Sebald und Hedwig Strauss, geborene Rödelheimer
Auch das Haus in der Bahnhofstraße 46 gehört zu den herausragenden Baudenkmälern Wiesbadens.[1] Eine imposante, vielfach gegliederte Fassade ziert dieses ursprünglich als Doppelhaus konzipierte Stadthaus in bester Lage. Geplant und erbaut wurde das dreigeschossige Haus mit einer Fünf- und 3 Sechszimmerwohnungen, das darüber hinaus über Souterrain, Hochparterre und diverse Mansardenräume verfügte, von dem Bauunternehmer und Architekten Anton Grün im Rahmen der südlichen Stadterweiterung im Jahre 1886.
Sicher nicht zuletzt wegen des repräsentativen Charakters des Gebäudes kaufte der erfolgreiche Weinhändler Sebald Strauss im Dezember des Jahres 1919 die Immobilie und richtete auch hier seine Geschäftsräume ein.[2]
Ursprünglich stammte Sebald Strauss aus Geisenheim, wo er am 12. Januar 1866 als Kind des Ehepaars Adolf und Babette Strauss, geborene Stern, zur Welt gekommen war.[3] Dieses Paar steht in Etwa in der Mitte einer Generationenfolge, die sich vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag über bisher zwölf Generationen erstreckt und über viele Jahrhunderte im Rheingau, in Geisenheim und den Nachbargemeinden, ansässig war. Wie alle jüdischen Familien mit einer solch langen Tradition erlebten auch sie Zeiten höchster gesellschaftlicher Anerkennung und solche von unsäglichem Leid. Es sind Menschen darunter gewesen, die als einfache kleine Landhändler ein karges Leben fristeten, andere, die zu erheblichem Wohlstand gelangten; man findet Wissenschaftler unter ihnen, Anwälte, Musiker und Weinhändler. Es gibt auch sicher viele, die in den überlieferten Akten und Fundstücken keine Spuren hinterlassen haben, was natürlich nicht bedeutet, dass ihr Leben selbst unbedeutend gewesen wäre. Das trifft im Besonderen auf die Frauen zu, die zumindest im Verwaltungsgeschehen eher ein Schattendasein führten.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass am Anfang der Generationenfolge im Jahr 1620 ein Mann, ein Abraham, erstmals als Urahn im Rheingau erwähnt wird. Auch in den folgenden Generationen findet man nur einzelne Namen, vielleicht noch Ehefrauen und vereinzelt Kinder. Eine sichere Genealogie lässt sich erst ab dem Ende des 18. Jahrhunderts, ab der 6. Generation erstellen. In einem Auszug aus dem Geburtsregister des Kirchspiels Geisenheim, der selbst zwar undatiert ist, heißt es, dass am 9. Mai 1793 ein Abraham Sußmann als Sohn von Nathan Abraham und seiner Frau Judith, geborene Lazarus, zur Welt gekommen sei. In einer späteren Beischreibung wird zudem erwähnt, dass dieser Sußmann Abraham am 8. Juli 1857 den Namen Sußmann Strauß angenommen habe.[4]
Er hatte noch mindestens einen Bruder Nathan, der statt dem Vaternamen Abraham auch den neuen Nachnamen Strauß annahm. Auch Nachkommen dieses Familienzweiges waren später gezwungen, vor ihrer Deportation in einem Wiesbadener Judenhaus zu leben, bevor man sie „in den Osten“ brachte.[5]
Über die große Familie von Sußmann Strauss, einem Viehhändler, sind wir deswegen so gut informiert, weil die Eltern bereits im Jahr 1857 ihr Haus an ihren ältesten, damals 26jährigen ledigen Sohn Adolf übertrugen. Der Vater, so ist in dem Dokument festgehalten, war zu diesem Zeitpunkt im 64sten Lebensjahr.[6] In der Urkunde sind dann alle dreizehn Kinder mit der jeweiligen Altersangabe aufgeführt.[7]
Verwunderlich ist, dass auch ein „Curator“ für die noch minderjährigen Kinder benannt wurde, nämlich Löser Strauss. In der Bestellungsurkunde für diesen „Curator“, die der Akte ebenfalls beiliegt, sind noch einmall alle zehn minderjährigen Kinder benannt, jetzt sogar mit genauer Geburtsangabe. Im Hinblick auf den einzusetzenden „Curator“ werden drei Personen genannt, die diese Funktion ausüben könnten, nämlich der bereits erwähnte Löser Strauss, aber auch ein Nathan und ein Liebmann Strauß. Von allen drei heißt es, sie seien Oheime, also Onkel, der Kinder, man aber Löser wähle, weil dieser „mit den Familienverhältnissen der Übergeber am besten vertraut“ sei. Die Frage, die sich unweigerlich stellt, ist die nach dem Grund für eine solche Pflegschaft. Sußmann Strauss verstarb erst dreizehn Jahre später, also 1870 in Geisenheim, seine Frau sogar weitere zehn Jahre später.[8] In dem Dokument gibt es keinen Hinweis auf die Motive der Eltern, sodass die Frage leider unbeantwortet bleiben muss.
Der älteste Sohn Adolf erhielt nicht nur das Haus in Geisenheim, sondern übernahm auch das väterliche Gewerbe als Viehhändler, erweiterte allerdings seine Handelstätigkeit im Laufe der Jahre, sodass er später als Landproduktenhändler geführt wurde. Der Laden lag in der Marktstraße und in dem Haus wohnten auch weiterhin andere Mitglieder der Familie, die sicher auch von den Einnahmen des Geschäfts lebten.[9]
Wann Adolf Strauss durch die Ehe mit der aus Langenschwalbach, dem heutigen Bad Schwalbach, stammenden Babette Stern eine eigene Familie gegründet hatte,[10] ist nicht bekannt. Aber am 22. Dezember 1858 wurde ihr erster Sohn geboren, der den Namen Hermann erhielt.[11] Sebald folgte acht Jahre später am 12. Januar 1866 [12] und zuletzt kam am 2. März 1870 Sussman / Süßmann zur Welt.[13]
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand im Rheingau der Weinanbau eine wachsende Verbreitung und durch die Errichtung der ‚Forschungsanstalt für Garten- und Weinbau’ in Geisenheim auch eine deutliche Qualitätssteigerung. Beides kam dem Bedarf der wachsenden Konsumentenkreise entgegen, die im Zuge der Industrialisierung sich einen gehobenen Lebensstandard leisten konnten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch die drei Söhne von Adolf Strauss, wie viele andere Landwirte oder Kaufleute im Rheingau auch, sich in dieser Zeit auf den lukrativen Weinhandel spezialisierten und fortan in dieser Branche reüssierten. Die folgende Generation ergriff dann die Chance diesen gesellschaftlichen Aufstieg mittels einer akademischen Ausbildung fortzusetzen und auch der Enge des ländlichen Raums zu entfliehen. Tragisch, dass diese Schritte in die Freiheit 1933 durch den Machtantritt der Nazis jäh gestoppt wurden und mit einem Mal ganze andere Fluchten gesucht werden mussten.
Sebald Strauss, der spätere Besitzer des Judenhauses in der Wiesbadener Bahnhofstraße, heiratete am 28. Juni 1900 Hedwig Rödelheimer aus Wüstensachsen,[14] einer alten Ortschaft in der Rhön mit einer traditionell recht großen jüdischen Gemeinde. Die am 20. Februar 1879 geborene Hedwig war das älteste der drei Kinder des jüdischen Ehepaars Assur und Henriette Rödelheimer, geborene Stern. Assur Rödelheimer war von Beruf Leder- und Mehlhändler – ein so genanter „Melber“.[15] Vermutlich waren diese um 1880 von der Rhön nach Wiesbaden gezogen, denn die beiden folgenden Kinder des Paares, Paula und Max, wurden hier geboren.
Max fiel aber bereits im Alter von 32 Jahren im Ersten Weltkrieg in Frankreich,[16] die Schwester Paula, geboren am 2. März 1881,[17] übernahm das Geschäft der Eltern, die in ihrem Haus in der Mauergasse 10 einen Handel für Bettenbedarf aufgebaut hatten. 1901 heiratete sie ihren Cousin, den promovierten Juristen Philipp Straus aus Nürnberg,[18] dessen Schwester Bertha wiederum mit Sussman Strauss, dem Bruder ihres Schwagers Sebald Strauss, verheiratet war. Die Familien Stern, Strauss und Rödelheimer waren somit durch verschiedene verwandtschaftliche Beziehungen eng miteinander verwoben.
Philipp Straus, der Ehemann von Paula Rödelheimer, verstarb allerdings bereits nach vier Ehejahren, ein halbes Jahr vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes. Seinen Vornamen Philipp erhielt nun das vaterlose Kind. Auch er erlag bereits 1935 in den Städtischen Klinken in Wiesbaden vermutlich einer Krankheit. Bis zu diesem Zeitpunkt, noch ledig, hatte er bei seiner Mutter in der Mauergasse gewohnt.[19] Paula Straus blieb bis zuletzt in dem Haus der Eltern in der Mauergasse 10 wohnen, das ihr und Hedwig je zur Hälfte gehörte. Wie den erhaltenen Briefen zu entnehmen ist, blieben Paula und ihre Schwester, aber auch ihr Schwager Sebald in den kommenden schweren Jahren eng miteinander verbunden.
Nach ihrer Eheschließung waren Sebald und Hedwig Strauss zunächst noch in Geisenheim geblieben, wo auch ihre drei Kinder, Alfred am 10. April 1901, Beatrice am 13. November 1902 und Käthe am 11. Januar 1904 geboren wurden.[20] Hier war Sebald Strauss zunächst Teilhaber an einer mit seinem Bruder Sussmann betriebenen Weinhandelgesellschaft, die aber ab dem Jahre 1905 von ihm alleine weitergeführt wurde.[21] Im gleichen Jahre wurde Wiesbaden zur neuen Heimat, zunächst Biebrich, dann, mit wachsendem wirtschaftlichem Erfolg, zog man in die Bahnhofstraße, die bis 1936 noch den Namen Nikolasstraße trug. In dem Haus mit der späteren Nummer 46, das 1940 zum Judenhaus erklärt wurde, erlebte die Familie Strauss, wie die Naziherrschaft allmählich und stetig auch ihren Alltag durchdrang. Zuletzt, kurz vor der Deportation, wurden die Eltern sogar noch aus diesem Haus vertrieben und fanden bei Paula Straus, der verwitweten Schwester bzw. Schwägerin, in der Mauergasse eine letzte Zuflucht.
Das Unternehmen von Sebald Strauss, ein Weinhandel, Weinkellerei und eigenem Weinberg in Geisenheim, war in den zwanziger Jahren sehr erfolgreich und hatte sogar die Weltwirtschaftskrise ohne unternehmensgefährdende Einbrüche überstanden. Ab den 30er Jahren brachen aber die Gewinne deutlich ein und im Jahr 1936 war das Unternehmen kaum mehr rentabel.[22] Der weitere Niedergang ist dann deutlich an den Umsätzen der folgenden Jahre abzulesen, die von etwa 32.000 RM im Jahr 1936 auf 4.000 RM im Jahr 1938 absanken.[23] Entsprechend wurde die Geschäftstätigkeit 1938 eingestellt. Auch das Haus in der Bahnhofstraße warf auf Grund der notwendigen Reparaturen und der angespannten wirtschaftlichen Lage keine Gewinne mehr ab, gleiches galt auch für das Haus in der Mauergasse 10.[24] Dennoch gehörte die Familie Strauss unzweifelhaft zu den wohlhabenderen Familien Wiesbadens,[25] wodurch es den Eltern möglich war, ihren Kindern eine fundierte Ausbildung zukommen zu lassen.
Nach seinem im Jahr 1919 abgelegten Abitur studierte Alfred an verschiedenen Universitäten Jura. 1922 legte er die Erste Staatsprüfung ab, absolvierte einen Teil seiner weiteren Ausbildung bei dem bekannten Wiesbadener Juristen Dr. Stahl, der später auch Bewohner der Bahnhofstr. 46 werden sollte, und schloss 1926 sein Zweites juristisches Staatsexamen ab. Ein Jahr später erhielt er die Zulassung zum Rechtsanwalt am Landgericht Wiesbaden. 1933 wurde ihm diese auf Grund der antijüdischen Gesetzgebung wieder entzogen und er trat bis zur Liquidation 1938 als Volontär und Rechtsberater in die Firma des Vaters ein. Auf die Auswanderung, die er danach als einzig mögliche Perspektive für sich noch sah, bereitete er sich intensiv durch ein Sprachenstudium in Berlin vor, wo damals schon Cousins, Söhne von Hermann Strauss, wohnten. Im Januar 1939 verließ er Deutschland, eigentlich mit dem Ziel USA, das er aber nie erreichte. Stattdessen blieb er nach einem kurzen Zwischenstopp in Peru in Bolivien, wo er sich mit unterschiedlichen Tätigkeiten, u.a. als Sprachlehrer, Buchhalter und Korrespondent, seinen Lebensunterhalt verdiente.[26]
Seine Schwester Beatrice, genannt Bea, absolvierte von 1923 bis 1927 an den Universitäten Freiburg und Franfurt ein sozialwissenschaftliches Studium mit dem Berufsziel Lehramt. Nach ihrem bestandenen Diplom als Handelsschullehrerin 1926 schloss sie ihre akademische Ausbildung mit einer Promotion ab, in der sie sich vor dem Hintergrund der diversen Wirtschaftskrisen und der beginnender Frauenemanzipation mit dem damals sehr aktuelles Thema über alternative Wirtschafts- und Lebensformen beschäftigte.[27] Im Anschluss daran war sie als Lehrerin in Bremen beim „Frauenerwerbs- und Ausbildungsverein“ und in einer „Mädchenberufsschule“ tätig. Vermutlich wurde auch sie unmittelbar mit dem Machtantritt der Nazis entlassen – die Zeugnisse, die ihre dort geleistete Arbeit in den höchsten Tönen loben, stammen aus dem Jahr 1933[28] – und kehrte zunächst nach Wiesbaden zurück.
1936 ging sie nach Düsseldorf, wo 1935 eine Jüdische Volksschule eingerichtet worden war. Dort wohnte sie in der Feldstr. 34 zusammen mit zwei weiteren Kollegen. Besonders in Düsseldorf ist die Erinnerung an die – wie es heißt – „großartige Lehrerin“ bis heute bewahrt worden. Das Bildungszentrum, das dort zur Zeit aufgebaut wird und der Gedenkstätte angegliedert werden soll, wird ihren Namen tragen.[28a]
1938 verließ sie Düsseldorf und ging nach Essen, um ihre Lehrtätigkeit an der dortigen Jüdischen Schule fortzusetzen. Darüber hinaus engagierte sie sich aber auch in der Lehrerausbildung, z.B. für die in Ahlem an der Jüdischen Gartenbauschule tätigen Lehrkräfte, die ihre Schüler und Schülerinnen auf die Ausreise nach Palästina vorbereiteten. 1939 überlegte sie, ob sie nach Berlin gehen sollte, wo ein ehemaliger Kollege eine Anstellung gefunden hatte. Sie blieb aber dann doch in der Ruhrmetropole, wo sie mit einer Witwe, deren Kinder emigriert waren, in eine gemeinsame Wohnung zog. Immer wieder kam sie aber auch nach Wiesbaden, um ihre Eltern zu besuchen und ihnen in der immer bedrohlicher werdenden Zeit beizustehen.
