang im Dachzimmer der Familie Strauß eingesperrt worden sei, wozu man eigens Gitterstäbe vor das Fenster setzte“.[87]

Karl Blumenthal kann aber nicht dabei gewesen sein, denn ihn hatte man am 11. November in Buchenwald eingeliefert. Erst am 15. Februar 1939 war er wieder entlassen worden.[88] Zwei Wochen später verließ die Familie Selters und kam zu den Verwandten nach Hochheim. Im Laufe des folgenden Jahres verließen dann alle, die bisher noch ausgeharrt hatten, die Gemeinde. Nachdem am 3. Oktober 1939 als letzte auch die Familie Danzig gegangen war, konnte der Ort mit seiner langen jüdischen Tradition sich als „judenfrei“ bezeichnen.[89]
In der ersten Hälfte des Jahres 1939 kamen dann nach der Entlassung der Männer aus den Konzentrationslagern die vier Geschwister Blumenthal nach und nach mit ihren Familien nach Wiesbaden, eine Art letzter Ankerplatz, der zumindest für die kurze Zeit bis zur Emigration ein wenig Sicherheit zu bieten schien.

Die Stolpersteine für die Familien Weis und Dreifuss vor dem Haus in der Weiherstraße
Eigene Aufnahme

Die Phase der Auswanderung

Hedwig Blumenthal
Überfahrt von Hedwig Blumenthal nach Amerika
https://media.geni.com/p14/38/68/47/0a/534448619cff3cea/1939_original.jpg?hash=5d4fcc018aad09c23cbbe99e16dbdf290da36601dc240a11101f96a2b25edcf4.1678863599

Die erste der Blumenthal-Geschwister, die Deutschland verließ war Hedwig, die Angestellte des Hotels ‚Kronprinz’, in dem sie auch bis zu ihrer Flucht 1938 hatte wohnen bleiben können. Das Hotel war von seinen Eigentümern 1938 zwangsweise an die Reichsfinanzverwaltung verkauft worden, woraufhin das gesamte Inventar bei einer Versteigerung verschleudert wurde. Rosalie, die früher einmal sehr resolute Gattin von Robert Rückersberg, war inzwischen eine gebrochene Frau. Sie verstarb kurz nach der Pogromnacht am 15. November in Wiesbaden. Ihr Ehemann und auch die Kinder konnten zwar noch ausreisen, aber die Tochter Ruth wurde in ihrem holländischen Versteck aufgegriffen und über Westerbork nach Auschwitz deportiert und am 20. September 1942 ermordet.[90]

Hedwig Blumenthal war nach Angabe der Zollfahndungsstelle Mainz bis etwa April 1938 als Mitarbeiterin im Hotel geführt worden. Der Zoll war mit der Kontrolle des Vermögens betraut, als Hedwig im Juli 1938 ihren Antrag auf Ausreise und Mitnahme ihres Umzugsguts stellte.[91] Es war nicht viel, was sie mitnehmen wollte, hauptsächlich Wäsche, Kleidung und eine Schreibmaschine, mit der sie als Sekretärin im Ausland ihren Lebensunterhalt verdienen wollte. Da die Wäsche zumeist neuwertig war, vermutlich stammte sie aus dem Hotel, und auch die Schreibmaschine erst kürzlich gekauft wurde, forderte die Zollfahndung die Devisenstelle in Frankfurt auf, von Hedwig Blumenthal eine Dego-Abgabe von 300 RM zu verlangen. Die Summe wurde am 27. Juli 1938 von ihr eingezahlt.[92] Ihr noch vorhandenes Vermögen betrug zuletzt 1.320 RM. Dieses Geld, so schrieb sie am 12. Juli an die Devisenstelle, benötige sie für ihren Unterhalt bis zur Ausreise und zur Unterstützung ihres Bruders und ihrer Schwester – vermutlich ist neben Karl Paula gemeint.[93] Nach ihrer eigenen Aussage konnte sie die Summe, soweit sie nicht durch Pflichtabgaben aufgebraucht wurde, tatsächlich an bedürftige Freunde und Verwandte verteilen.[94] Etwas mehr als 1.000 RM hatte sie für ihre Ausreise aufwenden müssen.[95]

Siegmund Mayer u Hedwig Blumenthal
Heiratseintrag für Sigmund Mayer und Hedwig Blumenthal in Toledo / Ohio
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Am 15. August meldete sie sich offiziell in Wiesbaden mit dem Ziel „Jamaica USA“ ab, [96] einer kleinen Stadt im Staat New York. Das sie diesen relativ kleinen Ort damals angeben konnte lag daran, dass dort ihre Tante Hedwig / Henriette Löwenstein lebte, die schon im vergangenen Jahrhundert ausgewandert war und inzwischen über 70 Jahre alt war.[97] Am 19. August bestieg deren Nichte in Le Havre die „Britanic“, die am 28. in den Hafen von New York einlief.[98] Wie lange sie dort blieb und ob sie sich auch eine Zeit bei ihrer Tante aufhielt, ist nicht bekannt, aber noch im Herbst beantragte sie in New York die amerikanische Staatsbürgerschaft.[99] Es müssen schwere Jahre auf sie zugekommen sein. Wie aus einer behördlichen Aufstellung hervorgeht, verdiente sie erstmals 1942 überhaupt ein eigenes Einkommen: 16,76 Dollar. Zwar waren es im folgenden Jahr dann mehr als 170 Dollar, ging danach aber wieder deutlich zurück und es folgten weitere sieben Jahre ohne Einkommen. Vermutlich verdiente sie ihren Lebensunterhalt durch kleine Jobs, von denen die Steuerbehörden nichts wussten. Sie selbst sah in ihren fehlenden Sprachkenntnissen den Grund für ihre dauernde Arbeitslosigkeit.[100]
Am 5. April 1941 heiratete sie in Toledo, Ohio, wohin sie inzwischen gezogen war, Siegmund Mayer, der am 20. Mai 1898 in Schifferstadt geboren worden war.[101] Er war zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits 42 Jahre, sie 39 Jahre alt. Kinder haben sie nicht mehr bekommen.
Später müssen sie dann noch nach Chicago gezogen sein, denn dort wurden sie bei der Volkszählung im Jahr 1950 registriert. Interessant ist, dass auch Siegmund Mayer dort damals ein Schuhgeschäft besaß.[102]

Er verstarb im Juli 1985 in Chicago, seine Frau Hedwig am 8. Dezember 1988 in Toledo, wohin sie vermutlich nach dem Tod ihres Mannes zurückgekehrt war. Beide sind auf dem Oakridge-Glen Oak Cemetery in Chicago begraben.

 

Gustav Stern
Selma Blumenthal in der Haushaltsliste von 1930, wohnhaft
bei ihrem Arbeitgeber Gustav Stern
Stadtarchiv Montabaur, StAM, Abt. 4, Haushaltslisten JG 1930

Selma, die jüngste Tochter von Hermann und Johanna Blumenthal war die nächste, die Deutschland den Rücken kehrte. Über das Leben von Selma Blumenthal, die etwa 30 Jahre war, als den Nationalsozialisten die Macht zufiel, ist nur wenig bekannt. Sie war nach ihrer Schulzeit in Nordhofen im Raum Montabaur geblieben und hatte später in der Stadt selbst eine dauerhafte Stellung als „erste Verkäuferin“ – wie ihr Schwager Simon Briefwechsler aussagte –[103] in dem Textilwarengeschäft von Gustav Stern erhalten. Dieser entstammte einer großen, ursprünglich im 10 km entfernten Meudt ansässigen Familie. Nicht nur Gustav Stern hatte in Montabaur ein Geschäft eröffnet, sondern auch sein Bruder Willy, letzterer allerdings eine Lederwarenhandlung. Beide Geschäfte lagen in der Bahnhofstraße nur wenige Schritte voneinander entfernt, das Textilgeschäft im Haus mit der Nummer 20, die Lederwarenhandlung in dem mit der Nummer 24.[104]

Seit wann Selma in dem Geschäft von Gustav Stern tätig war, ist nicht mehr zu sagen, aber schon in der Haushaltsliste von 1926 ist sie als Verkäuferin und zugleich auch als Mitbewohnerin im Haus in der Bahnhofstraße vermerkt.[105] Um 1930 muss das Arbeitsverhältnis – möglicherweise wegen der Wirtschaftskrise – dann aber aufgehoben worden sein. An ihrer Stelle erscheint zwar eine andere Angestellte, aber nicht mehr als Verkäuferin, sondern als Hausangestellte in der Haushaltsliste.

Das Geschäft von Gustav Stern in Montabaur um 1910 (vermutlich mit Gustav Stern und seinen Eltern)
StAM, Abt. 10 (Fotoarchiv)

Gustav Stern und seine Familie mussten in den folgenden Jahren den Niedergang ihres Geschäfts und die Ausgrenzung durch ihre Nachbarn und bisherigen Kunden ertragen. Ihr Geschäft war wohl, wie Gerald Stern schreibt, in der Reichspogromnacht durchwühlt worden, obwohl es bereits am 3. September 1938 arisiert und von einer ‚Pötz G.m.b.h.’ übernommen worden war.

Arisierung des Geschäfts von Gustav Stern
Stadtarchiv Montabaur, StAM, Abt. 4, Gewerberegister. Gewerbeanmeldungen 1936-1941

Die offizielle Gewerbeanmeldung erfolgte dann am 7. Oktober. Erst ein Vierteljahr später, am 19. Januar des folgenden Jahres, meldete Gustav Stern dann sein Geschäft ab. Eine Übergangszeit war vielleicht zunächst vereinbart worden, um noch vorhandene Außenstände einzutreiben. Hinzu kamen dann aber die Novemberereignisse. Auch Gustav Stern war nach der Reichspogromnacht verhaftet und bis zum 14. Dezember im KZ-Buchenwald festgehalten worden. Da er dort schwer erkrankte, die Neueigentümer auf Grund der Zerstörungen während des Pogroms zudem einen niedrigeren Preis als zuvor vereinbart aushandelten wollten, zog sich der endgültige Verkauf dann offensichtlich bis in das Jahr 1939 hin. Von daher galt das Geschäft, obwohl formal bereits im September arisiert, im November noch immer als jüdisch. Der neue Eigentümer hatte seine Geschäftstätigkeit offenbar in dieser Zeit noch nicht aufgenommen und an der Fassade des Gebäudes prangte im November vermutlich noch immer der Name von Gustav Stern, sodass die braunen Horden das Geschäft als legitimes Ziel ihres zerstörerischen Werks ansahen.[106] Das Lebenswerk von Gustav Stern war verloren, aber immerhin gelang es der gesamten Familie noch auszuwandern, bevor die Züge nach Osten in die Vernichtungslager rollten.

