Nerotal 53

Die Familien Herz und Netter sowie das Juweliergeschäft ,Netter, Herz & Heimerdinger‘


Das Judenhaus Nerotal 53
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Lage des früheren Judenhauses Nerotal 53

 

 

 

 

 

 

 


Bevor die Villa im Nerotal 53 zum Judenhaus wurde, hatten die Eigentümer, das Ehepaar Bruno und Anna Netter, das Haus, die Stadt und auch Deutschland bereits verlassen. Vielleicht war das der Grund, weshalb es auf die Liste der Ghettohäuser geriet, obwohl es von seiner architektonischen Anlage her für diese Funktion eigentlich völlig ungeeignet war. Die Gesamtwohnfläche des ursprünglich als Einfamilienhaus, besser als Einfamilienvilla, konzipierten Hauses wurde zwar später in drei Wohnungen aufgeteilt, aber da waren die jüdischen Eigentümer schon außer Landes und neben den wenigen dort noch lebenden jüdischen Bewohnern waren inzwischen auch schon arische Mieter in die attraktive Immobilie eingezogen.
Wenn es sich somit aus den genannten Gründen um ein eher atypisches Judenhaus handelt, so liegt seine besondere Bedeutung darin, dass die Familie des Juweliers Netter mit ihren vielfachen verwandtschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen Wiesbaden in den Jahrzehnten vor der „Machtergreifung“ ganz wesentlich geprägt hatte. Die Familien, mit denen Netters verbunden waren, spielten sogar schon seit dem 19. Jahrhundert eine gewichtige Rolle in der Stadt.
Auch deswegen liegen hinreichend Quellen zu den Familiengeschichten und zu den einzelnen Personen sowie ihren wirtschaftlichen Unternehmungen gerade auch in der Zeit des Nationalsozialismus vor, sodass eine Aufarbeitung ihres Schicksals relativ gut möglich ist. Allerdings ist es nicht immer einfach, die vielen Verbindungen der verschiedenen Familien untereinander zu durchdringen und zu überblicken.[1]

 

Die Familie Herz

Bruno Netter, der Eigentümer des Hauses Nerotal 53, stammte selbst nicht aus Wiesbaden. Er erlangte seine herausragende gesellschaftliche Stellung, weil er in eine Familie einheiratete, die Familie Herz, die als Hofjuweliere selbst schon eine führende Rolle in der Stadt innehatte. Allerdings stammten deren Vorfahren zum größten Teil ursprünglich auch nicht aus der Kurstadt am Taunus. Aber über die mütterliche Linie seiner Ehefrau Anna Herz findet sich dann doch eine genealogische Verbindung, die im frühen 19. Jahrhundert ihren Ausgangspunkt in Wiesbaden hatte.

Heirat von Moritz Ballin und Julie Liebmann am 21.3.1858 in Schierstein

Johanna Herz, die Mutter von Bruno Netters Frau, war am 30. Mai 1860 als Johanna Ballin in Frankfurt zur Welt gekommen.[2] Von dort stammten auch ihre Eltern, Moritz und Julie Ballin, geborene Liebmann. Während die Vorfahren von Moritz Ballin, Jakob und Jette Ballin, geborene Joeckel, auch Jokel oder Jogel, zwar aus Hanau kamen, war Julie Liebmann eine Wiesbadenerin, genauer: ein Schiersteiner Mädchen.[3]

Ihre Eltern, Jakob und Fanny Vogel Liebmann, geborene Feist, später Oppenheimer, hatten insgesamt neun Kinder, u.a. die 1817 geborene Johannette / Jeanette, die Hermann Herz Herxheimer, den Sohn des Dotzheimer Mühlenbesitzers Isaak Herxheimer, ehelichte und damit die Verbindung zu einer der bedeutendsten jüdischen Familien der Stadt begründete. Nicht nur war der Bruder ihres Ehemanns Salomon Herxheimer ein namhafter Rabbiner, der 1831 zum Landesrabbiner von Anhalt-Bernburg ernannt wurde, aus den neun Kindern von Herz und Jeanette Herxheimer gingen mit Dr. Salomon und Prof. Dr. Karl Herxheimer allein zwei Ärzte hervor, die einen weit über die Stadt hinausreichenden, sogar internationalen Ruf genossen. Letzterer gehörte zu den Pionieren des neuen medizinischen Fachbereichs der Dermatologie, die er auch in den Städtischen Kliniken in Wiesbaden etablierte und damit den Ruf der Stadt als Heil- und Kurstadt wesentlich bereicherte.[4]