Die jüngste Schwester Käthe hatte zunächst das Städtische Lyzeum in Wiesbaden besucht, anschließend in der elterlichen Firma eine kaufmännische Lehre absolviert. Zunächst arbeite sie danach dort auch noch weiter, ging aber bald nach Aschaffenburg, wo sie von 1931 bis zur Auflösung der Firma im Oktober 1938 bei dem jüdischen Kaufhaus Erwegen. Zuständig für das Personal- und Kassenwesen hatte sie dort eine besondere Vertrauensstellung inne.[29] Mit ihrem Mann, dem aus Aschaffenburg stammenden Eugen Joseph Rosenthal, den sie am 7. März 1930 geheiratet hatte,[30] gelang ihr 1940 über England die Flucht in die Vereinigten Staaten. Die erste Etappe des Weges legten die beiden allerdings getrennt zurück. Ihr Mann war im Zuge der Verhaftungen während des Novemberpogroms 1938 nach Dachau eingeliefert worden, war dann im Januar 1939, vermutlich mit der entsprechenden Auflage, Deutschland zu verlassen, freigelassen worden, und gelangte noch im selben Monat über Belgien nach England.[31] Käthe folgte ihm dann im April, nachdem sie in Stuttgart die notwendigen Papiere für die USA erhalten hatte. Aber in England mussten sie dann doch noch fast ein ganzes Jahr auf die Einreisegenehmigung für die USA warten. Das war allein deshalb nicht einfach, zudem auch kostspielig, weil ihr Lift mit all ihrer Habe in Deutschland nicht verschifft worden war. Am 11. Mai 1940 erreichten sie nach einer 8-tägigen Schiffsreise mit der „Britanica“ von Liverpool aus New York.[32]
Briefe von Käthe an ihren Bruder
HHStAW 1183
Wie für viele andere Emigranten auch, erwiesen sich die Versprechungen, die das Monument der Freiheitsstatue im Ankunftshafen zieren, als wenig realistisch. Eine harte Zeit stand ihnen bevor, denn Arbeit war dort kaum zu finden. Nach sechs Wochen reisten sie weiter nach Kalifornien, wo sie in San Francisco versuchten, sich mit einem Gästehaus eine sichere Existenzgrundlage aufzubauen. Der Versuch scheiterte jedoch und sie mussten mit verschiedenen Hilfstätigkeiten in Hotels und anderen Dienstleistungsfirmen ihren kargen Lebensunterhalt verdienen. Seit 1947 hatte sich Eugene Rosenthal – wie er sich jetzt nannte – als Wirtschaftsprüfer selbstständig gemacht und Käthe – jetzt Kate – war als Angestellte seine Mitarbeiterin. Finanziell blieben aber auch die folgenden Jahre sehr schwierig, zumal Eugene Rosenthal bald dauerhaft krank wurde.[33]
Da das Ehepaar Strauss über die nötigen finanziellen Mittel verfügte, das Geschäft liquidiert war, ein Sohn sich auf die Ausreise vorbereitete, sahen die Finanzbehörden allen Grund, um für den Fall einer möglichen Auswanderung der Eltern eine Sicherung für die dann fällige Reichsfluchtsteuer zu fordern. Am 3. September 1938 bestätigt das Finanzamt Wiesbaden, dass Sebald Strauss die geforderte Summe in der Höhe von 69.100 RM durch Wertpapiere verpfändet habe.[34]
Als „Sühneleistung“ nach der Reichspogromnacht wurden zunächst die Summe von 53.600 RM eingefordert, zahlbar in vier Raten á 13.400 RM, die nach einem Jahr, wie bei allen, um eine weitere Rate von 13.400 RM auf 67.000 RM angehoben wurde.
Wenngleich auf Grund der Aktenlage nicht nachweisbar ist, dass für das übrige Vermögen eine Sicherungsanordnung mit einem entsprechenden Freibetrag verfügt wurde, so ist dennoch davon auszugehen, dass dies geschehen war. Dennoch wird das Leben in der Bahnhofstraße nicht gar so kärglich gewesen sein, wie in vielen anderen jüdischen Familien,[35] aber die wirklichen Sorgen waren letztlich die gleichen.
Das Judenhaus Bahnhofstraße 46 nimmt aus mehreren Gründen eine besondere Stellung unter den Wiesbadener Judenhäusern ein, nicht weil von hier besonders viele ihren Weg in die Vernichtungslager des Ostens antreten mussten – es waren „nur“ sechs -, aber dennoch gehörte es mit mehr als 30 jüdischen Bewohnern zu den am stärksten genutzten Häusern. Allem Anschein nach war es auch eines der wenigen Judenhäuser, die ab 1939 ausschließlich von Juden bewohnt wurden.[36] Die größte Bedeutung kommt ihm aber dadurch zu, dass durch die erhaltene Korrespondenz zwischen den Eltern und Kindern und auch zwischen den Geschwistern, zumindest in Ansätzen ein Blick in das Innenleben eines solchen Ghettohauses ermöglicht wird.
Es handelt sich hierbei um ein Konvolut von etwa 200 Briefen, Postkarten und Telegrammen allein von den Eltern an ihren Sohn im südamerikanischen Exil über den Zeitraum von Februar 1939 bis Dezember 1941.[37] Manchmal wurden sogar Postkarten und Briefe an ein und demselben Tag verfasst, die eine Nachricht per Schiff, die andere per Luftpost übermittelt. Selten gab es eine Woche ohne wenigstens eine kurze Nachricht. Man hatte wohl vereinbart, sich mindestens einmal wöchentlich gegenseitig über den Gesundheitszustand zu unterrichten[38] – gemeint war damit freilich viel mehr.
Die handschriftlich oder mit der Maschine geschriebenen, meist einseitigen Briefe,[39] – jeder Elternteil beanspruchte gewöhnlich eine halbe Seite – folgen inhaltlich einem weitgehend festen Muster. Zunächst ging es darum, von wann die letzte erhaltene Nachricht war, wie lange sie auf welchem Weg – über Nord- oder Südamerika – gebraucht hatte und welche Hindernisse wohl für die lange Dauer verantwortlich gewesen sein könnten. In jedem Brief scheint die Sorge der Eltern um ihren in der Fremde lebenden Sohn durch, von dem man – so der Eindruck – so lange nichts gehört habe.[40] Gleichwohl waren die Eltern sich bewusst, dass der Weg ins Exil die richtige Entscheidung für den Sohn war: „Du bist bald 6 Monate in La Paz. So schnell vergeht die Zeit! Und doch kommt es mir länger vor seit dem Sonntag unseres Abschieds. Es war so plötzlich u. kurz. Und immer wieder müssen wir froh sein, dass es so ist. So viele möchten fort u. die Möglichkeiten sind immer weniger.“[41]
Im zweiten Abschnitt der Briefe geht es zumindest in der ersten Zeit um Probleme, die mit der Auswanderung unmittelbar zusammenhingen, um das Umzugsgut, um notwendige Unterlagen für eine Aufenthaltsgenehmigung und um die Besorgung der für die ursprünglich noch geplante Weiterreise in die USA notwendigen Affidavite, eine Art Bürgschaftserklärung, die zu besorgen die Eltern und Bea alle nur möglichen Hebel in Bewegung setzten. Welche weitläufigen Verwandten, welche Bekannten würden helfen wollen und können?[42] Welche Länder und welche Wege ins Exil waren überhaupt noch möglich: „Hier sind alle in großer Verlegenheit mit ihren Auswanderungsvorhaben, die meisten wissen nicht wohin.“[43] Wer war gerade auf dem Absprung, wem war gerade wieder ein neues Hindernis in den Weg gelegt worden, wessen Lift war liegengeblieben, verschwunden oder wieder zurückgekommen? Aber auch Nachrichten oder Tratsch über das mehr oder weniger erfolgreiche Ankommen in der neuen Welt wurden kolportiert. Wem war eine berufliche Karriere gelungen, wer hatte einen amerikanischen Millionär geheiratet? Das waren die Themen, um die sich viele Gespräche der Zurückgebliebenen in der Heimat drehten und die auch die Inhalte der Briefe untereinander zu einem wesentlichen Teil bestimmen.[44]
Wichtige Adressen wurden ausgetauscht, immer wieder stellte sich die Frage, wer wem helfen kann, bei der Ankunft, bei der Arbeitsaufnahme, bei all den komplizierten Formalitäten.[45] Trotz aller Hindernisse gelang auch weiterhin einigen noch immer die Flucht, und resigniert stellen die Eltern mit Blick auf die sinkende Zahl der vertrauten Menschen fest, dass „der Kreis immer kleiner (wird)“, auch durch den Tod mancher alter Bekannten.[46] Auch die meisten der ehemaligen Freunde von Alfred seien inzwischen weg, schrieben die Eltern im Oktober 1939 ihrem Sohn. Trotz der Auswanderungen würden durch den Zuzug vom Land aber immer noch etwa 1000 Juden in Wiesbaden leben: „Viele von Ihnen warten aber nur auf einen Aufruf von Stuttgart.“[47]
Typischerweise ist der Vater in den Briefen eher zuständig für die behördlichen Belange, er fragt nach den Unternehmen, in denen Alfred gerade arbeitete, nach seinem Einkommen und beruflichen Fortkommen. Die Mutter hingegen thematisiert die sozialen und emotionalen Aspekte, die kleinen gesellschaftlichen Ereignisse wie Konzerte oder das gemeinsame Leben im Haus. Auch die Sorgen, die Ängste und die Sehnsucht um und nach den Kindern werden von ihr klarer und offener angesprochen, obgleich sie unzweifelhaft bei beiden gleichermaßen vorhanden gewesen sein werden, wie eine kurze Bemerkung des Vaters in einem der Briefe belegt: „Über Mutter und mich brauchst du dich nicht zu sorgen. Vorerst sind wir noch gut aufgehoben. Ausführliche Nachrichten bedeuten für uns miterleben. Wir haben doch kein anderes Denken, wenigstens ist dies bei mir, der ich geschäftlich nichts mehr zu tun habe zu [soll heißen: so – K.F.], aber auch Mutter vergeht vor Sehnsucht, wenn kein Brief eintrifft.“[48]
Dennoch lassen sich ähnliche Sätze eher in ihren Briefen finden. Sie fürchtete, dass die Unterbrechung der „Correspondenz“ schnell zu einer „Entfremdung“ führen könne und meinte deshalb, es sei „Männerlogic“, wenn die männlichen Hausbewohner die Position vertreten, dass man angesichts der Unsicherheiten bei der Postbeförderung auch weniger schreiben könne. Gerade das Gegenteil müsse man tun, nämlich noch öfter schreiben, damit überhaupt etwas ankomme.[49].
Verwunderlich ist auf den ersten Blick, dass in allen Briefen fast nichts über die allgemeine politische Lage und die der Juden im Besonderen zu lesen ist. Am 15. März 1939 erwähnt die Mutter, dass sie „dieser Tage Schmuck u. Silber (abgeben)“ [50] und der Vater berichtet im Juni des gleichen Jahres knapp über eine Auseinandersetzung mit einer ehemaligen Mieterin über eine Mietschuld. Diese habe ihm auf seine Vorhaltung hin geantwortet, „sie sei nichts mehr schuldig und verbitte sich von einem J. als Lügner hingestellt zu werden. Tableau!“[51] Vermutlich war eine solche Äußerung schon riskant und konnte unter Umständen die weitere briefliche Verbindung zu den Kindern im Ausland gefährden.[52]
Über was aber sollte man schreiben, wenn das eigentliche, was einem tagtäglich berührte, nicht angesprochen werden durfte. Oft heißt es dann lapidar, dass es eigentlich nichts Neues zu schreiben gäbe. Gerade die Mutter ergeht sich aber dann häufig in Beschreibungen des Wetters und man kann diese scheinbaren Belanglosigkeiten nicht anders lesen, denn als Metaphern für die jeweilige Gemütslage: Für Veränderung, für Hoffnung, aber auch – und zunehmend – für Tristes und für Resignation. Einmal mündet ein solcher Brief in die fast verzweifelte Klage: „Das Leben ist nichts als ein miserabler Kampf. Ich lobe mir nur, dass ihr gescheiter waret, als wir u. keine Kinder in die Welt gesetzt habet.“[53]
Die Mutter ist auch diejenige, die über das Zusammenleben im Haus berichtet, über die allmähliche Umgestaltung des Hauses in ein Judenhaus. Schon im Mai 1939 bahnt sich die Veränderung an: „Der R.K.B. [vermutlich der ‚Reichs-Kraftwagen-Betrieb’, s.u. – K.F.] ist ausgezogen. Für die II. Etage haben wir jüd. Mieter. Unten wird wohl frei bleiben. Es ist mir alles egal, wenn ihr nur gesund bleibt & Euer Leben als anständige Menschen fristen könnt.“[54] Die Räume des R.K.B. konnten sofort wieder an die dreiköpfige jüdische Familie Kleeberg – „anscheinend nette Leute“ – vermietet werden. [55] Noch im selben Monat übernahm Büro und Lager der ehemaligen Weinhandlung die arische Firma Goebel & Nickel – „der Vertrag ist noch nicht unterschrieben, aber schon Wein im Keller“.[56]
Noch fanden diese Umzüge mehr oder weniger auf freiwilliger Basis statt, aber nicht nur wuchs der wirtschaftliche Druck – Paula, die Schwester von Hedwig Strauss, nahm zu diesem Zeitpunkt eine Familie in den Hinterzimmern ihres Hauses für 75 Mark monatliche Miete auf, musste aber dafür den Onkel in einem Mainzer Altersheim in einem 3-Bett-Zimmer unterbringen -, sondern auch der behördliche. Bis zum 20. Juli 1939 mussten auch in Wiesbaden sämtliche von Juden bewohnten Räume dem Wohnungsamt gemeldet werden.[57]
Dass das Haus vermutlich nach Auffassung des Wohnungsamtes noch nicht hinreichend „besetzt“ war, ergibt sich aus dem Brief vom 5. August 1940, in dem die Mutter schreibt, dass heute der Versteigerer komme und „alles nicht unbedingt Notwendige abgegeben“ werden muss, da – wie die Schwester Bea ergänzt – „voraussichtlich 2 Zimmer abgegeben werden müssen.“ Was diese Versteigerung wirklich bedeutete lässt sich nur aus dem knappen Satz der Mutter ahnen: „Dann kommt das, was ich so lange wie möglich vermieden habe.“[58]
Aber auch die ständigen Wohnungswechsel und Besichtigungstermine waren für die Mutter zunehmend nervend und es kommen auch bezüglich des Hauses grundsätzliche Zweifel, ob man in der Vergangenheit immer die richtigen Entscheidungen getroffen hatte: Wir haben nichts als Besuch wegen der Wohnung, sei froh, dass Du so weit bist. Wenn ich Vaters Ansicht geteilt, in der Karlstrasse ein Haus mit Kleinwohnungen gekauft hätte, müsste man im Hause vielleicht nicht tauschen u. könnte in seiner Behausung für sich bleiben. Leben bedeutet Kampf u. Krampf.“[59]
Nach einem Besuch in Wiesbaden gibt Bea in einem Brief an Alfred knapp die damalige Stimmung zu Hause wider: „Eltern haben sich über deine Briefe gefreut, denn sie scheinen sehr schlechter Laune zu sein wegen der Wohnungsgeschichte. Dein ehemaliges Wohnzimmer wird auf Vaters Kosten zur Wohnküche umgebaut, Salon und Balkonzimmer werden abgegeben. Die Mieter sind Ludwig Levitta mit Frau, Sohn und Schwiegermutter.“[60]
Auch die Mansarden und das „Frontspitzzimmer“ müssten für weitere Vermietungen hergerichtet werden, was mit viel Arbeit verbunden sei.
