Zur Gruppe der Jüdinnen und Juden, die am 10. Juni 1942 den Zug in den Tod besteigen mussten, gehörte aus dem Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 neben Emma Terhoch und ihren beiden Töchtern auch die Familie Kahn, die ursprünglich aus Idstein nach Wiesbaden gekommen war, um der Verfolgung dort zu entkommen. Die Geschichte ihrer Vorfahren, die über gut zwei Jahrhunderte zumindest in groben Zügen rekonstruierbar ist, war durch viele Höhen und Tiefen gekennzeichnet, ihren traurigen Tiefpunkt erreichte sie aber erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Viele der Mitglieder fielen dem Rassenwahn zum Opfer, aber manche konnten sich auch retten und die Tradition dieser bedeutenden jüdischen Familie auf den unterschiedlichen Erdteilen fortsetzen.[1]
Idstein war schon seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Heimat der Familie Kahn, die allerdings erst seit dem Jahr 1817 diesen Namen trug. Gerhard Buck hat die Frühgeschichte der Familie recherchiert und herausgefunden, dass schon 1682, also wenige Jahrzehnte nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, einem Juden namens Mayer, der vermutlich 1656 in Camberg als Sohn von einem Hirts geboren worden war, in Idstein ein Schutzbrief ausgestellt wurde.[2] In diesem Brief war ihm erlaubt worden, Handel mit Textilien, Kramwaren und Fleisch zu betreiben. Auch wenn nicht explizit erlaubt, so ging er aber mit noch größerem Erfolg auch dem Handel mit Vieh, besonders mit Pferden, und Fellen nach. Sein bester Kunde war der Graf und sein Hof, an den er nicht nur die Pferde, sondern auch in großen Mengen Stoffe und andere Textilien lieferte, die aber mitunter so umfänglich waren, dass der Landesherr sie nicht bezahlen konnte und Mayer als Kreditgeber der Herrschaften in die Rolle eines „Hofjuden“ aufstieg. Mit dem für Idstein ungeheuren Reichtum, den er mit seinen Geschäften anhäufte, konnte Mayer in der Stadt bereits in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts drei Häuser im Zentrum bauen bzw. erwerben. Da er damit aber auch den Glaubensbrüdern und –schwestern Raum für ihre Gottesdienste bieten konnte, lag es nahe, ihn auch zum Vorsitzenden der Gemeinde zu wählen. Mit seiner Frau Hänle hatte er mindestens vier Söhne und eine Tochter, aber die konnten nicht mehr an den geschäftlichen Erfolg ihres Vaters anknüpfen. Schon dieser war gegen Ende seines Lebens in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil sein wichtigster Kunde, der Graf, der zur Erlangung der Fürstenwürde horrende Summen ausgegeben hatte, zu seinem Hauptschuldner wurde und nicht bereit war diese Schulden zu tilgen. Als Mayer Hirts 1715 starb, war die Familie völlig verarmt und verließ die Stadt. Nur der älteste Sohn Simon Mayer blieb, übernahm den Viehhandel, das Haus in der Hinteren Borngasse und auch den Vorsitz in der Gemeinde. Eineinhalb Jahrzehnte ging alles gut, dann, verursacht durch eine schwere Krankheit von Simon Mayer, driftete die Familie, die neben seiner Frau Ester aus mindestens sechs Kindern bestand, wieder ab in bittere Armut. Mehrere der Kinder verließen Idstein durch Heirat oder auch in der Hoffnung, in anderen Orten des Fürstentums, sich eine neue Existenz aufbauen zu können. So auch Gabriel Simon, der zwar in Idstein geboren worden war, dann aber in das benachbarte Wörsdorf zog, um seinen Lebensunterhalt als Viehhändler zu verdienen. Dort gründete er eine Familie, in der ein Sohn namens Mayer Gabriel geboren wurde. Sein Vater Gabriel Simon heiratete noch weitere zwei Mal und hatte insgesamt mindestens sechs Kinder. Die Geschäfte von Mayer Gabriel liefen schlecht und er geriet vermutlich wegen krimineller Vergehen in die Fänge der Justiz, wurde in das Idsteiner Gefängnis eingeliefert, dort mit Daumenschrauben gefoltert und zu einer Geldstrafe verurteilt. Dennoch durfte er sich 1742 wieder in seiner Geburtsstadt Idstein ansiedeln und es gelang ihm jetzt ein sehr erfolgreicher Neustart als Viehhändler und Fleischverkäufer, sodass er 1760 dort sogar wieder ein eigenes Haus mit Hof, Scheune und Garten erwerben konnte. Unklar ist, ob der schlechte Ruf, den die Familie damals im 18. Jahrhundert in Idstein genoss, auf tatsächlichem Fehlverhalten beruhte oder ob es sich dabei um die immer wieder aufflammenden antisemitischen Anschuldigungen handelte, mit denen gerade erfolgreiche jüdische Geschäftsleute konfrontiert wurden, wodurch dann deren bisheriger Erfolg oft wieder zunichte gemacht wurde. Als Mayer Gabriel 1763 die städtische Obrigkeit um einen Schutzbrief bat, wurde dieser mit den Worten, „den Schaden, den diese Juden durch ihre betrügerischen Händel den Untertanen zufügen und öfters auszusaugen pflegen, gegen das Schutzgeld in keine Vergleichung kommt“ abgelehnt.[3] Ob sich diese Anschuldigungen gegen die Juden insgesamt oder die Idsteiner Familie Kahn im Besonderen richtete, ist schwer zu sagen, vermutlich aber war das Bild vom Juden als solchem auch bestimmend für dasjenige, das man von den unmittelbaren jüdischen Mitbewohnern hatte.
Dennoch erhielt Mayer Gabriel 1765 den begehrten Schutzbrief dann doch noch, damit auch die Heiratserlaubnis und die Berechtigung eigenständig ein Geschäft zu führen. Auch ein Haus, gelegen an der Ecke von Roder- und Löhergasse, konnte er schon 1771 erwerben. Es blieb der Sitz der Familie bis die Nazis die Nachkommen zum Verkauf zwangen.
Während sein Vater Gabriel Simon im letzten Viertel des Jahrhunderts wieder völlig verarmt war, als er 1785 starb, blühte das Geschäft seines ältesten Sohns Mayer Gabriel, der hauptsächlich mit Pferden, aber auch mit Rindern und Textilien handelte, zusehends auf. Er, der wieder als „reicher Jude“ galt, war noch im hohen Alter mit mehr als siebzig Jahren beruflich aktiv. Wenige Jahre bevor die Juden zur Annahme fester Familiennahmen gezwungen wurden, verstarb er im Jahr 1813. Schon der Urahn Mayer, der Sohn von Hirtz, hatte auf Dokumenten mit K’’Z unterschrieben, ein Kürzel für Katz, was wiederum auf die Abstammung der Familie aus dem jüdischen Stamm der Kohanim verweist.[4] Für viele Juden, die sich diesem Verband zugehörig fühlten, bot es sich an, daraus den festen Familienname Kahn, Cohn, Cohen oder ähnliche Varianten abzuleiten.
Nach dem Tod von Mayer Gabriel im Jahr 1813, übernahm zunächst dessen jüngster Sohn Gabriel Mayer – dieser verstarb am 3. September 1863 in Idstein -, dann wiederum dessen Sohn Isaac Haus und Geschäft des Vaters bzw. Großvaters. Isaac, der aufgrund der Namensänderung am 3. Oktober 1823 bereits als Kahn geboren worden war, heiratete Bertha, ebenfalls eine geborene Kahn. Angesichts der Häufigkeit dieses Namens ist es nicht unbedingt wahrscheinlich, dass sie aus dem engeren Familienkreis stammte. Mehrere Kinder des Paares, dann auch die Mutter selbst, verstarben früh. Erst in seiner zweiten Ehe wurden dann Kinder geboren, die das Erwachsenenalter erreichten. Aber auch diesmal verstarb das erste Kind noch im Kleinkindalter und erst der am 14. Februar 1873 geborene Emil überstand die Gefahren, von denen Kinder in der damaligen Zeit bedroht waren.[5] Aus dieser zweiten Ehe stammte auch der am 14. Juni 1875 geborene Max Kahn,[6] der Vater des später nach Wiesbaden geflohenen Julius Kahn.
Zu Beginn der Weimarer Republik war Max Kahn der einzige, der aus der über zwei Jahrhunderte dort ansässigen Familie noch in Idstein gemeldet war. Auch übte er im Haus Rodergasse 3 noch immer den in der Familie traditionellen Beruf eines Viehhändlers aus. Verheiratet war er mit der am 22. August 1873 in Klein-Auheim bei Hanau geborenen Bertha Hamburger.[7] Das erste der insgesamt fünf Kinder des Paares, die alle in Idstein zur Welt kamen, war Julius, geboren am 27. April 1901.[8] Ihm folgte ein Jahr später am 21. August 1902 die einzige Tochter Ida [9] und dann erst sechs Jahre später am 27. Februar 1908 wieder ein Sohn namens Manfred.[10] Fritz wurde am 18. Juli 1910 [11]und Kurt am 11. November 1912 geboren.[12]
Welchen Umfang das Viehhandelsgeschäft früher einmal gehabt hatte, war nach dem Krieg Gegenstand im Entschädigungsverfahren. Eine Einschätzung war insofern schwierig, weil Steuerunterlagen aus der Zeit vor 1933 fast nicht mehr vorhanden waren und man sich auf Indizien und Aussagen Idsteiner Bürger sowie auf eidesstattliche Erklärungen der überlebenden Söhne verlassen musste. Im Bescheid wurde dann aber konstatiert, dass das „Geschäft gut eingeführt gewesen (sei) und einen beträchtlichen Gewinn abgeworfen (habe)“. Bei einem Jahresumsatz von 100.000 bis 120.000 RM und einem Nettogewinn von etwa 8 Prozent des Umsatzes müsse man von einem Gewinn von etwa 10.000 RM im Jahr ausgehen. Hinzuzurechnen seien steuerfreie Kommissionsgeschäfte, die ein zusätzliches Einkommen von etwa 10.000 RM erbracht haben müssten.[13] Auch der Polizeibeamte, der von 1926 bis 1939 in Idstein tätig war, sagte aus, dass die Familie Kahn sehr angesehen gewesen sei und „absolut makellos“ gelebt habe.[14] Immerhin wurde von allen Zeugen bestätigt, dass die Wohnung gut, wenn auch nicht luxuriös ausgestattet war und die Kinder alle in den Genuss einer höheren Ausbildung kamen.
Wie gut die Familie in die Dorfgemeinschaft integriert war, machen zwei alte Fotografien deutlich, die einmal Max Kahn als Soldat einer Wachmannschaft am Bahnhof Niedernhausen zu Beginn des Ersten Weltkriegs zeigen.
Auf einem weiteren Foto sieht man Ida Kahn mit einem Glas Wein in der Hand, wie sie lachend mit anderen Mitgliedern der Turnerfrauenmannschaft anstößt. Ein Bild aus glücklichen Tagen.
Sie und ihr Bruder Julius waren diejenigen, die wenige Jahre später ihr Leben in der Shoa verloren. Von den Kindern gelang es nur Manfred, Fritz und Kurt rechtzeitig aus Deutschland herauszukommen. Auch ihr Vater Max Kahn konnte noch fliehen, während seine Frau Bertha am 9. März 1938, genau ein halbes Jahr vor dem Novemberpogrom noch in Idstein verstarb.[15]
Julius und Erna Kahn
Nach seiner Zeit in der Grundschule hatte Julius Kahn noch fünf Jahre die örtliche Realschule besucht, um anschließend im Geschäft des jüdischen Händlers Jakob Grünebaum als Gehilfe tätig zu sein. Nach Angabe von Buck / Niemann wohnte er spätestens seit 1929 wieder in seinem Elterhaus und man muss annehmen, dass er von da an auch im Betrieb des Vaters beschäftigt war.[16] Recht spät, er war schon 31 Jahre alt, heiratete er am 11. Oktober 1932 in Montabaur die von dort stammende Erna Kahn.[17] Eine nähere verwandtschaftliche Verbindung zwischen den beiden Kahn-Familien ist nicht bekannt. Erna war am 18. Dezember 1908 als Tochter von Albert und Sybilla / Sibilla, genannt Billa Kahn, geborene Wolff, zur Welt gekommen.[18] Sie war das älteste von drei Kindern des Paares und die einzige Tochter. Ihre beiden Brüder Ernst David und Werner Isaak waren am 19. Oktober 1910 bzw. am 17. September 1916 geboren worden.[19]
Die Nationalsozialisten waren schon ein gutes halbes Jahr an der Macht, als am 5. August 1933 Julius und Erna Kahn in Wiesbaden ihr erstes und auch einziges Kind geboren wurde, das den Namen Bertel Lore erhielt.[20] Wenige Monate zuvor hatten die Eltern erfahren müssen, dass sie trotz ihrer Verwurzelung in dem Städtchen auf einmal – man muss sagen – wieder zu den Ausgegrenzten gehörten, deren wirtschaftliche Existenz man mit dem organisierten Boykott Anfang April 1933 zunichte machen wollte. Im Fokus dieser Hetzkampagne standen, wie anderenorts im ländlichen Raum auch, besonders die Viehhändler. Beim April-Boykott war noch Max Kahn, der Vater von Julius, der Inhaber des Betriebs gewesen. Am 22. Mai 1935 übertrug er ihn dann auf seinen ältesten Sohn, der ihn am gleichen Tag auf seinen Namen im Gewerberegister anmeldete.[21] Nur wenige Wochen später erhielt das zuständige Finanzamt eine Anfrage aus Frankfurt, vermutlich von der Devisenstelle, ob der Viehhändler Julius Kahn „in steuerlicher Beziehung als zuverlässig“ gelte, „sowohl hinsichtlich der pünktlichen Bezahlung der Steuern als auch wegen der Angaben in den Steuererklärungen“.[22] Die implizite Unterstellung, dass ein jüdischer Viehhändler ganz sicher kein ehrlicher Steuerzahler sein könne, ging einher mit einer von der ‚Idsteiner Zeitung’ im Juli angeheizten Kampagne, in der das Blatt sich der angeblich von den Juden „begaunerten“ deutschen Bauern annahm:
„Deutsche Bauern!
Noch immer seid ihr begaunert und beschwindelt worden, wenn ihr mit den Juden gehandelt habt. Noch immer gibt es Bauern, die nicht wissen, dass der Jude der Totengräber des deutschen Bauerntums war. Deutsche Jungbauern! Wollt ihr mit zusehen, dass Euch Euer Erbe, welches Eure Väter mit Mühe und Arbeit zusammenschafften, der jüdischen Gier zum Opfer fällt. Erst dann habt Ihr immer den Juden erkannt, wenn er bereits Euer Besitztum als sein Eigentum an sich erschwindelt hatte.“[23]
Der für die Region wichtige Viehmarkt in Altenburg wurde als „judenfrei“ erklärt und auch sonst wurden die jüdischen Viehhändler auf verschiedenste Weise bei ihrer Geschäftstätigkeit behindert. Treue, nichtjüdische Kunden wurden registriert und angefeindet. Auch die Steuerbehörde, die bei der ersten Anfrage noch nichts Negatives über Julius Kahn zu berichten wusste, begann schon 1935 mit ihren diskriminierenden Eingriffen. Sein Antrag auf Ausstellung eines Viehhändlerausweises war von der Landesbauernschaft abgelehnt worden, sodass er nun nur mit einem besonderen Straßensteuerheft des Finanzamts überhaupt noch Handel treiben konnte. Jeder Umsatz musste in diesem Heft eingetragen werden und – was die eigentliche Diskriminierung war -, die Herausgabe des Heftes war mit einer Steuervorauszahlung verbunden. Bis Ende 1936 hatte Julius Kahn ein solches Heft beim Finanzamt noch nicht abgeholt, sich dann aber nach einer Mahnung der Behörde doch dieser Maßnahme gebeugt. Die Umsatzzahlen, die er nach der Übernahme des Geschäfts angab, beliefen sich 1935 auf rund 25.000 RM, 1936 auf 36.800 RM und dann 1937 auf nur noch 12.500 RM.[24]
Im Sommer 1936 standen zudem die Steuerprüfer vor der Tür von Julius Kahn. Ob man dem Steuerpflichtigen den Termin nicht gemeldet hatte oder ob dieser seinen geplanten Markbesuch für wichtiger erachtete, ist nicht zu sagen, auf jeden Fall befanden sich sowohl Julius als auch sein Vater Max Kahn an diesem Tag auf dem Koblenzer Nutzviehmarkt und konnten nicht befragt werden, wie es in dem Bericht heißt. An den zuvor angegebenen Umsätzen gab es dennoch nichts zu bemängeln, was selbstverständlich den prinzipiellen Zweifel an der Steuerehrlichkeit eines Juden nicht in Frage stellte. Man musste zugeben, dass die gemachte Angabe über die Umsätze „zutreffend sein dürfte“.
Über den Umfang der Geschäftstätigkeit erfährt man darin zudem, dass „das Vieh bei den Landwirten der Umgebung gekauft (wird), um es auf den Schlachtviehmarkt (sic!) in Limburg oder Wiesbaden bzw. den Nutzviehmärkten in Coblenz und Gießen u. a. wieder zu veräußern. Z. T. wird auch auf Märkten Vieh aufgekauft, um es an Landwirte der Umgegend wieder abzusetzen. Fremde Personen werden nur aushilfsweise beschäftigt. Das Wohngebäude nebst Stallungen gehört noch dem Vater Max Kahn.“[25]
Welch eine große Region zum Handelsgebiet der Kahns gehörte, kann man aus der Entfernung zwischen den beiden genannten Märkten Gießen und Koblenz ersehen, die in einer Distanz von etwa 100 km voneinander entfernt liegen.
Dennoch war der Niedergang des Handelsgeschäfts nicht mehr aufzuhalten. Hatte Julius Kahn 1935 noch rund 1.000 RM Einkommensteuer zahlen müssen, so rangierte er im folgenden Jahr schon unterhalb der steuerpflichtigen Grenze. 1937 musste er dann noch einmal 250 RM zahlen.[26] Man war bei der Steuerschätzung für die Einkommensteuer willkürlich von einem Einkommen ausgegangen, das bei 5 Prozent des Umsatzes lag. Im Jahr zuvor hatte man nur drei Prozent angesetzt. In zwei Briefen stellte Julius Kahn gegenüber dem Finanzamt seine finanzielle Lage dar und bat um eine Neuberechnung der Steuerschuld:
“Inzwischen ist die Lage im Viehhandel bei uns noch trostloser geworden & jede Mark die unter solchen Verhältnissen gezahlt werden muß, tut bitter weh, weil sie von der letzten Substanz genommen werden muß.“[27] Als er daraufhin keine Reaktion erhielt versuchte er es im September mit einem weiteren Schreiben. Darin erwähnte er auch einen Kredit, der auf den Namen seines Vaters laufen musste, weil die Vereinsbank keine Juden mehr neu aufnehmen würde. Es seien aber faktisch seine Schulden, für die er auch die Zinsen zahlen müsse. Zudem wies er darauf hin, dass er seine völlig mittellosen Eltern zu versorgen habe, die beide über 62 Jahre alt seien.[28] Genutzt hat auch der zweite Brief freilich nichts. Zum 30. September 1938 gab Julius Kahn den Betrieb auf, der vielen Generationen der Familie als Lebensgrundlage gedient hatte.[29]
Die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz war das eine, die Bedrohung von Leib und Leben das andere. Schon im August 1936 hatten unbekannte Täter Häuser von jüdischen Familien angegriffen und die Fensterscheiben eingeworfen, darunter auch die des Hauses von Max Kahn in der Rodergasse 3. Schuldige wurden nie gefunden. Im Oktober folge ein weiterer Anschlag dieser Art auf das Haus des Kaufmanns Eduard Strauß. [30]
Es gab in Idstein somit eine Pogromstimmung lange bevor der gewaltsame Tod des Botschaftssekretärs vom Rath auch dort zum Anlass genommen wurde, auf brutalste Weise gegen die in der Stadt noch lebenden jüdischen Mitbürger loszuschlagen.
Noch in der Nacht erreichten die Befehle aus München, eine „spontane“ Erhebung des deutschen Volkes gegen die Juden zu organisieren, auch die Brigade 150 der SA in Mainz. Die Anweisungen, alle im Standartenbereich befindlichen Synagogen zu zerstören, wurden fernmündlich an die SA-Standarte 224 und an den Befehlshaber Emil Gethöffer des Sturms 26 in Idstein weitergeleitet. Der trommelte seine Truppe zusammen und machte sich mit ihr, alle in Zivil gekleidet, zunächst nach Rüdesheim, dann nach Geisenheim auf, um die dortigen Gotteshäuser anzuzünden. Danach ging es zurück nach Idstein, wo man aber von der Inbrandsetzung der Synagoge abließ, weil dadurch möglicherweise die gesamte Altstadt gefährdet worden wäre. Man „begnügte“ sich damit, alles aus dem Gebäude herauszuholen: Andachtsbücher, Betstühle und die gesamte Inneneinrichtung flogen durch die schon zerschlagenen Fenster. Alles wurde anschließend unter den Augen der inzwischen herbeigeströmten Einwohner zum Markt gefahren und angezündet. Der Bürgermeister, der die Gewalt eingrenzen wollte, wandte sich an den Landrat, um Polizeiverstärkung anzufordern, wurde aber abgewiesen, da von oben angeordnet sei, dass die Aktionen zu dulden seien und die Polizei nicht einschreiten solle.
