Alfred Marx


Hirschkind, Dora
Das Judenhaus in der Albrechtstr. 13 heute
Eigene Aufnahme
Judenhaus Wiesbaden, Liebmann, Albert
Lage des ehemaligen Judenhauses Albrechtstr. 13
Albrechtstrf. 13, Judenhaus, Wiesbaden
Belegung des Judenhauses Albrechtstr. 13

 

 

 

 

 


Einen wesentlichen Anteil an den folgenden Ausführungen zu Alfred Marx hat Frau Elisabeth Böhrer aus Schweinfurt, die mir wichtige Informationen zur Familie Marx bereitwillig zur Verfügung gestellt hat. Ihr sei vorab ganz herzlich für diese Mithilfe gedankt.[1]

 

Es waren sicher ursprünglich geschäftliche Gründe, die dazu führten, dass Alfred Marx seine letzten Lebensjahre in Wiesbaden verbrachte.[2] Wiesbaden und der Rheingau stellten für den aus Schweinfurt stammenden Weinhändler einen bedeutenden Markt für den Ankauf wie auch den Verkauf seiner Produkte dar. Neben einem Weinberg in Würzburg und in Trittenheim an der Mosel, besaß er auch selbst einen solchen in Rüdesheim. Schweinfurt war aber all die Jahre zuvor sein Lebensmittelpunkt gewesen. Hier war er als erfolgreicher Unternehmer zu einem ansehnlichen Vermögen gekommen, ein Vermögen, das auch auf der Leistung seiner aus Edelfingen bei Bad Mergentheim stammenden Eltern Marcus und Eva Marx, geborene Levison, gründete.[3] Der Vater hatte 1874 in Schweinfurt das Weinhandelsunternehmen mit überregionaler Bedeutung gegründet. Ihm war, wie auch dem ebenfalls dort ansässigen jüdischen Mitbewerber Mohrenwitz, der Titel eines Hoflieferanten verliehen worden.[4]

Alfred Marx, der selbst am 21. August 1873 in Schweinfurt geboren wurde, hatte noch drei Geschwister, die ältere am 2. Februar 1869 geborene Schwester Klara und den jüngeren Bruder Emil, geboren am 21. März 1880. Über deren Schicksal ist allerdings nur wenig bekannt. Ein weiterer Bruder mit dem Namen Siegmund war bereits im Kleinkindalter verstorben.[5]

Alfred Marx, Emil Marx, Klara Marx Rousselle, Max Marx, Sigmund Marx, Judenhaus Albrechtstr. 13 Wi9esbaden
Stammbaum der Familie Marx
(GDB-PLS)

Die Mutter der drei Kinder, Eva Marx, nahm sich – vermutlich bedingt durch ein erbliches psychisches Leiden – im September 1891 in Schweinfurt das Leben. Zwei Jahre später, im August 1893 ging Marcus Marx mit der aus dem mittelfränkischen Mühlhausen stammenden Emma Brandis, geboren am 22. April 1860, eine zweite Ehe ein, die aber kinderlos blieb.[6] Wann Marcus Marx das Geschäft an die nachfolgende Generation übergab, ist nicht bekannt. Im Jahr 1907 zog er mit seiner Frau nach München, wo er am 21. März 1915 verstarb. Emma Brandis lebte noch weitere zwanzig Jahre in der bayrischen Metropole und verstarb dort am 27. August 1935.[7]

Die Familie Marx hatte sich offensichtlich von ihrer jüdisch-religiösen Tradition entfernt, deshalb wurde Marcus Marx, wie später auch Alfred, nach seinem Tod in dem auf dem nichtjüdischen Teil des Schweinfurter Friedhofs gelegenen Familiengrab beigesetzt.[8]

Alfred Marx, Judenhaus Wiesbaden, Albrechtstr. 13,
Die Rückertstr. 17 und 19, die Stammhäuser der Weinhandlung Marcus Marx
Mit Genehmigung des Schweinfurt-Führers und Dank an P. Hofmann

Man wird davon ausgehen können, dass spätestens mit dem Umzug nach München die Geschäftsführung in die Hände der Nachkommen gelegt worden war. Die Geschwister von Alfred waren beide nicht an der als OHG konzipierten Firma ‚Marcus Marx’ beteiligt. Die jeweils gleichen Anteile daran besaßen neben Alfred, dessen beide Cousins Max und Sigmund Marx.[9] Beide waren Söhne von Heimann / Hermann Marx, dem Bruder von Marcus Marx.[10]

Judenhaus Albrechtstr. 13, Wiesbaden
Alfred Marx
Bildersammlung Stadtarchiv Schweinfurt

Die trotz Weltwirtschaftskrise und nationalsozialistischer „Machtergreifung“ offensichtlich auf Expansion ausgerichtete Weinhandlung eröffnete um 1933 eine Dependance in Wiesbaden. Das Haus in der Adelheidstr. 17 gehörte damals noch einer Erbengemeinschaft Cahn und wurde von dem Rechtsanwalt Max Liebmann verwaltet. Am 30. Juni 1933 wurde die Immobilie von Alfred Marx für 42.000 RM gekauft,[11] der bereits im folgenden Wiesbadener Adressbuch von 1934/35 als Eigentümer eingetragen ist, allerdings mit dem Hinweis, dass dieser in Schweinfurt gemeldet sei. Das Haus diente sicher auch als Kapitalanlage, denn der neue Besitzer hatte erhebliche Renovierungskosten aufzubringen, „da sonst eine Weitervermietung der (…) Wohnungen gar nicht möglich gewesen wäre. Diese hätten sich in einem sehr „heruntergekommenen“ Zustand befunden.[12]

Marcus Marx, Alfred Marx, Judenhaus Wiesbaden, Albrechtstr. 13
Weinflasche der Firma Marcus Marx aus dem Jahr 1935, später genutzt als Kerzenständer
Aufnahme E. Böhrer
Geschäftsbrief von Marcus Marx aus dem Jahr 1922
Mit freundlicher Genehmigung von P. Hofmann

Neben den erhofften Mieteinnahmen, die allerdings auf Grund der politischen Entwicklung weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren,[13] diente das Haus auch als Geschäftsniederlassung. Eine Bestellung verschiedener Weinproben, gefunden im Nachlass eines Weinguts an der Mosel, zeigt, dass von Wiesbaden aus auch in anderen Anbaugebieten Geschäfte getätigt wurden. Die Unterschrift ist aber nicht die von Alfred Marx oder von einem seiner Cousins, was darauf schließen lässt, dass in der Wiesbadener Filiale ein Geschäftsführer eingesetzt war und die Eigentümer weiterhin von Schweinfurt aus agierten, wo sie in der Altstadt ein größeres Areal besaßen. Es handelt sich dabei um die beiden Häuser Rückertstr. 17 und 19, die durch einen Hof verbunden zusammen mit den beiden Gebäuden in der Hellergasse 10 und 12 einen größeren Komplex bildeten.

