Albert und Dorothea Margarethe Liebmann
Die Albrechtstraße zwischen Rheinstraße und erstem Ring gelegen, benannt nach dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Wiesbaden lehrenden Ökonomen Wilhelm Albrecht, war Teil der südwestlichen Stadterweiterung und ist gekennzeichnet durch eine insgesamt geschlossene Bebauung mit mehrgeschossigen, durch repräsentative Fassaden charakterisierte Wohnhäuser. Das 1940 zum Judenhaus ernannten Anwesen mit der Nummer 13 war 1926 von dem Ehepaar Albert und Dorothea Margarethe Liebmann, geborene Bragenheim, für 24.500 RM erworben worden.[1]
Die am 2. August 1883 in mecklenburgischen Bützow geborene Margarethe Dorothea Bragenheim und der am 14. November 1876 geborene Albert Liebmann hatten im Juli 1902 in seiner Geburtsstadt Mainz geheiratet.
Was Dorothea Margarethe aus der kleinen mecklenburgischen Landgemeinde an den Rhein geführt hatte, ist nicht mehr auszumachen, aber die Mitte des 19. Jahrhunderts noch recht große jüdische Gemeinde in Bützow begann sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts allmählich aufzulösen. Allerdings zogen die meisten Juden in die nächst größere Stadt Wismar oder in das benachbarte Güstrow, wo auch die Bragenheims, ursprünglich Brackenheim, zu Beginn des Jahrhunderts gelebt hatten. Von Güstrow stammten auch die Eltern von Dorothea Margarethe, nämlich der um 1838 geborene Daniel Bragenheim und seine etwa ein Jahr jüngere Frau Sophie, geborene Simon. Sie war die Jüngste von insgesamt wohl fünf Kindern.[2] Während über das Schicksal der übrigen Geschwister nur wenig bekannt ist – einige waren schon vor der NS-Diktatur verstorben -, weiß man von ihrem 1880 geborenen Bruder Max, dass er in Auschwitz umgebracht wurde.[3]
Die Familie von Albert Liebmann stammte aus dem rhein-hessischen Raum, wo sie, wie Albert Liebmann in mehreren Schreiben an die Behörden betonte, seit Jahrhunderten beheimatet war.[4] Seine Eltern, Karl und Lisa Liebmann, geborene Lussheimer, besaßen in Ober-Ingelheim eine Fabrikation für „Seifen und Lichter“, wohl Kerzen.[5] Auch Karls Vater, Abraham Liebmann, verheiratet mit Elise Babette Oppenheimer, war, wie dem Heiratseintrag seines Sohnes zu entnehmen ist, bereits Seidensieder von Beruf und lebte in Oppenheim.[6] Selbst seinen Urgroßvater konnte Albert Liebmann noch namentlich angeben. Es sei ein Jacques Liebmann gewesen, der um 1785 ebenfalls dort geboren worden sein soll.[7]
Albert Liebmann selbst war das vierte von insgesamt fünf Kindern von Karl und Lisa Liebmann, von denen aber zwei die Zeit der NS-Diktatur nicht mehr erleben mussten. Weitgehend unbekannt sind die Schicksale der ältesten, am 12. Januar 1873 geborenen Schwester Karolina und des am 3. August 1886 geborenen Robert Stefan.[8] Von Karolina ist immerhin bekannt, dass sie sich 1939 in der Schweiz aufhielt. Laut einer Passagierliste der Deutschen Batavia-Linie verließ am 20. Dezember 1908 ein Schiff den Hamburger Hafen in Richtung New York. An Bord war ein Robert Liebmann im Alter von 22 Jahren, der von Beruf Reisender und zuletzt in Wiesbaden gemeldet war. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei um Alberts jüngeren Bruder handelte, der wohl schon damals seine Chance in Amerika suchte.[9] Die am 7. Dezember noch im gleichen Jahr wie ihre Schwester Karolina geborene Sophie verstarb am 15. März 1905 als ledige Frau in Goddelau.[10] Die nächste Schwester Rosa lebte nicht einmal ein Jahr. Geboren am 12. Juni 1875 in Mainz, verstarb sie dort am 6. Januar des folgenden Jahres.[11]
Noch in Mainz war Albert und Margarethe Dorothea Liebmann im Jahr 1903 ein Sohn geboren worden, der den Namen Friedrich erhielt.[12] Vermutlich wuchs er nicht in einer jüdischen Tradition auf, denn sein Vater engagierte sich bewusst nicht im jüdischen Gemeindeleben.[13]
Erst 1934, also acht Jahre nach dem Kauf der Wiesbadener Immobilie, zog die Familie auf die andere Rheinseite in das dort erworbene Haus, wo Albert Liebmann zunächst noch seinem Beruf als Handelsvertreter für Wäsche nachgehen konnte. Bis in das Jahr 1939 gab er diesen Beruf in seiner Gewerbesteuererklärung an. Aber die Erträge gingen immer weiter zurück und im Jahr 1939 konnte er überhaupt keinen Gewerbeertrag mehr anmelden.[14] Nachdem ihm als Jude im Oktober 1938 die notwendige Reiselegitimationskarte entzogen worden war, was einem faktischen Berufsverbot gleichkam, hatte er bei der Stadt noch eine „Handelsvertretung in Lebensmitteln“ angemeldet [15] – ein vergeblicher Versuch die Einkommenssituation der Familie zu verbessern. Nach der Steuererklärung von 1939 lag sein Einkommen unter 100 RM im Monat.[16] Seine Karteikarte bei der Reichsvereinigung der Juden weist ihn mit Stand 30. Juni 1941 als ehemaligen „Kaffee-Vertreter“ aus, der aber ohne Beschäftigung sei.[17]
Ungeachtet dieser Tatsache, hatte das Finanzamt Wiesbaden weiterhin eine vierteljährige Einkommensteuervorauszahlung von ihm gefordert. Empört und verzweifelt wandte sich Albert Liebmann am 4. November 1938 an die Behörde:
„Wie Ihnen bekannt, wurde lt. Beschluss der Reichsregierung, die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich dahin geändert, als die Reise- Legitimationskarten eingezogen, und ab 1. Oktober ds. J., ungültig geworden sind.