Julies ältere Schwester Lina, geboren am 4. April 1831, heiratete den ebenfalls aus Schierstein stammenden Julius Herz, geboren am 11. April 1819. Mit dieser Ehe kam die Verbindung zu einer weiteren sehr bedeutenden jüdischen Familie Wiesbadens zustande. Sein Vater Salomon Herz, geboren um 1744, war der Ehemann von Gütel Tendlau, geboren am 20. Mai 1781, die wiederum die Tochter des bekannten Wiesbaden Rabbiners Abraham Salomon Joseph war, der später den Namen Tendlau annahm und als Stammvater eines großen Familienverbandes angesehen werden kann. Ein Jahr bevor er 1790 verstarb, erwarb er das älteste jüdische Badehaus ‚Zum Rebhuhn’ in der Spiegelgasse, das nach einem Stadtbrand im 16. Jahrhundert abgebrannt, dann im 18. Jahrhundert wieder aufgebaut worden war und dann sogar die Synagoge beherbergte.[5].

Julius Herz
Julius Herz
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Gütel, die einzige Tochter des ersten Wiesbadener Rabbiners, war mit dem 1744 geborenen Salomon Herz verheiratet. Aus der Ehe der beiden sind nur zwei Kinder, zwei Söhne, bekannt, aber vermutlich waren es mehr, denn der Abstand zwischen den beiden beträgt elf Jahre. Der jüngere Julius Herz, geboren am 11. April 1819, wurde der Ehemann von Lina Liebmann, der Schwester von Julie und Johannette Liebmann. Und auch diese Ehe, geschlossen am 30. April 1850 in Wiesbaden,[6] sollte sich als eine sehr gute Partie erweisen, denn Julius Herz hatte den Beruf eines „Silber- und Goldarbeiters“, sprich eines Juweliers, erlernt.

Julius Herz
Der Goldarbeiter Julius Herz wird 1845 in den Gewerbeverein des Herzogtums Nassau  aufgenommen
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Nachdem er 1837 seine Prüfung abgelegt hatte, war er anschließend auf die damals noch übliche Wanderschaft gegangen, die in seinem Wanderbuch detailliert dokumentiert ist. Stationen waren u. a. Osnabrück, Peine, Magdeburg, Dresden und Leipzig, zwischendurch hielt er sich aber immer wieder auch in Wiesbaden auf.[7] Nach Abschluss dieser Wanderzeit innerhalb von Deutschland ließ er sich 1842 einen Heimatschein und Reisepass für einen Aufenthalt in Frankreich ausstellen. Nach seiner Rückkehr erhielt 1843 die Erlaubnis, die Profession eines Gold- und Silberarbeiters in seiner Heimatstadt auszuüben, allerdings mit der Einschränkung, keinen Handel betreiben zu dürfen. 1845 wurde ihm die Mitgliedschaft im Gewerbeverein des Herzogtums Nassau zuteil. Unklar ist aber, ob damit auch die bisherige Beschränkung aufgehoben wurde.[8] Aber spätestens 1854 durfte er sich als Juwelier und Goldschmied bezeichnen, was ganz sicher den Handel mit seinen Produkten implizierte. Seinen Laden hatte er in der unteren Webergasse im Haus Nr. 47 eingerichtet.[9]
Immerhin ermöglichte ihm die sichere wirtschaftliche Grundlage nun die Gründung einer Familie. Seine Frau gebar in den folgenden dreizehn Jahren insgesamt sieben Kinder, sechs Söhne und ein einziges Mädchen.[10] Nur ihr Sohn Ferdinand, von Beruf Kaufmann, erlebte noch die ersten Jahre der NS-Zeit. Aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass bei seinem Tod am 17. Dezember 1935 in Berlin – er war 78 Jahre alt geworden – Gewalt im Spiel gewesen sein könnte.[11] Welchem konkreten Beruf er, der zeitlebens ledig blieb, als Kaufmann in Berlin nachgegangen war, ließ sich nicht ermitteln.

