Karl und Frieda Trief, geborene Leopold, und das Schicksal ihrer Kinder und Geschwister


Lortzingstraße_7_1925
Lortzingstr. 7 um 1925
Archiv D. Schaller
Lortzingstr. 7
Lage des ehemaligen Judenhauses Lortzingstr. 7

 

 

 

 

 


Herkunft der Familie Trief

Neben der Hauseigentümerin Sophie Ginsburg und dem Mieter Reinstein hatte auch dessen Untermieter Karl Trief osteuropäische Wurzeln. Er kam aus dem Städchen Podwolocyska in der Nähe der heutigen ukrainischen Stadt Skalat.

Podwoloczyska
Ansicht von Podwoloczyska

Aber dem Ort erging es im Laufe der Geschichte wie vielen anderen Gemeinden und Städten in dieser Region. Mal gehörte man zu diesem Reich, mal zu jenem und letztlich machte es besonders für Juden auch kaum einen Unterschied, wie der jeweilige Machthaber in der entfernten Residenz gerade hieß. Ursprünglich polnisch wurde das Gebiet nach der polnischen Teilung Ende des 18. Jahrhunderts zunächst nur für wenige Jahre dem Habsburger Reich zugeordnet, um aber dann von 1809 bis zur Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress an Russland abgetreten zu werden. Ab 1815 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gehörte diese galizische Region, in der traditionell viele Juden lebten, dann wieder zur KuK-Monarchie, bis sie dann wieder in den neu errichteten polnischen Stadt eingegliedert wurde.
In der KuK-Periode begann der Aufstieg des ursprünglich kleinen Weilers zu einer recht bedeutenden Handelsstadt. Grund dafür war der Ausbau der Eisenbahn zwischen Tarnopol und Kiew. Unmittelbar bei Podwolocyska, das direkt an der damaligen Grenze zu Russland lag, war auf österreichischer Seite sowohl der Bau eines Tunnels als auch der einer Brücke notwendig. Für beide Projekte wurde eine große Zahl von Arbeitskräften benötigt, die sich zunächst provisorisch, dann auf Dauer dort niederließen. Lagerhallen, ursprünglich für Baumaterial und Geräte, dienten nach der Eröffnung der Bahnstrecke 1871 bald als Lager für die diversen, zumeist landwirtschaftlichen Produkte, die zwischen dem osteuropäischen und dem Westeuropäischen Wirtschaftsraum ausgetauscht wurden. Eine zentrale Rolle spielte der Bahnhof von Podwolocyska, an dem alle Güter umgeladen werden mussten, da die Gleise unterschiedliche Spurweiten aufwiesen. Die Stadt blühte auf und beherbergte bald eine große Zahl von Händlern, Handwerkern und auch Fabriken.[1] Es war aber ein ganz spezielles landwirtschaftliches Produkt, das eigenartigerweise zum Markenzeichen dieser Stadt wurde: der Handel mit Eiern.

Podwoloczyska
Der Bahnhof von Podwoloczyska

Natanel Farber, ein ehemaliger Bürger der Stadt, schrieb in seinen Erinnerungen an Podwolocyska:
“Exporting eggs was another matter. One of the founders of this branch was Theodor Rimalt, the brother of the Rabbi from Osiatin. Since this product requires special conditions (special packaging and wrapping) along with immediate supply, egg warehouses were built in the town where eggs were examined, sorted and packed. There was much surplus produced, since many eggs were deemed unsuitable for export. And since eggs rot quickly, the Album factory was established, where the whites were dried at very high temperatures and then exported, and the yolks were stored in barrels. Exporting eggs through our town became of considerable importance in egg trading in Europe. An egg „commodities exchange“ was even built in the town in a building near the tracks. This was where the world egg prices were determined. A permanent agent of the Berlin commodities exchange by the name of Kussar, who owned a home in Podwolocyska, would telegraph the egg prices daily and these were published in the Berlin publication „Egg Exchange“.
Before World War I, there were 32 egg warehouses in the town. Most of them were used for export. Many of the warehouses contained pools where the eggs were stored in water mixed with plaster. The egg factories employed hundreds of workers including inspectors and packers and others. The eggs arrived from Russia in horse-drawn carriages driven in convoys that lasted for many kilometers.”
[2]

Stammbaum der Familien Trief und Leopold
Stammbaum der Familien Trief und Leopold
GDB

Es steht außer Frage, dass in der Stadt mit seiner überwiegend jüdischen Bevölkerung auch Juden an diesem spezifischen Handel beteiligt waren, vielleicht auch die Vorfahren der nach Wiesbaden gelangten Familie Trief. Zumindest haben sie diese Tradition auf ihrem Weg nach Westen mitgebracht. Allerdings waren die Eltern der drei Brüder, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den langen Weg in das Rhein-Main-Gebiet zurücklegten, offenbar selbst in dieser Branche nicht tätig gewesen. Jankiel Jakob Trief war nach Angaben seines Sohnes Siegfried Bäckermeister, in der Geburtsurkunde seines jüngsten Sohnes Albert ist darüber hinaus zu lesen, dass er auch eine Färberei betrieb.[3]

Geburtsurkunde von Chaim Albert Trief aus Podwolocyska
HHStAW 518 66548 (o.P.)

Die Mutter der drei Söhne war Jankiels Frau Henie, geborene Sporn, wobei nicht klar ist, in welcher Zeitspanne sie die Kinder gebar. Der Grund dafür ist, dass in den Dokumenten uneinheitliche Geburtsdaten für den ältesten Kiewe Karl Trief angegeben sind. Er war am 26. April zur Welt gekommen, ob aber im Jahr 1888 oder 1881 ist mit letzter Sicherheit nicht zu sagen. Allerdings spricht alles dafür, dass das Jahr 1881 das richtige ist.[4] Leider existieren von Karl Trief die Geburtsunterlagen, die die Geschwister offenbar aus ihrer Heimat mitgebracht hatten, die über seinen Geburtstag eine sichere Auskunft hätten geben können, nicht mehr. Sie sind, wie er selbst auch, der Vernichtung zum Opfer gefallen. Da zum Zeitpunkt seiner Geburt sein Heimatort Teil Österreichs war, besaß er auch diese Staatsbürgerschaft. Wann er Osteuropa verlassen hatte, ist nicht bekannt, auch nicht, ob ihn schon damals seine beiden jüngeren Brüder, die später auch in Wiesbaden lebten, begleitet hatten. Es handelt sich dabei um Schame Siegfried Trief, geboren am 2. Mai 1889,[5] und Chaim Albert, geboren am 10. Mai 1893.[6]

 

Die Gebrüder Trief im Rhein-Main-Gebiet

Vermutlich war Karl Trief, der erste der drei Brüder, der sich im Rhein-Main-Gebiet niederließ. Am 20. Mai 1907 heiratete er in Kettenbach die von dort stammende Frieda Leopold.[7] Der Ort, der heute im nördlichen Rhein-Taunuskreis liegt und damals dem Rabbinat Wiesbaden zugehörig war, galt im 18. Jahrhundert mit seiner Synagoge als Zentrum des jüdischen Lebens dieser Region. Allerdings gab es noch keinen eigenen Friedhof, sodass auch die Eltern der Braut, Loeb Leopold und seine Frau Röschen, geborene Simmon, im benachbarten Burgschwallbach bestattet werden mussten. Wie aus seinem Sterbeeintrag zu entnehmen ist, war der am 24. Dezember 1841 in Allendorf geborene Handelsmann Loeb Leopold am 2. Oktober 1920 im Alter von 78 Jahren in Kettenbach verstorben.[8] In einer ersten Ehe war er mit Brendel Babette Fried, geboren 1838 in Langschied, Amt Langenschwalbach, verheiratet.[9] Wann die Ehe geschlossen wurde, konnte nicht ermittelt werden, allerdings kaufte das Paar bereits 1862 in Kettenbach gemeinsam einen Acker in der Nähe der Kirche.[10] Demnach musste die Eheschließung spätestens in diesem Jahr erfolgt sein und es ist daher wahrscheinlich, dass der mehr als zehn Jahre später am 3. April 1873 geborene Adolf nicht das erste Kind war.[11] In dieser ersten Ehe kam dann am 24. Dezember 1877 noch ein weiterer Sohn namens Salomon zur Welt.[12] Ein halbes Jahr danach verstarb Babette Leopold im Alter von 40 Jahren.[13]

Ehe Karl u Frieda Trief
Heiratseintrag von Karl Trief und Frieda Leopold
Heiratsregister Kettenbach 8 /1907

Die Ehe mit seiner zweiten Frau Röschen Simmon, von Beruf Dienstmagd und geboren am 1. April 1847 in Hermannstein bei Wetzlar, wurde am 23. Februar 1879 geschlossen.[14] Sie wurde die Mutter von vier weiteren Kindern des Loeb Leopold. Nachdem mit Isidor am 6. Mai 1880 zunächst ein weiterer Sohn geboren wurde,[15] folgten dann noch drei Mädchen, von denen Frieda, geboren am 24. September 1882, die erste war.[16] Settchen kam dann am 29. September 1884 und Betti zuletzt am 16. August 1891 zur Welt.[17] Die Mutter Röschen Leopold verstarb 1914 in Kettenbach, somit etwa sechs Jahre vor ihrem Ehemann, dessen Todestag auf den 2. Oktober 1920 datiert ist.[18]

Nach der Eheschließung lebten Karl und Frieda Trief in den ersten Jahren in Mainz. Die Kurfürstenstraße in der Stadt auf der anderen Rheinseite war auch schon im Heiratseintrag als Wohnsitz des Ehemanns angegeben. Etwa zwei Jahre wohnten sie dort zusammen im Haus Nummer 1, dann bis 1913 in dem mit der Nummer 8 im zweiten Stock.

In Mainz wurden auch die beiden Töchter des Paares geboren, zunächst Irma am 23. April 1908 und fünf Jahre später Liesel am 27. Mai 1913.[19] Dort verbrachten die beiden ihre frühe Kindheit und ihre ersten Schuljahre. Sowohl Irma als auch die jüngere Liesel besuchten eine Höhere Töchterschule, die Irma noch in Mainz nach der 10. Klasse erfolgreich abschließen konnte. Anschließend ging sie noch zur Handelsschule, um später in Wiesbaden in das elterliche Geschäft eintreten zu können.[20] Ihre Schwester Liesel konnte in Mainz nur drei Jahre die dortige Höhere Schule besuchen. Ihren Schulabschluss machte sie dann in Wiesbaden am Lyzeum II, das am Boseplatz gelegen war.[21]
Liesel erinnerte sich später sehr positiv an ihre Kinderjahre. Man habe nicht nur einen gewissen Wohlstand genossen, sondern sie seien auch in einer sehr liebevollen Umgebung aufgewachsen. Die Ehe der Eltern sei glücklich und die Mutter eine sehr gütige Frau gewesen, die sich wenig um die geschäftlichen Angelegenheiten, sondern primär um die Kinder gekümmert habe. Der jüdische Glaube habe im Alltag keine wesentliche Rolle gespielt. Man sei zwar gottgläubig gewesen, aber nur an den hohen Feiertagen in die Synagoge gegangen. Speiseregeln wurden nicht beachtet und auch Schweinefleisch sei zu Hause immer wieder mal aufgetischt worden. Aus ihrer Sicht, sei sie allerdings gegenüber Irma, besonders von dem Vater, bevorzugt worden. Er habe aus ihr, die musisch sehr begabt war, eine große Musikerin machen wollen, während für die Schwester die Mitarbeit im Geschäft vorgesehen gewesen sei.[22]

Eintrag der Familie Karl Trief im Familienregister Mainz
Familienregister Mainz 3753
Eierhändler Karl Trief in Mainz
Adressbuch

Die in den Mainzer Adressbüchern angegebene Berufbezeichnung von Karl Trief bleibt eher vage. Zunächst wird er als Handelsgehilfe, dann als Handelsreisender und zuletzt als Kaufmann bezeichnet. Nur einmal im Jahr 1911 ist eine von ihm in der Clarastr. 8 betriebene Eierhandlung aufgeführt, aber es ist davon auszugehen, dass er vermutlich in all den Jahren in dieser Sparte tätig war. Von seinen beiden Brüdern ist ebenfalls bekannt, dass sie in dieser Branche noch in ihrer Heimatstadt eine Ausbildung absolviert hatten. In seinem Lebenslauf schrieb Siegfried Trief, dass er nach Abschluss der Volksschule bei einem Eiergroßhändler in Podwolocyska eine Lehre gemacht habe und anschließend dort noch angestellt gewesen sei. 1909 sei er dann nach Mainz gegangen, wo er wieder im Eiergroßhandel Arbeit gefunden habe.[23]

Albert Trief
Arbeitszeugnis für Albert Trief
HHStAW 518 66548 (o.P.)

Von seinem Bruder Albert gibt es im Lebenslauf keinen solchen expliziten Hinweis, aber dafür Dokumente, die das wahrscheinlich machen. Für das Jahr 1909, zu einem Zeitpunkt, an dem sein Bruder Karl bereits in Mainz wohnte, belegt ein sogenannter „Heimatschein“, dass er damals noch in Podwolocyska unter dem Namen Chaim gemeldet war.[24] Er muss dann kurz darauf seine Heimat verlassen haben, denn ein Arbeitszeugnis des Darmstädter Eiergroßhändlers Mathias Rosenstock, Inhaber der Firma ‚Darmstädter Eiergroßhandel’ mit einer weiteren Niederlassung in Worms, bescheinigte ihm am 31. August 1911, dass er vom 8. Mai 1909 bis zum 1. September 1911 in der Wormser Filiale „sehr fleißig und ehrlich, tüchtig, gewissenhaft und zuverlässig in seiner Arbeit, die er zu meiner vollsten Zufriedenheit verrichtete“ habe, nachgegangen sei. Der Austritt aus der Firma erfolge auf seinen eigenen Wunsch und man wünsche ihm alles Gute für sein weiteres Fortkommen. Auf Grund des Zeugnisses muss man davon ausgehen, dass er die notwendigen Qualifikationen für diese erfolgreiche Tätigkeit bereits erworben hatte, bevor er Podwolocyska verließ. Ein gleich gutes Arbeitszeugnis erhielt er von seinem nächsten Arbeitgeber, ‚Esportazione Uova’ von Bernadinelli Guardini in Mainz, wo er, der „Eierfachmann“, als Lagerist und Reisender bis zum 31. Oktober 1912 angestellt war.[25] Vom März 1913 bis zum August des gleichen Jahres stand er dann als Reisender in Diensten der ‚Frankfurter Eier-Großhandel GmbH’.[26]

Albert Trief
Entlassungspapiere für Albert Trief nach dem Ersten Weltkrieg
HHStAW 518 66548 (o.P.)
Eintrag der Familie Chaim Trief im Familienregister Mainz
Familienregister Mainz 44634

Aus einem weiteren Dokument geht hervor, dass er am 11. November 1918, also unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, an dem auch Karl Trief teilgenommen hatte,[27] in Wien aus dem österreichischen Heer entlassen wurde und ihm Geld zum Kauf eines Fahrscheins „kreditiert“ wurde, um über Salzburg nach Mainz zu reisen.[28] Vermutlich wohnten die Brüder Albert und Siegfried nach ihrem Umzug nach Mainz bei ihrem Bruder Karl, denn in keinem der Adressbücher bis 1922 sind sie selbst aufgeführt.

Erst in der Ausgabe 1921/22 ist Albert Trief mit der eigenen Adresse Pankratiusstr. 22 III gelistet, was vermutlich seinen Grund darin hat, dass er inzwischen am 24. März 1920 die Frankfurterin Alice Strauß geehelicht hatte, die am 2. Juli 1894 als Tochter von Bertram Strauß und seiner Frau Anne, geborene Weil, in Mainz zur Welt gekommen war.[29] Am 5. Juli 1921 wurde ihnen ein Sohn namens Herbert geschenkt. Aber noch im gleichen Monat verstarb er am 31. Juli 1921 in seiner Geburtstadt Mainz.[30]

Derjenige, der als erster den Sprung auf die andere Rheinseite wagte, war Albert Trief. Möglicherweise hatte die Tatsache, dass seine Schwiegereltern seit Anfang des Jahrhunderts in Wiesbaden in der Bertramstr. 20 lebten, dabei eine Rolle gespielt.[31]

Inserat der Eiergroßhandlung ‚Hellmann & Trief‘ im Wiesbadener Adressbuch von 1922

Zusammen mit seinem Kompagnon Adolf Hellmann gründete er in Wiesbaden den Eiergroßhandel „Hellmann & Trief“, der in der Wellritzstr. 1 gelegen war. Während Adolf Hellmann bereits im Wiesbadener Adressbuch von 1921 mit der Adresse Webergasse 38 notiert ist, wird Albert Trief selbst erst im folgenden Jahr als Mieter der Schwalbacher Str. 57 II aufgeführt. Auf seinem 1929 in Wiesbaden ausgestellten Personalausweis ist als Datum der Wohnungsanmeldung der 30. März 1922 eingetragen.[32]
Am 31. März 1924 wurde dem Paar, das inzwischen in der Helenenstr. 30 wohnte, ein weiterer Sohn geboren. Auch er verstarb schon nach wenigen Wochen am 11. Juni des gleichen Jahres.[33] Und noch ein drittes Mal ereilte das Paar nahezu das gleiche Schicksal. Bei einer Zwillingsgeburt am 22. Juni 1925, ebenfalls in Wiesbaden, überlebte nur eines der Neugeborenen, ein Mädchen, das den Namen Edith erhielt. Ihr Geschwisterchen verstarb wenige Tage nach der Geburt am 5. Juli und wurde einen Tag später ebenfalls auf dem Jüdischen Friedhof an der Platter Straße namenlos beerdigt.[34] Über das Schicksal der überlebenden Tochter liegen keine weiteren Informationen vor, aber auch sie scheint nicht mehr lange gelebt zu haben. Als das Paar 1937 ihr bisheriges Exil Palästina per Schiff verließ, ist ihr Name – sie wäre damals etwa zwölf Jahre alt gewesen – auf der Passagierliste nicht aufgeführt.[35]

Wie Albert Trief selbst war auch sein Mitinhaber ein osteuropäischer Jude, der aus Petroutz in der Bukowina stammte, das zu Zeiten seiner Geburt, dem 26. September 1888,[36] ebenfalls zum österreich-ungarischen Kaiserreich und heute zu Rumänien gehörte bzw. gehört. Obwohl er bereits 1910 nach Deutschland gekommen sein will, besaß Adolf Hellmann die Staatsangehörigkeit des erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs neu geschaffen Staates Rumänien.[37] Er sei, so gab er im Entschädigungsverfahren an, nach seinem Abitur an einem humanistischen Gymnasium an der Hochschule in Darmstadt für 4 Semester als „außerordentlicher Hoerer in allgemeine(n) Fächer(n)“ eingeschrieben gewesen, danach aber Geschäftsmann geworden.[38]

In dem von Adolf Hellmann und Albert Trief geführten Geschäft wurde ab 1920 auch Siegfried Trief aufgenommen, der im gleichen Jahr vermutlich ebenfalls von Mainz nach Wiesbaden übersiedelte.[39]

Anders als die Wirtschaftsauskunftei Blum im Entschädigungsverfahren angab, war Karl Trief damals allerdings noch nicht auf die rechte Rheinseite gezogen. Die Angabe, er habe sich bereits um 1918/19 in Wiesbaden niedergelassen,[40] ist definitiv falsch, denn als die Firma am 11. Dezember 1922 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt wurde, in die Karl Trief nun sogar als Komplementär und damit als persönlich haftender Gesellschafter einstieg, die bisherigen Eigentümer als Kommanditisten aber Prokura behielten, ist sein Wohnort im Handelsregister noch mit Mainz angegeben.[41] Die beiden Kommanditisten hatten jeweils eine Einlage von 300.000 RM in die Gesellschaft investiert, ein Betrag, der in der Hochphase der Inflation größer erscheint, als er tatsächlich war.[42]
Als etwa einen Monat zuvor Adolf Hellmann in Wiesbaden Marie Rosenstock heiratete und die Gebrüder Karl und Albert Trief als Trauzeugen zugegen waren, ist seine Adresse ebenfalls noch mit Mainz, Boppstr. 26 angegeben, während sein Bruder Albert damals bereits in der Wiesbadener Helenenstr. 30 wohnte.[43] Als Bürger Wiesbadens tritt Karl Trief erstmals im Adressbuch des Jahres 1924 mit der Adresse Gneisenaustr. 24, erstes Stockwerk, in Erscheinung.