Da man von diesem Termine ab, nur noch im Stadtbezirk seiner Niederlassung tätig sein darf, haben mir die bisher noch vertretenen paar Firmen, ihre Vertretung gekündigt, & stellen neue Vertreter für die div. Bezirke ein.
Dadurch, bin ich selbstredend ganz ausser Stande gesetzt, meinen seit über 35 Jahren ausgeübten Handelsvertreter-Beruf, in bisheriger Weise weiter zu betreiben, und kann ich daher auch die Einkommensteuer-Vorauszahlungen mit Mk: 63,- pro Quartal, nicht leisten, da ich in der kommenden Zeit, selbst noch nicht weiss, wovon, und wie ich in der Folge weiter leben, & existieren soll.“[18]
Gleichwohl wurde auch er 1938 gezwungen, eine Vermögenserklärung abzugeben, die dann nach dem 9. November als Grundlage zur Berechnung der Judenvermögensabgabe diente. Der Einheitswert der Immobilie war 1935 mit 25.700 RM veranschlagt worden, 1938 war der Wert vom Feldgericht auf 22.000 RM reduziert worden. Offensichtlich wollte Liebmann das Haus verkaufen, denn in dem Formular ist bei dem Wert der Immobilie eingetragen, dass seine Verkaufsforderung 34.000 Mk. Betrage.[19] Das Reinvermögen, das der Berechnung der Zwangsabgabe zu Grunde gelegt wurde, betrug 11.790 RM. Der fällige Betrag von 2.358,12 RM war in vier Raten zu 589,53 RM zu zahlen. Erneut wandte sich Albrecht Liebmann in Schreiben an das Finanzamt Wiesbaden, den Regierungspräsidenten und sogar an das Finanzministerium in Berlin mit weitgehend identischen Briefen, in denen er nicht nur seine finanzielle Notlage darlegte, sondern – vielleicht noch in dem irrigen Glauben, die Nazis so besänftigen zu können -, auch seine nationale Gesinnung und seine Verwurzelung in der deutschen Kultur anführte:
„Sie sehen hieraus, sehr geehrter Herr Regierungs-Präsident, meine Familie ist eine uralte, echt rheinische Familie, welche zu allen Zeiten, ihre vollste Pflicht & Schuldigkeit für Deutschland getan hat.
Ich selbst, habe im Weltkriege meine Pflicht erfüllt, & habe mich in meinem ganzen Leben, noch nicht mit Politik beschäftigt, gehöre nebenbei der jüd. Religionsgemeinschaft nicht an.“[20]
Das Finanzamt Wiesbaden lehnte diesen Erlassantrag selbstverständlich als unbegründet ab, da der „Umstand, dass der Steuerpflichtige einer alteingesessenen jüdischen Familie angehört, eine große Anzahl zur Sühneleistung herangezogener Juden für sich geltend machen“ könnten. Weil Albert Liebmann aber nicht über die nötigen Barmittel verfügte, wurde veranlasst, dass im Grundbuch eine Sicherungshypothek über fast 1.800 RM eingetragen wurde.[21]
Die sich abzeichnende aussichtslose Lage der Familie hatte den Sohn Karl Friedrich, ein gelernter Drogist, veranlasst, Deutschland zu verlassen. Im September 1938 gelang ihm die Ausreise nach Australien, wo er später als Handelsvertreter tätig war.[22]
In der Devisenstelle Frankfurt hatte man im Juli 1940 unter der Nr. JS 6036 eine Akte für das Ehepaar Liebmann angelegt und verlangt, ein Sicherungskonto anzulegen. Der monatliche Freibetrag solle vorläufig 300 RM betragen.[23] Erneut wandte sich Albert Liebmann am 31. Juli 1940 in einem Brief an die Behörde, diesmal an die Frankfurter Devisenstelle und schilderte seine Lebensumstände und seine finanzielle Lage, dies angesichts der gesamten Umstände doch auch sehr selbstbewusst und keineswegs ängstlich:
„… Sie übersandten mir …, vermutlich irrtümlich, diverse Formulare, und bemerkten in Ihrem Schreiben, ich solle ein Konto bei einer Devisenbank einrichten, & dürfe bis zu einem Freibetrag von vorläufig Mk: 300,- (Dreihundert Mark) je Kalendermonat verfügen.