Gleich vier der sechs Söhne von Julius Herz – Arnold war schon als Kleinkind verstorben – übten aber als Gold- und Silberschmiede das gleiche Handwerk wie ihr Vater aus.

Julius Herz
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Der Vater Julius Herz in der Mitte links, hinter ihm von links die Söhne Salomon und Ferdinand,links die Tochter Julchen, rechts Jacob und Adolf, vorne Hermann

Jacob Herz, verheiratet mit Betty Landsdorf, und sein jüngerer Bruder Hermann machten dabei die größte Karriere. Sie stiegen in Berlin als königlich-kaiserliche Hofjuweliere in die allerhöchsten gesellschaftlichen Kreise der Reichshauptstadt auf. Dies gelang durch ihren Einstieg in die dort 1829 gegründete Firma ‚Gebr. Friedländer’.[12] Nach dem Tod des Gründers Zadig Levin Friedländer übernahm 1861 sein Sohn Siegmund die Leitung des Juwelen- und Silberwarengeschäfts, dessen eigentlicher Aufstieg mit der Gründung des Kaiserreichs 1871 begann. Die neue Metropole mit ihrem großen Hofstaat, einer breiten Beamtenschaft und einem wachsenden, sich am Leben des Adels orientierenden konsumkräftigen Bürgertum sorgte für eine stetig wachsende Nachfrage nach Prestigeobjekten aus Edelmetall, Steinen und Perlen. Unter Kaiser Wilhelm I. und seiner Frau Luise von Preußen war dem Unternehmen der Titel eines Hofjuweliers verliehen worden.

Werkstatt der Juweliere Friedländer in Berlin
Heft zum 75jährigen Firmenjubiläum

In dieses Unternehmen war Jacob Herz zunächst als Prokurist, dann 1881 als Kompagnon aufgenommen worden. 1896, ein Jahr vor seinem Tod, stieg Jacob Herz wieder aus dem Unternehmen aus, aber sein jüngerer Bruder Hermann hatte schon seit 1893 praktisch seine Stelle im Unternehmen übernommen. Nicht nur das: Ein Jahr später, 1894, heiratete er Else Friedländer, die am 20. Dezember 1874 geborene Tochter von Theodor Friedländer, einem der zwei Söhne des Firmengründers.[13] Als mit Felix Friedländer ein letzter Spross aus der Gründerfamilie 1914 verstarb, blieb zwar der Firmenname erhalten, Eigentümer waren aber inzwischen die Familie Herz und die mit ihr, freundschaftlich sehr eng verbundene, ebenfalls jüdische Familie Strauß. Nachdem auch Hermann Herz am 9. April 1923 seine letzte Ruhe fand,[14] übernahm sein Sohn Dr. Theodor Herz die Führungsrolle. Der promovierte Volkswirt und Kommerzienrat, geboren am 10. Mai 1899 in Berlin, war seit 1924 verheiratet mit Luise Charlotte Heymann aus Breslau.[15] Ob auch seine Geschwister Günther, Walter und Nora sich im Unternehmen engagierten, ist nicht bekannt. Jedenfalls konnte 1929, als sich die Lage nach den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahren’ völlig veränderte, noch das 100-jährige Jubiläum gefeiert werden, bevor dann wenige Jahre später die Nazis dem jüdischen Unternehmen, das so ganz dem Klischee antisemitischer Propaganda entsprach, sein Ende bereiteten. 1939 war die Firma arisiert und unter dem neuen Namen ,Deutsche Goldschmiedekunst-Werkstätten‘ im Handelsregister mit dem neuen Eigentümer, dem preußischen Staatsrat und Freund Görings Dr. Kurt Hermann eingetragen.