Gesellschaftsvertrag Trief
Handelsregistereintrag für die Firma Trief
HHStAW 518 38583 (49)

Um das Jahr 1924 muss eine größere Veränderung in der Firmenstruktur erfolgt sein, über die allerdings nur Siegfried Trief berichtete. Er hatte am 19. August 1924 in Wiesbaden, wo er damals in der Schwalbacher Str. 7 wohnte, die am 12. November 1890 in Laudenbach geborene Betty Eisemann geheiratet.[44] Sie muss finanziell gut gestellt gewesen sein, denn mit ihrem Geld wurde nach seinen Worten das Geschäft der Firma „Hellmann und Trief“ für 6.000 Goldmark erworben und auf den Namen seiner Frau im Handelsregister eingetragen.[45] Das kann insofern nicht ganz stimmen, als die bisherige Firma mit den bisherigen Gesellschaftern und dem gleichen Namen auch weiterhin existierte. Was sich aber geändert zu haben scheint, ist der Kundenkreis. Es gab nämlich später sowohl ein „Eier-, Butter, Käsehaus Siegfried Trief“ in der Wellritzstr. 1 und die „Eier- und Buttergroßhandlung Trief & Co.“ In der Oranienstr. 54. Ganz offensichtlich hatte Siegfried Trief den Einzelhandelspart des früheren Geschäfts übernommen und die beiden Brüder mit ihrem Kompagnon den Großhandel behalten, bei dem es offenbar primär um den Import der Molkerei- und Eierprodukte ging.[46]

Eine Änderung der Rechtsform des zweiten Unternehmens wurde dann am 2. Oktober 1928 vollzogen, in dem die bisherigen KG in eine OHG umgewandelt wurde, in der dann alle drei Gesellschafter mit ihrem Vermögen hafteten.[47]

Leider sind die gesamten Steuerunterlagen der beiden Firmen während oder unmittelbar nach dem Krieg verloren gegangen oder vernichtet worden.[48] Schon während der Entschädigungsverfahren konnten deshalb über die geschäftlichen Entwicklungen der Unternehmen nur vage Angaben gemacht werden, sodass man weitgehend auf die eidesstattlichen Erklärungen der ehemaligen Eigentümer angewiesen war.

Im Entschädigungsantrag für Frieda Trief taxierte der die Erben vertretende Anwalt den Jahresumsatz vor 1933 auf 3 Mio. RM, ohne dafür allerdings Belege angeben zu können.[49]
Rechtsanwalt Kahn, Vertreter des ehemaligen Gesellschafters Hellmann im Entschädigungsverfahren, nannte die gleiche Zahl, bezog sich dabei aber auf die Jahre 1928 bis 1931. Vom Zusammenbruch des internationalen Handels in der Weltwirtschaftskrise musste im Besonderen eine Im- und Exportfirma wie die „Trief & Co.“ betroffen sein. Die Auskunftei Blum schätzte – allerdings ohne Bezug auf bestimmte Jahre – die monatlichen Umsätze mit etwa 100.000 RM deutlich niedriger ein. Den Wert des Lagers gab sie mit etwa 70.000 RM an. Zum Betriebskapital gehörten zudem eine Kühl- und eine Butterverpackungsanlage.[50] Der Fuhrpark habe aus mehreren Liefer- und einem Personenwagen bestanden.[51] Im Hinblick auf die Zahl der Mitarbeiter konnten keine sicheren Angaben gemacht werden. Sie schwankten zwischen 10 und 20, aber wie viele davon fest angestellt und wie viele Aushilfskräfte gewesen waren, blieb unklar.

Betti Leopold
Einweisung von Betti Leopold in die Psychiatrie Eichberg
HHStAW 439/1 8386 (13)

Mitarbeiterin wird damals zumindest zeitweise auch Frieda Triefs ledige Schwester Betti gewesen sein. Betti war am 16. August 1891 in Kettenbach geborene worden [52] und nach einem kurzen Aufenthalt in den Städtischen Kliniken Wiesbadens seit dem 2. Oktober 1927 mit psychischen Krankheitssymptomen in die Nervenheilanstalt Eichberg bei Kiedrich aufgenommen worden. Bereits ein Vierteljahr zuvor waren diese wohl erstmals in dieser Vehemenz aufgetreten und hatten auch zu einem Suizidversuch geführt. Damals waren Frieda und Karl Trief zwar als familiäre Kontaktpersonen registriert worden, allerdings hatte die Pflegschaft der Kranken der Kaufmann Lorenz Kirchner aus Kettenbach übernommen.[53] Dennoch kümmerten sich auch Triefs um das Wohlergehen der Schwester bzw. Schwägerin und auch Besuche in der Klinik sind nachzuweisen. Nach einigen Monaten schien es ihr dann auch besser zu gehen und sie erhielt zunächst einen zeitlich begrenzten „Urlaub“, den sie in Wiesbaden in der Gneisenaustraße bei ihren Verwandten verbringen durfte. In dieser Umgebung erholte sie sich trotz mancher Rückfälle weiter, sodass der „Urlaub“ mehrmals verlängert wurde.[54]

Betti Leopold kann bei ihrer Schwester Frieda bleiben
HHStAW 430/1 8386 (27)

Am 1. Februar 1929 – sie lebte noch immer bei Triefs – erkundigte sich die Pflegeanstalt Eichberg nach ihrem Befinden. Bettis Schwester Frieda Trief teilte daraufhin mit, dass sie „gesund und wohlauf“ sei und „tüchtig arbeite“. Nur ab und zu habe sie noch ihre „fixen Ideen“.[55] Man kann wohl mit Sicherheit annehmen, dass sie damals im Haushalt oder auch im Lager der „Trief & Co.“ tüchtig mitarbeitete. Am 3. Februar 1929 wurde sie dann endgültig entlassen.
Vermutlich wohnte sie auch weiterhin bei ihrer Schwester Frieda in der Gneisenaustr. 24.

Schenkendorfstr. 3 heute
Eigene Aufname

Als Triefs dann um 1932/33 in die Schenkendorfstr. 3 in den dritten Stock umzogen, wird auch sie mitgegangen sein. Ob Settchen, oft auch Jettchen gerufen, bereits all die Jahre ebenfalls mit den beiden anderen Schwestern und ihrem Schwager gemeinsam unter einem Dach lebten, ließ sich nicht mehr sicher feststellen. Als die Wohnung in der Schenkendorfstraße im November 1939 aufgelöst wurde und Triefs in die Lortzingstr. 7 und die beiden Schwestern Settchen und Betti in die Adelheidstr. 94 zogen, gaben aber alle an, ihre bisherige Adresse sei die Schenkendorfstr. 3 gewesen.
Zuvor, in den späten zwanziger Jahren, als Betti noch an ihrer als Paranoia diagnostizierten psychischen Krankheit litt, ging es der Familie Trief und den Gesellschaftern der „Trief & Co.“ wirtschaftlich noch gut. Die Weltwirtschaftskrise war noch nicht nach Europa herübergeschwappt und das Ende der Prosperitätsphase wurde bestenfalls von Wirtschaftsexperten vorausgesagt.

Ein erheblicher Teil des Firmenkapitals steckte in dem Haus Oranienstr. 54, dessen Eigentümer nicht natürliche Personen, sondern seit ihrer Gründung das Unternehmen selbst war. Die drei Gesellschafter hatten jeweils 25.000 RM in die Firma eingebracht, die als Grundschuld im Grundbuch für die Immobilie, die nicht nur Firmensitz, sondern zugleich als Kapitalanlage fungierte, eingetragen war. Im Vorderhaus gab es vier 4-Zimmer- und vier 3-Zimmerwohnungen, im Hinterhaus war im Parterre das Geschäft angesiedelt, die darüber liegenden Etagen konnten mit ihren etwa zehn Ein- und Zweizimmerwohnungen vermietet werden.[56] Die gesamte Immobilie diente in den späten Zwanziger Jahren etwa zwanzig Mietparteien als Unterkunft und wird zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zum Einkommen der Gesellschafter beigetragen haben. Nach Abzug aller Kosten und Steuern sollen die Nettoeinnahmen daraus jährlich bei 6 bis 7.000 RM gelegen haben.[57]
Blum hatte das monatliche Nettoeinkommen von Karl Trief, den er als „sehr fleißigen und arbeitsamen Mann“ charakterisierte, der „die Branche gut verstand“, mit etwa 1.500 RM angegeben.[58] Ähnliche Zahlen wurden auch für die anderen Gesellschafter genannt.[59]

Die Weltwirtschaftskrise war noch nicht überwunden, als mit dem Machtantritt der Nazis das Unternehmen mit ganz neuen und viel zerstörerischen Kräften konfrontiert wurde. Am „Boykotttag“, dem 1. April 1933, standen SA-Männer auch vor der Oranienstr. 54, obwohl hier kaum Publikumsverkehr zu erwarten war. Daneben wurden die Eigentümer mit nächtlichen Telefonanrufen terrorisiert, in denen ihnen der Tod angedroht wurde, sollten sie das Land nicht so bald wie möglich verlassen.[60]

Die Umsätze sollen seit diesem Zeitpunkt zurückgegangen sein. Zahlen liegen allerdings nicht vor. Aber man wird davon ausgehen können, dass gerade mittelständische Kaufleute, eine wichtige soziale Basis der NSDAP, sich damals die antisemitische Ideologie der Nazis zu eigen machten und ihre Molkereiprodukte und Eier vermehrt bei arischen Großhändlern bezogen haben. Möglicherweise stellte aber auch der Import von den entsprechenden Waren zunehmend ein Problem dar, zumal dann, wenn diese aus der Sowjetunion, Polen oder anderen osteuropäischen Ländern kamen, die die Nazis als ihre Hauptfeinde auserkoren hatten.

 

Die Auflösung der Firma und die Auswanderung der Töchter und Brüder von Karl Trief

Angesichts der für Juden immer unerträglicher werdenden Situation muss wohl schon im Laufe des Jahres 1934 bei den Familien von Albert Trief und Adolf Hellmann die Entscheidung herangereift sein, Deutschland zu verlassen. Es mag sein, dass Karl Trief, wie der Anwalt von Adolf Hellmann im Rückerstattungsverfahren behauptete, damals an den baldigen Sturz des Naziregimes geglaubt und deshalb den Verkauf des gemeinsamen Unternehmens und die Auswanderung abgelehnt habe. „Wenn Ihr wohl [muss heißen ‚wollt’ – K.F.], so könnt ihr gehen, ich bleibe hier bis man mir mit Fackeln den … ausbrennt,“ soll er gesagt haben.[61] Eigentlich klingt das eher nach Trotz, nach Widerständigkeit, als nach politischer Fehleinschätzung und Unbedarftheit. Er und seine Frau blieben, weil sie nicht weichen wollten, wohl wissend, dass sie mit allem rechnen mussten, auch mit Gewalt. Ob sie in diesen ersten Jahren der Diktatur auch mit der letzten Konsequenz schon rechneten, ist aber eher unwahrscheinlich.

Albert Trief
Albert Trief an die Entschädigungs-behörde zur Begründung seiner Ausreise nach Palästina
HHStAW 518 66548 (74)

Albert Trief und seine Frau gaben an, im April zunächst nach Palästina ausgewandert zu sein, da sie damals von der britischen Regierung eine entsprechende Erlaubnis erhalten hatten. Auf eine Genehmigung der amerikanischen Behörden zu warten, um in ihr eigentliches Wunschziel, die USA, zu gelangen, schien ihnen angesichts der langen Wartezeiten zu riskant.[62] Sie hatten offenbar sogar schon Tickets für die Überfahrt am 29. August 1936 von Rotterdam nach New York gebucht, konnten die Reise aber vermutlich wegen fehlender Visa nicht antreten. Zumindest stehen sie auf der entsprechenden Passagierliste.[63] Kurzfristig müssen sie ihre Pläne geändert haben, denn laut den Einreiseunterlagen der palästinensischen Behörden erreichten sie am 19. Oktober 1936 auf dem Schiff ‚Jerusalem’ den Hafen von Haifa.[64] Allerdings blieben sie nur etwa ein Jahr in Palästina. Am 30. September 1937 betraten sie in Genua das Schiff ‚Conte di Savola’ mit dem sie am 7. Oktober ihr eigentliches Ziel New York erreichten.[65]

Auch die Familie von Adolf Hellmann nahm den gleichen Weg, ob die beiden ehemaligen Partner zusammen reisten, ist aber nicht bekannt. Adolf Hellmanns Familie war inzwischen auf vier Personen angewachsen. Am 2. Februar 1924 war zunächst in Wiesbaden ihr Sohn Artur und am 8. April 1926 die Tochter Irmgard geboren worden.[66] Allen vier war am 12. August 1929 noch die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt worden.[67] Auf einem letzten in Wiesbaden abgegebenen Meldeschein vom Februar 1935 ist notiert, dass die geplante Ausreise bisher nicht erfolgt sei und sich noch um einige Wochen verzögern würde.[68] Im April war es dann soweit. Mit dem 4. April ist die Rechnung der Spedition datiert, in dem die Kosten des Lifts exakt aufgeführt sind, und die Schiffskarte von Neapel nach Haifa, erworben in Frankfurt, trägt das Datum 2. April 1935.[69] Ihre Ankunft in Palästina wurde allerdings erst etwa ein Jahr später am 15. April 1936 registriert.[70]

Albert TriefAlbert Trief

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Personalausweis von Albert Trief, ausgestellt in Wiesbaden 1939
HHStAW 518 66548 (17)

Ob Hellmanns und Triefs Palästina von Anbeginn an nur als Zwischenlösung gesehen hatten, ist nicht bekannt. Letztlich wollten aber beide Familien dort nicht bleiben. Keiner gelang es, dort Fuß zu fassen und eine Arbeit zu finden, die ihnen eine Perspektive bot. Darüber, wie sie die folgenden Monate ihr Leben fristeten, gaben sie leider im späteren Entschädigungsverfahren keine Auskunft. Vermutlich mussten sie auf das Geld zurückgreifen, dass sie durch die Auflösung der bisher gemeinsam geführten Unternehmung in Wiesbaden von Karl Trief erhalten hatten. Die britische Mandatsmacht erlaubte legal nur 1.000 £ einzuführen, was etwa einem damaligen Gegenwert von 12.500 RM entsprach. Um diesen Betrag, insgesamt 25.000 RM aufbringen zu können, wurde die bisherige Firma am 9. April 1935 aufgelöst und von Karl Trief als Einzelunternehmen mit allen Rechten alleine weitergeführt,[71] d.h. das Haus in der Oranienstraße, alle Außenstände und der Wert der Firma selbst gingen in seine Hände über – eine Lösung, die später im Entschädigungs- bzw. Rückerstattungsverfahren noch zu sehr viel Verdruss und Streit führen sollte. Allerdings blieb auch strittig, wie viel Geld sie von Karl Trief tatsächlich erhalten hatten, d.h. ob es nicht mehr war als die offiziell angegebene Summe.

 

Auch das Einzelhandelsgeschäft für Molkereiprodukte von Siegfried Trief und seiner Frau Betty, die als Kapitalgeberin Prokura ausübte, hatte sich nach seiner Ausgliederung aus der „Trief & Co.“ sehr gut entwickelt.[72] Bis zu sechs Angestellte bedienten den recht großen Kundenkreis und erwirtschafteten einen Jahresumsatz, der vor der Weltwirtschaftskrise und der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 200.000 RM und 300.000 RM lag. Das Betriebskapital soll um die 20.000 RM betragen [73] und das Jahreseinkommen soll in diesen Jahren zwischen 15.000 RM und 20.000 RM gelegen haben.[74] Adolf Blum, die im Entschädigungsverfahren hinzugezogene Auskunftei, beschrieb in den für ihn typischen Formulierungen den Leumund der Eheleute wie folgt: „Die Eheleute Trief waren sehr fleißige, ordentliche und solide Leute. Sie waren von morgens bis abends selbst im Geschäft mit tätig, waren bei der Kundschaft beliebt und wurde eine Verbindung mit den Leuten empfohlen.“[75]

Wellritzstr. 1 heute
Eigene Aufnahme

In den ersten Jahren wohnten Siegfried und Betty Trief in der Oranienstr. 24, später in der Scharnhorststr. 40 und zuletzt, in den Jahren der Nazi-Herrschaft als der Niedergang des Geschäfts sich schon abzeichnete, in der Luisenstr. 46 im vierten Stock, d.h. in einer 3-Zimmer- Dachwohnung, wie sich eine ehemalige Mitbewohnerin erinnerte.[76] Zumindest zuletzt war das Geschäft in der Wellritzstr. 1, d.h. am Eingang zum inneren Westend, dem Wohnbezirk vieler osteuropäischer Juden, gelegen. Dort hatte sich auch ursprünglich die ‚Hellmann & Trief KG’ befunden und es ist möglich, dass das Geschäft von Siegfried Trief über all die Jahre diese Räume angemietet hatte, aber in den Adressbüchern ist dies nur für die Jahre 1932 bis 1938 nachweisbar.

1938 war dann auch das Jahr, in dem die Firma am 16. Juli im Handelsregister gelöscht wurde.[77] Unter den Boykottmaßnahmen der vergangenen Jahre wird er ganz sicher gelitten haben, wenngleich genaue Zahlen dazu nicht vorliegen. Immerhin ist sein Geschäft, das nicht mehr verkauft, sondern einfach aufgegeben wurde, durch die rechtzeitige Schließung von der Zerstörungswut des Nazi-Mobs während des Novemberpogroms verschont geblieben. Ob Siegfried und Betty Trief die Ereignisse noch in Wiesbaden erlebten, lässt sich nicht mehr sagen. Zwar hatten sie am 29. Oktober ihre Schiffskarten für die Überfahrt von Cherbourg nach New York erworben, aber die ‚Aquitania’ verließ den französischen Hafen erst am 19. Januar 1939 und erreichte ihr Ziel nach einer Woche.[78] Von dort aus ging es weiter nach Rochester, das zur neuen Heimatstadt für einen Teil der Trief-Familie werden sollte.

Siegfried Trief
Ausreise von Siegfried und Betty Trief
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Nachdem Siegfried und Betty Trief Wiesbaden verlassen hatte, waren Karl und Frieda Trief die letzten, die dort noch ausharrten. Ihre älteste Tochter Irma, die früher in dem elterlichen Geschäft mitgearbeitet hatte, lebte schon seit 1929 in Ludwigshafen, nachdem sie am 28. Mai in Wiesbaden Isidor Karl Falk geheiratet hatte.[79] Der am 21. September 1894 in Sennfeld / Baden geborene Kaufmann besaß in Ludwigshafen in der Ludwigstr. 54 ein gut gehendes Möbelgeschäft, das 1928 eröffnet worden war. Zuvor hatte er nach seiner Schulzeit, die er an einer Oberreal- und Handelsschule abschloss, eine umfassende Ausbildung in seinem Gewerbe absolviert und war vom Verkäufer, Buchhalter bis zum Geschäftsführer des Ludwigshafener Möbelhauses Abraham aufgestiegen.[80] Der Schritt in die Selbstständigkeit wurde ihm auch dadurch möglicht, dass seine Frau ihre Mitgift von 50.000 RM in die Firma einbrachte [81] – ein weiterer Beleg für die gediegenen Finanzen von Karl Trief, zumal eine gleich Summe sicher auch an Liesel gezahlt wurde. Der Ehemann selbst brachte eine etwa gleich große Summe auf, sodass der Wert der Firma bei etwa 100.000 RM lag. Den monatlichen Umsatz bezifferte Karl Falk im späteren Entschädigungsverfahren auf 15.000 RM bis 18.000 RM, wobei mit einem Bruttogewinn von etwa 50 Prozent des Umsatzes kalkuliert wurde.[82] Die Familie bewohnte eine 3-Zimmerwohnung im selben Haus, in dem auch das Geschäft eingerichtet war. Wie ein Zeuge angab, soll die Wohnung sehr gut eingerichtet gewesen sein. Auch habe man immer genügend Geld gehabt, um Urlaube zu machen und an den Wochenenden mit dem eigenen Wagen – eine amerikanische Limousine – kurze Fahrten zu Verwandten und Freunden zu unternehmen. In der Wohnung lebte auch Karl Falks Schwester, die neben weiteren drei bis vier Angestellten bzw. Handwerkern, im Geschäft als Verkäuferin tätig war. Erst als am 1. Mai 1932 Karl und Irmas Tochter Ellen geboren wurde,[83] sei sie ausgezogen.

Bald darauf begann der Niedergang des bisher florierenden Handelshauses. Es setzt einem heute immer wieder in Erstaunen, mit welcher Chuzpe, die staatlichen Behörden oder auch halbstaatlichen Institutionen nach dem Ende des Faschismus die berechtigten Forderungen der Opfer abgewehrt haben. So wurde sein Antrag auf Entschädigung für den Schaden am wirtschaftlichen Fortkommen, mit dem Argument abgelehnt, er habe „nichts dafür vorgetragen, dass der Boykott von einer Behörde oder der NSDAP unmittelbar gegen ihn selbst veranlasst worden“ sei. Er solle nachweisen, dass der Boykottschaden „nicht nur durch die allgemeine Verhetzung der Bevölkerung“, sondern durch individuelle, speziell gegen ihn gerichtete Aktionen des NS-Staates verursacht worden sei.[84] Welche Absurdität! Boykottiert wurde er, weil er Jude war, nicht weil man ihn persönlich nicht mochte. Und auch die örtliche IHK sprang der Entschädigungsbehörde zur Seite, indem sie behauptete, das Möbelgeschäft sei „unbedeutend“ gewesen und habe „seinen Inhaber nur kümmerlich ernährt“.[85] Zwar besaß man, wie zugegeben wurde, für diese Behauptung keine eigenen Unterlagen, aber man hätte sich in „hiesigen Wirtschaftskreisen“ umgehört. Zum Glück konnte der Anwalt von Karl und Irma Falk hinreichend Zeugen benennen, die das Gegenteil bestätigten. Auch konnte der Forderung, konkrete Aktionen gegen das Möbelgeschäft zu benennen, entsprochen werden.[86] Zeugen versicherten, dass nach 1933 immer wieder SA-Leute Kunden fotografiert hätten und die Bilder in den der lokalen Presse veröffentlicht wurden. Auch soll es neben dem Boykott mehrfach zur Zahlungsverweigerung bei offenen Kundenrechnungen gekommen sein.