Gefangenenkarte von Gustav Stern aus Buchenwald
https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/0784/52327823/001.jpg

Nach ihrem Ausscheiden aus der Firma Stern zog Selma Blumenthal am 12. Mai 1931 wieder zurück nach Selters in „ihre eigene Wohnung“, also in das Schuhgeschäft in der Rheinstr. 24.[107] Dort heiratete sie am 20. Mai 1935 Friedrich Joseph, genannt Fritz Gamiel aus Bad Kreuznach.[108] Vermutlich gehörte er früher zur der jüdischen Gemeinde von Argenschwang, wo diese Familie offenbar eine bedeutende Rolle spielte.[109] Bis zu seiner Auswanderung lebte das Paar in Selters, wo Selma möglicherweise im Schuhgeschäft auch Handarbeitsartikel und Kurzwaren verkaufte, denn in einer der Umzugslisten, die der Devisenstelle vor der Ausreise zur Überprüfung übermittelt werden mussten, heißt es „Div. Reste von Garn, Flicklappen, Gummiband, Knöpf, Stopfwolle, Nadeln, Wäschespitz pp. aus meinem Geschäft.“[110]

Zum Umzugsgut gehörten auch einige größere Möbelstücke und es waren für die Auswanderung sogar noch neue Waren angeschafft. Auf einer Rechnung für ein Klappbett, das kurz vor der Ausreise noch in Frankfurt geordert worden war, ist als Lieferadresse in Selters die Bahnhofstr. 6 angegeben, was darauf hinweisen könnte, dass sie nach 1931 noch einmal umgezogen waren.[111]

Die Kontroverse um das Umzugsgut
HHStAW 519/3 17160 (12)

Da sich außer dem Klappbett noch andere neuwertige Güter in dem Lift befanden, forderte die Zollfahndungsstelle Mainz, die Devisenstelle solle eine Dego-Abgabe von 1.000 RM einfordern. Dies ist schon deshalb erstaunlich, weil der Wert der von Gamiels deklarierten, neu gekauften Güter insgesamt nur etwa 770 RM betrug. Die Zollfahndung nannte wohl diesen Betrag prophylaktisch, weil sie das Umzugsgut nur „stichprobenartig nachgeprüft (hatte). Eine eingehende Kontrolle der Sachen durch Öffnung der Kisten war nicht möglich. Ich bitte, aus diesem Grunde das Hauptzollamt Wiesbaden anzuweisen, bei der zollamtlichen Abfertigung der Sachen genau darauf zu achten, ob sich evtl. unter dem Umzugsgut neue nicht aufgeführte Gegenstände befinden.“ [112] Juden war eben prinzipiell nicht zu trauen.
900 RM hatten Gamiels dann überwiesen bzw. überweisen lassen,[113] denn es hatte offenbar nach der akribischen Kontrolle eine Absprache mit dem Zollamt gegeben, die Forderung um 100 RM zu reduzieren. Nur war der Devisenstelle dies offenbar nicht mitgeteilt worden. Die Speditionsfirma setzte sich dann dafür ein, dass der Lift, der Ende November verpackt worden war, trotz der Differenz dem sich bereits im Ausland befindlichen Ehepaar – das Schreiben ist mit dem 12. Dezember 1938 datiert – nachgeschickt werden durfte.[114]
Die Auswanderungskosten hatten die letzten finanziellen Reserven des Paares von rund 4.000 RM aufgebraucht: 1.200 RM waren sicher bewusst für Neuanschaffungen und die Ausfuhrabgabe ausgegeben worden, die Passage selbst kostete 1.100 RM und der Lift nach Michigan in den USA 1.600 RM.[115]
Noch im Oktober 1938 hatten Selma und Fritz Gamiel in Antwerpen ihr Schiff bestiegen und waren am 12. November in New York angekommen. Als erste Anlaufstelle diente eine Tante, Mrs. Keller in Adrian, Michigan, wohin auch er Lift geschickt werden sollte.[116] Bald danach sind sie aber dann, wie den Zensusunterlagen von 1940 zeigen, nach Toledo in Ohio gezogen, wo damals noch Selmas Schwester Hedwig lebte. Aber auch die wird den Neuankömmlingen nur bei den ersten Schritten im Exil geholfen haben können. Immerhin hatten sie 1940 eine Verdienstmöglichkeit gefunden. Fritz Gamiel arbeitete als Hausmeister oder Portier, seine Frau als Hausangestellte. Sie lebten damals zusammen mit Kurt Gamiel, einem Bruder von Fritz.[117] Beim nächsten Zensus zehn Jahre später war Selma bereits verwitwet. Ihr Mann war kurz zuvor am 13. Juli 1949 in Toledo verstorben.[118] Aber Selma war nicht allein. Im gleichen Jahr, in dem sie zur Witwe wurde, wurde die inzwischen 46-Jährige noch von einer Tochter namens Jane entbunden, die dann allerdings ohne ihren Vater aufwachsen musste. Als ihre Mutter am 14. Oktober 1968 ebenfalls in Toledo starb, war Jane nicht einmal 20 Jahre alt.[119]

 

 

 

 

Die Gräber von Fritz und Selma Gamiel, geborene Blumenthal, in Toledo / Ohio
https://images.findagrave.com/photos/2017/105/178461432_1492379275.jpghttps://de.findagrave.com/memorial/178461416/fritz-j-gamiel und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/142773059:60525?tid=&pid=&queryId=962c3d36e51d116a3e40bcfeaa26ad43&_phsrc=svo1420&_phstart=successSource

Während somit zwei Schwestern von Paula Briefwechsler bereits ausgewandert waren, bevor sie aus Österreich wieder nach Deutschland zurückkehrte, hatten sich inzwischen die zwei anderen Geschwister mit ihren Familien in Hochheim zusammengefunden, aber nicht um zu bleiben, sondern um ebenfalls so schnell wie möglich aus Deutschland wegzukommen. Aber anstatt in Hochheim auf den Abschluss des ganzen Prozederes zu warten, zog man die relative Anonymität der Stadt Wiesbaden vor, obgleich auch in der Kurstadt Juden ja keineswegs willkommen waren.

Als erster aus der Weis-Familie zog Heinrich nach Wiesbaden. Der vom KZ Verschonte und in einem Frankfurter Krankenhaus inzwischen Genesene meldete sich am 20. Februar 1939 in seiner Heimatstadt ab und fand eine Unterkunft in Wiesbaden in der Rheinstr. 103 bei Schwarz – so die Angabe auf seiner Gestapokarteikarte.[120] Da es aus diesem Jahr keine Adressbücher mehr gibt, ist nicht mehr nachzuvollziehen, wer das gewesen sein könnte. Interessant ist hingegen, dass in dem Haus in den Jahren zuvor mit Bertha Weiß, geborene Heymann, und ihren Töchtern Johanna und Rosa Nachkommen von Anschel Kahn und seiner Frau Bertha, geborene Levi/Levy aus Montabaur wohnten.[121] Auch wenn diese Familie Weiß im Adressbuch von 1938 nicht mehr eingetragen ist, so wird es kein Zufall sein, dass Heinrich Weis hier eine Bleibe fand. Julius Kahn, ein Nachkomme von Anschel Kahn, und seine Familie waren dann später Mitbewohner von Paula Briefwechsler im Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80. Die Westerwald-Wiesbaden-Connection mit ihrem Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung scheint damals gut funktioniert zu haben.

Etwa sechs Wochen später verließ am 24. April 1939 auch sein Bruder Friedrich Hochheim.[122] Vermutlich zog er aber – anders als Luschberger annahm – nicht mehr nach Wiesbaden, sondern er legte dort bestenfalls noch einen kurzen Zwischenaufenthalt ein. Eine offizielle Anmeldung hat es dort aber offenbar nicht mehr gegeben, zumindest wurde für ihn keine Karteikarte bei der Gestapo mehr angelegt. Seine Frau teilte am 11. Mai 1939 der Devisenstelle mit, dass ihr Mann am 24. April, also dem Tag, an dem er vermutlich Hochheim verlassen hat, nach England ausgewandert sei.[123] Beide Brüder müssen dann zusammen Deutschland verlassen und nach England gefahren sein, denn ihre Namen tauchen untereinander auf einer am 7. Oktober 1939 erstellten Registrierungsliste aus Willesden in England auf.[124] Friedrich Weis, vermutlich auch Heinrich hatten bei der Hapag Lloyd auch schon die Karten für die Weiterfahrt in die USA gebucht, konnten diese aber nicht verwenden, weil sie in Großbritannien festgehalten und interniert wurden. Laut dem Eintrag auf seiner Karteikarte wurde Friedrich Weis am 16. November 1940 freigelassen, besaß aber in den beiden folgenden Jahren keine Arbeitserlaubnis und bezog somit auch kein Einkommen. Erst am 23. Juli 1943 konnte er nach Erhalt des notwendigen Visums in die USA ausreisen, wo er nun den Vornamen Fred annahm. Laut seinem Entschädigungsantrag führte in der Weg auf dem Schiff ‚Cavina’ von London über Liverpool, Neu Fundland, Montreal, New York nach Chicago.[125] Am 7. August 1943 betrat er in Vermont erstmals US-amerikanischen Boden.[126]
Nicht klar ist, wie lange sein Bruder Heinrich interniert war. Zwar ist auch auf seiner Karte handschriftlich ein Datum, der 6. Dezember 1940, vermerkt, aber es ist nicht ersichtlich in welchem Zusammenhang dieser Eintrag steht. Da aber der Bruder zu einem ähnlichen Zeitpunkt frei kam, spricht viel dafür, dass es sich auch hier um das Entlassungsdatum handelt..[127] Vermutlich haben die Brüder in der folgenden Zeit beide unter den gleichen Einschränkungen leben müssen. Heinrich, der sich später in den USA Henry nannte, erreichte die USA erst am 23.Mai 1947 und ließ sich dann, wie auch sein Bruder in Chicago nieder.[128]

In seinem Buch über die Hochheimer Juden schrieb Luschberger 1988: „Kaum Kenntnisse gibt es über die Familien Weis und Dreifuß. Vom Seniochef des Hauses, dem 1875 geborenen Herz genannt Hugo Dreifuß, ist mit Sicherheit anzunehmen, dass er von Wiesbaden zu seinem schon 1936 emigrierten Sohn Heinrich nach Chicago gezogen ist. Nach Hören-Sagen soll Hugo Dreifuß nach dem Krieg geäußert haben, dass niemand in Hochheim zu wissen brauche, wo er lebe. Gewiss ist er jetzt schon lange tot.
Auch über Heinrich und Friedrich Weis sowie über dessen Ehefrau Erna geborene Blumenthal hat man nichts mehr gehört. Sie waren wie ihr Onkel Hugo Dreifuß zunächst nach Wiesbaden verzogen und offensichtlich von dort nach Übersee ausgewandert. Weder die Jüdische Gemeinde Wiesbaden noch das Stadtarchiv haben die Namen Dreifuß und Weis in ihren Karteien und Akten.“
[129]
Vielleicht ist es von dem Autoren nicht so gemeint, aber es klingt so, als könne man den Verfolgten nicht verzeihen, dass sie sich – nachdem doch alles vorbei war ! – nicht in ihrer Heimatstadt ordnungsgemäß zurückgemeldet hatten. Bei einem gemeinsamen Gläschen Hochheimer Wein hätte man doch nur allzu gern die unschöne Vergangenheit mit ‚Schwamm drüber’ begraben und die Absolution für die schrecklichen Verbrechen freundlich dankend entgegengenommen. Dass die Vertriebenen da nicht mitspielten, nicht verzeihen wollten, konnte man ihnen nicht verzeihen. Aber – so sind sie halt, die Juden.