Bereits in einem Brief vom Februar hatte die Mutter im Zusammenhang mit diversen Trennungs- und Scheidungsgeschichten erwähnt, dass im Haus ein 31 jähriger Herr wohne, dessen „kleine christliche Frau aus Wissmar (! Sic) sich auch nach 3 oder 5 jähr. ‚glücklicher’ Ehe (habe) scheiden lassen“.[61]
Im Oktober waren dann vermutlich die bereits erwähnte Frau Weil mit ihrer Tochter in das frühere Zimmer von Alfred im 4. Stock eingezogen, nachdem sie sich dieses „zum xten Mal angesehen“ haben – wie die Mutter sichtlich gestresst schrieb.[62]
Am 5. November 1940 meldete der Vater: „Unser Haus ist nun voll vermietet. Es birgt 20 Personen.“[63] Im Februar des folgenden Jahres gab er seinem Sohn Alfred brieflich Auskunft über die damalige Belegung des Hauses: „Habe ich dir schon berichtet, dass aus Deinem Zimmer Levittas Wohnküche geworden ist. Ausserdem haben sie unseren früheren Salon und das Balkonzimmer inne. Wir haben noch Platz genug und ausserdem hat Mutter viel weniger Arbeit dadurch, was uns sehr zu Staatten (! sic) kommt. Im 2ten Stock unseres Hauses wohnt eine Familie Kleeberg und eine Familie Eis. Im 3ten seit Herrn August Tod die Witwe, Nussbaums, Dr. Stahl und ein Herr Bodenheimer. Letzterer aus Hamburg zugezogen. Im 4ten Stock, dem Giebelzimmer und zwei nebengelegenen Mansarden Frau Weil und Tochter. Die Witwe deines früheren Clienten, des Wäschefabrikanten Weil. Unsere Wohnungen sind nun besetzt. In der Mauergasse ist alles wie es war. Anstatt Onkel und Fritzens wohnt eine Familie Waldeck aus Schwalbach dort.“[64]
Aber damit kehrte keine Ruhe ein, denn andere ziehen wieder aus, sogar noch im August 1941 gelingt dem Ehepaar Eis, bisher Untermieter im zweiten Stock, die Auswanderung nach Amerika.[65] Etwa zu diesem Zeitpunkt kamen dafür, wie sich aus den Akten der Gestapo ergibt, die beiden alten Frauen, Lina Strauß und Adele Bonné. In den Briefen werden sie nicht erwähnt.
„Unsere Mitbewohner u. wir kommen gut aus. Sie wohnen schon über 4 Wochen. Man muss halt großzügig sein mit allem. Die sitzen alle so fest auf ihren 4 Buchstaben, 2x schellen gilt Levittas, 4×2 mal kann ich aber nicht mehr hören, da öffne ich halt. Und das war heute um 12/2 Uhr schon dreimal.“[66] In solchen kleinen Anmerkungen wird deutlich, wie schwierig das alltägliche enge Zusammenleben trotz aller Bereitschaft zur Anpassung an die Umstände mitunter war. Das Gefühl ausgenutzt zu werden, klingt auch in einer anderen Randbemerkung auf einer von der Mutter geschriebenen Postkarte an: „…, ich schreibe auf der Post, wo ich das letzte Mal Fernsprechgebühren bezahlt habe. Dem Anschluss weine ich nicht nach, seit die Gespräche für Dich u. Käte mit Bea aber nicht mehr stattfinden, wir nichts bestellen u. alles selbst holen, ist es nur wenig nützlich für uns gewesen. Für Max Nussbaum u. dessen Gattin war es lange genug bequem… Vater hadert mit den Veränderungen im Hause.“[67]
Aber auch er kam trotz allem offensichtlich gut mit seinen Mitbewohnern aus. Immer wieder wurde von der Mutter berichtet, dass Herr Nussbaum, Dr. Stahl oder Herr Kleeberg gekommen seien, um mit dem Vater Skat zu spielen oder man hörte auch mit den Ehefrauen zusammen Musik.
Verstörende Ungleichzeitigkeiten: Im Angesicht des aufziehenden Grauens spielt man im Judenhaus Skat, hört Musik, erfreut sich sogar an Militärparaden.[68] Aber wie anders war der Alltag zu bewältigen. Das Haus schien bei allen Anfeindungen von außen und bei allen kleinen Konflikten im Inneren dennoch für alle eine Art Refugium gewesen zu sein. Besonders deutlich wird das bei der Feier des 75. Geburtstags von Sebald Strauss, über den Bea in einem Brief an Alfred berichtet: „Samstag Abend wurde der Skatabend bei Dr. Stahl bis 12 Uhr ausgedehnt, und dann mussten Mutter und ich mit Wein heraufkommen, Vater bekam ein wunderschönes Gedicht, einen Rauchverzehrer als Geschenk und wurde herzlich beglückwünscht. Um 1 ½ Uhr kamen wir von dieser Feier herunter. Gestern Morgen waren allerhand Leute aus der Stadt da, zum Essen war Tante Paula da, zum Kaffee und Abendbrot Herr Dr. Stahl, Herr Marx und Grete Heymann. Es war ein schöner harmonischer Tag, hoffentlich werden wir noch viele solche erleben.“[69]
Immer wieder kann man in den Briefen auch anerkennende, mitunter auch amüsante bis skurrile Passagen über die einzelnen Mitbewohner und das Zusammenleben lesen. Einige seien im Folgenden in längeren Zitaten wiedergegeben, „damit“, wie die Mutter im Brief vom 11. März 1941 an Alfred abschließend schrieb, „du dir ein Bild machen kannst.“
„Die Bravheit u. Anständigkeit des Charakters von Herrn Dr. Stahl[70] ist über alle Zweifel erhaben, ebenso seine Arbeitsamkeit. Er schläft und kocht in seinem Zimmer, das zum Teil als Küche eingerichtet ist, kocht alles selbst (immer Suppe, Gemüse u. Kartoffeln event. Fleisch. Er lernt englisch u. spanisch. Er putzt selbst. Jeder kommt mit seinen Wehwehchen zu ihm.
Er tut alles, aber – seinen Anzug vernachlässigt er ganz. Seine Körperpflege. Max Nussbaum und dessen Frau arbeiten beide ‚sehr fleißig’. Das ist Stahls Einfluss. Umgekehrt dürfte die Eitelkeit der beiden jungen Menschen auch auf ihn wirken. Es ist nämlich so, dass er Verstand u. Gewandtheit u. Sauberkeit von anderen Menschen anerkennt u. bewundert. Er hilft Nussbaum, der den Juden auswandern hilft bei Schlosser- u. Schreinerarbeiten. Nussbaum und der Dr. sind sehr befreundet, helfen sich wie gesagt. Nur Frau August steht abseits.“ [71]
„Unser Piano steht auf der Diele. Gestern kam Herbert [Levitta] auf die Idee, da er kein Instrument spielt u. besonders musikalisch ist, er will Vorbeter werden, er lernt für sein Barmitzwahfest im Dez. ausser der üblichen Broche u. Basche auch Sidre, die Melodien auf dem Klavier zu suchen. Diese jugendlichen Interessen wirken vielleicht verjüngend auf den Haushalt.“[72]
„Samstag wird Herbert Barmitzwah. Er gröhlt (! sic) den ganzen Tag. Er will Chassen werden, weil seine Stimme besonders schön ist. Er ist auch ein representabler schöner Junge. Er liest sehr viel u. hat sonst Phlegma für 2. Dem Vater geht der religiöse Hang seines Sohnes auf die Nerven. Aber was ist, was kann der alte, welcher auch schon 56 Jahre alt ist?“[73]
„Erster Weihnachtstag gleichzeitig erster Tag Channuckah. Das Wetter, wie die Deutschen es sich für diese Tage nicht schöner wünschen können. Die Landschaft glitzert unter der Schneedecke im Sonnenschein, es sei nicht so kalt wie seither. Ich habe mir Hausarrest zudiktiert. Sonntags bin ich ohne Hilfe. Jetzt ist 4 Uhr. In 1 Stunde muss verdunkelt werden. So mache ich mir ein Festvergnügen u. schreibe Dir u. Käthe. Es geht auch schon in die dritte Woche, dass Deine Nachricht kam. Im Hause ist eine wohltuende Ruhe, es scheint, es ist heute Chanuckahfest u. Herbert hat die Hauptrolle. Ich nehme an, dass es heute ist, so ruhig war es noch nicht seit wir Mitbewohner haben. Gelegentlich von Herberts Barmitzwah ist Seelig einen Augenblick hier gewesen. (…)
Augusts haben noch ein Zimmer vermietet an einen Herrn Bodenheimer. Er kocht sich auch neukoscher, sei so exakt, wie der andere Herr das Gegenteil. Frau Nussbaum hält noch ihren englischen Kurs, kocht u. hält ihren Haushalt, wie sie es von ihrer Mutter gewöhnt ist. Frau Levitta betet ihren Bub an, der entschädigt sie für vieles unschöne, das sie erlebt habe. Sie fühle sich ganz gehoben, wie lange nicht. Das sagt sie so strahlend, dass man sich mit ihr freut, aber dadurch verwöhnt sie den eitlen Jungen ganz. …
Vater wollte weggehen, hat sich aber nicht abgemeldet. Hat er seine Zeitung wieder erwischt, oder Theodor Storm. Er ist hier, er hat sich gerade gemeldet, schon höre ich ihn mit Frau R. sprechen. Jetzt wird die beschauliche Ruhe ihr Ende finden.“[74]
„Gesund sollst du bleiben, ein anständiger Charakter, was nicht gleichbedeutend mit Eigenbrödler, Schmutzfink, oder weil einen einige Menschen enttäuscht haben, niemanden mehr zu trauen. Um von Deinem Lehrmeister, deinem, als Mensch so sehr verehrten Lehrmeister zu sprechen. Er tut heute, wie früher für jeden Menschen, was er kann. Er hat Herrn August in seinen letzten Tagen gepflegt wie ein Pfleger, er hat die ganze Familie fabelhaft beeinflusst zum Guten. A[ugusts]. haben noch einen Aftermieter, welcher Frau August mittags in die Sonne führt. Frau N[ussbaum]. ist sehr stolz auf so brave Mieter, aber, wenn der Dr. nur ein bisschen sauberer wäre. Er trägt einen Hausmantel, so zerrissen, habe ich höchstens an einem Clown ein Stück gesehen. Mir hat er versprochen jetzt großen Hausputz zu halten. An Frau Millys Geburtstag kam er morgens in diesem Prachtgewandt, auf dem Kopfe seinen Cilinderhutu [Zylinderhut], unter dem Arme eine Flasche Sekt. Er karrikiert sich selbst, er ist begeistert von Nussbaums Sauberkeit, bewundert unaufgefordert alles, was er neu oder frisch am Ehepaar oder an der alten Frau sieht, aber er erstickt in seinem eigenen Dreck.
Inzwischen war ich ein Dutzend Mal abgerufen. Unser Aftermieter [Levittas] hatten Kurzschluss an ihrem Licht, haben sich in unserer Küche niedergelassen. Herbert findet es wunderschön, dass ich angeklopft habe, um in meine Küche zu dürfen. Gestern kam er, er habe eine wunderbare alte Bibel, heute Stoff zu einem Anzug von einer anderen Tante u. von einer dritten einen Kalender mit lauter jüdischen fabelhaften Bildern bekommen. Er isst keine Wurst mehr u. keine Schweinefleisch u. isst keinen Bissen mit unbedecktem Kopfe. Unser Rabby ist Candidat u. 25 Jahre alt ist verliebt in diesen hervorragenden Schüler. Der Junge geht kaum in die Luft, zu Sport ist wenig Gelegenheit. Ist bei allen äusserlichen Vorzügen ein Schminzer. Dies schreib ich dir alles, damit du Dir ein Bild machen kannst.“[75]
Diese Berichte können nicht darüber hinwegtäuschen, wie bedrückend die Situation inzwischen geworden war und Bea suchte nach Möglichkeiten, um die Eltern in Sicherheit zu bringen. Schon im Sommer 1940 schrieb sie nach einem Besuch in Wiesbaden an Alfred: „Obwohl die Eltern m.E. die Situation nicht so sehen, glaube ich, dass Du doch eventuell damit rechnen musst, etwas für sie tun zu müssen. Es scheint mir so, dass du sie eventuell doch einmal anfordern musst. Du musst dir überlegen, ob es in Bolivien einen Ort gibt, wo sie ihrer körperlichen Verfassung nach leben können. Mutters Blutdruck scheint wieder sehr hoch zu sein und Vaters Herz ist immerhin 74jährig. Ich schreibe hierüber ohne Wissen der Eltern.“[76]
Als Alfred die Eltern diesbezüglich ansprach, erhielt er vom Vater die harsche Antwort: „Bea soll mehr um ihre anstatt um unsere Zukunft tun. Das ist ihr sehr zu empfehlen.“
Die Mutter etwas einfühlsamer, aber gleichermaßen um Bea besorgt: „Bea sorgt sich für andere u. weiß für sich selbst keinen Rat. Sie macht sich ganz verrückt, sie kann ja nicht alles regeln, was alte schon pensionierte Beamte nicht mehr wichtig nehmen u. vernachlässigen. Ich wäre an ihrer Stelle fort.“[77]
Wie recht die beiden im Hinblick auf Bea hatten und noch mehr haben sollten. Denn tatsächlich kümmerte sich Bea um alles und um viele. Sie engagierte sich in ihrer Schule, einer jüdischen Schule in Essen, in der sie Auswanderungswilligen Sprachkurse in Englisch, Spanisch und Französisch gab, morgens den Kindern, mittags den Erwachsenen. Sie übersetzte die anfallende Korrespondenz mit den Hilfsorganisationen und kümmerte sich um die bereits im Exil lebenden Geschwister und die Eltern zu Hause. Aber auch sie plante spätestens seit 1940 die Auswanderung nach England, wohin sie gute Beziehungen unterhielt. Welche Gründe verhinderten, dass sie diese Pläne noch realisierte, ist den Briefen nicht zu entnehmen. Die Eltern werden ihr sicher dazu geraten haben, aber sie war das einzige Kind, das noch da war und sie spürte sicher die damit verbundene Verantwortung. In einem Brief, der nach einem der sicher häufigen Gespräche zu diesem Thema geschrieben wurde, kann man die ambivalente Aussage des Vaters lesen: „Selbstredend müssen wir uns mit einer ev. Auswanderung Beas abfinden,“[78] Vermutlich wollte Bea nicht, dass sich ihre Eltern damit „abfinden“ müssen, sie wollte sie zuerst in Sicherheit wissen, bevor auch sie selbst Deutschland verließ.