Das Ende der Firma kam schon 1935. Ob es arisiert wurde oder schlicht aufgegeben wurde, ist den vorliegenden Entschädigungsakten nicht zu entnehmen.[87] Im November 1935 verließ die Familie Ludwigshafen und zog nach Wiesbaden zu Karl und Frieda Trief in die Schenkendorfstr. 3, wo diese etwa seit Beginn der NS-Zeit wohnten.[88] Im folgenden Jahr konnte die Familie über Rotterdam in die USA ausreisen. Nachdem sie am 27. September 1936 zunächst in New York die Ostküste des Kontinents erreicht hatten, zogen Karl und Irma Falk weiter an die Westküste und ließen sich bei Seattle im Staat Washington nieder.[89]

 

Liesel, die jüngere Schwester von Irma, kam erst später in die USA. Sie hatte zunächst versucht, ganz im Sinne des Vaters, als Musikerin eine erfolgreiche Berufskarriere zu starten. Schon mit sechs Jahren bekam sie den ersten Musikunterricht. Nach dem Umzug nach Wiesbaden erhielt sie neben dem Schulbesuch am Lyzeum seit dem 13ten Lebensjahr auch noch einen vertiefenden Musikunterricht bei verschiedenen Lehrerinnen. Ab 1932 besuchte sie die bekannte Wiesbadener Musikschule Güntzel mit dem Ziel, dort das Musiklehrerexamen abzulegen. Bevor sie ihre Ausbildung beenden konnte, wurde sie von den Nazis zur Aufgabe ihres Berufsziels gezwungen, weshalb sie dann nach Palästina auswanderte.
Soweit die offizielle Geschichte, wie man sie in den Akten des Entschädigungsverfahrens lesen kann. Darin sind allerdings auch die Aufzeichnungen der Anamnese eines amerikanischen Arztes enthalten, die dieser nach einem psychischen Zusammenbruch von Liesel Trief, inzwischen verheiratete Heimann, im Jahr 1957 machte. In dieser Schilderung treten die vielschichtigen Motive, die Liesel damals zur Auswanderung brachten, deutlich zu Tage. Da gab es zunächst die bittere Erfahrung, dass ihre Karriere als Pianistin nicht so laufen würde, wie sie sich das bisher vorgestellt hatte. Ein neuer Lehrer hatte ihr bescheinigt, dass sie eigentlich nichts könne und sie noch einmal ganz von vorne anfangen müsse. Die Unterrichtsstunden ließ er sich teuer bezahlen, eine Stunde habe soviel gekostet, wie ein normaler Arbeiter in einer Woche verdiente. Sie habe über ein ganzes Jahr 6 bis 8 Stunden täglich eine einzige Beethovensonate üben müssen. Diese Tortur habe ihr nicht nur alle Freude an der Musik genommen, sondern habe sie auch immer mehr verunsichert, sodass sie geradezu in Panik war, als sie nach zwei Jahren ihr Examen machen sollte. Um die Ängste abzubauen schickten ihre Eltern sie in eine Kur, wo sie ihren zukünftigen Ehemann kennen lernte. „Nachdem er zwei Monate um sie geworben hatte, entschloss sie sich, aus Verzweiflung zu heiraten, um dem bevorstehenden Schlussexamen zu entgehen“, heißt es in den Aufzeichnungen des Arztes. Die Eltern hätten die Heiratspläne zunächst grundsätzlich abgelehnt, sich geweigert, die Kosten für die Ausrichtung der Hochzeit zu übernehmen, dann aber letztlich doch zugestimmt, sodass es, nachdem Liesel volljährig geworden war, 1934 in Wiesbaden zur Eheschließung gekommen war.[90]
Wenn somit nicht primär die allgemeine politische Situation der Grund für die Auswanderung von Liesel Trief bzw. Heimann war, sondern sehr viele private Motive dabei eine Rolle spielten, man die Entscheidung auch als Flucht vor zu hohen Erwartungen der Eltern, der Lehrer und vielleicht sogar vor den eigenen Ansprüchen sehen kann, so darf der politische und gesellschaftliche Hintergrund dennoch nicht übersehen werden. Immerhin hatte es bereits den 1. April mit den Boykottaufrufen gegen die jüdischen Geschäfte gegeben, überall konnte man spüren, dass Jüdinnen und Juden nicht mehr willkommen waren. Welchen Wert hatten unter diesen Umständen die Strapazen, die sie um einer Karriere willen auf sich nahm, wohl wissend, dass dieses Land ihr keine Chancen bieten würde. Die Entscheidung nach Palästina zu gehen, muss daher vermutlich als doppelte Befreiung gesehen werden. Möglicherweise war sie bei dieser Entscheidung auch – so widersprüchlich das auch erscheinen mag – von ihrem Vater beeinflusst, denn die einzige jüdische Organisation, in der sich Karl Trief laut dem Jüdischen Adressbuch von 1935 engagierte, war die ‚Zionistische Vereinigung für Deutschland’.[91] Wie weit diese Aktivitäten gingen ist zwar nicht bekannt, aber ein Gesprächsthema wird die Bedeutung des Zionismus zu Hause schon gewesen sein.

Ob auch ihr Ehemann Alfred Heimann von der Ideologie beeinflusst war, als er schon 1930 nach Erez Israel aufgebrochen war,[92] ist schwer zu sagen. Später beklagte sich Liesel zwar darüber, dass ihr Mann kein religiöser Mensch gewesen sei, er nicht einmal die wichtigen jüdischen Feiertage eingehalten habe, was aber angesichts der unterschiedlichen Ausprägungen der zionistischen Bewegung keineswegs ein Widerspruch sein muss.
Ihr Bräutigam war um 1904 in Dortmund geboren worden, hatte eine Ausbildung im Textilsektor gemacht und in Palästina allerdings mit wenig Erfolg ein Großhandelsgeschäft für Kleidung gegründet.[93] Nach der Hochzeit ging Liesel dann 1934 mit ihrem Mann in das fremde Land,[94] was in dieser frühen Phase der NS-Herrschaft ja sogar noch von den Nazis gewollt und unterstützt wurde. Man konnte noch viel Inventar,[95] sogar Kapital, mitnehmen und noch gab es nicht die Anforderungen der Umschichtung, mit denen die jüdischen Organisationen den Zustrom der Emigranten durch eine berufliche Vorbereitung auf das schwere Leben beim Aufbau des neuen Staates zu steuern versuchten. Vermutlich ging Liesel Trief ein wenig blauäugig, vielleicht sogar mit der Hoffnung, ihr Musikerausbildung dort fortsetzen zu können, nach Palästina. Wie ihr Onkel Albert und ihre Tante Alice scheiterte sie an den dortigen schwierigen Lebensumständen. Die Geschäfte liefen weiterhin schlecht und das Einkommen reichte kaum für eine auch nur ausreichende Lebensführung, zumal mit der Geburt eines Sohnes, über den aber nicht Näheres bekannt ist, die finanzielle Lage noch schwieriger wurde. Vermutlich nicht zuletzt auf Grund dieser Perspektivlosigkeit wurde auch die Beziehung der Eheleute untereinander zunehmend problematisch. Palästina bzw. Israel, das Land, in das sie mit so vielen Hoffnungen und Erwartungen aufgebrochen waren, wurde nie ihre Heimat.

Die letzte Lebensphase von Karl und Frieda Trief

Auch für die zurückgebliebenen Eltern in Deutschland wurde die Situation zunehmend schwierig. Bereits 1935 musste sich Karl Trief den Verhältnissen beugen und die Firma aufgeben. Eine Firma Josef Münstermann mit Sitz in Frankfurt, bisher ein Handelspartner von Trief, mietete die Räume für monatlich 200 RM an.[96] Zwar bestritt der Neumieter später, dass es sich faktisch um die Arisierung des Unternehmens gehandelt habe, weil er ja nur einen Mietvertrag geschlossen und das Inventar für 5.000 RM angekauft habe.[97] Da er aber auch das Recht erhielt, die noch bestehenden Außenstände einzuziehen, war der tatsächliche Charakter dieses Eigentumswechsels im späteren Rückerstattungsprozess für das damit befasste Landgericht Frankfurt offensichtlich.[98]

Der Vertrag umfasste aber nicht das Hausgrundstück in der Oranienstraße, das bisher der Firma gehört hatte, sich nun aber durch deren Umwandlung in ein Einzelunternehmen im alleinigen Besitz von Karl Trief befand. Zumindest konnte er durch die gesamten Mieteinnahmen wohl noch ein ausreichendes Einkommen erzielen, um auch die damals eingezogene Familie seiner Tochter Irma zu versorgen.

Hinweis auf Auswanderungs-pläne von Karl und Frieda Trief
HHStAW 519/3 7541 (15)

Welche konkreten Gründe Karl Trief im Sommer 1938 dazu veranlassten, sich von der Immobilie zu trennen, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Noch forderte der NS-Staat nicht die Gelder ein, die nach dem Novemberpogrom fällig wurden. Es ist auch eigentlich kaum vorstellbar, dass er angesichts der verschiedenen erkrankter Verwandter in der Familie seiner Frau, selbst noch Auswanderungspläne hegte, zumal auch seine Frau selbst nervenleidend war, wie er in einigen seiner Bitten um zusätzliche Gelder vom gesicherten Konto angab. Aber offensichtlich stellte er, wenn auch erst wesentlich später, tatsächlich doch noch solche Überlegungen an. Im Februar 1941 ließ er sich über seine Devisenbank bei der Devisenstelle die Genehmigung für die Auszahlung von zusätzlichen 400 RM einholen. Begründet wurde die Bitte mit dem Verwendungszweck: „Zur Zahlung von Fahrtkosten nach Stuttgart, Hotelkosten, Konsulatsgebühren etc. Herr Trief steht kurz vor seiner Auswanderung.“[99]

Hinweis auf den Verkauf des Hauses Oranienstr. 54
HHStAW 519/3 10547 (1)

Ob aber mit dem Verkauf des Hauses erste Schritte für eine mögliche Auswanderung eingeleitet wurden, ist nicht mehr zu sagen. Im Sommer1938, am 20. Juli, war jedenfalls ein Vertrag mit einer Frau Frieda Stremplat zustande gekommen, laut dem ihr das gesamte Gebäude zum Preis von 61.500 RM übereignet werden sollte. Noch am gleichen Tag war die Auflassung im Grundbuch eingetragen worden, am 1. August gingen die Nutzungsrechte auf die Erwerberin über und mit dem Datum 9. Februar 1939 wurde die endgültige Übertragung im Grundbuch vermerkt.[100]

Der Einheitswert des Hauses war 1935 auf 77.200 RM taxiert worden, lag damit recht deutlich über dem tatsächlichen Verkaufspreis. Außer Frage steht, dass der tatsächliche Verkehrswert der Immobilie noch weit über dem genannten Einheitswert lag, es sich somit eindeutig um eine durch den Zwang der Umstände bedingte Arisierung handelte.[101]

Die Erwerberin sah sich selbst, wie aus dem Rückerstattungsverfahren hervorgeht, als eines der vielen „Opfer“ des Nationalsozialismus: „Ich habe durch die Rückerstattung von drei jüdischen Grundstücken, die mein Mann im Jahre 1938, als in Frankfurt und Wiesbaden 90% aller verkäuflichen Grundstücke aus jüdischem Besitz kamen, kaufte, mein ganzes Vermögen verloren. Vor unserer Übersiedlung nach Wiesbaden hatten wir unsere Grundstücke in Ostpreußen verkauft. Ich erhalte als Witwe eines Rechtsanwaltes weder Pension noch Rente und muss von der Untervermietung meiner möblierten Zimmer leben.[102] Ein fürwahr bemitleidenswertes Schicksal, für jemand, der den Versprechungen des Regimes geglaubt hatte und dann so bitter enttäuscht wurde. 1944 wurde das Haus bei einem Bombenangriff fast völlig zerstört und die Mieter mussten alle ausziehen, sodass der neuen, vom Schicksal so sehr gebeutelten Eigentümerin ab diesem Zeitpunkt auch die Mieteinnahmen wegfielen.[103]

Noch vor Abschluss des Verkaufs wurden die NS-Behörden aktiv. Bereits im September 1938 hatte das Finanzamt Wiesbaden, ausgehend von einem Vermögen von 88.221 RM, die Hinterlegung einer Sicherheit für die gegebenenfalls fällige Reichsfluchtsteuer in Höhe von 22.100 RM gefordert.[104] Und zwei Tage nachdem der Eigentumswechsel im Grundbuch  eingetragen worden war, setzte die Zollfahndungsstelle Mainz eine vorläufige Sicherungsanordnung in Kraft, die wenige Tage später von der Devisenstelle in Frankfurt bestätigt wurde. Damit hatte Karl Trief keinen freien Zugriff mehr auf sein Konto. Man erlaubte ihm zunächst noch, monatlich über 800 RM seines Vermögens frei zu verfügen.[105] Im Mai bat Karl Trief die Devisenstelle um einmalig zusätzliche 1.000 RM. Er benötige das Geld wegen der dauernden Erkrankung seiner Frau und zur Unterstützung seiner zwei mittellosen Schwägerinnen.[106] Eine erneute Bitte im Juli 1939 um diesen zusätzlichen Betrag mit der gleichen Begründung wurde ebenfalls bewilligt.[107] Im Februar 1940 kürzte man im dann aber den Freibetrag auf 500 RM [108] und verlangte von ihm eine Vermögenserklärung mit der Angabe seiner monatlichen Ausgaben. Die Erklärung, die er am 2. März 1940 einreichte, trug schon die neue Adresse, nämlich die des Judenhauses Lorzingstr. 7, was einmal mehr belegt, dass die Eintragungen auf den jeweiligen Gestapokarteikarten, auf der bei ihm als Umzugsdatum der 30. März notiert ist, nicht sehr verlässlich sind.
Sein Vermögen auf dem gesicherten Bankkonto betrug noch etwa 27.000 RM, allerdings war davon die Sicherung der Reichsfluchtsteuer in der Höhe von etwas mehr als 10.000 RM abzuziehen, sodass er faktisch nur noch 16.600 RM besaß. Sein Jahreseinkommen bezifferte er auf etwa 800 RM im laufenden, auf 600 RM im kommenden Jahr. Die monatlichen Ausgaben gab er mit etwa 500 RM an, davon allein 100 RM für die Miete und 60 RM für Heilmittel.[109]
Das Vermögen war aber nicht nur durch den eigenen Verbrauch allmählich dezimiert worden, sondern auch durch die Abgaben, zu denen auch Triefs im Gefolge des Novemberpogroms herangezogen wurden. Da sein Geschäft längst verkauft war, blieb er zwar von direkter Gewalt verschont und es gibt auch keinen Beleg dafür, dass er in „Schutzhaft“ genommen worden war, aber die „Sühneleistung“ für die bei den Juden entstandenen Schäden musste auch er aufbringen, insgesamt, die zusätzliche 5. Rate eingeschlossen, 13.000 RM. Angesichts des eingetretenen Vermögensverlusts wurde die Sicherung für die Reichsfluchtsteuer auf 4.200 RM herabgesetzt.[110] Zwar beantragte Karl Trief im April 1941 noch einmal einen Betrag von 300 RM für „notwendige Auslagen zum Zwecke der Auswanderung“,[111] aber ob diese Pläne inzwischen im Hinblick auf Ziel und Zeitpunkt konkretere Gestalt angenommen hatten, ist ungewiss. Unterlagen, etwa Umzugslisten und dergleichen, liegen zumindest nicht vor. Möglicherweise steht aber mit solchen Plänen ein Kurs in Heil- und Körpermassage im Zusammenhang, den Karl Trief um diese Zeit für 200 RM bei einem Dr. Stein absolviert hatte.[112] Vielleicht glaubte er, mit dieser Qualifikation im Ausland ein Einkommen erzielen zu können. Er wusste sicher um die prekäre Situation, in der sich seine Kinder befanden.

Karl Trief musste in Idstein Zwangsarbeit leisten
HHStAW 519/3 7541 (16)

Der NS-Staat hatte jedoch andere Pläne mit ihm. Am 9. November 1941 teilte Karl Trief der Devisenstelle mit, dass er seit dem 20. Oktober 1941 als Hilfsarbeiter bei der Firma „Idsteiner Lederwerke Landauer-Donner AG“ beschäftigt sei. Dem Unternehmen standen in diesen Monaten über 40 solcher Zwangsarbeitskräfte aus dem Wiesbadener Raum zur Verfügung, die für einen Hungerlohn die Unternehmensprofite und die Kriegsproduktion unfreiwillig steigerten.
Vom Oktober 1941 bis zum 8. Juni 1942, d.h. faktisch bis zu seiner Deportation, stand Karl Trief auf der Lohnliste der Lederwerke.[113] Sein Verdienst betrug 60 Pfg. pro Stunde, was sich nach Abzug der Sozialabgaben und Fahrtkosten auf einen Nettowochenlohn von etwa 16 bis 18 RM summierte. „Ganz ergebenst“, bat er um die Genehmigung, dass er diesen Betrag wöchentlich in bar entgegen nehmen dürfe. Er durfte.[114] Allerdings wurde sein Freibetrag umgehend um 100 RM auf 400 RM gekürzt.[115]
Ein Vierteljahr später fragte die Devisenstelle noch einmal nach den finanziellen Verhältnissen des Ehepaars Trief. Zwar gab er einen Bedarf von etwa 370 RM im Monat an, genehmigt wurden ihm aber jetzt nur noch 300 RM.[116]
Die Mietkosten beliefen sich auf 62,50 RM. Triefs bewohnten in der Lortzingstr. 7 zusammen mit Clara Reinstein eine 3-Zimmerwohnung, in der ihnen selbst zwei Zimmer zur Verfügung standen.[117] Vermutlich hatten sie schon beim Umzug in das Judenhaus einen Teil ihres Mobiliars einem der rührigen Wiesbadener Auktionatoren zur Versteigerung, sprich: Verschleuderung, überlassen müssen. Die Erben gaben den Wert des früheren Inventars mit etwa 6.000 RM an,[118] ihren Schmuck und andere Edelmetalle hatten sie schon 1939 abgeben müssen.[119]

Offenbar konnte Karl Trief noch 1941 und 1942 Geld an seine Tochter Irma in die USA transferrieren
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Über das alltägliche Leben in diesem eigentlich so schönen und so schön gelegenen Haus in der Lortzingstraße weiß man nichts. Ob die räumliche Enge und die gemeinsame Not die Menschen zusammengeführt oder gegeneinander aufgebracht haben, ist nicht bekannt. Am 10. Juni 1942 mussten Karl und Frieda Trief, ihre Mitbewohnerin Clara Reinstein sowie fünf weitere Bewohner das Judenhaus Lortzingstr. 7 am frühen Morgen verlassen. Sie hatten, wie die insgesamt 372 Jüdinnen und Juden, darunter auch Friedas Schwestern Settchen und Betti, die Aufforderung erhalten, sich am Wiesbadener Bahnhof einzufinden, wo sie dann an einem Nebengleis in den Zug nach Frankfurt einsteigen mussten.[120] Am dortigen Hauptbahnhof fuhren an diesem Morgen eine ganze Reihe solcher Züge ein, aus denen Juden aus dem ganzen Regierungsbezirk ausstiegen, die unter Polizeibewachung dorthin gekarrt worden waren. In Gruppen trieb man sie dann über die Wiesenhüttenstraße, das Hermann-Göring-Ufer, den Mainkai, die Schöne Aussicht und die Oskar von Millerstraße quer durch die Stadt zur Großmarkthalle. Dort wurden sie systematisch unter demütigen Bedingungen wie Leibesvisitationen ihrer letzten Habe beraubt. Im Ostflügel war ein Matratzenlager eingerichtet, auf dem sie vor der Reise mit einem unbekannten Ziel ihre letzte Nacht verbrachten. Einzelne wurden auch in den Kellern Opfer einer „Sonderbehandlung“ zugeführt und konnten die Fahrt am nächsten Morgen nicht mehr antreten.[121] Ursprünglich sollte der Zug nach Izbica gehen, blieb aber zunächst in Lublin stehen, wo etwa 190 arbeitsfähige Männer zum Arbeitseinsatz in Majdanek selektiert wurden. Für die übrigen, zu denen mit größter Wahrscheinlichkeit auch Karl und Frieda Trief gehörten, hatte man das nahe gelegene Sobibor als Zielort bestimmt. Es können höchstens noch Stunden gewesen sein, die ihnen blieben, bevor sie in die dortigen Gaskammern getrieben und ermordet wurden.[122]

 

Das Schicksal der Überlebenden der Familie Trief

Leider sind keine Dokumente überliefert, die Auskunft darüber geben könnten, wie lange es einen Kontakt zwischen den Deportierten und den Familienmitgliedern gab, die emigrieren konnten. Aber aus solchen Briefen, die in manch anderer Familie erhalten geblieben sind, wurde auch oft verschwiegen, wie schwierig die Lage der anderen jeweils war. Keiner wollte den anderen beunruhigen, die Not war ohnehin groß genug.

