Ferdinand und Ida Feibel sowie ihre Tochter Bertha Zimmern


Ackermann, Klara, Arthur, Judenhäuser Wiesbaden
Das frühere Judenhaus in der Hermannstr. 26 heute
Eigene Aufnahme
Judenhäuser Wiesbaden, Juden Wiesbaden,
Lage des ehemaligen Judenhauses Hermannstr. 26
Judenhäuser Wiesbaden, Juden Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Hermannstr. 26

 

 

 

 

 

 


Wenn das Ehepaar Feibel seine letzten Wochen in Wiesbaden auch in dem Judenhaus in der Hermannstr. 26 verbringen musste,[1] dann war vermutlich auch in diesem Fall keine Anweisung notwendig gewesen. Wahrscheinlich waren Feibels zu ihren Verwandte, dem Ehepaar Wolf, gezogen, als im Sommer 1942 die Gestapo darauf drängte, die nach der Deportation im Juni noch vorhandenen jüdischen Bewohner in immer weniger Wohnungen zu konzentrieren. Es mag sein, dass es konkrete Anweisungen gab, es kann sein, dass das örtliche Büro der Reichsvereinigung eine gewisse Autonomie bei den Umsiedlungen hatte, es kann aber auch sein, dass den jüdischen Mietern zwar ihre bisherigen Wohnungen gekündigt wurden, sie sich aber dann eigenständig eine neue Bleibe suchen konnten bzw. mussten. Natürlich war ein solcher Umzug dann vom Wohnungsamt zu genehmigen und andere Ämter waren davon in Kenntnis zu setzen. Unterlagen, die im Falle der Feibels über den Vorgang Auskunft geben könnten, sind – wie in den meisten anderen Fällen auch – nicht erhalten geblieben. Vermutlich lief dieser Prozess, wie gewünscht, weitgehend geräuschlos ab. Die Juden verschwanden einfach aus dem Haus, was von den Mitbewohnern meist nur achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Feibels hatten zuvor bereits in einem Judenhaus, in dem in der Mainzer Str. 2, gewohnt, welches aber im Juli 1942 „judenfrei“ gestellt worden war. Auch alle anderen jüdischen Bewohner waren laut den Eintragungen in ihren Gestapokarteikarten damals genötigt worden, dieses Haus zu räumen.

Hermann Zimmern, Hugo Zimmer, Bertha Feibel, Ferinand Feibel, Ida Feibel Guthmann, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26
Stammbäume der Familien Feibel – Wolf – Zimmern
(GDB-PLS)

Die Verbindung zwischen den Familien Feibel und Wolf war durch die Ehe der beiden Kinder Frieda Feibel, genannt Hilda, und Erich Wolf zustande gekommen. Man kann aber davon ausgehen, dass die Familien auch schon zuvor miteinander bekannt waren, denn die beiden rheinhessischen jüdischen Gemeinden aus denen sie kamen – Feibels aus Groß-Winternheim und Wolfs aus Ockenheim – lagen kaum mehr als 10 Kilometer auseinander. Zudem waren Feibels Mitte der zwanziger Jahre selbst nach Ockenheim gezogen.

Rheinhessen ist eine Region, die schon seit alters her für jüdische Handelleute eine besondere Attraktivität besaß, war doch der Rhein nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der Neuzeit die wohl bedeutendste Handelstraße, die den Seehandel mit dem süddeutschen und sogar dem südeuropäischen Raum verband. Bei der regionalen Verteilung der Güter kamen auch die zum Zuge, die nicht über das Kapital verfügten, das für den Fernhandel unabdingbar war.

Im benachbarten Ingelheim waren wohl schon im 13. Jahrhundert Juden ansässig, Für Groß-Winternheim kann erstmals für das Jahr 1502 ein jüdischer Bewohner in den Quellen belegt werden. Wiederum fast zwei Jahrhunderte später, im Jahr 1675, lässt sich die Anwesenheit von wenigstens zwei jüdischen Familien belegen, darunter erstmals eine Jude namens Feibel, damals noch mit ‚V’ geschrieben: Von den beiden ,,zahlt veibel judt 4 fl . wegen wasen und waidtgang. Mayer Judt bleibt diesmal schuldig 4 fl.“[2]

Im 18. Jahrhundert werden die Aufzeichnungen genauer und seit dieser Zeit kann der Stammbaum der Familie Feibel recht zuverlässig rekonstruiert werden. Der Stammvater, auf den sich die folgenden fünf Generationen zurückführen lassen, war ein Feibel Isaak, der mit einer Bäuerle Salomon verheiratet war. Neben der Tochter Rosina hatte das Paar zumindest noch einen 1794 geborenen Sohn, der der Tradition nach den Vaternamen Isaak erhielt. Aus dessen Ehe mit Susanne Hirsch gingen vier Kinder hervor, darunter wieder zwei Söhne, die ebenfalls beide mit dem Namen Isaak in das Geburtsregister eingetragen wurden. Der ältere, am 2. Juni 1824 geborene Isaak wurde, um ihn vom Vater Isaak I unterscheiden zu können, als Isaak II bezeichnet.[3] Der jüngere Isaak, geboren am 27. März 1827 erhielt zu seinem ersten Vorname noch den Beiname Mayer. Weniger problematisch war die Namensgebung der beiden Töchter. Auf Barbara, geboren am 4. November 1829, folgte am 13. September 1832 noch Elisabeth.[4]

Isaak Mayer Feibel, in der Heiratsurkunde seines Sohnes als Handelsmann bezeichnet,[5] war der Vater von Ferdinand Feibel, dem späteren Bewohner des Judenhauses in Wiesbaden. In der Ehe von Isaak Mayer mit der etwa vier Jahre jüngeren Babette, geborene Blatt, waren drei Kinder geboren worden, die ältere Dina, geboren 1862 verstarb schon im folgenden Jahr, der 1864 geborene Salomon erreichte immerhin das 15te Lebensjahr. Nur der zuletzt am 3. November 1868 geborene Ferdinand erreichte das Alter, um eine Familie gründen und die alte Ahnenreihe der Feibels in dieser Linie fortsetzen zu können. Am 15. Dezember 1893 heiratete er Ida Guthmann aus dem bei Mainz gelegenen Bodenheim, ebenfalls die Tochter eines Handelsmanns. Sie war dort am 22. Dezember 1870 zur Welt gekommen.[6] Am 13. Mai 1895 war als erstes Kind des Paares die Tochter Bertha geboren worden.[7] Ihr folgte am 16. Februar 1897 Frieda, genannt Hilda, und zuletzt am 28. März 1898 der Sohn Ernst. Er wurde zu einem der vielen jüdischen Opfer, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben für die Machterhaltung des Antisemiten Wilhelm II gaben.[8]