Immerhin hatten auch die Eltern Registrierungsnummern beim amerikanischen Generalkonsulat in Stuttgart beantragt und auch erhalten, wie sich aus einem Eintrag in der Vermögenserklärung von 1941 ergibt. Allerdings hatte der Vater zugefügt, dass „die „Kinder noch nicht in der Lage seien, meine Frau und mich anzufordern.“ [79]. Ob das tatsächlich der Fall war oder ob die Eltern die damit verbundenen Strapazen scheuten, ist schwer abzuschätzen. Vielleicht hatten sie sich bereits fatalistisch mit der Situation – zumindest was ihr eigenes Schicksal anging – abgefunden. Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Plan zweier bekannter Familien, die in dieser Zeit über Schweden und Shanghai nach Amerika ausreisen wollten, nun in Stockholm aber festsaßen, notierte der Vater: „Das beweist wieder, wie mans macht ist falsch.“[80]
Wie eng die Kontrolle und wie stark die Einschränkungen der Bewohner inzwischen waren, ergibt sich aus einem Informationsaustausch im Zusammenhang mit Kohlelieferungen für den nächsten Winter zwischen den unterschiedlichen Parteiebenen. Um eine solche Lieferung zu bewilligen, hatten u.a. die beiden Bewohner der Bahnhofstr. 46, Frieda Kahn und Adele Bonné gebeten. Am 29. September 1941 wandte sich der Kreiswirtschaftsberater der NSDAP an den Ortsgruppenleiter mit der Anforderung einen Bericht in dieser Sache zu liefern, in dem auch festzuhalten sei, wer bisher die Juden mit Kohlen beliefert habe. Die Antwort erfolgte umgehend, man hatte auch hier den Zellenleiter mit der Angelegenheit betraut: Frau Kahn ist die Witwe des verstorbenen Unternehmers Kahn. Die Eheleute Kahn, die ich persönlich, allerdings nur oberflächlich in geschäftlichen Sachen kennenlernte, sind politisch nicht besonders hervorgetreten. Frau Kahn wohnt mit ihrer Tante, einem Frl. Strauß, die jetzt 71 Jahre alt ist, zusammen.“ Auch der bisherige Kohlelieferant war in Erfahrung gebracht worden. Der Ortsgruppenleiter kam zu dem Schluss, dass eine Belieferung seines Erachtens nicht in Frage komme, da über den Gesundheitszustand der beiden Frauen nichts Ungünstiges bekannt sei.[81] Nur dann wäre möglicherweise eine zusätzliche Lieferung erfolgt.
Auch für die längst geplanten Massendeportationen waren die Zellenleiter willfährige Instrumente. Wiederum auf der Basis ihrer Meldungen leitete die Ortsgruppe am 20. Februar 1941 einen den „Arbeitseinsatz der Juden“ vorbereitenden Bericht an die Kreisleitung, in dem die Zellen zunächst wieder Namen und Adressen der in ihrem Bezirk lebenden Juden auflisten mussten und zudem ein Urteil über deren Arbeitsfähigkeit abgeben sollten. Von den 21 aufgeführten Bewohnern der Bahnhofstr. 46 wurden von dem damaligen Zellenleiter nur 6 als nicht arbeitsfähig gekennzeichnet. So war der 72 jährige Dr. Phil. Schreiber nach seiner Meinung „verbraucht“, wohingegen er bei dessen Tochter Fanny anmerkt „ledig und ohne Beruf, könnte noch etwas tun.“ Aber auch zu anderen Kommentaren fühlte sich der Zuträger veranlasst: „Diese drei Schreibers bewohnen eine tadellos eingerichtete Wohnung zum Mietpreis von RM 300,- je Monat“ [82], was einer Aufforderung zur Deportation geradezu gleichkam, natürlich unter Zurücklassung der ‚tadellosen’ Einrichtung.
Im Herbst 1941 wird die Stimmung im Haus endgültig düster.
„Wir haben seit Deinem Brief vom 18.Oktober, also seit mehr als 14 Tagen nichts mehr von Dir, ebenso von Käte & Eugen bekommen. Bei uns ist die Stimmung gedrückt, seit Bea nicht mehr da ist und wir ihre neue Adresse noch nicht haben. Sie schrieb uns noch von unterwegs, dass sie aus Zeitmangel weder Dir, noch Käte schreiben konnte.“[83]
Bea, die die Eltern bisher, wann immer sie konnte, besucht hatte, kam nicht mehr. Es sollte auch keine Nachricht mehr von ihr kommen. Sie war vermutlich am 10. November von Essen aus über Düsseldorf mit dem Zug – Nummer „Da 52“ – in das Getto Minsk deportiert worden und dort ums Leben gekommen.[84] Die Eltern wussten nichts, aber eine Ahnung werden sie gehabt haben.
„Nun seid ihr alle drei fort. Bei euch beiden hatte ich keine Tränen. Aber jetzt. Lebe wohl, sieh zu, dass du ihr helfen kannst.[Mutter]“[85]
Dieser vergebliche Hilferuf war einer der letzten Briefe, die Alfred in Bolivien erreichten. Die letzten vier Briefe der Eltern aus dem Dezember 1941 tragen alle den Postaufdruck „Brief geöffnet – zurück – Postverkehr eingestellt“. Die folgenden Auszüge aus diesen letzten Briefen spiegeln die wachsende Verzweiflung nicht um das eigene, sondern um das Schicksal der Kinder wider:
„Wir erhielten Deinen Brief vom 8. November und hoffen, dass Du auch inzwischen die rückständigen Briefe von uns erhalten hast. … Von unserer Bea haben wir immer noch nichts gehört. Auch von Käte und Eugen haben wir seit 14. Oktober nichts mehr gehört.“ [Vater]
„Letzten Mittwoch kam Dein lieber Brief vom 8ten November, er hat seinen Weg also in 18 Tagen gemacht. Das war schnell und schön. Von Bea und Käte erwarten wir schmerzlich Nachricht. … Lebe herzlich wohl, bleibe gesund, wenn wir Beas Adresse haben, werden ihr Deine Briefe wieder getippt beigelegt, ebenso umgekehrt. … Ich grüße u. küsse Dich herzlich u. verbleibe
Deine Mutter.“[86]
„Heute weiss ich nicht, was ich Dir schreiben soll, wenn ich nicht pflichtgemäß Dir wöchentlich von unserer Gesundheit Kenntnis geben wollte. Die Ursache besteht auch zum Teil darin, dass wir diese Woche, d.h. seit unserem letzten Brief an Dich nichts von Dir erhalten haben. Von Bea wissen wir immer noch keine Adresse. Auch aus San Franzisco bleiben die Briefe aus.“[Vater]
Wie ein kleines Kind soll ich mir vorsagen lassen, was ich schreiben soll. Grüsse, die nichts sagen, nichts bringen, kann ich selbst buchstabieren. Das ist reichlich wenig! Ob unsere Schreiben Dich u. Käte erreichen ?“ [Mutter][87]
„Seit Deinem Briefe vom 8. November haben wir nichts mehr von Dir erhalten. Von Beate und Eugen werden die Nachrichten jetzt ausbleiben. Von Bea wissen wir immer noch nicht die Adresse. Wir sind dadurch beunruhigt, was Du Dir wohl vorstellen kannst.“[88]
„Seit Deinem Briefe vom 8. Nov. Haben wir nichts mehr von Dir erhalten. Auch von Käte bekommen wir keine Nachricht. Von Bea haben wir immer noch keine Adresse. Hoffentlich bekommen wir wenigstens von einer Seite bald etwas. Zu melden habe ich sonst nichts. Mutter und ich, ebenso Tante Paula sind Gottlob gesund. Bleibe Du es auch und schreibe uns so bald Du kannst.
Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen
Deine Eltern“[89]
Dieser letzte Brief ist eigenartigerweise der einzige, der nicht mit „Dein Vater“ oder „Deine Mutter“ unterschrieben ist. Es ist der einzige, den sie gemeinsam mit „Deine Eltern“ unterzeichnet haben, ein letzter gemeinsamer Gruß.
Zur Trennung von den Kindern kam zuletzt auch noch der Verlust der Wohnung. Das Haus war noch im Juni völlig geräumt worden. Insgesamt hatte das Haus in der Zeit zwischen 1939 und 1942 etwa 35 jüdische Bewohner, nicht alle gleichzeitig, aber gerade in der Phase ab 1941 waren es oft mehr als 15. Bernhard Bodenheimer, Frieda Kahn, Helene Schreiber und Suse Vyth waren bereits am 23. Mai 1942 unmittelbar aus der Bahnhofstraße mit dem ersten größeren Transport aus Wiesbaden nach Izbica gebracht worden.[90]
Wieso Sebald und Hedwig nicht auf der Deportationsliste vom 23. Mai standen, wieso sie stattdessen in die Mauergasse 10 zur Schwester von Hedwig Strauss umziehen mussten bzw. – angesichts der Alternative muss man sagen – durften,[91] ist unklar. Wahrscheinlich wusste Paula Straus zu diesem Zeitpunkt schon, dass sie vier Tage später das Haus verlassen musste, weil sie den Befehl erhalten hatte, sich für den Transport am 10. Juni nach Lublin bereitzuhalten. Unfreiwillig hatte sie somit für ihre Schwester und den Schwager „Platz geschaffen“.
In der Liste unbekannten Ursprungs aus dem Jahr 1942 sind 25 jüdische Bewohner der Bahnhofstr. 46 aufgeführt. Diejenigen, die am 23. Mai und am 10. Juni deportiert worden waren, sind ausgestrichen, Man kann also davon ausgehen, dass diese Liste die Wohnsituation im Haus im Sommer 1942 bis zum 10. Juni widerspiegelt.[92] Zwischen diesem Datum und dem 20. Juni wurde es dann völlig geräumt. Zumindest legen das die „Evakuierungs“- bzw. die Umzugsdaten derjenigen nahe, für die Karten der Gestapo-Kartei vorhanden sind.
Am 10 Juni gehörten Albert Stein, Else Strauss, Babette Weil und ihre Tochter Frieda, sowie Hedwig Woller zu denjenigen, die die Fahrt in den Osten antreten mussten. Aber auch sie hatte man mit Ausnahme von Babette und Frieda Weil alle noch gezwungen, für wenige Tage in andere Judenhäuser zu ziehen. Albert Stein musste in die Alexandrastr. 6, Else Strauss in die Rheingauer Str. 2, Hedwig Woller verbrachte ihre letzten Tage auf dem Gebäude der Jüdischen Gemeinde in der Friedrichstr. 33.
Die anderen Bewohner die im Mai und Juni noch nicht deportiert wurden, brachte man zunächst in anderen „Judenhäusern“ unter, manche mussten sogar noch ein weiteres Mal umziehen. So wurden die Kleebergs am 9. Juni, Adele Bonné und Recha Abraham vermutlich am 13. in das Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 65 gebracht; Emma August, Nussbaums und Dr. Stahl am 15. in das in der Adelheidstr. 94. Levittas wurden am 18. und Flora Rosenstrauss am 19. in die Mainzer Str. 60 umgesiedelt. Minna Schönholz quartierte man am 17. in der Wallufer Str. 15 eint, Lina Strauß musste am 12. Juni in das Judenhaus Kaiser-Friedrich-Ring 43, Arthur und Anna Strauss zogen am 15. in das Judenhaus Bahnhofstr. 25.[93]
Allein Hertha und Bernhard Eis war es noch 1941 gelungen, ihre Ausreise in die USA zu bewerkstelligen und so der Todesmaschinerie zu entkommen.
In einer weiteren Liste unbekannten Ursprungs, in der die von Juden belegten Wohnungen bzw. Zimmer detailliert aufgelistet worden waren, die ebenfalls aus dem Sommer 1942 stammen muss, ist das ehemalige Judenhaus Bahnhofstr. 46 nicht mehr aufgeführt.[94]
Es gibt noch einen zweiten, in doppelter Weise externen Blick auf dieses Haus in der Bahnhofstr. 46. Es ist der Blick aus dem Nachbarhaus, das aber spiegelbildlich den gleichen Grundriss wie das Judenhaus hatte. Hier wohnte seit April 1940 die aus Süddeutschland stammende Familie Moos.[95] Herr Moos war ein „alter Kämpfer“, der schon vor 1933 der NSDAP beigetreten war und trotz mancher Konflikte mit der Partei, keinen Zweifel an der historischen Mission seines „Führers Adolf Hitler“ hatte aufkommen lassen. Zunächst berufsbedingt, seit Ausbruch des Krieges als Soldat war er sowohl für seine Frau als auch für die beiden Söhne und die Tochter zumeist ein Abwesender. Seine Frau, nicht widerständisch, sondern eher einer christlichen Werteordnung verhaftet, lebte hier in den folgenden Jahren zusammen mit den drei Kindern. Durch den ständigen brieflichen Austausch, der in seiner Intensität dem in der Familie Strauss glich, versuchte der Vater diese in den Bann der NS-Ideologie zu ziehen – mit eher geringem Erfolg bei der Mutter, aber mit umso größerem Erfolg bei dem älteren Sohn Gerhard, der in den folgenden Jahren zum begeisterten HJ-Führer aufstieg.