Mein Bank – Guthaben bei der Deutsche Bank Filiale Wiesbaden beträgt Mk: 4,72.
Ich beziehe von der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, eine monatliche Rente von Mk: 63,-, ausserdem, nehme ich für Untervermietung monatlich Mk: 100,- ein.
Mein Anwesen im Taxwert von Mk 22000,-, ergibt leider keinen Einnahmeüberschuss, weil der darin befindliche Laden seit Jahren leer steht, & ich hierfür keinerlei Steuerermäßigung erhalte.
Ich habe ein Sparkassenbuch bei der Nassauischen Sparkasse Wiesbaden über Mk: 508,04, von welchem Notgroschen ich mir ab & zu etwas abhebe.
Sonstige Vermögen besitze ich nicht. …
Ich bin 1876 geboren, somit 64 Jahre alt, & leide an Herz, & Lungenerweiterung.
Aus Vorstehendem ergibt sich ohne Weiteres, dass irgendwelche Sicherungsanordnung, etc., bei meinen Verhältnissen, nicht in Frage kommt.
Die Belastungen des Anwesens beträgt Mk: 12000,- (Hypotheke)
Mk: 1768, 59 Sicherungshypotheke
Formulare reiche Ihnen anbei zu meiner Entlastung zurück.
Hochachtend !“[24]
Auf der Rückseite des Briefes vermerkte der zuständige Bearbeiter, dass Liebmann die Formulare umgehend auszufüllen und mit einer Bestätigung der Bank über die Einrichtung des Kontos zurückzuschicken habe. Als einziges Zugeständnis wurde ihm, um weitere Kosten zu ersparen, erlaubt, als Sicherungskonto das bereits vorhandene Konto bei der Nassauischen Landesbank zu nutzen. Das Reinvermögen, das allerdings im Haus festgelegt war, betrug im Jahr 1940 knapp 11.000 RM. Der bisher vorläufige monatliche Freibetrag von 300 RM wurde bestätigt. Selbst eine kleine Erbschaft im November 1941 in Höhe von 231 RM musste auf dem Sicherheitskonto hinterlegt werden.[25]
Aus den Einkommensteuerakten der Jahre 1939 bis 1941 geht hervor, dass mit den Mieteinnahmen in der Albrechtstraße die Kosten, besonders die Hauszinssteuern, nicht zu decken waren. Auch wenn das Finanzamt die Verluste immer nach unten korrigierte, musste es konstatieren, dass Gewinne nicht erwirtschaftet wurden.
Im Hinblick auf die Funktion des Hauses als Judenhaus ist interessant, dass die Mieteinnahmen aus Untervermietung der eigenen Wohnung, die, wie Liebmann in seinem Brief an das Finanzamt Wiesbaden (s.o.) schrieb, im Jahr 1940 nur 100,- RM betrugen, im Jahr 1941 laut seiner Steuererklärung auf 1130,- RM angestiegen waren.[26] Die Einkünfte aus normalen Mietverhältnissen, also nicht aus Untervermietung, betrugen nur doppelt soviel.[27] Zwar konnte Liebmann in diesem Jahr tatsächlich mit Mieteinnahmen etwa 240 RM, also 20 RM pro Monat, erwirtschaften, aber um welchen Preis. Die Zahl der Personen und die Namen derjenigen, die mit Liebmanns deren eigene Wohnung teilten, sind nicht mehr genau zu ermitteln.
Aber von den vier Mietparteien, die laut Wiesbadener Adressbuch außer Liebmanns 1938/39 im Haus wohnten, waren in den Abrechnungen der Verwaltung 1942 noch drei arische Mieter vorhanden, was damals auch von dem Zellenleiter gegenüber dem Ortsgruppenleiter moniert worden war.[28] Das Erdgeschoss bewohnte der Reichsbahnschaffner Hacker, den zweiten Stock teilten sich erst einmal noch der Oberzollsekretär a.D. Büße mit dem jüdischen Tabakmeister Josef Steinberg und ein Stockwerk höher lebte in den Mansardenzimmern der Kellner Knapp.