Nach diesem nächtlichen Exzess in der Synagoge richtete sich nachmittags die Gewalt des Mobs gegen die jüdischen Bewohner Idsteins und ihre Geschäfte. Am späten Abend zuvor, am 9. November um 23.07 Uhr, war von der Polizei in Rüdesheim noch die Meldung an die Bürgermeister des Kreises mit der Maßgabe, sie an den Landrat, die zuständigen Partei- und SA-Stellen weiterzuleiten, mit dem folgenden Inhalt ergangen. „Ausschreitungen gegen Juden auch Sachschaden sind unbedingt zu verhindern“. Derartige Vorfälle seien an die Regierung zu melden.[31] Am frühen Morgen des 10. November kam um 6.14 Uhr dann die Korrektur:
“An Alle
In Abänderung der gegebenen Weisung sind Brandschäden, Plünderungen und Personenschaden zu verhindern. Im Übrigen besteht Handlungsfreiheit gegen Eigentum deutscher Juden. Zur Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit sind heute bei Geschäftsbeginn alle jüdischen Ladengeschäfte und Wirtschaften bis auf Weiteres polizeilich zu schließen.
Regierungspräsident Wiesbaden
Im Auftrag: Major Müller“[32]
Damit war mehr oder weniger freie Hand für das Zerstörungswerk gegeben. In einem vertraulichen Schnellbrief hatte der Regierungspräsident am folgenden Tag die Landräte dazu aufgefordert, ihm genaue Schadensmeldungen zu übermitteln,[33] die diese dann wiederum von den jeweiligen Bürgermeistern einholten. Der Bürgermeister von Idstein meldete wiederum am folgenden Tag, dem am 12. November, den Umfang der Zerstörungen in seiner Stadt an den Landrat. Überall war Mobiliar zertrümmert worden, Türen und Fenster hatte man zerschlagen, Lebensmittel und Eingemachtes auf den Boden entleert und Wäsche sowie Kleidung zerrissen. Der schlimmste Schaden war nach Auskunft des Bürgermeisters bei Julius Kahn angerichtet worden.[34]
Wie überall erfolgte auch in Idstein auf die Zerstörungen die angeordnete Verhaftung der jüdischen Männer.[35] Zunächst waren die meisten bis zum nächsten Morgen in einem kommunalen Gebäude in „Schutzhaft“ genommen und von SA-, SS- und Feuerwehrleuten bewacht worden. Nicht inhaftiert waren offensichtlich Kahns, denn über sie schreibt der Berichterstatter, „Die Familie Max Kahn ist seit Beginn der Aktion mit unbekanntem Aufenthalt flüchtig.“[36] Darüber, wo sich die geflohenen Mitglieder damals aufhielten, gibt es keine verlässlichen Informationen, aber es scheint so, als seien sie nach Wiesbaden entkommen, wo Emil Kahn, der Bruder von Max, mit seiner Frau Karoline, genannt Kätchen, wohnte.
Emil Kahn war am 14. Februar 1873 in Idstein, seine Frau Karoline, die Tochter von Isaac und Hannchen Moses, geborene Bauer, war am 29. November 1872 in Betziesdorf bei Marburg geboren worden. Dort hatten die beiden am 14. Februar 1897, dem 24sten Geburtstag von Emil, geheiratet.[37] Das Paar hatte ursprünglich in Selters an der Lahn gelebt, wo auch sie über viele Jahre mit großem Erfolg einen Viehhandelsbetrieb führten.
Emil hatte nach dem Besuch der Volksschule in Idstein schon mit zwölf Jahren in Selters eine Lehre im Viehhandel begonnen und war nach dem erfolgreichen Abschluss nach Mogendorf bei Montabaur gegangen, um dort den Betrieb seines Onkels zu übernehmen. Zusammen mit seiner Frau zog er 1900 wieder nach Selters, um einen eigenen Betrieb aufzubauen. Neben dem Handel, trugen auch die eigene Viehzucht und der Verkauf von Milch zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Das eigene große Haus, bestehend aus acht gut eingerichteten Zimmern, und eigene Ländereien belegen den gediegenen Wohlstand der Familie.[38] Auch die Gefangenschaft während des Ersten Weltkriegs in Frankreich, aus der er erst 1920 wieder zurückkam, konnte diese positive Entwicklung nicht aufhalten. In Mogendorf waren zuvor die beiden Kinder des Paares geboren worden, Cäcilia am 1. Oktober 1897 und Julius, der nach Angabe seiner Schwester allerdings nur 11 Jahre alt wurde, um 1900.[39] In Selters heiratete die Tochter Cäcilie am 14. Dezember 1923 den aus Nentershausen stammenden Jacob Oppenheim.[40] Anschließend zogen sie nach Wiesbaden Biebrich, wo dann auch ihre ersten beiden Kinder geboren wurden, zunächst Ernst Julius am 14. Oktober 1924 und Doris am 15. Mai 1928.[41]
Die Familie der Tochter war dann für deren Eltern die Anlaufstelle, als im Laufe der dreißiger Jahre das Leben für Juden auch in Selters unerträglich wurde. Der dortige Boykott traf den Betrieb von Emil Kahn mit voller Härte. Schon 1936 konnte er kein Einkommen mehr erzielen und entschloss sich deshalb, den Betrieb aufzugeben und im März nach Wiesbaden zu seiner Tochter zu ziehen.[42]
Wie überall verließen die Juden, wenn sie nur konnten, ihre angestammten Wohnsitze im ländlichen Raum und zogen in der irrigen Hoffnung, die Anonymität würde sie schützen, in die nächst größeren Städte. Als dann im November 1938 auch die Familie seines Bruders Max ihre Heimatstadt verlassen musste, wurden Emil und Kätchen Kahn in Wiesbaden für sie zur ersten Anlaufstelle auf ihrer letztlich vergeblichen Flucht. Denn in Idstein bleiben wollten Max und Bertha Kahn nach den Ereignissen im November nicht länger, zumal die ‚Idsteiner Zeitung’, die schon all die Jahre auf übelste Weise gegen die Juden gehetzt hatte, auch nach dem grässlichen Pogrom nicht zur Mäßigung aufrief, sondern weiter Öl ins Feuer goss:
„Die Maßnahmen, die jetzt gegen das Judentum ergriffen werden, sind gewiß sehr hart, aber sie sind notwendig und gerecht. Man komme jetzt nur nicht mehr mit sentimentalen Anwandlungen. Wenn uns die weitesten Kreise des Auslandes die gewaltigen Erfolge nationalsozialistischer Politik neiden, so hat das auch darin seinen Grund, daß die seelische Haltung des nationalsozialistisch gewordenen Volkes eine soldatische ist. Zum Soldatentum gehört auch mitleidlose Härte, wenn es um den Enderfolg und um das Wohlergehen der Nation geht. Juda ist aber nun einmal überall in der Welt ein schmarotzender Parasit und ein ekelhafter Krankheitserreger. Wie der Arzt den krankheitserregenden Bazillen und Bakterien im menschlichen Körper mit Gift zu Leibe rückt, so muß auch eine verantwortungsvolle Regierung die Schmarotzer mitleidlos bekämpfen.“[43]
Im Januar 1939 waren in Idstein nur noch die Familie Lahnstein und Jonas Blum als jüdische Einwohner registriert,[44] nachdem sich am 7. Dezember auch Julius Kahn mit seiner Frau und seiner 5jährigen Tochter offiziell in Idstein abgemeldet hatten. Ob er und sein Vater nach den Novemberereignissen überhaupt noch einmal zurückgekommen waren, ist ungewiss.[45] Zumindest hatte Max Kahn im Zusammenhang mit seiner Auswanderung in einem Formular eingetragen, dass er ab dem 10. November 1938 in Wiesbaden gewohnt habe.[46] Auf seiner Gestapokarteikarte steht als erste Adresse in Wiesbaden allerdings mit dem Zugangsdatum 20. Dezember 1938 die Anschrift seines Bruders in der Schiersteiner Str. 3, entsprechend mit dem Zusatz „bei Kahn“. Es kann sich damals nur um eine Übergangslösung gehandelt haben, denn Emil und Kätchen Kahn hatten nur eine Zwei-Zimmer-Wohnung angemietet.
Auf der Devisenakte von Max Kahn ist zwar als erste Adresse der Kaiser-Friedrich-Ring 80 angeben, wo die Familie seines Sohnes zum Jahreswechsel eingezogen war, aber vermutlich hatte Max Kahn der Devisenstelle den provisorischen Aufenthalt bei seinem Bruder gar nicht erst mitgeteilt, sondern stattdessen nur die Anschrift seines Sohnes. Ob er aber bei diesem tatsächlich einzog, ist insofern fraglich, weil er schon am 3. Januar 1939, so der Eintrag auf seiner Gestapokarteikarte, in die Eckernförder Str. 21 zog, wo er dann bis zu seiner Ausreise wohnen blieb. Diese Anschrift war dann auch als zweite und letzte auf dem Deckblatt seiner Devisenakte eingetragen worden.[47]
Möglicherweise hatte auch die Familie von Julius Kahn die ersten Tage bei Leopold Kahn, vielleicht auch bei der Familie der Cousine Cäcilie Oppenheim verbracht, bevor sie die Wohnung im Haus des Ehepaars Selig am Kaiser-Friedrich-Ring 80 im vierten Stock erhielt. Wann genau sie mit ihrem Umzugsgut, das sie sicher nach dem Pogrom nicht gleich mit nach Wiesbaden genommen hatte, im Haus am Ring einzog, ist auf der Gestapokarteikarte nicht vermerkt. Sicher ist aber, dass das Haus zum Zeitpunkt des Umzugs noch nicht zu einem Judenhaus erklärt worden war.
Das Haus in der Idsteiner Roderstr. 3, das bisher dem Vater Max und der Familie von Julius Kahn als Unterkunft gedient hatte, war faktisch unbewohnbar geworden, nicht nur weil es seine eigentliche Funktion, einen Schutzraum zu bieten, nicht mehr einlösen konnte, sondern auch weil das Inventar weitgehend zerstört war. Ob man daher aus Idstein noch viel hatte mitnehmen können, ist eher fraglich. Zerstört war das Mobiliar von insgesamt vier Schlafzimmern und zwei Wohnzimmern, der Küche mit dem Geschirr und die gesamte Wäscheausstattung. Schmuck im Wert von etwa 750 RM war ebenfalls verschwunden. Insgesamt wurde der Schaden auf mehr als 8.000 RM beziffert.[48] Was noch verwertbar war, wurde vermutlich verschleudert. Dafür setzte die Entschädigungsbehörde später einen Betrag von etwa 600 bis 800 RM fest. Neben dem Schaden im Haus war auch das gesamte Inventar des Geschäfts, das allerdings zumeist schon älter gewesen sein soll, zerstört worden.
Innerhalb von nur zwei Wochen hatten Kahns mit dem Idsteiner Landwirt Hermann Schütz, einem Nachbarn, jemanden gefunden, der das Haus, das seit 1771 im Besitz der Familie gewesen war, zum Preis von 8.500 RM für seinen Sohn, den Schuster Karl Schütz, erwarb. Der Käufer übernahm die Hypothek von 5.350 RM, die auf dem Besitz lastete, sodass für die Kahns noch 3.150 RM blieben, die auf ein gesichertes Konto eingezahlt werden mussten.[49]
Nach ihrer Übersiedlung in den Kaiser-Friedrich-Ring 80 wurde bei der Devisenstelle in Frankfurt eine neue Kontrollakte angelegt, aus deren erster Seite hervorgeht, dass der Restbetrag der Kaufsumme nach der Genehmigung des Kaufvertrags tatsächlich auf dem Konto von Julius Kahn eingegangen war. Die Nassauische Landesbank fragte am 5. August 1939 bei der Devisenstelle an, ob sie von diesem Geld monatlich 500 RM an Julius Kahn auszahlen dürfe. Der hatte um diese monatliche Summe gebeten, um damit den Lebensunterhalt für den vierköpfigen Haushalt – offensichtlich zählte der Vater Max Kahn dazu – finanzieren zu können. Die Mietkosten betrugen damals 60 RM im Monat. Zudem benötigte er einmalig weitere 500 RM zur Begleichung diverser Rechnungen, die vermutlich noch aus dem Umzug resultierten.[50] Die Anfrage wurde von der Frankfurter Behörde in allen Punkten positiv beschieden, allerdings forderte sie wenige Tage später von Julius Kahn eine genaue Aufstellung seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse. Noch am selben Tag schrieb dieser zurück, dass er von dem Erlös des Hauses noch 2.630 RM besitze.[51] Bis die Devisenstelle dann eine JS-Mappe zur Kontrolle seines kleinen Vermögens anlegte, verging noch einmal ein halbes Jahr. Der zunächst vorläufig auf 300 RM reduzierte Freibetrag wurde drei Wochen später bestätigt.[52] Grundlage dafür war die Vermögenserklärung, die er im März 1940 erneut hatte abgeben müssen, diesmal auf einem inzwischen vereinheitlichten Formblatt. Neben 1.500 RM, die noch auf seinem Konto lagen, gab er als weitere Vermögenswerte nur noch Außenstände in der Höhe von knapp 1.900 RM an, notierte aber, dass die zum Teil bestritten würden. Seine monatlichen Kosten bezifferte er auf 300 RM.[53]
In seiner Vermögenserklärung hatte Julius Kahn zudem angegeben, dass er über ein Jahreseinkommen von 1.000 RM verfügen könne. Aus einem weiteren Briefwechsel mit der Devisenstelle ergibt sich, dass er sich dieses Einkommen als Zwangsarbeiter bei der Limburger Baufirma ‚W & J Scheid’ verdiente, die in Wiesbaden und Umgebung mit umfangreichen Straßenbaumaßnahmen beauftragt war.[54] In Wiesbaden befand sich auch die Arbeitsstelle von Julius Kahn. Wie lange er bei ‚W & J Scheid’ angestellt war, die viele solcher Arbeitsverhältnisse unterhielt, ist nicht bekannt. Immerhin genehmigte ihm die Devisenstelle trotz der im März erlassenen Sicherungsanordnung, seinen Wochenlohn von 25 bis 30 RM in bar entgegennehmen zu dürfen, nachdem es Verzögerungen bei den Überweisungen gegeben hatte.[55]
Aus einer Liste, in der der freigewordene Wohnraum nach der Deportation vom 10. Juni 1942 verzeichnet wurde, ergibt sich, dass die dreiköpfige Familie Kahn zunächst eine 2-Zimmer-Wohnung mit Küche im vierten Stock des Hauses bewohnte und dafür 60,66 RM an Miete bezahlte. Zudem ist vermerkt, dass sie diese Wohnung mit Frau Briefwechsler und deren Sohn Walter teilen musste. Die beiden waren am 31. Oktober 1941 eingezogen, sodass es spätestens ab diesem Zeitpunkt recht eng in der Wohnung geworden sein muss.[56] Mehr konnte über die dreieinhalb Jahre, die die Familie Kahn im Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 80 zubringen musste, nicht in Erfahrung gebracht werden.
Sie gehörten zu den 361 Jüdinnen und Juden, die am 10. Juni 1942 an der Viehverladestation des Wiesbadener Bahnhofs den Zug besteigen mussten, der sie nach Lublin in das sogenannte Generalgouvernement brachte. Auf dem dortigen Bahnhof wurde eine größere Zahl arbeitsfähiger Männer selektiert, die als Arbeitskräfte beim Aufbau des Konzentrationslagers Majdanek eingesetzt wurden. Zu ihnen gehörte auch der 41jährige Julius Kahn, dem man dort die Häftlingsnummer 11280 gab. Ob er dort an der harten Arbeit zugrunde ging, einer Krankheit zum Opfer fiel oder durch unmittelbare Gewalt zu Tode kam, ist nicht bekannt, gewiss ist allerdings, dass er schon nach einem knappen Vierteljahr, am 25. August 1942, dort sein Leben verlor.[57]
Seine Frau Erna und seine 8jährige Tochter Lore brachte der Zug von Lublin aus weiter in das Vernichtungslager Sobibor, wo beide vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft im Gas ermordet wurden. Weil ihr genauer Todestag nicht bekannt war, wurde er amtlicherseits auf den 8. Mai 1945 festgelegt.[58]
Am 15. Juli 1942 wurde dann das noch vorhandene Vermögen der Kahns – es kann nicht mehr viel gewesen sein – vom Deutschen Reich eingezogen.[59]
Ida Gottschalk, geborene Kahn, und ihre Familie
Aus dem engeren Familienkreis von Julius Kahn wurde auch seine jüngere Schwester Ida und ihr Mann Emil Opfer der Shoa, aber immerhin gelang es ihnen, ihren Sohn Ernst zu retten.
Ida hatte nach Geilenkirchen in eine der großen jüdischen Familien der Stadt mit Namen Gottschalk eingeheiratet. Emil Gottschalk, geboren am 30. Juli 1894, war der Sohn von Leopold Samuel und Zerlina Gottschalk, geborene Daniel.[60] Wann die Ehe geschlossen wurde, konnte nicht ermittelt werden, aber vermutlich war sie über die beruflichen Verbindungen zustande gekommen, denn Emil Gottschalk betrieb im Zentrum seiner Heimatstadt Geilenkirchen eine Metzgerei. Obwohl er selbst aus einer sehr strengen orthodoxen Familie stammte und sich selbst auch strikt an die Speiseregeln hielt, verkaufte er Fleisch, das nicht koscher war. Für seinen eigenen Konsum bezog er dieses von anderen jüdischen Metzgern.
Am 12. Dezember 1931 wurde Ida und Emil Gottschalk in Geilenkirchen ihr einziges Kind, der Sohn Ernst, geboren.[61] In dem großen Haus an der heutigen Konrad-Adenauer-Straße 124, in dem das Ladengeschäft und auch die Schlachterei untergebracht waren, wuchs der Junge auf.[62] Sein Vater, stolzer Träger des Eisernen Kreuzes aus dem Ersten Weltkrieg und in der Stadt eine Respektsperson, befolgte nicht nur die Regeln des orthodoxen Judentums aufs Genaueste, auch sein Erziehungsstil war geprägt von den autoritären Vorstellungen der damaligen Zeit.
Gleichwohl erlebte Ernst – zumindest in der Erinnerung – eine glückliche Kindheit, die aber mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten jäh zu Ende ging. Nur etwas länger als ein Jahr konnte er noch die öffentliche Schule besuchen, dann, nach der Reichspogromnacht, bei der der Vater geschlagen wurde, ergriff die Familie sofort die Flucht nach Belgien, wo bereits eine Schwester von Emil Gottschalk, Carola Kassman, lebte. Eine Arbeitserlaubnis hatte der Vater dort nicht, aber Ida Gottschalk hielt die Familie mit dem Verkauf von Kuchen notdürftig am Leben. Später konnten sie dieses kleine Geschäft in Hasselt zu einem Lebensmittelladen erweitern. Es sei trotz aller Not eine recht gute Zeit gewesen, so Ernst, und er habe auch zwei weitere Jahre dort die Schule besuchen können. Mit dem Überfall der deutschen Truppen im Mai 1940 ging dann diese trotz allem relativ sichere Phase zu Ende. Der Vater wurde als Angehöriger eines Feindstaats verhaftet und zunächst nach Brüssel verbracht, wohin ihm seine Frau und ihr Sohn folgten, noch in der Hoffnung, von dort gemeinsam in die USA auswandern zu können. Diese Pläne zerschlugen sich schnell, denn die Familie wurde stattdessen im französischen Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen interniert, die Männer in einem, die Frauen mit ihren Kindern in einem anderen Bereich. Überall herrschten schlimmste Bedingungen. Kälte und Hunger waren die ständigen Begleiter. Aber immerhin war es möglich, sich dort gegenseitig zu besuchen.
Endgültig zerschlugen sich die Auswanderungspläne, als sich Emil Gottschalk im Lager ein Bein brach und der Bruch, sicher wegen unzureichender Behandlung, nicht heilen wollte. Ein Jahr, bis April 1941, verbrachten sie in Gurs, dann wurden sie aus nicht bekannten Gründen in das etwa 50 km von Perpignan entfernte Lager Rivesaltes verlegt, wo die Lebensbedingungen noch härter und inhumaner waren. Aber bereits in Gurs hatte eine amerikanische Hilfsorganisation der Quäker Kontakt mit den Familien aufgenommen und die Möglichkeit angeboten, wenigstens Kinder in die USA zu bringen. Ida Gottschalk hatte ihren Sohn auf die Liste setzen lassen und tatsächlich war er dann als einer von insgesamt vierzig auch ausgewählt worden. Wann Ernst seinen Vater, der weiterhin in einem Lazarett lag, zum letzten Mal gesehen hat, wusste er später nicht mehr. Die Quäker-Organisation brachte die Kinder Ende April, Anfang Mai 1942 mit einem Zug nach Marseille. Die Mutter konnte auf einem Lastwagen mit anderen Frauen folgen – soviel Freiheit gab es immerhin in dem Lager. In der südfranzösischen Hafenstadt, wo das Schiff lag, das die Kinder zunächst nach Casablanca brachte, kam es zu einem letzten Abschied.