Areal der Familie Marx in Schweinfurt

Alfred Marx bewohnte das ihm gehörende Haus Nummer 17, wo auch die Weinhandlung lokalisiert war, sein Cousin Max das mit der Nummer 19. Im Grundbuch war Letzteres auf den Namen der Firma eingetragen, was bedeutet, dass es den drei jeweils zu einem Drittel gehörte. Sigmund, im Geburtseintrag ist auch noch der Zweitname Samuel verzeichnet, war am 3. November 1876 wie auch sein Bruder Max in Edelfingen geboren worden. Sigmunds Frau Lilli, eine geborene Buxbaum, kam aus dem nahe bei Bad Mergentheim gelegenen Eubigheim. Der etwa zehn Jahre jüngeren Bruder Max, geboren am 1. Juli 1887, war mit Hertha Grünbaum verheiratet, deren Heimatstadt das thüringische Eisenach war.[14]

Das Unternehmen muss recht erfolgreich gewesen sein, denn das jährliche Einkommen von Alfred Marx betrug im Schnitt zwischen 15.000 und 20.000 RM. Selbst im Jahr 1936 erzielte er noch zu versteuernde Einkünfte von mehr als 18.000 RM.[15]

Judenhaus Albrechtstr. 13, Wiesbaden, Marcus Marx, Emma Brandis, Eva Levison
Briefkopf der Weinhandlung Marx mit Verweis auf die Prämierung der Weine 1895
Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt
Visitenkarte der Weinhandlung Marx,
Schweinfurt
Mit Genehmigung des Schweinfurt-Führers und Dank an P. Hofmann

Aber 1938 trafen die Maßnahmen zur „Lösung der Judenfrage auf wirtschaftlichem Gebiet“, wie Innenminister Frick im Juni 1938 formuliert hatte,[16] auch die Firma ‚Marcus Marx’. In einem „Verzeichnis der jüdischen Gewerbebetriebe in Schweinfurt“ ist sie mit dem handschriftlichen Vermerk „ab 24.9.38 abgemeldet“ aufgeführt.“[17] Die Formulierung unterschlägt, mit welchem Druck die Geschäftsaufgabe zustande gekommen war. Den Eigentümern war von der örtlichen NSDAP-Führung auferlegt worden, den Verkauf ihrer Weinhandlung nur in den Räumen und im Beisein der NSDAP-Ortsgruppenleitung abwickeln zu dürfen. Als ein potentieller Käufer, die Kitzinger Weinhandlung Meuschel, gefunden war, konnten unter diesen Bedingungen wirkliche Verhandlungen nicht mehr geführt werden und ein angemessener Preis für Lager und Gerätschaften wurde von vornherein verweigert. Das Preisdiktat – „28.000 RM – mehr wird nicht bezahlt“ – mussten die Eigentümer akzeptieren, wollten sie überhaupt noch etwas Geld sehen.[18] Damit war aber nur das vorhandene Weinlager und – wenn man so will – die Kundenkartei abgegolten, die Gebäude selbst wurden nicht verkauft. Trotz des Verkaufs existierte die Firma aber noch einige Zeit als eine Art Torso, geführt von Sigmund Marx, der zum Liquidator bestellt worden war. Vermutlich ging es dabei aber vor allem noch um die Abwicklung bereits vor dem Verkauf getätigter Geschäfte. Noch im Januar 1941 fragte das Finanzamt Wiesbaden an, wie hoch der Gewinn der „Firma in Liquidation“ im vergangenen Jahr gewesen sei.[19] Aber auch als Eigentümer des Wohngrundstücks blieb sie zumindest nominell sogar noch bis in die Nachkriegsjahre bestehen.

Lohnsteuerkarte von Alfred Marx aus dem Jahr 1936, die ihn als Angestellten seines Bruders Emil Marx ausweist
HHStAW 685 531a (43)

Neben der Weinhandlung gab es noch eine weitere gemeinsame Firma der beiden Söhne von Marcus Marx, die ursprünglich von Alfreds promoviertem Bruder Emil geführt wurde und ihren Sitz in Hamburg hatte. Es handelte sich dabei um ein Unternehmen, das technische Öle und Fette herstellte oder vertrieb und erstmals 1913 – damals noch als „Chemisches Büro“ im dortigen Adressbuch verzeichnet war. Wie sich den Steuerakten entnehmen lässt, bezog Alfred Marx als Angestellter dieser Firma ein zusätzliches jährliches Einkommen, das im Jahr 1933 bei 3.000 RM, im Jahr 1936 bei 1.800 RM lag,[20] Auch hatte er der Firma, die offenbar im Zuge der antijüdischen Boykottaktionen in Zahlungsschwierigkeiten gekommen war, einen Kredit von knapp 3.000 RM gewährt.[21] Vermutlich war er an diesem als GmbH. organisierten Unternehmen auch anderweitig mit Kapital beteiligt, war zuletzt sogar alleiniger Gesellschafter, bevor es im April 1938 zum Einzelunternehmen in seinem Besitz wurde.[22] Am 30. September 1938 teilte die Zollfahndungsstelle Hamburg den Würzburger Kollegen den Verkauf bzw. die Arisierung der Firma „Dr. Emil Marx“ durch Alfred Marx mit einer ergänzenden Forderung mit:„Da angenommen werden muss, dass Marx auszuwandern beabsichtigt, bitte ich, ggf. gem. § 37a des Dev.Ges. sein Vermögen zu sichern.“ Alfred Marx habe angesichts seines Alters von 66 Jahren keine Auswanderungsabsichten, wurde auf dem Schreiben nach Rücksprache mit ihm am 6. Oktober 1938 in Schweinfurt notiert. [23] Das Vermögen, um das die NS-Finanzbehörden bangten, war beträchtlich. 1935/36 belief es sich auf insgesamt rund 315.000 RM, bestehend aus Immobilien, Weinbergen und Wertpapieren.[24]