Karl, der sich in den USA Charles nannte, und Irma Falk, die das Glück hatten, schon früh nach Amerika ausreisen zu können, wurden dort alles andere als glücklich.

Irma Falk Trief
Einbürgerungsantrag in den USA von Irma Falk, geb. Trief
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/901065459:1193

In der Zeit von 1936 bis 1940 hatte Charles Falk, abgesehen von einzelnen Gelegenheitsarbeiten, überhaupt kein Einkommen und war auf die Unterstützung Dritter angewiesen. In den folgenden Jahren blieb sein Monatslohn fast immer unter der 100-Dollar-Grenze.[123] Irma musste als Putzfrau zum notwendigen Einkommen beitragen.[124] Hinzu kamen die entnervenden Kämpfe mit den deutschen Entschädigungsbehörden, die – ganz in der Tradition des Antisemitismus, jetzt aber auf der Basis rechtsstaatlicher Sorgfaltspflicht – den Juden immer unterstellten, sie, die zuvor alles für Deutschland gegeben und alles verloren hatten, wollten sich unrechtmäßig bereichern. In zwei persönlichen Briefen an den Innenminister des Landes Hessen vom 5. September 1951 und an den damaligen Kanzler Adenauer vom 20. Juli 1954 – ob dieses Datum bewusst gewählt war ? – versuchte er seine wachsenden Verzweiflung und Enttäuschung in Worte zu fassen. So schrieb er an Adenauer:

Irmas Ehemann Karl Falk
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1774103:3998

“Ich bin deutsch. Kriegsbeschädigter 1914-1918 und meine drei Brüder waren im Krieg. Ich bin mit meiner Familie nach hier, ohne einen Pfennig ausgewandert, aber meine Brüder mit Frauen und 15jähriger Tochter, sowie die Eltern meiner Frau und der Mann meiner Schwester, sind alle im Concentrationslager ermordet und vergast worden. Neben 30 Personen von meiner Familie, die umgekommen sind, nur weil sie gute Deutsche waren oder sein wollten und das Land nicht verlassen, in dem wir schon seit hunderte von Jahren ansässig waren. (…) Ich bin schon seit Monaten krank und ohne Verdienst und durch ein Herzleiden bin ich nicht imstande zu arbeiten. Im Krieg war ich verwundet und hatte Flecktyphus. Durch den Nazi-Boykott hatte ich mein gut gehendes Geschäft verloren (…) Wo bleibt die deutsche Gerechtigkeit?“[125]
Ob er eine Antwort des Bundeskanzleramts erhielt, ist nicht bekannt. Mit dem Vermerk „Bitte um Prüfung und weitere Veranlassung“ wurde der Brief an den Hessischen Minister des Inneren weitergeleitet.[126]

Der entwürdigende Verlauf der Entschädigungsverfahren kann hier nicht nachgezeichnet werden. Bevor alle Prozesse abgeschlossen waren, hatte sich Charles Falk am 10. Januar 1956 aus Verzweiflung das Leben genommen.[127]
Der Versuch der Witwe, diesen Freitod im Kontext der gesamten Leidensgeschichte gewürdigt zu sehen und ihn als „Schaden am Leben“ – so die offizielle Formulierung –  entschädigt zu bekommen, wurde mit kalter Juristendiktion abgelehnt: „Insbesondere spricht keine Rechtsvermutung für einen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Tod.“[128]

Im endgültigen Bescheid heißt es dann: „Überdies wäre auch der Antrag aus rechtlichen Gründen schon abzulehnen, weil gegen den Verstorbenen konkrete NS-Gewaltmaßnahmen selbst nicht vorgelegen haben Er ist bereits 1936 ausgewandert und konnte so den schweren Verfolgungsmaßnahmen, wie sie insbesondere 1941 gegen alle rassisch Verfolgte einsetzten, entgehen. Die Auswirkungen des allgemeinen Verfolgungsdrucks, dem auch er als rassisch Verfolgter ohne Zweifel ausgesetzt gewesen ist, genügen jedoch grundsätzlich nicht, Entschädigungsansprüche wegen Schadens an Körper und Gesundheit zu stellen.“[129]

Seine Witwe geriet nach dem Tod ihres Mannes in eine noch verzweifeltere Lage. All das Leid ihres Mannes, die finanzielle Not, hatte sie bisher geteilt, jetzt kam noch dieser Freitod hinzu. Sie machte in den Verfahren keinen Hehl aus ihrem äußerst labilen Gesundheitszustand, den chronischen Depressionen, vegetativen Störungen und anderer somatischer Folgen der jahrelangen psychischen Belastung.[130] Eingesetzt hatten diese Symptome, durch die ihre Erwerbsfähigkeit um etwa ein Drittel herabgesetzt wurde, bereits 1937, wie in einem ärztlichen Gutachten festgehalten.[131]

1972 kämpfte sie noch immer um Anerkennung ihrer durch die Verfolgung bedingten gesundheitlichen Schäden. In diesem Schreiben erwähnt sie erstmals einen weiteren Schicksalsschlag, den die Familie im amerikanischen Exil erlitten hatte. Ihre noch in Ludwigshafen geborenen Tochter Ellen, inzwischen verheiratete Broder,[132] war psychisch in einem noch viel größeren Ausmaß als ihre Mutter unheilbar erkrankt und lebte – wie Irma Falk selbst schrieb – in „geistiger Umnachtung“ in einer psychiatrischen Anstalt. Sie sah deren Erkrankung auch als Folge des erlittenen Leids, das Ellen von frühester Kindheit an ebenfalls hatte ertragen müssen.[133]

Irma Falk verstarb am 27. Dezember 1979 im kalifornischen Los Angeles, ohne dass ihre letzten Entschädigungsforderungen erfüllt worden wären. Sie hinterließ ein umfassendes Testament, in dem sie im Besonderen ihre Tochter Ellen und ihre Schwester Liesel / Lisa bedachte und diese auch als Treuhänderin für ihre Tochter einsetzte.[134]

Ellen Margot Broder, geborene Falk, verstarb am 9. Oktober 1990 ebenfalls in Los Angeles im Alter von 58 Jahren vermutlich in dem Heim, in dem sie seit vielen Jahren untergebracht war.[135]

 

Als Lisa die Treuhänderschaft für ihre Nichte übernahm, lebte auch sie bereits in den USA und trug inzwischen den Nachnamen Rosenthal. Hinter ihr lag ein Leidensweg, der sich nur unwesentlich von dem ihrer Schwester unterschied.

Wie bereits erwähnt, war es ihr und ihrem Mann nicht gelungen, sich in Palästina wirtschaftlich und gesellschaftlich zu verwurzeln. Schon bald wurde sie krank. Sie litt nicht nur an dem ungewohnten Klima in Jerusalem, wie ihr Arzt später attestierte, sondern auch an Erschöpfungszuständen und nervlich bedingten Zusammenbrüchen, die der Mediziner auf ihr Verfolgungsschicksal zurückführte.[136] Eine weitere Ursache war ganz sicher auch das Scheitern ihrer Ehe. Schon 1952 hatte Alfred Heimann Israel und auch seine Frau samt Sohn verlassen und war nach Chile ausgereist, wohin einer seiner Brüder emigriert war und – so die Darstellung von Lisa – zu sehr großem Wohlstand gekommen war. Seine Familie wollte Alfred nachholen, sobald auch er ihr eine sichere wirtschaftliche Basis würde bieten können. In dieser Zeit, in der Lisa lange nichts mehr von ihm hörte, lebte sich das Paar endgültig auseinander.

Liesel Heimann Trief
Überfahrt von Liesel und Ralf Heimann von Palästina in die USA
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Zwei Jahre nach ihrem Mann verließ 1954 auch Lisa Heimann Israel und ging in die USA, nach Rochester, wo ihr Onkel Albert Trief inzwischen zu einem recht erfolgreichen Grundstückmakler aufgestiegen war.[137] Am 7. März verließ sie mit ihrem Sohn Ralf von Haifa aus auf dem Schiff ‚Jerusalem’ das Land der enttäuschten Hoffnungen. Am 24. des Monats erreichte das Schiff den New Yorker Hafen.[138]

Vermutlich war es auch ihr Onkel Albert, der ihr die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt und die notwendigen Papiere besorgt hatte. Allerdings erwies sich die Beziehung zwischen den beiden in der Folgezeit ebenfalls als sehr problematisch und spannungsreich. Wann es wieder zum Kontakt zu ihrem Ehemann kam, der weiterhin in Chile lebte, ist nicht bekannt. Nach ihrer Übersiedlung in die USA betrieb sie die Scheidung, auch weil sie einen anderen Mann kennen gelernt hatte, der ihr die Ehe versprochen hatte. Als auch diese Beziehung scheiterte, versuchte auch sie sich 1957 das Leben zu nehmen. Dank der Aufmerksamkeit von Freunden misslang der Suizidversuch glücklicherweise, führte aber zu einem längeren Klinikaufenthalt.[139] Am 5. Dezember 1960 schloss sie dann die Ehe mit einem ansonsten unbekannten Herrn Rosenthal.[140] Man kann nur hoffen, dass ihr durch diese neue Beziehung noch einige glückliche Lebensjahre vergönnt waren. Lisa Rosenthal, geborene Trief, verstarb am 10. Januar 2000 im Westchester County in der Nähe von New York.[141] Das weitere Schicksal ihres Sohnes konnte nicht ermittelt werden.

 

Was die beiden Töchter von Karl und Frieda Trief all die Jahre so belastet und krank gemacht hatte, war nicht nur das unmittelbar selbst erduldete Leid und der Verlust der Eltern und anderer Verwandter, sondern – wie bereits angemerkt – auch die demütigenden Entschädigungsverfahren mit den deutschen Behörden.

Grundbucheinträge für das Haus Oranienstr. 54
HHStAW 519/a Wiesbaden 1761 I (19)

Hinzu kam dann auch noch das Rückerstattungsverfahren um das Haus in der Oranienstraße und die ehemalige Firma. Während die Rückerstattung der Immobilie trotz des Widerstandes der neuen Eigentümerin relativ problemlos vonstatten ging, entwickelte sich die Rückerstattung der Firma zu einer sehr unerfreulichen Angelegenheit, in die nicht nur der neue Eigentümer Münstermann, sondern auch die ehemaligen Mitgesellschafter involviert waren. Da die Immobilie auch wesentlicher Bestandteil der Firma gewesen war, blieb auch sie Streitobjekt. Die beiden Schwestern Irma und Liesel, die Erben des ermordeten Karl Trief, mussten somit zugleich an zwei Fronten kämpfen. Während der Nachweis, dass Münstermann ein Arisierungsgewinnler und zur Rückerstattung verpflichtet war, sehr schnell erbracht werden konnte, zog sich die Auseinandersetzung mit Adolf Hellmann lange hin. Albert Trief, der offenbar zunächst ebenfalls Ansprüche gestellt hatte, zog diese schon in einem frühen Stadium der Auseinandersetzung wieder zurück.
Adolf Hellmann, der frühere Kompagnon der Firma „Trief & Co.“, beanspruchte nach dem Krieg ebenfalls an der Rückerstattung der Firma bzw. an der entsprechenden Entschädigung beteiligt zu werden. Es habe sich 1935 nicht um eine tatsächliche Umwandlung der Firma in ein Einzelunternehmen gehandelt, bei dem die beiden Mitgesellschafter durch die Zahlung der Summe von 12.500 RM abgegolten worden waren, sondern nur um eine treuhändlerische Überlassung der Firma an Karl Trief bis zum Ende der NS-Herrschaft.[142] Im Namen der Gegenseite bestritt deren Anwalt, dass die Mitgesellschafter ausschließlich den Betrag von 12.500 RM erhalten hätten. Es seien die beiden Grundschuldbriefe über jeweils 25.000 RM gelöscht worden und auch Zweidrittel der Bankguthaben an die Ausgeschiedenen verteilt worden.[143] In einer eidesstattlichen Erklärung stützte letztlich Albert Trief diese Argumentation und schlug sich auf die Seite seiner Nichten. 1935 seien er und Hellmann gegen eine volle Abfindung aus der Firma ausgeschieden und hätten damit alle Rechte und Pflichten an Karl Trief übertragen. Zwar könne er sich nicht mehr an genaue Beträge erinnern, aber er wusste, dass „die Summen hoch genug waren eine neue Existenz erfolgreich ausser Deutschland aufzubauen.“[144]

Versuche der Behörden, zu einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien zu kommen, scheiterten. Zu heftig waren die gegenseitigen Angriffe, die zumindest die jeweiligen Anwälte gegen die andere Seite erhoben. Da wurde Hellmann als „Parasit“ beschimpft und man prophezeite dessen „Prozessbevollmächtigten mit blutigen Waffen nach Hause (zu) schicken“.[145] Andererseits unterstellte man Karl Trief, er habe gehofft, „von dem Ausscheiden der Teilhaber zu profitieren, um das Geschäft an sich zu bringen. (…) Karl Trief war zufrieden, dass er von seinen Partnern franco u. gratis das Geschäft erhielt, von dem er für sich dicke Profite erhoffte.“[146] Eine völlig aberwitzige Unterstellung angesichts der heraufbrechenden Zeiten. Geradezu zynisch ist dann aber die Aussage von Adolf Hellman im strittigen Verfahren, „Seine [Karl Trief – K.F.] Absicht war die beiden anderen Geschäftsanteile an sich zu reissen. Dies ist ihm auch gelungen, was er natürlich mit seinem Leben bezahlen musste.“[147]

Letztlich wurde das Verfahren zugunsten von Irma Falk und Lisa Heimann entschieden und Adolf Hellmann ging leer aus. Aber letztlich zeigt das Verfahren nur, wie beschädigt alle Opfer des NS-Regimes auch nach dessen Ende waren. Die gemeinsame Leidensgeschichte hat nicht immer zusammengeschweißt, sondern auch neue Wunden geschlagen. Jeder hatte so viel verloren, dass das Aufkommen von Neid angesichts so vieler – manchmal auch vermeintlicher – Ungerechtigkeiten unvermeidlich war.
Möglicherweise waren Alice und Albert Trief im Zusammenhang mit dem Entschädigungs- bzw. Rückerstattungsverfahren 1957 noch einmal nach Deutschland gekommen. Zumindest wurden sie im Juni 1957 als Passagiere der „Queen Elizabeth“ für die Überfahrt von New York nach Cherbourg / Frankreich registriert.[148]
Beide verstarben etwa zehn Jahre später im Abstand von nur wenigen Tagen in Rochester, er am 21., sie am 24. Februar 1966.[149]

 

Auch Alberts Bruder Siegfried, der sich in den USA Fred nannte, war nach seiner Emigration mit seiner Frau Betty nach Rochester gekommen. Auch ihm gelang es in der neuen Heimat wirtschaftlich nicht mehr an den Erfolg anzuknüpfen, den er in Wiesbaden mit seinem Geschäft für Molkereiprodukte einmal gehabt hatte. Ohne ausreichende Sprachkenntnisse, zudem durch einen Herzfehler gehandikapt, war es für ihn schwer, überhaupt eine Arbeit zu finden. Mit einfachen Gelegenheitsjobs hielt er sich solange über Wasser, bis er 1939 eine Festanstellung als einfacher Arbeiter in einer Textilfabrik fand. Bis 1943 blieb er dort, dies bei einem Wochenlohn zwischen 10 und 20 Dollar.[150] Die folgenden zwölf Jahre arbeitete er als Packer in einer anderen Firma. Ob er dann entlassen wurde oder selbst kündigte, ist nicht klar, aber er gab an, wegen seines Gesundheitszustandes, seines Alters und wegen des sinkenden Arbeitskräftebedarfs seine Berufstätigkeit aufgegeben zu haben. Seitdem lebten er und auch seine Frau von einer geringen Unterstützung, die sie aus einer Arbeitslosigkeitsversicherung bezogen.[151] Im November 1956 wurde ihnen von der deutschen Entschädigungsbehörde wegen seines Berufsschadens durch die Nazis eine Rente von monatlich 429 DM gewährt.[152]
Es war bestenfalls ein sehr bescheidenes Leben, das sich die beiden Rentner bis zu ihrem Tod leisten konnten. Fred Trief erlag am 20. Dezember 1963 seinem Herzleiden.[153] Seiner Frau Betty war dagegen noch ein recht langes Leben vergönnt. Sie verstarb zwei Tage vor ihrem 93sten Geburtstag ebenfalls in Rochester.[154]

 

Das Schicksal der Geschwister von Frieda Trief, geborene Leopold

Trotz allen Leids, trotz der vielen Kämpfe um ein wenig Gerechtigkeit, so hatten doch die Geschwister von Karl Trief und auch seine Kinder den Holocaust überlebt. Ganz anders sah das bei seiner Frau Frieda aus. Nicht nur sie selbst, sondern alle ihre fünf Geschwister bzw. Halbgeschwister wurden in der Shoa ermordet. Leider gibt es aber – abgesehen von der Familie von Adolf Leopold – in den Archiven nur wenige Dokumente, die Auskunft über das Leben dieser eher „kleinen Leute“ geben. Da die Geschwister von Frieda Trief – von einer Ausnahme abgesehen – selbst keine Kinder hatten, liegen auch keine Entschädigungsakten vor, aus denen normalerweise zumindest in Ansätzen das Leben der Verfolgten zu rekonstruieren ist. Aber anhand der vorliegenden Quellen soll hier doch versucht werden, so weit als möglich das schreckliche Schicksal der Familie Leopold nachzuzeichnen.

 

Adolf Leopold

Adolf Leopold
Adolf Leopold als Soldat des Ersten Weltkriegs
Privatarchiv Dipl.-Ing. Jürgen Eckhardt, Hofheim-Wallau mit Dank

Der älteste Bruder bzw. genauer: der Halbbruder von Frieda Trief, Adolf Leopold, hatte am 28. Mai 1905 in Wallau die dort geborene Mina Falk geheiratet.[155] Die am 10. August 1878 geborene Braut, Tochter von Leopold und Veronica Falk, geborene Sittenheim, entstammte einer der großen und alteingesessenen jüdischen Familien des Ortes.[156] Adolf Leopold betrieb in seinem Haus, eigentlich handelte es sich um eine Hofraithe mit Stallungen, in der Langenhainer Str. 14 einen Viehhandelsbetrieb. Das einstöckige Gebäude war 1876 erbaut worden und hatte, bevor Leopolds es erwarben, verschiedene Besitzer gehabt, zuletzt den Schweinehändler Wilhelm Hattert aus Erbenheim.
Leopolds haben das Haus vermutlich nicht vor 1906 erworben, denn am 19. Februar 1906 kam noch in Kettenbach ihr einziges Kind, der Sohn Siegmund, zur Welt.[157] Mit 15 Jahren stieg er, nachdem er seine Schulzeit beendet hatte, in den väterlichen Betrieb ein. Eigentlich hatte er den Metzgerberuf ergreifen wollen, auch bereits eine Lehre begonnen, die er aber nach einem Dreivierteljahr vermutlich krankheitsbedingt hatte abbrechen müssen.