Was dieser Abschied für die Eltern bedeutete, war Ernst erst später klar geworden. Damals genoss der Elfjährige es eher, endlich dem Lager entkommen zu sein und endlich gutes Essen zu erhalten: Weißbrot, was aber keines der Kinder aufgrund der bisherigen miserablen Ernährung vertrug. Er habe eher das Gefühl gehabt, auf eine Urlaubsreise zu gehen, sagte er.
Wahrscheinlich waren die Kinder auch alle damit beruhigt worden, dass die Eltern bald nachkommen würden. Aber das sollte eine Illusion bleiben. Noch 1942 erhielt Ernst in den USA ein Telegramm, in dem es hieß, dass seine Eltern „were moved to …“ , wohin war offen geblieben. Heute weiß man, dass sie sich vermutlich in einem der neun Transporte befanden, die ab Sommer 1942 Rivesaltes verließen, um die Insassen über Drancy nach Auschwitz zu befördern. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz wurde zumindest Ida Gottschalk mit dem Zug, der am 14. August 1942 in Drancy verließ, dorthin deportiert. Über Ihren Mann Emil wird dort nur gesagt, dass er 1942 in Auschwitz ermordet wurde,[63] vielleicht, so vermutete sein Sohn, war er auch schon zuvor seiner Infektion im Lager oder auf dem Transport erlegen. Ende November 1942 wurde Rivesaltes geschlossen.
Nach einem etwa 10tägigen Aufenthalt in Casablanca wurde die Schiffsreise der Evakuierten über Lissabon und den Bermudas nach New York fortgesetzt. Die Betreuung der Kinder lag während der ganzen Fahrt in den Händen der Quäker. In New York übergaben diese dann die Geretteten einer jüdischen Hilfsorganisation, die sie dann an Pflegeeltern, sogenannte ‚Foster-Parents’, weitervermittelte. Zwar lebte sein Onkel Manfred Kahn bereits seit 1938 in New York – er begrüßte seinen Neffen auch bei dessen Ankunft im Hafen -, aber bei ihm konnte er nicht bleiben, da er selbst zwei Kinder und nur eine kleine Wohnung besaß. Ernst, der in den USA den Vornamen Ernest annahm, bekam zunächst eine Familie, bei der er etwa ein Jahr bleiben konnte, bei einer zweiten Familie fühlte er sich sehr unwohl und wechselte bald auf eigenen Wunsch.
Erst in der dritten Familie namens Steinberg, ebenfalls orthodoxe Juden, fühlte er sich als Sohn aufgehoben, fand eine starke Bindung auch an die jüdische Gemeinde und die kultischen Rituale, die ihm zusehends Halt auch für sein Alltagsleben gaben. Bei der Familie blieb er bis zu seinem 18ten Lebensjahr. In der Schule hatte er die anfänglichen Sprachprobleme längst bewältigt und konnte dann problemlos seinen Highschool-Abschluss absolvieren. Ein Verwandter seiner Pflegeeltern, ein Professor, hatte ihn nach seiner Berufsausbildung im Textilsektor zur Weiterbildung an einem College ermuntert. Sein Abschluss am Lowell Technological Institute war dann die Voraussetzung dafür, dass er in einer großen Textilfirma, die ihren Sitz im Empire-State-Building hatte, noch in eine Führungsposition aufsteigen und eine bedeutende Karriere machen konnte.
Am 28. Juni 1959 heiratete er in New York die aus Österreich stammende Hertha Zoller. Ein Jahr später wurde ihnen im Dezember 1960 der Sohn David Emil und 1962 ein weiterer Sohn namens Michael Richard geboren. Beide studierten Jura, gingen aber dann in die Wirtschaft. David hat sein eigenes Unternehmen gegründet und Michael ist ein erfolgreicher Investmentbanker geworden. Mit seiner Frau Jane hat David einen Sohn namens William, Michael mit seiner Frau Caroline ebenfalls einen Sohn, der den Namen Benjamin erhielt. Wahrscheinlich sind beide Familien inzwischen weiter gewachsen und haben so mit dazu beigetragen, dass Hitler mit seinem Plan, die Juden vom Erball auszulöschen, scheiterte. Ernest Gottschalk verstarb am 28. Dezember 2012 im Alter von 81 Jahren an Krebs, wann seine Frau Herta verstarb, ist nicht bekannt.
In Geilenkirchen, dem letzten Wohnort der Gottschalks in Deutschland, gibt es leider noch immer Menschen, offensichtlich Neonazis, die die Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Mitbürger auslöschen wollen, vermutlich auch die Auslöschung der Menschen selbst damals begrüßt hätten. Nicht anders ist es zu verstehen, wenn in den letzten Jahren Stolpersteine, die an die Familien Hertz und Gottschalk erinnern, zum wiederholten Male mit weißer Farbe zur Unkenntlichkeit übersprüht wurden. Selbst hohe Belohnungen, die die Stadt aussetzte, haben bisher nicht zur Entlarvung der Täter geführt.
Max und Emil Kahn
Wo Max Kahn nach der Flucht aus Idstein in Wiesbaden zunächst unterkam, ist, wie bereits dargestellt, nicht ganz klar. Aber seit dem 3. Januar 1939 war er dann in der Eckernförder Str. 21 gemeldet. Wenn Julius Kahn allerdings noch im August 1939 angab, er habe einen vierköpfigen Haushalt zu versorgen,[64] dann ist das sicher so zu verstehen, dass er, wie schon zuvor in Idstein, auch für den mittellosen Vater aufkommen musste. Allerdings enthält auch ein Schreiben der Devisenstelle aus dem Juli 1939 an den Käufer des Idsteiner Hauses noch die ehemalige Anschrift von Max Kahn am Kaiser-Friedrich-Ring. Offenbar hatte man dort den Wohnungswechsel nicht ordnungsgemäß registriert, denn im Mai 1940 fragt die Behörde an, ob er derjenige sei, der früher in Idstein und dann in Wiesbaden am Ring gewohnt habe.[65] Noch verwirrender ist dann, dass die gleiche Behörde bereits zwei Monate zuvor von Max Kahn, wohnhaft in der Eckerförder Str. 21 (!), eine Vermögenserklärung verlangte, seine richtige Adresse also doch bekannt war.[66]
Max Kahn gab in dem beigelegten Formular an, 16,62 RM zu besitzen, er aber zudem Außenstände von 300 RM habe. Seinen monatlichen Bedarf bezifferte er auf 200 RM – 25 RM für Miete, den Rest für den Lebensunterhalt. Die Nassauische Landesbank bestätigte, dass er am 13. März 1940 ein gesichertes Konto bei ihr eingerichtet hatte, von dem er monatlich über einen Freibetrag von 200 RM hätte verfügen können, wenn denn soviel Geld auf dem Konto gewesen wäre.[67] Auf einem Formular, gerichtet an die Devisenstelle, schrieb er am 14. Juni 1941: „Ich bestreite meinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen von verwandter Seite.“[68]
Bei dem genannten Formular handelte es sich um den „Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut“. Max Kahn hatte Dank der Mithilfe seines bereits in die USA emigrierten Sohnes Manfred noch spät einen Weg gefunden, um Deutschland zu verlassen. Spätestens seit dem Frühjahr 1941 hatten seine Auswanderungspläne konkrete Gestalt angenommen, denn im März beantragte er eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung. Auch darin war vermerkt, dass er ohne Vermögen und Einkommen sei, weshalb er steuerlich auch nicht veranlagt würde.[69] Wahrscheinlich war er im Alltag bisher auch von seinem Sohn Julius unterstützt worden, aber in einem Schreiben, in dem er die Ausstellung seines Reisepasses beantrage, gab er an, von wessen Geld er bisher primär gelebt hatte: „Meinen Lebensunterhalt habe ich mit Zuwendungen meines Bruders und meines Neffen, die beide im Ausland sind, bestritten.“[70]Ob das Geld von deren Ausländersperrguthaben abgebucht werden konnte oder durch Überweisungen aus dem Ausland in seine Hände gelangte, was eher unwahrscheinlich ist, lässt sich auf Basis der vorhandenen Dokumente nicht sagen.
Am 14. Juni 1941 reichte er die Listen mit dem Umzugsgut – nur wenige Koffer mit Kleidung und Alltagsgebrauchsgegenständen – bei der Devisenstelle ein. Drei Tage später waren diese von der Gestapo überprüft und ohne Streichungen akzeptiert worden.[71]
Einen Tag später erhielt er die Bestätigung, dass auf seinen Namen eine Passage auf dem Schiff „Nevemar“ gebucht sei, das am 10. Juli 1940 vom spanischen Cadiz aus New York ansteuern sollte. Der Gesamtbetrag von 484 Dollar, der von Manfred Kahn eingezahlt worden war, beinhaltete auch eine amerikanische Steuer von 8 Dollar, Aufenthalts- und Bordgeld von 20 Dollar und eine Abgabe an den ‚Hilfsverein-Transport’ von 42 Dollar.[72]
Über sein Leben in Amerika ist nicht sehr viel bekannt. Sein Enkel Ernest, der ihn oft an den Wochenenden in seiner Wohnung im New Yorker Stadtteil Washington Heights besuchte, erzählte, dass der Großvater mit einer Art Rucksack durch die Stadt zog und Würstchen verkaufte. Oft sei er aber mit ihm auch in Cafes oder in die Wohnungen von Freunden gegangen, wo diese miteinander diskutierten, Karten spielten, Zeitungen lasen oder sich anderweitig vergnügten. Auch mit seinem Sohn Manfred und dessen Familie habe man sich öfters getroffen, gerade an Sonntagen auch gemeinsam gegessen. Ob der Kontakt wenigstens bis zum Jahresende 1941, dem Eintritt der Amerikaner in den Krieg, mit seiner in Wiesbaden verbliebenen Familie aufrechterhalten werden konnte, ist nicht bekannt, auch nicht, wann genau Max Kahn von deren Schicksal erfahren hatte.
Die übrigen Familienangehörigen scheinen damals alle in Verbindung miteinander gestanden zu haben. Ihre Namen stehen alle auf der Todesanzeige, die die noch lebenden Kinder von Max Kahn anlässlich seines Todes am 1. März 1947 in New York in der deutschen Exilzeitung „Aufbau“ vom 7. März aufgegeben hatten.
Sowohl der Name seines Bruders Emil und der seiner Schwägerin Kätchen ist mit der Ortsangabe La Paz, Bolivien darauf zu finden, wie auch der seiner Nichte Cilly und deren Mann Jacob Oppenheim. Letztere waren die ersten aus der Familie, die Wiesbaden, wo sie zuletzt in der Rückertstr. 1 wohnten, verlassen hatten. Am 15. Januar 1939, so ist auf ihrer Gestapokarteikarte zu lesen, meldete sich die vierköpfige Familie nach Amsterdam, Haagestraet 9, ab. Von dort müssen sie zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach England übergesetzt haben. Im April desselben Jahres bestiegen sie in Southampton die ‚SS President Roosevelt’, mit der sie am 23. April in New York ankamen,[73] wo sie sich dann auch niederließen.
Von dort aus versuchte Cäcilie Oppenheim ihre Eltern Emil und Kätchen Kahn nachzuholen, die beim amerikanischen Konsulat in Stuttgart Visen für ihre Auswanderung beantragt hatten. Allerdings war die Zuteilungsnummer so hoch, dass sie kaum mehr eine Chance zur Emigration gehabt hätten. Aus diesem Grund entschlossen sie sich den Umweg über Bolivien zu nehmen, dem Land, dass damals landwirtschaftliche Arbeitskräfte noch relativ großzügig in das Land aufnahm. Im Frühjahr 1940 hatten sie die entsprechenden Formulare ausgefüllt, die notwendige steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Zuteilung eines Reisepasses erhalten,[74] am 14. März eine Dego-Abgabe über 100 RM geleistet und der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt drei Koffer mit Kleidung gespendet.[75] Die Umzugsliste mit der Bitte um bevorzugte Behandlung versehen, reichte Emil Kahn am 5. März ein, da die Abreise bereits am 21. März 1940 von Genua aus erfolgen solle.[76]
Im Zusammenhang mit der Auswanderung hatte er noch einmal seine finanziellen Verhältnisse zu offenbaren. Er gab an, noch etwa 8.500 RM in Form von Guthaben, Wertpapieren und Hypotheken and anderen Forderungen zu besitzen. Nach Auskunft seiner Tochter hatten die Eltern nach ihrem Umzug nach Wiesbaden ihr Haus in Selters verkauft und von dem Erlös ihren Lebensunterhalt finanziert. Vermutlich stammte das noch vorhandene Vermögen zumindest zum Teil aus dieser Einnahme. Auch konnte Emil Kahn die Fahrt bis nach Genua noch mit Reichsmark bezahlen, für die Weiterreise nach Südamerika benötigte er aber Devisen, weshalb sein Schwiegersohn in den USA dort die Tickets kaufen musste.[77]
In seiner letzten Vermögenserklärung verwies er allerdings auch auf Schulden in der Höhe von 3.000 RM.[78] Zwar entspricht diese Summe genau der fünf Raten, die man von ihm als Judenvermögensabgabe verlangt hatte, aber andererseits ist es eher unwahrscheinlich, dass diese bis März 1940 noch nicht eingezogen worden war. Da die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt wurde, muss auch die sogenannte „Sühneleistung“ zuvor beglichen worden sein. [79] Das noch vorhandene Vermögen, so muss man vermuten, verfiel bei Grenzübertritt dem Deutschen Reich.
Außer Kleidung und Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs konnten Emil Kahn und seine Frau nichts mit in ihr Exil nehmen, denn die umfangreiche Einrichtung ihres früheren Hauses in Selters war schon beim Verkauf der Immobilie verschleudert worden und auch ihre Wiesbadener Möbel hatten sie zurücklassen müssen.[80]
In Bolivien waren die alten und kränklichen Eltern weiterhin auf die Unterstützung ihrer Tochter bzw. ihres Schwiegersohns angewiesen.[81] Ein Neuanfang in seiner Branche als Viehhändler war auch für Emil Kahn nicht möglich, weil ihm zum einen die dafür notwendigen Sprachkenntnisse, aber noch mehr das entsprechende Kapital fehlten. Die Hoffnung, noch in die USA zur Tochter zu kommen, zerschlug sich auch wegen des schlechten Gesundheitszustands der beiden. Emil Kahn verstarb in La Paz am 11. Oktober 1950, seine Frau, die nach seinem Tod in ein Altersheim gezogen war, am 28. Januar 1957 an ihrem letzten Wohnsitz im bolivianischen Cocha Bamba.[82]
Manfred Kahn
Manfred Kahn, der nach Julius zweitälteste Sohn, war derjenige, der dem Vater noch ein paar schöne Jahre im amerikanischen Exil ermöglicht hatte. Er war schon am 1. August 1938 in den USA angekommen, weil sich schon damals, noch vor der Pogromnacht abzeichnete, dass er in Deutschland keine beruflichen Chancen mehr haben würde. Nach dem Besuch der Grund- und Realschule in Idstein, war er 1922 noch auf die Wiesbadener Oberrealschule, die heutige Leibnitzschule, gewechselt, die er aber im folgenden Jahr mit der Obersekundareife wieder verließ. Noch im gleichen Jahr begann er eine dreijährige Lehre bei der Firma ‚A. M. Schiff’ in Frankfurt, die in der Lederbranche aktiv war. Auch nach seinem erfolgreichen Lehrabschluss konnte er dort bleiben und als Verkäufer im Geschäft am Bahnhofsplatz, aber auch als Reisender arbeiteten. 1932 wurde ihm die Position eines Einkäufers bei der ebenfalls in Frankfurt ansässigen Lederwarenfabrik ‚S. Bienes’ angeboten und wiederum 1935, die Lage für jüdische Geschäfte war bereits schwierig geworden, schien sich dennoch ein weiterer Karrieresprung anzubahnen, denn er übernahm die Leitung des Ein- und Verkaufs bei der sehr renommierten jüdischen Lederfirma ‚Neuberger & Maier’ in der Frankfurter Elbestraße.
Bis zu seiner Entlassung Ende Juni 1938 übte er diese Funktion aus. Der ehemalige Teilhaber der Firma Fred Maier, der ebenfalls in die USA auswandern konnte, bezeugte später, dass die Firma damals liquidiert werden musste und man den hoch qualifizierten Mitarbeiter Manfred Kahn zum eigenen Bedauern habe entlassen müssen.[83] Schon am nächsten Tag verließ dieser Deutschland und floh nach Belgien. Offensichtlich hatte er seine Auswanderung nach Amerika schon lange geplant, denn bereits am 20. Juli bestieg er in Le Havre das Schiff „President Harding“ der ‚United States Line’, das ihn in die USA brachte.[84] Am Tag der Abreise ging auch im Frankfurter Meldeamt seine offizielle Abmeldung ein. In der Mainmetropole hatte er zuletzt in der Kaiserstr. 58 gewohnt.[85]
Das notwendige Affidavit für die Einreiseerlaubnis hatten seine Cousine Cäcilia und ihr Mann Jacob Oppenheim gestellt,[86] die damals schon in New York lebten und die er in den Einreiseunterlagen auch als Kontakt angegeben hatte.[87] Die Kosten für die Überfahrt liehen ihm seine Schwester Ida und ihr Mann Emil Gottschalk, die damals noch im belgischen Hasselt wohnten.[88] Sicher in der Hoffnung, in Amerika seine Karriere fortsetzen zu können, hatte er seine Überfahrt noch in der I. Klasse gebucht.[89] Aber auch er teilte das Schicksal vieler Emigranten. Trotz seiner soliden Ausbildung im Ledergewerbe blieb er das erste halbe Jahr in den USA ohne eine Anstellung. Dann verdiente er sein erstes Geld – 8 Dollar in der Woche – als einfacher Laufbursche. Erst allmählich gelang es ihm, sich über Hilfsarbeiten in der Produktion und als Lagerverwalter wieder in der ihm vertrauten Lederbranche hochzuarbeiten. Er erreichte aber nie mehr die Position, die er früher in Deutschland inne gehabt hatte.[90] Auch, so bekundete er im Entschädigungsverfahren, war seine berufliche Laufbahn immer wieder von Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Ernest, als er in den USA ankam, nicht bei seinem Onkel, der damals in sehr ärmlichen Verhältnissen lebte, unterkommen konnte.
Zwar hatte Manfred Kahn die Überfahrt noch alleine angetreten, aber vermutlich kannte er damals schon seine zukünftige Ehefrau Else Ostrowka. Auch die am 12. Oktober 1911 in Offenbach am Main geborene Tochter von Samuel und Hannah Ostrowka hatte zuletzt in Frankfurt gewohnt, war aber einige Wochen vor Manfred Kahn mit dem Schiff „Deutschland“ von Hamburg aus nach New York gefahren, das am 13. Mai 1938 erreicht wurde.[91] Geheiratet haben die beiden dann schon am 25. Oktober 1938 in Brooklyn.[92]
Aus den Unterlagen der Volkszählung von 1940 ist zu entnehmen, dass sie als Bäckereiverkäuferin zum knappen Einkommen der Familie beitrug. In ihrer Wohnung lebte damals auch Elses Mutter Hannah Ostrowka, die 1940 schon siebzig Jahre alt war.[93] Sie selbst und vermutlich auch ihr Mann stammten aus Polen. Bei der Überfahrt der Tochter lebte der Vater noch in Frankfurt in der Allerheiligenstr. 61.[94] Vermutlich ist er bald danach gestorben, sodass die verwitwete Mutter von Else dann ebenfalls noch auswandern konnte. In Brooklyn wohnte schon vor Elses Einwanderung auch ihr Bruder Sami, den sie bei ihrer Überfahrt als Kontakt in New York angegeben hatte.[95]
Am 9. Dezember 1941 wurde dem Paar der Sohn Barry Irving geboren, etwa fünf Jahre später die Tochter Phyllis, die dann später durch Gründung eigener Familien dafür sorgte, dass auch dieser Zweig der Idsteiner Familie Kahn weiter am Leben blieb.[96] 1943 war deren Eltern die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen worden.
Manfred Kahn verstarb am 5. Dezember 1981 im Alter von 73 Jahren,[97] sein Sohn Barry im Jahr 1991.[98] Wann seine Frau Else und die Tochter Phyllis verstarben, ist nicht bekannt.