Bis zum Sommer 1938 war mit dem Ende seiner Unternehmen zwar bereits ein Großteil seines Lebenswerks zerstört, aber eigentlich verfügte er dennoch über hinreichende finanzielle Mittel, um noch ausreisen zu können. Auch waren die Finanzbehörden in Würzburg bisher nicht der von Hamburg geforderten Sicherungsanordnung nachgekommen. Eine solche erging tatsächlich erst am 9. März 1939.[25]

Der völlige Bruch in seinem bisher trotz allem so erfolgreichen Leben kam für Alfred Marx mit dem Pogrom am 10. November 1938 und den Ereignissen der darauf folgenden Tage. Auch in Schweinfurt waren am Vorabend Angehörige der diversen NS-Organisationen aufmarschiert – es sollen etwa 2800 gewesen sein -, um den vor 15 Jahren in München gescheiterten Putsch jetzt nachträglich als Erfolg zu zelebrieren und um ihrer „Helden“ von damals zu gedenken. Nachdem in der Nacht zum 10. November die „spontane Erhebung des deutschen Volkes“ von der NSDAP-Führung organisiert worden war, wurden auch in Schweinfurt die Mitglieder der SA unter der Parole „Heut’ geht’s drauf, heut’ zeigen wir’s den Juden“ aus den Betrieben geholt und in einzelne Gruppen aufgeteilt, die dann mit brutalster Gewalt die Juden, auch alte und kranke, aus den Häusern zerrten und sie unter Beschimpfungen und Steinwürfen durch die Straßen trieben. 45 Männer wurden in so genannte Schutzhaft genommen und dem Rabbi drohte man an, ihn an einem Baum neben der Synagoge aufzuhängen. Die Synagoge selbst wurde demoliert, die Thorarollen verbrannt und die Kultgegenstände entweiht. Am folgenden Tag setzte der Mob sein Zerstörungswerk fort, jetzt wurden die Wohnungen und Geschäfte der Juden geplündert und zerstört. Auch die Weinhandlung von Alfred Marx war eines der vielen Ziele. Die Weinfässer wurden zerschlagen und ihr Inhalt ergoss sich über den gesamten Keller.[26]

Die Zerstörungen im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht waren wohl nicht die einzigen Angriffe auf sein Haus und sein Eigentum. In einem Schreiben an den Regierungspräsidenten Mainfranken vom 6. Dezember 1938 korrigiert er die zuvor gemachten Angaben zu seinem Vermögen, die zur Berechnung der „Sühneleistung“ zuvor gefordert worden waren: „Ich beehre mich Ihnen Folgendes mitzuteilen: Bei meiner Rückkehr aus Würzburg in der vorigen Woche fand ich meine Wohnung in Schweinfurt, Rückertstrasse 17, zum grössten Teil demoliert vor.“ Der in dem vorgelegten Verzeichnis mit 9.256,- RM taxierte Wert der Gegenstände müsse auf Grund der Demolierungen um mindestens 5.000 RM gemindert werden.[27] Aus einem anderen Brief vom Oktober 1939 an den Regierungspräsidenten Würzburg geht hervor, dass die Schadenssumme noch weitaus höher war, allerdings ist nicht klar, auf welchen Überfall Alfred Marx sich hier bezieht: „Für die Wiederherstellung meiner beschädigten und zerstörten Einrichtungsgegenstände, sowie Wäsche und Kleidungsstücke habe ich einen Betrag von Rm. 9.000,– aufwenden müssen.[28]

Judenhaus Wiesbaden, Marcus Marx
Berechnung der „Judenvermögensabgabe“ für Alfred Marx
HHStAW 685 531c (23)

Gleichwohl wurde ihm bei einem Gesamtvermögen von 330.000 RM eine Judenvermögensabgabe in der Höhe von 66.000 RM, zahlbar in vier Raten á 16.500 RM auferlegt.[29] Mit der später verlangten 5. Rate betrug die Summe sogar. 82.500 RM, allerdings wurde ihm auf Grund der beträchtlichen Vermögensverluste die letzte Rate um etwa die Hälfte

reduziert.[30] Inzwischen hatte man beim Finanzamt auch seine Meinung im Hinblick auf eine mögliche Auswanderung von Alfred Marx geändert. Am 28. Dezember 1938 erging an ihn ein so genannter „Sicherheitsbescheid“, in dem ihm zur Auflage gemacht wurde, „für künftige Ansprüche auf Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe, sowie sonstige vor der Auswanderung zu leistende Steuern und andere steuerrechtliche Geldleistungen … binnen einer Woche eine Sicherheit von 128.000.—RM zu leisten.[31]

Alfred Marx, Judenhaus Wiesbaden, Scheinfurt, Weinhandlung
In der Rückertstraße hatte während der NS-Zeit auch die Kreisleitung der NSDAP ihr Büro (zweites Haus rechts)
Mit Genehmigung des Schweinfurt-Führers und Dank an P. Hofmann

Alfred Marx hatte die Ereignisse während des Novemberpogroms in Schweinfurt nicht unmittelbar erlebt, denn er war an diesem Tag nicht in seiner Heimatstadt. Auf seiner Gestapo-Karteikarte ist als Zugangsdatum in Wiesbaden der 1.November 1938 eingetragen. Möglicherweise hatte er schon in Wiesbaden Quartier bezogen und die Pogromnacht und die Zerstörung der dortigen Synagoge erlebt. Allerdings war er weiterhin in Schweinfurt gemeldet, denn noch gingen amtliche Schreiben an seine dortige Adresse in der Rückertstr. 17. Erst am 22. August 1939 meldete er sich dort offiziell ab, am 4. Oktober teilte er dann dem Finanzamt Wiesbaden seinen Umzug in die Albrechtstr. 13 I mit.[32] Die Gründe, die ihn dazu veranlassten, nicht in sein eigenes Haus in der Adelheidstr. 17 zu ziehen, sind nicht bekannt. Um eine Zwangseinweisung in das spätere Judenhaus kann es sich aber im Fall von Alfred Marx zu diesem Zeitpunkt nach nicht gehandelt haben. Rechtlich wäre es ohne weiteres für ihn möglich gewesen, in seinem eigenen Haus unterzukommen.