Nachdem das Haus 1940 zum Judenhaus erklärt worden war, zog als erste Hilde Seligmann in eine der Mansardenräume ein. Spätestens seit 1940 lebte bis zu seinem Tod am 12. Dezember 1941 Alfred Marx in einem der Zimmer, die zur Wohnung der Eigentümer Liebmann gehörten. Am 24. Mai 1941 erhielt hier auch Theobald Hirschkind mit seiner Frau Lilly einen der Räume. Als beide nach nur fünf Monaten am 10 Oktober aus nicht bekannten Gründen in das Judenhaus Lortzingsstr. 7 übersiedelte, kamen am 18. Dezember 1941 Isidor Ganz und am 14. April 1942 Johanna Windmüller hinzu. Irgendwann musste Josef Steinberg aus seiner Wohnung im 2. Stock, in der er laut Jüdischem Adressbuch mindestens seit 1935 gewohnt hatte, in eines der Mansardenzimmer umziehen.[29]
Neben allen finanziellen Nöten und der räumlichen Enge, hatten Liebmanns auch den Verlust naher Personen zu verkraften. Nicht nur war der Sohn ins Exil geflohen, auch die Schwester Karolina lebte in vergleichsweise gesicherten Verhältnissen in der Schweiz. Inzwischen war aber auch Albert Liebmanns Mutter, die inzwischen 88 Jahre alt war, dorthin gezogen, vermutlich schon einige Jahre zuvor, als das noch eher möglich war. Sie war Ende der dreißiger Jahre schwer erkrankt und wünschte sich, ihren Sohn noch einmal sehen zu dürfen, worauf der alles veranlasste, um eine entsprechende Genehmigung zu bekommen. Obwohl der Reisepass bereitlag und alle notwendigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlagen, erhielt er zunächst keine Genehmigung für diese Reise. Am 18. Januar 1939 wandte er sich erneut mit der Bitte, in die Schweiz reisen zu dürfen, an die Finanzbehörde, diesmal aber nicht mehr, um die Mutter zu besuchen, sondern um an deren Begräbnis teilnehmen zu können, um – wie er schrieb „seine Sohnespflicht zu erfüllen, nachdem ich sie lebend nicht mehr sehen durfte.“ Ob die Reise nach Zürich, wo die Schwester lebte, tatsächlich zustande kam, ist der Akte nicht sicher zu entnehmen.
Immerhin ist auf dem Schreiben vermerkt, dass keine Bedenken bestehen würden.[30]
Ende August 1942 erhielten Albert und Margarethe Liebmann die Mitteilung über ihre für den 1. September geplante Deportation nach Theresienstadt. Nach all dem erduldeten Leid sahen sie keinen anderen Ausweg mehr als sich am 26. August in ihrer Wohnung mit dem Schlafmittel ‚Veronal’ das Leben zu nehmen.[31]
Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Frankfurt, übermittelte darauf am 11. September 1942 ein Schreiben an das Finanzamt Wiesbaden:
„Betrifft: Beschlagnahme des Vermögens derjenigen Juden, die nach Bekanntwerden ihrer für den 1.9.1942 vorgesehenen Evakuierung verstorben sind.
Auf Grund des §1 der VO des Herrn Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.1933 beschlagnahme ich hiermit mit Wirkung vom 1.8.1942 die gesamten inländischen Vermögenswerte folgender Juden, die nach Eröffnung der Evakuierungsvfg verstorben sind:
(…)
Liebmann, Albert Israel geb. 14.11.76 in Mainz, zuletzt in Wiesbaden Albrechtstr. 13 wohnhaft, verstorben am 28.8.1942.
Liebmann, geb. Bragenheim, Margarethe, Dorothea Sara geb. 2.8.85 in Bützow, zuletzt in Wiesbaden Albrechtstr. 13 wohnhaft, verstorben am 28.8.1942
(…)
Zahlungen dürfen nur mit Genehmigung des Finanzamts Wiesbaden, dem die Verwaltung und Verwertung des Vermögens der vorbezeichneten Juden obliegt, geleistet werden. Ausgenommen hiervon sind unaufschiebbare Zahlungen für Steuern, öffentliche Abgaben und Hypothekenzinsen.
i.V. gez. Kuke“
Das Finanzamt schloss am 20. Februar 1943 die Einkommensteuerakte Albert Liebmann mit dem Vermerk: „Der Jude ist am 26. März 1942 verstorben.
Steuerpflicht ist durch Steuervorauszahlung abgegolten.“[32] Somit hatte alles seine Ordnung und im Grundbuch konnte auch die nun obsolete Sicherungshypothek für die Judenvermögensabgabe gestrichen werden.[33]
Die Devisenstelle Frankfurt unterrichtete die Deutsche Bank, dass das Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen sei und Zahlungen zukünftig nur mit Genehmigung des Finanzamts Wiesbaden erlaubt seien. Später bat man um Überweisung des noch bestehenden Kontobetrags an die Staatskasse und um Auflösung des Kontos.[34]
Die „JS-Akte 6036“ wurde geschlossen und die „Evakuierung“ auf der Mappe und in der „Judenkartei“ vermerkt.[35]
Aber nicht nur das Haus und die Ersparnisse fielen in die Hände der Nazis. Nach Angaben des Sohnes gelangte auch die gesamte Einrichtung, je ein komplettes Schlafzimmer, Esszimmer, Herrenzimmer mit hunderten von Büchern, Büroausstattung, u.a. der Tresor mit Aktien und Geld, die komplette Küche, das Tafelsilber, Kristalle, Gemälde und manch andre Wertgegenständen, die gesamte Wäsche, Pelzmäntel und wertvoller Schmuck in die Hände der – so seine Formulierung – „Gestapo“. Was noch übrig geblieben war, sei von den „Nazies“ (sic !) gestohlen worden. Der Gesamtwert des geraubten Gutes habe etwa 30.000 DM betragen. [36]
Dass die Wohnung entsprechend der Beschreibung von Karl Friedrich bei seiner Ausreise tatsächlich so ausgestattet war, soll nicht bezweifelt werden. Dass sie 1942 noch in diesem Zustand befand, ist aber eher unwahrscheinlich, denn Liebmanns bewohnten zuletzt nur noch zwei Zimmer und auch die Wertgegenstände wie Schmuck und Tafelsilber hatten längst abgegeben werden müssen. Der Raub vollzog sich daher nicht erst nach dem Ableben der beiden, sondern hatte schon viel früher begonnen und die verschiedenen Möbel waren vermutlich schon längst bei einem der Auktionatoren unter den Hammer gekommen.