Friedrich Kahn, genannt Fritz
Schon drei Jahre vor Manfred hatte sein jüngerer Bruder Fritz Deutschland verlassen, aber noch weniger als Manfred war ihm in seinem südamerikanischen Exil ein erfolgreicher Neustart gelungen.
Seine ersten Lebensjahre verliefen ähnlich wie die des Bruders.[99] Auch er hatte die Schule mit der Mittleren Reife abgeschlossen, war allerdings bis zuletzt in Idstein geblieben. Auch er absolvierte anschließend in Frankfurt eine kaufmännische Lehre und arbeitete danach bis 1932 als Verkäufer im ‚Kaufhaus Schiff’ in Frankfurt–Höchst.
Dass er diese Arbeit verlor, hatte noch keine rassistischen Gründe, sondern war vermutlich der großen Wirtschaftskrise in diesen Jahren geschuldet. Er kehrte nach Idstein zurück und half in den kommenden Jahren im Viehhandelsbetrieb des Vaters. Aber angesichts der einbrechenden Umsätze war seine Arbeit dort eigentlich nicht notwendig und bot auch keine Perspektive. Zudem begannen bald die Schikanen und massiven Bedrohungen. Das Elternhaus war durchsucht und er selbst immer wieder angepöbelt und als Jude beschimpft worden, oft von ehemaligen Freunden, mit denen er in der Kindheit und Jugend gespielt und Sport getrieben hatte. Nach einer solchen Auseinandersetzung, bei der er um Leib und Leben fürchte musste, verließ der Fünfundzwanzigjährige umgehend seine Heimatstadt und fuhr nach Geilenkirchen zu seiner Schwester Ida und ihrem Mann. Von dort war es nicht weit zur holländischen Grenze, die er schon nach wenigen Tagen überschritt. Eine Arbeitserlaubnis bekam er dort allerdings nicht und blieb deshalb abhängig von der Unterstützung, die ihm eine jüdische Hilfsorganisation gewährte. Spätestens seit dieser Zeit stellten sich Symptome einer psychischen und somatischen Erkrankung ein, die ihn den Rest seines Lebens begleiteten, verursacht durch die Unsicherheit in seiner eigenen Lebensperspektive, wie auch der seiner in Deutschland verbliebenen Verwandten.
1937 konnte er nach Argentinien auswandern, womit er zwar sein Leben retten, seine Lebensumstände und sein Gesundheitszustand aber kaum verbessern konnte. „Ganz allein, mittellos, abgerissen und bedrückt kam ich in Buenos Aires an“, schrieb er in einer eidesstattlichen Erklärung im Rahmen seines Entschädigungsverfahrens. Mit schweren Arbeiten auf dem Bau, dies unter völlig ungewohnten klimatischen Bedingungen, musste er sich seinen Lebensunterhalt verdienen. Als Hilfsarbeiter schuftete er für wenig Geld auf einer Obstplantage und in der Hauptstadt schlug er sich zeitweilig als Malergehilfe durch. Mangelnde Sprachkenntnisse machten es ihm zunächst unmöglich, eine höher qualifizierte und besser bezahlte Arbeit anzunehmen. Seine Unterkunft bestand aus einem kleinen, muffigen Zimmer. Angesichts dieser Arbeits- und Wohnverhältnisse sowie der schlechten Ernährungsweise verschlimmerten sich seine verschiedenen Krankheiten weiter. Später gelang es ihm zwar eine Tätigkeit als Handelsvertreter zu finden, aber die strapaziöse Reisetätigkeit und der unregelmäßige Lebenswandel verhinderten auch weiterhin eine Verbesserung seines Gesundheitszustands.
1946 heiratete er die Schneiderin Margot Friederike Katz, die am 6. Dezember 1921 in Osthofen als Tochter des Weinhändlers Sally Katz und seiner Frau Sybille, geborene Herzog, zur Welt gekommen war.[100] In den Jahren 1947 und 1953 wurde dem Paar zunächst ein Sohn namens Marcelo und dann die Tochter Silvia geschenkt. Aber auch diese Familiengründung konnte seine wachsenden Depressionen und die psychosomatischen Beschwerden nicht mehr aufhalten. Zwar attestierte der ihn in Argentinien behandelnde Arzt, „dass seine Erkrankungen auf die Leiden zurückgehen, die er während der Verfolgungen und Entbehrungen, den Schrecken und Aufregungen in Deutschland und den schwierigen Arbeiten im Einwanderungsland, mitmachen musste“,[101] die deutschen Entschädigungsbehörden beriefen sich aber auf ein Gutachten, das ein Vertrauensarzt 1967 nach einer Untersuchung in Deutschland erstellt hatte. Dieser Arzt kam zu dem Schluss, dass man die bis 1939 aufgetretenen Beschwerden als verfolgungsbedingt ansehen könne, aber nicht mehr die nach der Auswanderung aufgetretenen.[102] Solch höchst fragwürdige Entscheidungen wurden in diesen Jahren in Deutschland zuhauf getroffen und die Opfer der Verfolgung damit faktisch der Lüge bezichtigt. Zumindest wurde das ihnen zugefügte Leid verniedlicht und als unbedeutend abgetan, weil man nach einer relativ kurzen Zeit hätte darüber hinweggekommen sein müssen.
Wann Fritz Kahn und wann seine Frau Margot in ihrem lateinamerikanischen Exil verstarben, ist nicht bekannt.
Kurt Gabriel Kahn
Das letzte der Kinder von Max und Bertha Kahn war der Sohn Kurt, der von Anbeginn an auch den jüdischen Namen Gabriel besaß.[103] Wie seine Brüder hatte auch er seine Schulzeit mit der Mittleren Reife abgeschlossen, aber anders als diese erlernte er anschließend keinen kaufmännischen Beruf, sondern absolvierte eine dreieinhalbjährige Lehre bei dem Wiesbadener Zahnarzt Dr. Ferdinand Lichtenstein, der seine Praxis in der Webergasse 11 betrieb.[104] Danach arbeitete er noch einige Monate als Volontär bei dem Idsteiner Zahnarzt Dr. Maurer. Obwohl 1933 die Machtstellung der Nazis und die zukünftige Entwicklung in Deutschland noch nicht wirklich abzusehen war, glaubte er, dass er sein eigentliches berufliches Ziel, Dentist zu werden, in diesem Land nicht mehr würde realisieren können. Er hätte zunächst zwei weitere Jahre als Zahntechniker arbeiten müssen und dann anschließend noch die Dentistenschule in Frankfurt besuchen müssen. Dass 1935 dort keine Juden mehr aufgenommen werden würden, hatte er schon sehr früh gesehen.[105] Wahrscheinlich haben die Boykottaktionen im April ihn zu dieser weitsichtigen Erkenntnis geführt.
Aber auch ein anderes persönliches Erlebnis hatte ihn bewogen, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Als er schon 1933 mit seinem Cousin ein Kino besuchen wollte, wurden beide von einer Nazi-Clique überfallen und verprügelt. Während er selbst entkommen konnte, wurden seinem Cousin die Zähne ausgeschlagen.
Zwar ist nicht bekannt, dass Kurt sich in zionistischen Kreisen bewegte, aber zumindest scheint er von der Notwendigkeit eines eigenen jüdischen Staates überzeugt gewesen zu sein, denn er entschloss sich damals, nach Palästina zu gehen, obwohl im klar sein musste, dass er dort seine ursprünglichen beruflichen Ziele auch nicht würde verwirklichen können. Hohe, von der britischen Politik errichtete Hürden machten eine legale Einwanderung nach Palästina äußerst schwierig. Deshalb reiste er nur mit einem Touristenvisum ein, was aber zur Konsequenz hatte, dass er für die Schiffsreise auch ein Rückfahrtticket buchen musste. Am 10. April erhielt er seinen Reisepass, am 28. April das Visum. Mit der Eisenbahn fuhr er zunächst nach Neapel, um dort am 18. Mai 1933 als Mitglied einer Reisegesellschaft das Schiff nach Palästina zu besteigen.[106] Am 25. Mai erreichte er den Hafen von Haifa.
Über sein weiteres Leben in Palästina bzw. später Israel hat sein Sohn Yosef in einem Brief an die Gemeinde Idstein genauere Angaben gemacht, die im Folgenden zitiert werden sollen:
“Eine Zeit lang lebte er in Kiryat Haim (bei Haifa). Dann zog er auf der Suche nach Arbeit nach Rishon Le Zion [bei Tel-Aviv], wo er in Konkurrenz zu anderen Einwohnern in der Landwirtschaft arbeitete (Graben von Löchern in einer Obstplantage). Danach zog er nach Zichron Ya’akov, wo er sich der ,Hagana‘ [jüdische Armee] anschloss. Seine Aufgabe bestand darin, die Meir Shpheya Internatsschule zu bewachen. Zu dieser Zeit war er auch damit beschäftigt, die Straße von Zichron Ya’akov nach Bat Shlomo zu pflastern – eine sehr schwere Handarbeit ohne mechanische Ausrüstung. In diesen Jahren änderte er seinen Namen zu Gabriel. Die Jahre 1940-1948 Im Oktober 1940 trat er in die Britische Armee (Buffs platoons) ein. Eines Tages, als er einen Unterstand in Syrien baute, musste er schnell in ein Krankenhaus gebracht werden, um ein Stück eines Fingers abschneiden zu lassen, weil ein Stück Holz darin steckte – ohne Behandlung [wohl gemeint: Betäubung]. Im Sommer 1942 meldete er sich freiwillig zu einer Einheit für Bombenbeseitigung und -attrappen in Ägypten. Später schloss er sich der Kartendruckeinheit der britischen (R.A.F.) Bomber in der jüdischen Brigade (Einheit 524) an, der nur jüdische Soldaten und Offiziere angehörten. Eine ihrer größten Leistungen war die Bombardierung der Ploesti Ölquellen in Rumänien [damals die größten in Rumänien]. Vom 31. 10. bis 5. 11.1944 wurde die Einheit von Alexandria nach Ta-ranto in Italien verlegt. Da sie näher an der Kriegslinie waren, nahmen sie auch an Kampftraining in Fiuggi / Italien teil. Mit dem Voranschreiten des Krieges rückte die Einheit schließlich bis Mailand vor. Als der Krieg zu Ende war, beteiligte sich die Einheit am illegalen Transport von Überlebenden des Holocaust nach Palästina. Nachdem die Einheit nach Palästina zurückgekehrt war, wurde sie aufgelöst und ihre Mitglieder gründeten Kfar Monash, eine auf gemeinsamer Arbeit basierende Siedlung [ähnlich einem Kibbuz]. In diesem Dorf arbeiteten sie in der Landwirtschaft. Sie legten Sümpfe trocken und lebten in Zelten. Später baute die Jewish Agency Häuser für sie: ein Zimmer mit Toilette und Küche auf dem Hof. Die Leute der militärischen Einheit nutzten die Gelegenheit und errichteten auch ein Druckhaus. Bis zu dem Tag, an dem mein Vater starb, arbeitete er weiterhin in der Druckindustrie.“[107]
Wann sein Todestag war, konnte bisher nicht ermittelt werden. Nicht erwähnt wurde von seinem Sohn, dass sein Vater 1948 in Israel die Holocaust-Überlebende Varda Ruzeya Itzkovich, auch Ickovic geschrieben, heiratete, über die allerdings keine weiteren Informationen vorliegen. Neben Yosef, der am 16. Juni 1950 geboren wurde, war aus der Ehe 1953 noch eine Tochter namens Ruth hervorgegangen.[108]
Das Schicksal der Herkunftsfamilie von Erna Kahn aus Montabaur
Nicht nur in der Familie von Julius Kahn, sondern auch in der seiner aus Montabaur stammenden Frau Erna Kahn gab es Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu beklagen.
Die Vorfahren dieser Familie Kahn lassen sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im Raum Montabaur nachweisen, wo sie ebenfalls von Anbeginn an als Viehhändler tätig waren. Der erste bekannte Ahn war der 1749 geborene Anschel Gumprich, der mit einer vier Jahre jüngeren Eva, deren Mädchenname nicht bekannt ist, verheiratet war. Einer der Söhne des Paares, der 1799 geborene Gumprich Anschel I, der in drei verschiedenen Ehen eine große Zahl von Nachkommen gezeugt hatte, nahm 1841 den verbindlichen Nachnamen Kahn an. Während einer seiner Söhne, nämlich Gumprich Anschel II, sich 1883 nach Frankfurt abmeldete, blieb wiederum sein Sohn Hermann in Montabaur und hielt dort diesen Zweig der Familie am Leben. Verheiratet war er mit der am 23. November 1873 in Wieseck bei Gießen geborenen Karoline Stern. Hermann Kahn hinterließ nach seinem Tod 1937 seine Witwe und vier Kinder, darunter die drei Söhne Leopold, Julius und Erwin, die die Schreckenszeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Montabaur erleben mussten. Ihre 1895 geborene Schwester Jenny war bereits 1916 vermutlich anlässlich ihrer Verheiratung nach Bingen gezogen.[109]
Der andere für Montabaur wichtige Familienzweig der Kahns, aus dem auch die Wiesbadener Judenhaus-Bewohnerin Erna Kahn stammte, gründet auf David Kahn, einem weiteren Sohn von Anschel Gumprich. Er war am 24. Oktober 1834 nicht unmittelbar in Montabaur geboren worden, sondern im nur wenige Kilometer entfernt gelegenen Wirges.[110]
Der Großvater von Erna Kahn war mit Adelhaide / Adelheid Wolf aus Langenschwalbach, dem heutigen Bad Schwalbach, verheiratet.[111] Wann die Ehe geschlossen wurde, ist nicht bekannt, aber David Kahn wurde am 2. Juni 1864 in die Bürgerliste von Montabaur aufgenommen.[112] Beide blieben ihr gesamtes Leben in der Stadt im Westerwald und verstarben dort noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs.[113] Dem Paar waren eigentlich zehn Kinder geboren worden, darunter zweimal Zwillinge. Aber Zwillinge gesund zur Welt zu bringen, war in diesen Zeiten nicht ohne Risiko. Die ersten beiden, die am 23. März 1865 tot zur Welt kamen, erhielten nicht einmal mehr einen Namen. Aber aus ihren Geburtsdaten ist zu schließen, dass die Heirat etwa 1863/64 mit dem Umzug nach Montabaur stattgefunden haben wird.
Die folgende Tochter Mina, geboren am 12. April 1866, wohnte laut der Haushaltsliste von 1912 als ledige Frau noch im Elternhaus.[114] Über ihr Leben ist ansonsten nichts bekannt. Laut Inschrift auf ihrem Grabstein verstarb sie zwei Jahre später am 16. Juli 1914 in Montabaur.[115]
Nur wenige später verstarb ein weiteres, sogar das letzte Kind von David und Adelheid Kahn. Wilhelm Kahn war am 18. November 1882 in Montabaur geboren worden. Wann er seine Heimatstadt verlassen hatte und als Kaufmann nach Frankfurt gezogen war, ist nicht bekannt. Dort heiratete er am 13. Juni 1913 die aus der Nachbarstadt Offenbach stammende Babette Elsa Kahn, geboren am 18. Mai 1886.[116] Er war erst 35 Jahre alt, als er am 4. Juli 1918 verstarb. Wie aus dem Sterbeeintrag zu entnehmen ist, stand er damals als „Gefreiter in der Arbeiterkompagnie der Artillerie“ im Dienst des deutschen Heeres mit dem Einsatzort Depot Darmstadt.[117] Er war aber nicht einer Kriegsverletzung oder einem Unfall erlegen, sondern laut Todesanzeige der Familie verstarb er „nach kurzer schwerer Krankheit“:[118]
Moritz, geboren am 6. März 1871, heiratete nach Wiesbaden in die große jüdische Metzgerfamilie Marx aus Biebrich ein, die auf vielfältige Weise mit der Wiesbadener Geschäftswelt verbunden war.[119] Diese vielfache Verknüpfung ergab sich allein schon dadurch, dass Frieda Marx, die am 14. Dezember 1874 geborene Braut, das achte von insgesamt zehn Kindern ihrer Eltern Seligmann und Berta Marx war.[120] Aus der am 30. April 1897 in Biebrich geschlossen Ehe waren die beiden Kinder Sally am 8. Februar 1898 und Bertha am 19. November 1900 hervorgegangen.[121] Ihr Vater Moritz Kahn verstarb bereits am 22. April 1908 in Biebrich,[122] sodass seine Witwe vermutlich auch zur finanziellen Absicherung der noch kleinen Kinder nach zwei Jahren eine weitere Ehe einging. Sigmund Levi, geboren am 15. Mai 1873 und ebenfalls Viehhändler, stammte aus Limburg und war der Bruder des Ehemanns von Friedas Schwester Elisabeth. Mit Sigmund Levi und den Kindern zog die Witwe nach der Eheschließung in dessen Heimatstadt Limburg.
Ihre Tochter Bertha Kahn heiratete am 27. Juli 1925 in Limburg den Lederhändler Josef Oster, geboren am 2. Dezember 1882 in Oberfell bei St. Goar.[123] In Koblenz, wo Josef Oster mit seinem Bruder Berthold ein Ledergeschäft betrieb, kam im Jahr 1926 ihr Sohn Kurt zur Welt.[124] Welche Gründe das Auseinanderbrechen der Familie hatte, konnte im gegebenen Rahmen nicht genauer recherchiert werden, aber keiner von ihnen überlebte den Holocaust. Schon 1939 war Josef Oster mit seiner Schwester nach Belgien geflohen und hatte seine Frau und den Sohn zurückgelassen. Welche Gründe es dafür gab, ist nicht bekannt. Als die deutschen Truppen Belgien überfielen, wurde Josef Oster zunächst nach Frankreich verbracht und in Gurs interniert. Von dort aus deportierte man ihn am 17. August 1942 über Drancy nach Auschwitz, wo er ermordet wurde. [125] Bertha Oster verstarb am 16. November 1940 unter nicht näher bekannten Umständen in Koblenz.[126]
Der erst 16jährige Sohn war damit völlig allein. Im April 1941 wurde er zunächst in ein Judenhaus in der Moselweißer Str. 52 eingewiesen, dann von dort am 22. März 1942 nach Izbica deportiert. Ob er dort umkam oder zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem anderen Ort ermordet wurde, ist nicht bekannt. Er musste amtlicherseits für tot erklärt werden.[127]
Berthas älterem Bruder Sally gelang hingegen die rechtzeitige Flucht aus Deutschland. Er muss nach dem Umzug seiner Mutter nach Limburg später wieder nach Wiesbaden zurückgekehrt sein. Sein Cousin Werner Kahn gab an, dass Sally Kahn mit seiner nichtjüdischen Freundin von dort aus über Frankreich nach Haiti ausgewandert sei.[128] Diese Angabe wird durch die Passagierliste des französischen Schiffes „Saint Dominique“ bestätigt, das am 21. Mai 1936 den Hafen von Port de France auf Martinique verließ und am 24. Mai des gleichen Jahres in San Juan auf der Karibikinsel Puerto Rico einlief.[129] Auf dieser Liste ist ein Sally Kahn eingetragen, der als Kontakt in der Heimat eine Person namens Kahn mit der Adresse Wiesbaden, Niederwaldstr. 10 angegeben hat. Zwar ist in den Wiesbadener Adressbüchern des Zeitraums zwischen 1934 und 1938 kein Kahn mit dieser Anschrift gemeldet, dennoch handelt es sich bei dem Passagier zweifellos um den Sohn von Moritz und Frieda Kahn.
Begleitet wurde er laut der Passagierliste von der 25jährigen Marthe / Martha Döbrich, die ebenfalls eine Wiesbadener Kontaktadresse angegeben hatte. Gemeint war der evangelische Kaufmann Wilhelm Döbrich in der Dotzheimer Str. 55, der vermutlich der Vater der „Halbjüdin“ Marthe war. [130]
Offenbar blieb Sally Kahn in den folgenden Jahren in der Karibik. Er muss allerdings von Puerto Rico weiter nach Haiti gezogen sein, wo er – so die Angaben seines Cousins – eine Tilly, deren Mädchenname nicht bekannt ist, heiratete.[131] In Haiti gründete er mit seinem Cousin Werner, dem er 1937 die Immigration nach Haiti ermöglichte, ein Fotostudio. Die ersten Jahre müssen für beide sehr schwer gewesen sein. Nach einigen Jahren hatte sich das Studio aber etabliert und es ging ihnen beiden recht gut – so Werner Kahn. Dennoch war Sally Kahn nur bis 1946 auf Haiti geblieben, war dann zusammen mit seiner Frau Tilly / Hansi nach Florida gezogen, wo er dann erneut ein eigenes Fotostudio aufbaute. In den USA wurden 1951 die Tochter Monica und 1957 der Sohn David geboren. Nachdem seine Frau 1977 verstarb, heiratete Sally Kahn zwei Jahre später Elaine, deren Mädchenname ebenfalls nicht bekannt ist. Die Kinder aus seiner ersten Ehe waren schon 1990 verheiratet und hatten ihrem Vater damals bereits drei Enkel geschenkt.