Alfred Marx, Judenhaus Wiesbaden, Albrechtstr. 13
Alfred Marx teilt dem Finanzamt seinen Umzug nach Wiesbaden mit
HHStAW 685 531a (71)

Vor seinem Umzug nach Wiesbaden hatten offenbar er und seine Cousins versucht, die beiden Häuser in der Rückertstraße zu verkaufen. Die örtliche NSDAP hatte bei übergeordneten Stellen nachgefragt, ob ein solcher Verkauf gestattet sei. Am 13. November 1939 erhielt sie von der Gestapo-Würzburg die abschlägige Antwort: „Die Anwesen Rückertstr. 17 und 19 in Schweinfurt werden voraussichtlich für staatpolizeiliche Zwecke benötigt und können deshalb bis zur Entscheidung des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin zum Verkauf nicht freigegeben werde.“[33] Welche Zwecke gemeint waren, wurde bald darauf klar: Nach der Schändung der Synagoge war im März 1939 die Jüdische Gemeinde gezwungen worden, das Synagogengebäude und das Gemeindehaus für einen lächerlich kleinen Preis an die politische Gemeinde zu verkaufen. Als Ersatz diente bis 1942 das Haus von Alfred Marx in der Rückertstr. 17 als Gebets- und Versammlungsraum der Schweinfurter Juden. Hier fanden fortan auch die Verwaltung und der Vorstand der Gemeinde einen Platz. Daneben wurde die Rückertstr. 17 auch zu einem Judenhaus, in das 1941/42 insgesamt etwa 30 jüdische Menschen eingepfercht wurden. Nur bei wenigen ist vermerkt, dass sie „unbekannt“ verzogen seien, alle übrigen wurden in zwei Transporten im April und September 1942 deportiert. Hinter dem letzten Namen – jemand, der vor der Deportation verstorben war – hatte der Buchhalter des Todes handschriftlich notiert „in die Hölle abkommandiert“.[34]

Alfred Marx wurde allerdings gezwungen, seine landwirtschaftlichen Flächen zu verkaufen. Am 27. Juni 1939 fragte das Staatsministerium für Wirtschaft, Abteilung Landwirtschaft, an, ob er dieser Aufforderung nachgekommen sei. In dem zurückgesandten Formular wurde bestätigt, dass er seinen Weinberg am Stein in Würzburg, der im Jahr 1900 von ihm erworben worden war und an dem er besonders gehangen haben soll, am 20. Juli 1939 „im Beisein des Kreisbauernführers“ an den damaligen Eigentümer des Würzburger Gasthofs „Zum Lamm“ verkauft habe.[35]

Alfred Marx, Judenhaus Wiesbaden, Albrfechtstr. 13
Die Steuerakte von Alfred Marx mit der deutlichen Markierung „J“ für Jude
HHStAW 685 531a

Diesem sukzessiven Raub seines gesamten Vermögens wollte Alfred Marx nicht völlig tatenlos zusehen und zumindest einen Teil vor der Raffgier der Nazis in Sicherheit bringen. Am 6. März 1939 schenkt er seinem Großneffen Wolf Rousselle, dem Enkel seiner Schwester Klara, sein Wiesbadener Haus in der Adelheidstr. 17.[36] Klara war mit dem jüdischen Arzt Dr. Leser / Louis Bloch verheiratet und hatte längere Zeit in Zürich in der Schweiz gelebt, wo dieser 1908 verstarb. Dem Paar waren zwei Töchter geboren worden, zunächst am 7. Dezember 1889 in Zürich Bertha Klara, dann 1896 die Tochter Emma Lily. Letztere heiratete Oskar Rousselle, Nachkomme einer französischen Hugenottenfamilie, die im Raum Hanau / Steinheim ansässig geworden war und dort einen bedeutenden Steinbruchbetrieb besaß. Oskar Rousselle, geboren am 28. Januar 1893 in Steinbach, war während des Ersten Weltkriegs hoch dekorierter Kampfflieger, zuletzt in der Jagdstaffel 4, in der auch Hermann Göring diente.[37] Nach dem Krieg wanderte die Familie im Jahr 1920 nach Afrika aus, wo sie in dem damaligen Portugisisch-Angola, in dem Ort Calulo Libollo, eine Plantage betrieb. Ihr Sohn Wolf war nach den Bestimmungen der Nürnberger Gesetze zwar „Mischling 1. Grades“, galt aber, wohl weil zwar die Mutter, aber nicht der Vater jüdisch war und die Familie zudem vermutlich keine Bindung zur jüdischen Glaubensgemeinschaft hatte, als „Reichsbürger im Sinne des Reichsbürgergesetzes“.[38]

Alfred Marx, Judenhaus Albrechtstr. 17, Adelheidstr. 17
Das Haus von Alfred Marx in der Adelheidstr. 17 heute
Eigene Aufnahme

Da die Schenkung des Hauses in Wiesbaden an Wolf Rousselle zum einen genehmigungspflichtig, zum anderen aber auch steuerpflichtig war, weigerte sich Alfred Marx vor der erteilten Genehmigung die Abgabe an das Finanzamt zu zahlen. Das veranlasste die zuständige Behörde in Schweinfurt sofort zu weiteren Aktivitäten, um wenigstens einen Teil der Beute zu sichern:
„Es scheint, dass Alfred Marx demnächst auswandern will. Für diesen Fall bitte ich vorzumerken, dass ich gegen die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung vorläufig  Bedenken erhebe, weil der Schenker für die wahrscheinlich mehrere Tausend RM betragende Schenkungssteuer haftet.“

Die Schenkung wurde genehmigt. Aus einer späteren Notiz des Finanzamts Wiesbaden vom 17. Oktober 1940 geht hervor, dass Alfred Marx aber Wertpapiere in Höhe von mehr als 44.000 RM zur Sicherung der Reichsfluchtsteuer verpfänden musste, obwohl es auch jetzt keine Anzeichen dafür gab, dass er Deutschland verlassen wollte.[39]