Dennoch ist festzuhalten, dass in der Gesprächsnotiz eines Beamten des Finanzamts vom 22. November 1942, in dem es um die weitere Nutzung des Hauses nach der Deportation der Eigentümer ging, explizit gesagt wurde: „Die Verwertung des Hausrats ist im Gang.“[37]
Neue Begehrlichkeiten erwachten aber nun nach der Deportation auch im Hinblick auf das Wohnhaus. Der Mainzer Bäcker Jean Ickstadt wandte sich schon im Oktober 1942 über den Oberfinanzpräsidenten Kassel an die Verwertungsstelle des Finanzamtes Wiesbaden mit der Frage, ob das Haus der Juden, „die am 1.9. nach Theresienstadt evakuiert werden sollten“ – man war offensichtlich bestens informiert !- schon freigegeben sei und bat ihm das Haus käuflich zu überlassen. Als „Totalfliegergeschädigter“ und zudem mit einer Frau, die die Niederkunft ihres vierten Kindes erwartete, sah er sich als einen berechtigter Antragsteller an.[38]
Da ein Kauf sich aber nicht so schnell bewerkstelligen ließ, einigte sich der Bäckermeister mit der Verwertungsstelle darauf, dass Ickstadt zunächst als Mieter in die Wohnung der Liebmanns einziehen könne. Das Wohnungsamt hätte keine Einwände gegen einen Mieter aus Mainz, wenn dieser beabsichtige, das Haus später zu erwerben. Das Problem resultierte daraus, dass es ein Testament der Liebmanns gab, nach dem das Haus einer Erbin in der Schweiz, deren Name in den Entschädigungsakten nicht vermerkt ist, vermacht worden war.[39] Der ebenfalls von dem verstorbenen Ehepaar eingesetzte Testamentsvollstrecker hatte auch bereits Kontakt mit der Erbin aufgenommen, aber das Finanzamt sah in dem Testament keine grundsätzliche Hürde für seine Verwertungsabsichten, denn das Deutsche Reich sei durch die Beschlagnahmeverfügung vom 1. August 1942 „zur Verwaltung und Verwertung berufen“. Ob Einziehung rechtens gewesen sei, müsse das Schweizer Konsulat mit dem Reich klären. Der Schweizer Erbin entstünden aber weder durch Vermietung noch durch einen Verkauf Nachteile, da sie als Jüdin ohnehin nur das „Geld für den Nachlass bekomme“. Im Übrigen werde es auch wegen der generellen Veräußerungssperre zunächst keinen Verkauf des Hauses geben.[40]
Trotz dieses Testaments wurde am 22. Juni 1943 der am 10. Juni ergangene Antrag des Finanzamts, das Hausgrundstück Albrechtstr. 13 auf das Deutsche Reich zu übertragen, vom Grundbuchamt als vollzogen bestätigt und die aus der „Sühneleistungsverpflichtung“ von 1938 resultierende Hypothek gelöscht. Mit dieser Übernahme wurde das Finanzamt mit den eigentlichen Aufgaben einer Hausverwaltung, die zwar auch weiterhin existierte, belastet. Die Beamten mussten letztendlich jede kleine Abrechnung von kommunalen Ämtern oder Handwerkern bewilligen.
Die Stadtwerke richten ihre Restforderungen „gegen abgewanderte Juden“ nun an den neuen Besitzer und zuvor hatte schon die Trottoir-Reinigung „Reinigungsgebühren für das Judenhaus Albrechtstrasse 13“ eingefordert.[41] Mit welchem absurden Aufwand die Finanzämter durch die Verwaltung bzw. die ihr übertragene Verwertung der übernommenen Immobilien konfrontiert waren, zeigt sich exemplarisch an einem Schreiben der NSDAP-Kreisleitung an den Leiter des Finanzamts Wiesbaden, „Herrn Oberregierungsrat Trommershäuser“, vom 11. Oktober 1943, in dem er gebeten wurde, die Kosten von 2,75 RM für die „Anbringung einer Haustafel der NSDAP im Haus Albrechtstr. 13“ zu übernehmen.[42]
Da für den Bäckermeister Ickstadt angesichts der Kriegsentwicklung immer deutlicher wurde, dass sich seine Kaufabsichten nicht würden realisieren lassen – zum einen wegen des inzwischen gültigen generellen Veräußerungsverbots von jüdischen Immobilien, zum anderen, weil er vermutlich erkannte, dass er möglicherweise nur eine Ruine erwerben würde -, wollte er im April 1944 wieder nach Mainz zurück und bot dem Finanzamt einen Wohnungstausch mit einer anderen Mainzer Familie an. Dieser Tausch wurde vermutlich wegen der auch in Wiesbaden immer angespannteren Wohnsituation nicht gestattet. Stattdessen zog eine Frau Boerkel ein, mit der es dann bald zu einem Rechtsstreit eigener Art kam. Die Frage war, ob die fest eingebaute Badeeinrichtung der Liebmanns zum Haus gehöre oder ob die Verwertungsstelle diese, wie möglicherweise geschehen, dem Mieter Ickstadt separat verkauft hatte, wofür dieser jetzt einen Abstand von seinem Nachmieter verlangte. Die Auseinandersetzung ging so weit, dass die ehemalige Mieterin Ickstadt dem für die Liegenschaften zuständigen Beamten im Finanzamt mit einer Anzeige bei der Gestapo drohte.[43] Die allseits propagierte Volksgemeinschaft erwies sich auch in diesem Fall als ein sehr zerbrechliches Konstrukt.