Während nicht bekannt ist, mit welchen Waren die Eltern von Ferdinand und Ida Feibel jeweils Handel trieben, so ist sehr gut belegt, auf welche Weise er selbst den Unterhalt seiner fünfköpfigen Familie erwirtschaftete. In seinem Wohnhaus in Groß-Winternheim in der Mainzer Str. 4 betrieb er über viele Jahre einen Kommissions- oder auch Hausierhandel mit Textilien. Darüber, wann das Geschäft gegründet worden war, liegen keine Angaben vor. Aber ehemalige Geschäftspartner gaben im späteren Entschädigungsverfahren an, dass sie mit ihm schon seit 1915 vertrauensvoll zusammengearbeitet hätten. Sowohl diejenigen, die ihm Waren in Kommission überließen, wie auch Kunden stellten über ihn nur die besten Zeugnisse aus. Er sei immer sehr gewissenhaft gewesen, habe nie Schulden gemacht und immer nur beste Ware geliefert. Auch die Gemeinde Groß-Winternheim bezeugte, dass Herr Feibel „in geordneten mittelständischen Verhältnissen gelebt hat“, wenngleich genauere Angabe zu dem Umfang der Geschäfte nicht mehr vorgelegt werden konnten. Auch in der Nachbargemeinde Schwabenheim war Ferdinand Feibel gut bekannt, galt als „ehrbarer Kaufmann“, der in geordneten finanziellen Verhältnissen gelebt habe.[9] 1926, nachdem die beiden Töchter aus dem Haus waren, zogen Ferdinand Feibel und seine Frau nach Ockenheim. Dort lebte seit 1921, seit ihrer Vermählung mit dem Ockenheimer Ernst Wolf, auch ihre Tochter Frieda, genannt Hilda. Ob sie dort alle gemeinsam in einem Haus wohnten, wissen wir nicht. Etwa zwei Jahre nach dem Umzug meldete Ferdinand Feibel am 26. November 1928 sein Gewerbe in Ockenheim neu an. „Mit einem zweirädrigen Pferdewagen“ sei Feibel – so die Gemeindeverwaltung in einem Schreiben an die Entschädigungsbehörde – „mit Stoffen in die umliegenden Ortschaften gefahren und (habe) diese ambulant verkauft. Über die erzielten Einkommen können wir keine näheren Angaben machen, doch hat es sich u.E. um ein kleines Textilgeschäft gehandelt.“[10]

Dass die Umsätze nach der Neuanmeldung nicht mehr so umfangreich wie früher waren, war zunächst sicher primär auf den Beginn der Weltwirtschaftskrise in diesen Jahren zurückzuführen, aber die antisemitische Welle, die die Weimarer Republik nach dem Abschluss des Versailler Vertrags und der Verbreitung der Dolchstoßlegende erfasst hatte, wird auch in den kleinen Gemeinden Rheinhessens nicht ohne Wirkung geblieben sein.[11] Auch die Geschäfte von Ferdinand Feibel sollen dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden sein.[12] In den folgenden Jahren verließen alle in Ockenheim einst heimischen Juden den Ort, sodass es im Novemberpogrom zu keinen Angriffen mehr kommen konnte. Als 1938 auch Ferdinand Feibel im Rahmen der von Göring befohlenen Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben der Reisegewerbeschein entzogen wurde, was faktisch einem Berufsverbot gleichkam, hatte er Ockenheim bereits verlassen.

Ferdinand Feibel, Ida Feibel Guthman, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26, Hallgarter Str. 9
Vermögenserklärung von Ferdinand und Ida Feibel
HHStAW 519-3 1969 (4)

Vermutlich zusammen mit der Familie seiner Tochter Frieda, mit deren Mann und Schwiegervater waren Feibels am 7. März 1938 in der Hoffnung, in Wiesbaden wenigstens unbedrängt und in Frieden leben zu können auf die andere Rheinseite gezogen.[13] Aber auch dort blieb Ferdinand Feibel wegen des Berufsverbots in den folgenden Jahren ohne irgendein Arbeitseinkommen.[14] Allerdings verfügte er über ein kleines Sparkonto, auf dem im März 1940 noch 5.246 RM lagen.[15] Zu diesem Zeitpunkt hatten Feibels ihren sogenannten „Sühnebeitrag“, erhoben im Gefolge der Novemberereignisse, bereits geleistet.[16] Die Vermögenserklärung hatten sie im Zusammenhang mit dem Erlass einer Sicherungsanordnung abgeben müssen, die Anfang 1940 ergangen war. Damit übte die Devisenstelle, sprich der NS-Staat, eine weitgehende Kontrolle über die Finanzen der jüdischen Bürger aus. 200 RM durften Feibels, so die Anweisung, monatlich von ihrem Konto abheben und für ihren Lebensunterhalt verwenden. Sie hatten demgegenüber einen Bedarf von etwa 350 RM angemeldet, ca. 50 RM für die Wohnung, 250 für den eigentlichen Unterhalt und noch einmal 50 RM für ihre Tochter.[17] Offensichtlich hatte das Ehepaar die knappe Bemessung ihrer restlichen Lebenszeit schon geahnt, denn mit dem erbetenen Betrag wäre nach gut einem Jahr das Konto leer gewesen. Ferdinand Feibel hatte den höheren Bedarf damit begründet, dass sowohl er als auch seine Frau „leidend“ seien. Auch auf ihrer Gestapokarteikarte ist eingetragen, dass die Eheleute wegen ihres hohen Alters arbeitsunfähig seien. Man gestand ihnen dann im April einen Freibetrag von immerhin 300 RM zu.[18]

Hila Feibel, Bertha Feibel, Judenhaus Wiesbaden, Hermmannstr. 26, Mainzer Str. 2
Gestapokarteikarte von Ferdinand und Ida Feibel
Stadtarchiv Wiesbaden

Zu dieser Zeit wohnten Feibels noch in der Hallgarter Str. 9 im Erdgeschoss. Das für das Rheingauviertel typische Haus, ausgestattet mit großen Balkonen zu Straßenseite hin, mit einer wunderschönen Fassade, gehörte ihrem Schwiegersohn Hugo Zimmern, dem Ehemann ihrer älteren Tochter Bertha. In diesem Haus waren sie seit ihrer Übersiedlung nach Wiesbaden untergekommen, hier durften sie auch die folgenden Jahre bis zu ihrem erzwungenen Umzug in eines der Judenhäuser bleiben,

Haus Hallgarter Str. 9
Eigene Aufnahme

War es Mut, war es politische Unbedarftheit oder die Hoffnung, die Nazis würden Immobilieneigentum nicht antasten, in jedem Fall ist es erstaunlich, dass Hugo Zimmern noch Mitte der 30er Jahre dieses Haus kaufte.[19] Auch die zweite Immobilie, das Haus in der Winkeler Str. 3, hatte er erst zu Beginn der Nazi-Zeit erworben. Im Wiesbadener Adressbuch 1932/33 findet sich der erste Eintrag, der ihn als Eigentümer dieses Hauses ausweist. Nicht bekannt ist, wie es dazu kam, dass ab Mitte der dreißiger Jahre der inzwischen pensionierte jüdische Handelsschullehrer Max Fuchs zum Miteigentümer an diesem Haus wurde und laut der dortigen Einträge sogar bis 1938 die erste Etage bewohnt haben soll. Unzweifelhaft war er aber bereits 1934, nachdem er im Jahr zuvor als Jude aus dem Schuldienst entlassen worden war, nach Palästina ausgewandert. [20]