Neben seinem Großneffen bedachte er auch seine beiden langjährigen, unverheirateten und nichtjüdischen Hausangestellten in Schweinfurt, Toni Hengl und Käte Link, die beide auch in der Rückertstr. 17 wohnten.[40] Auch ihnen schenkte er im Juni 1939 jeweils 3.000 RM in Form von Wertpapieren. Auch diese Schenkungen wurden genehmigt. Obwohl er im Laufe des Jahres nach Wiesbaden umgezogen war, hatte er den beiden zudem bis zum Jahresende das Gehalt weiter gezahlt, wofür die Deutsche Bank die Zustimmung der inzwischen zuständigen Devisenstelle Frankfurt einholen musste. [41]

Weiterhin unterstützte Alfred Marx auch laufend eine Anna Göller in Berlin, von der nicht bekannt ist, in welcher Beziehung sie zu ihm stand, und ein Fräulein Marie Brandis, mit großer Sicherheit die Schwester der zweiten Frau seines Vaters, die in Bamberg lebte.[42]

Die Bank teilte der Stelle in Frankfurt auch mit, dass eine größere Summe, ca. 100.000 RM in bar und in Wertpapieren, nach Wiesbaden transferiert würden, sofern die zuständige Devisenstelle dazu die Genehmigung erteilen würde.[43] In der am 14. Dezember 1939 von seiner neuen Adresse in Wiesbaden abgesendeten Vermögensaufstellung gab er jetzt noch ein Gesamtvermögen von 133.000 RM und ein daraus resultierendes Jahreseinkommen von ca. 9.000 RM an. Seinen monatlichen Lebensbedarf bezifferte er auf 815 RM. [44] Der zunächst gewährte Freibetrag von 300 RM wurde tatsächlich auf 800 RM angehoben.

Alfred Marx, Albert Liebmann, Judenhaus Albrechtstr. 13, Wiesbaden
Angebot von Alfred Marx für die Schulden seines Vermieters aufzukommen
HHStAW 519/3 4330 (7)

Dass man auch in der Albrechtstr. 13 angesichts der immer prekäreren Lage enger zusammenrückte und sich gegenseitig unterstützte, ergibt sich aus einem Schreiben, das Alfred Marx am 30. April 1941 an die Devisenstelle Frankfurt richtete. Der Hauseigentümer und Mitbewohner war nicht mehr in der Lage die fälligen bzw. noch nicht getilgten Raten für die „Sühneleistung“ zu zahlen. „Das Finanzamt“, so schrieb er, „verlangt nun die Abtretung dieses Restes, evtl., durch monatliche Einbehaltung von Mietbeträgen, was Herrn Liebmann sehr schwer fallen würde, da er von den eingehenden Mieten, jeden Monat die Grund & Hauszinssteuern, Hypothekenzinsen, u.s.w. bezahlen muss, sowie seinen Lebensunterhalt zu bestreiten hat.

Ich habe mich nun dem Finanzamt gegenüber bereit erklärt, dass ich Herrn Liebmann den Betrag von Mk: 1500,– als Darlehen zur Verfügung stelle, bezw., dem Finanzamt überweisen werde, nach Vorlage der Bewilligung durch die zuständige Devisenstelle.“[45]

Es ist kaum zu bezweifeln, dass dieses Geld, formal ein Darlehen, im Bewusstsein der Beteiligten eine Schenkung war.

Alfred Marx war inzwischen 67 Jahre alt und seit längerer Zeit erkrankt. Schon 1939 hatte er bei der Darlegung seiner Lebenshaltungskosten auf hohe Ausgaben für ärztliche Behandlungen hingewiesen und damit auch die Bitte um einen höheren Freibetrag begründet.[46] Möglicherweise war die Krankheit auch einer der Gründe, die ihn veranlasst hatten, in Deutschland auszuharren, obgleich er zumindest die finanziellen Möglichkeiten für eine Emigration gehabt hätte.

Anders als er hatten seine beiden Cousins und ehemaligen Kompagnons diese Möglichkeit genutzt und waren mit ihren Familien im Oktober 1939 zunächst nach Berlin verzogen. Von dort aus traten sie – Lilli und Sigmund am 20. Februar 1940 und Max und Hertha mit ihrem Sohn Helmut / Harold am 16. Mai 1941 – ihre Ausreise in die USA an. Suse, die Tochter von Max und Hertha Marx, war bereits zwei Jahre zuvor als Fünfzehnjährige mit einem Kindertransport nach England gebracht worden. Gerhard, der jüngere Sohn von Sigmund und Lilli hatte Schweinfurt schon im April 1938 verlassen und war nach Berlin verzogen. Zwar ist nicht bekannt, wann er dann in die USA emigrierte, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass er zusammen mit seinen Eltern ausreiste. Der ältere Sohn Karl-Heinz besuchte schon seit Januar 1937 eine Schule im englischen Manchester und kam nur noch in den Ferien zu seinen Eltern nach Schweinfurt zurück. Am gleichen Tag, dem 26. April 1938, an dem sein Bruder nach Berlin umzog, verließ auch Gerhard endgültig Schweinfurt, um in England zu bleiben. Auf seinem Meldebogen ist vermerkt „Will auswandern“. Er kehrte erst nach Kriegsende im Auftrag der britischen Militärbehörden für kurze nach Deutschland zurück. Später – der Zeitpunkt ist nicht bekannt – wanderte auch er in die USA aus. [47]

Das Schicksal von Emil Marx ist nicht bekannt. Sein Name steht weder im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz, noch ist er in Yad Vashem unter den Opfern des Holocaust aufgeführt. Vermutlich war er bereits Anfang der dreißiger Jahre in Hamburg verstorben.[48]

Die Schwester Klara Bloch war ab 1928 in Würzburg ansässig. Sie verstarb wahrscheinlich dort um 1938 noch bevor die Deportationen begannen. Ihre Tochter Bertha Clara, die ledig geblieben war, kam 1931 ebenfalls nach Würzburg. Von den bekannten Mitgliedern der Familie wurde nur sie während der Shoa ermordet. Zuletzt hatte auch sie in einem Würzburger Judenhaus, dem in der Domerschulstr. 25 leben müssen. Von dort aus deportierte man sie am 24. September 1942 mit dem Transport II/26 über Nürnberg nach Theresienstadt. Nach den Aufzeichnungen der Lagerverwaltung kam sie dort am 1. Mai 1943 ums Leben.[49] Emma Lily war dagegen mit ihrer Familie in Afrika geblieben und somit in Sicherheit, als die Nazis die Macht in Deutschland erlangten und ihr Terrorsystem über Deutschland und Europa installierten. Zumindest von Oskar Rousselle ist bekannt, dass er 1960 die damalige portugiesische Kolonie verließ und sich in Lissabon niederließ. Dort soll er auch verstorben sein.[50]

Alfred Marx starb am 12. Dezember 1941 abends um 23.00 Uhr in seiner Wohnung in der Albrechtstr. 13 eines natürlichen Todes.[51] Beerdigt wurde auch er in Schweinfurt im nichtjüdischen Teil des dortigen Friedhofs. Das Martyrium, das seine Mitbewohner im folgenden Jahr durch ihre Deportation erleiden mussten, blieb ihm somit erspart.