Erstmals wurde der Neunjährige mit der Tatsache konfrontiert, in unmittelbarer Nachbarschaft mit Juden zu leben, nachdem diese am 1. September 1941 gezwungen wurden, in der Öffentlichkeit einen Judenstern zu tragen. Plötzlich waren die zurückgezogen lebenden Nachbarn keine Nachbarn mehr, sondern Juden. Mit welcher Hilflosigkeit die religiöse Mutter auf diese Entdeckung des Sohnes reagierte, zeigt sich, als sie mit dem Verweis auf Jesu Haltung gegenüber den Aussätzigen versuchte, den Jungen zu einem humanen Umgang mit den jüdischen Nachbarn – „diesen armen Menschen“ – zu bewegen. Aussätzige waren sie aber tatsächlich inzwischen geworden. Wenige Tage später erreicht ein Brief des Vaters die Bahnhofstr. 44, mit dem die Familie angesichts der größer gewordenen Bedrohung an der „Heimatfront“, der wachsenden Zahl an eigenen Kriegsopfern und der neuen Erfahrung, immer öfter die Nächte im Keller verbringen zu müssen, beruhigt werden sollte: „Eine Sondermeldung jagt die andere und immer größer sind die Erfolge. So hoffe ich, dass nun bald der teuflische jüdische Satan in Menschengestalt vernichtet und geschlagen sein wird und dann ein hehrer Friede zum Wohl der Völker Europas einkehrt.“[96] Keine Frage, wem der Junge nacheiferte.
Es war im Juli 1942 – zwei Züge voll mit Wiesbadener Juden hatten die Stadt bereits verlassen -, da griff der nun 10jährige Gerhard an einem heißen, langweiligen Sonntagnachmittag in seine Hosentasche, in der sich eine Handvoll kleiner Kiesel befand, die er – vielleicht noch ganz ohne Absicht – zuvor zusammen mit seinem etwas älteren Vetter beim Spazierengehen gesammelt hatte. Ihm gegenüber hatte er auch das bisher gehütete Geheimnis offenbart, dass nebenan Juden wohnen würden. Im Spannungsfeld zwischen mütterlichem Gebot und väterlicher Legitimation begann der Junge zunächst sacht, dann immer fester, die Steine gegen das leicht geöffnete Fenster gegenüber zu werfen: „Auf einmal schob sich eine Hand, eine zarte, faltenreiche Hand mit einem Ring am Mittelfinger, durch den Vorhang, hob langsam den Riegel in der Mitte des Fensters, ließ ihn vorsichtig einschnappen und schloss auf diese Weise das Fenster.“ Beim folgende Wurf zerbarst die Scheibe. Die Mutter, in das Zimmer stürmend, zog ihren Sohn zur Rechenschaft. Nicht nur, dass sie ihn zum ersten und einzigen Mal ohrfeigte, sondern ihn zudem zwang, sich sofort bei den jüdischen Nachbarn im Namen der Familie zu entschuldigen, war für diesen nicht nachvollziehbar. „Durch meinen Kopf jagten wilde Gedanken. Ja, es war nicht Recht, was ich getan hatte. Ich hatte eine Fensterscheibe eingeworfen. Aber es war doch nur bei Juden. Es war doch nur bei der Pest, wie mein Vater geschrieben hatte.“[97]
Die Episode an diesem Tag blieb in den Briefen der Familie Straus unerwähnt, vermutlich nur eine der alltäglichen Demütigungen, angesichts der viel größeren Bedrohung durch die anstehenden Deportationen nicht der Erwähnung wert, vielleicht auch zu gefährlich für die Frau, die sich in einem kurzen Moment auf die Seite ihrer jüdischen Nachbarn gestellt hatte.
Auch Frau Moos erwähnte gegenüber ihrem Mann den Vorfall nicht. Am 9. August 1942 schrieb sie stattdessen ahnungsvoll: „Wir leben ja in einer so schweren Zeit und der Krieg wird einmal furchtbare Spuren hinterlassen.“[98]
Noch im selben Monat war das Nachbarhaus auch für den 10jährighen wahrnehmbar von seinen Bewohnern geräumt worden. „Die Wiesbadener Juden waren deportiert worden. Aber davon nahm man nur unter der Hand Kenntnis. Wohin? Nach Osten, hieß es. Dort seien große Lager. Sie müssten dort wohl arbeiten. Diese ‚Schmarotzer’ müssten endlich mithelfen, damit wir den Krieg gewinnen“, so Gerhard Moos, seine damalige Überzeugung resümierend.[99]
Schon bevor das Haus von seinen jüdischen Bewohnern geräumt worden war, begann auch hier der Streit um die Beute. Ganz offensichtlich war die SS die treibende Kraft bei der Räumung gewesen. Das Wirtschaftsverwaltungshauptamt wollte hier eine ihrer Verwaltungsstellen, die „Ergänzungsstelle Rhein (XII)“, unterbringen und war noch bevor das Haus leer war, mit diesem Ansinnen an den Verwalter Zimmermann herangetreten. Schon am 1. Juni 1942 war ein Mietvertrag zwischen der SS und Zimmermann über die Vermietung des Gebäudes zustande gekommen. Zimmermann reichte diesen Mietvertrag am 29. Oktober 1942 beim Finanzamt Wiesbaden ein, nachdem im August eine allerdings noch nicht rechtskräftige Einzugsverfügung über das gesamte Vermögen von Sebald Strauss vom Regierungspräsidenten erlassen worden war. Er bat darum, diesen Mietvertrag nachträglich zu genehmigen.[100] Zuvor hatte aber bereits der Oberbürgermeister Wiesbadens, der ansonsten willfährige Pikarski, diesem Plan mit Verweis auf eine Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 29. Juli 1941, in der die Umwandlung von Wohn- in Büroraum untersagt worden war, widersprochen. Zimmermann war der Meinung, dass die notwendige Ausnahmegenehmigung kein Problem darstellen werde, „denn“ – so seine Formulierung – „das Anwesen ist seinerzeit von der Geheimen Staatspolizei“ – zu ergänzen wäre: extra – für die Waffen-SS von den im Haus wohnenden Juden geräumt worden.“
In den Finanzakten befinden sich handschriftliche Aufzeichnungen, die vermutlich vom zuständigen Sachbearbeiter für die Verwertung jüdischen Vermögens Sprenger verfasst wurden und die Auseinandersetzung dokumentieren. Man wusste damals offensichtlich nicht, ob die Hauseigentümer bereits „evakuiert“ worden waren, denn davon waren alle weiteren Fragen abhängig.
„Das Haus Bahnhofstr. 46 ist in jüdischem Besitz. Eigentümer Strauss. Das Haus ist geräumt und wird nach Entscheidung des Gauwohnungskommissars (Vertreter Kreisleiter) für die Ergänzungsstelle der Waffen-SS verwendet.
Wenn Strauß evakuiert ist, verfällt das Haus dem Reich. …
Hat Strauß nur eine Wohnung an anderer Stelle erhalten, dann ist das Reich“ – sprich: das Finanzamt Wiesbaden – „vorerst nicht mit der Sache befasst.“[101]
Man zog zunächst bei der Staatspolizei Erkundigungen ein, ob das Ehepaar Strauss am 10. Juni abgeschoben worden war, erhielt von da am nächsten Tag fernmündlich die Nachricht, dass sie nicht auf der Liste gestanden hätten. Daraus zog Sprenger den Schluss: „Hiernach ist das Reich vorerst nicht mit der Sache befasst. Strauss kann das Haus noch selbst vermieten. Das Haus wird aber später einmal dem Reich verfallen.“ [102] Natürlich konnte Sebald Strauss nicht selbst über das Haus verfügen, aber eben der Verwalter Zimmermann als unterstes Glied in der Hierarchiekette Gauwohnungskommissar und Kreisleiter. Aber eigentlich – so scheint es – gönnte man beim Finanzamt der SS die Nutzung des Gebäudes nicht. Zumindest legt das ein weiterer Vermerk vom 22. August nahe: „Da der Besitzer des Hauses noch in Wiesbaden wohnt, verfügt die Kreisleitung über das Haus. Das Haus verfällt dem Reich bei der nächsten Judenevakuierung voraussichtlich. Es ist aber bereits von der Waffen-SS in Anspruch genommen. Es wird deshalb auf Verkauf zu drücken sein.“[103]
Entsprechend wandte man sich schon vorab, eine Woche vor der Deportation der Hauseigentümer, an das Grundbuchamt mit der Bitte, dem Finanzamt alle nötigen Unterlagen für eine schnelle Umschreibung der Immobilie, die „in Kürze dem Reich verfallen wird“, zukommen zu lassen: „Es besteht erhebliches Interesse, das Grundstück möglichst schnell abzustoßen.“[104] Man plante im Finanzamt Wiesbaden noch – auch „ausserhalb der Verkaufssperre“ – das Haus zu verkaufen und fordert vom Reichsbauamt eine Bewertung des Anwesens an.[105]
Der Einziehungsbescheid des Regierungspräsidenten für das gesamte Vermögen sowohl von Sebald als auch Hedwig Strauss beruhte auf der üblichen Rechtskonstruktion, dem „Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 in Verbindung mit dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933“. Er erging am 27. August, d.h. sogar noch vor der Deportation. Der Vermögensverfall ermöglichte die Nutzung des Gebäudes durch die Finanzverwaltung, berechtigte aber noch nicht zum Verkauf. Dazu bedurfte es erst der förmlichen Umschreibung des Grundstücks im Grundbuch.
Bevor dies geschah, wandte sich der Hausverwalter Zimmermann, der diese Funktion bereits für das Ehepaar Strauss, nun ihm Auftrag des Finanzamts Wiesbaden ausübte, im Oktober 1942 noch mit einem bzw. drei gleichlautenden Formularbriefen an das Finanzamt und bat um Zahlung der rückständiger Mieten für die Deportierten:
„Nachdem das Finanzamt die Schlüssel der von der früheren Mieterin … innegehabten Wohnung an mich abgegeben und die Räumung der Wohnung vom Inventar veranlasst hat, gebe ich nachstehende Aufstellung der rückständigen Miete.“ Die Deportierten hatten es unterlassen, noch die Miete für den Juni zu zahlen. Er schlug deshalb vor, diese Mietrückstände mit dem Erlös zu begleichen, der aus der Verwertung des Inventars der deportierten Mieter erzielt worden sei. [106] Die Buchführung durfte keine Lücken aufweisen.
Die Wohnungen seien renoviert und zum 1. September 1942 neu bezogen worden – von der SS. Der Einspruch der Kommunalbehörde war offensichtlich per Ausnahmegenehmigung übergangen worden.
Ein Dreivierteljahr später beantragte das Finanzamt nun beim Amtsgericht Wiesbaden die Umschreibung des Grundstücks im Grundbuch auf das „Deutsche Reich“. Man hatte in der Verwertungsstelle inzwischen offenbar aufgegeben, das Haus zu verkaufen, wie eine Notiz aus dem Februar 1942 erkennen lässt:
„Erstens schon vermietet, deshalb nicht verkäuflich.
Zweitens bei Freiwerden als Dienstgebäude für FA [Finanzamt – KF] vorzumerken.“[107]
Bei dem, im Normalfall bürokratischen Routineakt der Umschreibung im Grundbuch, brachte der zuständige Oberamtsrichter Dr. Schmidt von Rhein wie auch in anderen Fällen Sand ins Getriebe der Enteignung. Zunächst verlangt er das Original der Einzugsverfügung, dann, als im diese übersandt wurde, monierte er, dass diese nur auf Sebald, aber nicht auf Hedwig Strauss ausgestellt sei. Zudem solle man ihm mitteilen, wann und wo die vorgeschriebene öffentliche Bekanntmachung der Einzugsverfügung publiziert worden sei.[108]
Es mag sein, dass hier ein selbstbewusster Jurist sich durch die Anmaßungen anderer Behörden in seiner ‚Amtseitelkeit’ angegriffen fühlte, es mag sein, dass ein unpolitischer Jurist nur dem Buchstaben des Gesetzes gerecht werden wollte, es mag aber auch sein, und es ist sogar wahrscheinlich, dass dieser Oberamtsrichter dem Unrechtsstaat gegenüber mit den wenigen Mitteln, die ihm kraft seines Amtes zur Verfügung standen, ein kleines Zeichen setzen wollte. Verhindern konnte er diesen Unrechtsakt nicht. Am 5. August 1943 wurde das „Großdeutsche Reich (Reichsfinanzverwaltung)“ als Eigentümer des Wohngrundstücks und ehemaligen Judenhauses Bahnhofstr. 46 im Grundbuch Wiesbaden – Innenbezirk eingetragen.[109]
Der Einzug der SS in die Bahnhofstr. 46 fand genau an dem Tag statt, an dem die beiden Eigentümer des Judenhauses, Hedwig und Sebald Strauss, mit dem letzten großen Transport aus Wiesbaden nach Theresienstadt verbracht wurden.[110] Beide lebten dort nur noch wenige Wochen. Hedwig starb am 21. September, nicht einmal drei Wochen nach der Ankunft an einer Lungenentzündung,[111] ihr Mann Sebald Strauss starb kurz darauf am 6. Oktober 1942 an einem Darmkatarrh.[112]
Ihre Tochter Bea Strauss blieb verschollen, nachdem sie am 10 November 1942 von Düsseldorf aus in das Ghetto Minsk transportiert worden war. Und auch von Paula Straus gab es keine Nachricht mehr, nachdem sie am 10. Juni den Zug nach Lublin bestiegen hatte. Dennoch ist gewiss, dass sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in Sobibor umgebracht wurde.
Alfred Strauss kehrte unter schwierigsten Bedingungen und über viele Umwege und längeren Aufenthaltszeiten in Argentinien und Frankreich nach dem Krieg und dem Ende der Nazi-Herrschaft im Dezember 1948 nach Deutschland und Wiesbaden zurück, um hier wieder als Jurist zu arbeiten.[113] Man riet ihm angesichts der Lage dazu, in den Staatsdienst einzutreten. Am 1. März 1949 wurde er zum Richter vereidigt und war in dieser Funktion einer der Richter, die für die anlaufenden Entschädigungsprozesse zuständig waren. 1954 wurde er zum Landgerichtsdirektor berufen.
Schon bald nach seiner Ankunft in Wiesbaden hatte er am 8. November 1949 Ruth Janausch geheiratet.[114] Die Folgen des Exils aber, besonders die dortigen klimatischen Bedingungen, wahrscheinlich aber auch das Schicksal seiner Angehörigen, hatten seine körperliche Verfassung sehr in Mitleidenschaft gezogen. Am 5. Juli 1968 verstarb er im Alter von 67 Jahren in seiner alten Heimatstadt. Auf dem Jüdischen Friedhof an der Platter Straße wurde er beigesetzt. Auf seinem Grab erinnert eine Gedenkplatte an seine ermordeten Eltern und seine Schwester Bea.