Gewohnt hat Hugo Zimmern mit seiner Frau zunächst aber in keinem seiner Häuser. Als er1920 nach Wiesbaden kam, hatte er sich laut Adressbuch zunächst in der Schwalbacher Str. 6 eingemietet. Erst 1930 ist er in den Büchern mit der Anschrift Winkeler Str. 11 eingetragen, ein Haus, das im Besitz der Stadt Wiesbaden war.[21] Erst im Jahr 1938 scheint er dann in sein Haus in der Winkeler Str. 3 umgezogen zu sein. Mit dieser Adresse steht er 1938 auch im Wiesbadener Adressbuch und ebenso ist die erhaltene Korrespondenz aus diesen Jahren an diese Anschrift gerichtet. Auf dem eigenen Briefkopf ist die alte Hausnummer 11 per Hand durchgestrichen und durch die 3 ersetzt worden. Vermutlich war ihm als Jude die bisherige Mietwohnung von der Stadt deren eigenem Haus gekündigt worden.

Nach seinen Angaben hatte der am 10. Januar 1891 im badischen Kippenheim im Landkreis Lahr geborene Hugo Zimmern das notwendige Kapital für die Immobilienkäufe nicht von zuhause mitgebracht. Seine Eltern, der Vater war der Oberlehrer Hermann Zimmern, seine Mutter Bertha, eine geborene Kleefeld, waren keine alteingesessene Kippenheimer Familie und lebten wohl eher in bescheidenen Verhältnissen.[22] Sein nicht unbeträchtliches Vermögen hatte Hugo Zimmern mit dem Unternehmen ‚Kahn & Zimmern’, einem Großhandelsgeschäft für Tabakwaren und Pfeifen, das am 22. September 1921 in das Handelsregister eingetragen worden war und an dem er mit 50 Prozent beteiligt war, selbst erwirtschaftet.[23] Nach der Inflation 1923 sei er zunächst völlig mittellos gewesen, habe aber dann innerhalb von nur 15 Jahren ein Kapital von 80.000 RM angespart.[24] Da er von den Einkünften auch den Lebensunterhalt seiner Familie gedeckt hatte, muss das monatliche Einkommen recht bedeutend gewesen sein. Verlässliche Zahlen gibt es allerdings wegen der fehlenden Steuerakten nicht. Natürlich muss man davon ausgehen, dass spätestens seit 1933 auch die Geschäfte von ‚Kahn & Zimmern’ schlechter gelaufen sein werden.[25] Am 6. Juli 1938 entzog der NS-Staat auch Hugo Zimmern und seinem Kompagnon Gustav Kahn ihre Reiselegitimationskarten, sodass es ihnen unmöglich wurde, ihr Geschäft weiter zu betreiben. Aber selbst im ersten Halbjahr waren noch Umsätze von etwa 16.000 RM getätigt und versteuert worden. In einer eidesstattlichen Erklärung gab Hugo Zimmern an, dass sowohl er als auch sein Partner in den vergangenen Jahren ein durchschnittliches Einkommen von etwa 7.000 RM gehabt hätten.[26]

Hugo Zimmer, Bertha Zimmern, Bertha Feibel, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26
Geldverwertungskarte für Hugo Zimmern aus dem KZ Buchenwald
https://collections.arolsen-archives.org/archive/7491545/?p=1&s=Hugo%20Zimmern&doc_id=7491547
Buchenwald

Mit dem Berufsverbot begann auch für Hugo Zimmern die zweite, weitaus schlimmere Phase der Verfolgung. Es ging jetzt den Nazis nicht mehr nur darum, die Juden aus dem wirtschaftlichen Leben herauszudrängen, sie sollten ganz aus dem Land verschwinden – allerdings ohne ihr Vermögen. Nach der Reichspogromnacht wurde auch Hugo Zimmern verhaftet und zunächst für zwei Tage im Polizeigefängnis in Wiesbaden festgehalten, um anschließend, wie die meisten anderen Inhaftierten, in das KZ Buchenwald überstellt zu werden.

Hugo Zimmern, Bertha Zimmern, Ferdinand Feibel, Ida Feibel, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26
Entlassungsschein von Hugo Zimmern aus Buchenwald
HHStAW 518 52978 (6)

Nur unter der Bedingung, dass er unmittelbar nach seiner Entlassung, Deutschland verlassen werde, kam er am 3. Dezember 1938 aus dem Konzentrationslager frei.[27] Sein Vermögen, das der Fiskus durch die verschiedensten Auflagen und gesetzlichen Bestimmungen möglichst in Deutschland, zurückbehalten wollte, war inzwischen beträchtlich dezimiert.[28] Hatte Hugo bei seiner Vermögenserklärung zum Stichtag 1. Januar 1935 dieses noch auf 61.000 RM beziffert, so war dieses unmittelbar vor der Auswanderung auf 28.350 RM zusammengeschmolzen. Die sogenannte Sühneabgabe betrug 14.800 RM und die Reichsfluchsteuer belief sich insgesamt auf 13.550 RM.[29] Unter erheblichem Druck musste er nun sein Vermögen liquidieren, um die Sondersteuern bezahlen und die für die Ausreise nötigen Geldmittel aufbringen zu können.[30] Das bedeutete zunächst einmal, dass er sich von seinem Wohneigentum trennen musste. Am 15. Dezember 1938 war mit dem Ehepaar Gerlach aus Wiesbaden ein Kaufvertrag abgeschlossen worden, laut dem diese die Immobilie Hallgarter Str. 9 zum Preis von 31.000 RM erwerben sollten. 15.000 RM musste sofort gezahlt werden, der Rest, wenn alle Genehmigungen erteilt waren. Eine der wesentlichen Bedingungen war die Tilgung der Hypothek von 16.000 RM, mit der das Deutsche Reich sich die Zahlung der Reichsfluchtsteuer gesichert hatte. Entsprechend war in dem Kaufvertrag ein Passus folgenden Wortlauts aufgenommen worden:
Der Verkäufer erklärt: Ich bin Jude.
Er erklärt weiter, dass der Verkauf des Grundstückes deshalb erfolge, weil er seine Auswanderung betreibe. Er sei bei dem amerikanischen Generalkonsulat in Stuttgart unter Nr. 18625 für die Auswanderung nach Amerika registriert, er habe die Passage bereits gebucht und hierauf eine Anzahlung geleistet.“