Erbe des noch vorhandenen Vermögens, darunter auch die beiden Häuser Rückertstr. 17 und Hellergasse 10 in Schweinfurt, wurde Oskar Rousselle. Er war bewusst anstelle seiner jüdischen Ehefrau Emma Lily zum testamentarischen Erben eingesetzt worden.[52] Nach dem Tod von Alfred Marx wurden alle Sicherungsanordnungen aufgehoben, nicht etwa weil der Erbe selbst, sondern der Testamentsvollstrecker Otto Schiemann, der übrigens im Haus von Alfred Marx in der Adelheidstr. 17 wohnte, „arischer“ Abkunft war. Aber auch Oskar Rousselle konnte sein Erbe antreten, allerdings mit den Beschränkungen, die generell für im Ausland lebende Staatsbürger galten: „Der ausländische Erbe des Marx unterliegt daher mit seinem inländischen Vermögen nur noch den allgemeinen für Devisenländer geltenden Bestimmungen.“ In diesem Schreiben des Amtsgerichts Schweinfurt an die Devisenstelle Frankfurt vom 4. August 1942 heißt es, dass Oskar Rousselle als Eigentümer der Häuser Rückerstr. 17 und Hellergasse 10 in Schweinfurt im dortigen Grundbuch eingetragen worden sei.[53]

Komplizierter lag der Fall beim Haus Rückertstr. 19 und dem angrenzenden Gebäude Hellergasse 12, das im Grundbuch auf den Namen der Firma ‚Marcus Marx’ eingetragen war und sich „in Liquidation“ befand. Zwar waren diese Wohngrundstücke „dem Reich verfallen“, eine Umschreibung hatte aber nie stattgefunden, wie offenbar wurde, als die Erben und ehemaligen Eigentümer der Firma nach dem Krieg einen Rückerstattungsantrag stellten.[54]

Auch wenn Alfreds Nichte Bertha Clara die einzig war, die der Shoa zum Opfer fiel, so ist das Schicksal der Familie Marx kaum weniger schrecklich, wie das anderer jüdischer Familien, die viele Tote zu beklagen hatten. Viele Mitglieder, gebrochen aus Sorge, Gram und Verzweiflung, waren bereits verstorben, bevor der Massenmord begann. Andere, denen die Flucht gelang, wurden auseinander gerissen und blieben verstreut über die ganze Welt. Mehrere Nachkommen der Familie Marx haben aber inzwischen die Heimat ihrer Vorfahren aufgesucht, so Charlie Marks, der sogar schon mehrfach in Schweinfurt war, und seine Tochter. Zuletzt war im Oktober 2019 Andra Marx, die Urenkelin von Heiman / Hermann Marx, Enkelin von Max Marx und Tochter von Helmut / Harold Marx, mit ihrem Ehemann aus den USA gekommen, um Orte wie Schweinfurt, Bad Mergentheim, Eisenach und Berlin zu besuchen, wo die Wurzeln ihrer Familie lagen und wo sich deren Aufstieg und Zerstörung zugetragen hatte.[55]

Stand: 11. 11. 2019

 

 

 

<< zurück                              weiter >>


 

Anmerkungen:

[1] Ihre Angaben werden im Folgenden mit ‚Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt’ zitiert.

[2] Es gab in Wiesbaden zwar eine große Zahl Familien mit dem Namen Marx, eine verwandtschaftliche Beziehung zu einer davon, konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.

[3] Marcus Marx war am 23.12.1841 geboren worden und verstarb am 21.3.1915 in München. Das Geburtsdatum seiner ersten Frau Eva Levison war der 5.7.1846. Sie starb am 6.9.1891 in Schweinfurt, Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt.

[4] Der volle Titel, den der Briefkopf der Firma zierte, lautete „Marcus Marx, Kgl. Bayr. Hoflieferant und Hoflieferant S. K. H. des Kronprinzen von Schweden – Weinbergsbesitzer.“ Siehe auch den weniger kunstvoll gestalteten Briefkopf in HHStAW 685 531c (16).

[5] Siegmund war am 28.3.1871 geboren worden und am 20.10.1872 verstorben; Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Ebd. Von Frau Böhrer stammt auch der Hinweis, dass Alfred Marx Mitglied der Freimaurerloge ‚Zur Brudertreue’ war.

[9] Die Anteile lassen sich daraus ableiten, dass die auf den gewerblichen Gewinn anfallenden Einkommensteuer jeweils gedrittelt wurde, siehe z.B. HHStAW 685 531a (33, 44).

[10] Möglicherweise könnte die Teilhabe von Max und Sigmund an dem Unternehmen ein Indiz dafür sein, dass auch ihr Vater schon daran beteiligt gewesen war. Belege dafür konnten aber bisher nicht gefunden werden. Die Eltern von Marcus und Heimann Marx waren Samuel und Teichle Marx, geborene Schneider. Neben Max und Sigmund hatten Heimann und Sara Marx noch weitere Kinder; die beiden Töchter Bertha und Paula und den Sohn Alfons. Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt. Letzterer war möglicherweise als Prokurist in der Firma von Emil Marx in Hamburg tätig war. Zumindest ist ein Alfons Marx im Hamburger Telefonbuch von 1931 mit dieser Funktion aufgeführt.