Auch Julius Joseph, geboren am 2. April 1878, hatte nach Wiesbaden in eine sogar noch bedeutendere Familie eingeheiratet als sein Bruder Moritz. Am 11. April 1907 ehelichte er dort Melanie Emma Baer, die am 14. April 1879 geborene Tochter von Leopold und Babette Baer, geborene Ullmann.[132] Diese betrieben in der Kurstadt damals das wohl bedeutendste Textilwarengeschäft der Stadt, das unter dem Namen ‚Joseph Wolf’ firmierte und in der Kirchgasse zeitweise etwa 40 Mitarbeiter beschäftigte. Zwar heißt es in einem Steuerprüfbericht aus dem Jahr 1924, dass „hauptsächlich billige Artikel“ angeboten würden, aber damit traf das Angebot gerade auch den Bedarf großer Bevölkerungskreise. Der Tagesumsatz wurde auf 2.000 bis 4.000 RM geschätzt.[133] Das Betriebsvermögen wurde mit 76.000 RM taxiert, wozu aber nicht das Geschäftsgebäude in der Kirchgasse 62 und auch nicht die Ladeneinrichtung gehörten. Für das Gebäude in Geschäftszentrum Wiesbadens, direkt gegenüber dem Kaufhaus Bormass, dem heutigen Karstadt, gelegen, war 1935 ein Einheitswert von 220.000 RM ermittelt worden, 1939 sogar von 263.000 RM.[134] Es zählte samt der Ladeneinrichtung nicht zum Betriebsvermögen, sondern war im Besitz der Teilhaber des als O.H.G. organisierten Unternehmens.[135] Das waren nach dem Tod des Firmenpatriarchen Leopold Baer am 25. April 1920 [136] auf der einen Seite dessen gleichnamiger Sohn Leopold Baer und seine Frau Rosa und auf der anderen Seite seine Tochter Melanie Emma und der Schwiegersohn Julius Kahn, nachdem dieser am 11. April 1907 in die Familie eingeheiratet hatte.[137] Die neue Generation der Unternehmensleitung war verwandtschaftlich auch noch dadurch miteinander verbunden, dass Julius Kahn Anteile an dem Unternehmen der Eltern seiner Schwägerin Rosa, geborene Zeimann, der Frau von Leopold Baer, nämlich der ‚S. Zeimann-AG’ in Frankfurt besaß, die in der gleichen Branche aktiv war.[138]
Das Geschäftshaus in der Kirchgasse besaß drei Stockwerke, davon dienten zwei als Verkaufsräume, während die dritte Etage der Familie Kahn als Wohnung diente. Im Juni 1929 zog das kinderlos gebliebene Paar dann mit ihren beiden Hausangestellten zur Miete in das wohl beste Wohngebiet Wiesbadens, nämlich in eine direkt am Kurpark gelegene Villa in der Parkstr. 7.[139]
Aber zu diesem Zeitpunkt unmittelbar vor der Weltwirtschaftskrise sprudelten die Einnahmen und auch das Einkommen der Familie bei Weitem nicht mehr so, wie in den vorausgegangenen Jahren. Das zu versteuernde Einkommen, das zu Beginn der Stabilitätsphase 1925/26 noch bei etwa 40.000 RM gelegen hatte, schrumpfte Anfang der 30er Jahre auf 10.000 RM zusammen, betrug 1933 sogar nur noch knapp 6.000 RM.[140] Die Boykottaufrufe und die dauernden antisemitischen Schmähungen hatten offensichtlich bei diesem einstmals sehr renommierten Kaufhaus ihre Wirkung nicht verfehlt. Auch diese Traditionsfirma wurde unter der Herrschaft des Nationalsozialismus in den Ruin getrieben und arisiert. Ein Mitarbeiter Kranz erwarb im Oktober 1935 das Geschäft, aber noch nicht die Immobilie selbst. Die Nutzung der Geschäftsräume sicherte er sich durch einen langfristigen Mietvertrag, was für Kahns und Baers insofern zum Problem wurde, weil sie erhebliche Probleme hatten, das Gebäude unter diesen Bedingungen noch zu veräußern.
Bereits am 15. Juni 1936 waren Kahns aus dem Villengebiet in das weniger begehrte Wohnquartier hinter dem Bahnhof, nämlich in die Fischerstr. 2 gezogen.[141] Wie finanziell eng es inzwischen geworden war, zeigt ein Brief ihres Steuerberaters aus dem April 1937 an das Finanzamt, in dem dieser schrieb, dass sich seine Mandanten nicht in der Lage sehen würden, die geforderte monatliche Vorauszahlung der Einkommensteuer in Höhe von 180 RM zu zahlen. Er bat darum, diese wenigstens auf 100 RM herabzusetzen: „Diese Zahlung stellt, wie mir der Pflichtige angibt, schon das äußerste dessen dar, was er zu leisten in der Lage ist.“[142]
Nachdem die Nazis Julius Kahn zunächst schon finanziell zu Grund gerichtet hatten, erfolgte im Konzentrationslager Buchenwald, in den man ihn mit seinem Kompagnon und Schwager Leopold Baer nach der Reichspogromnacht verfrachtet hatte, auch der tatsächliche Mord an seiner Person. Am 22. November 1938 verstarb er im Lager nach Angaben der SS an einem Gehirnschlag.[143] Leopold Baer blieben nur etwa zwei Wochen mehr. Er wurde am 6. Dezember umgebracht.[144]
Auch Emma Kahn lebte nur noch wenige Wochen, weiterhin drangsaliert von den NS-Behörden, die die fällige „Sühneleistung“ eintreiben wollten.
Bereits im Juni 1938 hatte sie ihre Schmucksachen in dem auch heute noch existierenden Juwelierladen Lutz in der Wilhelmstraße schätzen lassen. Der Juwelier kam auf eine Summe von 7.112 RM – ein lächerlicher Preis. Vier wertvolle Teppiche gehörten zudem zu den geschätzten Wertgegenständen.[145] Wann sie die Gegenstände abgeben musste, ist den Akten nicht zu entnehmen. Allerdings gibt es einen Brief vom 13. Dezember 1938, in dem sie um Aufschub für die geforderte Zahlung der Judenvermögensabgabe in Höhe von jeweils 7.800 RM für sich selbst und in gleicher Höhe für ihren verstorbenen Mann bat. Die Veräußerung der Schmuckstücke und Teppiche würden nicht ausreichen, um die geforderte Abgabe zu bestreiten. Und mit den Mieteingängen aus der Kirchgasse könne sie nach Abzug der Steuern gerade mal ihre notwendigen Lebensbedürfnisse erfüllen.[146] Die Einziehung der geforderten Summe wurde zwar wegen der laufenden Verkaufsverhandlungen über die Kirchgasse 62 immer wieder ausgesetzt, dennoch wurde sowohl von ihr als auch von ihrem Mann am 9. November 1939 auch noch die 5. Rate über 1.950 RM verlangt.[147] Zu diesem Zeitpunkt war Emma Kahn, sie verstarb am 23. Februar 1939 in Wiesbaden, schon mehr als ein halbes Jahr, ihr Mann schon ein ganzes Jahr tot.[148]
Ob der Staat seine Ansprüche aus den verbliebenen Vermögenswerten noch befriedigen konnte, ist den Akten nicht zu entnehmen.
Das Gebäude in der Kirchgasse wurde schließlich am 24. Februar 1941 doch noch an den ehemaligen Mitarbeiter Carl Kranz, der zuvor bereits das Geschäft erworben und sich im Grundbuch auch ein Vorkaufsrecht für die Immobilie hatte eintragen lassen, für 194.000 RM verkauft.[149] Auf dem Haus lastete allerdings eine Hypothek von knapp 120.000 RM, die der Käufer zwar übernehmen musste, aber vom zu zahlenden Preis natürlich abziehen konnte. Für die Erben der beiden Eigentümerehepaare blieben somit noch 75.000 RM.[150]
Johanna, die am 26. Juni 1868 geborene jüngste Tochter von David und Adelheid Kahn, war – so ist der Todesfallanzeige aus Theresienstadt zu entnehmen – seit dem 3. Dezember 1903 mit dem Viehhändler Moritz Abraham aus Altenkirchen im Westerwald verheiratet.[151] Dort lebten die Abrahams mit etwa dreißig anderen jüdischen Familien bis zum Beginn der NS-Zeit friedlich mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern zusammen, wie sich die einzige Tochter des Paares, die am 21. September 1910 geborene Irma, erinnerte.[152] Die Familie selbst muss recht begütert gewesen sein, denn sie bewohnte in der Marktstr. 6 ein eigenes Haus mit 13 Zimmern. Auch durfte die Tochter Irma eine höhere Schule besuchen. Obwohl sie sich anschließend noch auf einer Handelsschule in Montabaur für eine Bürotätigkeit qualifizierte, wurde sie selbst nie berufstätig. 1932 heiratete sie mit 21 Jahren den Viehhändler Edgar Seligmann, geboren am 30. September 1902 in Altenkirchen, mit dem ihr Vater in geschäftlichen Verbindungen stand.
In der Ehe wurden zwei Kinder geboren, zunächst am 30. Januar 1934 die Tochter Else, die aber bereits 1935 an einer Blinddarmentzündung verstarb. Ihr Bruder Milton kam am 19. Februar 1937 zur Welt.
Nach der Erinnerung von Irma Seligmann verstarb ihr Vater Moritz Abraham im Jahr 1935, tatsächlich aber wohl am 12. Mai 1936.[153] Der Betrieb wurde danach offensichtlich von seinem Schwiegersohn Edgar Seligmann in der Marktstraße weitergeführt,[154] aber die geschäftlichen Möglichkeiten für jüdische Viehhändler waren zu diesem Zeitpunkt auch in Altenkirchen schon sehr eingeschränkt.
In schrecklicher Erinnerung blieb für Irma Seligmann die Reichspogromnacht. Auch ihr Haus wurde völlig demoliert, Möbel und anderes Inventar auf die Straße geworfen und durch die zerschlagenen Fensterscheiben zog die Kälte ins das unbewohnbar gewordene Haus.
Edgar Seligmann war mit den anderen jüdischen Männern der Stadt nach Dachau gebracht worden, wo er etwa drei bis vier Monate bleiben musste. Seine Frau hatte sich mittlerweile um eine Ausreisemöglichkeit für ihn gekümmert und auch eine solche für England gefunden. Als ihr Mann aus dem KZ zurückkam, wollte er aber Deutschland nicht alleine, ohne Irma und die Kinder verlassen. Er blieb und sie warteten weiter auf eine Möglichkeit, gemeinsam in die USA zu kommen, wo sein Bruder Siegfried Seligmann sich um die notwendigen Genehmigungen kümmerte. Wann das Haus in Altenkirchen verkauft wurde und Irma mit ihrer Familie nach Köln zog, ist nicht ganz klar. Während der Volkszählung im Mai 1939 hatte zumindest die Mutter Johanna Abraham noch in Altenkirchen gelebt.
Irma Seligmann und ihre Familie reisten im Januar 1940 von Holland aus in die USA ein, wo sie von dem Bruder empfangen wurden. Die erste Zeit verbrachten sie bei ihm in Hartford, Connecticut, wo Edgar Seligmann als Fabrikarbeiter den Unterhalt für die Familie verdiente. Später zogen sie nach Anaheim in Kalifornien, wo er wieder in seinem alten Beruf als Viehhändler tätig sein konnte.
Milton, ihr Sohn wurde Arzt und praktizierte in Pittsburgh, heiratete und ist der Vater zweier Töchter. Als Edgar Seligmann 1984 verstarb, zog Irma zur Familie ihres Sohns nach Pennsylvania.
Die Versuche, nach der Übersiedlung in die USA, die verwitwete Mutter Johanna Abraham noch aus Deutschland herauszuholen, scheiterten an deren viel zu hoher Kontingentnummer. Sie selbst hatten noch eine unter 10.000 erhalten, diejenige, die der Mutter zugeteilt wurde, lag über 26.000. So blieb der Weg in die Freiheit für sie verschlossen.
Am 27. Juli 1942 wurde sie von Köln aus nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 24. Juni 1943 morgens um 8.30 Uhr verstarb. Die diversen in der Todesfallanzeige genannten Krankheiten sollten nur über die einfache Tatsache hinwegtäuschen, dass es sich in Wirklichkeit um Mord handelte.[155]
Albert, der Vater von Erna Kahn, war mit seinem Bruder Louis das zweite Zwillingspaar von David und Adelheid Kahn, geboren am 10. März 1874.[156] Während dieses Mal immerhin Albert überlebte, verstarb der Bruder etwa ein halbes Jahr nach seiner Geburt. Zwei Jahre später, am 12. oder 13. Januar 1876 kam aber noch ein weiterer Sohn zur Welt, der den Namen Leopold erhielt.[157] Albert und Leopold waren diejenigen, die in Montabaur blieben und den väterlichen Viehhandelsbetrieb übernahmen. Sie mussten dann mit ihren Familien dort auch die Zeit des Naziterrors erleben.
Der ältere Albert hatte am 10. März 1907 Sibilla / Sybilla Wolff, genannt Billa, geheiratet.[158] Im folgenden Jahr war zunächst die Tochter Erna geboren worden, die – wie oben bereits dargestellt – dann später aus einem Wiesbadener Judenhaus in den Tod deportiert wurde. Ihr folgten noch zwei Söhne, zunächst Ernst David am 19. Oktober 1910 und dann nach sechs Jahren am 17. September 1916 Werner Isaak.[159]
Leopold heiratete am 17. Juni 1911 Hilda Mendel, geboren am 6. September 1888 in dem heute zu Neuwied gehörenden Engers.[160] In ihrer Ehe kamen ein Junge und ein Mädchen zur Welt, Erich am 2. April 1912 und Irma am 14. April 1921.[161]
Beide Brüder wohnten mit ihren Familien in Montabaur in der Straße Vorderer Rebstock, wo schon früher auch der alte Betsaal der Gemeinde gelegen war. Albert Kahn besaß dort im Jahr 1912 das Haus Nr. 24, wo seine Frau auch noch ein Manufakturwarenladen betrieb, und Leopold das Haus Nr. 38.[162] In dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, an dem die Brüder als Frontkämpfer teilnahmen, erreichte die Gemeinde mit mehr als 100 Mitgliedern ihren Höchststand. In den Jahren vor der NS-Herrschaft waren die Mitbürger jüdischen Glaubens nach allgemeinem Bekunden gut in das städtische Leben integriert, hatten ihre eigenen Vereine, nahmen aber auch am Vereinsleben der Stadt insgesamt teil. Allerdings ging die Zahl jüdischer Einwohner seit dem Ende des Kriegs stetig zurück und betrug 1933 nur noch Zweidrittel des Vorkriegsniveaus.
Wie dünn das Eis war, das den latenten Antisemitismus in all den Jahren zuvor nur überdeckt hatte, zeigte sich schon bald nach der „Machtergreifung“, als auch in Montabaur gegen die angebliche „Gräuelpropaganda“ zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen wurde. Dadurch aufgeschreckt, versuchten die ersten, zumeist jüngeren Jüdinnen und Juden aus Montabaur und Deutschland herauszukommen. Bereits 1934 wurde auch der 24jährige Ernst Kahn, der 1924 nach Beendigung seiner Schulzeit in den elterlichen Betrieb eingestiegen war,[163] von einigen anderen jüdischen Männern aus einer Nachbargemeinde gefragt, ob er mit ihnen nach Australien gehen wolle. Damals hatte der Vater ihm das verwehrt. Er, der Soldat des Weltkriegs, war zu dieser Zeit noch immer der festen Überzeugung, dass ihm und seiner Familie kein Leid geschehen werde. 1935 waren dann bei einer anderen Familie Kahn,[164] die ebenfalls im Vorderen Rebstock wohnte und mit Vieh handelte, die Scheiben eingeworfen worden. Sogenannte „Judenfreunde“, die anfangs noch Handel mit den Brüdern Kahn trieben wurden in der Öffentlichkeit bedrängt und angepöbelt, sodass sie sich allmählich zurückzogen und die jüdische Bevölkerung immer mehr in die soziale Isolation geriet. „Ich bin mit der montabaurer Jugend aufgewachsen, auf einmal die Leute hatten Angst mit mir zu sprechen“, schrieb Ernst Kahn in seiner Biografie. Aber über eine gewisse Zeit gab es auch noch so etwas wie Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern. Nachbarn kauften für seine Eltern in Geschäften ein, die zu betreten Juden inzwischen verboten war, und legten die Waren in einen Hohlraum, der eigens dafür in der Kellermauer eingerichtet worden war. „Das Brot kaufte wir vom Landleute, die selbst backen. Da waren Leute, die es ihnen leid getan haben, was mit uns geschehen war.“[165]
Die Familie lebte, so Ernst Kahn, seit dieser Zeit fast ausschließlich von Erspartem und den Mietzahlungen von zwei Mietern im Haus, durch die das Einkommen ein wenig aufgebessert werden konnte. Noch eingehenden Außenständen kamen sporadisch hinzu, neue Verträge wurden aber kaum noch abgeschlossen,[166] nachdem im September 1935 der Bürgermeister der Stadt die Bauern dazu aufgerufen hatte, künftig ihre Geschäfte ohne jüdische Viehhändler abzuwickeln.[167]
Vermutlich schätzte der Vater nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze die Situation für ihn und seine Familie anders ein, als noch 1934. Im Jahr 1936 erlaubte er nun seinem jüngeren Sohn Werner die Auswanderung nach Haiti, wo sein Neffe Sally Kahn sich inzwischen etabliert und ein eigenes Fotogeschäft eröffnet hatte. Da auch Werner sich für Fotografie interessierte und auch wichtige Geräte mit nach Übersee bringen konnte, besorgte sein etwa 18 Jahre älterer Cousin die notwendigen Papiere, damit auch er in den Inselstaat einreisen konnte.
Weil Werner früher ein exzellenter Schüler gewesen war, hatte er nach seinem Abitur eigentlich studieren wollen. Die Möglichkeit blieb ihm aber nach 1933 verwehrt und er absolvierte stattdessen eine kaufmännische Lehre in Frankfurt. Als sich ihm dann 1936 die Möglichkeit zur Auswanderung bot, ergriff er diese Chance und rettete so sein Leben. Nachdem er mehrer Jahre auf Haiti gelebt und gearbeitet hatte, konnte er 1945 in die USA einreisen und in Miami, Florida, ein noch heute existierendes, neues Foto-Studio eröffnen.
Den Gewaltexzess im November 1938, der alles übertraf, was man den Jüdinnen und Juden bisher in Deutschland im 20. Jahrhundert angetan hatte, musste Werner Kahn somit nicht mehr in seiner Heimatstadt erleben. Der Ablauf der Ereignisse dieser Tage in Montabaur ähnelte sehr dem in Idstein. Wie auch dort begann der Pogrom nicht erst am 9. oder 10. November, sondern bereits rund eine Woche zuvor. In der Nacht zum 4. November waren Unbekannte in die Synagoge in Montabaur eingebrochen, beschädigten die Einrichtung schwer und raubten verschiedene Kultusgegenstände. Und schon in der Nacht zum 9. November waren im Hinteren Rebstock die Fenster eines jüdischen Hauses eingeschlagen worden.
Die Aktion am Morgen des 10. November, bei der das Innere der Synagoge endgültig zerstört wurde, war eine systematisch durchgeführte Aktion des SA aus Höhr und Grenzhausen unter Führung des SA-Obersturmführers Conradi.[168] Mittags wurden dann die jüdischen Bürger selbst und ihre Wohnungen Ziel des Terrors. Einer der SA-Leute, die Kahns aus ihrem Haus trieb, war früher einmal Ernsts bester Freund gewesen.