Die Käufer mussten hingegen versichern, dass sie „arischer Abstammung und Reichsbürger im Sinne der Nürnberger Gesetze“ seien.[31]
Der übrige Teil des Verkaufspreises, der nicht sofort vom Staat abgeschöpft worden war, floss auf das gesicherte Konnte von Hugo Zimmern und war damit für ihn ebenfalls nicht mehr frei verfügbar.[32] Die entsprechende Sicherungsanordnung war bereits am 4. Februar 1935 ergangen und am 27. Oktober 1938 auf der Basis aktueller Vermögenswerte erneuert worden.[33]

Winkeler Str. 3
Eigene Aufnahme

Auch von dem Haus in der Winkeler Str. 3, das Hugo Zimmern gemeinsam mit Max Fuchs gehörte, mussten sich die beiden Eigentümer trennen. Die Immobilie, die 1939 laut Feldgerichtstaxe einen Wert von 48.000 RM hatte,[34] ging im selben Jahr zu einem Preis von 43.000 RM an das Dotzheimer Metzgerehepaar Eddinghaus.[35] Von den 21.500 RM, die davon auf Hugo Zimmern entfielen, war ebenfalls ein Großteil sofort abzugeben. Mehr als 11.000 RM wurden durch die Judenvermögensabgabe aufgebraucht und etwa 1.000 RM betrugen die Nebenkosten des Verkaufs. Die übrigen 9.000 RM gelangten zwar nominal in seinen Besitz, verfügen konnte er darüber aber ebenfalls nicht, da sie zu einem Teil auf sein gesichertes Konto, zum anderen auf sein gesondertes Auswanderersperrguthaben überwiesen wurden.[36]

Die beiden Häuser waren aber nur die größte Beute bei diesem Raubzug. Am 13. März 1939 waren Zimmerns gezwungen, ihre Edelmetalle und ihren Schmuck abzugeben. Der Betrag von 43,11 RM, der ihnen dafür ausgezahlt wurde, entsprach ganz sicher nicht dem Wert von fast 2 kg Silber und einer goldenen Armbanduhr.[37] Eine Lebensversicherung musste unter Wert zurückgekauft und Wertpapiere der Preußischen Staatsbank angeboten werden.[38] Aber auch diese Beträge gelangten nicht in die Hand der vormaligen Eigentümer. Etwa 1.200 RM verlangte die Deutsche Golddiskontbank für neu erworbenes Umzugsgut und auch die ‚Israelitische Kultusgemeinde’ – faktisch das Reichssicherheitshauptamt – bestand auf „ihrem“ Vermögensanteil von 1.500 RM.[39]

Hugo Zimmern, Ida Zimmern Feibel
Dem Ehepaar Zimmern werden von der Devisenstelle 3.000 RM für die Ausreise freigegeben
HHStAW 519/3 14572 (3)

Die Last für die Abwicklung all dieser Vorgänge, verbunden mit unzähligen Behördengängen, hatte zu einem großen Teil Bertha Zimmern zu tragen. Ihr Mann hatte nach seiner KZ-Entlassung schon am 19. Februar 1939 Deutschland verlassen und sich in England vorläufig in Sicherheit gebracht. Ohne Arbeitserlaubnis und somit ohne Einkommen, war er dort auf die Hilfe von Freunden angewiesen.[40] Bertha Zimmern zog am 23. März 1939 bis zu ihrer eigenen Ausreise zu den Eltern in die Hallgarter Str. 9, so die Eintragung auf der Gestapokarteikarte. Zur Sicherung ihres Lebensunterhalts in diesen Monaten hatte die Devisenstelle ihr geradezu großherzig genehmigt, insgesamt 3.000 RM, 1.000 RM pro Monat von dem gesicherten Konto zu nehmen.[41] Am 15.Mai 1939 verließ dann auch sie Deutschland per Flugzeug von Frankfurt aus, um ihren Mann in England zu treffen.[42] Etwa ein weiteres Jahr später konnten sie gemeinsam auf der „Antonia“ ihre Auswanderung in die Vereinigten Staaten realisieren. Am 24. August 1940 verließ das Schiff der ‚Cunard-Linie’, den Hafen von Liverpool Richtung Montreal. Von dort ging die Reise weiter nach New York, wo sie sich für die kommenden Jahre niederließen.[43]

Hugo Zimmern, Bertha Zimmern, Bertha Feibel, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26
Nachricht über das verlorene Umzugsgut
HHStAW 518 8379 I (50).
Hugo Zimmern, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26
Forderung der DEGO-Abgabe
HHStAW 518 8379 I (52)

Inzwischen hatte sich mit dem Kriegsausbruch aber die Lage in Europa entscheidend verändert. Der Lift mit dem gesamten Umzugsgut, im Wert von 25.000 RM, für den Zimmerns eine nicht unerhebliche Dego-Abgabe gezahlt hatten, war bis Rotterdam gelangt und dort bis zur Weiterfahrt in die USA eingelagert worden. Mit dem Einfall deutscher Truppen in das Benelux-Gebiet im Frühsommer 1940 fiel das gesamte Umzugsgut in die Hände der Besatzer. Im März 1941 erhielten Hugo und Bertha Zimmern in ihrem neuen Wohnort New York einen Brief der Reederei ‚Holland-Amerika Lijn, Rotterdam’, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass ihr Lift als „Feindgut“ beschlagnahmt worden sei. Er blieb letztlich verschollen.[44] Auch dieser Verlust hat den Neubeginn in ihrem Exil sicher erheblich erschwert. Nur ganz allmählich gelang es ihnen, in Amerika wirtschaftlich Fuß zu fassen.[45]

Von dort aus strengten Bertha Zimmern die Entschädigungsverfahren für ihre eigenen Verluste, aber auch für die ihrer Eltern und für die Familie ihrer Schwester Frieda an. In diesem Zusammenhang nahm das Ehepaar Zimmern auch Kontakt mit ihrem früheren Hausverwalter Heinzmann auf, der in einem ausführlichen Brief am 26. Juni 1946 darauf antwortete und darin sowohl auf die Verfolgungszeit als auch auf die Situation in Wiesbaden unmittelbar nach Kriegsende einging.[46]