 

Erna Weis – ebenfalls anders als von Luschberger angegeben –[130] war zunächst noch in Hochheim geblieben, um dort noch den Verkauf des Hauses und andere Angelegenheiten zu regeln.
In einem Brief von Erna Weis an die Devisenstelle vom Mai 1939 schreibt sie, dass sie ihrem Bruder noch 600 RM schulde, die dieser ihr mangels eigenem Bargeld geliehen habe, da „die Genehmigung zum Verkauf unseres Hauses noch nicht erteilt war“.[131] Am 11. Mai 1939 meldete sie dann der Behörde, dass am Tag zuvor auf ihrem gesperrten Konto ein Betrag von rund 15.300 RM eingegangen sei. Vermutlich ging das Haus in den Besitz der Stadt über und die NSDAP konnte es wie geplant für ihre Zwecke nutzen.[132]
Sie bat in dem genannten Schreiben um die monatliche Freigabe von 700 RM, die sie für den Lebensunterhalt für sich selbst, aber auch für die vierköpfige Familie ihres Bruders Karl benötige. Zudem seien noch Rechnungen zu begleichen, die aus den Zerstörungen während des Pogroms resultierten und auch noch Steuerschulden zu begleichen.[133]

Vermutlich fiel unter die genannten steuerlichen Verpflichtungen auch die Judenvermögensabgabe, zu der die Familie Weis ebenfalls herangezogen worden war. Genauere Unterlagen liegen darüber nicht mehr vor, aber offensichtlich waren die Brüder jeweils mit fünf Raten zu 800 RM, d.h. zweimal 4.000 RM, also insgesamt 8.000 RM, verpflichtet worden. Am 12. Dezember 1939 war Erna Weis unter Androhung der Pfändung zur Zahlung von 800 RM als fünfte Rate für ihren Schwager Heinrich aufgefordert worden. Sie hafte deshalb für diesen Betrag, weil ihr das Vermögen von Heinrich Weis durch eine Schenkung zugeflossen sei.[134] Am 8. November war bereits eine ähnliche Aufforderung an sie wegen der eigenen Zahlungsverpflichtung ergangen.[135] Man muss davon ausgehen, dass die ersten vier Raten zuvor bezahlt worden waren.

Das Haus in Hochheim war nicht das einzige, das verkauft werden musste. Was aus dem Elternhaus in Selters wurde, konnte nicht ermittelt werden, aber vermutlich fand sich auch für dieses ein Käufer. Belegt ist hingegen der Verkauf von einem Acker, einer Wiese und einem Bach in Selters. Dafür erhielten Karl Blumenthal und Erna Weis 120 RM. Der Käufer musste eine zusätzliche Ausgleichzahlung von 80 RM an den Fiskus leisten. Der Gesamtwert der Objekte betrug also mindestens 200 RM, vermutlich wesentlich mehr, aber die jüdischen Verkäufer erhielten auch in diesem Fall nur einen deutlich geringeren Betrag. Den Mehrwert schöpfte der klamme Staat ab.[136]

Am 1. Juni 1939 waren dann auch Erna Weis und die Familie ihres Bruders Karl nach Wiesbaden-Biebrich in die Riehlstr. 12 gezogen.[137] Ihr Vermieter war das jüdische Ehepaar Max und Minna Berghausen. Vermutlich besaßen sie dort eine größere Wohnung, denn ihre insgesamt sechs Kinder waren inzwischen verstorben oder aber bereits aus Deutschland ausgereist, sodass sie sicher allein aus finanziellen Gründen gerne Untermieter bei sich aufnahmen.[138]

Zwei Monate später waren – wie bereits erwähnt – dann auch Simon und Paula Briefwechsler mit ihrem kleinen Sohn Walter von St. Pölten nach Wiesbaden gekommen, hatten aber zunächst eine andere Wohnung bezogen. Insgesamt waren es nur wenige Wochen, die die Familien der Geschwister Paula, Erna und Karl noch gemeinsam in Wiesbaden verbrachten. Denn schon am 15. August 1939 meldete sich Simon Briefwechsler laut Eintrag in seiner Gestapokarteikarte in Wiesbaden „nach London“ ab. Was er mitnahm, passte vermutlich in einen oder zwei Koffer, wie man der eingereichten Liste seines Handgepäcks entnehmen kann.[139] Am 24. August folgte ihm sein Schwager Karl Blumenthal.[140] Wie aus den Auswanderungsunterlagen hervorgeht, hatten alle ursprünglich die Absicht gehabt, mit ihren jeweiligen Familien gemeinsam auszureisen. Da es aber noch viel zu regeln gab, hatte man offensichtlich beschlossen, dass die Männer, die damals noch stärker gefährdet waren als die Frauen, zumal man sie aus den Konzentrationslagern mit der Auflage entlassen hatte, innerhalb einer bestimmten Frist Deutschland zu verlassen, zunächst alleine gehen sollten. Aber es waren Trennungen mit ungewissem Ausgang.

Sichergestelltes Umzugsgut von Karl und Erna Blumenthal
HHStAW 519/3 18219 (15)

Karl Blumenthal hatte schon im April die Liste mit dem Umzugsgut, den notwendigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen über die Firma Rettenmayer, wo das Umzugsgut lagerte, bei der Devisenstelle eingereicht. Die jeweiligen eidesstattlichen Erklärungen, weder über Vermögen noch Auslandsdepots zu verfügen, war von beiden, von ihm und seiner Frau unterschrieben worden. [141] Bei der Überprüfung des Lifts monierte der Zollbeamte, dass ein Teil der Kleidungsstücke neuwertig sei, aber in der Liste älterer Waren aufgeführt sei. Karl Blumenthal gab an, es handle sich um Geschenke seiner bereits ausgereisten Schwester und er habe nicht gewusst, dass er diese besonders hätte deklarieren müssen. Er sei auch finanziell nicht in der Lage, noch eine zusätzliche Dego-Abgabe für die Ausfuhr neuwertiger Güter zu leisten.[142] Daraufhin wurde er am 8. Juli bei der Devisenstelle vorgeladen und traf dort auf einen geradezu humanen Beamten. In einer Notiz hielt dieser fest: „Blumenthal ist Schuster u. hat kein Vermögen. Er wird auch jetzt noch von seiner Schwester unterstützt, um sein Leben fristen zu können. Die Listen sind von seiner Frau aufgestellt worden, während er in Buchenwald war. (…) Eine Absicht, den Sachverhalt zu verschleiern u. diese Gegenstände zu verschieben, liegt jedoch nicht vor. Ich bitte deshalb, die Sachen zur Ausfuhr freizugeben. Eine Dego-Abgabe ist dafür nicht zu leisten.“ [143] Ein eher außergewöhnlicher Vorgang in diesem Staat!

Briefwechsler und Blumenthal
Registrierung von Simon Briefwechsler und Karl Blumenthal in England
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/11647661:61596

Ob Karl Blumenthal die gesamten Sachen, die auf der Liste standen tatsächlich mitnahm, als er dann ohne seine Frau aufbrach, ist eher unwahrscheinlich. Darunter befand sich nicht nur Kleidung und Wäsche für sie, sondern auch kleine Möbelstücke und eine Reihe von Haushaltsgegenständen. Vermutlich blieb der gesamte Lift weiterhin in der Spedition stehen.

Wenn die überlieferten Daten der Abreise von Simon Briefwechsler und Karl Blumenthal aus Wiesbaden richtig sind, sie also zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgebrochen waren, dann müssen sie sich später wieder getroffen haben. Auf der Registrierungsliste, angefertigt in Willesden am 5. Oktober 1939, stehen beide mit einer gemeinsamen Registrierungsnummer untereinander.[144]

Mit dem Kriegsausbruch wenige Tage nach ihrer Abreise wurden alle Pläne hinfällig. Nicht nur war es nicht mehr ohne weiteres möglich die Familie nachkommen zu lassen, auch ihr Status im Fluchtland hatte sich geändert. Aus Flüchtlingen waren mit einem Mal potentiell feindliche Ausländer geworden. Beide wurden zunächst in England und dann sogar nach Australien abgeschoben und dort interniert.

Karl Blumenthal - Internierung
Internierungskarte von Karl Blumenthal mit Eintrag über Freilassung in Australien
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61665/images/48741_b428866-00078?treeid=&personid=&usePUB=true&_phsrc=svo1358&_phstart=successSource&pId=34033

Karl Blumenthal wurde am 22. April 1943 entlassen, sodass er von Australien aus die Ausreise in die USA antreten konnte. Am 13. Mai 1944 erreichte er auf der ‚Sea Star’ von Sydney kommend den Hafen von San Franzisko. Sein Ziel in den USA war Toledo in Ohio, wo inzwischen auch seine Frau mit den Kindern angekommen war. Offensichtlich wohnte Margarete Blumenthal inzwischen– wie aus der Kontaktangabe in der Passagierliste hervorgeht – dort vorübergehend bei ihrer Schwägerin Selma und ihrem Schwager Fritz Gamiel.[145]

Überfahrt Karl Blumenthal u Margarete
Überfahrt von Margarete Blumenthal mit den beiden Kindern nach Amerika
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6466-0434?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=1006482461

Margarete war es gelungen, im Frühjahr 1940 mit ihrem beiden Söhnen Walter und Werner auf der ‚Manhattan’ die Schiffsreise in die USA anzutreten,[146] nachdem sie zuvor mit dem Zug in den in den Abfahrtshafen Genua gelangt waren. Eine erste Unterkunft hatte sie in New York bei ihrer Schwägerin Hedwig Mayer gefunden, aber die finanzielle Not der Gestrandeten war so groß, dass Margarete Blumenthal sich dazu durchringen musste, ihren Sohn Walter erst einmal zu der anderen Schwägerin Selma Mayer in Toledo zu schicken, sodass die Familie nun völlig zerrissen war.[147] Wann dann auch die Mutter mit dem jüngeren Sohn Werner ebenfalls den Verwandten in Toledo und zu Walter zog, ist nicht bekannt, aber zum Zeitpunkt, als ihr Mann Karl von Australien kommend an der anderen Seite des Kontinents ebenfalls amerikanischen Boden betrat, wohnten die drei dort in der Stadt am Eriesee.

Endlich wiedervereint ließ sich die Familie 1944 in Chicago nieder.[148] Als Karl Blumenthal seinen Antrag auf Einbürgerung stellte, hatte sich die Familie mit dem am 9. November 1945 in Chicago geborenen Gary Charles um eine weitere Person vergrößert.[149]

Karl Blumenthal
Der Grabstein von Karl Blumenthal in Chicago
https://de.findagrave.com/memorial/155616907/karl-blumenthal

Bei der Volkszählung in den USA im Jahr 1950 gab Karl Blumenthal an, ein Geschäft zu führen. Es lassen sich aus der knappen Angabe zwar keine Rückschlüsse auf den Umfang des Geschäfts ziehen, aber mit seinem Laden ‚K(arl) & M(argret) Shoes’ konnte er zumindest die alte Familientradition fortführen.[150] Dennoch wird auch für seine Familie das Leben in der Freiheit zumindest in den Anfangsjahren mit vielen Belastungen verbunden gewesen sein. Am 25. Januar 1974 verstarb Karl Blumenthal in Chicago, seine Frau am 25. Februar 1996 ebenfalls in der Metropole am Lake Michigan.[151]

Karls Schwester Erna Weis konnte im Mai 1940 gemeinsam mit ihrer Schwägerin Margarete auf der ‚Manhattan’ in die USA ausreisen.[152] Auf ihrer Gestapokarteikarte ist als Tag der Abreise aus der Wiesbadener Riehlstraße der 6. Mai eingetragen. In den USA ließ auch sie sich dann bei ihren Verwandten in Chicago nieder. Etwa drei Jahre musste sie warten, bis dann auch ihr Mann Friedrich Weis von England aus einreisen durfte. Aus den Steuerunterlagen ist zu ersehen, wie schwer es auch für sie war, in den USA Fuß zu fassen. Friedrich Weis, der dort im Ledergewerbe eine Anstellung gefunden hatte, verdiente zunächst nicht mehr als 1.000 Dollar, erst gegen Ende der 40er Jahre kam die Familie auf ein Einkommen von etwa 3.000 Dollar.[153] Aber sie gehörten zu den Überlebenden.