[11] HHStAW 685 531b (6). Der Eintrag in das Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 105 Bl. 1524 fand am 21.7.1933 statt. Seine Schwester Klara, verheiratete Bloch, und deren Schwiegersohn Oskar Rousselle hatten Alfred für den Kauf Darlehen in der Gesamthöhe von ca. 30.000 RM gewährt, die durch Hypotheken auf das Haus abgesichert waren, siehe ebd (4, 5). Zweck dieser Hypotheken scheint allerdings weniger der finanzielle Bedarf von Alfred Marx gewesen zu sein, der solcher Geldmittel kaum bedurfte. Vermutlich sollten die Hypothekenzinsen ein sicheres zukünftiges Einkommen für die Geldgeber sein.

[12] HHStAW 685 531 a (5, 6).

[13] Im Jahr 1938 standen für das Haus in Wiesbaden den Mieteinnahmen von knapp 6.000 RM Ausgaben in Höhe von 7.730 RM gegenüber, ebd. (52).

[14] Lilli Buxbaum war am 9.9.1886 und Hertha Grünbaum am 1.6.1900 geboren worden. Die Angaben beruhen auf den Daten von ‚Tracing the Past’, wo die Daten der Volkszählung von 1939 im Hinblick auf die jüdischen Mitbürger ausgewertet wurden https://www.mappingthelives.org/bio/93fb7618-16b6-4ceb-91d0-6c75a0d4c44b und https://www.mappingthelives.org/bio/3371208f-acf2-4338-8cf2-9114d6a5ed6b (Zugriff: 15.11.2017). Sigmund und Lilli Marx hatten zwei Söhne, Karl Heinz, der später in England lebte und möglicherweise schon damals seinen späteren Namen Charlie Marks annahm, und Gerhard, der sich nach seiner Emigration in die USA Gerry nannte. Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt.

[15] Siehe dazu die Steuerakten HHStAW 685 531 (passim).

[16] Zit. nach Barkai, „Entjudung“, S. 130.

[17] Dokumente jüdischen Lebens in Schweinfurt, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schweinfurt Nr. 4, 1990, S. 70 f., hier ist ein Faksimile des Verzeichnisses vom 14.7.1938 abgedruckt, dazu ein weiteres Schriftstück in dem der Oberbürgermeister Pösl dem Regierungspräsidenten Schweinfurts am 23.8.40 mitteilt, dass sämtliche jüdischen Gewerbebetriebe Schweinfurts arisiert seien.

[18] Den Vorgang schilderte Max Marx im Rahmen des späteren Entschädigungsverfahrens, siehe Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt. In einem Schreiben vom 8.12.1938 an den Regierungspräsidenten Mainfranken in Würzburg bezifferte Alfred Marx seinen durch den erzwungenen Verkauf entstandenen Schaden auf 35.000 RM, siehe HHStAW 685 531 c (17).

[19] HHStAW 685 531a (82). Es waren 942 RM.

[20] Ebd. (3, 43). Welche konkreten Aufgaben er dort übernommen hatte, ist den Akten nicht zu entnehmen.

[21] Ebd. (62).

[22] HHStAW 685 531a (62). In seiner Steuererklärung von 1933 gab Alfred Marx an, als stiller Gesellschafter der Firma im vergangenen Jahr Kapitalerträge von mehr als 7.000 RM erhalten zu haben.

[23] HHStAW 685 531a (60, 62, 64). Zumindest im letzten Geschäftsjahr hatte die Firma nur noch Verluste erwirtschaftet. Sie wurde für knapp 5.000 RM verkauft. Zur Arisierung der Firma siehe  auch, Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39, Bd. VI, Göttingen 2016, S. 68. Der neue Eigentümer war ein Dr. F.W. Barich. Offensichtlich hatte er mit seiner Errungenschaft aber wenig Erfolg. Gerade die exportorientierten jüdischen Unternehmen, die oft mit anderen jüdischen Firmen im Ausland kooperierten, verloren schnell ihre dortigen Geschäftspartner und damit ihren Markt. Bajohr erwähnt in seiner Studie über die Arisierungen in Hamburg als ein Beispiel einer solchen erfolglosen Arisierung ausdrücklich die Firma Dr. Emil Marx, siehe Bajohr, Frank, The beneficiaries of ‘Aryanization’: Hamburg as a case study, in: Cesarani, David, Holocaust. Critical Concepts in Historical Studies Bd. 2, S. 21, dazu Anm. 41.

[24] HHStAW 685 531b (33). Allein die beiden Häuser in Schweinfurt und Wiesbaden hatten jeweils einen Einheitswert von mehr als 40.000 RM.

[25] HHStAW 519/3 4330 (o.P.). Diese Sicherungsanordnung wurde vom Oberfinanzpräsidenten Würzburg erlassen. Ob dieser bereits eine andere Anordnung vorausgegangen war, es sich bei dieser nur um eine Änderungsanordnung handelte, ließ sich den Akten nicht entnehmen.

[26] Die knappe Darstellung der Ereignisse folgt der Broschüre „Verschickt und verschollen – 1942. Reichspogromnacht 1938 und Judenverfolgung in Schweinfurt“, hg. DGB-Bildungswerk e.V. Kreis Schweinfurt, Schweinfurt 1989, S. 7-14. Offensichtlich war noch nicht überall bekannt, dass die Weinhandlung Marx inzwischen gar kein „jüdisches Geschäft“ mehr war. Nicht verschwiegen werden soll, dass es aber auch Menschen gab, die den Verfolgten beisprangen, sie in ihren Wohnungen aufnahmen und sie mit Nahrung versorgten. Siehe dazu auch Dokumente jüdischen Lebens in Schweinfurt, S.98. Der Oberbürgermeister von Schweinfurt Pösl bestritt trotz hinreichender Zeugenaussagen  in einem Schreiben vom 7.12.1938 an die Gestapo Würzburg zwar die Vorgänge auch bezüglich der Zerstörungen im Haus Marx: „Neben diesem Geschäft lief angeblich im Keller einer jüdischen Wohnung ein Weinfass aus. Näheres wurde jedoch hierüber nicht bekannt und es ist dies auch von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen worden“ Ebd. S. 58.

[27] HHStAW 685 531c (16).

[28] HHStAW 685 531b (69). Aus diesem Brief datiert mit „Wiesbaden, den 31. 10. 1939“ geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt noch immer das Finanzamt Schweinfurt für ihn zuständig war, obwohl er ganz offensichtlich bereits in Wiesbaden wohnte.