Am 24. Januar 1950 war zuvor den überlebenden Kindern Alfred Strauss und Käthe Rosenthal, geborene Strauss, durch Beschluss des Amtes für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Wiesbaden vom 20. September 1949 ihr Eigentum am Haus Bahnhofstr. 46 zurückerstattet und ins Grundbuch eingetragen worden.[115]
Die Familie von Hermann Strauss
Waren in der Familie von Sussmann Strauss, abgesehen von ihm selbst, der bereits 1936 verstorben war, alle dem Holocaust zum Opfer gefallen, so hatten sich in der von Sebald Strauss doch wenigstens zwei der Kinder retten können. Die Familie des dritten Sohnes von Adolf und Babette Strauss, die von Hermann Strauss, blieb – soweit feststellbar und soweit sie noch die Zeit des Nationalsozialismus erlebten – dagegen weitgehend verschont. Anders als seine Brüder war Hermann nicht im Rheingau geblieben, sondern hatte zumindest zeitweise in Berlin und Hamburg gelebt. Am 20. Juli 1891 heiratete der Kaufmann und Weinhändler in der Reichshauptstadt die bereits verwitwete Helene London.[116] Helene, mit Mädchenname Friedland, war am 9. November 1860 in dem südöstlich von Riga gelegenen Dünaburg geboren worden, das damals noch zum russischen Zarenreich gehörte, heute aber auf dem Staatsgebiet von Lettland liegt. Offenbar war das Paar nach der Eheschließung aber wieder zurück nach Geisenheim gekommen, denn dort wurden zumindest die ersten beiden Kinder geboren, Fritz am 23. April 1892 und Waldemar am 27. September 1895.[117] Der dritte Sohn, Heinrich, wurde 1899 dann in Berlin geboren.[118] Es könnte allerdings sein, dass die Familie auch bei den ersten beiden Geburten eigentlich weiterhin in Berlin wohnte, man nur die Wochen um die jeweiligen Geburten im Familienkreis im Rheingau verbrachte,[119] denn sowohl die Eltern wie auch alle drei Kinder lebten später wieder in Berlin. Mit nur 45 Jahren verstarb dort am 21. September 1906 die Mutter und hinterließ die damals noch alle nicht volljährigen Kinder. Heinrich, der jüngste, war gerade mal sieben Jahre alt. [120] Der Vater ging daraufhin zwei Jahre später am 7. August 1908 eine zweite Ehe ein. Seine Frau Bertha / Beilke Seligsohn, geboren am 16. April 1861, war die Tochter von Hermann und Auguste Seligsohn, geborene Cohn, aus dem westpreussischen Samotschin.[121] Kinder gingen aus dieser zweiten Ehe nicht mehr hervor.
Am 18. September 1925 verstarb Hermann Strauss im Charlottenburger Krankenhaus im Alter von 66 Jahren,[122] wann und wo seine Frau ihre letzte Ruhe fand, ist nicht bekannt. Die Todesnachricht des Vaters hatte sein Sohn Fritz dem Standesamt überbracht. Der promovierte Jurist hatte nicht nur eine Rechtsanwaltspraxis mit Notariat eröffnet, sondern ebenfalls eine Familie gegründet. Am 3. November 1923, zwei Tage nachdem mit der Einführung der Rentenmark die Überwindung der Hyperinflation in Deutschland eingeleitet wurde, hatte er Erna Berker geheiratet. Sie stammte aus Berlin, wo sie am 29. Januar 1898 zur Welt gekommen war.[123]
Das Paar lebte auch weiterhin in Berlin in der Frankfurter Str. 102, wo Dr. Fritz Strauss laut Jüdischem Adressbuch von 1929 auch sein Notariat eingerichtet hatte. Es handelt sich dabei um die Adresse, in der Erna Berker vor ihrer Eheschließung wohnte. Bis 1935 findet man ihn in den allgemeinen Berliner Adressbüchern mit dieser Adresse.[124] Offensichtlich hatte das kinderlose Paar dann Deutschland verlassen und war – wie die Familienüberlieferung weiß – anschließend nach Palästina ausgewandert, wo der jüngste Bruder Heinrich zu diesem Zeitpunkt bereits lebte.
Wann Waldemar Strauss in das rettende Ausland gelangte, ist nicht sicher zu sagen. Auch er hatte am 11. März 1924 in Berlin geheiratet. Die Ehe mit Frieda Oppenheim war aber am 13. November 1931 wieder geschieden worden.[125] Ob es sich bei dem bis 1938 in den Berliner Adressbüchern verzeichneten Waldemar Strauss um den Sohn von Hermann und Helene Strauss handelt, ist möglich, aber nicht sicher. Der Genannte, der in der Ritterstr. 52 wohnte, betrieb dort ein Handelsunternehmen für chirurgische Instrumente. Es könnte der Gesuchte sein, denn sicher ist, dass er seinen Verfolgern entkommen konnte. Auf der Passagierliste des Schiffs ‚Haiyu Maru’, das im Oktober 1940 von Yokohama in Japan kommend die kalifornische Küste ansteuerte, ist sein Name eingetragen: Geburtsort Geisenheim, letzter fester Wohnsitz Berlin.[126] Er muss einen langen, aber unbekannten Fluchtweg hinter sich gebracht haben, bevor er endlich in Sicherheit war. Möglicherweise blieb er in Kalifornien, wo ja auch Käthe Strauss, die Tochter von Sebald und Hedwig Strauss, eine neue Heimat gefunden hatte. Aber sichere Informationen über sein Schicksal liegen nicht vor.
Wesentlich mehr weiß man über den jüngsten Sohn Heinrich, genannt Heini, da seine Nachkommen noch heute in Israel leben und im Besitz vieler Dokumente über sein Leben sind. Es sind zu viele, als dass sie im Rahmen dieses Judenhaus-Projekts umfassend aufgearbeitet werden könnten, aber zumindest sollen einige Schlaglichter auf sein Leben geworfen werden.
Heini hatte sich schon in frühester Jugend in Berlin als Mitglied der Jugendorganisation ‚Blau-Weiß’, quasi einem jüdischen Pendant zum ‚Wandervogel’, in der zionistischen Bewegung engagiert. Von der Militarisierung der Gesellschaft im Vorfeld des Ersten Weltkriegs blieb auch diese Organisation nicht unberührt. Es wurden Kriegsspiele und Märsche organisiert, bei denen neben deutschen Volksliedern, jüdischem Liedgut auch die entsprechenden kriegerischen Lieder gesungen wurden. Allerdings sah man sich nicht als Teil eines wilhelminischen Großmachtstrebens, sondern rekurrierte eher auf die Tradition der Makkabäer und ihres Aufstands gegen die Römer. Es ging dieser Bewegung um die Etablierung einer jüdischen Identität, die nicht länger dem Opfermythos huldigen, sondern sich aus der Bereitschaft zum Widerstand entfalten sollte. Im Kontext der damaligen Zeit ließen sich diese Vorstellungen aber auch leicht mit der „Befreiungspolitik“ des Deutschen Kaiserreichs verbinden, das glaubte, sich nur mit militärischen Mitteln aus der angeblichen Umklammerung der Entente lösen zu können. Auch Heini zog als siebzehnjähriger Freiwilliger in den Krieg, übernahm aber schon damals eine Funktion, die auch sein späteres Denken und Handeln prägen sollte: Er wurde innerhalb der Armee zu einem Experten für die Bewertung und Beurteilung von Kunstwerken.
Ob er sein Studium noch während des Krieges aufnehmen konnte, ist nicht mehr zu sagen, aber ganz sicher muss es von Anfang an sehr breit angelegt gewesen sein. Seinen ersten Abschluss hat er offensichtlich in den Rechtswissenschaften gemacht. Zwar liegt seine schriftliche Erarbeitung für die juristische Staatsprüfung vor, aber sie ist leider nicht datiert. Ob ihm tatsächlich bereits im Jahr 1920, also als Einundzwanzigjährigem in Hamburg, wo er nach dem Krieg lebte, ein Richteramt angetragen wurde, wie innerhalb der Familie kolportiert wird, muss man angesichts der sehr strengen Bedingungen zur Ausübung dieses Amtes bezweifeln. Nicht ausgeschlossen ist natürlich, dass er in den Wirren der Revolution, als das alte System zumindest zeitweise zusammengebrochen war, mit einer solchen Aufgabe betraut wurde.
In dieser Zeit konnte er zugleich seine Promotion abschließen, die er in Freiburg i. B. im Fachbereich Politikwissenschaft vorgelegt und wohl schon im Dezember 1920 abgeschlossen hatte. In einer Widmung, datiert auf den 22. Dezember 1920, dankt er seinem Vater, “dem Mitarbeiter und Mithelfer, dem ich den besten Teil meiner ökonomischen Kenntnisse verdanke, zum 62. Geburtstag.“
Vor seinem lebensgeschichtlichen Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass er sich darin mit der Frage jüdischer Migrationspolitik befasste.[127] In dieser sehr breit angelegten Dissertation werden sowohl allgemeine politische und volkswirtschaftliche Fragen der jüdischen Auswanderung besonders vor dem Hintergrund der russischen Verhältnisse, als auch sehr praktische und organisatorische Aspekte der Emigration beleuchtet. Er plädiert aber gerade als Zionist nicht für eine Massenauswanderung nach Palästina, sondern analysiert die Voraussetzungen für den erfolgreichen Aufbau eines autarken jüdischen Staates. Autark meint hier nicht die völlige Unabhängigkeit, aber eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur, in der die verschiedenen Sektoren eine Einheit bilden. In der „Umschichtung“, dem Umbau der Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung, ein Begriff der auch die Arbeit in den vielen Vorbereitungslagern in Deutschland auf die Hachschara bestimmte, sah er eine wesentliche Voraussetzung für das gelingen des zionistischen Projekts. Klar sei aber, dass zumindest zum damaligen Zeitpunkt die Auswanderung nach Palästina alleine keine Lösung für die Judenfrage sein könne, es vielmehr gerade darauf ankomme, den Juden, die etwa nach Amerika auswandern wollten, die Fähigkeiten zu vermitteln, ihr Jüdischsein in einer solchen Gesellschaft zu bewahren und zugleich produktiver und auch kultureller Teil dieser modernen Gesellschaften zu werden.
Es ist schon sehr erstaunlich, wie es ihm gelang, trotz des Krieges bereits mit etwa 20 Jahren zumindest die Erste Juristische Staatsprüfung und außerdem eine Promotion in einem völlig anderen Themengebiet abzulegen. Auch ohne Krieg, eine mehr als außergewöhnliche Leistung.
In Hamburg war er darüber hinaus auch zum Repräsentanten von ‚Keren Haysod’ gewählt worden, einer dort 1920 von Zionisten gegründeten Organisation, die weltweit Gelder für die Alija, die Migration nach Palästina, sammelte und damit Reisekosten, Sprachkurse und andere Integrationskurse für Auswanderungswillige Juden finanzierte. Chaim Weizmann dankte Heinrich Strauss persönlich für sein Engagement in dieser Sache.[128] Auch er selbst machte sich 1923 auf den Weg nach Palästina, hatte aber schrecklich unter dem dortigen Klima zu leiden, erkrankte an Typhus und kehrte schon nach zwei Jahren wieder nach Deutschland zurück. Vermutlich lebte er damals wieder in Hamburg bei seinen Eltern.
Sehr bald nachdem den Nationalsozialisten die Macht in Deutschland zugefallen war, wanderte er 1934 unter Zurücklassung seiner Habe erneut nach Palästina aus. Trotz seines früheren Aufenthalts waren seine hebräischen Sprachkenntnisse eher rudimentär geblieben und er konnte dort, obwohl er viele akademische Zeugnisse vorzuweisen hatte, beruflich nicht an seine bisherige Karriere anknüpfen. Mit einfachen Tätigkeiten musste er in Jerusalem, wo er eine Wohnung fand, seinen Lebensunterhalt verdienen. Immerhin lernte er bald seine zukünftige Ehefrau Eva Kutzinsky / Kutchinski kennen, die im gleichen Jahr wie er nach Palästina ausgewandert war.[129] Noch im Dezember 1934 fand die Eheschließung statt und am 15. Januar 1936 wurde ihr einziges Kind, der Sohn Danni / Danny, geboren.
Die Familie lebte damals in Talpiot, einer der umkämpftesten Siedlungen im Umkreis von Jerusalem, damals zunächst auf britischem Mandatsgebiet, dann nach dem Krieg von 1948 auf jordanischem Staatsgebiet gelegen. Angesichts der permanenten Konflikte mit der arabischen Bevölkerung, der permanenten Gewalt und den wechselseitigen Bedrohungen vollzog Heini Strauss damals einen politischen Wandlungsprozess. Er trat der eher links-orientierten Brit Schalom bei und wandelte sich vom Zionisten zu einem Vertreter des Ausgleichs und der Verständigung mit den Arabern.
Wissenschaftlich hat sich Heini Strauss in den 50er und 60er Jahren hauptsächlich mit Fragen zur bildenden Kunst beschäftigt, sich intensiv mit ästhetischen und kunstgeschichtlichen Themen befasst, Fragestellungen, die Ihn seit seiner Jugend nie mehr losgelassen haben. Eine ganze Reihe von Aufsätzen, Essays und Rezensionen konnte er in diesen Jahren publizieren. Im Zentrum seines Denkens stand auch hier immer die Frage nach der jüdischen Identität. Das zeigen die Titel wie etwa der 1958 veröffentlichte Aufsatz „Juden und die deutsche Kunst“ oder auch sein Artikel „Gab es jüdische Vor- Bilder der frühen christlichen Kunst ?“, um nur zwei Beispiele zu nennen.[130]
Am 8. Mai 1966 verstarb seine Frau Eva / Chava mit nur 57 Jahren. Heinrich ging nach etwa eineinhalb Jahren am 15. November 1967 eine neue Ehe mit der etwa gleichaltrigen Rosetta Schragenheim ein, die damals in der Südafrikanischen Republik lebte. Mit ihr musste er das Leid teilen, welches – trotz des für Israel siegreichen Krieges – im Jahr 1967 über ihn persönlich hereinbrach. Es waren die Jahre vorausgegangen, in denen sich zeigte, wie gering der Einfluss der Brit Schalom und ihrer verschiedenen Nachfolgeorganisation letztlich auf die Politik geblieben war. Als sich im Juni 1967 der Konflikt erneut kriegerisch entlud, war Danni Strauss einer der getöteten Soldaten. Er hatte zuvor eine eigene Familie gegründet, in der ihm von seiner Frau Hehama, geborene Becka, von 1960 an im Abstand von jeweils drei Jahren drei Kinder geschenkt worden waren. Mit seinem Tod hinterließ er eine Witwe mit drei kleinen Kindern, von denen das jüngste gerade ein Jahr alt geworden war. Wieder hatte die Familie Opfer zu beklagen, diesmal in dem Land, in das man Jahre zuvor mit der Hoffnung geflohen war, auch als Jude endlich in Sicherheit leben zu können.
Nechama und Danni Strauss mit ihren drei Kindern Gil, Noam and Oded
Archiv Tal Strauss
Die Unsicherheit bleibt, aber die Kinder von Danni und Nechama Strauss haben inzwischen selbst eigene Familien gegründet, haben Kinder, die trotz allem gelernt haben, sich in dieser Welt zu behaupten.