Siegmund Leopold
Siegmund Leopold
Privatarchiv Dipl.-Ing. Jürgen Eckhardt, Hofheim-Wallau

Mit etwa 14 Jahren waren bei ihm erstmals epileptische Anfälle aufgetreten. Obwohl man keine Kenntnis davon hatte, dass auch Vorfahren von ihm unter dieser Krankheit gelitten hatten, wurde von einem Mainzer Arzt Haas 1935 eine „erbliche Fallsucht“ diagnostiziert.[158] Eine solche Diagnose hatte im NS-Staat erhebliche Konsequenzen, seitdem das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ schon bald nach der „Machtergreifung“ am 14. Juli 1933 in Kraft getreten war.[159] Neben „angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem Schwachsinn, erblichem Veitstanz, erblicher Blindheit, erblicher Taubheit“ stand auch die „erbliche Fallsucht“ auf der Liste der Krankheiten, die aus „rassehygienischen“ Gründen ausgemerzt werden sollten. Noch „begnügte“ man sich damit, die Betroffenen zu sterilisieren, noch fielen sie nicht der Mordaktion T4 zum Opfer, wie mit Siegmunds Onkel Salomon 1940 geschehen. In der Folgezeit bis 1939 wurden in Deutschland etwa 300 000 Menschen zwangssterilisiert, Siegmund Leopold war einer von ihnen.[160]
Am 20. April 1935 wurde ihm mitgeteilt, dass der Kreisarzt von Frankfurt / Höchst den Antrag gestellt hatte, ihn „unfruchtbar zu machen“. Ihm wurde – geradezu zynisch –„Gelegenheit (gegeben), zu diesem Antrag Stellung zu nehmen“. Sollte er sich nicht innerhalb einer Woche melden, so gelte das als Einverständniserklärung.[161] Siegmund Leopold war nicht einverstanden. Am 10. Oktober 1935 wurde er offensichtlich vorgeladen und gab zu Protokoll:

SiegmundLeopold
Von Siegmund Trief unterzeich-netes Gesprächsprotokoll, in dem er seiner Unfruchtbar-machung widerspricht
HHStAW 473/4 1036 (14)

“Ich widerspreche meiner Unfruchtbarmachung, da ich jetzt wieder gesund bin. Seit mehreren Jahren hatte ich keinen Anfall mehr. Meine Eltern, sowie andere Vorfahren von mir, waren, soweit ich weiß, gesund, sodaß von einer erblichen Veranlagung nicht die Rede sein kann. Ich selbst habe keine Geschwister.“[162]

Dieser Einspruch focht das Erbgesundheitsgericht in Wiesbaden nicht an. Am 22. Oktober 1935 wurde der Eingriff beschlossen. Zwar hätte Siegmund Leopold noch einmal innerhalb von zwei Wochen Rechtsmittel dagegen einlegen können, aber er verzichtete darauf, wohl wissend, dass das ohnehin zwecklos gewesen wäre.[163] Aus dem ärztlichen Bericht vom 20. Dezember 1935 geht hervor, dass der inhumane Eingriff am 11. Dezember in den Städtischen Kliniken in Wiesbaden durchgeführt wurde und er am 20. Dezember als „geheilt“ entlassen werden konnte.[164]

Inzwischen hatten die jüdischen Bewohner und Geschäftsleute in Wallau auch auf andere Weise erfahren müssen, wie sich innerhalb kürzester Zeit ihre Stellung im Ort und ihr Alltag grundlegend veränderte. Besonders die Kinder, die von ihren christlichen Mitschülern verbal und auch körperlich oft auf übelste Weise angegangen wurden, hatten darunter zu leiden. Aber auch auf die Peiniger wurde von Seiten der Lehrer Druck ausgeübt, wenn deren Eltern ihre Beziehungen zu den jüdischen Mitbürgern zunächst noch aufrechterhielten. So wurden etwa Bauernkinder, deren Eltern noch mit jüdischen Viehhändlern Geschäfte machten, offenbar von ihren Lehrern so lange drangsaliert, bis diese die Verbindungen abbrachen.[165] Das alteingesessene Viehhandelsgeschäft der Falks musste aufgegeben werden und es liegt auf der Hand, dass auch Adolf Leopold von den Boykottaktionen betroffen war.

Ehemalige Synagoge in Wallau
https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20180/Wallau%20Synagoge%20150.jpg

Als im November 1938 reichsweit zum Pogrom gegen die Juden und ihre Einrichtungen und Geschäfte aufgerufen wurde, wollte auch in Wallau der Mob die dortige Synagoge in Brand setzen. Wegen der großen Gefahr für die umstehenden Gebäude verzichtete man zwar darauf und „begnügte“ sich mit der Entweihung des Gotteshauses, der Verwüstung des Inventars und dem Raub der Kultgegenstände. Zwar war die Aktion wohl von einer auswärtigen Gruppe initiiert worden, aber viele Einheimische beteiligten sich an dem Zerstörungswerk, nachdem die ersten Hemmschwellen überwunden waren. Mit dem Leichenwagen der jüdischen Gemeinde wurde alles, was man aus der Synagoge herausgeholt hatte, auf den Sportplatz geschaffen und samt Gefährt angezündet.[166]

Die Langenhainer Str. 14, das Wohnhaus von Adolf und Mina Leopold
Mit Genehmigung des Stadtarchivs Hofheim

Auch Adolf Leopold war unmittelbar von der Randale betroffen. Man hatte ihm mit Steinen die Fenster samt Läden eingeworfen, wodurch sogar in den Wohnräumen das Mobiliar beschädigt wurde. Auch hatte man Teile seiner Habe konfisziert, darunter eine Wanduhr und ein doppelspänner Pferdegeschirr, die aber wenige Wochen später vom Bürgermeister wieder zurückgegeben wurden.[167]

Aber es blieb nicht nur bei Sachschäden. Abgesehen davon, dass die jüdischen Bürger selbst psychisch durch die Ereignisse an diesem Tag und in dieser Nacht tief getroffen waren, hatten die Männer auch noch weitere Folgen zu tragen.
Wie viele andere im ganzen Reich wurde auch Siegmund Leopold mit 24 weiteren jüdischen Männern aus dem Main-Taunus-Kreis nach dem Pogrom inhaftiert und am 12. November in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Man behielt ihn, den Gefangenen mit der Nummer 5176, dort länger als die meisten anderen. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Erst am 12. April 1939, also nach genau fünf Monaten, wurde er wieder entlassen.[168]

Siegmund Leopold
Karteikarte von Siegmund Leopold aus dem KZ Buchenwald
https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/0112/52888836/001.jpg

Nach dem Pogrom versuchten auch Wallauer Juden sich durch Auswanderung der Verfolgung zu entziehen. Dass auch Leopolds das planten, ist eher unwahrscheinlich, obwohl sie im September 1939 ihr Haus verkauften. Etwas mehr als 2.000 RM erhielten sie in einer ersten Rate dafür von dem Wallauer Ehepaar Johann und Luise Dollinger. Das Geld musste selbstverständlich auf ein zuvor eingerichtetes Sperrkonto bei der Vereinsbank Wiesbaden eingezahlt werden.[169] Immerhin durften sie zunächst auch weiterhin dort wohnen bleiben.[170]

Vermutlich benötigten Adolf und Mina Leopold das Geld aus dem Hausverkauf für ihren alltäglichen Bedarf, da sie nicht erst durch den Boykott ab 1933, aber spätestens auf Grund der verschiedenen, nach dem Pogrom erlassenen Gesetze zur „Entjudung“ der Wirtschaft kaum mehr Einnahmen gehabt haben werden. Nach dem Eingang des Geldes aus dem Hausverkauf erbat Mina Leopold bei der Devisenstelle die monatliche Freigabe von 200 RM für ihren Lebensunterhalt. Zusätzlich benötigte sie 90 RM für die Rückzahlung eines Darlehens, das sie von der Jüdischen Wohlfahrt in Frankfurt wohl zur Überbrückung erhalten hatte.[171] Im November 1939 gingen dann noch einmal etwa 1.000 RM als zweite Rate für den Hausverkauf auf ihrem Konto ein.[172]

Mina Leopold
Schreiben von Mina Leopold an die Devisenstelle
HHStAW 519/3 3614 (5)

Ein weiterer Grund dafür, dass die Familie dringend auf Geld angewiesen war, ist wohl darin zu sehen, dass Adolf Leopold seit längerer Zeit so sehr erkrankt war, dass er nicht mehr erwerbsfähig sein konnte, wie seine Frau in dem bereits erwähnten Brief an die Devisenstelle schrieb.[173] Um welche Art von Krankheit es sich handelte, ist nicht bekannt. Da aber seine Frau vermutlich deswegen auch die gesamte Korrespondenz mit den Behörden abwickelte, fragte die Devisenstelle im April 1940 an, welchen Familienstand sie habe. Die knappe Antwort von ihr: „Ich bin verheiratet. Mein Ehemann heist (sic!) Adolf Israel Leopold.“[174]

Im Mai 1940 verlangte die Frankfurter Behörde eine Vermögenserklärung und eine Offenlegung der Lebenshaltungskosten. Mina Leopold gab an, dass ihr Kontostand bei der Bank 1.633 RM betrage, sie kein sonstiges Vermögen besitze und auch keine Einnahmen hätte. Die laufenden Kosten ihres 2-Personenhaushalts – ihr Sohn wohnte zu dieser Zeit offensichtlich nicht in Wallau – würden sich auf 210 RM belaufen, 60 RM Kosten für die Wohnung und 150 RM für Kleidung und Essen. Ihre Anschrift war zu diesem Zeitpunkt noch immer die Langenhainer Str. 14.[175]

Wie lange sie dort noch hatten bleiben können, ist nicht exakt auszumachen. Aber auch in Wallau gab es gegen Ende des Jahres 1941 ein Haus, das man damals vor Ort als Judenhaus bezeichnete. Ursprünglich hatte der Gebäudekomplex, ebenfalls eine Hofraithe, der jüdischen Familie Löwenstein aus Breckenheim gehört, die das Hausgrundstück 1870 erworben und dort ihren Landesproduktenhandel betrieben hatte. Nachdem sie ihr Geschäft wegen des dortigen Bahnanschlusses nach Erbenheim verlegt hatte, wurde das Haus an die jüdische Familie Thalheimer vermietet. Die neuen Mietgesetze machten es möglich, dass weitere jüdische Mieter in dieses Haus eingewiesen werden konnten.

Ob es sich dabei tatsächlich um ein förmliches Judenhaus handelte, ist eher unwahrscheinlich, aber das war letztlich für die noch in Wallau verbliebenen fünf jüdischen Familien relativ unerheblich. Nachdem sie ihre eigenen Häuser hatten verlassen oder sogar verkaufen müssen, waren sie dort in der Wiesbadener Str. 8 eingepfercht worden, ihre letzte Station vor der Deportation.

Adolf Leopold
Sterbeeintrag von Adolf Leopold
Sterberegister Wallau 2 / 1942

Nicht mehr deportiert wurde Adolf Leopold. Er verstarb am 17. Januar 1942 in diesem Judenhaus – woran, ist dem Sterbeeintrag nicht zu entnehmen.[176] Um seinen Tod ranken sich Gerüchte, über deren Wahrheitsgehalt aber keine Aussage gemacht werden kann. So heißt es einerseits, er habe sich das Leben genommen, andererseits wird gemunkelt, dass er womöglich einem Gewaltakt zum Opfer gefallen sei. Letzteres erscheint insofern eher unwahrscheinlich, weil schon die Tatsache, dass seine Frau den Kontakt nach außen weitgehend alleine hielt, dafür spricht, dass er selbst kaum mehr die Kraft hatte, außer Haus zu gehen und sich auf Konflikte einzulassen. Aber auch das ist nur eine vage Vermutung. Nicht ausgeschlossen ist zudem, ein mehr oder weniger „natürlicher“ Tod nach einer langen Krankheit. Aber selbst ein solcher „natürlicher“ Tod war unter den damaligen Bedingungen immer auch ein gewaltsamer Tod, Folge von Demütigung und psychischem Leid, aber auch auf Grund mangelnder medizinischer Versorgung. Von daher war es in jedem Fall richtig, dass nicht nur für seinen Sohn und seine Frau, sondern auch für ihn vor dem Haus in der Langenhainer Str. 14 im Jahr 2020 und ein Stolperstein verlegt wurde.[177]

Haus Löwenstein Wallau
Wiesbadener Str. 8, das Haus Löwenstein mit Mitgliedern der Familie um 1900, das später faktisch zu einem „Judenhaus“ wurde.
Mit Genehmigung von John Lowens / New York

Die Meldung vom Tod seines Vaters hatte Siegmund, der offenbar inzwischen wieder in Wallau gemeldet war, dem Standesamt überbracht. Kurz vor dessen Tod war ihm, der nun keinen „unwerten“ Nachwuchs mehr zeugen konnte, erlaubt worden, noch eine Ehe einzugehen.

Siegmund Leopold
Heiratsurkunde von Siegmund und Johanna Levita
Heiratsregister Bensheim 94 / 1941

Am 8. Dezember 1941 heiratete er in Bensheim Johanna Levita, geboren am 23. März 1898 in Attenhausen im Unterlahnkreis.[178] Zuvor hatte er beim Landrat des Main-Taunus-Kreises schon vorsorglich darum gebeten, dass er seine zukünftige Frau zu sich in das Judenhaus in der Wiesbadener Str. 8, wo er mit seinen Eltern inzwischen zu leben gezwungen war, holen dürfe. Siegmund Leopold, seit dem 5. Dezember 1939 im „Arbeitseinsatz“ bei der Firma ‚Gebr. Westenberger’ in Wallau beschäftigt, begründete seinen Wunsch in einem Schreiben vom 17. November 1941 – dem Tag, an dem in Bensheim das Aufgebot bestellt worden war – an den Landrat damit, dass seine Frau ihre Wohnung in Bensheim verlieren würde, weil die Stadt das einer jüdischen Familie gehörende Haus käuflich erwerben wolle. Auch könne seine zukünftige Frau die kranken Eltern – der Vater lebte damals noch – pflegen.[179] Dies verhinderte zunächst der Wallauer Bürgermeister Fein, der äußerst bemüht war, seine Gemeinde so schnell wie möglich „judenfrei“ zu machen und jeden weiteren Zuzug von Juden abwehrte. Zunächst war dieser auch mit seinem Veto erfolgreich. Der Landrat lehnte den Antrag am 17. November „aus grundsätzlichen Erwägungen heraus“ ab.[180]

Mitte Januar 1942 gab man dann doch die entsprechende Erlaubnis, weil man im Vorfeld der geplanten Deportationen Ehepaare aus organisatorischen Gründen zusammen haben wollte.
Am 16. Februar 1942, nach dem Tod seines Vaters, wiederholte Siegmund Leopold sein Gesuch und diesmal erhielt er eine positive Antwort, genauer gesagt, eine solche war bereits am 6. Februar 1942 von der Gestapo Frankfurt beschlossen worden, aber erst vier Wochen später, am 6. März, beim Landrat des Main-Taunus-Kreises eingegangen. Dann dauerte es noch einmal bis zum 20. März bis die Erteilung der Zuzugsgenehmigung von Johanna Leopold veranlasst wurde.[181]

„Organisatorische“ Gründe für die Zuzugsgenehmigung von Johanna Leopold
HHStAW 425 432 (91)

Dass der Antrag jetzt – wenn auch sehr zögerlich – positiv beschieden wurde, war aber nicht durch einen plötzlichen Anfall von Menschenfreundlichkeit zu verdanken, sondern war einzig einer möglichst reibungslosen Abwicklung der geplanten Deportation geschuldet. In einem Schreiben der Gestapo Frankfurt vom 14. Januar 1942 heißt es: Nach den gemachten Erfahrungen ist es bei einer evtl. Evakuierung besser, wenn die Eheleute zusammen wohnen, da die einzelnen jüdischen Familien nicht getrennt evakuiert werden können. Da der Ehemann dort im Arbeitseinsatz ist, wäre es angebracht, wenn die jüdische Ehefrau zu diesem zieht.“[182]

Überstellung von Siegmund Leopold zur Sammelstelle in Darmstadt
HHStAW 425 432 (97)

Ob die Genehmigung tatsächlich noch umgesetzt wurde, ist nicht sicher, aber Siegmund und Johanna Leopold gingen in jedem Fall gemeinsam in den Tod. Am 19. März 1942 wurde Siegmund zu Hause abgeholt und nach Darmstadt gebracht, eine der zentralen Sammelstellen für den geplanten Transport.[183] Ob er schon diese Fahrt gemeinsam mit Johanna machte oder ob sie von Bensheim aus nach Darmstadt gebracht wurde, konnte nicht geklärt werden. Ersteres ist aber insofern unwahrscheinlich, als in der Notiz des Ortspolizisten von Wallau nur von ihm die Rede ist: „Der Jude Sigmund Leopold, geb. am 19.2.06 in Kettenbach, Untertaunus, wohnhaft in Wallau, Wiesbadenerstraße 8, wurde auf Anordnung der Staatspolizei Frankfurt/Main vom 19.3.42 durch den Amtshilfen Sandmann der Gemeinde Wallau, nach Darmstadt überführt.(Zur Stapo Darmstadt)“[184]

Straße im Ghetto von Piaski
https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/photo/deserted-street-in-sighet-marmatiei

Von Darmstadt aus startete knapp eine Woche später am 25. März der Transport „Da 14“ mit etwa 1000 Jüdinnen und Juden aus unterschiedlichen Städten und Gemeinden des früheren Volksstaats Hessen in den Osten. Allein aus Mainz waren es 466 Personen, die in diesem Zug saßen. Das Ziel des Transports war das Ghetto Piaski bei Lublin,[185] in dem man zuvor Platz geschaffen hatte, indem man die bisher dort lebenden einheimischen Juden, etwa 3000, in den Tod schickte. Die Zustände die die Neuankömmlinge dort vorfanden, waren grauenhaft. Wer nicht schon auf dem Transport, wer nicht im Ghetto umkam, auf den warteten am Ende, als das Ghetto im Juni 1942 liquidiert wurde, die Gaskammern von Sobibor.[186] Wo und wann Johanna und Siegmund Leopold ihr Leben verloren, ist nicht bekannt.

Mina Leopold wurde zusammen mit den noch im Judenhaus lebenden Juden am 8. Juni 1942 mit einem Lastwagen von Wallau nach Frankfurt gekarrt, wo sie am Morgen des 11. Juni in der Großmarkthalle auf ihren Abtransport in den Osten warten musste. Es war derselbe Zug, den auch ihr Schwager und ihre Schwägerin Karl und Frieda Trief aus Wiesbaden besteigen mussten. Ihr Leben endete mit größter Sicherheit unmittelbar nach der Ankunft des Transports im Gas von Sobibor.[187]

Stolpersteine für die Familie Leopold in Wallau, Langenhainer Str. 14
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hofheim_am_Taunus_Wallau_Stolpersteine_Langenhainer_Stra%C3%9Fe_14.jpg

 

Salomon Leopold

Weit weniger weiß man über Adolfs Bruder Salomon Leopold, den zweiten Halbbruder von Frieda Trief. Nur eine dünne Devisenakte im Hessischen Landesarchiv gibt Auskunft über die letzten Monate seines Lebens.[188] So ist auch nicht bekannt, wann er seinen Heimatort Kettenbach verließ, aber immerhin ist bekannt, wann ungefähr er sich in dem kleinen Ort Welterod, heute zu Nastätten gehörend, niederließ.[189] Er heiratete dort – auch dieses Datum ist bisher nicht exakt bekannt – in die alteingesessene Viehhändlerfamilie Grünewald ein. Seine Frau Ida, geboren am 11. März 1882, war eines von fünf Kindern von Salomon und Eva Grünewald, geborene Löwenstein. Vermutlich hatte die Eheschließung von Salomon und Ida um 1911 stattgefunden, denn seit diesem Jahr waren sie als Miteigentümer des heutigen Hauses Rathausstr. 11 in Welterod eingetragen. Das Gebäude war ursprünglich von Idas Großvater Herz Grünewald erworben und von diesem dann auch erweitert worden. Bis zu ihrer eigenen Heirat mit Albert Daniel, einem gelernten Schuhmacher aus Oberdreis, der sich nach dem Ersten Weltkrieg in Welterod niederließ, wohnte auch Idas Schwester Selma in diesem Haus. Albert Daniel hatte längst seinen erlernten Beruf aufgegeben und war in das lukrativere Viehhandelsgeschäft eingestiegen. Er, sein Schwager und David Schönberg, ein weiterer jüdischer Viehhändler aus Welterod, hatten sich den regionalen Markt untereinander aufgeteilt, sodass jeder ein ausreichendes Einkommen bezog und Albert Daniel das Nachbarhaus von Ida und Salomon Leopold in der heutigen Gartenstr. 8 erwerben konnte. Neben dem Viehhandel betrieb man auch in kleinerem Umfang Landwirtschaft, um, abgesehen vom Eigenverbrauch, auch das Vieh versorgen zu können.

Bernd Köhler, der Chronist der jüdischen Geschichte des Ortes, dessen christlicher Vater ein Nachbar von Salomon Leopold war, berichtet, dieser habe oft mit Salmon, wie er verkürzt in Welterod nur gerufen wurde, zusammen das Vieh in die Rheingauer Höhengemeinden getrieben. Dieser habe dabei unter ständigem „Batschen“ in die eigenen Hände ununterbrochen fiktive Verkaufsgespräche mit sich selbst in jiddischer Sprache geführt – noch ein geradezu idyllisches Bild von Friede und Eintracht.

Hinweis auf die geplante Auswanderung von Salomon und Ida Leopold
HHStAW 519/3 3332 (1)

Als Salomon Leopold Jahre später am 1. März 1940 einen Brief an die Devisenstelle in Frankfurt richtete, in dem er darum bat, ihm die Rückkaufgenehmigung seiner Lebensversicherung zu erlauben, weil er, der über keine nennenswerten Mittel verfüge, den Betrag für seine geplante Auswanderung benötige, da müssen schlimme Jahre und Erfahrungen hinter im gelegen haben. Das friedliche und sogar freundschaftliche Verhältnis der Religionsgemeinschaften untereinander war inzwischen weitgehend erodiert. Darüber, ob und wie sehr die jüdischen Mitbürger schon in den Jahren seit der „Machtergreifung“ allmählich ausgegrenzt wurden, liegen nur sporadische Informationen vor. Aber es wäre schon verwunderlich, wenn nicht gerade auch ein jüdischer Viehhändler wie Salomon Leopold den Stimmungswandel zu spüren bekommen hätte. Gerade gegenüber dieser jüdisch dominierten Berufsgruppe gab es überall in der bäuerlichen Bevölkerung Vorurteile, die ein zumindest ambivalentes Verhältnis begründeten.