Von Simon Briefwechsler wissen wir, dass der Kontakt mit seiner in Wiesbaden zurückgeblieben Frau nur noch beschränkt über die „Kriegsgefangenenpost“ möglich war, über die nur knappe Informationen ausgetauscht werden konnten. Immerhin erfuhr er, dass sein Sohn gezwungen worden, war die Schule zu verlassen, seine Frau den Judenstern tragen musste und sie nach seiner Abreise die Wohnung gewechselt hatte.

Auch er war zunächst in Großbritannien interniert worden. In den ersten Wochen war er in einem Pferdestall einquartiert, wo die Menschen auf dem nackten Boden schlafen mussten und kaum etwas zu Essen bekamen. Danach wurden sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in einer alten, baufälligen Fabrikanlage untergebracht, in der unzählige Ratten hausten.[154]
Am 1. Juli 1940 wurde er dann mit mehr als Tausend anderen Internierten auf der ‚Anadora Star’ bzw. der ‚Dunera‘ nach Australien deportiert, eine etwa zweimonatige Seereise, bei der die Seekrankheit, unter der er permanent litt, noch das geringste Übel war. Bald nach dem die ‚Anadora Star’ aus dem Hafen von Liverpool mit dem eigentlichen Ziel Neufundland ausgelaufen war, wurde sie bei den Hebriden von einem deutschen U-Boot angegriffen und mit einem Torpedo versenkt. Von den 1200 Menschen an Bord ertranken 700 der Internierten und 100 der Besatzung. Die übrigen wurden von anderen Schiffen, die zur Unglücksstelle eilten aufgenommen. Eines der Hilfe bringenden Schiffe war dann die ‚Dunera’, die ebenfalls im Juli mit Internierten nach Australien aufgebrochen war und dann wohl auch Simon Briefwechsler gerettet hat: „Ich hatte Glück und kam mit dem Leben davon.“[155] Aber auch die Weiterfahrt soll schrecklich gewesen sein, da die Begleitmannschaften sie, die Verfolgten und glücklich Geretteten wie Kriegsgefangene behandelt hätten. Sie hätten den Mitgefangenen alles geraubt, was sie an Verwertbarem noch bei sich trugen. Er sei ohne Schuhe und Hose in Sidney angekommen, so berichtete er einem Arzt bei seiner Anamnese.[156]
Wie sich das Leben im australischen Internierungslager gestaltete, in dem er weiterhin bis 1943 bleiben musste, machte er keine weiteren Angaben.
Aber in dieser Zeit scheinen er und seine Frau noch in Kontakt miteinander gestanden zu haben, denn auf einer Vermögenserklärung, die Paula Briefwechsler im Februar 1942 ausgefüllt hatte, gab sie an, dass ihr Mann sich als „Kriegsgefangener“ in Australien befände. Sie konnte sogar seine Gefangenennummer und auch das Lager genau benennen.[157]

Simon Blumenthal
Ausreise von Simon Briefwechsler von Australien nach Palästina
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/54856:61665?tid=&pid=&queryId=8d0a43bc72adec965656b9af6679b271&_phsrc=svo1311&_phstart=successSource

Erst 1943 erlaubte man ihm die Ausreise nach Palästina, das er am 1. September erreichte. „Hier kam ich schon an Leib und Seele gebrochen an.“[158] Schon wenige Jahre nach seiner Ankunft traf ihn der nächste Schicksalsschlag, denn seine Tochter Anna, die noch als Jugendliche dorthin hatte flüchten können, verstarb bereits 1947 mit nur 26 oder 27 Jahren, tragischer Weise wie ihre Mutter an Tuberkulose.[159]
Mit Hilfsarbeiten in Küchen und auch als Schuhmacher versuchte er sein Leben zu fristen, nie erreichte er in den ersten fünf Jahren einen Verdienst, mit dem er das zu versteuernde Minimaleinkommen erreichte.

Rosa Briefwechsler und Simon Briefwechsler
Heiratsurkunde für Simon und Rosa Briefwechsler aus Israel
HHStAW 518 37962 III (31)

Vom Schicksal seiner zweiten Frau Paula und dem seines Sohnes Walter musste er in den ersten Nachkriegsjahren Kenntnis erlangt haben, denn am 20. Januar 1950 ging er eine dritte Ehe ein, diesmal „mit einer Nichte, die ebenfalls allein geblieben war“.[160] Rosa Alster, die Ehefrau, war die bereits erwähnte zweite Tochter seiner verstorbenen Schwester Hanna Debora / Chana Dvora Alster, geborene Briefwechsler, die Ehefrau des ebenfalls damals bereits verstorbenen Michael Jakob Alster, vormals Hönig.[161]

Aber weder wirtschaftlich, noch physisch oder psychisch kam er wieder zu früheren Kräften. Über viele Jahre hatte er sich mit Hilfsarbeiten am Leben erhalten, zuletzt, bevor er berentet wurde, arbeitete er als Dekorateur. Verarmt und innerlich gebrochen kämpfte er noch in den sechziger und sogar siebziger Jahren um eine angemessene Entschädigung. Die blieb ihm lange versagt, nicht weil man das ihm zugefügte Leid als nicht erwiesen ansah, sondern aus formalen Gründen.
Die Rückkehr des österreichischen Staatsbürgers Simon Briefwechsler 1935 nach St. Pölten wurde nicht als Auswanderung und Flucht aus Deutschland gewertet, sondern als Rückkehr in sein Heimatland, das damals noch ein unabhängiger Staat war. Die Wiedereinreise nach Deutschland nach seiner Freilassung aus Dachau wurde dann auch nicht als Rückwanderung, sondern nur als Zwischenstopp während der bereits begonnen Auswanderung gewertet. Seinen Hausstand – das hatte er in seinen Anträgen angegeben – hatte er bereits in Österreich verkauft und somit nie die Absicht gehabt, in Deutschland zu bleiben. Daher – so die Logik – war er von seinem Heimatland Österreich nach England ausgewandert. Deutschland hatte also mit seiner Leidensgeschichte nichts zu tun und war fein raus.[162]

Erst 1970, da war Simon Briefwechsler bereits 76 Jahre alt, entschied das Landgericht Wiesbaden, dass ihm zumindest für den Schaden im beruflichen Fortkommen, aber weder für die Vermögensverluste, noch für die Auswanderungskosten, eine Entschädigung zustehe. Das Land Hessen wurde verurteilt ihm knapp 29.000 DM zu zahlen.[163] Nur fünf Jahre konnte er noch einen Nutzen aus dieser Zahlung ziehen, denn am 20. November 1975 verstarb er in Haifa.[164] Lange hatte er um die Anerkennung seiner körperlichen Leiden gekämpft, die er als Langzeitfolgen der Inhaftierung im Konzentrations- bzw. Internierungslager sah. Am 9. Oktober 1975, also wenige Wochen vor seinem Tod, wurde diese Forderung vom Landgericht Wiesbaden trotz einer Reihe umfassender Gutachten, die dem Tenor des letztlich entscheidenden amtsärztlichen Gutachtens widersprachen, endgültig abgelehnt.[165]

 

Die Opfer der Shoa

Aus heutiger Sicht ist nicht mehr nachzuvollziehen, was die Ursache dafür war, dass Paula Briefwechsler mit ihrem Sohn Walter alleine in Wiesbaden zurückblieb, während es allen ihren Geschwistern gelang, sich selbst und ihre Familien zu retten. Waren es Versäumnisse im bürokratischen Hürdenlauf, waren es Ängste vor einer unsicheren Zukunft, war es der Mangel an Geld? In den Unterlagen finden sich keine Hinweise auf mögliche Ursachen, aber doch Belege dafür, dass auch sie aus Deutschland heraus wollte.

Paula Briefwechsler
Antrag von Paula Briefwechsler auf Mitnahme von Umzugsgut
HHStAW 519/3 32140 (2)

Am 5. April 1940 hatte sie noch von der Riehlstraße aus über die Jüdische Gemeinde Frankfurt bei der Devisenstelle einen Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut eingereicht.
Sowohl die Stadt als auch das Finanzamt Wiesbaden hatten ihr die notwendigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgestellt und sogar explizit angemerkt, dass sie ihre Judenvermögensabgabe – die Höhe ist nicht angegeben – ordnungsgemäß gezahlt habe.[166]

Vermögen besitze sie nicht und sie sei auf die finanzielle Unterstützung von Verwandten angewiesen, schrieb sie in ihrem Antrag. Sie wolle in Kürze zu ihrem bereits ausgewanderten Ehemann gehen. Wenn dann als ihr Zielland die USA angegeben sind, dann ging sie damals offensichtlich noch davon aus, dass ihr Mann bald aus England dorthin würde ausreisen können. Möglicherweise war die Tatsache, dass er dann im Juli nach Australien verbracht wurde, der Grund für ihre Resignation. Vielleicht war auch nur der Briefkontakt mit ihm unterbrochen worden, sodass sie meinte, abwarten zu müssen, bis dieser wieder hergestellt sei und man gemeinsam neu planen könne. Das letzte Blatt der Akte besteht aus einem Vermerk der Devisenstelle, datiert vom 22. August 1940, mit dem folgenden Wortlaut: „Da seit dem 8. April 1940 keinerlei Nachricht eingegangen ist, wird das Verfahren vorerst eingestellt.“ Auf dem Antrag selbst wurde „Kein Vorgang“ notiert.[167]

Da sogar schon eine Dego-Abgabe von 100 RM festgelegt worden war, muss man annehmen, dass eine Liste mit dem Umzugsgut ebenfalls bereits eingereicht und auch kontrolliert worden war. Es scheint sogar, als sei die Abgabe sogar schon bezahlt worden zu sein, denn sowohl hinter dieser Forderung steht auf dem entsprechenden Vordruck „erl.“ für erledigt, versehen mit einem roten Häkchen als auch bei der Auflage, der Jüdischen Gemeinde die obligatorische Sachabgabe zu überbringen.[168]

Einzahlung der Überfahrtkosten für Erna und ihren Sohn Walter durch Hedwig Mayer
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/114272:1355?tid=&pid=&queryId=0187e0351b31504c3235e2a62a09da5e&_phsrc=svo1395&_phstart=successSource

Welche Hürde sie nicht mehr hat nehmen können, bleibt ein Geheimnis, denn auch für den Fall, dass die Verbindung zu ihrem Mann abgebrochen war, so gab es die Geschwister in den USA, die ihr ganz gewiss geholfen und hätten. So hatte ihre Schwester Hedwig bereits am 3. Oktober 1941 für Paula und Walter von Amerika aus 500 Dollar für deren Überfahrt hinterlegt. Am 13. Februar 1942 war der Betrag dann wieder zurückgebucht worden.[169] Möglicherweise hatte sie zu spät auf ein Visum in die USA gesetzt und war nur in den Besitz einer Zuteilungsnummer gekommen, die sie zu einer viel zu langen Wartezeit zwang.