Veröffentlicht: 06. 12. 2017
Letzte Revision: 07. 04. 2022
Anmerkungen:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kulturdenkm%C3%A4ler_in_Wiesbaden-Mitte_%28s%C3%BCdliche_und_westliche_Stadterweiterungen%29#/media/File:Bahnhofstra%C3%9Fe_44-46.jpg, auch Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen / hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden / hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege, bearb. von Sigrid Russ, 1/2 Stadterweiterungen innerhalb der Ringstraße, Stuttgart 2005, S. 106.
[2] HHStAW 519/2 2150 (o.P.) Grundbuchauszug.
[3] HHStAW 469/33 2507 (2).
[4] HHStAW 283 873 (o.P.). Die Schreibweise des Namens Strauss / Strauss variiert in den Quellen immer wieder. Gerade in neueren Quellen wird zumeist die Schreibweise mit Doppel-S verwendet, die aus diesem Grund auch hier – von Zitaten abgesehen – durchgängig gewählt wird.
[5] Siehe zum Schicksal von Liebmann und Karoline Strauss und zum Judenhaus Hermannstr. 26 unten.
[6] HHStAW 283 873 (o.P.). In dem von Walter Hell herausgegebenen Hausbuch der Familie Derstroff aus Winkel, einer Art Chronik des familiären und dörflichen Lebens, ist der Viehhandel der Familie Strauss zweifach erwähnt. In beiden Fällen waren Kühe absichtlich oder auch unabsichtlich vertauscht worden. Heller erwähnt hier auch die Annahme des festen Familiennamens Strauss, nennt aber ohne Quellenbezug das Jahr 1843 statt 1857. Siehe https://www.oestrich-winkel.de/media/ausscheller47.pdf. (Zugriff: 15.3.2022).
[7] HHStAW 283 873 (o.P.). Es handelt sich im Einzelnen um Adolf (ohne Altersangabe), Seligmann 25. Jahre, Nathan, 24 Jahre, Feist, 22 Jahre, Jette, 21 Jahre, Siegmund, 19 Jahre, Jakobine, 19 Jahre, Fanni, 15 Jahre, Regina, 14 Jahre, Rosina, 12 Jahre, Moritz, 10 Jahre, Franziska, 7 Jahre, Lisette, 5 Jahre.
[8] Auskunft Stadtarchiv Geisenheim.
[9] So wohnte z. B. Adolfs Bruder Seligmann Strauss, ebenfalls Kaufmann, als er am 8.6.1907 verstarb, noch in der Marktstraße im Haus von Adolf Strauss.
[10] Auskunft Stadtarchiv Geisenheim.
[11] Sterberegister Berlin Charlottenburg 1415 / 1925.
[12] Geburtsregister Geisenheim 4 / 1866.
[13] HHStAW 685 787 d (21). Auch hier variiert die Schreibweise. Während bei dem älteren Sußmann die Schreibweise mit „ß“ beibehalten wurde, wird im Folgenden bei dem jüngeren Sussamann die mit „ss“ verwendet. Auch das „ü“, das in einigen Quellen vorzufinden ist, wird durchgängig als „u“ geschrieben.
[14] HHStAW 469/33 2507 (9).
[15] HHStAW 469/33 2507 (3). Seine Eltern waren Mendel und Olga Rödelheimer, geborene Strauss.
[16] Genealogische Datenbank der Paul-Lazarus-Stiftung Wiesbaden. Geboren wurde er am 26.10.1882, gefallen ist er am 18.9.1914 bei Ville sour Tourbe.
[17] HHStAW 469/33 2507 (4).
[18] HHStAW 469/33 2507 (10). Seine Eltern waren der Viehhändler Moses Straus und Eva Straus, geborene Stern, Tochter der gemeinsamen Großeltern David Stern und Nantel Stern, geborene Ehrlich. Die Ehe war am 7.12.1901 geschlossen worden. Zu Sussman Strauss und seiner Frau Bertha siehe den entsprechenden Abschnitt im Kapitel zum Judenhaus Adelheidstr. 94.
[19] Sterberegister der Stadt Wiesbaden 1935 / 833.
[20] Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.
[21] HHStAW 469/24 258(o.P.).
[22] Nach den Bilanzen der Jahre 1930 bis 1933 hatten sich die einkommensteuerpflichtigen Bruttogewinne von 42.000 RM auf 23.500 RM nahezu halbiert. Die Gründe für den Anstieg in den beiden Geschäftsjahren 1934 und 1935 auf wieder etwa 30.000 RM kann hier nicht analysiert werden. 1936 wurde der Bruttogewinn dann aber nur noch mit 5.500 RM bilanziert. Siehe HHStAW 685 810a.
[23] Umsätze nach dem Überwachungsbogen der Umsatzsteuervoranmeldung, siehe HHStAW 685 810 d.
[24] Der Einheitswert des Hauses in der Bahnhofstraße war 1935 mit 34.700 RM, der des Hauses in der Mauergasse mit 40.300 angesetzt, siehe HHStAW 685 810 c (97). 1939 standen den Mieteinnahmen für das Haus in der Bahnhofstraße von 5.617 RM, Ausgaben in Höhe von 5.722 RM gegenüber, 1941 beliefen sich die Verluste bereits auf fast 1.500 RM, siehe HHStAW 685 810 a (62, 68). Die Hausverwaltung für die Bahnhofstraße lag in der Hand der Agentur Zimmermann, deren Inhaber kein Jude war. Im Mai 1939 wurde Zimmermann grundsätzlich untersagt, eine solche Dienstleistung für einen Juden auszuüben, es sei denn, er beantrage eine Ausnahmegenehmigung. Diese Genehmigung wurde tatsächlich erteilt, „da“ so die Begründung der Finanzamts Wiesbaden, „der einzige hier ansässige Konsulent Guthmann, der ansich durch den Grundstückseigentümer Strauss mit der Vertretung zu beauftragen wäre, durch Erfüllung von Obliegenheiten von Juden in erheblichem Masse überlastet ist.“ 685 810 c (103, 104).
[25] In der Vermögenssteuererklärung von 1936 wird das Gesamtvermögen mit 276.000 RM angegeben und in der von den Nazis 1938 geforderten Vermögenserklärung ist es noch immer mit 224.302 RM ausgewiesen, siehe HHStAW 1183 14. Das jährlich zu versteuernde Einkommen in den Jahren 1927 bis 1935 schwankte zwischen etwa 37.000 RM im Jahr 1927 und dem schlechtesten Jahr 1933 mit knapp 17.000 RM, siehe HHStAW 518 907 (17).
[26] Siehe zu seinem Lebenslauf 518 38430 (52 f.) und 505 1764 (2). Die Lebenszeugnisse, darunter auch die Briefe aus dem Exil an seine Eltern und Schwestern, sind in seinem Nachlass in HHStAW 1183 7-11 zu finden.
Einen Überblick über das Leben von Alfred Strauss, der nach dem Krieg und seiner Rückkehr aus dem Exil Landgerichtsdirektor in Wiesbaden wurde, geben Faber, Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 179-183. Eine Darstellung der sehr wechselhaften Politik gegenüber den jüdischen Flüchtlingen in einer Phase, die stark von innerer Kämpfe in Bolivien gekennzeichnet war, liefert Irmtrud Wojak in: Hdb. der deutschsprachigen Emigration S. 174-182. Deutsche Offiziere – u. a. Ernst Röhm – hatten geholfen die bolivianische Armee aufzubauen und deutsche Nationalsozialisten gewannen in den 30er Jahren zunehmend Einfluss auf die bolivianische Politik.
[27] Das Thema lautete: „Die Konsumtionswirtschaft. Ihre Parallelentwicklung mit der Frauenberufsfrage“ und war 1927 eingereicht worden.
[28] HHStAW 1183 16.
[28a] Mitteilung von Hildegard Jakobs, Leiterin der dortigen Gedenkstätte vom 5.3.2024. Siehe auch den Eintrag im Gedenkbuch Düsseldorf zu Beatrice Strauss unter https://gedenkbuch-duesseldorf.de/memory-book/strauss-beatrice/?_sfm_name=Strauss. (Zugriff: 20.2.2024).
[29] HHStAW 518 49522 (11).
[30] HHStAW 1183 1 (7.3.40).Eugen Joseph Rosenthal war am 21.7.1896 geboren worden. Seine Mutter war Bella Kamnitzer, die zwei Kinder, Eugen Josef und Marta, in die Ehe mit dem Kaufmann Martin Rosenthal gebracht hatte. Notariell war bestimmt worden, dass Eugen dem neuen Namen Rosenthal seinen frühren Namen Kamnitzer nicht zufügen durfte, siehe Geburtsregister Aschaffenburg 1896 / 222. Seine Schwester Marta war am 19.3.1901 geboren worden.
Zu Überfahrt siehe das Passagierverzeichnis der ‚Britanica’ https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:33S7-95N5-RHC?i=548&wc=MFKW-C38%3A1030099401%3Fcc%3D1923888&cc=1923888. (Zugriff: 4.12.2017).
[31] HHStAW 518 49522 (43).
[32] Zuletzt hatte das Paar in Frankfurt im Kettenhofweg 80 gewohnt. Dort hatten sie sich am 18.4 1939 nach London abgemeldet, HHStAW 518 49522 (6).
[33] HHStAW 518 49522 (12).
[34] HHStAW 685 810c (49) Berechnungsgrundlage für die Reichsfluchtsteuer war das Vermögen am Stichtag 1.1.1935, also ein um etwa 50.000 RM höheres Vermögen, siehe HHStAW 685 810 d (98).
[35] Im Haus unterstützte zumindest meistens eine angestellte Haushaltshilfe die Mutter und Vater Strauss konnte für seinen Sohn in Bolivien sogar ein Abonnement der „Frankfurter Zeitung“ aufrechterhalten, wie den Briefen zu entnehmen ist. Öfters fragt er an, ob ihn die Zeitung auch erreiche.
[36] Diese Vermutung wurde auch von Hedwig Kahn, der Schwägerin der Hausbewohnerin Frieda Kahn, im späteren Entschädigungsverfahren bestätigt, siehe HHStAW 518 18011 (71).
[37] HHStAW 1183 1.Weiterhin sind knapp 80 Briefe und Postkarten der Schwester Beatrice / Bea an ihren Bruder erhalten. Sie enthalten hauptsächlich Details zur Organisation von Alfreds Auswanderung, die sie offensichtlich mehr noch als die Eltern in ihre Hand genommen hatte. Sie kümmerte sich intensiv um die notwendigen Affidavite, um den Lift des Umzugsguts und alle weiteren Formalitäten. Zudem enthalten sie Ausführungen zu ihrer Lehrtätigkeit. Nur hin und wieder sind Anmerkungen über das Leben im Wiesbadener Judenhaus eingestreut, dann wenn sie auf Besuch in ihrer Heimatstadt war oder von dort einen Brief – manchmal gemeinsam mit den Eltern – schrieb, siehe HHStAW 1183 2. Auch die Briefe von Alfred an seine Eltern sind erhalten geblieben, siehe HHStAW 1183 5, die Zeugnis geben über die oft schwierigen Bedingungen für die Auswanderer in ihrem Exil, aber auch eine interessante Quelle dafür sind, mit welchen Augen die Europäer die Kultur der fremden Länder sahen.
[38] HHStAW 1183 1 (9.12.41) „Heute weiss ich nicht, was ich Dir schreiben soll, wenn ich nicht pflichtgemäß Dir wöchentlich von unserer Gesundheit Kenntnis geben wollte.“ (Vater).
[39] Die Mutter kämpfte immer wieder mit dieser für sie ungewohnten Form der Korrespondenz, wollte sich aber wegen der besseren Lesbarkeit und vermutlich auch wegen der besseren Nutzung der Seiten mit dieser Technik anfreunden. Die immer wieder auftretenden Tippfehler wurden in den Zitaten stillschweigend korrigiert.
[40] Der erhaltene Stapel Briefe von Alfred zeigt, dass diese subjektive Wahrnehmung nur der ständigen Sorge, nicht aber der Schreibfaulheit des Sohnes geschuldet sein kann. Von der Tochter Käte und ihrem Mann Eugen Rosenthal hörten sie offensichtlich weit weniger, siehe HHStAW 1183 1 (16.9.41).
[41] HHStAW 1183 1 (7.8.39).
[42] In einem Brief an Alex Strauss, ein Verwandter aus Geisenheim (laut GENI handelt es sich sogar um einen Bruder von Sebald), jetzt wohnhaft in San Franzisko bittet Sebald Strauss diesen um die Beschaffung eines solchen Affidavits: „Du tust ein gutes Werk, ich vergesse es dir nicht und werde mich erkenntlich zeigen.“ HHStAW 1183 13 (3.2.39). Aus der weiteren Korrespondenz ergibt sich, dass Alex dieses vermutlich auch bereitgestellt hat, es aber faktisch nichts wert war, weil Alex selbst nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügte. Ein anderer Versuch scheiterte auf andere Weise: „Das Dir vom Vetter Henry Stern New York in Aussicht gestellte Affidavit ist inzwischen von ihm wieder zurückgezogen worden. Er habe sich die Sache nochmals überlegt und sei zu dem Entschluss gekommen, dass sein Affidavit für Dich keinen Wert habe, da er erstens zu alt sei und zweitens doch die Garantie nicht stellen könne. Er rät Dir dringend zu bleiben, da es in Amerika sehr schwer sei eine Existenz zu finden. Wenn es unbedingt erforderlich sei und du Dich dorten nicht halten könntest, sei er bereit zu helfen.“ HHStAW 1183 1 (30.8.39). Henry Stern – vermutlich ein Verwandter der von Sebalds Muitter, einer Geborenen Stern, war zu diesem Zeitpunkt bereits über 80 Jahre alt. In einem Brief von Bea an Alfred legte ihm diese dar, wie die amerikanischen Stellen die Affidavite beurteilten. Affidavite von Bekannten waren relativ wertlos, wenn man nicht nachweisen konnte, dass der Bürge in einer besonderen moralischen Verpflichtung stand, dem Geflohenen zu helfen. Bescheinigungen von Verwandten, wenn sie denn über die nötigen Mittel verfügten, wurden dagegen im Allgemeinen akzeptiert. Siehe HHStAW 1183 2 (4.12.39). Siehe grundsätzlich zur amerikanischen Flüchtlingspolitik in diesen Jahren Hdb. Der deutschsprachigen Emigration, S. 446-466. Für den Autor des Artikels, Claus-Dieter Krohn, hatte die amerikanische Politik eine „Janusgestalt“ (S. 435), u. a. abhängig davon, wer jeweils in welcher Behörde bzw. welchem Ministerium das Sagen hatte. Die positive Seite prägten primär nichtstaatliche Hilfsorganisationen.
[43] HHStAW 1183 1 (24.5.39).
[44] Die Briefe der Familie Strauss wären ein wahrer Fundus für eine noch zu schreibende Wiesbadener jüdischen Emigrationsgeschichte.