 „Es hat uns alle sehr gefreut, zu hören, daß Sie guten Anschluß gefunden haben und noch gesund und munter sind. Sie können es sieh garnicht vorstellen, wie sehr wir uns darüber gefreut haben von Ihnen endlich einmal Nachricht zu erhalten. Verehrter Herr Zimmern! Sie sowohl wie auch Ihre Frau, aber auch alle Ihre anderen Angehörigen waren bei uns nie vergessen. Von dem Tage Ihrer Auswanderung bis jetzt wurden Sie immer und immer wieder erwähnt, und mehr als einmal war Ihre gute und anständige Gesinnung der Gegenstand unserer Unterhaltung im engsten Kreise. Das Schicksal ihrer Angehörigen hat uns z. Zt. schwer erschüttert. Zunächst der Abgang von Inge.[47] Die beiden Frauen (meine Frau und Frau Pfeiffer)[48] haben das ganze schmerzerfüllte Leid als erste gesehen und tiefes Mitgefühl mit der armen Mutter gehabt. Familie Wolf kam nach dem unsagbaren Unglück zuerst hierher und hat Trost gesucht und Menschen mit denen sie sich aussprechen konnten. Das von uns alles getan wurde, um dieses Leid und Elend zu mildern, brauche ich nicht besonders herauszustellen, auch will ich nicht auf all die Dinge hier näher eingehen, die von uns zum Wohle der beiden Familien getan wurden. Die Not war groß und es wäre noch manches darüber zu berichten, jedoch wird darüber in späterer Zeit noch manches zu sagen sein.
Auch wir standen unter einem ungeheueren seelischen Druck, der sich immer gemeiner und grenzenloser auswirkte je näher das Ende dieses Systems kam. Aber vorzuwerfen brauchen wir uns nicht, daß wir unseren ‚Führer’ und seine Taten oder später sogar den Krieg verherrlicht haben. Angst und Kummer waren unsere täglichen Begleiter. Mehr als einmal haben wir dabei an Sie gedacht und gewünscht mit Ihnen über dem grossen Wasser zu sein. Nur ein großes Gottvertrauen und im Glauben an eine bessere Zukunft, haben uns die Vergangenheit gut durchstehen lassen.“

Auf den ersten Blick scheint es sich hier um einen der typischen, anbiedernden Briefe zu handeln, mit denen in dieser Zeit Tausende, die auf irgendeine Weise mit dem NS-System verwoben waren, versuchten, sich gegenüber den Verfolgten in ein möglichst günstiges Licht zu stellen, um nach dem „Zusammenbruch“ möglichst ungeschoren davon zu kommen. Dies trifft aber auf August Heinzmann, einen ehemaligen Sozialdemokraten und aktiven, hauptamtlicher Gewerkschaftler nicht zu. Nach der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen im Mai 1933 war er Hausverwalter geworden und hatte das Vertrauen vieler jüdischen Immobilienbesitzer erworben. So auch das von Hugo Zimmern. Es steht außer Frage, dass Heinzmann auch von dieser Tätigkeit profitiert hatte, nicht nur als Verwalter, er trat auch als Makler auf, als es darum ging, die Immobilien vor der Emigration noch in mobiles Kapital zu verwandeln. So hatte er auch am Verkauf der beiden Häuser von Hugo und Bertha Zimmern Maklergebühren in Höhe von insgesamt etwa 1.500 RM erhalten.[49]

Ebenso macht die Beschreibung der politischen Situation in der unmittelbaren Nachkriegszeit deutlich, dass er nicht zu den typischen „Wendehälse“ gehörte:
„Aber wie ist es heute in Deutschland? Alle die Menschen, die sich für den demokratischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau zur Verfügung stellen, werden bereits wieder mit Schmutz und Dreck beworfen. Auch jetzt erweist es sich wieder, daß der Großteil der deutschen Bevölkerung politisch nicht reif ist und nichts anzufangen weiß, mit der von den ehemaligen Feindmächten geschenkten Freiheit. Nur all zu oft finden Sie noch bei den deutschen Menschen das Geistesgut der vergangenen 12 Jahre. Auch hier beneiden wir Sie tiefinnerlichst, daß Sie drüben sind, wie gerne kämen wir Ihnen heute noch nach. Nicht um auszuweichen, auch nicht um sich der Verantwortung zu entziehen, aber auch ganz und garnicht um ein besseres Wohlleben zu führen, nein, sondern endlich Ruhe und Ausgeglichenheit zu finden in einer demokratischen Gemeinschaft, frei von Haß und Missgunst.“

Die Hoffnung auf die Wiedergeburt einer deutschen Demokratie hatte auch während der NS-Zeit sein politisches Handeln bestimmt. August Heinzmann gehörte in den Jahren der Diktatur einer Widerstandsgruppe an, die später als ‚Freundeskreis Roos’ bezeichnet wurde [50]– eine Gruppe ohne feste Organisation, die sich nicht durch spektakuläre Aktionen wie Anschläge oder die Verbreitung von antifaschistischer Propaganda auszeichnete, sondern dadurch, dass sie Verfolgten, besonders auch Juden, sehr konkrete Hilfe bot. Das war auch deshalb möglich, weil in diesem Freundeskreis sehr unterschiedliche Menschen mit vielfältigen Möglichkeiten zusammengekommen waren: Neben Unternehmern auch Rechtsanwälte, Kaufleute und städtische Bedienstete, die ihre jeweiligen Verbindungen spielen lassen konnten. Auch handelte es sich um Menschen mit sehr unterschiedlichen politischen Vorstellungen, wenngleich die Mehrheit eher dem liberalen Spektrum zuzuordnen war. Heinzmann, nach dem Krieg CDU Mitglied, gehörte wohl sogar als „verdeckter Vertreter“ von Heinrich Maschmeyer, der wiederum der Wiesbadener Stützpunktleiter für das Vertrauensleutenetzwerk von Wilhelm Leuschner war, zum weiteren Umfeld des der Widerstandsgruppe vom 20. Juli.

Nach eigenem Bekunden hatten August Heinzmann und seine Frau Teile der Wohnungseinrichtung des Ehepaars Zimmern aufbewahrt und sich auch „ohne Scheu und Angst (…) immer wieder bei den Dienststellen dafür eingesetzt“, dass der Schwager von Bertha Zimmern, Ernst Wolf, „seine wohlverdiente Kriegsentschädigtenrente von monatlich RM 49,70 erhielt. Daß da immer wieder Schwierigkeiten entstanden sind, können Sie sich ja vorstellen.“

Weiterhin konnte Heinzmann den Exilierten berichten, dass ihre ehemaligen Häuser durch die Kriegsereignisse kaum beschädigt waren. Auch um den Verbleib der anderen Vermögenswerte der beiden Familien Wolf und Feibel wolle er sich kümmern, ohne dafür ein Entgelt zu erwarten, schrieb er in seinem Brief.

In den folgenden Entschädigungsverfahren, in denen es neben den Sachwerten auch um die Entschädigung für die Inhaftierung im KZ Buchenwald ging, wird in den Akten ein unglaubliches Kuriosum der frühen Gesetzgebung offenbar. So hatte man Hugo Zimmern zunächst eine solche Entschädigung verweigert, weil er bei der Beantragung kein Bürger Hessens mehr war. Man erwartete also offensichtlich, dass die Opfer sich erst einmal wieder in das Land ihrer Verfolger zurückkehren, um sich dort die Entschädigung abzuholen. Eine unfassbare Vorschrift, die dann später abgeändert wurde, sodass auch Hugo Zimmern doch noch eine Abfindung für den Verlust seiner Freiheit erhielt.[51] Dennoch waren die Verfahren, die immer wieder die Schrecken dieser Zeit erneut in das Bewusstsein riefen, auch wenn sie dann einen kleinen materiellen Ausgleich brachten, insgesamt mit sehr vielen Leid verbunden.