Das Haus in der Albrechtstraße 13 wurde nicht verkauft, es blieb in der Hand des Staates und hat den Krieg ohne Beschädigungen überstanden. Die Hausverwaltung Krier übernahm im Auftrag der Besatzungsbehörde die Verwaltung.
Die Rückerstattung des Hauses wurde sowohl von dem in Australien lebenden leiblichen Sohn der Liebmanns, Karl Friedrich, als auch von den testamentarisch beerbten Verwandten in der Schweiz beantragt. Laut Beschluss des Landesamts für Vermögenskontrolle Wiesbaden wurde es am 30. August 1954 rechtskräftig diesen Erben zugesprochen, die den entsprechenden Erbschein vorlegen konnten. Karl Friedrich ging in diesem Erstattungsverfahren leer aus.[44]
Auf einen Aspekt soll noch verwiesen werden, wenngleich unsicher ist, ob er tatsächlich in einem Zusammenhang mit dem Judenhaus Albrechtstr. 13 steht.
Es geht um das allgemeine denunziatorische Klima, das den Alltag beherrschte und auch vor den Volksgenossen nicht Halt machte, sollten sie den Kontakt mit den Juden nicht abbrechen. Auch wird hieran einmal mehr deutlich, wie die Mechanismen des Machtapparats auf den unterschiedlichen Ebenen ineinander griffen und Anpassung erzwangen.
So meldete der Zellenleiter der Zelle 5 der Ortsgruppe Wiesbaden Ost am 4. Oktober 1941: „Der frühere jüdische Rechtsanwalt Liebmann Albrechtstr. 13 ist noch im Besitz von Radio und Telefon. In den Abendstunden sollen sich Rassegenossen bei ihm einfinden und Radio abhören.“[45] Offensichtlich war auch ihm dieser Sachverhalt von „aufmerksamen“ Volksgenossen zugetragen worden und er sah es als seine Pflicht an, dies nach oben weiterzumelden, auch wenn etwas an dieser Meldung nicht stimmen kann. Der frühere Rechtsanwalt Liebmann, war nicht Albert, sondern Max Liebmann. Dieser hatte nach den vorliegenden Unterlagen trotz einiger Umzüge nie in der Albrechtstrasse gewohnt. Selbst wenn er kurzzeitig, ohne Wissen der Behörden, dort gewohnt hätte, so könnte das aber nicht mehr im Oktober 1941 gewesen sein, denn zu dieser Zeit, nämlich 1938, war er bereits nach England emigriert.[46] Vermutlich hatte also der Denunziant den Vertreter Albert Liebmann mit dem wohl bekannteren Max Liebmann verwechselt.
Der Zuträger wusste darüber hinaus zu berichten, dass im Hause Liebmann eine „Ehefrau Kraus“, aus dem Klarental beschäftigt sei und einen Stundenlohn von 1,40 RM erhalte. „Die Ehefrau könnte auch in einer kinderreichen Familie Verwendung finden“, so der Vorschlag des Zellenleiters, „Jüdin Liebmann kann ihren Haushalt auch alleine führen.“
Die Ortsgruppenleitung hatte sich alsbald der Angelegenheit angenommen und die Meldung mit dem gleichen Ratschlag – Frau Krauss solle in einer kinderreichen deutschen Familie untergebracht werden und Frau Liebmann ihren Haushalt alleine führen – an das Arbeitsamt weitergegeben. Dieses hatte sich dann wiederum an Frau Krauss gewandt und konnte daher am 29. Oktober der Ortsgruppenleitung mitteilen, dass selbige schon seit einiger Zeit nicht mehr im Haushalt von Liebmanns arbeiten würde, sie zudem nur zwischen 40 und 50 Rpfg. verdient habe. Sie habe sich damit entschuldigt, dass sie wegen der Krankheit ihres Mannes, einer geregelten Arbeit nicht nachgehen könne. Dennoch habe man ihr klar gemacht, dass es „verwerflich sei, heute noch einem Juden behilflich zu sein.“ Sogar die Kreisleitung wurde in dieser Sache unterrichtet, verbunden mit der Bitte, „dieselbe (Frau Kraus) anderweitig dienstverpflichten zu wollen.“
„Angst und Terror prägten das ‚Dritte Reich’, aber es bot eben auch die Gelegenheit zum Mitmachen, zur kleinen Mitmacht,“ wie Dietmar Süß in einem Artikel über das Denunziantentum trefflich formulierte.[47]
Veröffentlicht: 14. 11. 2017
Letzte Revision: 31. 10. 2020
Anmerkungen:
[1] Der Kaufvertrag war am 29.9.1926 abgeschlossen worden, der Eintrag in das Grundbuch fand am 7.11.1927 statt, siehe Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 259 Bl. 3870 Innen.