Spätestens seit dem Novemberpogrom 1938 wussten die jüdischen Bewohner, dass es für sie in Welterod auf Dauer keinen Platz mehr gab. Am 9. November wurden sie nach Nastätten verschleppt und dort mit denen aus anderen Gemeinden in die Synagoge gesperrt, wo man sie weiter drangsalierte. „Am Morgen des 10. November 1938“ so heißt es in einem Bericht über die damaligen Ereignisse, „sah ein Zeitzeuge Welteroder Juden auf dem 8 Kilometer weiten Heimweg von Nastätten kommend. Er berichtete, dass sie barfüßig waren, und ihre Füße bluteten.“[190] Aber es ging noch weiter. Außergewöhnlich für einen so kleinen Ort ist die sexualisierte Gewalt, mit der man gegen einzelne Opfer vorging:

Es blieb nicht bei den Misshandlungen und Drangsalierungen dieser einen Nacht. Augenzeugen berichteten davon, dass in der Folgezeit bis zur Verschleppung und Ermordung u. a. eine jüdische Bürgerin aus ihrem Haus getrieben und mit Stockschlägen unbekleidet durch das Dorf von jungen Männern gejagt wurde. Eine gehbehinderte junge Frau sperrte man in einen Gluckenkasten und urinierte auf die Geschundene.“ [191]

Man muss einschränkend feststellen, dass es sich bei den Tätern ausschließlich um Jugendliche handelte und einige der älteren Bewohner des Ortes ihr Entsetzen über das Geschehen deutlich zum Ausdruck brachten. An der Freundschaft zu ihren geschundenen Mitbürgern hielten manche auch weiterhin, auch unter hohen persönlichen Risiken, fest.[192]

Ob auch das Ehepaar Leopold an diesen Novembertagen unmittelbar betroffen war, ist nicht bekannt. Aber warum hätte man sie verschonen sollen? Auch wenn die beiden damals vielleicht zufällig nicht anwesend gewesen sein sollten, so haben sie ganz sicher spätestens jetzt den Entschluss gefasst, diesen Ort und das Land überhaupt so bald als möglich zu verlassen. Aber es hat noch eineinhalb Jahre gedauert, bis sie tatsächlich wegzogen – sicher eine sehr bedrückende Zeit in einer so kleinen Gemeinde, in der man seinen Peinigern täglich begegnete.

Einen Einblick in die Stimmung im Ort und Kreis gewährt ein Schreiben des NSDAP-Kreisleiters vom 9. September 1939 an den Landrat des Rheingaukreises, in dem es um einen Antrag von Salomon Leopold ging, ihm für Drescharbeiten an einem Wochentag jüdische Zwangsarbeitskräfte aus dem Lager Werkerbachweg zur Verfügung zu stellen. Erstaunlich ist zunächst einmal, dass jüdische Zwangsarbeiter überhaupt Juden zur Verfügung gestellt wurden.[193] Ursprünglich hätten diese sonntags kommen sollen, um ihren eigentlichen Arbeitsauftrag im Lager erfüllen zu können. Da es aber nicht möglich war, die Dreschmaschine an einem Sonntag zurückzubringen, musste ihnen und Salomon Leopold die Erlaubnis erteilt werden, die Arbeiten an einem Werktag auszuführen. Tatsächlich wurde das genehmigt, allerdings mit der Auflage, dass die Arbeiter dafür ersatzweise zusätzlich an einem Sonntag im Lager arbeiten mussten. Interessant ist dann noch der Schlusssatz des Kreisleiters: „Im übrigen wird es dieses Jahr das letzte Mal sein, daß der Jude eine Dreschmaschine und Arbeitskräfte für eigene Erzeugnisse benötigt.“[194]
Da zu diesem Zeitpunkt damit kaum verklausuliert die spätere Vernichtung gemeint sein kann, ist hier vermutlich die geplante Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus dem Ort angesprochen. Auch Welterod wollte „judenfrei“ werden.

Vermögenserklärung von Salomon Leopold
HHStAW 519/3 3332 (4)

Während viele der Welteroder Juden später in das Zwangsarbeitslager Friedrichssegen verbracht und von dort aus deportiert wurden,[195] hatten Leopolds vermutlich bald nach dem Pogrom ihre Auswanderung in Angriff genommen. Das hatte zur Folge, dass sie sich auch von ihrem Eigentum trennen und ihr Haus verkaufen mussten. Am 6. Juni 1940 war zwischen dem Ehepaar Leopold und der Nassauischen Siedlungsgesellschaft ein Vertrag zustande gekommen, laut dem ihr Haus für 3.700 RM an die Gesellschaft übereignet werden sollte. Dem Vertrag wurde von den NS-Behörden mit der Maßgabe zugestimmt, dass der Erlös auf ein gesichertes Konto eingezahlt würde.[196] Der Preis lag 100 RM unter dem Einheitswert des Hauses, aber nur 600 RM wurde auf das gesicherte Konto überwiesen, da zunächst eine Hypothek über 3.100 RM bedient werden musste.[197] Das war kaum genug, um eine Auswanderung zu finanzieren, zumal Salomon Leopold in seiner Vermögenserklärung vom 19. März 1940 angegeben hatte, weitere private Schulden von etwa 700 RM zu haben. Ob er zur Judenvermögensabgabe und zur Reichsfluchtsteuer herangezogen wurde, ist nicht bekannt, aber angesichts seines Vermögens von weniger als 1.700 RM eher unwahrscheinlich.[198] Zwar hatte er noch Außenstände in der Höhe von knapp 500 RM, aber die waren, wie er schrieb, „uneinbringlich“. Neben dem Haus und den 70 RM auf seinem Konto waren zwei Kühe im Wert von 800 RM noch sein größtes Vermögen. Sein Einkommen hatte schon im vergangenen Jahr unterhalb der Bemessungsgrenze gelegen und das – so gab er weiter an – würde sich auch im laufenden Jahr nicht ändern. Gewährt wurde ihm daraufhin ein Freibetrag von 200 RM im Monat.[199]

Salomon Leopold
Salomon Leopold teilt der Devisenstelle mit, dass er Weltenrod verlassen hat und nach Frankfurt gezogen ist
HHStAW 519/3 3332 (21)

Ob der Verkauf des Hauses der unmittelbare Anlass für den Umzug nach Frankfurt war oder ob es noch weitere Gründe gab, ist nicht bekannt. Ein Edmund Grünewald, wohnhaft in Frankfurt und vermutlich ein enger Verwandter von Ida Leopold, teilte der Devisenstelle am 22. April 1940 den Umzug von Salomon und Ida Leopold nach Frankfurt in die Fischerfeldstr. 8 bei Löwenthal mit.[200] Sie blieben aber nur kurz dort wohnen. Schon am 11. Juni 1940 meldete erneut Edmund Grünewald den nächsten Umzug der beiden in die Rossdorferstr. 23/1 Hinterhaus.[201] Da es sich hierbei um die Adresse von einem der Frankfurter Judenhäuser handelte,[202] wird man davon ausgehen können, dass dieser Umzug kaum freiwillig geschah. Die Auswanderungspläne müssen sie inzwischen aufgegeben haben. Für einen Mittellosen war es nach Ausbruch des Krieges schier unmöglich, über die Grenze zu kommen, zumal auch die Nachbarstaaten inzwischen von Deutschland besetzt waren.

Im November 1941 mussten sich Salomon und Ida Leopold, wie weitere fast 1000 Jüdinnen und Juden, drei Tage vor der für den 22. November anberaumten Deportation in der Frankfurter Großmarkthalle einfinden. Zwar gibt es von ihnen selbst keine Nachrichten aus diesen letzten Tagen, aber Monica Kingreen hat eine Reihe von Abschiedsbriefen gesammelt, die die Ängste, Befürchtungen und die Verzweiflung der Menschen dieses Transports dokumentieren. Auch Zeitzeugen konnten später davon berichten, wie die Menschen aus ihren Wohnungen geholt und zur Sammelstelle getrieben wurden. Der Sonderzug „Da 28“ brachte sie nicht nach Riga, wie eigentlich geplant, sondern nach Kaunas / Kowno im heutigen Litauen. Unter litauischer Polizeibewachung wurden die Insassen in einem langen Marsch vorbei am Ghetto zum einige Kilometer entfernten Fort IX getrieben. Das Gepäck hatten sie am Bahnhof zurücklassen müssen, was die Ängste steigerte, man werde sie doch nicht, wie versprochen, umsiedeln, sondern umbringen. Im Fort war bereits alles für die Mordaktion vorbereitet. Die Gruben waren ausgehoben, als die Opfer am nächsten Morgen bei Temperaturen um die 18 Grad minus nackt in Gruppen von jeweils etwa 60 bis 80 Menschen vor die Massengräber getrieben und mit Maschinengewehrsalven niedergestreckt wurden. Eine „Lage“ von Toten oder auch nur Angeschossenen wurde auf die andere gelagert und schließlich mit Erde zugedeckt. In gleicher Weise wurde mit den Deportierten aus den Transporten aus Berlin und München verfahren, die in den Tagen zuvor in Kowno angekommen waren. Insgesamt etwa 3000 Menschen wurden an diesem Tag, dem 25. November 1941, im Fort IX auf bestialische Weise umgebracht. Salomon und Ida Leopold aus Welterod waren zwei von ihnen.[203]

Massenerschießungen im Fort IX bei Kowno
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Isidor Leopold

Noch vor Salomon wurde sein Halbbruder Isidor, das erste Kind aus der Ehe von Loeb Leopold und seiner zweiten Frau Röschen, Opfer des NS-Regimes und seiner mörderischen Maßnahmen zur Rassehygiene.

Isidor Leopold
Heirats- und Scheidungs-eintrag von Isidor und Rosa Leopold
Heiratsregister Wiesbaden 967 /1908

Auch er übte ursprünglich den Beruf eines Handelsmanns aus und war zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt nach Wiesbaden gezogen. Dort heiratete er am 29. Dezember 1908 die aus seinem Heimatort Kettenbach stammende Rosa Kahn, geboren am 29. Mai 1884 als Tochter von Jakob und Ettel Kahn, geborene Roos.[204] Die beiden wohnten damals auch schon zusammen in der Yorkstr. 4, aber erst im Wiesbadener Adressbuch aus dem Jahr 1910 findet man einen Eintrag für sie. Zwei Jahre später zogen sie bzw. wahrscheinlich nur er, um in die Bleichstr. 47 in den zweiten Stock. In diesem Jahr 1912 wurde am 26. April die Ehe der beiden offiziell wieder geschieden und im September nahm Rosa wieder ihren Familienname Kahn an.[205]

Die Gründe für die Trennung sind nicht bekannt, aber möglicherweise spielte hierbei schon die spätere psychische Erkrankung eine Rolle, denn Isidor Leopold wurde zu einem ebenfalls nicht bekannten Zeitpunkt in die 1911 eröffnete Heil- und Pflegeanstalt Herborn eingeliefert.[206] Ursprünglich war die neu errichtete psychiatrische Einrichtung baulich und auch organisatorisch so konzipiert, dass sie nicht mehr den Charakter bloßer Verwahranstalten hatte, sondern auch therapeutisch neue Wege eingeschlagen werden sollten. Der angegliederte Gutshof diente sowohl der Selbstversorgung als auch für beschäftigungstherapeutische Maßnahmen. Aber es mangelte auch hier an geeignetem Pflegepersonal und gerade während des Ersten Weltkriegs, den Isidor Leopold möglicherweise schon in dieser Institution verbrachte, auch an genügender Verpflegung.[207] Auch waren die ursprünglichen therapeutischen Ziele kaum zu realisieren, weil die abgebenden Anstallten zumeist nur die Schwerstkranken nach Herborn überstellten. Aber erst mit dem Beginn der NS-Herrschaft veränderte sich auch dort die Situation dramatisch.

Psychiatrie Herborn Klara Appel, Friedberg, Klara Kassel Wiesbaden
Die Heil- und Pflegeanstalt Herborn um 1925
Mit Genehmigung Sammlung Rorbeck

Jüdische Patienten in Heil- und Pflegeanstalten nahmen im NS-Staat in doppelter Weise eine Opferrolle ein – unwertes Leben aus gleich zwei rassehygienischen Gründen. Und es ist sicher kein Zufall, dass sie die ersten waren, die der systematischen Ermordung anheim fielen. Waren bisher jüdische und nichtjüdische Patienten in solchen Anstalten gemeinsam untergebracht, so begann man im Sommer 1938 mit einer strikten Trennung, angeblich wegen der Gefahr der Rassenschande. Zumindest ein Nebeneffekt dieser Segregation war es, dass man die Unterbringungskosten für die jüdischen Patienten durch Mangelernährung jetzt problemlos drücken konnte. In Herborn, wo in dieser Zeit Isidor Leopold vermutlich untergebracht war, starb eine ganze Reihe von Patienten noch bevor das systematische Morden begann, an unzureichender Ernährung.[208]

Pschiatrie Herborn, Klara Appel, Klara Kassel
Schlafsaal in der Heil- und Pflegeanstalt Herborn um 1925
Mit Genehmigung Sammlung Rohrbeck

Die Vorbereitungen für die unter dem Decknamen „T4“ geplante Liquidierung der Kranken begannen im Frühjahr 1940 mit der Aufforderung an alle Anstalten vom 15. April, ihre jüdischen Patienten zu melden, eine Anordnung, die vom hessischen Reichsstatthalter am 26. April für seinen Bereich weitergegeben wurde.[209] Für die verschiedenen Gebiete in Deutschland wurden bestimmte Sammellager bestimmt, zuständig für das nördliche Hessen und Teile Westfalens wurde die Heil- und Pflegeanstalt Gießen. In der nächsten Phase wurde per Schnellbrief vom 30. August 1940 von der Abteilung IV im Innenministerium, Sitz in Berlin, Tiergartenstr. 4, deshalb die Tarnbezeichnung „T4“, die Verlegung der Patienten in die jeweiligen Sammellager angeordnet, für Herborn und damit für Isidor Leopold also Gießen. Spätestens bis zum 25. September 1940 sollten sie dort eintreffen. Mit diesem Datum ist sein Name im Abgangsbuch der Herborner Klinik versehen.[210] Mitgeliefert werden sollten die Krankenakten,[211] Geld und andere Wertsachen, sowie die Kleidung. Auch sei es sinnvoll, die Namen der Patienten auf einem auf den Rücken geklebten Leukoplaststreifen zu notieren.
Die Angehörigen wurden von dieser Verlegung mittels einer Postkarte in Kenntnis gesetzt.[212] Die aus Herborn angelieferten Patienten stellten mit 36 bzw. 39 die größte Gruppe der insgesamt 126 Überstellten dar.[213]

Wo die Patienten in Gießen genau untergebracht wurden, konnte bisher nicht mit Sicherheit geklärt werden, auch nicht, ob sie nach Geschlechtern getrennt wurden und wenigstens zwei Räume zur Verfügung hatten, wo sie vermutlich auf Strohsäcken oder auch nur Strohschüttungen „gelagert“ wurden. Unter ihnen waren auch einige schwer kranke und bettlägerige Patienten. Man mag sich diese grauenhafte Situation, die eine Woche lang dauerte, gar nicht vorstellen.

Zellengebäude Brandenburg
https://www.brandenburg-euthanasie-sbg.de/fileadmin/user_upload/Gedenkstaetten/Euthanasie-Morde/Bilder/Quaeschning/aZH_8.jpg

Am 1. Oktober 1940 wurde das Sammellager aufgelöst und die Patienten der Tötungsanstalt Brandenburg, einem ehemaligen Zuchthaus, zugeführt. Im Erdgeschoss befand sich der Vergasungsraum, in dem alle aus Gießen angelieferten Personen vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Zuvor waren sie durchnummeriert und mit einer aufgeklebten Zahl versehen worden. So konnte man diejenigen, bei denen man bei einer groben Untersuchung Zahngold gefunden hatte, auch noch als nackte Leichen identifizieren. Mit dem Herausbrechen des Goldes konnte sogar dem „unwerten Leben“ noch ein Wert abgewonnen werden, bevor man die Leichen in einem Verbrennungsofen beseitigte. Zwischen Februar und November 1940 fanden in diesem kahlen Raum mehr als 9700 behinderte Menschen den Tod.[214]
Den Angehörigen und auch der ‚Reichsvereinigung der Juden’ wurde auf Nachfrage die Verlegung, aber nicht die Tötung der Kranken mitgeteilt. Sie seien, so hieß es, aus Kostengründen in das Generalgouvernement gebracht worden, mehr war auch auf weiteres Nachhaken bei der ‚Krankentransport Gmbh.’ nicht zu erfahren.
Erst ein knappes halbes Jahr später erhielten die Kostenträger, wie die ‚Reichsvereinigung der Juden’, und Standesämter der Geburtsorte der Patienten eine Nachricht von ihrem „Ableben“. Ein halbes Jahr lang kassiert der NS-Staat auf diese Weise – zudem überhöhte – Pflegegelder für die längst Ermordeten. Das eigentlich Perfide daran war aber, dass diese Schreiben nicht aus Brandburg, sondern vom Standesamt Cholm im Generalgouvernement kamen, wohin die Kranken angeblich gebracht worden waren. Zur Verschleierung der Mordaktion wurden die Sterbeurkunden zwar in der „T4“-Zentrale ausgestellt, versehen mit dem Absender Cholm, per Bote dorthin gebracht worden und dann mit dem dortigen Poststempel an die jeweiligen Adressaten verschickt worden.[215]
Wie alle anderen Euthanasieopfer dieser Aktion wurde auch Isidor Leopold nicht in Cholm, sondern in Brandenburg ermordet.

 

Die Schwestern Settchen und Betti Leopold

Juden Judenhaus Wiesbaden Adelheidstr. 94
Die Adelheidstr. 94 heute
Eigene Aufnahme

Am gleichen Tag, an dem Karl und Frieda Trief ihre Wohnung in der Schenkendorfstraße verließen, zogen auch die beiden Schwestern dort aus. Settchen wird sich in der Verantwortung für ihre kranke Schwester gesehen haben und deshalb mit ihr in die neue Wohnung gezogen sein, die sie in der Adelheidstr. 94 gefunden hatten. Das Haus gehörte ursprünglich dem jüdischen Kaufmannsehepaar Adolf und Amalie Salomon, geborene Löb. Adolf Salomon war aber bereits 1929 verstorben, sodass die Witwe inzwischen alleinige Eigentümerin war. Ihre Tochter hatte mit ihrer Familie Deutschland bereits verlassen und die Mutter, inzwischen weit über 70 Jahre alt, mit ihrem Sohn Fritz zurückgelassen. Um ihn war sie in ständiger Sorge, denn zum einen kam er als ehemaliger Sozialdemokrat, zum anderen – heute würde man sagen – wegen seiner dissozialen Persönlichkeit immer wieder in Konflikt mit dem NS-System. Auch litt er an Epilepsie und gehörte damit wie auch Betti Leopold zu den Menschen, für die das Leben unter den gegebenen politischen Verhältnissen immer schwerer zu ertragen war. Vielleicht war das auch ein Grund, weshalb Amalie Salomon die beiden Schwestern in ihrem Haus aufnahm. Noch – im Frühjahr 1939 – galt es nicht offiziell als Judenhaus, aber die Verwaltung der Liegenschaft, die zuvor Fritz Salomon ausgeübt hatte, war angeblich wegen seiner Erkrankung bereits weitgehend in die Hände des von der DAF eingesetzten und der NSDAP nahe stehenden Hausverwalters Briel gelangt.
Etwa zu der Zeit als die beiden Schwestern einzogen, hatte die bisher dort wohnende Familie Keh ihre Emigration in die Wege geleitet. Ob es einen direkten Zusammenhang zwischen deren Auszug und dem Einzug der Schwestern gab, ist nur schwer feststellbar, da weder bekannt ist, wann genau Kehs ihre Wohnung räumten, noch in welcher Etage sie lag. Als die beiden Schwestern – laut Gestapo-Kartei – am 30. März 1939 dort einzogen, erhielten sie zwei Zimmer im Parterre, wo sie auch bis zuletzt bleiben konnten. Allerdings mussten sie sich zuletzt die beiden Zimmer samt Küche mit Sofie Preis teilen.[216]

Leopold Kettenbach
Verkauf des Elternhauses in Kettenbach
HHStAW 519/3 3612 (2)

Das Haus ihrer Eltern in Kettenbach, das die beiden ledigen Töchter wohl von ihren Eltern alleine geerbt hatten, war vor nicht allzu langer Zeit an die Passavantwerke in Michelbach verkauft worden.[217] Diese zeitliche Abfolge legt die Anfrage der Vereinsbank Wiesbaden bei der Devisenstelle Frankfurt vom 4. Juli 1939 nahe, in der diese eine Bitte der beiden Schwestern weitergabt, ihnen jeweils 300 RM von dem gesicherten Konto freizugeben, auf dem der Verkaufserlös des Hauses von jeweils 2.750 RM hatte festgelegt werden müssen. Sie begründeten ihren Antrag mit der notwendigen Anschaffung von Möbeln, die sicher mit dem Einzug in die Adelheidstr. 94 notwendig geworden war. Auch baten sie darum, dass man ihnen jeweils monatlich die gleiche Summe für ihren Lebensunterhalt bereitstellen möge.[218]

Zunächst hatte man auch auf der Devisenstelle für beide Schwestern nur eine gemeinsame JS-Akte angelegt, am 29. April 1940 aber verfügt, dass Settchen aus der Akte JS-4463 zu streichen sei und für sie eine eigene erstellt werden solle. Die beiden Schwestern gaben bei der geforderten Vermögenserklärung, obwohl sie auch weiterhin zusammen wohnten, nun jeweils auch einen eigenen Haushalt an. Als Vermögenswerte waren bei beiden zu diesem Zeitpunkt noch etwa 2.500 RM aus dem Hausverkauf auf den Sperrkonten vorhanden.[219]

Ihr Leben mussten sie mit diesem kleinen Vermögen bestreiten, dass sich durch die Abhebung der monatlichen Freibeträge allmählich reduzierte. Settchen Leopold hatte der Devisenstelle einen monatlichen Bedarf von 100 RM gemeldet, der ihr am 30. Mai 1940 auch gewährt wurde,[220] Bei Betti, die ihren Bedarf mit 120 RM angesetzt hatte, war die Devisenstelle geradezu großzügig. Sie sollte sogar über 150 RM verfügen dürfen.[221]

Betti Leopold
Beleg für die Zwangsarbeit von Betti Leopold
HHStAW 519/3 3612 (9)

Bettis Gesundheitszustand musste sich inzwischen soweit stabilisiert haben, dass sie und nicht ihre allerdings sieben Jahre ältere Schwester noch zur Zwangsarbeit herangezogen wurde. Mit ihrem Wochenlohn von etwa 9 bis 10 RM, den sie bei der „Verbandstofffabrik Söhngen“ in Wiesbaden verdiente, konnte sie ihre finanzielle Lage nur geringfügig verbessern. Immerhin erlaubte ihr die Devisenstelle, das Geld in bar entgegenzunehmen.[222]
Daneben wurden die beiden auch weiterhin von ihrem Schwager Karl Trief bzw. von ihrer Schwester Frieda finanziell unterstützt. Noch im Juni 1940 teilte Settchen ihrem Schwager gemäß den Bestimmungen der Sicherungsanordnungen mit, dass Zahlungen an sie zukünftig nur noch über das gesicherte Konto bei der Vereinsbank Wiesbaden laufen dürften.[223]

Settchen und Betti Leopold auf der Deportationsliste des 10. Juni 1942
HHStAW 519/2 1381

Über das Leben der beiden Schwestern in dem inzwischen gefüllten Haus sind aus der folgenden Zeit bis zu ihrer Deportation am 10. Juni 1942 keine Spuren mehr zu finden. Sie waren zwei von insgesamt 16 Menschen, die sich an diesem Tag, wie auch ihre Schwester Frieda und ihr Schwager Karl, am Wiesbadener Bahnhof einzufinden hatten, um von dort den Weg über Frankfurt und Lublin in das Vernichtungslager Sobibor anzutreten. Da man auch ihr tatsächliches Todesdatum nur erahnen kann, vermutlich der Tag der Ankunft, wurde es nach dem Krieg amtlich auf den 8. Mai 1945 festgelegt.[224]
Ein kurze Schreiben, in dem der Wiesbadener Vereinsbank von der Devisenstelle Frankfurt am 1. Juli 1942 der Einzug des restlichen Vermögens von Betti und Settchen Leopold mitgeteilt wurde, markiert das verwaltungsmäßige Ende dieser beiden Leben. Damit war eine ganze Familie für immer ausgelöscht. Keines der Geschwister hatte den Holocaust überlebt und auch der einzige Nachkomme, Siegmund, der Sohn von Adolf Leopold, war dem Rassenwahn zum Opfer gefallen.