Wie überall in Deutschland wurde wie in einem Rausch alles zertrümmert, was den Horden an jüdischem Besitz in die Hände fiel. Schreibmaschinen und Autos und andere nutzbare Gegenstände wurden konfisziert und die jüdischen Familien selbst mussten entwürdigende Verhöre und einen „Spiesrutenlauf“ über sich ergehen lassen, bei dem auch mancher Bürger zuschlug, der nicht einer der nationalsozialistischen Organisationen angehörte. Die Pogromstimmung riss sie alle mit. Nachts beförderte man die Opfer in Viehwagen – so Ernst Kahn – ins benachbarte Kirchähr, wo sie dann für zwei Tage in einer Turnhalle inhaftiert blieben. Während die Frauen, Kinder und alten Männer danach wieder in ihre zerstörten Häuser zurückkehren durften, wurden die Männer bis 60 Jahren – man hatte ihnen gesagt, sie würden beim Autobahnbau eingesetzt – weiter nach Frankfurt zunächst in ein Sammellager am Güterbahnhof und dann mit Viehwaggons nach Buchenwald verbracht. Vermutlich gehörten auch Leopold und Albert zu denjenigen, die wieder nach Hause entlassen wurden, zumindest stehen sie mit ihren Ehefrauen auf einer Liste der Juden, denen man Ende 1938 den Verbleib in Montabaur genehmigte.[169]
Albert und Billa Kahns Sohn Ernst gehörte aber zu denjenigen, die in Buchenwald inhaftiert wurden. Dort erlebte er vermutlich die schlimmste Zeit seines Lebens. „Wir lebten wie die Tiere“, so fasste er die detaillierten Erinnerungen über die Monate im Lager zusammen. Am Bahnhof von Weimar angekommen, wurden sie von SS-Leuten mit Knüppeln auf die bereitstehenden Lastautos getrieben und in das Lager gebracht: „Da fang das Unglück an, erst wurden wir geschoren, nichts zu essen & nichts zu drinken, man hat keinen Schlafplatz bis Sonntag, wir kamen in das Camp am Freitag. Ich erinnere mich, eine Nacht verbrachten wir im Keller, da war Wasser, aber eine notice ‚Vorsicht Typhus’, so man konnte nicht das Wasser drinken, Leute wurden verrückt, da wurden die Leute Tot geschlagen. Am Sonntag zum ersten Essen bekamen wir Kulash, nach einiger Zeit, wir mußten auf der Parade sitzen, viele Leute bekamen Durchfall, keine Latrine, nur eine zum Anfang. Ein sting, es war furchbar, kein Wasser zu waschen, ich hatte meine Kleider die für 7 Wochen. Eines Tage die Leute bekamen Läuse & wir wurde entläused, danach hatten wir kalte Duschen, aber nichts zu trocknen, es war Winter & sehr kalt & Schnee.(…) Am morgen mussten wir zu Rollcall gehen & standen Stunden im Schnee und Frost. In den ersten Wochen entlies man Leute, welche auswandern konnten & Männer die im ersten Weltkrieg für das Vaterland gekämpft hatten. (…) Ich war 13 Wochen im Camp, als ich nicht auswandern konnte. Es ist zu viel für alles zu schreiben. Es ist gefühlvoll & es tut weh.“[170]
Wie die Mitgefangenen litt auch er an der unmenschlichen Kälte, an dem miserablen und unzureichenden Essen, an den Qualen beim Appell. Seine Schwester Erna versuchte, ihm über die britische Botschaft ein Visum für Jamaika zu beschaffen. Aber die Ausreise kam aus unbekannten Gründen nicht zustande. Erst am 18. Juli 1939 konnte er mit Hilfe eines ehemaligen Mitgefangenen Fritz, der inzwischen nach Großbritannien ausgewandert war, ebenfalls dorthin gelangen.
Am 23. Juni 1939 reichte er die Umzugslisten und die geforderten Rahmenformulare für die Ausreise nach England bei der Devisenstelle in Frankfurt ein, darunter auch die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamts und der Stadtkasse von Montabaur. Auch eine Bescheinigung der Kultusgemeinde, die besagte, dass er seinen steuerlichen Verpflichtungen ihr gegenüber immer nachgekommen sei, lag bei.[171]
Eine dann in England begonnene Bäckerlehre musste Ernst Kahn wegen einer Allergie wieder abbrechen, sodass er danach zunächst wieder mittellos auf der Straße stand. Arbeit fand er dann auf einem Bauernhof, wo er auch seine spätere Frau Irene Maud McCormick kennen lernte, die er 1948 in ihrer Heimatstadt Liverpool heiratete.[172] Danach entschlossen sich beide nach Australien auszuwandern. Ihr Schiff erreichte von Liverpool aus am 20. Mai 1949 den Hafen von Fremantle bei Perth im westlichen Australien.[173] In dieser Region ließen sie sich dann auch nieder. Ernst Kahn ging dort zeitlebens seinem Beruf als Gärtner nach, seine Frau, eine gelernte Krankenschwester, arbeitete viele Jahre in einem Krankenhaus, später noch als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis.
Von dem Schicksal seiner engsten Angehörigen, dem gewaltsamen Tod seiner Eltern und der Familie seiner Schwester, hatte er 1946 noch in England erfahren. Dass er seinem 1949 geborenen ersten Kind den Namen Lore gab, geschah sicher in Erinnerung an die ermordete Tochter seiner Schwester. Am Neujahrstag 1956 kam seine zweite Tochter Janet zur Welt. Zuletzt lebte die Familie im Mandurah in der Nähe von Perth.
Irene Kahn verstarb 1984 in Australien, als die Kinder bereits ihre eigenen Familien gegründet hatten, er selbst am 24. Dezember 1999 im Alter von 99 Jahren.
Die Kinder von Leopold und Hilda Kahn erlebten die Novemberereignisse nicht in ihrer Heimatstadt. Erich hatte den Bäckerberuf erlernt und arbeitete in dieser Zeit in dem etwa 20 km entfernten Vallendar, wo der Mob in den Novembertagen genauso hauste wie überall.[174] Zwar hatte sich der jüdische Bäckermeister und Arbeitgeber von Erich Kahn, Ferdinand Loeb, nach Koblenz flüchten und verstecken können, aber sein Sohn Siegfried wurde zusammen mit dem Gesellen Erich Kahn in einem Viehwaggon nach Dachau verbracht, wo sie am 15. November ankamen. Schon nach wenigen Wochen verstarb Erich Kahn dort angeblich an Gelbsucht und Herzschwäche. Wenn denn die Todesursache stimmen sollte und er nicht einfach roher Gewalt zum Opfer gefallen war, so müssen es die miserablen hygienischen Zustände dort gewesen sein, die diesen Tod verursacht haben. Wie dem auch sei, ein gewaltsamer Tod bleibt es in jedem Fall.
Schon am nächsten Tag erhielt der Vater, der zuvor vom Tod seines Sohnes nicht unterrichtet wurde, das „Angebot“, für 60 RM könne ihm die Urne mit der Asche seines Sohnes, die noch vorhandene Kleidung und andere Habseligkeiten zugeschickt werden. Die Eltern ließen die Urne kommen und begruben sie in aller Stille – dies war zur Bedingung gemacht worden – auf dem jüdischen Friedhof in Montabaur. Erich Kahn war das erste Opfer der Shoa aus Montabaur und der letzte Jude, der auf dem dortigen Friedhof begraben wurde.[175]
Irma arbeitet bzw. lernte 1938 im Abraham-Frank-Haus in Köln, einem jüdischen Waisenhaus, dem eine Haushaltsschule angeschlossen war. Nachfragen bei den Behörden ihrer Heimatstadt, wie es ihren Eltern nach der Reichspogromnacht gehe, wurden abgewimmelt. Erst Ende 1938 erhielt sie die Möglichkeit nach Montabaur zu fahren, um sie zu besuchen. Was sie vorfand, war ein völlig demoliertes Haus, in das ihre Eltern nach ihrer zeitweiligen Verhaftung wieder zurückgekehrt waren.
Auf einer Liste, die vom Ende 1938 stammt, ist vermerkt, dass die Brüder Albert und auch Leopold Kahn ihre jeweiligen Häuser im Vorderen Rebstock verkaufen wollen bzw. schon verkauft hatten. Man muss davon ausgehen, dass damals erheblicher Druck auf sie ausgeübt wurde. Aber bleiben wollten sie vermutlich ohnehin nicht mehr in der Stadt, die ihnen all das Leid angetan hatte. Offensichtlich hegte zumindest Leopold Kahn damals noch die Hoffnung, umziehen zu können, vielleicht nach Köln, Sayn oder Frankfurt, wie in dem Dokument angedeutet.[176]
Aber anders als in dem von Wild zitierten Dokument scheint der Verkauf der jeweiligen Häuser, wenn er denn überhaupt zustande gekommen sein sollte, sich doch noch länger hingezogen zu haben, wie aus weiteren Dokumenten zu schließen ist.
Im Januar 1940 war Albert Kahn zur Abgabe einer Vermögenserklärung aufgefordert worden. Auf Basis dieser Erklärungen wurde ihm ein monatlicher Freibetrag von 250 RM eingeräumt, den er von seinem gesicherten Konto abheben durfte, um seine Lebenshaltungskosten zu bestreiten. [177]
Nach eigenem Bekunden besaß Albert Kahn zu diesem Zeitpunkt nach Abzug von Schulden noch etwa 8.000 RM. Den Wert seines Grundbesitzes hatte er mit 7.700 RM veranschlagt, was eigentlich bedeuten müsste, dass das Haus damals noch in seinem Besitz war, denn andere größere Vermögenswerte oder Einkommensquellen besaß er nicht.[178]
Ähnlich sieht es ein Jahr später bei Leopold Kahn aus. Laut der Vermögenserklärung, die abzugeben dieser im Januar 1941 gezwungen wurde, betrug sein Gesamtvermögen etwa 12.000 RM, das sich im Wesentlichen aus drei Posten zusammensetzen: etwa 3.000 RM an Hypothekenforderungen, 6.200 RM Grundbesitz und weitere 3.000 RM Außenstände.[179]
Es ist eher unwahrscheinlich, dass allein die noch nicht veräußerten Wiesen und Felder den Wert des jeweiligen Grundbesitzes der Brüder ausgemacht haben können. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass auch Leopold Kahn zu diesem Zeitpunkt noch Eigentümer seines Hauses war. Wenn der Verkauf damals schon abgeschlossen gewesen wäre, hätte eigentlich auch die Summe auf den Konten bei der Sparkasse mehr als die jeweils 111 RM betragen müssen.
Andererseits gaben beide ihre Lebenshaltungskosten damals mit 300 RM an. Darunter sind eigenartigerweise auch 30 RM für Wohnungskosten genannt, wozu allerdings auch Heizung, Gas, Wasser und Strom gehörten. Ob die Nebenkosten tatsächlich so hoch waren, ist nur schwer einzuschätzen. Der Betrag könnte auch ein Indiz dafür sein, dass Kahns tatsächlich schon in ihrem ehemaligen eigenen Haus zur Miete wohnten, es somit damals doch schon verkauft war. Eine mögliche Lösung für diesen Widerspruch könnte darin bestehen, dass Kaufverträge bereits abgeschlossen, diese allerdings noch nicht behördlich abgesegnet worden waren, weshalb auch noch keine Umschreibung im Grundbuch hatte stattfinden können und die Häuser formal noch dem Vermögen der Kahns zugerechnet wurden.
Was für diese Möglichkeit spricht ist, die Tatsache, dass arische Mieter, die im Haus von Albert Kahn wohnten, ab April 1939 ihm eine ähnlich hohe Miete, nämlich 20 RM, zahlten und er diese Zahlungen damals auch noch selbst quittierte. Ab 1940 wurde das Geld dann auf ein Konto bei der ‚Kreissparkasse Unterwesterwald‘ eingezahlt. Vermutlich handelte es sich um das Sicherungskonto, das einzurichten die Juden mit einem entsprechenden Vermögen damals gezwungen wurden, denn vor der eigentlichen Kontonummer war ein Kürzel „Sk“ eingetragen.[180] Aber gerade diese Mietzahlungen sind tatsächlich Indiz dafür, dass der Verkaufsvorgang Anfang 1940 zumindest noch nicht abgeschlossen war.
Ein Kaufvertrag, den Albert Kahn mit einem Ehepaar Hermes aus Montabaur bereits 1939 geschlossen hatte, wurde am 22. Februar 1940 vom zuständigen Landrat genehmigt. Leider ist in dem Schreiben weder das Kaufobjekt, noch der gezahlte Preis genannt. Es heißt darin nur, dass „der an den Verkäufer zur Auszahlung gelangte Teil des Kaufpreises zu seinen Gunsten auf ein Sperrkonto bei einer Devisenbank einzuzahlen (sei).“ Aus einer handschriftlichen Notiz auf dem Schreiben erfährt man zudem, dass „der Jude Albert Kahn (angibt), er habe den Betrag von 400 RM zur Zahlung der 5. Rate der Judenvermögensabgabe verwendet.“[181] Ob dieser Betrag die gesamte Anzahlung oder nur einen Teil ausmachte, muss wiederum offen bleiben. Aber auch dieser Vorgang kann sich kaum auf den Verkauf des Hauses im Vorderen Rebstock 24 beziehen, denn die Stadtverwaltung Montabaur hatte nach den Zerstörungen während der Reichspogromnacht den Verkaufswert des Hauses neu bewertet und ihn erheblich herabgesetzt. Der Wert der Immobilie war zunächst um 30 Prozent auf 7.670 RM und dann noch einmal am 4. Juni 1941 auf nur noch 5.400 RM festgelegt worden.[182] Das Haus wird also, wenn überhaupt, frühestens nach diesem Termin seinen Besitzer gewechselt haben.
Im September 1940 wurde von dem Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau ein weiterer Kaufvertrag der Brüder genehmigt, aber bei diesem handelt es sich um Land, das der Landrat des Unterwesterwaldkreises für 1.750 RM erwarb. Zu welchem Zweck ist nicht gesagt. Seit 1. März 1938 bzw. 1. Februar 1939 waren die Areale von der „Bauleitung der Reichsautobahnen“ für ein Arbeitslager verwendet worden. Erst ab 1941 beabsichtigte der Kreis, die Flächen selbst zu nutzen. Deswegen fragte die Autobahnbauleitung an, wem die Ernteausfallentschädigung für die Jahre 1938 bis 1940 zustehe, dem Kreis oder den ehemaligen jüdischen Eigentümern. Die Devisenstelle beschied, dass die Beträge – die Höhe ist nicht genannt – „auf das Konto der Juden“ zu zahlen seien.[183]
Noch unwahrscheinlicher ist, dass das Haus von Leopold und Hilda Kahn im Vorderen Rebstock 38 verkauft wurde, obwohl auch in deren Vermögenserklärung von 1941 ein Betrag für Miete und Nebenkosten in der Höhe von 30 RM angegeben wurde. Das spricht aber gerade dafür, dass es sich bei diesem Betrag wie auch bei dem in der Erklärung seines Bruders tatsächlich nur um Nebenkosten handelte, denn zu diesem Zeitpunkt war das Anwesen ganz sicher noch in Besitz von Leopold Kahn. Zwar scheint es auch für dieses Wohngrundstück verschiedene Interessenten gegeben zu haben, aber zu einem Verkauf ist es offensichtlich damals nicht gekommen, da der von der Stadt festgelegte Preis dem potentiellen Erwerber letztlich doch zu hoch war.[184] Das Haus fungierte stattdessen in den folgenden Monaten als Judenhaus für die noch in Montabaur verbliebenen jüdischen Bürger. Neben Kahns selbst – wann Albert und Billa Kahn dort einzogen, ist nicht bekannt – waren das noch die beiden Ehepaare Heimann.[185] Judenhäuser blieben im Allgemeinen bis zur „Abschiebung“ der Eigentümer formal in deren Besitz, weshalb man davon ausgehen kann, dass das auch bei Leopold Kahn der Fall war. Belegt wird diese Vermutung durch einen Brief, den er kurz vor seiner Deportation an eine Familie Hammerstein in Montabaur gerichtet hatte. In diesem Brief an Hammersteins, die er – sollte er den Krieg nicht überleben – zu eine Art Treuhänder für sein nachgelassenes Vermögen gemacht hatte, erwähnt er noch immer sein Haus und seine Scheune, über die die entsprechenden Unterlagen beim Amtsgericht Montabaur (Grundbuchamt) zu finden seien. Geschrieben wurde der Brief am 24. August 1942.[186] Dass danach das Haus noch verkauft wurde, ist allein deswegen unwahrscheinlich, weil bereits seit dem 24. April 1942 das Verkaufsverbot für jüdische Wohngrundstücke erlassen worden war.[187]
Der Brief war im Arbeitslager Friedrichssegen bei Lahnstein verfasst worden, wohin die Bewohner des Judenhauses am 21 August 1941 verbracht worden waren. Mit dieser Umsiedlung begann für sie die letzte Etappe ihres Leidensweges vor dem Tod im Vernichtungslager.[188]
Die Brüder Albert und Leopold Kahn teilen der Devisenstelle in Frankfurt ihren erzwungenen Umzug nach Friedrichssegen mit
HHStAW 519/3 3199 (30) und 3198 (31).
Die Umsiedlungsaktion, deren treibende Kraft der NSDAP-Kreisleiter Wagner war, wegen seiner rigorosen Handlungsweise auch als „Diktator des Kreises“ tituliert, hatte eine längere Vorgeschichte. Die Siedlung bei einer aufgegebenen Eisenerzgrube hatte seit Mitte der Zwanziger Jahre als Elendsquartier für Arbeits- und Wohnsitzlose der Region gedient und sollte ursprünglich abgerissen werden. Das stark „lumpenproletarisch“ geprägte Milieu mit seinen als rassisch minderwertig eingestuften Bewohnern entsprach ganz und gar nicht den Vorstellungen der NS-Ideologie von einer sauberen und gesunden Volksgemeinschaft. Das Problem bestand nun aber darin, dieses Milieu zu zerschlagen und die Menschen woanders unterzubringen, was angesichts der Wohnungsknappheit schon schwierig genug war. Zudem sollte ihnen auch eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung gestellt werden. Was im Hinblick auf die Unterbringung näher, als für sie die Wohnungen freizumachen, die noch von Juden bewohnt wurden. Nach der Verabschiedung des ‚Gesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden’ meinte man auch die rechtliche Handhabe zu besitzen, zumal im Oktober 1940 bei der Wagner-Bürckel-Aktion schon tausende Juden aus Süddeutschland und der Pfalz mit Zustimmung der obersten Parteiführung zwangsumgesiedelt worden waren. Dennoch stieß der Plan von Kreisleiter Wagner auf erheblichen Widerstand auch innerhalb der NS-Bürokratie. So gab es in den jeweiligen Orten Widerstand gegen die als asozial angesehenen Zuzügler, zumal man in den frei gewordenen Judenhäusern lieber vertraute Wohnungssuchende aus den Gemeinden selbst unterbringen wollte. Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, dass die freigewordenen jüdischen Wohnungen nicht ausgereicht hätten, um die Zahl der in Friedrichssegen noch lebenden Bewohner aufzunehmen, da es sich häufig um sehr kinderreiche Familien handelte. Gravierender waren aber wohl die Bedenken, die Juden hier in Deutschland quasi in verschiedenen Ghettos zusammenzufassen, was Heidrich schon im Vorfeld der geplanten Umsiedlung der jüdischen Bevölkerung als höchst problematisch angesehen hatte.[189] Das rechtliche Problem bestand darin, dass eine Ausweisung aus einem Haus in jüdischem Besitz, ob als Eigentümer oder auch Mieter, auch durch das neue Mietgesetz keineswegs gedeckt war. Die Umsiedlung war allerdings möglich, wenn sie im Rahmen eines Arbeitseinsatzes von den zuständigen Arbeitsämtern angeordnet wurde. In enger Kooperation mit diesen Ämtern gelang es dann tatsächlich, trotz weiterhin bestehender Widerstände und Konflikte im Einzelfall, diesen Plan umzusetzen. Zwar schrieb Wagner am 27. August 1941 der Gauleitung, „im grossen (!) und Ganzen ist diese Umsiedlung beendet“,[190] aber real zog sich die Aktion noch bis in den Dezember hin. Dennoch: „Auf Grund der Beharrlichkeit des Kreisleiters Josef Wagner konnten schließlich bis auf wenige Ausnahmen, die Juden der Kreise St. Goarshausen, Rheingau und Unterwesterwald und aus dem Unterlahnkreis ein Teil der Bad Emser Juden gezwungen werden, nach Friedrichssegen umzusiedeln.“[191]
Die etwa 75 zwangsweise umquartierten Jüdinnen und Juden wurden in der Siedlung „Tagschacht“ einquartiert, einem feuchten, völlig maroden und nur schwer beheizbaren Wohnblock, in dem es fließendes Wasser und Toiletten nur außerhalb des Gebäudes gab. Möbel konnten sie nur zum Teil unter schwierigsten Bedingungen mitbringen und auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln waren sie allen möglichen Schikanen ausgesetzt. Der tägliche, sehr beschwerliche Weg zu den Arbeitsstätten im Tal, kam oft einem Spießrutenlauf gleich. Mitleid konnten die „Verfemten“ von der Bevölkerung nicht erwarten.