[29] HHStAW 685 531c (23,24).

[30] Ebd (o.P.).

[31] Ebd. (22). Eine allgemeine Sicherungsanordnung, verbunden mit der Auflage ein gesichertes Konto bei einer Devisenbank einzurichten, war offenbar zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen.

[32] Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt, dazu HHStAW 685 531a (71).

[33] Staatsarchiv Würzburg, Gestapo Nr. 7054.

[34] Dokumente jüdischen Lebens in Schweinfurt, S. 76.

[35] Brief des Staatsministeriums für Wirtschaft, Abteilung Landwirtschaft, Aktenzeichen Nr. III 6334 cj 1215, zit. nach Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt. Laut einem Brief, den Alfred  Marx am 5. 5.1939 an den Regierungspräsidenten in Würzburg gesandt hatte, war der Verkauf bereits am 6.4.1939 zustande gekommen. Statt des in der Vermögenserklärung von 1938 eingesetzten Betrags von 10.700 RM, hatte er nur knapp die Hälfte, nämlich 5.000 RM dafür erhalten, siehe HHStAW 685 531c (25).

[36] HHStAW 685 531b (43 ff.). Man muss dabei allerdings bedenken, dass der Familie Rousselle auf Grund der auf dem Haus lastenden Hypothek ohnehin faktisch Dreiviertel der Immobilie gehörte. Mit der Schenkung galt die Hypothek als getilgt.

[37] http://www.frontflieger.de/3-r-f.html. (Zugriff: 7.11.2019). Der Name Rousselle wird in einigen Dokumenten mit nur einem ‚s’ – Rouselle – geschrieben. Hier wird durchgängig die Schreibweise verwendet, mit der die Familie in Hanau gemeldet war, siehe auch http://www.presse-service.de/data.aspx/static/1001933.html. (Zugriff: 7.11.2019).

[38] HHStAW 685 531b (43). Es mag auch sein, dass die militärischen Verdienste des Vaters hier eine Rolle gespielt hatten.

[39] HHStAW 685 531b (o.P.).

[40] HHStAW 519/3 4330 (4). Wie sich aus der Steuerakte ergibt, waren beide seit Juli 1933 bei ihm angestellt, siehe HHStAW 685 531a (1).

[41] HHStAW 685 531b (47f.) und 519/3 4330 (4). Die beiden Damen hatten auch bis zum Jahresende in dem Haus in der Rückertstraße wohnen bleiben dürfen, siehe Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt.

[42] HHStAW 519/3 4330 (6), dazu Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt.

[43] Ebd. (2). Die Bank fragte zudem an, ob sie von dem gesperrten Konto 500 RM für den monatlichen Unterhalt freigeben dürfe.

[44] HHStAW 519/3 4330 (6).

[45] Zwar wurde die Anfrage zunächst mit dem Hinweis, solche Anträge müssten über die das Sicherungskonto führende Bank eingereicht werden, unbearbeitet zurückgeschickt, wurde aber dann am 7.5.1941, wahrscheinlich nachdem man den vorgeschriebenen Weg gegangen war, doch noch genehmigt. HHStAW 519/3 4330 (17, 18).

[46] HHStAW 519/3 4330 (5, 11, 12). Neben einem chronischen Gallenleiden, hatte er im Herbst 1939 auch einen Nervenzusammenbruch erlitten. Zur Behandlung seines Gallenleidens machte er regelmäßig „Mineralwasserkuren“, unsicher ist allerdings, ob er damit das Wiesbadener Brunnenwasser meinte. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, dann könnte darin auch ein Grund für die Wahl Wiesbadens als Alterswohnsitz gesehen werden.

[47] https://www.mappingthelives.org/bio/93fb7618-16b6-4ceb-91d0-6c75a0d4c44b
https://www.mappingthelives.org/bio/3371208f-acf2-4338-8cf2-9114d6a5ed6b
https://www.mappingthelives.org/bio/d00c3331-e692-4b2a-8623-b328bd472685
https://www.mappingthelives.org/bio/1c87bc85-84b8-4359-9bcb-176a46545d36 (Zugriff: 24.10.2019). Die Angabe über die Kinder beruht auf der Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt, dazu Mainpost vom 15.10.2019 S. 25.

[48] Diese Vermutung gründet auf einer Aktennotiz vom September 1933, in der es heißt, das Emil Marx seiner Nichte Emma Rousselle in Angola 14.378 RM „vermacht“ habe, siehe HHStAW 685 531b (7). Im Adressbuch der Hansestadt Hamburg ist im Jahr 1931 noch Emil Marx als Geschäftsführer der Firma Dr. Emil Marx eingetragen, in den folgenden Jahren bis zum Verkauf hingegen Alfred Marx. Auch das kann als Indiz für sein Ableben gewertet werden.

[49] https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/46197-berta-bloch/. (Zugriff: 2.11.2019).

[50] http://www.frontflieger.de/3-r-f.html. (Zugriff: 7.11.2019). Informationen über das weitere Schicksal seiner Familie konnten bisher nicht gefunden werden.

[51] Sterberegister der Stadt Wiesbaden 2129 / 1941. Es ist nicht bekannt, wer die Beerdigung in Schweinfurt veranlasste. Vielleicht hatte er selbst eine entsprechende Verfügung hinterlassen. Die Mitteilung über sein Ableben beim Standesamt machte Helene Schwarz, geborene Birnzweig. Möglicherweise erledigte sie diese Aufgabe im Auftrag der Jüdischen Gemeinde, denn als ihre Adresse ist die Friedrichstr. 33 angegeben. Ihr Mann Rudolf Schwarz war dort bei der Jüdischen Gemeinde in den letzten Jahren für die Buchführung zuständig. Auch andere Todesmitteilungen jüdischer Gemeindemitglieder wurden von ihr der Stadtgemeinde überbracht, so z. Bsp. die von Leo Goldstein im Jahr 1942, ebenfalls mit der Adressangabe Friedrichstr. 33.

[52] Nach Aussage von Charlie Marks, Sammlung E. Böhrer, Schweinfurt.

[53] Siehe HHStAW 519/3 4330 (30).

[54]. Ebd. (31).

[55] Mainpost vom 15.10.2019 S. 25.