[45] Dass es dabei aber nicht immer solidarisch zuging, manche versuchten auch auf Kosten von anderen Emigranten möglichst gut durchzukommen, wird in diversen Briefen, sowohl in denen der Eltern als auch in denen von Alfred deutlich.
[46] HHStAW 1183 1 (3.5.39) und z.B. (31.1.40), (18.9.40).
[47] HHStAW 1183 1 (17.10.39) und (3.10.39) In Stuttgart war das zuständige amerikanische Konsulat, dass die Wartenummern für die Einreise in die USA ausgab und bei Aufruf die Ausreise aus Deutschland ermöglichte.
[48] HHStAW 1183 1 (4.1.40).
[49] HHStAW 1183 1 (18.11.39).
[50] HHStAW 1183 1 (15.3.39).
[51] HHStAW 1183 1 (2.6.39).
[52] Vermutlich hat Sebald Strauss sogar eine Art Zensur über seine Frau ausgeübt, zumindest deutet sie das in einigen Bemerkungen an: „Vater sagt, was ich schreiben und was ich nicht schreiben soll.“ oder „Wieder mal ist ein von mir geschriebenes Epistel den Flammen übergeben worden.“ HHStAW 1183 1 (2.6.39) und (2.4.40).
[53] HHStAW 1183 1 (16.9.41).
[54] HHStAW 1183 1 (15.3.39).
[55] HHStAW 1183 1 (9.5.39) In dem Brief heißt es weiter:„Kaum war es vermietet, als sich das Finanzamt als Reflectant einstellte. Es kam leider zu spät.“
[56] HHStAW 1183 1 (21.5.39) Später heißt es: „Unser Kellermieter Goebel macht Schwierigkeiten, Herr Zimmermann [der Hausverwalter – K.F.] sucht die Sache zu ordnen.“ (16.4.40). Über den Ausgang der Querelen gibt es keine Informationen.
[57] HHStAW 1183 1 (12.7.39).
[58] HHStAW 1183 1 (5.8.40). Ob es sich bei dem im Brief vom 18.9.40 erwähnten Betrag von 1,50 M. für dreieinhalb Zentner Gegenstände und Bücher bzw. Wochenzeitschriften von einem noch größeren Umfang um den Erlös dieser Versteigerung oder einen weiteren Verkauf handelt, ist nicht klar, zeigt aber in jedem Fall die Dreistigkeit dieser Arisierungsgewinnler.
[59] HHStAW 1183 1 (4.9.40).
[60] HHStAW 1183 2 (22.9.40).
[61] HHStAW 1183 1 (26.2.40).Gemeint ist Ernst Kleeberg, der mit seinen Eltern Albert und Martha Kleeberg am 1.4.1939 eingezogen war. Der Name seine Frau Ilse ist auf der Gestapo-Karteikarte durchgestrichen und unter Vermerken steht „geschieden“.
[62] HHStAW 1183 1 18.10.40 Der Umzug von Frau Weil und Tochter in die Bahnhofstr. 46 ist in der Gestapo-Datei nicht vermerkt.
[63] HHStAW 1183 1 (5.11.40).
[64] HHStAW 1183 1 (4.2.41). Der Vater hatte auf dem Briefkopf fälschlicherweise das Jahr 1940 angegeben, per Hand ist unten allerdings das sich auch aus den inhaltlichen Zusammenhang ergebende richtige Jahr 1941 notiert.
[65] HHStAW 1183 1 (12.8.41). In der gleichen Wochen ergreifen auch der Weinhändler Otto Frank und Frau, Ehepaar Marx, Eltern von Dr. med. Marx, Frau Würtenberg und noch einige mehr diese letzte Chance, bevor am 23.Oktober 41 das generelle Auswanderungsverbot erlassen wird.
[66] HHStAW 1183 1 (28.10.40).
[67] HHStAW 1193 1 (2.10.40). Im Juli war allen Juden der Besitz von Fernsprechanlagen verboten worden.
[68] „Wenn du heute in deinem Zimmer gewesen wärst, hättest du dich gewundert, wie viele Menschen der Sportplatz fasst Es sind Soldaten da vereidigt und abgefüttert worden u. haben bei Militärmusik gespielt. Einige Glücksschwalben überflogen dauernd den Platz, leider hat es stark geregnet vorher.“ HHStAW 1183 1 (5.5.40).
[69] HHStAW 1183 2 (13.1.41).
[70] Zu Dr. Stahl siehe ausführlich Wiesbadens jüdische Juristen S. 172f. und den entsprechenden Abschnitt im Kapitel zum Judenhaus Adelheidstr. 94.
[71] HHStAW 1183 1 (4.4.40).
[72] HHStAW 1183 1 (14.10.40).
[73] HHStAW 1183 1 17.12.40.
[74] HHStAW 1183 1 (25.12.40).
[75] HHStAW 1183 1 (11.3.41).
[76] HHStAW 1183 2 (9.3.40).
[77] HHStAW 1183 1 (30.4.40).
[78] HHStAW 1183 2 (??.6.41).
[79] HHStAW 1183 14. Es handelt sich um die Nummer 45454. Auch Paula Straus war mit der Nummer 45398 in Stuttgart registriert. Fraglich ist, ob diese hohe Nummer überhaupt eine realistische Chance geboten hätte. In einem Brief an Bea an Alfred erwähnt sie, dass es eine zeitliche Verschiebung bei der Bearbeitung der Nummern in Stuttgart gäbe. „Übrigens sind die Nummern in Stuttgart erst viel später fällig, als ursprünglich gedacht war. Nr. 10001 – 14000 kommen erst im Quotenjahr Juli 1940 – Juni 1941 dran. Der Grund zu dieser Verschiebung sind die vielen Elternanforderungen, die in die Quote eingerechnet werden, aber ohne Nummer bevorzugt drankommen.“ HHStAW 1183 2 (27.4.39).
[80] HHStAW 1183 1 (30.4.40).
[81] HHStAW 483 10127 (20 f).
[82] HHStAW 483 10127 (138).
[83] HHStAW 1183 1 (18.11.41.
[84] Siehe dazu das Opferverzeichnis von Yad Vashem http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&s_lastName=Strauss&s_firstName=Beatrice&s_place=Essen&itemId=11643229&ind=0&winId=-1346896914968106698. (Zugriff: 4.12.2017). Zu diesem Transport Alfred. Gottwaldt, Diana Schulle, Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941-1945, S.91f. In den Steuerunterlagen des Jahres 1942 haben die Eltern unter dem Punkt Kinder eingetragen „Beatrice Sara Strauss – Jüdin – abgewandert am 10.11.1941 aus Essen“. Woher sie die Information hatten, ist nicht zu klären, siehe HHStAW 1183 14.
[85] HHStAW 1183 1 (11.11.41).
[86] HHStAW 1183 1 (2.12.41).
[87] HHStAW 1183 1 (9.12.41).
[88] HHStAW 1183 1 (16.12.41).
[89] HHStAW 1183 1 (23.12.41).
[90] Zu deren jeweiligem Schicksal siehe die folgenden Abschnitte.
[91] Im Erinnerungsblatt des Aktiven Museums ist als Umzugsdatum der 23. Mai, der Tag der Deportation, genannt, ein Grund, weshalb man von dem in der Gestapodatei angegebenen Datum, dem 4.6.42, abgewichen ist, wird nicht angegeben.
[92] HHStAW 483 10127 (62) Allerdings stehen auch Sebald und Hedwig Strauss noch unkorrigiert in der Liste, obwohl sie vermutlich bereits am 4.6. ausgezogen waren.
[93] Siehe zu ihren jeweiligen Schicksalen die folgenden Abschnitte.
[94] Unbekannte Liste X1 aus dem Archiv des Aktiven Museums Spiegelgasse.
[95] Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Erinnerungen von Gerhard Moos, Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium und langjähriger Schulamtsdirektor in Wiesbaden. Seine reflektierten und im Nachhinein beschämenden Erinnerungen sind veröffentlicht unter Moos, Gerhard, Feuer bis zur Asche. Eine Jugend in Deutschland 1932 bis 1945, Wiesbaden 2002. Den Hinweis darauf, dass sich ein Teil dieser Jugend in unmittelbarer Nachbarschaft zum Judenhaus Bahnhofstr. 46 abspielte, verdanke ich seiner Tochter.
[96] Moos , Feuer bis zur Asche, S.112.
[97] Ebd. S. 118.
[98] Ebd. S. 120.
[99] Ebd.
[100] HHStAW 519/2 2150 vom 29.10.42.
[101] HHStAW 519/2 2150 vom 19.6.42.
[102] HHStAW 519/2 2150 vom 20.6.42 und 22.6.42.
[103] HHStAW 519/2 2150 vom 22.8.42.
[104] HHStAW 519/2 2150 vom 24.8.42.
[105] HHStAW 519/2 2150 vom 24.8.42.
[106] HHStAW 519/2 2150 vom 27.10.42.
[107] HHStAW 519/3 2150 vom 24.2.43.Fraglich ist, ob die Wohnungen tatsächlich als Amtsräume genutzt werden sollten, wahrscheinlicher ist, dass die Beamten selbst Nutznießer sein sollten.
[108] HHStAW 519/2 2150 vom 5.7.43 und vom 19.7.43.
[109] HHStAW 519/2 2150 vom 7.8.43.
[110] Im Nachbarhaus Bahnhofstr. 44 waren bei der Familie Moos zwei Mitarbeiter des SS-Büros eingezogen, wie Gerhard Moos in seinen Erinnerungen berichtet. Die Mutter hatte das ungenutzte Elternschlafzimmer an zwei der dort tätigen Soldaten vermietet. „Sie versahen ihren Dienst im Nebenhaus, in dem noch im August 1942 die alten jüdischen Ehepaare gewohnt hatten. Längst war dort eine SS-Dienststelle eingezogen. Der eine Mieter war ein meist fröhlicher, rundlicher SS-Scharführer mit roten Backen, im Zivilberuf Weingutsbesitzer und Sektfabrikant aus Oppenheim, der andere ein hagerer, stiller, blässlicher SS-Sturmführer, der im Zivilberuf als Justizinspektor tätig war und auf seiner Nase eine Nickelbrilletrug wie sein großer Chef Heinrich Himmler. (…) Die beiden zahlten 50 Mark Miete. Für die beiden Mieter bekamen wir eine Sonderzuteilung an Brennstoff, weil sie nicht mit uns verwandt waren, und außerdem brauchten wir in unsere große Wohnung zunächst keine Flüchtlinge oder Fliegergeschädigte aufzunehmen. Auch gab uns die Anwesenheit der beiden SS-Leute ein Gefühl von Sicherheit. Mit der Zeit wurden wir mit ihnen immer vertrauter, aber keiner von uns hatte eine Ahnung, was sie auf ihrer Dienststelle zu tun hatten. An manchen dienstfreien Abenden kamen sie herüber in Großmutters Wohnzimmer, wo der große Kachelofen im Winter wohlige Wärme spendet, brachten Wein und Sekt mit, manchmal auch Brot und Speck. Großmutter setze sich dann ans Klavier, spielte aus Lohengrin, den Meistersingern oder andere Wagner-Opern Arien und die Balladen von Löwe. (…) Kamen schließlich Volkslieder und vaterländische Lieder dran, sangen wir alle mit. Es waren meist fröhliche Abende, die uns bis zum 2. Februar 1945 manchen schweren Tag vergessen ließen.“ Moos, Feuer bis zur Asche, S.145 f. Parallelwelten!
[111] Todesfallanzeige Theresienstadt https://ca.jewishmuseum.cz/media/zmarch/images/3/2/1/11362_ca_object_representations_media_32109_large.jpg. (Zugriff: 4.12.2017).
[112] Todesfallanzeige Theresienstadt https://ca.jewishmuseum.cz/media/zmarch/images/3/3/8/76038_ca_object_representations_media_33866_large.jpg. (Zugriff: 4.12.2017).
[113] Zu dieser Lebensphase von Alfred Strauss siehe im Besonderen Faber, Rönsch, Wiesbadens jüdische Juristen, S. 179 ff.
[114] HHStAW 518 38340 (23), (Heiratsurkunde). Elisabeth Ruth Janausch, geborene am 17.9.1917 stammte aus Mühlhausen in Thüringen. Heiratsregister der Stadt Wiesbaden 1949 / 1598.
[115] HHStAW 519/2 2150.
[116] Heiratsregister Berlin 610 / 1891. Der Ehemann ihrer ersten Ehe, die am 4.2.1880 in Dresden geschlossen worden war, war der Rittergutsbesitzer Felix London, geboren am 10.11.1858, siehe Heiratsregister Dresden I 49 / 1880.
[117] Geburtsregister Geisenheim 34 / 1892 und 72 / 1895.
[118] Eine Geburtsurkunde konnte bisher nicht gefunden werden. Dass er in diesem Jahr und in Berlin geboren wurde, hat ein Urenkel von Heinrich Strauss versichert.
[119] Abgesehen von den Schwiegereltern in Geisenheim wohnte die mit David Bottenheim verheiratete Schwester Raschje Rosa in Wiesbaden und auch die Eltern Michael Pawl und Amalie Friedland, geborene Mintz, die eigentlich in St. Petersburg lebten, hielten sich Ende des 19. Jahrhunderts wohl länger in Wiesbaden auf. Siehe Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.
[120] Sterberegister Berlin XIIa 1782 / 1906.
[121] Heiratsregister Berlin Schöneberg 766 / 1908. Auch Bertha hatte Verwandte aus Samotschin, die in Wiesbaden lebten.
[122] Sterberegister Berlin Charlottenburg 1415 / 1925.
[123] Heiratsregister Berlin VIIa 871 / 1923.
[124] https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1935/2628-2629/. (Zugriff: 15.3.2022).
[125] Heiratsregister Berlin Charlottenburg 118 / 1924. Frieda Oppenheim war am 5.4.1903 in Bayreuth geboren worden. Ob es sich bei dem bis 1938 in den Berliner Adressbüchern verzeichneten Waldemar Strauss um den Sohn von Hermann und Helene Strauss handelt, ist möglich, aber nicht sicher. Es handelt sich bei ihm um einen Kaufmann für chirurgische Instrumente, der in der Ritterstr. 52. wohnte.
[126] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/2368672:7949. (Zugriff: 15.3.2022). Ein anderer Waldemar Strauss lässt sich in der zweiten Hälfte der 30er Jahre nicht finden.
[127] Archiv Tal Strauss. Die Thematik der Arbeit lautete „Jüdische Auswanderungspolitik als zionistische Aufgabe“.
[128] Archiv Tal Strauss.
[129] Eva Kutzinsky war am 1.10.1908 in Berlin geboren worden, siehe Geburtsregister Berlin 2244 / 1908. Ihre Eltern waren der Arzt Dr. Arnold Kutzinsky und seine Frau Selma, geborene Landau.
[130] Siehe Archiv Tal Strauss.