“Die überwiegend älteren Männer und Frauen mussten in ortsansässigen Betrieben Zwangsarbeit leisten. Die Männer sortierten Alteisen und Schrott in der arisierten Firma „Friedrichssegener Eisenhandel“, die Frauen wurden im Ton- und Dachziegelwerk Friedrichssegen bei der Klinkerproduktion eingesetzt. Zu ihrer Arbeitsstelle hatten die jüdischen Zwangsarbeiter einen Weg von etwa 4 km zurückzulegen, also jeden Tag je etwa 1 Stunde hin und 1 Stunde zurück. Dieses Leben in der Isolation im Elendsquartier muss für die Montabäurer, die ja aus gutbürgerlichen Verhältnissen kamen, trostlos und entwürdigend gewesen sein. Die tägliche Schikane, die schwere Zwangsarbeit, die Angst vor dem damaligen Regime und seinen Helfershelfern ließ ihnen keinerlei Hoffnung mehr auf eine Besserung ihrer Lebensverhältnisse!“[192]
Ein Jahr waren die beiden Ehepaare Kahn diesen unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Am 24. August schrieb Leopold Kahn den bereits erwähnten Brief an die Familie Hammerstein, in dem er zunächst nicht nur den schlechten Gesundheitszustand seiner Frau – „kränkelt dauernd und ist sehr mit den Nerven am Ende“ – beklagte, sondern auch darüber verärgert war, dass die benannte Familie weder wie versprochen geschrieben, noch sie in Tagschacht besucht hätte.[193] „Wir wandern am kommenden Freitag hier ab“, heißt es dann weiter.[194]
Am 28. August 1942 wurden sie in Begleitung von Polizisten in einem fahrplanmäßigen Zug nach Frankfurt gebracht.[195] Vielleicht erschien Ihnen das zunächst als Erlösung, als ein Schimmer von Hoffnung. Aber dieser muss bald verflogen sein, als sie nach einem Fußmarsch vom Hauptbahnhof zum Sammellager, dem Jüdischen Altersheim im Rechneigraben 18-20 ankamen. Mehr als 1000 Menschen warteten hier auf ihren Abtransport. Mit Lastwagen – es handelte sich primär um alte Menschen – wurden sie noch zur Großmarkthalle gebracht, wo am Gleis 40 der Zug nach Theresienstadt auf sie wartete.
Ob den Menschen bereits im Altersheim oder erst in der Großmarkthalle ihr letztes Eigentum geraubt wurde, ist nicht zu sagen, aber in der Devisenakte von Leopold Kahn befindet sich ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass auch er zum Abschluss eines völlig wertlosen Heimeinkaufsvertrag gezwungen worden war, der den alten jüdischen Menschen vorgaukeln sollte, in Theresienstadt sei für sie gesorgt. Abgeschlossen wurde er formell mit der ‚Reichsvereinigung der Juden’, aber das Geld floss über das ‚Bankhaus Tecklenburg & Co.’ in die Kassen der SS. Von Leopold Kahns gesichertem Konto bei der Kreissparkasse Unterwesterwald wurde am 5. September 1942 der Betrag von 826 RM an dieses Bankhaus überwiesen.[196] Am 10. Oktober 1942 wurde das restliche Vermögen, das die SS für die Reichsfinanzverwaltung übrig gelassen hatte, vom Fiskus eingezogen.[197] Vermutlich ging damit auch die im Erbvertrag von 1935 vorgesehen Erbin leer aus.
Von den insgesamt fünf Kindern, die aus den Ehen von Albert und Leopold Kahn hervorgegangen waren, fielen nur Erich Kahn und dessen in Idstein verheiratete Cousine Erna dem Holocaust zum Opfer. Den anderen drei gelang es, zum Teil auf abenteuerliche Weise ihr Leben zu retten.
Ob Irma nach ihrem Besuch bei den Eltern Ende 1938 zunächst in Montabaur blieb oder wieder nach Köln zurückkehrte, ist nicht bekannt. Aber im folgenden Jahr gelang es ihr nach Großbritannien auszuwandern, wo sie im Oktober in Birmingham in einem Krankenhaus arbeitete und von einer Internierung verschont blieb.[198] Die Eltern hatten mit einem Erbvertrag bereits 1935 versucht, ihr Vermögen für sich oder ihre Kinder zu sichern. Wohl ahnend, dass ihre Rechte immer weiter eingeschränkt würden, hatten sie für den Fall, dass sie „freiwillig oder durch Gewalt unser Vaterland, das ist Deutschland, verlassen werden, oder müssen“ bestimmt, dass ihre Hinterlassenschaft die nichtjüdische Haushälterin Elise Panzera erben solle.[199] Aber für den Fall, dass sie selbst oder eines ihrer Kinder überleben und nach Deutschland zurückkehren würde, sollte die Erbschaft wieder diesen Familienangehörigen zufallen. Ob dies gelang, ist nicht bekannt, aber die Erben sollen nach dem Krieg mit der inzwischen in die USA ausgewanderten Tochter Irma in Kontakt gestanden haben.[200]
Irma war in Amerika, wohin sie im Juni 1947 auswanderte, mit einem Hugo Hirsch verheiratet, der 29. April 1906 in Deutschland geboren worden war.[201] Bei der Volkszählung 1950 lebte das Paar in Bozrah in Connecticut. Am 17. September 1947 war ihnen ein Sohn geschenkt worden, der den Namen Michael erhielt. Einem Grabstein auf dem Friedhof von Preston, Connecticut, in den eine Inschrift sowohl für die Mutter wie auch den Sohn eingraviert ist, kann man entnehmen, dass Irma Hirsch am 22. April 2005 im Alter von 84 Jahren verstarb. Ihr Sohn Michael war bereits vier Jahre zuvor am 15. Dezember 2001 im Alter von nur 54 Jahren gestorben.[202] Noch früher, nämlich schon am 24. Februar 1982 war sein Vater Hugo Hirsch zu Grabe getragen worden.[203]
Veröffentlicht: 12. 03. 2023
Anmerkungen:
[1] Um in der folgenden Darstellung die Übersicht über die beiden Familien Kahn zu behalten, ist es sinnvoll, den Stammbaum mit der rechten Maustaste in einem eigenen Tab zu öffnen, sodass man bei Bedarf leicht darauf zurückgreifen kann.
[2] Siehe auch im Folgenden, Buck, Die jüdischen Idsteiner, S. 2-41. In dem eingefügten Stammbaum sind die älteren, hier genannten Generationen nicht enthalten. Er beginnt mit Isaac Kahn, dem ersten Spross der Familie, der diesen Namen von Geburt an trug.
[3] Ebd. S. 14.
[4] Eine kleine Broschüre von Gerhard Buck und Claudia Niemann, die anlässlich einer Stolpersteinaktion von zwei Schülergruppen in Idstein im Jahr 2012 entstand, stellt in knapper Form das Schicksal der Familie Kahn besonders unter der NS-Herrschaft dar. Siehe Buck; Niemann, Die Familien Kahn und Grünbaum, Idstein 2014, S. 3.
[5] Heiratsregister Betziesdorf 3 / 1897.
[6] Geburtsregister Idstein 56 / 1875.
[7] Heiratsregister Klein-Auheim 21 / 1899. Die Eheschließung hatte am 13.12.1899 stattgefunden. Berthas Eltern waren der Metzgermeister Juda Herz Hamburger und seine Frau Zerlina, geborene Rosenberg. Max Kahn hat in seinem Entschädigungsantrag HHStAW 518 18679 (12) ein falsches Geburtsdatum seiner Frau angegeben, nämlich statt den 22, den 27.8.1873.
[8] Heiratsregister Montabaur 26 / 1932
[9] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de878101. (Zugriff: 20.02.2023).
[10] HHStAW, 518 18619 (5).
[11] Ebd.
[12] Geburtsregister Idstein 90 / 1912.
[13] HHStAW 518 18679 (86), dazu ebd. (23, 77, 81). Einzig ein Nachbar bezweifelte in einer eidesstattlichen Erklärung die Höhe des veranschlagten Umsatzes. Von den damals in Idstein ansässigen sechs Viehhandlungen sei die der Kahns die kleinste gewesen. Ein anderer jüdischer Viehhändler, Felix Lahnstein, habe der Familie Kahn öfters finanziell unter die Arme greifen müssen, ebd. (38). Bei diesem Zeugen handelt es sich aber um den Käufer des Hausgrundstücks der Kahns nach dem Novemberpogrom, der nach dem Krieg eine beträchtliche Summe auf den damals gezahlten Kaufpreis nachzahlen musste.
[14] Ebd. (39).
[15] Sterberegister Idstein 16 / 1938.
[16] Buck; Niemann, Die Familien Kahn und Grünbaum, S. 9.
[17] Heiratsregister Montabaur 26 / 1932.
[18] Geburtsregister Montabaur 154 / 1908. In den Dokumenten und auch im Internet tauchen völlig unterschiedliche Geburtsdaten von Erna Kahn auf. Das HHStAW gibt als Datum unter Bezug auf die Steuerakte 685 356 den 19.12.1908 an. In der Haus Haltsliste von Montabaur aus dem Jahr 1911/12 ist als ihr Geburtsdatum der 23.12.1908 genannt, siehe https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/18924?entity=82715&query=Kahn%2C%20Billa. (Zugriff: 20.02.2023). C.P. Beuttenmüller, Montabaur, Information vom 17.2.2019, geht noch einen Tag weiter und gibt den 20.12.1908 an. Das Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse für die Familie Kahn nennt sogar den 29.12.1908. Das im Text hier genannte Geburtsdatum ist sowohl in der Geburtsurkunde 154 / 1908, wie auch in der Heiratsurkunde 26 / 1932 des Standesamts Montabaur angeben.
[19] Geburtsregister Montabaur 139 / 1910 und 70 / 1916. Zur Familie Kahn aus Montabaur siehe die Ausführungen unten in diesem Kapitel.
[20] Geburtsregister Wiesbaden 35 / 1933,
[21] HHStAW 685 356a (1). Auch dem Finanzamt Bad Schwalbach wurde eine entsprechende Mitteilung gemacht, ebd. (2). Manfred Kahn, der Bruder von Julius, gab im Entschädigungsverfahren an, dass dieser schon seit 1933 Teilhaber an der Firma gewesen sei. Sein Vater und sein Bruder hätten von 1933 bis 1935 jeweils die Hälfte des Kapitals gehalten, siehe HHStAW 518 18619 (1). Diese Aussage wird aber durch das Gewerberegister nicht bestätigt.
[22] HHStAW 685 356a (3).
[23] Zit. nach: Harter; Roth; Strauß-Wiltz, Reichspogromnacht Idstein, S. 73 f.
[24] HHStAW 685 356a (o.P.). Überwachungsbogen. Bei den Umsatzangaben für das Jahr 1935 ist zu bedenken, dass er erst im Mai Eigentümer der Viehhandlung wurde. Max Kahn hatte selbst noch 17.800 RM angegeben, siehe HHStAW 685 356b (1).
[25] HHStAW 685 356b (1).
[26] Ebd. (3, 8, 17).
[27] Ebd. (12).
[28] Ebd. (14).
[29] HHStAW 685 356a (31).
[30] Harter; Roth; Strauß-Wiltz, Reichspogromnacht Idstein, S. 75.
[31] HHStAW 418 1564 (12).
[32] Ebd. (13).
[33] Ebd. (15).
[34] Ebd. (34 f.)..
[35] Ebd. (19).
[36] Harter; Roth; Strauß-Wiltz, Reichspogromnacht Idstein, S. 105.
[37] Heiratsregister Betziesdorf 3 / 1897.
[38] HHStAW 518 21446 (67 f.). Hier ist die Einrichtung des Hauses detailliert aufgeführt.
[39] Ebd. (30).
[40] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6716167:2280?tid=&pid=&queryId=27c5a246942b6591e7f5f5b6f1bb4cc7&_phsrc=svo1235&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.02.2023). Jacob Oppenheim war am 25.5.1895 als Sohn des Handelsmanns und Buchbinders Moses Oppenheim und seiner Frau Gündel, geborene Spier, zur Welt gekommen, siehe Geburtsregister Nentershausen 27 /1895.
[41] Geburtsregister Wiesbaden 1174 / 1924 und Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.
[42] Zum Umzug siehe HHStAW 519/3 31974 (3).
[43] Zit. nach Harter; Roth; Strauß-Wiltz, Reichspogromnacht Idstein, S. 103.
[44] Ebd. S. 111
[45] HHStAW 518 18619 (4).
[46] HHStAW 519/3 27430 (3).
[47] HHStAW 519/3 3514. (1).
[48] HHStAW 518 18679 (62).
[49] HHStAW 519/3 3292 (2a). Die Devisenstelle genehmigte den Vertrag am 15. August 1939. Als Verkäufer traten im Übrigen nicht nur Max und Julius Kahn auf, sondern auch seine Geschwister Ida, Manfred, Kurt und Fritz, die sich zu diesem Zeitpunkt schon alle im Ausland befanden.
[50] HHStAW 519/3 3292 (1).
[51] Ebd. (4).
[52] Ebd. (5, 10).
[53] Ebd. (7).
[54] Brüchert, Zwangsarbeit in Wiesbaden, S. 251.
[55] Ebd. (17, 12). 1941 wurden die Löhne von jüdischen Zwangsarbeitern vereinheitlicht, gleichgültig welche Ausbildung und welches Fachwissen sie mitbrachten. Männliche Juden über 23 Jahren erhielten 60 Pfennige, Frauen über 21 Jahren 45 Pfennige. Siehe Brüchert, Zwangsarbeit in Wiesbaden, S. 246 f.
[56] Unbekannte Liste X 3 und Gestapokarteikarte für Simon Briefwechsler.
[57] Majdanek 1942 – The Book of Prisoner Deaths, Lublin 2004, S. 211. Durch einen Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 14.12.1950 war sein Todestag, die Totenliste aus Majdanek kannte man damals noch nicht, auf den Tag der deutschen Kapitulation, den 8.5.1945, festgelegt worden, siehe HHStAW 469/33 2916 (21).
[58] Ebd.
[59] HHStAW 519/3 3292 (20).
[60] https://gw.geneanet.org/abeltzer?n=godschalk&oc=&p=emil. (Zugriff: 20.02.2023).Der Vater war 1861 und die Mutter 1865 geboren worden. Emil hatte noch zwei Schwestern, die am 6.12.1888 geborene Paula und die am 6.10.1897 geborene Hertha. Beide wurden im Holocaust ermordet. Paula, verheiratete Löwenstein, wurde von Meudt im Westerwald über Frankfurt nach Sobibor deportiert. Sie saß in dem Transport, der auch die Wiesbadener Juden am 10.6.1942 dorthin brachte. Hertha war nach Holland geflohen und von dort nach Auschwitz deportiert worden, wo sie am 21.9.1942 ermordet wurde. Siehe https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4243408&ind=1 und https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=11585080&ind=1. (Zugriff: 20.02.2023). In seinem Interview, siehe dazu die folgende Anmerkung, erwähnt Ernst Gottschalk eine weitere Schwester Carola, die nach Holland geflüchtet war und ebenfalls nicht überlebt haben soll. Näheres ist über sie nicht bekannt.
[61] Angabe nach https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vbq0a22.proxy.fid-lizenzen.de/testimony/37927?from=search&seg=1. (Zugriff: 20.02.2023). Am 29.12.1997 hat Ernst Gottschalk der US-Shoah-Foundation ein etwa zweistündiges Interview über das Schicksal seiner Familie und seinen eigenen Lebensweg gegeben. Die folgende Darstellung beruht im Wesentlichen auf diesem Gespräch. Das Interview kann nur mit einer besonderen Lizenz gehört werden.
[62] In Buck; Niemann, Die Familien Kahn und Grünbaum, S. 8 ist ein Brief von Idas Bruder Kurt, der in Israel lebte, zitiert, in dem es heißt, Ida und Emil Gottschalk hätten nach der Heirat in Aachen gelebt. Das ist aber eher unwahrscheinlich, denn Ernst erwähnt Aachen in seinem Interview überhaupt nicht. Vielleicht hatte Ernst, der seinen Onkel später in Israel besuchte, ihm nur erzählt, dass er in der Nähe von Aachen gewohnt habe, weil Geilenkirchen in Israel ganz sicher nicht bekannt war. Auch ist in diesem Brief gesagt, dass die Eltern nach Holland, statt nach Belgien geflohen seien. Buck und Niemann haben auf weitere fehlerhafte Angaben in dem Brief hingewiesen.
[63] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de878101 und https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de878043. (Zugriff: 20.02.2023).
[64] HHStAW 519/3 3292 (1).
[65] HHStAW 519/3 3514 (17).
[66] Ebd. (12).
[67] Ebd. (12, 16).
[68] HHStAW 519/3 27430 (3).
[69] HHStAW 685 353 (o.P.).
[70] Ebd. (o,P.). Bei dem erwähnten Personen wird es sich vermutlich um Emil Kahn und dessen Schwiegersohn Jacob Oppenheim, dem Ehemann von Cäcilie / Cilly, handeln.
[71] HHStAW 519/3 27430 (1, 11).
[72] HHStAW 518 18679 (30, 42, 46). Welche Organisation sich hinter diesem Hilfsverein verbirgt, war nicht zu klären.
[73] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/6716167:2280?tid=&pid=&queryId=27c5a246942b6591e7f5f5b6f1bb4cc7&_phsrc=svo1235&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.02.2023).
[74] HHStAW 519/3 31974 (4, 5).
[75] Ebd. (8).
[76] Die Entschuldigung für die späte Einreichung der Liste begründete Emil Kahn damit, dass sich seine Frau noch einen Beinbruch zugezogen hatte, was von dem Bearbeiter bei der Devisenstelle mit der Bemerkung „Das ist doch kein Grund !“ quittiert wurde, ebd. (1).
[77] HHStAW 518 21446 (11).
[78] HHStAW 519/3 31974 (3).
[79] HHStAW 685 340 (o.P.). Auskunft des Finanzamts Wiesbaden am 6.12.1955 im Entschädigungsverfahren. Dazu HHStAW 518 21446 (17).
[80] HHStAW 518 21446 (96-100, 105-107).
[81] Eine Entschädigung für diese Unterstützungsleistungen wurde ihnen im Entschädigungsverfahren verwehrt. Ebd. (77).
[82] Ebd. (48).
[83] HHStAW 518 18657 (14).
[84] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6189-0434?treeid=&personid=&hintid=&queryId=d0b0f3471ec1d1b90f9af7a8d6054a1e&usePUB=true&_phsrc=svo1192&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=23604802. (Zugriff: 20.02.2023).
[85] HHStAW 518 18657 (17).
[86] Buck; Niemann, Die Familien Kahn und Grünbaum, S. 6.
[87] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6189-0434?treeid=&personid=&hintid=&queryId=d0b0f3471ec1d1b90f9af7a8d6054a1e&usePUB=true&_phsrc=svo1192&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=23604802. (Zugriff: 20.02.2023).
[88] HHStAW 518 18657 (29).
[89] Ebd. (22).
[90] Er konnte in den Jahren zwischen 1939 und 1951 nach Angaben der Sozialversicherung sein Einkommen von etwa 1.100 Dollar allmählich auf etwa 6.000 Dollar steigern, allerdings bezog er dieses relativ hohe Gehalt vermutlich auf Grund des vom Korea-Krieg ausgelösten Booms. Danach fiel es wieder deutlich ab und lag in den Jahren von 1953 bis 1956 wieder nur noch um 3.000 Dollar, in zwei Jahren sogar etwas darunter. Siehe ebd. (28).
[91] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6152-0522?treeid=&personid=&hintid=&queryId=79c6a4e70ea4df60bd84be39b0013179&usePUB=true&_phsrc=svo1194&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=23458657. (Zugriff: 20.02.2023). Das Geburtsdatum von Else ist auf dem Deckblatt der Entschädigungsakte HHStAW 518 18657 ihres Mannes vermerkt.
[92] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/542563:61406?tid=&pid=&queryId=79c6a4e70ea4df60bd84be39b0013179&_phsrc=svo1195&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.02.2023).
[93] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3258451:2442?tid=&pid=&queryId=d0b0f3471ec1d1b90f9af7a8d6054a1e&_phsrc=svo1193&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.02.2023).
[94] Im Jüdischen Adressbuch Frankfurts aus dem Jahr 1935 sind Ostrowkas nicht aufgeführt.
[95] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_6152-0521?treeid=&personid=&hintid=&queryId=79c6a4e70ea4df60bd84be39b0013179&usePUB=true&_phsrc=svo1194&_phstart=successSource&usePUBJs=true&pId=23458657. (Zugriff: 20.02.2023).
[96] Buck; Niemann, Die Familien Kahn und Grünbaum, S. 6 f.
[97] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2401119:61260. (Zugriff: 20.02.2023).
[98] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/21365581:60901. (Zugriff: 20.02.2023).
[99] Die folgenden Biographischen Angaben sind dem von Fritz Kahn selbst in Form einer eidesstattlichen Erklärung geschrieben Biographie entnommen, die er am 5.8.1965 verfasste, siehe HHStAW 518 43843 49 f. Dazu auch die Anamnesen der behandelten Ärzte ebd. (86 f.).
[100] http://www.wormserjuden.de/Biographien/Katz-IV.html. (Zugriff: 20.02.2023). Der den fortschrittlichen Liberalen zugewandte Sally Katz besaß Haus und Grund in Osthofen und lebte früher in guten finanziellen Verhältnissen. Neben Margot hatten sie noch eine Tochter Hella, geboren am 14.2.1925 in Worms, die im Exil mit Hans Stern verheiratet war. Nach der Reichspogromnacht wurde Sally Katz verhaftet und nach Buchenwald verbracht. Nach seiner Freilassung verließ die Familie Osthofen und zog zunächst nach Worms, konnte dann am 13.12.1940 über die Sowjetunion und Japan nach Lateinamerika auswandern. Zunächst lebte sie in Uruguay, wo Sally Katz verstarb. Die Mutter mit den beiden Töchtern zog zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires.
[101] Ebd. (56).
[102] Ebd. (124). 235 DM wurden ihm dafür als Entschädigung gewährt.