In der Familie in den USA wird allerdings eine vielleicht im Detail nicht ganz zutreffende, aber im Prinzip sehr glaubhafte und realistische Geschichte über die gescheiterte Flucht von Paula und ihrem Sohn Walter kolportiert. Walter habe sich kurz vor der Überfahrt den Arm gebrochen und sei deshalb nicht auf das Schiff gelassen worden. Mutter und Sohn hätten wieder zurückgemusst, während ihre Schwägerin Margarete Blumenthal mit ihren beiden Söhnen Walter und Werner den rettenden Dampfer hätten besteigen dürfen. Dass erkrankte Passagiere von den amerikanischen Behörden abgewiesen wurden, ist vielfach bezeugt, dass aber die Mutter zusammen mit Margarete und den Kinder zusammen nach Genua gereist war und sie erst dort abgewiesen wurde, ist aber eher unwahrscheinlich. Vermutlich war der negative Bescheid schon früher ergangen. Wie dem auch sei: Wenn es damals im Nationalsozialismus so etwas wie die Banalität des Bösen gab, so gab es offenbar auch eine Banalität des Scheiterns – ein vergipster Arm könnte die banale Ursache dafür gewesen sein, dass zwei Menschen ihr Leben im Gas verloren.

In jedem Fall muss es für sie dramatisch gewesen sein, mitansehen zu müssen, wie die nächsten Verwandten, einer nach dem anderen, die Wohnung in der Riehlstr. 12 verließen und sie mit Walter allein zurückblieb. Weder über die folgenden Monate, die sie dort verbrachte, noch über die Zeit im Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80, in das sie am 31. Oktober 1941 zog, liegen nähere Informationen vor. Immerhin erfährt man aus der Liste, in der die NS-Bürokratie den freigewordenen Wohnraum nach der Deportation vom 10. Juni 1942 berechnet hatte, dass ihr mit Walter dort ein Zimmer im vierten Stock des Hauses zur Verfügung stand.[170] Aus einer anderen Liste geht hervor, dass dieses Zimmer zur Wohnung der dreiköpfigen Familie Kahn gehörte, die insgesamt aus drei Zimmern bestand.
Wie ihr Mann im Entschädigungsverfahren bezeugte, verdiente sie sich als Hausangestellte ein wenig Geld für den Lebensunterhalt. Das hatte sie auch auf der bereits erwähnten letzten Vermögenserklärung angegeben. Sie würde damit, so notierte sie auf dem Formular, auf ein durchschnittliches monatliches Einkommen von etwa 50 RM plus Teilverköstigung bei ihren jeweiligen Arbeitgebern kommen.[171] Entsprechend begrenzt war der Spielraum für ihre monatlichen Ausgaben. Er lag bei insgesamt 52 RM für Miete und Bekleidung, sowohl für sie selbst wie für ihren Sohn. Angesichts dieser finanziellen Lage verzichtete die Devisenstelle auf die Anlage eines gesicherten Kontos und erlaubte ihr, den Lohn in bar entgegenzunehmen. Dafür wurde ihr der Freibetrag, der im Februar 1940 auf 300 RM festgesetzt worden war, jetzt im Februar 1942 auf nur noch 200 RM reduziert. [172] Da sie in absehbarer Zeit ohnehin über soviel Geld nicht würde verfügen können, wird sie das ganz sicher nur wenig berührt haben. Simon Briefwechsler gab später an, sie habe auch als Zwangsarbeiterin in einer Fabrik arbeiten müssen, aber es ist weder bekannt, woher er diese Information hatte, noch auf welchen Zeitraum sie sich bezog.[173].
Am 6. Juni 1942 wurde Paula Briefwechsler von der Reichsvereinigung der Juden informiert, dass sie sich mit ihrem Sohn Walter, der inzwischen 12 Jahre alt war, am 10. Juni in ihrer Wohnung „zur Abwanderung“ bereitzuhalten habe.

An diesem Tag mussten sie mit etwa 380 anderen Jüdinnen und Juden aus Wiesbaden an der Viehverladestation des Bahnhofs den Zug besteigen, der sie zunächst nach Frankfurt brachte, wo sie vor aller Augen am Main entlang zur Großmarkhalle marschierten, der Hauptsammelstelle für die insgesamt etwa 1200 Menschen, die aus dem gesamten Regierungsbezirk Wiesbaden zusammengetrieben worden waren. Am Morgen des folgenden Tages verließ der Zug die Stadt und steuerte über Kassel, Leipzig, Lodz sein erstes Ziel Lublin im sogenannten Generalgouvernement an. Arbeitsfähige Männer wurden dort herausgeholt und zum Arbeitseinsatz in Majdanek abkommandiert.

Sobibor
Das Bahngleis am KZ Sobibor
https://photos.yadvashem.org/photo-details.html?language=en&item_id=100434&ind=3

Die Übrigen fuhren vermutlich zunächst weiter in das völlig überfüllte Ghetto von Izbica, dem ursprünglichen Ziel des Zuges ‚Da 18’, wurden aber dann schon kurz darauf weiter nach Sobibor befördert. In einem industriell organisierten Massenmord verloren sie im Gas ihr Leben – wann genau den einzelnen der Tod ereilte, spielte für die Mörder keine Rolle. Aufzeichnungen wurden nicht gemacht, sodass es auch keine genauen Todesdaten der Opfer gibt.[174]

Im Mai 1947 richtete ihre Schwester Erna einen verzweifelten Brief an das ‚Central Tracing Bureau’ in New York, ihr bei der Suche nach ihrer verschollenen Schwester und deren Sohn zu helfen. Hoffnung war wohl wieder aufgekeimt, weil eine Überlebende aus Usingen glaubte, Paula Briefwechsler im Konzentrationslager Theresienstadt gesehen zu haben. In einem Brief hatte sie ihr mitgeteilt, dass ihre Schwester und Walter beide überlebt hätten. Beide seien nach dem Krieg aus dem Lager entlassen worden.[175] Das Gerücht erwies sich als falsch. Paula und Walter Briefwechsler blieben verschollen und waren unzweifelhaft ermordet worden.

 

Berthold Briefwechsler
Berthold Briefwechsler
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Auch wenn alle ihre Geschwister überlebt hatten, so gab es dennoch ein weiteres Opfer in der Familie, denn auch Berthold Briefwechsler, der Bruder ihres Mannes, wurde in der Shoa umgebracht. Zumindest in knapper Form soll hier auch seines Schicksals gedacht werden.
Aus seinen Inhaftierungsunterlagen aus Buchenwald erfährt man, dass er nach seiner Schulausbildung Zahntechniker geworden war. Aus seiner ersten Ehe mit der am 26. Juni 1903 ebenfalls in Wien geborenen Ehefrau Eugenie Weber, war am 21. August 1932 eine Tochter namens Kitty hervorgegangen. [176]
Als nach dem „Anschluss“ Österreichs die Juden massenweise aus ihren Wohnungen vertrieben wurden,[177] verlor auch die Familie von Berthold Briefwechsler im Mai 1938 ihre bisherige Unterkunft in St. Pölten. Auch das Labor, das im gleichen Haus angesiedelt war, musste geräumt werden. Die Familie wurde zwangsweise in ein Haus im 2. Bezirk von Wien eingewiesen, wo damals die Juden in mehreren Judenhäusern konzentriert wurden. Auch das Haus in der Oberen Donaustr. 43, in das die Familie von Berthold Briefwechsler verbracht wurde, war eine dieser sogenannten Sammelunterkünfte. Aber anders als in Wiesbaden, handelte es sich bei den dortigen Judenhäusern tatsächlich um Massenunterkünfte. Allein in dem genannten Haus waren insgesamt 76 jüdische Menschen untergebracht.[178]

Während seine Frau und Tochter in Wien blieben, wo sie auf die Unterstützung der Kultusgemeinde angewiesen waren, gelang Bertold 1938 die Flucht nach Belgien. Offenbar fand diese Trennung aber vor dem Hintergrund eines familiären Zerwürfnisses statt, denn in Belgien oder Frankreich ging er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt eine zweite Ehe mit Camilla Frank ein, die ebenfalls zuvor bereits verheiratet gewesen war.[179]
Nach dem Überfall der Deutschen auf die westlichen Nachbarstaaten wurden beide in Frankreich verhaftet und im Lager Casseneul interniert. Am 9. September 1942 wurden sie dann von Drancy nach Auschwitz deportiert, wo Camilla am 20. Oktober des gleichen Jahres ermordet wurde.[180]

Berthold Briefwechsler
Totenliste aus Buchenwald mit dem Eintrag für Berthold Briefwechsler
Berthold
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Für Berthold war in Auschwitz der Leidensweg noch nicht zu Ende. Am 11. Februar 1945 wurde er vermutlich im Rahmen eines Todesmarsches zunächst nach Groß-Roßen verbracht, wo aber die Evakuierungsmaßnahmen angesichts der Frontverlagerung seit Januar ebenfalls im Gange waren. Das Hauptlager wurde ab Februar geräumt und Berthold scheint – vermutlich schon schwer krank – noch nach Buchenwald gebracht worden zu sein. Dort wurde er nur wenige Wochen vor der endgültigen Niederwerfung des NS-Regimes am 26. März 1945 noch umgebracht. Die Diagnose des Lagerarztes, dass er an einem „infektiösen Magen- Darmkatarrh“ verstarb ist sicher richtig, aber eben nur die halbe Wahrheit.[181]

Nur seine erste Frau Eugenie konnte sich mit der Tochter zunächst nach England retten, von wo beide im Oktober 1948 nach Australien auswanderten.[182]

 

Veröffentlicht: 27. 03. 2023

letzte Revision: 30. 06. 2024

 

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Anmerkungen:

[1] Geburtsregister Nordhofen 34 / 1899. Das Aktive Museum Spiegelgasse hat 2015 für Paula und Walter Briefwechsler ein Erinnerungsblatt Briefwechsler veröffentlicht, siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Briefwechsler-Simon.pdf. (Zugriff: 20.03.2023).