[2] Es waren der 1867 geb. Julius, die 1869 geb. Helene Lea, die 1870 geb. Leonora und der 1880 geb. Max. Alle waren in Bützow geboren worden, siehe http://www.online-ofb.de/famreport.php?ofb=juden_nw&ID=I60729&nachname=BRAGENHEIM&modus=&lang=de. (Zugriff: 13.11.2017). Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde von Güstrow und Bützow siehe http://www.juden-in-mecklenburg.de/Orte/Guestrow (Zugriff: 13.11.2017). bzw. http://www.juden-in-mecklenburg.de/Orte/Buetzow. (Zugriff: 13.11.2017).
[3] http://www.juden-in-mecklenburg.de/Holocaust/Opfer. (Zugriff: 13.11.2017). Siehe zum Schicksal der Familie von Max Bragenheim auch http://www.bragenheim.de/gedenkbuch.html. (Zugriff: 25.10.2020)
[4] HHStAW 685 483c (3, 10, 12).
[5] Karl Liebmann war am3.5.1839 in Ober-Ingelheim, seine Frau am 1.8.1851 in Hockenheim geboren worden, Heiratsregister Mainz 45 /1872. Die Eltern der Braut waren Marx und Wilhelmine Lussheimer, geborene Würzweiler.
[6] Im Heiratseintrag von Karl und Lisa Liebmann ist fälschlicherweise der Ort mit Oggenheim angegeben, ein Ort den es nicht gibt, siehe dazu aber die klarstellung von Albrecht Liebmann in HHStAW 685 483c (10).
[7] Ebd. Dazu GENI https://www.geni.com/people/Gertrude-Liebmann/6000000080193780858, (Zugriff: 25.10.2020), wonach dieser Jacques mit einer Gertrud Meyer verheiratet gewqesen sein soll.
[8] Geburtsregister Mainz 51 / 1873 und 1283 / 1886.
[9] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1068/images/K_1806_080565-0526?treeid=&personid=&hintid=&queryId=8fc7ba551cd7b5eccfdbccfc5fbf1882&usePUB=true&_phsrc=ryV2219&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=1942791. (Zugriff: 25.10.2020)
[10] Geburtsregister 1017 / Mainz, Sterberegister Goddelau 22 / 1876.
[11] Geburtsregister Mainz 1017 /1875 und Sterberegister Mainz 22 / 1876.
[12].HHStAW 518 22350 (1)
[13] HHStAW 685 483c (1, 12)
[14] HHStAW 685 483b. (o.P.).
[15] Ebd. (24).
[16] HHStAW 685 483d (1).
[17] https://digitalcollections.its-arolsen.org/01020401/name/pageview/733828/549034. (Zugriff: 13.11.2017).
[18] HHStAW 685 483b. Hervorhebungen im Original.
[19] HHStAW 685 483c (1) Weshalb der Verkauf nicht zustande kam, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
[20] HHStAW 685 483d (3) Hervorhebungen im Original. Der Brief an den Regierungspräsidenten ist in vollem Wortlaut im Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für das Ehepaar Liebmann als Faksimile abgedruckt. Siehe: http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Liebmann.pdf. (Zugriff: 13.11.2017). In seinem Brief an das Finanzamt Wiesbaden erwähnt er noch, dass seine „Vorfahren, mehrfach Hof-Lieferanten, und Mitbegründer, sowie Jubilare von Schützen, Gewerbe, und sonstigen Vereinen“ waren. Siehe HHStAW 685 483d (12).
[21] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 259 Bl. 3870 Innen (219).
[22] HHStAW 518 22350 (1), siehe auch den Eintrag auf der Gestapokarteikarte seines Vaters.
[23] HHStAW 519/3 5074.
[24] HHStAW 519/3 5074 (3).
[25] HHStAW 519/3 5074 (3, 4, 7).
[26] In den noch vorhandenen Mietabrechnungen vom September 1942 sind die September-Mieten der beiden am 1. September deportierten Johanna Windmüller und Isidor Ganz noch aufgeführt. Beide hatten noch gezahlt, obwohl sie wissen mussten, dass sie im September nicht mehr in Wiesbaden, sondern in Theresienstadt sein würden. Die Miete betrug für Johanna Windmüller 60 RM, für Isidor Ganz 45 RM – vermutlich jeweils für ein Zimmer. Die Mieten für die arischen Mieter, die jeweils Wohnungen hatten, beliefen sich nach dieser Abrechnung auf 56 RM für die Erdgeschosswohnung und 88 RM für die Wohnung im zweiten Stock. Für das Mansardenzimmer betrug der Preis 32 RM. Es ist nicht bekannt, wie und von wem diese Preise festgelegt worden waren, aber sie scheinen für die jüdischen Untermieter relativ hoch gewesen zu sein. Siehe zu den Mietabrechnungen HHStAW 519/2 2107 (62).
[27] HHStAW 685 483a (54).