[103] Die folgenden biographischen Angaben beruhen auf einer eidesstattlichen Erklärung von Kurt Kahn, die er im Rahmen seines Entschädigungsverfahrens am 9.4.1956 abgegeben hat, siehe HHStAW 518 4363 (5).
[104] Ferdinand Lichtenstein, geboren am 20.4.1882 in Frankfurt-Bockenheim, war in erster Ehe mit Anna Jacoby verheiratet. Aus der Ehe ging am 11.9.1919 ein Sohn namens Heinz-Paul hervor. Die Ehe wurde 1927 geschieden und Ferdinand Lichtenstein heiratete noch im selben Jahr Anna Feingold aus München. 1938 emigrierten beide nach Holland, wo sie 1943 in Westerbork inhaftiert wurden. Am 20.7.1943 deportierte man sie nach Sobibor, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Heinz-Paul Lichtenstein war 1936 nach Palästina ausgewandert, lebte nach 1948 in Frankreich. Angaben nach Genealogische Datenbank der Paul Lazarus Sammlung, Wiesbaden.
[105] Die Entschädigungsbehörde hatte Zweifel, ob Kurt Kahn das damals schon habe absehen können. Wenn die Landesärztekammer Hessen damals nicht bestätigt hätte, dass ab 1933 der Antrag eines jüdischen Auszubildenden, an der Dentistenschule aufgenommen zu werden, mit Sicherheit abgelehnt worden wäre, hätte man vermutlich die Auswanderung nach Palästina nicht als entschädigungswürdig anerkannt, ebd. (17, 19, 20).
[106] HHStAW 518 4363 (12). Die Reisekosten beliefen sich insgesamt auf 540 RM. Weil er sich in Idstein logischerweise nicht abgemeldet hatte, bescheinigten die dortigen Behörden im Entschädigungsverfahren fälschlicherweise, dass er bis zum Umzug seiner Eltern nach Wiesbaden noch in Idstein gelebt habe, ebd. (6). Auf seinem Geburtseintrag wurde am 15.2.1939 in Idstein sogar noch vermerkt, dass er den zusätzlichen Namen Israel angenommen habe, siehe Geburtsregister Idstein 90 / 1912.
[107] Zitiert nach Buck; Niemann, Die Familien Kahn und Grünbaum, S. 5 f. Die in eckige Klammern gesetzten Anmerkungen stammen von Buck und Niemann bzw. dem Übersetzer des ursprünglich in Englisch verfassten Textes.
[108] HHStAW 518 4363 (1), dazu die Informationen zu Kurt Kahn im Ghetto Fighters House Archive https://www.gfh.org.il/eng/Archive (Zugriff: 20.02.2023).
[109] Stadtarchiv Montabaur, Haushaltsliste 1912 Bd. II, Abt. 4, A 275. Zum Schicksal dieses Familienzweiges siehe den Artikel von Natalie Simon in der Rhein -Zeitung vom 6.3.2014, online unter https://www.vzv-rheinland-pfalz-saarland.de/wp-content/uploads/2020/02/Natalie_Simon_RZ_Stolpersteine_in_Montabaur_t11.pdf. (Zugriff: 20.02.2023).
[110] Information von C.P. Beutenmüller, Montabaur vom 17.2.2019. Ihm verdankt der Autor auch den Überblick über die frühe Familiengeschichte der Kahns in Montabaur. Das Geburtsdatum ist dem Eintrag auf dem Grabstein entnommen, siehe auch https://de.findagrave.com/memorial/213957910/david-kahn. (Zugriff: 20.02.2023), ebenso bei Wild, Montabaur, S. 171 f.
[111] Information von C.P. Beutenmüller, Montabaur vom 17.2.2019, auch Wild, Montabaur, S. 172. Adelheid Wolf war dort laut Eintrag auf dem Grabstein am 13.8.1839 geboren worden. In der Haushaltsliste von 1912 ist ihr Geburtsdatum hingegen mit dem 24.8.1837 angegeben, siehe https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/18914. (Zugriff: 20.02.2023).
[112] Information C.P. Beuttenmüller, Montabaur, vom 28.2.2023. David Kahns Enkel Werner Kahn gab an, dass sein Großvater David Schumacher gewesen sei, sagt aber an anderer Stelle auch, dass er Viehhändler war. Wild, Montabaur, S. 155, Dok. 70. Letzteres war sicher die Haupteinnahmequelle.
[113] David Kahn war laut ‚Find a Grave’ am 20.4.1910 verstorben, https://de.findagrave.com/memorial/213957910/david-kahn, seine Frau am 10.1.1913, siehe https://de.findagrave.com/memorial/213957852/adelheid-kahn. (Zugriff: 20.02.2023).
[114] Stadtarchiv Montabaur Haushaltslisten 1911/12, https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/18914?entity=82545&query=Kahn%2C%20Mina. (Zugriff: 20.02.2023).
[115] Information von C.P. Beutenmüller, Montabaur vom 17.2.2019. Ihr Bruder Julius teilte im Juli 1920 dem Finanzamt Wiesbaden mit, dass er 3.500 RM aus dem Vermögen seiner verstorbenen Schwester geerbt habe, siehe HHStAW 685 355 (19).
[116] Heiratsregister Frankfurt 503 / 1913, dazu Geburtsregister Offenbach 392 / 1886. Ihre Eltern waren der Kaufmann Ferdinand Kahn, der zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits verstorben war, und seine Frau Sophia, geborene Süss. Mutter und Tochter lebten damals in Frankfurt.
[117] Sterberegister Frankfurt 902 / 1918. Nach dem Tod ihres Ehemann muss die Witwe später noch einmal geheiratet haben, denn sie verstarb am 4.1.1933 im Jüdischen Krankenhaus in der Frankfurter Gagernstraße unter dem Namen Babette Elsa Levi, siehe Sterberegister Frankfurt V 24 / 1933.
[118] Information C.P. Beuttenmüller, Montabaur, vom 28.2.2023.
[119] Friedas ältere Schwester Henriette, verheiratet mit dem Wiesbadener Geschäftsmann Leopold Ackermann, war Bewohnerin des Judenhauses in der Moritzstr. 14.
[120] Heiratsregister Biebrich 30 / 1897. Darin auch die Geburtsdaten des Brautpaares.
[121] Geburtsregister Wiesbaden Biebrich 56 / 1898 und 473 / 1900.
[122] Sterberegister Wiesbaden Biebrich 102 / 1908.
[123] Heiratsregister Limburg 53 / 1925.
[124] https://mahnmalkoblenz.de/index.php/2013-12-12-02-07-02/die-personentafeln/1058-135-familie-josef-oster-juedische-familie-aus-oberfell-koblenz. (Zugriff: 20.02.2023).
[125] https://www.mappingthelives.org/bio/22802f09-7e75-44ab-95eb-08f95b7c347d. (Zugriff: 20.02.2023).
[126] Ebd., dazu https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1573524. (Zugriff: 20.02.2023). Im Gedenkbuch ist noch angemerkt, dass sie inhaftiert worden war. Wann dies geschah und ob sie in der Haft verstarb, ist nicht gesagt. Da aber der Sohn die Todesmeldung beim Standesamt abgab, ist das eher unwahrscheinlich.
[127] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de941893. (Zugriff: 20.02.2023).
[128] Wild, Montabaur, S. 155, Dok. 70.
[129] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/379623:2257?tid=&pid=&queryId=609a8063004e1c30b43d103e8e784b41&_phsrc=svo1264&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.02.2023). Fälschlicherweise ist das Abfahrtsjahr mit 1938, das Ankunftsjahr aber mit 1936 angegeben. Da aber alle anderen Listen aus dem Jahr 1936 stammen, wird auch diese Liste von 1936 sein.
[130] Unter der gleichen Adresse wohnte Karl Moses Mannes, der mit der zuvor geschiedenen „Halbjüdin“ Alida Gelin, geborene Döbrich, verheiratet war und die durch ihre Scheidung und Neuheirat faktisch zur „Volljüdin“ geworden war. Mit größter Wahrscheinlichkeit war Wilhelm Döbrich auch ihr Vater und Marthe Döbrich ihre Schwester.
[131] Im gleichen Dokument erwähnt Werner Kahn weiter unten noch einmal Sallys erste Frau, nennt sie hier aber Hansi. Vermutlich handelt es sich um die gleiche Person, denn seine zweite Frau wird in dem gleichen Brief mit dem Namen Elaine bezeichnet, siehe Wild, Montabaur, S. 155 f. Dok. 70.
[132] Heiratsregister Wiesbaden 251 / 1907. Siehe zu den Verbindungen dieser Familie in die Wiesbadener Geschäftswelt den Artikel über Ernst und Agathe Rosenthal, geborene Ackermann, Bewohner des Judenhauses Frankenstr. 15.
[133] HHStAW 685 355a (43).
[134] Stadtarchiv Wiesbaden WI/3 983.
[135] HHStAW 685 355a (53).
[136] Sterberegister Wiesbaden 690 / 1920.
[137] Heiratsregister Wiesbaden 251 / 1907. Melanie Baer war am 14.4.1879 in Wiesbaden geboren worden, siehe Geburtsregister 437 / 1879.
[138] HHStAW 685 355b (183).
[139] Ebd. (o.P.). Das Haus ist heute durch einen modernen Zweckbau ersetzt worden.
[140] Ebd. (passim).
[141] HHStAW 685 355e (o.P.).
[142] Ebd. (2).
[143] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/0913/52675146/001.jpg. (Zugriff: 20.02.2023).
[144] Sterberegister Weimar 1249 1938.
[145] HHStAW 685 355g (o.P.).
[146] Ebd. (o.P.).
[147] Ebd. (16).
[148] Sterberegister Wiesbaden 401 / 1939.
[149] HHStAW 519/3 3198 (28-36). Den Verkauf wickelte der ehemalige Bankdirektor Arthur Saul Wertheimer im Namen der sich zum Teil im Ausland befindlichen Erben ab. Als Verkäufer sind genannt: Rosa Baer, die Witwe von Leopold Baer, in Buenos Aires, Johanna Abraham, geborene Kahn in Montabaur, Albert und Leopold Kahn, ebenfalls in Montabaur, Berta Oster in Koblenz, Ernst Rosenthal in Wiesbaden, Ilse Stein, geborene Baer in Buenos Aires.
Arthur Wertheimer, schon damals Bewohner des Judenhauses Herrngartenstr. 11, wurde bei der großen September-Deportation nach Theresienstadt deportiert, wo er am 12.12.1942 starb.
[150] Zum Schicksal der Familie von Julius Kahn und Leopold Baer sowie zur ebenfalls verwandten Familie Rosenthal siehe oben die Ausführungen auf der Seite zu Rosenthals, Bewohner des Judenhauses Frankenstr. 15. Die Familie Kahn war über Emma Kahns Schwester Mathilde, die mit Moritz Rosenthal verheiratet war, auch mit dieser aus dem nassauischen Holzappel stammenden Familie verbunden. Hier sind auch weitere Informationen über die Firma in der Kirchgasse und deren Abwicklung zu finden.
[151] https://ca.jewishmuseum.cz/media/zmarch/images/4/5/5/91490_ca_object_representations_media_45537_large.jpg. (Zugriff: 20.02.2023). Sein Geburtsdatum war laut ‚Mapping the Lives’ der 7.9.1867, siehe https://www.mappingthelives.org/bio/5251fc9f-5de1-4add-958e-82a4816b5354. (Zugriff: 20.02.2023).
[152] Auch Irma Seligmann, geborene Abraham, gab der Shoah-Foundation ein Interview über das Schicksal ihrer Familie. https://vha-1usc-1edu-1vd5a2vbq1283.proxy.fid-lizenzen.de/testimony/30382?from=search&seg=6. (Zugriff: 20.02.2023). Die Angaben zu den Lebensdaten, wenn nicht anders angegeben, wurden diesem Interview entnommen, das aber nur mit einer besonderen Lizenz gehört und gesehen werden kann.
[153] https://www.mappingthelives.org/bio/5251fc9f-5de1-4add-958e-82a4816b5354. (Zugriff: 20.02.2023).
[154] https://akdia.altenkirchen.de//index.php/J%C3%BCdische_Gewerbebetriebe. (Zugriff: 20.02.2023).
[155] https://ca.jewishmuseum.cz/media/zmarch/images/4/5/5/91490_ca_object_representations_media_45537_large.jpg. (Zugriff: 20.02.2023).
[156] Wild, Montabaur, S. 172 gibt fälschlicherweise die Geburtsdaten der Zwillinge mit dem 21. und 22.3.1873 an. In anderen Dokumenten ist zumindest das Geburtsdatum von Albert Kahn mit dem 10.3.1874 angegeben, siehe ebd. S. 133 oder auch im Eintrag zur Volkszählung von 1925, https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/50448?entity=66346&query=Kahn%2C%20Albert. und https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/entity/82716/48589. Zugriff: 20.02.2023).
[157] Information von C.P. Beuttenmüller, Montabaur, vom 17.2.2019.
[158] Simon, Stolperstein-Serie 6, in: Rhein-Zeitung, Westewald extra vom 8.1.2014.
[159] Geburtsregister Montabaur 139 / 1910 und 70 / 1916.
[160] Simon, Stolperstein-Serie 7, in: Rhein-Zeitung ,Westewald extra vom 14.1.2014.
[161] Ebd.
[162] Für Albert https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/18924?entity=82716&query=Kahn%2C%20Albert und für Leopold https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/50448?entity=66339&query=Kahn%2C%20Leopold. (Zugriff: 20.02.2023). Ihr Vater David Kahn hatte 1867 ebenfalls am Rebstock gewohnt allerdings zur Miete und im Haus, das die Nummer 170 hatte, siehe https://digitalarchive.montabaur.de/person/content/pagetext/13678. (Zugriff: 20.02.2023).
[163] Ernst David Kahn hat im Juli 1995 einem Lehrer des Mons Tabor Gymnasiums in Montabaur einen handschriftlichen gefertigten Lebenslauf zukommen lassen, der heute im Stadtarchiv Montabaur aufbewahrt wird. Er geht darin auch auf die schwierigen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, besonders auf die Inflationsjahre ein, zentral sind aber die Jahre zwischen 1933 und 1939, dem Jahr, in dem er Deutschland verlassen konnte. Wesentliche Angaben über das Schicksal der Familie in den folgenden Ausführungen beruhen auf dieser Biografie. Die Zitate wurden in ihrer originalen Schreibweise belassen. Siehe auch Wild, Montabaur, S. 146, Dok. 67. Es handelt sich hierbei um den übersetzten Auszug aus einem Brief, den Ernst Kahn am 21.12.1989 verfasst hatte.
[164] Gemeint ist die Familie von Hermann Kahn. Hermann Kahn war nach Auskunft von C.P. Beuttenmüller, Montabaur, Mail vom 28.2.2023, wie oben bereits ausgeführt, der Sohn von Anschel Kahn II, geboren 26.9.1828, einem Bruder von David Kahn. Hermann und Albert Kahn waren somit Cousins.
[165] Biografie Ernst Kahn.
[166] Wild, Montabaur, S. 146, Dok. 67.
[167] Ebd. S. 74, Dok. 22.
[168] Zum Ablauf der Ereignisse siehe auch den Auszug aus der Prozessniederschrift der 1. großen Strafkammer Koblenz vom 15.10.1950 in Jungbluth, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Westerwald, Fölbach 1989, S. 50-55.
[169] Wild, Montabaur, S. 98, Dok. 37.
[170] Biografie Ernst Kahn.
[171] HHStAW 519/3 19927 (passim).
[172] https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?indiv=1&dbid=8753&h=58764917&ssrc=pt&tid=26944577&pid=1968510221&usePUB=true. Sie war am 13.4.1922 in Liverpool als Tochter von Frederick und Edith McCormick geboren worden, https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/26944577/person/1968510221/facts. (Zugriff: 20.02.2023).
[173] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/5378/images/32704_334635-00022?pId=604006. (Zugriff: 20.02.2023).
[174] Siehe zu den Ereignissen in Vallendar Thill, Hildburg-Helene, Der Untergang der jüdischen Gemeinde Vallendar, in: Beiträge zur Jüdischen Geschichte in Rheinland-Pfalz, online unter https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20391/Beitraege%201993-H5-7%20Vallendar.pdf. (Zugriff: 20.02.2023). Gemeldet war Erich aber weiterhin in Montabaur.
[175] Wild, Montabaur, S. 107-111, Dok 44a-d.
[176] Ebd. S. 99, Dok. 38. Es heißt darin, dass er neben seinem Hausgrundstück auch noch Wiesen besitzen würde.
[177] HHStAW 519/3 3198 (18). Auch seinem Bruder Leopold wurde dieser Freibetrag eingeräumt, siehe HHStAW 519/3 3199 (25). Beide wurden im Januar 1941 nach ihrem momentanen Bargeldbestand gefragt. Er belief sich bei Leopold Kahn auf 85 RM, ebd. (27), bei Albert auf 79 RM und 95 Pfennige, HHStAW 519/3 3198 (20).
[178] HHStAW 519/3 3198 (5).
[179] HHStAW 519/3 3199 (3).
[180] Diesen Hinweis verdanke ich C.P. Beuttenmüller, Montabaur, Mail vom 24.2.2023.
[181] HHStAW 519/3 3198 (21). Zu dieser Sondersteuer in Höhe von jeweils insgesamt 2.000 RM waren die Brüder also vermutlich auch herangezogen worden.
[182] Auch diese Angabe verdanke ich C.P. Beuttenmüller, der als Quelle das Stadtarchiv Montabaur 4/1628 angibt. Die letzte Taxierung lag zeitlich unmittelbar vor der Umsiedlung der Kahns nach Friedrichssegen.
[183] Ebd. (25, 26). Der Kaufpreis war ausdrücklich auf ein gesichertes Konto zu überweisen.
[184] Information C.P. Beuttenmüller vom 11.3.2023.
[185] Es handelte sich um Adolf und Betti Heimann sowie um Heinrich und Recka Heimann.
[186] StAM, Abt. 9.4, L 285.
[187] HHStAW 519/2 1373 (23 f). Siehe dazu oben das Kapitel „Raub und Verwertung der jüdischen Immobilien“.
[188] Am 10. Oktober 1941 teilte Leopold Kahn der Devisenstelle diesen „Umzug“ mit, siehe HHStAW 519/3 3199 (30), Albert am 6.10.1941, HHStAW 519/3 3198 (38). Siehe zu dieser Umsiedlungsaktion ausführlich Walter Rummel, Ein Ghetto für die Juden im Tal der Verbannten, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, 2004, S. 419-507. Rummel zeigt in seinem Artikel nicht nur sehr differenziert die Konflikte auf, die es im Umfeld dieser Aktion innerhalb der NS-Bürokratie gab, auf Basis von Zeitzeugenberichten gelingt es ihm auch, das Leid der Opfer angemessen zu Sprache zu bringen. Leider sind die Familien aus Montabaur dabei aber nur am Rande namentlich erwähnt.
[189] Siehe dazu oben das Kapitel „Die antijüdische Wohnungspolitik des NS-Staates“.
[190] Rummel, Ghetto für die Juden, S. 484.
[191] Ebd. S. 485.
[192] Unveröffentlichter Vortrag von Claus-Peter Beutenmüller anlässlich der Shoa-Gedenkstunde am 27.1.2012.
[193] In einem anderen überlieferten Brief vom 31.10.1941 hatte er sie um Lebensmittel, im Besonderen um Kartoffeln und anderes Gemüse gebeten, StAM, Abt. 9.4, L 285.
[194] Ebd.
[195] Die beiden Ehepaare Adolf und Betti Heimann sowie Heinrich und Recha Heimann waren schon mit einem Transport, der Frankfurt am 10.6.1942 mit dem Ziel Lublin verließ, nach Majdanek und Sobibor deportiert worden.
[196] HHStAW 519/3 3199 (32). Es handelt sich hier um einen relativ geringen Betrag, vergleicht man ihn mit Zahlungen die mehrere tausend Reichsmark betragen konnten. Die Forderungen richteten sich nach dem Umfang des noch vorhandenen Vermögens, hatten natürlich keinerlei Einfluss auf die tatsächlichen Lebensbedingungen in Theresienstadt.
[197] Ebd. (33).
[198] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/112286:61665?tid=&pid=&queryId=9cdfdadcbae81e8425f8a269cae88306&_phsrc=svo1239&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.02.2023).
[199] StAM, Abt. 9.4, L 285.
[200] Simon, Stolperstein-Serie 7, in: Rhein-Zeitung, Westewald extra vom 14.1.2014 S. 15.
[201] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/40560446:62308. (Zugriff: 20.02.2023). Zu ihrer Auswanderung siehe https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/144473051:2997. (Zugriff: 20.02.2023).
[202] https://de.findagrave.com/memorial/155618491/michael-l-hirsch. (Zugriff: 20.02.2023).
[203] Die Auskunft über die Lebensdaten von Hugo Hirsch verdanke ich C.F. Beuttenmüller, Mail vom 28.2.2023.