[2] Heiratsregister Nordhofen 10 / 1879. Johann Blum war am 25.7.1854 als Sohn von Karl Friedrich und Anna Maria Blum geboren worden. Regina, auch Regine Rosenau war am 27.12.1837 in Quirnbach als Tochter von Mayer und Zerline Rosenau, geboren Moses, zur Welt gekommen, siehe Geburtsregister Quirnbach 9 / 1837 und Heiratsregister Nordhofen 10 / 1879. Aus dieser Ehe war am 29.8.1880 in Nordhofen noch eine Tochter hervorgegangen, die den Namen Josefine erhielt. Über ihr weiteres Schicksal ist wenig bekannt. Laut der Volkszählung von 1939 lebte sie damals als Josefine Schnug in Alsbach im Westerwald im Haus Nr. 24. https://www.mappingthelives.org/bio/4f341945-6aec-4dcf-8fff-bf9a0ebf97ab. (Zugriff: 20.4.2024). Soweit feststellbar, gehörte sie nicht zu den Opfern des Holocaust. Wahrscheinlich hatte sie als „Halbjüdin“ und Partnerin in einer Mischehe überlebt, denn laut Adressbuch des Unterwesterwaldkreises von 1960 ist in Alsbach weiterhin eine Familie Schnug ansässig gewesen, auch eine Josefine Schnug ist darin noch registriert, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/104478329:60778?tid=&pid=&queryId=5165c688-3e26-4cce-b1ac-9845c0f2149b&_phsrc=svo4421&_phstart=successSource. (Zugriff: 28.6.2024). Mit ihrem Ehemann Fritz Schnug, der 1957 verstarb, soll sie 6 Kinder gehabt haben. Sie selbst verstarb 1966.

[3] Sterberegister Nordhofen 49 / 1875.

[4] Heiratsregister Nordhofen 3 / 1858, dazu Jungbluth, Nordhofen, in: Juden im Westerwald, S. 219.

[5] Geburtsregister Nordhofen 8 / 1859.

[6] Geburtsregister Nordhofen 5 / 1863.

[7] Heiratsregister Bendorf 1 /1883. Die Kinder waren: Pauline, geboren am 30.10.1883 in Bendorf, verstorben am 16.11.1968 in Koblenz, Geburtsregister Bendorf 163 / 1883; Maria, geboren am 25.8.1885 in Linz, verstorben am 4.12.1960 in Neuss, Geburtsregister Linz a. Rhein 85 / 1885; Helene, geboren am 1.11.1886 in Rechelsiepen bei Radevormwald, verstorben am 1.6.1974 in Solingen, Geburtsregister Radevormwald 304 / 1886; Hedwig, geboren am 23.10.1888 in Rechelsiepen, verstorben am 27.5.1959 Buchholz / Harburg, Geburtsregister Radevormwald 297 / 1888; Auguste, geboren am 5.10.1890 in Rechelsiepen, Geburtsregister Radevormwald 269 / 1890; August Hermann, geboren am 15.10.1893 Keilbeck / Radevormwald, Geburtsregister Radevormwald 290 / 1893; Walter, geboren am 23.12.1895 in Elberfeld, verstorben am 26.10.1957 in Düsseldorf, Geburtsregister Elberfeld 4599 / 1895 und Wilhelm, geboren am 13.6.1900 in Elberfeld, gestorben 1958 in Düsseldorf, Geburtsregister Elberfeld 2605 / 1900. Im Geburtseintrag der ersten Tochter Pauline ist das Bekenntnis der Mutter noch mit „israelitisch“ angegeben, danach immer mit „katholisch“. Mit besonderem Dank an B. Becker, einer Enkelin von Caroline Franke, geborene Blumenthal, für die Übermittlung der Kopien der Geburtseinträge.

[8] Die Eheschließung ist auf der Sterbeurkunde von Caroline Kraut eingetragen, siehe Sterberegister Lohr a. M. 104 / 1944. Die Eltern von Friedrich Kraut waren der Arbeiter Wilhelm Kraut und seine Frau Selma, siehe Sterberegister Düsseldorf 2061 / 1939.

[9] Ebd.

[10] Sterberegister Lohr a. M. 104 / 1944.

[11] Irmscher, Krankenpflege und Psychiatriealltag in Lohr während des Nationalsozialismus, S. 113 f.

[12] Ebd. 115.

[13] Ebd. S. 117 ff.

[14] Geburtsregister Nordhofen 2 / 1865.

[15] 1881 war eine damals sechzehnjährige Hedwig Blumenthal ausgewandert, aber es ist nicht sicher, dass es sich um die Tochter von Wolf und Regina Blumenthal handelt, siehe https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYM237_445-0431?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=11745519. (Zugriff: 20.03.2023).Den in der Liste eingetragenen Namen Hedwig anstelle von Henriette findet man auch in anderen Dokumenten, z.B. in ihrem Heiratseintrag und dem Formular der Volkszählung von 1900 in den USA, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/48942317:7602. (Zugriff: 20.03.2023). Bei der Volkszählung 1910 gab sie an 1882 eingewandert zu sein, bei der im Jahr 1920 nennt sie das Jahr 1868. Da war sie 3 Jahre alt! Da sie die amerikanische Staatsbürgerschaft laut diesem Formular im Jahr 1886 erhalten haben will, liegt es nahe, dass es sich bei der Angabe zum Emigrationsjahr um einen Zahlendreher handelt und auch hier das Jahr 1886 gemeint war. Verwirrend sind diese unterschiedlichen Jahreszahlen dennoch. Auch ihre eigenen Angaben zum Geburtsjahr sind nicht konsistent. Dass es sich aber immer um die gleiche Person handelt, ergibt sich aus den Namen der Kinder. Aber insgesamt bleiben die Angaben zu ihrer Person sehr vage.

[16] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?dbid=9105&h=1002257&indiv=try&o_vc=Record:OtherRecord&rhSource=7884. (Zugriff: 20.03.2023).

[17] Sidney, geboren 1888, Walter / Waldo, geboren 1890 und Lester, geboren 1891. Der vierte Sohn Milton, geboren am 8.3.1901, war am 26.4. des gleichen Jahres wieder verstorben. In den verschiedenen Census-Dokumenten ist er daher nicht aufgeführt. Siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/52140:6492?tid=&pid=&queryId=048faa449c4c95d06068b09e508b25f8&_phsrc=OEb62&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.03.2023).

[18] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?dbid=9131&h=4179880&indiv=try&o_vc=Record:OtherRecord&rhSource=61778 und https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?dbid=9131&h=4256012&indiv=try&o_vc=Record:OtherRecord&rhSource=2703. (Zugriff: 20.03.2023).

[19] Geburtsregister Nordhofen 8 / 1871.

[20] https://www.mappingthelives.org/bio/6f0308d7-b338-47dd-938d-213b5be8b4c6. (Zugriff: 20.03.2023). Laut Adressbuch des Jahres 1925 von Bitterfeld / Roitzsch war damals dort ein Friedrich Fuerste gemeldet, möglicherweise der Ehemann von Zerline.

[21] Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 364 f.

[22] https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4820834&ind=1. (Zugriff: 20.03.2023).

[23] Heiratsregister Gießen 76 / 1896.

[24] Jungbluth, Nordhofen, in: Juden im Westerwald, S. 219.

[25] Johannas Schwester, die am 20.7.1871 ebenfalls in Atzbach geborene Amalie war mit dem aus Korolówka / Ukraine stammenden Pinkas Buchbinder verheiratet. Die Ehe war am 21.4.1903 in Wiesbaden geschlossen worden, aber die Familie war dann nach Frankfurt gezogen, wo auch ihre fünf Kinder geboren wurden. Amalie starb am 6.5.1941 in Frankfurt, ihr Mann am 29.6.1942 in Mauthausen. Über das Schicksal der Kinder liegen keine Informationen vor. Siehe Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.

[26] Heiratsregister Gießen 76 / 1896.

[27] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden. Auch https://www.geni.com/family-tree/index/6000000175324906100. (Zugriff: 20.03.2023).

[28] https://www.geni.com/people/Selma-Gamiel/6000000187645345821. (Zugriff: 20.03.2023).

[29] https://www.geni.com/people/Walter-Blumenthal/6000000187645246822. (Zugriff: 20.03.2023).

[30] Für Paula Geburtsregister Nordhofen 34 / 1899.

[31] Für Hedwig Geburtsregister Nordhofen 42 / 1900. Für Erna Geburtsregister Nordhofen 1 / 1902. Sowohl auf der Entschädigungsakte als auch auf dem Antrag ist ihr Geburtsdatum fälschlicherweise mit dem 4.1.1902 angegeben, siehe HHStAW 518 80001.

[32] HHStAW 518 37950 (46).

[33] http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/simon-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023). Siehe auch HHStAW 518 37962 III (31) und Heiratsregister Usingen 4 / 1929.

[34] http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/berthold-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023). Dies scheint das richtige Geburtsdatum zu sein. In unterschiedlichen Dokumenten der Lagerverwaltungen wurden mehrfach die ersten beiden Zahlen vertauscht und das Geburtsdatum des Öfteren mit dem 11.10. angegeben.

[35] https://www.myheritage.de/research/collection-11000/osterreich-wien-judische-auswanderungsantrage-1938-1939?action=showRecord&itemId=67947-R12&indId=externalindividual-25c86bc138ca8d76b986aa83477ee6b0&auth=a9ce0d92743cf15f9b45799e8320c6fe&mrid=29f975c5078c7693588d50ab633b0597#fullscreen. (Zugriff: 20.03.2023).

[36] HHStAW 518 37962 (22).

[37]Ebd., dazu Geburtsregister Treysa 36 / 1896.

[38] HHStAW 518 37962 III (34).

[39] Geburtsregister Treysa 22 / 1900

[40] Geburtsregister Treysa 56 / 1898. Er war am 13.9.1898 geboren worden.

[41]HHStAW 518 37962 (221). Dazu http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/anna-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023). Zum Zeitpunkt der Eheschließung HHStAW 518 37962 (311), zur Todesursache ebd. (332).

[42] Bierwirth, Jüdische Einwohner Usingen, S. 52, und Kolb, Juden von Usingen, S. 41.

[43] Kolb, Juden von Usingen, S. 84.

[44] Ebd., S. 309.

[45] HHStAW 518 37962 (22, 70).

[46] Heiratsregister Usingen 4 / 1929.

[47] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.

[48] HHStAW 518 37950 (46).

[49]  Bierwirth, Jüdische Einwohner Usingen, S. 52. Nach dem Tod der Eigentümer 1935 und 1936 wurde das Haus verkauft. Ursprünglich war es für 12.000 RM angeboten worden, erzielte aber dann 1938 nur noch 9.000 RM.

[50] HHStAW 518 37962 (22).

[51] Ebd. (53).

[52] Juden im Westerwald, S. 121.

[53] Ebd. S. 119 f.

[54] HHStAW 518 37962 (23).

[55] Ebd. (24). Im Memorbuch von St. Pölten ist ergänzend gesagt, dass sie „vermutlich mit dem 2. Palästinatransport entkommen“ sei. Eine genau zeitliche Angabe ist aber auch hier nicht gemacht. Siehe http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/anna-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023).

[56] HHStAW 518 37962 (285).

[57] Er selbst nennt das Datum 7. 2.1939, siehe HHStAW 518 37962 (23), auf der Entlassungskarte ist der 6.2.1939 angeben, siehe https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010607/0184/56336149/001.jpg.

[58] HHStAW 518 37962 (23).

[59] Ebd.