 

 

Veröffentlicht: 24. 05. 2024

 

 

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Anmerkungen:

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[1] Zur Industrie der Stadt gehörten in den Jahren 1881–1885 zwei Getreidemühlen, zwei Ziegeleien und zwei Albuminfabriken. Darüber hinaus gab es bereits ein umfangreiches Handwerk und Gewerbe. Das bestand aus: 1 Apotheker, 2 Schuhmacher, 2 Schneider, 4 Chirurgen, 5 Bäcker, 2 Hebammen, 1 Maurer, 1 Mischwarenhändler, 43 Getreidehändler, 7 Holzhändler, 4 Kaufleute Mehl und Grütze, 1 Propinpächter, 2 Textilhändler, 1 Gewürzladen, 3 Tuchhändler, 9 Weinhändler und Gastwirte, 6 Spekulanten, 3 Geldwechsler, 10 Faktoren, 25 Spediteure und Kommissionäre, 8 Gastwirte, 1 Kaffeehausbesitzer, 17 Gastwirte. Siehe https://pl-m-wikipedia-org.translate.goog/wiki/Podwo%C5%82oczyska?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de. (Zugriff: 20.5.2024).

[2] https://www.jewishgen.org/yizkor/podvolochisk/pod001.html#Mytown. (Zugriff: 20.5.2024). Farber zeichnet in seinem Artikel ein umfassendes Bild dieser jüdisch geprägten Stadt.

[3] HHStAW 518 66548 (o.P.) und HHStAW 518 66549 (22). Über weitere Lebensdaten der Eltern ist nichts bekannt.

[4] Es sind im Besonderen die offiziellen staatlichen Dokumente, die das Jahr 1881 nennen, darunter das Familienregister in Mainz, die Heiratsurkunde aus Kettenbach und auch in der amtsgerichtlichen Feststellung seines Todes wurde 1881 angenommen. Auch er selbst gab in der Vermögenserklärung von 1940 seinen Geburtstag mit dem 26.4.1881 an, ebenso in derselben Akte die Zollfahndungsstelle Mainz. Die Quellen, die das Jahr 1888 nennen, stammen alle aus der Nachkriegszeit, allerdings ist das Jahr fast durchgängig in den Entschädigungsakten angegeben, die auf den Angaben der Töchter beruhen. Die im Arolsen Archiv vorhandene Liste über deutsche Juden, nennt ebenfalls das spätere Jahr, eine weitere Liste über Zwangsarbeit im Dritten Reich, in der auch Karl Trief gelistet ist, hingegen wieder 1881. Auf dem Namensfries der Gedenkstätte am Wiesbadener Michelsberg ist wiederum bisher noch das mit größter Wahrscheinlichkeit falsche Jahr 1888 angegeben.

[5] HHStAW 518 66549 (o.P.). Geburtsurkunde aus Podwolocyska. In den amtlichen Dokumenten, etwa den von ihm zum Teil selbst ausgefüllten Formularen in den Entschädigungsakten, aber auch im Heiratseintrag beim Standesamt Wiesbaden ist fälschlicherweise immer der 4. Mai als sein Geburtstag angegeben. Dies war allerdings, wie sich aus seiner Geburtsurkunde eindeutig ergibt, nicht der Tag der Geburt von Schame Siegfried, sondern der der Beschneidung.

[6] HHStAW 518 66548 (o.P.). Geburtsurkunde aus Podwolocyska.

[7] Heiratsregister Kettenbach 8 / 1907.

[8] Heiratsregister Michelbach 4 / 1879 und Sterberegister Kettenbach 13 / 1920.

[9] Sie war die Tochter des Handelsmanns Salomon Fried, Sterberegister Michelbach 57 / 1878.

[10] HHStAW Bestand 362/27 Nr. Hausen üA 6 (92).

[11] Heiratsregister Wallau 3 /1905.

[12] Geburtsregister Michelbach 113 / 1878.

[13] Sterberegister Michelbach 57 / 1878.

[14] Heiratsregister Michelbach 4 / 1879. Ihre Eltern waren Isaak I und Sette Simmon.

[15] Geburtsregister Michelbach 55 / 1880.

[16] Geburtsregister Michelbach 97 / 1882.

[17] Geburtsregister Michelbach 77 / 1884 und  Geburtsregister Michelbach 72 / 1891.

[18] Sterberegister Kettenbach 13 / 1920, zu Röschens Todesjahr siehe https://www.alemannia-judaica.de/burgschwalbach_friedhof.htm. (Zugriff: 20.5.2024).

[19] Geburtsregister Mainz 782 / 1908 und 859 / 1913.

[20] HHStAW 518 11145 (73).

[21] HHStAW 518 14268 (7). Dieses Lyzeum ist nicht mit dem am Schlossplatz zu verwechseln, das im Krieg zerstört wurde. Aus der ehemaligen Mädchenoberschule am Boseplatz, jetzt Platz der deutschen Einheit, ging die heutige Elly-Heuss-Schule hervor.

[22] Ebd. (84 f.).

[23] HHStAW 518 66549 (22).

[24] HHStAW 518 66548 (o.P.).

[25] Ebd. (o.P.).

[26] Ebd. (o.P.). Diesmal fiel das Zeugnis nicht gleichermaßen gut aus, was aber nichts bedeuten muss. Es heißt darin: „Er war ehrlich und fleißig und gab sich Mühe uns zufriedenzustellen.“.

[27] HHStAW 518 14268 (84). Darüber, ob auch Siegfried Trief eingezogen worden war, liegen keine Informationen vor.

[28] HHStAW 518 66548. (o.P.).

[29] Heiratsregister Mainz 202 / 1920.

[30] Familienregister Mainz 44634.

[31] Erstmals sind sie im Wiesbadener Adressbuch 1902/03 aufgeführt. Am 28.1.1903 war auch in Wiesbaden ein Bruder von Alice Strauss namens Hans Joseph geboren worden. Er lebte nur ein knappes halbes Jahr und verstarb am 22.6.1903. Geburtsregister Wiesbaden 215 / 1903 und Sterberegister Wiesbaden 799 / 1903.

[32] HHStAW 518 66548 (17).

[33] Geburtsregister Wiesbaden 394 / 1924, Begräbnisliste Jüdischer Friedhof Platter Straße HHStAW 365 / 916.

[34] Geburtsregister Wiesbaden 845 / 1925. Begräbnisliste Jüdischer Friedhof Platter Straße HHStAW 365 / 916.

[35] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/25532056:7488. (Zugriff: 20.5.2024).

[36] Heiratsregister Wiesbaden 1063 / 1922 und HHStAW 518 14795 o.P.) Geburtseintrag aus Patrauti / Bucovina, heute Petrisoru.

[37] HHStAW 518 14795 (o.P.).

[38] Ebd. (45).

[39] HHStAW 518 66549 (22).

[40] HHStAW 518 910 (122).

[41] HHStAW 518 38583 (49). Handelsregisterauszug.

[42] HHStAW 518 38583 (49).

[43] Heiratsregister Wiesbaden 1063 / 1922. Da die Braut den gleichen Nachnamen wie sein ehemaliger Arbeitgeber in Darmstadt hat, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Beziehung der beiden während dieser Zeit ergeben hat. In Wiesbaden wohnten die beiden am Tag der Eheschließung schon gemeinsam in der Schwalbacher Str. 57. Da auch die Braut aus Rumänien stammte, könnte es sogar sein, dass Adolf Hellmann durch die Vermittlung der Rosenstocks überhaupt in die hiesige Gegend kam.

[44] Heiratsregister Wiesbaden 573 / 1924.

[45] Die Angabe von Siegfried Trief ist schon sprachlich nicht klar. Er schrieb in seinen Erläuterungen zum Verfolgungsvorgang: „Im Jahre 1924 verlobte ich mich und zu dieser Zeit kaufte das Geschäft der Firma Hellmann und Trief fuer 6,000 Goldmark.“ HHStAW 518 66549 (22)

[46] Blum schrieb in seinem Gutachten nicht ganz präzise, dass Karl Trief sein Einzelhandelsgeschäft später aufgegeben und ein Großhandelsgeschäft errichtet habe, HHStAW 518 910 (122), dazu HHStAW 518 945 (19).

[47] HHStAW 518 38583 (49) und HHStAW 518 11145 (106). Der Vertrag selbst ist zu finden unter HHStAW WiK 4488-99 (70-72).

[48] So die Auskunft des Finanzamt Wiesbadens vom 5.12.1956, HHStAW 518 910 (18). Das Papier sei wegen des generellen Papiermangels eingestampft und zu neuem Papier verarbeitet worden.

[49] HHStAW 518 38583 (4).

[50] HHStAW 518 14795 (o.P.).

[51] HHStAW 518 910 (122). Die Angabe von 100.000 RM monatlichem Umsatz findet man auch in HHStAW 518 11145 (106).

[52] Geburtsregister Kettenbach 72 / 1891.

[53] HHStAW 430-18368 (35, 36 ff.).

[54] Ebd. (26).

[55] Ebd. (o.P.).

[56] HHStAW 518 14795 (10).

[57] Ebd. In einem im Rahmen des Rückerstattungsverfahrens erstellten Gutachten aus dem Jahr 1956 sind die Mieter, Einnahmen und Ausgaben des Hauses nach der Arisierung detailliert aufgeführt, siehe HHStAW WiK 4498-99 II (o.P).

[58] HHStAW 518 910 (122).

[59] HHStAW 518 14795(19).

[60] Ebd. (38).

[61] HHStAW 519/a 1761 I (107).

[62] HHStAW 518 66548 (65, 73, 74).

[63] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/21313516:7488. (Zugriff: 20.5.2024).

[64] https://www.myheritage.de/research/collection-11018/israel-einwanderungslisten?itemId=648162-&action=showRecord&recordTitle=%D7%90%D7%9C%D7%91%D7%A8%D7%98+%D7%98%D7%A8%D7%99%D7%99%D7%A3. (Zugriff: 20.5.2024).

[65] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/25532056:7488. (Zugriff: 20.5.2024). Als Kontaktperson in den USA gaben sie den Schwager Salomon Schubert an.

[66] HHStAW 518 14795 (8).

[67] Ebd. (8a).

[68] Ebd. (8).

[69] Ebd. (o.P.).

[70] https://www.myheritage.de/research/collection-11018/israel-einwanderungslisten?itemId=168353-&action=showRecord&recordTitle=%D7%90%D7%93%D7%95%D7%9C%D7%A3+%D7%94%D7%9C%D7%9E%D7%9F. (Zugriff: 20.5.2024).

[71] HHStAW 518 66548 (28). Fälschlicherweise heißt es in dem 2019 vom Aktiven Museum Spiegelgasse herausgegebenen Erinnerungsblatt für Karl und Frieda Trief, die OHG sei anlässlich des Todes von Adolf Hellmann und der Emigration von Albert Trief aufgelöst worden. Siehe https://www.am-spiegelgasse.de/offline/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Trief-Karl.pdf. (Zugriff: 20.5.2024).

[72] Die Eintragung in das Handelsregister erfolgte allerdings erst am 10.2.1931, siehe HHStAW 518 66549 (14, 25).

[73] Ebd. (28).

[74] Ebd. (5, 22). Die Angabe über das Einkommen wurde in dieser Höhe im Entschädigungsantrag des Anwalts geäußert, in seinen eigenen Ausführungen zum Verfolgungsvorgang gab Siegfried Trief dieses sogar mit 20.000 RM bis 25.000 RM an.

[75] Ebd. (28).

[76] Ebd. (26, 27).

[77] Ebd. (25, 28).

[78] Ebd. (51), dazu https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/23886325:7488. (Zugriff: 20.5.2024).

[79] Geburtsregister Sennfeld 34 / 1894 und Heiratsregister Wiesbaden 409 / 1929. Trauzeugen waren Karl Trief und sein Bruder Albert. Die Eltern von Karl Falk waren Ferdinand Falk und seine Frau Emilie, geborene Fleischer.

[80] HHStAW 518 11139 I (83).

[81] Ebd. (7).

[82] Ebd. Ein ehemaliger Antestellter vermutete im Entschädigungsverfahren mit 5.000 RM ein etwas geringeres aber im Prinzip ähnlich großes Einkommen, ebd. (73).

[83] HHStAW 518 11145 (86), auch https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1774103:3998. (Zugriff: 20.5.2024).

[84] HHStAW 518 11139 I. (32, 37)

[85] Ebd. (72).

[86] Ebd. (77-79). Die diesbezüglichen zuvor abgelehnten Ansprüche wurden dann im September 1954 weitgehend anerkannt, ebd. (80-86, 149).

[87] 1934 soll ein Interessent 50.000 RM für das Geschäft geboten haben, was Karl Falk als völlig indiskutabel abgelehnt haben soll. Ebd. (78).

[88] Auch hier ist interessant, dass die hessischen Entschädigungsbehörden die Anträge zunächst abgelehnt hatten, weil sie sich für nicht zuständig erklärten. Weil die Meldeunterlagen der Stadt im Krieg vernichtet worden waren, sei nicht feststellbar, dass Falks zuletzt vor ihrer Flucht in Wiesbaden gewohnt hätten. Zum Glück besaß Adolf Falk noch einen von der Stadt ausgestellten Reisepass, mit dem er die Zuständigkeit belegen konnte.

[89] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1774103:3998 und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/901065459:1193 (Zugriff: 20.5.2024).

[90] HHStAW 518 14268 (86 f.).

[91] Zweck des Vereins war es laut Adressbuch: „Verbreitung und Durchsetzung des zionistischen Gedankens im deutschen Judentum, Förderung der Finanzierung des jüdischen Palästinawerkes, berufliche und kulturelle Vorbereitung der deutschen Palästina-Emigranten durch bewusst jüdische Erziehungsarbeit, insbesondere Stärkung des Zusammenhanges und der Kraft jüdischen Volkstums in Deutschland durch Verbreitung der Kenntnis der hebräischen Sprache. Die Z.V.f.D. versucht, auf alle jüdischen Institutionen insbesondere auf die jüdischen Gemeinden im Sinne dieser Aufgaben und Förderungen Einfluß zu nehmen.“ Jüdischen Adressbuch 1935, S. 263.
Frieda Trief und ihre Schwägerin Betty, die Frau von Siegfried Trief, waren Mitglieder in der ‚Vereinigung jüdischer Frauen Wiesbadens’. Ebd. S. 250.

[92] In den Listen der Einwanderungen nach Palästina erscheint sein Name allerdings erst mit dem Datum 3.7.1933. Siehe https://www.myheritage.de/research/collection-11018/israel-einwanderungslisten?itemId=212348-&action=showRecord&recordTitle=%D7%90%D7%9C%D7%A4%D7%A8%D7%93+%D7%94%D7%99%D7%9E%D7%9F. (Zugriff: 20.5.2024).

[93] Die chronologische Folge der Ereignisse ist entweder durch die Aufzeichnungen des Arztes oder die Erzählung von Liesel Heimann etwas diffus. Die Hochzeit hätte also erst vier Jahre nach seiner Auswanderung stattgefunden. 1930 war Liesel erst 17 Jahre alt. Unklar ist, ob Alfred Heimann auswanderte, nachdem er Liesel Trief kennen gelernt hatte oder ob er zwischenzeitlich nach Deutschland zurückgekehrt war und sie erst in dieser Zeit getroffen hatte.

[94] Ihre Ankunft dort ist in den Einwanderungslisten auf den 1.10.1934 datiert, siehe https://www.myheritage.de/research/collection-11018/israel-einwanderungslisten?itemId=181962-&action=showRecord&recordTitle=%D7%9C%D7%99%D7%96%D7%9C+%D7%94%D7%99%D7%99%D7%9E%D7%9F.- (Zugriff: 20.5.2024).

[95] Liesel Trief gab im Entschädigungsverfahren an, sie habe damals die vollständige Einrichtung ihrer 2-Zimmerwohnung und sogar ihr Klavier mit einem Lift durch die Firma Rettenmayer nach Palästina bringen lassen, siehe HHStAW 518 14268 (26, 30).

[96] HHStAW 518 910 (34).

[97] Ebd. (27).

[98] HHStAW WiK 4498-99 I (95 ff.).

[99] HHStAW 519/3 7541 (13). In Stuttgart saß das amerikanische Konsulat, das für die Visumsvergabe zuständig war.

[100] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 130 Bl. 1946 Innen, dazu HHStAW WiK 4498-99 II (262).

[101] HHStAW 519/a 1761 I (42). Der Kaufvertrag ebd. (51 f.).

[102] HHStAW 518 910 (87).

[103] HHStAW WiK 4498-99 I (28). Der Wiederaufbau hätte nach dem Krieg nach ihren Angaben etwa 130-140.000 DM gekostet.

[104] HHStAW 519/3 7541 (1).

[105] Ebd. (3, 5 f.).

[106] Ebd. (7). Der Betrag wurde bewilligt.

[107] Ebd. (8).

[108] Ebd. (9).

[109] Ebd. (11). Woher die Einkünfte kamen, ist allerdings nicht mehr nachzuvollziehen, denn das Bankkonto konnte solche Zinserträge kaum abwerfen.

[110] HHStAW 518 910 (24, 40, 56). Belastet wurde das Konto am 16.6.1942, also sechs Tage nach der Deportation. Der Jude sei laut Mitteilung der Geheimen Staatspolizeistelle Wiesbaden am 10.6.1942 „ausgewandert“, hieß es in der Mitteilung des Finanzamt Wiesbaden an die Devisenstelle. Der fällige Betrag sei sofort an die Finanzkasse zu zahlen. Siehe HHStAW 519/3 7541 (21).

[111] Ebd. (15).

[112] Ebd. (14).

[113] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/wartime/02010101/0684/1228781/001.jpg. (Zugriff: 20.5.2024).

[114] HHStAW 519/3 7541 (16).

[115] Ebd. (17).

[116] Ebd. (19, 20).

[117] HHStAW 483 10127 (85), dazu die Liste des nach der Deportation vom 10.6.1942 freigewordenen Wohnraums, von der weder Urheberschaft, noch der archivalische Aufbewahrungsort bekannt sind. Sie existiert nur noch als unsignierte Kopie.

[118] HHStAW 518 910 (7).