Hugo Zimmern verstarb in New York am 25. Januar 1965, seine Frau Bertha, geborene Feibel, etwa zwanzig Jahre später am 9. November 1985.[52]

 

Nachdem Bertha Zimmern ihre Eltern im Mai 1939 verlassen hatte, um zu ihrem Mann nach England zu gehen, durften ihre Eltern noch mehr als zwei Jahre in dem inzwischen verkauften Haus in der Hallgarter Str. 9 bleiben. Möglicherweise hatte der Hausverwalter Heinzmann seine schützende Hand über das alte Ehepaar gehalten. Wer für die letztlich doch unvermeidliche Räumung verantwortlich war, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Am 2. Januar 1942 waren sie gezwungen, in das Judenhaus in der Mainzer Str. 2 zu ziehen, wo ihnen nur noch ein einziges Zimmer zur Verfügung stand.[53] Ihre Möbel, deren Wert von ihrer Tochter Bertha auf etwa 4.000 RM geschätzt worden war,[54] werden sie schon damals kaum mehr haben mitnehmen können. Später wusste niemand, was mit ihnen geschehen war, ob sie verkauft oder versteigert worden waren. Zum Zeitpunkt des Umzugs besaßen sie noch etwa 2.500 RM auf einem Sparkonto.[55] Dieses Geld reichte aus, um die restlichen Monate, die ihnen der NS-Staat zu leben noch gewährte, unter den gegebenen Bedingungen zu überbrücken. Über die Zeit in dem Judenhaus in der Mainzer Straße liegen keine Dokumente vor. Offenbar hatte die Devisenstelle Frankfurt diesen Umzug auch nie zur Kenntnis genommen, denn auf dem Deckel der Akte folgt als Adresse nach der Hallgarter Str. 9 sofort die Hermannstr. 26. Laut Gestapokarteikarte waren sie hier am 19. Juli 1942 in die erste Etage eingezogen, wahrscheinlich in die Wohnung der im Juni deportierten Eigentümer Arthur und Alice Ackermann,[56] In diesen sechs Wochen ist das Ehepaar wohl kaum mehr in Erscheinung getreten. Von Willy Rink, dem damaligen Mitbewohner, werden sie in seinen Erinnerungen nicht erwähnt. Nicht einmal in der dem Text vorangestellten Widmung für die Opfer dieses Hauses werden ihre Namen genannt.[57] Nicht vergessen wurden sie allerdings von der Hausverwaltung, dem Bankhaus Krier. Für den Juli ist die Zahlung einer halben und für den August ein volle Monatsmiete verbucht worden, zunächst 30 RM, dann 60 RM.[58]

Friedrichstr. 33, Synagoge Wiesbaden, Deportation 1.9.1942
Die zur Deportation in der Synagoge versammelten jüdischen Mitbürger am Vortag des 1. Sept. 1942
HHStAW hhstaw_3008 2 16558

Zusammen mit ihren Verwandten, dem Ehepaar Wolf gehörten sie zu den Deportierten des 1. September 1942, ein Transport der fast ausschließlich aus Alten bestand, die nicht mehr zur Verwertung mittels Zwangsarbeit herangezogen werden konnten. Bevor sie den Zug bestiegen, hatte man die etwa 370 Wiesbadener Jüdinnen und Juden am 29. August, einem Shabbat, in die Synagoge in der Friedrichstraße beordert, wo sie registriert wurden und wo die verschiedenen Formalitäten abgewickelt wurden, die dem Raub der hinterlassenen Vermögenswerten den Schein der Legalität verleihen sollten. Was immer von dem Betrag auf Feibels Sparkonto noch übrig gewesen sein sollte, verfiel dem Deutschen Reich.[59]

Keinem der in der Synagoge Versammelten konnte ahnen, was die angekündigte „Gemeinschaftsunterbringung ausserhalb des Altreichs“ – so stand es in dem Schreiben der ‚Bezirksstelle Hessen-Nassau der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland’ – tatsächlich bedeuten würde. Die Angst, die Unsicherheit und die Verzweiflung in dieser Situation müssen unvorstellbar gewesen sein.

Ida Feibel, Ida Guthmann, Ferdinand Feibel, Judenhaus Wiesbaden, hermannstr. 26
Todesfallanzeige für Ida Feibel, geborene Guthmann aus Thersienstadt
https://www.holocaust.cz/databaze-dokumentu/dokument/97380-feibel-ida-oznameni-o-umrti-ghetto-terezin/

Der Zug, der am 1. September den Bahnhof verließ und über Frankfurt sein Ziel Theresienstadt ansteuerte, trug die Nummer XII/2. Ferdinand Feibel war die Nummer 645, seiner Frau die Nummer 646 zugeteilt worden. In dem sogenannten Altersghetto Theresienstadt sollten sie ihrem Schicksal überlassen bleiben. Zumindest Ida Feibel war zuletzt im Zimmer 05 des Blocks L 205 untergebracht. Viele der insgesamt etwa 140.000 Gefangenen von Theresienstadt wurden von dort aus in eines der Todeslager verschleppt und ermordet. Etwa 34.000 starben im Lager selbst an unmittelbarer Gewalt, an einer der vielen dort kursierenden Krankheiten und Seuchen oder an Hunger. Zu Letzteren gehörten auch Feibels. Aber es gab tatsächlich auch Überlebende, auch aus diesem Zug XII/2. Julius und Luise Marxheimer, die nach ihrer Rettung in die USA ausgewandert waren, konnten später Zeugnis über den Tod von Ferdinand und Ida Feibel ablegen:

Ida Feibel, Ferdinand Feibel, Judenhaus Wiesbaden, Hermannstr. 26
Brief von Luise und Julius Marxheimer über den Tod des Ehepaars Feibel
HHStAW 469/33 2524 (6)

“Ferdinand Feibel, Vater von Frau Bertha Zimmern, geborene Feibel, starb in Theresienstadt am 22. März 1944. Seine Ehefrau Ida, geborene Guthmann, starb in Theresienstadt am 15. Juli 1943. Beide starben infolge Unterernährung. Wir sind mit demselben Transport Ende August 1942 nach Theresienstadt gekommen & waren mit den Verstorbenen sehr befreundet.
Bei der Beerdigung von Herrn und Frau Feibel waren wir anwesend.“
[60]

Stand: 22. 01. 2020

 

 

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Anmerkungen:

[1] Zum Ehepaar Feibel liegt auch eine Erinnerungsblatt des Aktives Museum Spiegelgasse aus dem Jahr 2017 vor: http://www.am-spiegelgasse.de/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Feibel-Ferdinand.pdf. (Zugriff: 10.1.2020).