[60] https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01010602/aa/ah/dk/001.jpg. (Zugriff: 20.03.2023). Sally Blum tritt noch zweimal in den Akten der Wiesbadener NSDAP in Erscheinung. Als die Partei nach der Verabschiedung der neuen Mietgesetze, die Anschriften der Juden sammelte, um sie in die Judenhäuser einzuweisen, meldete am 30.5.1940 der Leiter der Zelle 5 der Ortsgruppe Ost: „In der Zelle 5 wohnt eine Familie Jude Blum, Luisenstr. 26. Die Familie besteht aus 4 Köpfen und hat eine Wohnung von 4 Zimmern mit Küche inne.“ HHStAW 483 10127 (81). Ein Vierteljahr später wohnte Blum noch immer in der Wohnung, weil –so der Zellenleiter – die Obdachlosen-Polizei in Wiesbaden der Kündigung der Familie durch den Hauseigentümer mit dem Argument widersprochen hatte, dass es keine Wohnungen in „nichtarischen Häusern“ gäbe. Die Polizei hatte erstaunlicher Weise vorgeschlagen, dass die Arier aus dem Haus ausziehen sollten ! Ebd. (97). Blums hatten weiterhin 4 Zimmer und eine Küche zur Verfügung. Falsch ist allerdings die Angabe, dass es sich um eine vierköpfige Familie handelte, nachdem der Sohn ausgewandert war. Vermutlich hatten Blums, nachdem Paula Briefwechsler später mit ihrem Sohn dort ausgezogen war, andere jüdische Untermieter aufgenommen oder aber der Zellenwart ging davon aus, dass diese noch immer dort wohnten. Sally Blum und seine Frau wurden am 10.6.1942 von Wiesbaden aus deportiert und in Sobibor ermordet.

[61] HHStAW 518 63154 (3).

[62] HHStAW 519/3 9939 (7).

[63] Juden im Westerwald, S.114 f. und S. 116 f. Sie ist erstmal 1869 erwähnt. Ein Heyum Rückersberg musste eine Strafe für sein „unartiges Kind“ bezahlen, ebd. S. 118. Heyum, auch Jesaja Schey Rückersberg, geboren am 17.10.1790 war der Vater von Tobias und vier weiteren Kindern. Seine Mutter war Esther David aus Grenzhausen. Siehe Göbler / Simon, Familie Rückersberg, Hessische Familienkunde 2011, S. 310.

[64] Zur Familie Rückersberg ist vom Aktiven Museum Spiegelgasse ein Erinnerungsblatt verfasst worden, in dem das Schicksal von Ruth Irmgard, der Tochter von Robert und Rosa Rückersberg, dargestellt wird. Siehe http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Rueckersberg-Ruth.pdf. Siehe auch Fritzsche, 300 Jahre jüdisches Badewesen, S. 139 f., ebenso Schreeb, Kronprinz, S. 257-261 und Schaller, Kaiserzeit, S. 184.

[65] Hermann Weis war mit Rosa Dreifuß, der Schwester von Hugo Dreifuß, verheiratet.

[66] Luschberger, Juden in Hochheim, S. 95.

[67] Ebd. S. 78.

[68] Ebd. S. 96.

[69] Ebd.

[70] Ebd. S. 105.

[71] Ebd. S. 96.

[72] Ebd.

[73] Ebd. S. 106.

[74] Ebd. S. 111.

[75] Ebd. S. 123-125.

[76] HHStAW 518 44851 (26, 28).

[77] Ebd. (32).

[78] https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01010602/aa/ag/zb/001.jpg. (Zugriff: 20.03.2023).

[79] Entschädigt wurde die Zeit generell – nur volle Monate wurde berücksichtigt – mit 150 DM pro Monat, d.h. 5 DM für jeden Tag in der Hölle eines Konzentrationslagers. Für Friedrich Weis siehe HHStAW 518 44851 (22 f.).

[80] Zit. nach Luschberger, Juden in Hochheim, S. 133.

[81] HHStAW 518 44851 (62).

[82]Heiratsregister Rückerath 1 / 1935.

[83] Laut GENI war Tobias Rückersberg, ein Sohn von Schey Haium Rückersberg, geboren um 1790, und Ester David Kahn. Die beiden hatten neben Tobias noch einen Sohn namens Daniel, geboren 1833, der mit Amalia Ross verheiratet war. Aus der Ehe war eine ganze Reihe Kinder hervorgegangen, u. a. Julius Rückersberg, der Vater von  . Ihre Mutter war eine Henriette Becker, geboren 1878. Siehe https://www.geni.com/family-tree/index/6000000008887529053. (Zugriff: 20.03.2023).

[84] Für beide siehe Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden. Die Angaben entsprechen auch denen, die die Eltern bei ihrem Antrag zum Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft machten. Siehehttps://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2356674:61196. (Zugriff: 20.03.2023).

[85] HHStAW 518 80001 (62). Verschiedene Zeugen meinten allerdings, dass dieser Betrag zu hoch angesetzt sei und vermuteten ein Jahreseinkommen, das eher bei 5.000 RM lag. Diese Zahl wurde auch beim Bescheid des Entschädigungsverfahrens zu Grunde gelegt. Siehe ebd. (67, 70).

[86] Ebd. (62).

[87] Jungbluth, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Westerwald, S.57.

[88] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1510/52014522/001.jpg. (Zugriff: 20.03.2023).

[89] Jungbluth, Die Selterser Juden, in: Juden im Westerwald, S. 123.

[90] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de949772. (Zugriff: 20.03.2023).

[91] HHStAW 519/3 9939 (5).

[92] Ebd. (9).

[93] Ebd. (o.P.).

[94] HHStAW 518 63154 (3).

[95] Ebd. (20).

[96] Ebd. (16)

[97] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/20938111:7488?tid=&pid=&queryId=5e85a672-85ab-4cb7-b8fb-6f287ccb647e&_phsrc=svo4453&_phstart=successSource. (Zugriff: 30.6.2024).

[98] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1657890:61196. (Zugriff: 20.03.2023).

[99] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1657889:61196?tid=&pid=&queryId=5097110a-6882-45fc-81d3-c8695fa2239c&_phsrc=svo4449&_phstart=successSource. (Zugriff: 30.6.2024).

[100] HHStAW 518 63154 (3, 24).

[101] Ebd. (17), auch https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61378/images/TH-1-18874-25523-20?pId=1353933052. (Zugriff: 20.03.2023). Seine Eltern waren Bernhardt und Blondine Mayer, geborene Wolf.

[102] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/222677753:62308. (Zugriff: 20.03.2023).

[103] HHStAW 518 37950 (46).

[104] Das Schicksal von Willy Stern und seiner Familie hat Natalie Simon recherchiert und im Rahmen der Stolperstein-Serie in der Rhein-Zeitung / Westerwald extra am 17.3.2014 veröffentlicht.

[105] Stadtarchiv Montabaur, StAM, Abt. 4 , Haushaltslisten JG 1926,1930, 1933 1936.

[106] Zu den Einträgen in den Gewerberegistern siehe Stadtarchiv Montabaur, StAM, Abt. 4, Gewerberegister. Gewerbeanmeldungen 1909-1921 und Gewerbeanmeldungen 1936-1941.
Gerald Stern, der Enkel von Willy Stern, hat in den USA den Stammbaum und auch das Schicksal der Familie recherchiert. Der entsprechende Abschnitt soll im Folgenden wiedergegeben werden:
Gustav and Friederike owned a large department store in Montabaur, Germany. When the Nazi’s came to power in 1933 there was concern for the daughters safety.
In 1935 Hilde went to an agriculture school in the town called Goodwinkle and once her skills were learned she went to Palestine to work on a kibbutz. It was there that she met Heinz Tannchen. He was from Braunschweig, Germany.
In 1936 Edith received her affidavit to leave Germany from a Mr. Sherman who was a successful bird seed salesman from New York. She arrived in the United States with her cousin Johnny Stern and began to work as a maid in a Hotel. She lived with Elsie and her husband Sali.
That left Gretel at home and she was 18 years old in 1936. The Nazi’s were becoming more and more powerful and concerning so Gustav and Friederike sent Gretel to a school in Berlin to become a teacher and they made attempts to sell their business and home. The store was on the bottom level and the house was on the second floor. They found buyers for each entity and then Kristallnacht occurred November 9 1938. Gustav and Friederike’s store and home were ransacked by the Nazi’s. These were people who had previously been their neighbors and friends. Because the items they owned were rather nice the Nazi’s chose to move them out to use as their own instead of destroying them.
Then in the dark of the night Gustav and Friederike were taken away by the Nazi’s with other Jewish Men and Women. The men were taken to Concentration Camps and the Women were set free to walk home alone. Gustav was taken to the Concentration Camp called Buchenwald. Also during Kristallnacht Gretel hid her future husband Heinrich Tepper.
After Krystallnacht Friederike worked hard to get Gustav out of the concentration camp. She was able to liquidate the home and store to the same men who were interested in purchasing them, but for a much lower price due to the destruction. After some time and lots of worry and a large payment of money, Friederike was able to have Gustav freed. He was very ill upon leaving Buchenwald. He had boils all over his body and his intestinal system was a mess. Friederike was concerned about nursing Gustav back to health in Montebaur because the Nazis might have recaptured him. She sent him to Mayan to live with her sister, Tante Bette. During this time Gretel made plans to leave Germany. Uncle Ernst Stern and his wife helped Gretel get a job as a household helper for a family called the Goldmans in London.
Around 1939 Gretel boarded a train in Frankfurt and said good-bye to her parents. At that time a large sum of money was needed to leave the country 750 Marks for the ticket + 750 Marks to convince the Nazi’s to allow to buy a ticket, and the same large sum if you wanted to take any valuable out of the country. Gretel took a coat her mom wanted her to have (750 Marks) and a camera she thought she could trade with in England or the US which was the place they hoped to live. At that time a person leaving Germany could only take 10 Marks out of the country as pocket change. On the way to the coast at Enchede on the border between Germany and the Netherlands, Gretel was forced off the train and strip searched! The Nazis checked her body and suitcase for items she was smuggling out of the country. Then the train went on without her. She had no more money for a ticket or anything. Luckily the Nazis allowed her on the next train. When she arrived in London she began working for the Goldman family.
Gustav and Friederike now made plans to leave Germany themselves. The Nazis watched as they packed what household goods they could take on giant crates which they called lifts. Gustav and Friederike paid the Nazis to send these lifts to the U.S. and they also paid an equal price to ensure the lifts came to the U.S.
Gustav then came to London and Friederike came last. They stayed in an apartment in the Golders Green area in London. Next they needed to have their medical papers recorded by the consulate of London. When they took them Gustav’s showed he had a terrible disease. He didn’t, but another Gustav Stern switched medical records secretly with his. He now needed to get new medical records drawn up. Once that was done they were ready to leave England.
In March of 1940 they boarded a ship called the Sythia in Liverpool Harbour and arrived in New York Harbour by the Statue of Liberty a week later. Gustav, Friederike, and Gretel became naturalized citizens of the United States in 1945. In that time period Gustav’s job was stuffing toys for dogs and cats to play with; Friederike arranged artificial flowers, and Gretel was a secretary. They lived together in an apartment. The lifts that Gustav and Friederike packed with their household goods never came to the U.S.!”

http://sternmail.co.uk/sld/getperson.php?personID=I82&tree=SLtree. (Zugriff: 20.03.2023). Unter https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20341/Montabaur%20PA%20032013a.jpg (Zugriff: 20.03.2023) hat er noch einen kleinen Artikel verfasst, wie er seine inzwischen hoch betagten Großcousinen Edith und Gretel, die Töchter von Gustav Stern, wiederfand.