[119] Ebd. (9).

[120] Zu dem Transport siehe umfassend Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 117-122.

[121] Zu den Details über die Vorgänge dort siehe Kingreen, Großmarkthalle, S. 157-159.

[122] Amtlich wurde der Todestag der beiden am 1.10.1950 durch Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden auf den Tag des Kriegsendes, den 8.5.1945, festgesetzt. HHStAW 469-33 2862 (15).

[123] HHStAW 518 11139 I (84 f.).

[124] HHStAW WiK 4498-99 I (27).

[125] HHStAW 518 11139 I (66), dazu ebd. (18).

[126] Ebd. (67).

[127] HHStAW 518 11145 (114).

[128] Aus einem Vergleichsvorschlag vom 25.4.1957, HHStAW 518 11139 I (177).

[129] Ebd. (210).

[130] HHStAW 518 11145 (22, 25).

[131] Ebd. (39). Ihr Einkommen in den USA von 1937 bis 1966 ist dokumentiert in ebd. (92 f.). Zwischen 1940 und 1950 war sie selbst völlig ohne Verdienst. Die Angaben basieren auf offiziellen staatlichen Statistiken.

[132] HHStAW 518 11139 III (81).

[133] HHStAW 518 11145 (117).

[134] HHStAW 518 11139 III (80-83).

[135] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/860565:5180?tid=&pid=&queryId=bae5c883-74f5-4bcd-8826-89cc1fa64058&_phsrc=OEb328&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.5.2024).

[136] HHStAW 518 14268 (60).

[137] Bei der Volkszählung 1940 in den USA, bei der Albert Trief bereits seinen Beruf mit Real Estate General angegeben hatte, lebten zusammen mit dem Ehepaar Trief die Eltern von Alice Strauss und zwei Nichten, Ruth und Irmgard Heumann, 15 und 13 Jahre alt, die im März 1940 von den Niederlanden in die USA gelangt waren. Siehe dazu https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/10555275:2442 und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1006462948:7488?tid=&pid=&queryId=6151cd7d-2404-4b6f-8136-1701067a3039&_phsrc=svo4041&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.5.2024).

[138] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3031804385:7488?_phcmd=u(%27https://www.ancestry.de/search/?name=Liesel_Heimann&event=_rochester-monroe-new+york-usa_10974&birth=1913&successSource=Search&queryId=7328db3f-030d-4cdd-a9. (Zugriff: 20.5.2024).

[139] Die wesentlichen Angaben über ihr Leben in den USA beruhen auf der Anamnese, die ihr Arzt damals auf der Grundlage ihrer Angaben und denen von Verwandten angefertigt hatte. Sie sind zumindest teilweise in ihrer Entschädigungsakte bewahrt worden, siehe ebd. (82-87).

[140] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3105873:61632?_phcmd=u(%27https://www.ancestry.de/search/?name=Liesel_Heimann&event=_rochester-monroe-new+york-usa_10974&birth=1913&successSource=Search&queryId=1060b945-437c-4b79-b921. (Zugriff: 20.5.2024). Zwar ist in der vorliegenden Quelle nur sie als Ehepartnerin angegeben, aber aus dem Testament der Schwester ergibt sich, dass der Ehemann mit Nachname Rosenthal hieß.

[141] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/216978952:60525. (Zugriff: 20.5.2024).

[142] HHStAW 519/a 1761 I (107).

[143] Ebd. (69 f.).

[144] HHStAW WiK 4498-99 I (77).

[145] Ebd. I (16).

[146] HHStAW 519/a 1761 I (107).

[147] HHStAW 518 14795(38).

[148] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/3011132392:7488?tid=&pid=&queryId=2169b224-c41d-452e-8607-ef93894e797f&_phsrc=svo3849&_phstart=successSource. (Zugriff: 20.4.2024).

[149] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/220650687:60525?tid=&pid=&queryId=ce0a9739-c4c3-444f-8d9b-905c75729352&_phsrc=svo4043&_phstart=successSource und https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/532739268:61843. (Zugriff: 20.4.2024).

[150] HHStAW 518 66549 (22).

[151] Ebd.

[152] Ebd. (29 f.).

[153] Ebd. (93).

[154] Ebd. (75).

[155] Wichtige Informationen über die jüdischen Familien in Wallau und auch Bildmaterial wurde mir freundlicherweise von Herrn R. Eckl und Herrn J. Eckhardt zur Verfügung gestellt. Weiterhin lieferte die Arbeit von Anna Schmidt, Hofheim 1933 – 1945 grundlegende Einblicke in das lokale Geschehen der damaligen Zeit.

[156] Geburtsregister Wallau 7 /1878 und Heiratsregister Wallau 3 / 1905. Die Familie Falk wohnte dort seit mindestens einem Jahrhundert. Die Nachkommen von Moses Falk, dem Lehrer, Kantor und Schochet der Gemeinde, betrieben etwa seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einen gut gehenden Viehhandelsbetrieb und machten sich als Förderer vieler Vereine und Wohltäter einen Namen im Ort. Adolfs Frau war eine Urenkelin von Moses Falk. Siehe zu Falks, Schmidt, Hofheim 1933 – 1945, S. 69 f.

[157] Geburtsregister Kettenbach 6 / 1906.

[158] HHStAW 473/4 1036 (5, 6).

[159] RGBl 1933 I S. 529.

[160] Siehe Meyer, Zwangssterilisation, S. 18. Solche Pläne und Aktionen gab es damals nicht nur in Deutschland, auch in den USA wurden zwischen 1913 und 1945 etwa 30 000 Menschen einer solchen Operation unterzogen. Das sind zwar weit weniger, aber die dahinter stehenden Vorstellungen und Ziele waren weitgehend identisch: „Unwertes Leben“ ist eine Belastung für die Gemeinschaft und darf bzw. muss sogar verhindert bzw. ausgemerzt werden.

[161] HHStAW 473/4 1036 (11, 12.).

[162] Ebd. (14).

[163] Ebd. (15, 16, 20).

[164] Ebd. (22).

[165] Schmidt, Hofheim 1933-1945, S. 72 f.

[166] Kropat, Kristallnacht in Hessen, S. 127 f. 1948 fand im Schulsaal der Volksschule von Wallau der Prozess gegen die damaligen Haupttäter statt. Zwar wurden sie in diesem Verfahren zunächst alle zu unterschiedlichen Strafen verurteilt, im folgenden Berufungsverfahren wurden dann aber alle freigesprochen.
Es sei in diesem Zusammenhang nur darauf hingewiesen, dass nur 5 Jahre nach dem Ende der NS-Zeit, der jüdische Friedhof in Wallau zum dritten Mal geschändet worden war. Siehe Zeitungsausschnittsammlung des Stadtarchivs Wallau zur NS-Periode.

[167] HHStAW 501 1987 (267, 268).

[168] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/0112/52888836/001.jpg. (Zugriff: 20.5.2024). Es waren wohl die Eltern, die ihn in dieser Zeit immer wieder mit Geldbeträgen versorgten, wie aus der Geldverwaltungskarte hervorgeht, die dort ebenfalls zugänglich ist.

[169] HHStAW 519/3 3614 (1).

[170] Interessant ist im Übrigen, dass die jüdischen Einwohner von Wallau im dortigen Adressbuch von 1939 nicht mehr aufgeführt sind.

[171] Ebd. (2). Beide Anträge wurden positiv beschieden.

[172] Ebd. (3).

[173] Ebd. (2).

[174] Ebd. (5).

[175] Ebd. (9). Es ist schwer zu beurteilen, ob der Betrag für die Wohnkosten auch Mietkosten implizierte, was bedeuten würde, dass das eigene Haus verkauft worden war, sie aber noch immer darin wohnen durften, oder ob es sich dabei ausschließlich um Nebenkosten im eigenen Haus handelte.

[176] Sterberegister Wallau 2 / 1942.

[177] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Hofheim_am_Taunus_Wallau_Stolpersteine_Langenhainer_Stra%C3%9Fe_14.jpg. (Zugriff: 20.5.2024). Er wird auch deshalb im Stammbaum oben als Opfer der Shoa gelb markiert.

[178] Heiratsregister Bensheim 94 / 1941. Ihr Geburtseintrag wurde im Standesamt Kördorf unter 9 / 1898 aufgenommen.

[179] HHStAW 425 432 (54). In seinem Begleitschreiben an den Landrat bat er darum, den Wunsch abzulehnen, da angeblich „die Angaben bez. Des Gesundheitszustandes der Eltern nicht richtig sind, die Mutter kann m.E. noch ihren Haushalt versehen“. Im Weiteren erwähnt er das Judenhaus, ohne es aber so explizit zu bezeichnen: „Übrigens wohnen alle Juden (10) in einem Hause, unter ihnen ist eine 38 [jährige] ledige Jüdin die ganz gut für alle Juden im Hause kochen kann. Außer dem Antragsteller ist noch ein lediger Jude [Siegmund Leopold – K.F.], der auch demnächst heiratet, im Hause, der dann ebenfalls seine zukünftige Ehefrau herbringen will. Ich bitte den Antrag abzulehnen.“

[180] Ebd. (56).

[181] Ebd. (101).

[182] Ebd. (91).

[183] https://www.hofheim.de/kultur-sport-und-tourismus/stadtarchiv/projekte/stolpersteine/stolpersteine-in-den-stadtteilen/. (Zugriff: 20.5.2024).

[184] HHStAW 425 432 (97).

[185] Nicht richtig ist die auf der oben genannten Stolpersteinseite von Wallau geäußerte Vermutung, das Ziel sei das Ghetto von Izbica gewesen.

[186] Zu diesem Transport siehe Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 186 f., zum Ghetto Piaski siehe Kingreen, „Wir werden darüber hinwegkommen“.

[187] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de910876. (Zugriff: 20.5.2024).

[188] HHStAW 519/3 3332.

[189] Wesentliche Angaben zur Genealogie der Familie Grünewald, zu den Eigentumsverhältnissen im Welterod und zum Schicksal der dortigen Juden verdanke ich Herrn B. Köhler aus Welterod.

[190] Siehe hierzu die von Th. Leitz gestaltete Internetseite http://www.welteroder-juden.de/Historisches. (Zugriff: 20.5.2024).

[191] Ebd.

[192] Ob die Jugendlichen später zur Rechenschaft für ihre Taten gezogen wurden, ist nicht bekannt. Sie haben aber – so Bernd Köhler – nach dem Ende der Nazi-Herrschaft Welterod auf Dauer verlassen. Dass es trotz dieser Ereignisse auch positive Bindungen zwischen Juden und Nichtjuden gegeben haben muss, zeigt der Lebensweg von Moritz Schönberg, der, nachdem er zuvor Mitte der dreißiger Jahre wegen Beleidigung des „Führers“ verhaftet worden war, nach Shanghai auswandern konnte. Nach der Befreiung kehrte er in seinen Heimatort zurück und wurde dort auch ohne irgendwelche Ressentiments wieder aufgenommen. Er heiratete noch einmal, ging auch seinem Beruf als Viehhändler wieder nach und wurde wieder ein angesehener Bürger. Als Besitzer eines Fernsehgerätes und eines Autos schon in den 50er Jahren war er besonders bei der Dorfjugend sehr beliebt, denn Letzteres stellte er Führerscheinbesitzern bereitwillig zur Verfügung und in seinem Wohnzimmer  verbrachten viel ihre Abende vor dem Fernseher. Aber auch mit den ehemaligen jüdischen Mitbürgern, die nicht zurückkehrten, sondern damals nach Palästina ausgewandert waren, konnten durch das Engagement Welteroder Bürger alte Verbindungen wieder hergestellt und erneuert werden. Ein Besuch der Familie Köhler in Tel Aviv bei Gerda Granit, geborene Daniel, etablierte eine Freundschaft, die diese zu einem Gegenbesuch in Welterod veranlasste, wo sie herzlich aufgenommen wurde. Auskunft Herr B. Köhler, siehe dazu auch http://www.welteroder-juden.de/Historisches (Zugriff: 20.4.2024).

[193] Den Hintergrund erläuterte B. Köhler in einem Schreiben folgendermaßen: „Welterod hatte von 1913 bis 1962 eine Dreschgesellschaft, der alle landwirtschaftlichen Betriebe im Dorf angehörten. Für den Betrieb der Maschine waren außer zu bezahlenden 2 Mann Stammpersonal (Maschinist und Getreide-Einlasser) 10 bis 12 Personen (für die schweren Arbeiten z.B. Säcke tragen und an der Strohpresse ausschließlich Männer) notwendig. Für letztere Arbeiten gab es über Jahrzehnte hinweg – quer durch Religionsgemeinschaften, unabhängig von Sympathien und Abneigungen – Dreschgemeinschaften, die sich gegenseitig unentgeltlich aushalfen. Als nach der Machtübernahme die antijüdische Hetze, verbreitet über Presse, Radio und örtliche Veranstaltungen, einsetzte, bekamen sicher nicht wenige Bürger die Überzeugung, dass man Juden nicht mehr helfen sollte. Viele andere machten, aus Angst vor Repressalien mit. Da Salomon Leopold nach 1935 der einzige jüdische Landwirt in Welterod war, dürfte er im Ort nicht mehr genügend Helfer gefunden haben und musste sich nach Bekannten bzw. Verwandten im Umkreis von Welterod umsehen. Inzwischen waren alle arbeitsfähigen Juden an 6 Werktagen dienstverpflichtet und dadurch kam es zu dem Problem mit der Besetzung der Dreschmaschine.“ Im Lager ‚Werkbachtal’ waren ursprünglich Männer des Reichsarbeitsdienstes versammelt worden, um einen Waldweg zu einer Straße auszubauen. Nachdem diese mit Beginn des Krieges eingezogen wurden, mussten die Arbeiten von jüdischen Zwangsarbeitern übernommen werden. Schriftliche Mitteilung von B. Köhler vom 2.6.2024.

[194] Landeshauptarchiv Koblenz Bestand 662,007 Nr. 5.

[195] Zu Friedrichssegen siehe Rummel, Ghetto für die Juden, S. 409-507.

[196] HHStAW 519/3 3332 (18). Ein solches Konto war am 21. März 1940 bei der Nassauischen Landesbank eingerichtet worden.

 

[197] Ebd. (19).

[198] Ebd. Sowohl Judenvermögensabgabe als auch Reichsfluchtsteuer sind auf der Vermögenserklärung ausgestrichen, d.h. die war er nicht schuldig.

[199] Ebd. (5).

[200] Ebd. (16). In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis er zu Ida Leopold stand, konnte nicht ermittelt werden. Laut Jüdischem Adressbuch aus Frankfurt von 1935 wohnte der Handelsvertreter Edmund Grünewald damals im Reuterweg 51. Ob das auch der in der Akte Genannte ist, kann nur vermutet werden. Ein anderer Edmund Grünewald ist zumindest in den Adressbüchern nicht aufgeführt. Dieser Edmund Grünewald, über den im HHStAW auch eine Entschädigungsakte vorliegt, war am 19.3.1878 in Bürgel bei Offenbach geboren worden, hatte ein Handelsunternehmen für Öle und Fette, war recht begütert und bewohnte eine große 6-Zimmer-Wohnung. Er wurde am 20.10.1941 in das Ghetto Lodz deportiert, blieb verschollen und musste für tot erklärt werden. Siehe zu diesem Edmund Grünewald HHStAW 518 12737, dazu https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de880661. (Zugriff: 20.5.2024).

[201] Ebd. (17). Die gleiche Mitteilung machte auch Salomon Leopold am 15.7.1940 handschriftlich selbst. Ebd. (21).

[202] https://www.hofheim.de/kultur-sport-und-tourismus/stadtarchiv/projekte/stolpersteine/stolpersteine-in-hofheim-am-taunus/. Die Familie Nachmann aus Hofheim wurde von dort aus deportiert.

[203] Zu diesen Transporten sie Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 103-107. Umfassend auch Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 85-96.

[204] Heiratsregister Wiesbaden 967 / 1908.

[205] Ebd.

[206] Das Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen teilte am 16.5.2024 in einer Email mit, dass über ihn keine Angaben außer dem Eintrag im Abgangsbuchs der Anstalt vorliegen würden.

[207] Adam, „Dabei soll jedoch alles Gefängnisartige vermieden werde“, S. 36-61.

[208] Groß, Heil- und Pflegeanstalt Gießen, S. 216 f. Im Wesentlichen liefert Groß eine sehr eng an der Vorlage orientiert Zusammenfassung der Recherche von Monica Kingreen, wobei ihr Name allerdings nur einmal knapp im Text selbst und einmal in einer Anmerkung erwähnt wird.

[209] Kingreen, Jüdische Patienten in der Giessener Anstalt, S. 263.

[210] LWV-Archiv, B 10 Nr. 164.

[211] Vermutlich ist sie auf diesem Transport verloren gegangen oder bewusst vernichtet worden.

[212] Ebd., S. 267.

[213] Ebd. 269 und 278. Auf Seite 269 nennt Kingreen die Zahl 36, die auf S. 269 abgedruckte Liste enthält dagegen 39 Namen. Bei Groß Heil- und Pflegeanstalt Gießen, S. 221 f. stehen wiederum nur 38 Namen. Unter den Opfern dieses Transports befand sich auch Klara Kassel, die Mutter von Yvonne Wiegand. und Ehefrau des schon 1933 in Wiesbaden ermordeten Milchhändlers Max Kassel. Yvonne Wiegand war Bewohnerin des Judenhauses Frankenstr. 15.

[214] Kingreen zitiert in ihrem Artikel die Aussage des Angestellten der T4-BehördeHerbert Kalisch über den Ablauf des Tötens in Brandenburg: „[Es] wurden die Personen nach Geschlecht getrennt in Zellen untergebracht […] sofort nach der Ankunft wurden jeweils immer etwa 20 Personen aus den Zellen geholt […] (diese) mußten sich völlig nackt ausziehen, da ihnen gesagt wurde, daß sie vor Verlegung in einen anderen Bau baden und ungezieferfrei gemacht werden mußten. Zuerst hat man Frauen und Kinder zu den bevorstehenden Vergasungen herangezogen. Um die kranken Menschen nicht zu beunruhigen, wurden sie von Ärzten oberflächlich untersucht und mußten anschließend in einen Raum treten, in dem Holzpritschen standen und […] der aussah wie ein Baderaum. Bevor jedoch die untersuchten Personen in den Raum gingen, bekamen sie einen Nummernstempel mit fortlaufender Nummer aufgedrückt. Wenn nun die vorgesehene Zahl von Personen in dem >Baderaum< war, wurde die Tür verschlossen. An der Decke des Raumes waren in Form von Brausen Installationen angebracht, durch welche man Gas in den Raum ließ. Nach etwa 15-20 Minuten wurde das Gas aus dem Raum gelassen, da man durch den Spion festgestellt hatte, daß sämtliche Personen nicht mehr am Leben waren. Nun hat man aufgrund der aufgedrückten Nummer die Personen festgestellt, bei denen zuvor bei der Untersuchung festgestellt wurde, daß sie Goldzähne hatten. Den Toten wurden die Goldzähne ausgebrochen. Anschließend wurden sie von den im Haus stationierten SS-Männern aus dem >Baderaum< getragen und zum Verbrennungsofen gebracht. Noch an diesem Tage wurde der gesamte Transport auf diese Art und Weise beseitigt.“ Ebd., S. 271.

[215] Siehe Ebd. S. 272 f., Bei Klee, Euthanasie, S. 260, ist die Abschrift eines solchen Briefes in Gänze abgedruckt.

[216] In der Gestapo-Kartei ist bei Settchen Leopold allerdings bei der Adresse Schenkendorffstr. 3 „bei Salomon“ vermerkt. Vermutlich handelt es sich hier aber um einen Fehler in der Zeilenzuordnung und sie haben in der Adelheidstr. 94 „bei Salomon“ gewohnt. Dieser Zusatz, der sich bei vielen Bewohnern des Adelheidstr. 94 auf ihrer Gestapo-Karteikarte finden lässt, verweist vermutlich nur auf die Hauseigentümerin Amalie Salomon, nicht unbedingt auf die Wohnung selbst.

[217] Zu den Passavant-Werken siehe https://www.industriekultur-lahn-dill.de/michelbacherhuette. (Zugriff: 20.5.2024). Die Zeit des Nationalsozialismus wurde in dieser Darstellung allerdings geflissentlich übergangen.

[218] HHStAW 519/3 3612 (2) Ein Verkaufsdatum des Hauses enthält die Akte leider nicht. Die Gelder wurden von der Devisenstelle Frankfurt freigegeben.

[219] HHStAW 519/3 3588 (5) und HHStAW 519/3 3612 (7).

[220] Ebd. (5). Vor der Abgabe der Vermögenserklärung hatte er routinemäßig zunächst noch 300 RM betragen, ebd. (1).

[221] HHStAW 519/3 3612 (7, 8).

[222] Ebd (9). Die Firma hatte zumindest auch ausländische Zwangsarbeiter in größerem Umfang beschäftigt, siehe http://www.zwangsarbeit.rlp.geschichte.uni-mainz.de/Zwangsarbeiterinnen_MZ-WI.pdf S.18. (Zugriff: 1.11.2017).

[223] HHStAW 519/3 3588 (4).

[224] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de910850 und https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de910815. (Zugriff: 20.5.2024)