[2] https://docplayer.org/64713222-Die-juedische-bevoelkerungsentwicklung-in-ingelheim.html. (Zugriff: 10.1.2020). Offensichtlich handelte es sich um eine Gebühr, die er für die Nutzung der Allmende und des Waldes zu zahlen hatte. Aus der Quelle geht nicht hervor, ob es sich dabei um eine allgemeine Abgabe oder eine Sonderabgabe für Juden handelte.

[3] In dem 1860 erschienenen Buch von J.G.A. Wirth, Die Weinorte der Rheinlande ist Isaak Feibel II auf S. 40 als einer der beiden Groß-Winternheimer Gastwirte geführt. Siehe https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10299770_00084.html. (Zugriff: 10.1.2020).

[4] Der weitere Lebensweg von Elisabeth ist nicht bekannt, Barbara heiratete einen am 14.10.1829 geborenen Zadik Naumann, der 1896 verstarb. Seine Frau überlebte ihm um 10 Jahre. Isaak Feibel II schloss eine Ehe mit der 1823 geborenen Sara Hessel. Der am 14.7.1899 verstorbene Isaak Feibel II überlebte sein Frau nur um etwa ein Jahr. Siehe http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=igw-0028. (Zugriff: 10.1.2020).

[5] HHStAW 469/33 2524 (5).

[6] Ebd. (01, 4). Auf der Gestapokarteikarte ist ihr Geburtstag fälschlicherweise mit dem 25.12.1870 angegeben.

[7] In den Akten befinden sich zwei Geburtsurkunden, einmal ist ihr Name mit „h“, siehe HHStAW 70547 (5), einmal ohne geschrieben, siehe HHStAW 469/33 2524 (10). Sie selbst signierte mit „Bertha“, deshalb wird ihr Name hier durchweg in dieser Form angegeben.

[8] Ernst war am 28.8.1918 in einem Lazarett verstorben, siehe das Gedenkbuch des ‚Reichsbund jüdischer Frontsoldaten’ http://denkmalprojekt.org/verlustlisten/rjf_orte_g_wk1.htm. (Zugriff: 10.1.2020).

[9] HHStAW 518 70547 (70, 67), siehe zu den weiteren Zeugnissen ebd. (68, 69, 71, 72, 73, 74, 78).

[10] Ebd. (81).

[11] Siehe Ausführungen im Kapitel über die Familie Wolf.

[12] HHStAW 518 70547 (78).

[13] Ebd. (69).

[14] Erstaunlicherweise wurde der Berufsschaden, den Ferdinand Feibel durch den Boykott und den Entzug des Reisegewerbescheins erlitten hatte, 1960 ohne Belege über sein Einkommen in einem Vergleich anerkannt. Man ging sogar davon aus, dass er bei seinem eher geringen Verdienst kaum die Möglichkeit gehabt haben konnte, eine Rücklage für das Alter zu bilden, sodass er vermutlich unter normalen Umständen sogar über das 70ste Lebensjahr hinaus hätte arbeiten müssen. Die Entschädigung betrug knapp 2.500 DM, siehe ebd. (88 ff.).

[15] HHStAW 519/3 1969 (4).

[16] Strittig blieb, ob das Paar insgesamt 1.000 RM oder jeweils 1.000 RM zu zahlen hatten. Die Belege sind hier nicht eindeutig, siehe HHStAW 518 70547 (18, 28). Nicht richtig war wohl die bei der Schadensanmeldung zunächst genannte Zahl von 7.500 RM, ebd. (10).

[17] HHStAW 519/3 1969 (4). Es kann sich hier nur um die mit Erich Wolf verheiratete Tochter Frieda / Hilda gehandelt haben, denn Bertha war zu diesem Zeitpunkt bereits emigriert, s.u.

[18] Ebd. (7).

[19] Im Wiesbadener Adressbuch von 1936/37 ist er erstmals als dessen Eigentümer aufgeführt, allerdings wird im Adressbuch von 1934/35 auch schon ein Zimmermann als Eigentümer genannt. Auch an anderer Stelle wird er in den Adressbüchern statt mit seinem Namen Zimmern fälschlicherweise als Zimmermann bezeichnet, sodass man vermutlich davon ausgehen kann, dass das Haus um 1934 erworben worden war.

[20] Max, eigentlich Moses Fuchs war ein Diplomhandelslehrer, der am 1.3.1894 in Messelhausen im Landkreis Tauberbischofsheim geboren worden war. Zuletzt hatte er bis zu seiner Entlassung in Wiesbaden unterrichtet. Da er das Klima in Palästina nicht vertrug, ließ er sich 1946 in New York nieder. Siehe zu seinem Schicksal HHStAW 518 75569 passim. Seit wann genau Max Fuchs Miteigentümer war, konnte nicht geklärt werden, da die Grundbuchakte nicht vorlag. In seiner Entschädigungsakte gibt es darauf ebenfalls keinen Hinweis.

[21] Falsch ist diesbezüglich die am 15.5.1950 vom Wiesbadener Polizeipräsidenten ausgestellte Aufenthaltsbescheinigung, laut der er von 1930 bis 1939 in der Winkeler Str. 3 gewohnt habe, siehe HHStAW 518 8379 I (16).

[22]. HHStAW 518 8379 I (65). Hugo Zimmern war das fünfte Kind des Paares. Seine älteste Schwester Selina, geboren am 8.7.1883, gestorben am 20.9.1883 wurde nur wenige Wochen alt. Sie und ihr Vater wurden auf dem Schmieheimer Friedhof bei Kippenheim begraben. Die folgende Schwester Chlothilde, geboren am 24.9.184 heiratete Julius Guggenheim, aus der Ehe sind die beiden Kinder Walter David und Mathilde hervorgegangen. Regina, geboren am 6.8.1886 heiratete den Mainzer Kaufmann Emil Rosenberg. Hilda, geboren am 20.10.1887, verheiratet mit Jakob Marx, geboren am 16.4.1886, hatte die Tochter am 7.5.1929 geborene Berta Margot. Ihre Familie wurde am 22.10.1940 in das französische Internierungslager Gurs verschleppt. Am 11.9.1942 wurden sie zusammen über Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet. Das Schicksal der beiden anderen Töchter und ihrer Familien ist nicht bekannt. Geburts- und Todesdaten nach dem Ortssippenbuch Kippenheim, Grafenhausen, Einträge 7366, 7323, 7240, 7181. Die entsprechenden Kopien verdanke ich Herrn J. Staude vom ‚Förderverein der ehemaligen Synagoge Kippenheim’ und dem Bürgerbüro der Gemeinde Kippenheim.

[23] Etwas eigenartig ist, dass im Wiesbadener Adressbuch von 1921, in dem die Firma erstmal gelistet ist, diese unter dem Namen ‚Kahn & Zimmermann’ erscheint, dies nicht nur im normalen Adressbuchteil, sondern auch im Anzeigenteil. Im folgenden Adressbuch von 1922 firmiert das Unternehmen dann mit ‚Kahn & Zimmern’. Dass es sich um die identische Firma handeln muss, ergibt sich schon aus der gleichen Telefonnummer. Zum Schicksal seines Geschäftspartners Gustav Kahn siehe unten. Er war mit seiner Familie Bewohner des Judenhauses Mainzer Str. 60.