[107] Auskunft von U. Jungbluth vom 24.3.2023, laut Eintrag im Meldebuch der Gemeinde Selters.

[108].Ebd.

[109] https://www.alemannia-judaica.de/argenschwang_synagoge.htm. (Zugriff: 20.03.2023).

[110] HHStAW 51973 17160 (o.P.).

[111] Ebd. (o.P.). Leider ist ansonsten im behördlichen Briefverkehr immer nur Fritz oder Selma Gamiel – Selters angegeben. Immerhin kann man daraus schließen, dass die beiden in Selters bekannt waren.

[112] Ebd. (5, 10)

[113] Auf dem Einlieferungsschein vom 25.11.1938 heißt es „i. A. Frau Selma Gamiel / Selters“. Zu dieser Zeit waren Gamiels längst in den USA angekommen. Wer das Geld einzahlte, ist nicht vermerkt.

[114] Ebd. (4, o.P.).

[115] Ebd. (8).

[116] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6233-0894?treeid=&personid=&hintid=&usePUB=true&usePUBJs=true&pId=24050938&lang=de-DE. (Zugriff: 20.03.2023). Als Kontaktperson in Deutschland hatten sie einen Schwager F. Gleis in Hochheim, Adolf-Hitler-Str. 11 angegeben.

[117] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/34751313:2442. (Zugriff: 20.03.2023).

[118] http://obits.toledolibrary.org/obits/view1_cart.asp?id1=421541. (Zugriff: 20.03.2023).

[119] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3603528:5763?lang=de-DE. (Zugriff: 20.03.2023).

[120] Luschberger, Juden in Hochheim, S. 202.

[121] Mit dieser Adresse und sogar als Miteigentümer sind sie noch im Wiesbadener Adressbuch von 1936/37 eingetragen. Bertha Heymanns Mutter war Eva Heymann, geborene Kahn, eine Tochter von Gumprich Anschel I.

[122] Luschberger, Juden in Hochheim, S. 202 nennt als Wegzugsdatum den 28.4.1939. Die Meldebehörde von Hochheim nannte im Entschädigungsverfahren hingegen den 24.4.1939, siehe HHStAW 518 44851 (48).

[123] HHStAW 519/3 6520 (1).

[124] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/120074:61665. (Zugriff: 20.03.2023). Entschädigt wurde die Bahn- und Schiffsfahrt von Frankfurt nach London, fälschlicherweise allerdings zunächst für zwei Personen, nämlich für Friedrich und Erna Weis, obwohl sie nicht zusammen ausgereist waren. Friedrich Weis hatte nur vorsorglich auch Billets für seine Frau erworben. Siehe dazu HHStAW 518 44851 (70-72, 76, 79).

[125] HHStAW 519 44851 (76).

[126] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3056426:61196. (Zugriff: 20.03.2023).

[127] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/35612:61665. (Zugriff: 20.03.2023). Dazu HHStAW 518 44851 (76).

[128] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2511994:61196?tid=&pid=&queryId=44fa5d16a49898ca8117ad9a84d4df93&_phsrc=svo1416&_phstart=successSource.  (Zugriff: 20.03.2023).

[129] Luschberger, Juden in Hochheim, S. 207 f.

[130],Ebd., S. 202.

[131] HHStAW 519/3 6520 (1).

[132] Wie hoch der Kaufpreis war, ist in den Unterlagen des Entschädigungsverfahrens nicht festgehalten. Der Einheitswert betrug nach Auskunft der Stadt Hochheim 20.300 DM. Unklar ist bei dieser Währungsangabe, ob es sich um einen Fehler oder um die den Wert des Haus zum Zeitpunkt des Verfahrens im Jahr 1959 handelt. Das Haus wurde zurückerstattet bzw. es wurde von den überlebenden ehemaligen Eigentümern mit der Stadt Hochheim ein Vergleich geschlossen, in der diese sich verpflichtete, weitere 20.000 DM an die Brüder Weis zu zahlen. Siehe HHStAW 518 44851 (17).

[133] HHStAW 519/3 6520 (1). Offenbar waren ihr sogar 1.000 RM gewährt worden, siehe ebd. (2).

[134] HHStAW 518 44851 (101).

[135] Ebd. (96).

[136] Ebd. (5).

[137] Für Erna Weis ist dieses Umzugsdatum auf ihrer Gestapokarteikarte vermerkt. Ergänzend ist darauf notiert, dass der „Ehemann im Ausland“ sei. Für Karl Blumenthal und Familie siehe Luschberger, Juden in Hochheim, S. 202. Hier scheint die Datierung richtig zu sein, wie aus den Datierungen in seiner Devisenakte hervorgeht. Briefe bis Mitte April haben als Absender noch Hochheim, spätere dann Wiesbaden.

[138] Das Ehepaar Berghausen wurde am 1.9.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo Frau Berghausen am 7.10.1942 verstarb. Ihren Mann brachte man noch nach Auschwitz, wo er am 15.5.1944 ermordet wurde.

[139] HHStAW 519/3 21768 (5). Die Liste war ohne Streichungen genehmigt worden.

[140] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.

[141] HHStAW 519/3 18219 (passim).

[142] Ebd. (14).

[143] Ebd. (16).

[144] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/11647661:61596?lang=de-DE. (Zugriff: 20.03.2023). Die Liste ist zwei Tage älter als die, auf der die Gebrüder Weis zu finden sind.

[145] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/898890:7949?tid=&pid=&queryId=239b72b908c4b73fc77b7727e70197f4&_phsrc=svo1357&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.03.2023).

[146] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1006482461:7488?tid=&pid=&queryId=33e8b1ef-276c-4efd-95b8-0171f3e8fef4&_phsrc=svo4427&_phstart=successSource. (Zugriff: 29.6.2024).

[147] Die Information über die Unterbringung von Walter bei seiner Tante in Toledo stammt von Theresa Blumenthal, einer Enkelin von Karl Blumenthal, die dem Autor wiederum von B. Becker, einer Urenkelin von Regina Blumenthal, mitgeteilt wurde.

[148] HHStAW 518 44851 (76), dazu https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2132311:61196.

[149] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2356674:61196?lang=de-DE. (Zugriff: 20.03.2023).

[150] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/222677724:62308. (Zugriff: 20.03.2023).

[151] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/46819662:60901. (Zugriff: 20.03.2023).Der älteste Sohn Walter Hermann verstarb am 14.2.2003 im Alter von 67 Jahren in Chicago, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2356674:61196, der jüngste Sohn Gary am 18.1.2007 in Florida, siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2356674:61196. (Zugriff: 20.03.2023). Über Werner / Warner liegen keine Daten vor.

[152] Siehe ihren Einbürgerungsantrag unter https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2131292:61196?tid=&pid=&queryId=aaa6c995-37de-4bfb-8c7f-a782766f8bbf&_phsrc=svo4429&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.4.2024).

[153] HHStAW 518 44851 (45).

[154] HHStAW 518 37962 (285).

[155] Ebd. (24). Eigenartigerweise erwähnt Simon Briefwechsler die ‚Anadora Star’ in seinem Bericht nicht. Vielmehr gibt er an, die ‚Dunera’ sei torpediert worden, was nicht richtig ist. Wenn aber das Schiff auf dem er war, torpediert wurde, wie er schreibt, dann muss er zunächst, auf der ‚Anadora Star’ gewesen sein. Vielleicht war er aber auch mit der ‚Dunera’ ausgelaufen und hatte die Torpedierung des anderen Schiffes seiner eigenen Geschichte hinzugefügt. Zu den beiden Schiffen siehe https://de.wikipedia.org/wiki/HMT_Dunera und https://de.wikipedia.org/wiki/Versenkung_der_Arandora_Star. (Zugriff: 20.03.2023). Dort findet man auch weiterführende Literatur bzw. Links.

[156] HHStAW 518 37962 (285). Dass die Begleitmannschaften auch ihn ausgeraubt hätten, ist insofern nicht nachvollziehbar, weil er vermutlich nach dem Schiffbruch außer den Kleidern, die er am Leibe trug, ohnehin nichts mehr besaß.

[157] HHStAW 519/3 2423 (6).

[158] HHStAW 518 37962 (61). Die israelische Staatsangehörigkeit erhielt er am 21.4.1955. In einem sehr ausführlichen ärztlichen Gutachten aus dem Jahr 1975 heißt es u. a. über ihn: „Gealterter Eindruck. Statuenhafte Haltung. (…) Gesichtsausdruck müde, traurig.“ Ebd. (314).

[159] Ebd. Eine genauere Angabe über den Todeszeitpunkt machte der Vater nicht.

[160] HHStAW 518 37962 III (34).

[161] Ebd. (31).

[162] Siehe dazu die Entschädigungsakte HHStAW 518 37962 (bes. 77, dann passim), wo die verschiedenen Urteile der Gerichte unterschiedlicher Instanzen enthalten sind, auch HHStAW 467 4577 (passim). Auch die Entschädigung für den Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen seiner Frau blieb ihm versagt, weil man deren Tätigkeit nicht als selbstständige berufliche Arbeit wertete, sondern als eine durch die Ehe begründete unentgeltliche Hilfstätigkeit ansah. HHStAW 518 37950 (66-68). Eine Elternrente auf Grund des Todes seines Sohnes wurde ihm mit monatlich 136 DM allerdings zugestanden, siehe HHStAW 518 37962 (118).

[163] HHStAW 518 37962 (159-171). Simon Briefwechsler ließ sich die Entschädigung als monatliche Rente auszahlen, von der nach seinem Tod dann auch noch seine Frau eine Witwenrente erhielt.

[164] HHStAW 518 37962 III (18).

[165] 518 37962 (326-333).

[166] HHStAW 519 /3 32140 (3).

[167] Ebd. (2).

[168] Ebd. 14.

[169] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/114272:1355?tid=&pid=&queryId=0187e0351b31504c3235e2a62a09da5e&_phsrc=svo1395&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.03.2023).

[170] Unbekannte Liste X 3.

[171] HHStAW 519/3 2423 (6).

[172] Ebd.

[173] HHStAW 518 37950 (46).

[174] Zum Transport ‚Da 18’ siehe Kingreen, Gewaltsame Verschleppung, S. 310-320, auch Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 198-205, Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 214.

[175] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/Part18/06030101/aa/do/mv/001.jpg. (Zugriff: 20.03.2023).

[176] http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/kitty-briefwechsler und http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/eugenie-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023).

[177] Siehe oben das Kapitel über die antijüdische Wohnungspolitik des NS-Staates.

[178] https://www.memento.wien/address/23221/. (Zugriff: 20.03.2023).

[179] Camilla Frank, geboren am 10.5.1910 in Viehofen. Siehe http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/camilla-briefwechsler.

[180] http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/camilla-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023).

[181] https://www.memento.wien/person/54042/, auch http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/berthold-briefwechsler, https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=3164722&ind=1. Dazu https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1811/52067853/001.jpg. (Zugriff: 20.03.2023).

[182] http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/eugenie-briefwechsler. (Zugriff: 20.03.2023).