[28] HHStAW 483 10127 (78).
[29] Die Angaben entstammen den jeweiligen Gestapo-Karteikarten bzw. der Liste, die von der Ortsgruppe Ost über die dort wohnenden Juden 1940 aufgestellt und 1942 überarbeitet worden war, siehe HHStAW 483 10127 (61).
[30] HHStAW 685 483c (17).
[31] Sterberegister der Stadt Wiesbaden 1942 / 1809 und 1810. Albert und Margarethe Liebmann waren nur zwei von mehr als 30 jüdischen Mitbürgern, die angesichts des zu erwartenden Schicksals diesen Weg beschritten. Siehe dazu unten das Kapitel „Flucht in den Tod“..
[32] HHStAW 685 483a (58).
[33] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 259 Bl. 3870 Innen (219).
[34] HHStAW 519/3 5074 (9).
[35] HHStAW 519/3 5074 (9).
[36] HHStAW 518 22350 (5).
[37] HHStAW 519/2 2107 (3).
[38]HHStAW 519/2 2107 Bd 1 (2-3), er ist auch als Interessent in der Liste von Oktober 1942 erfasst, siehe HHStAW 519/2 3149 (o.P.).
[39] Im späteren Entschädigungsverfahren hatte auch der Sohn Karl Friedrich nach Angabe seines Rechtsanwalts bezeugt, dass „seine Eltern … seinerzeit durch Testament einen Arier als Erben eingesetzt (hatten), angeblich deshalb, weil er, der Antragsteller, nach den damals geltenden NS-Gesetzen als Sohn seine Eltern nicht beerben konnte.“ HHStAW 518 22350 (18). Im Grundbuch der Stadt Wiesbaden Band 259 Bl. 3870 Innen wurden am 12.1.1952 als Erben des Hauses Carl Isidor Färber, Zürich, seine Tochter Alice Selma Färber, 1938 geschiedene und 1952 wiederverheiratete Becker, Zürich, Elsa Färber-Raths, Zürich und Eveleen Ruth Färber, Zürich in ungeteilter Erbengemeinschaft eingetragen. Es wird sich bei den genannten um die erwähnten Erben handeln, wenngleich nicht klar ist, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis sie zueinander standen. Die Verbindung ergibt sich vermutlich über die Ehefrau von Karl Isidor Färber, der mit einer wohl zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Karoline Liebmann verheiratet war. Grundbuch der Stadt Wiesbaden Band 259 Bl. 3870 Innen (233). Im Entschädigungsverfahren, in dem es um den Entzug von Eigentum, konkret, Schmuck Hausrat, Gemälde und Edelmetall, ging, wurden laut Bescheid vom 5.7.1962 „als Erben“ von Albert und Margarethe Liebmann Alice Selma Becker-Färber, Eveleen Färber und Alea Färber mit 9.600 DM entschädigt.
[40] HHStAW 519/2 2107 Bd 1 (2-3).
[41] HHStAW 519/2 2107 Bd 1 (88, 30).
[42] Wegen seiner Signifikanz zum einen für die Alltagsbürokratie, zum anderen aber auch für die Gleichschaltung des Alltags bis hin zu den Hausnummern, soll der Brief hier auszugsweise wiedergegeben werden:
„Bekanntlich wurden schon in den Jahren vor dem Kriegsausbruch seitens der Reichsleitung der NSDAP die Haustafeln in einheitlicher Ausführung im ganzen Reichsgebiet eingeführt. Von vorneherein war es so gedacht, dass die an sich geringfügigen Kosten von RM 2.75 von den Hauseigentümern übernommen werden, Diese Regelung hat sieh auch durchaus bewährt und es ist kaum ein Fall zu verzeichnen, in dem die Zahlung ernstlich verweigert worden wäre.
Der hier vorliegende Fall mag nun gesondert liegen und es ist auch verständlich, dass sich die Finanzkasse weigert, den an sich geringfügigen Betrag zu zahlen, weil dafür nirgends eine entsprechende Anweisung vorhanden ist.
Ich glaube jedoch, dass Sie als Leiter des hiesigen Finanzamtes in der Lage sind, eine entsprechende Anweisung zu erstellen. Es geht hier nicht um den kleinen Geldbetrag an sich, sondern vielmehr würde für weitere Fälle eine gewisse Unsicherheit entstehen und andere Volksgenossen könnten mit Recht darauf hinweisen, dass das was dem einen recht ist auch anderen billig ist.“ HHStAW 519/2 2107 (70). Der überzeugenden Argumentation konnte sich der Finanzamtsleiter nicht entziehen und bewilligte den erbetenen Betrag.
[43] HHStAW 519/2 2107 (o.P.) vom 21.9.1944.
[44] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 259 Bl. 3870 Innen (226-229).
[45] HHStAW 483 10127 (28f) siehe hier auch zu den weiteren Meldungen.
Der Besitz von Radios war Juden seit September 1939 und der von Telefonen seit Juli 1940 verboten.
[46] Zu Max Liebmann siehe Faber, Rönsch Wiesbadens jüdische Juristen S. 138 f.
[47] Süß, Dietmar, Nationalsozialismus: Der Spion nebenan, in: DIE ZEIT, 2013 / 30.