[24] HHStAW 518 8379 I (69, 72). Der entsprechende Vermögenssteuerbescheid liegt in den Akten vor.

[25] Ebd. (143). So hatte Hugo Zimmern im Rahmen des Entschädigungsverfahrens seinem Anwalt berichtet, auf welche Weise er in seiner Geschäftsausübung damals behindert wurde: „Die Plakate ‚Juden unerwünscht’ haben jüd. Reisende zurückgehalten, Kunden eingehend zu besuchen oder neue Kunden zu erwerben, versuchen. (sic !) In den Hotels konnte man aus demselben Grunde weder wohnen noch essen. Man war seelisch so gedrückt, dass jede Energie fehlte, da man nie wusste, ob man keinen Zusammenstoß mit der Gestapo bekommt, wenn man trotzdem in ein Hotel, ging, weil man ja schließlich irgendwo essen und wohnen musste. Im Jahr 1936, ein Tag nach den sog. Nürnberger Gesetzen, hat uns die Firma Joh. Baeth Noll Zigarrenfabriken, Giessen, die Vertretung, die wir seit 1920 hatten, gekündigt. Selbstredend war dies ein voller Ausfall der Provision, die wir durch unsere Verkäufe für diese Firma hatten. Viele Kunden haben uns zu verstehen gegeben, sie nicht mehr zu besuchen, weil ihre Existenz sonst gefährdet ist. Unser Schaden war daher sehr groß zwischen 1933-1938“. Ebd. (143).

[26] Ebd. Die Handelsfirma wurde zum 30.9.1939 liquidiert, ebd. (12).

[27] Ebd. (27, 31), auch HHStAW 518 52978 (6).

[28] Siehe dazu das Kapitel ‚Der große Raubzug’.

[29] HHStAW 519/3 14572 (9).

[30] Ebd. (3, 4, 5).

[31] HHStAW 518 8379 I (20-23).

[32] Ebd. (62, 27 f.) Nach dem Krieg wurde das Haus an seine ehemaligen Eigentümer zurückerstattet. Die damaligen Erwerber waren dazu bereit, wenn ihnen der Kaufpreis 1:1 zurückerstattet würde. Sie hatten geltend gemacht, „dass der Kaufvertrag reell zustande gekommen sei und dass rassische und politische Momente bei dem Erwerb für sie keine Rolle gespielt hätten.“ (!).Die gerichtliche Auseinandersetzung um die Rückerstattung zog sich mehrere Jahre hin. Dabei ging es allerdings nicht um die grundsätzliche Frage, sondern eher um finanzielle Details.

[33] HHStAW 519/3 14572 (32). Man gewährte ihm einen relativ hohen Freibetrag von 1.000 RM, ebd. (46).

[34] Stadtarchiv Wiesbaden WI / 3 983.

[35] Ebd. (41 f.).

[36] Auch dieser Verkauf wurde nach dem Krieg für Null und nichtig erklärt und das Haus gelangte wieder in den Besitz der ursprünglichen Eigentümer. Siehe ebd. (61 f.).

[37] Ebd. (36).

[38] Ebd. (13, 38).

[39] Ebd. (52, 39).

[40] Ebd. (143).

[41] HHStAW 519/3 14572 (24).

[42] HHStAW 518 52978 (4).

[43] HHStAW 518 8379 I (120, 308). Die Kosten für die Überfahrt betrugen 400 Dollar.

[44] Ebd. (49, 50, 51), dazu HHStAW 518 8379 II (218). Hinzu kamen die Kosten von 2.200 RM, die für den Transport des Lifts nach Holland angefallen waren. Ein kleiner Betrag von 6.200 RM war ihnen von dem holländischen Treuhänder erstattet worden. Die Bedeutung dieses Verlusts lässt sich erst wirklich ermessen, wenn man die 9-seitige Umzugsliste betrachtet, auf der alle, auch die kleinsten Packstücke akkurat aufgelistet werden mussten. Siehe HHStAW 519/3 14572 (10-14).

[45] Im Jahr der Ankunft hatten sie nur 120 Dollar verdient, erst ab 1944 hatten sie ein Einkommen um die 2.000 Dollar, siehe ebd. (153).

[46] Der Brief ist als Abschrift enthalten in der Akte HHStAW 518 70547 (13-15).

[47] Gemeint ist Inge Wolf, die Nichte von Bertha Feibel.

[48] Frau Pfeiffer war die Büroangestellte bei Heizmann, siehe HHStAW 518 75569 (20).

[49] HHStAW 518 8379 I (35), auch HHStAW 519/3 14572 (20, 21).

[50] Zum Freundeskreis Roos, siehe Brücher-Schunk, Hedwig, Beispiele bürgerlichen Widerstandes in Hessen: Der Freundeskreis Heinrich Roos in Wiesbaden und der Kaufmann-Will-Kreis in Gießen, in: Knigge-Tesche, Renate; Ulrich, Axel, Verfolgung und Widerstand 1933-1945 in Hessen, Frankfurt 1996, S. 508-515 und Ulrich, Axel, Politischer Widerstand gegen das „Dritte Reich“ im Rhein-Main-Gebiet, Wiesbaden2008, S. 175-178. Die Mitglieder der Gruppe sind aufgeführt in Bembenek / Ulrich, Widerstand und Verfolgung, S. 186-192. Aus dem hier dokumentierten Erinnerungsbericht von Heinrich Roos geht auch hervor, dass dieser Beamte im Steueramt der Stadt Wiesbaden einen engen Kontakt zum NSDAP-Bürgermeister Mix pflegte. Insgesamt gehörten die Mitglieder dieser Gruppe aber nach dem Krieg unzweifelhaft zu denjenigen, die auf lokaler Ebene sich tatkräftig für den Wiederaufbau der Demokratie engagierten.

[51] HHStAW 518 8379 I (101 f.).

[52] Ebd. Eintrag auf dem Aktendeckel der Entschädigungsakte.

[53] Unbekannte Liste X1.

[54] HHStAW 518 70547 (10). Die Eltern selbst hatten den Wert der Einrichtung samt Kleidung nach Heinzmann mit etwa 3.700 RM angegeben, ebd. (15).

[55] Ebd. (18).

[56] Die Etagenangabe ist auf der Deportationsliste angegeben.

[57] Rink, Das Judenhaus, S. 3.

[58] HHStAW 519/2 2097 (o.P.)

[59] HHStAW 519/3 1969 (10).

[60] HHStAW 469-33 2524 (6). Diese eidesstattliche Erklärung war die Grundlage für die offizielle Todeserklärung des Amtsgerichts Wiesbaden vom 30.4.1949, ebd. (14).