Else Herz, geborene Friedländer, musste das nicht mehr erleben. Sie war am 20. März 1936 in Berlin verstorben.[16] Die Todesnachricht überbrachte damals ihre Tochter Nora, geboren am 10. September 1906, die damals schon nach England emigriert war und in London lebte. Später heiratete sie Max Salomon, mit dem sie weiter nach Norwegen ging, wo sie am 20. Juli 1999 in Oslo verstarb.[17]
Auch Theodor Herz soll mit seiner Frau noch aus Deutschland herausgekommen sein, aber sichere Informationen liegen darüber nicht vor. Angeblich verstarb er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in Buenos Aires in Argentinien.[18]
Sicher ist dagegen, dass seine beiden Brüder Günther und Walter in die USA ausgereist waren, lange bevor die NSDAP die Macht in Deutschland errungen hatte. Schon am 1. Oktober 1925 hatte sich Günther in New York niedergelassen, wo er am 4. Januar 1929 die aus der Nähe von Hannover stammende Dorothea Margarete Görger geheiratet hatte.[19] Im Januar 1932 war Günther Herz aber noch einmal in Deutschland gewesen, hatte vermutlich seine Mutter besucht und auch 1935 muss er sich noch einmal zumindest in Europa aufgehalten haben, wie man den entsprechenden Passagierlisten entnehmen kann.[20]

Dorothea Herz, geborene Viehover
Walter Herz
Einbürgerungsantrag von Walter Herz in den USA
https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/1618440:3998

Sein jüngerer Bruder Walter war bei der Hochzeit von Günther und Dorothea schon als Trauzeuge in New York anwesend.[21] Er hatte sogar schon im Jahr zuvor am 4. November in New York Gladys Louise Viehover geheiratet, die am 20. April 1904 in London geboren worden war. Sie gab an, am 23. Dezember 1927 von Bremen aus in New York in die USA eingereist zu sein. Die beiden müssen aber nach ihrer Eheschließung ebenfalls häufig unterwegs gewesen und auch mehrfach wieder nach Europa gekommen zu sein. Das lässt sich aus den Geburtsangaben ihrer beiden Kinder schließen, denn am 22. Dezember 1930 war in Berlin ihre Tochter Evelyn und am 26. September 1933 in London ihre zweite Tochter Margret geboren worden.[22]

 

Karte des Hofjuweliers Julius Herz

Der Firmengründer Julius Herz war mit seinem Sohn Adolf und den beiden ledigen Kindern Salomon und Julie in Wiesbaden geblieben, wo sie gemeinsam das Geschäft in der Webergasse betrieben. Lina, die Ehefrau von Julius Herz und Mutter der fünf Kinder, war bereits am 23. Dezember 1863 aus dem Leben geschieden.[23]
Lange bevor der Witwer selbst am 19. Oktober 1911 im hohen Alter von 92 Jahren in Wiesbaden in seiner Wohnung im Kaiser-Friedrich-Ring 55 verstarb,[24] hatte er das Geschäft bereits 1886/87 an die beiden Söhne übergeben, die wenig später mit dem Titel Hofjuweliere geehrt wurden.[25] Julie, die, wie ihr Bruder Salomon, unverheiratet geblieben war, lebte zumindest in ihren letzten Lebensjahren als Rentier zusammen mit Salomon Herz in der Parterrewohnung des Hauses Adolfsallee 22, wo sie am 8. Juni 1907 im Alter von nur 47 Jahren verschied.[26] Ihr Bruder Adolf wohnte zunächst in der Goethestr. 2, der heutigen Matthias-Claudius-Straße, fand aber dann bald für seine neu gegründete Familie eine Wohnung in der Adelheidstraße.

Johanna Herz Ballin
Johanna Herz, geborene Ballin
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Er hatte seine Ehefrau im eigenen Familienverbund gefunden. Am 26. Februar 1882 heiratete Adolf Herz in Frankfurt seine Cousine Johanna Ballin, die Tochter von Moritz und Julie Ballin, geborene Liebmann.[27] Auch die Schwester der Braut, Amalie Ballin, hatte nach Wiesbaden geheiratet. Mit ihrem Ehemann, dem Weinhändler Heinrich Hirsch, wohnte sie später in der Blumenstr. 7, einem Haus, das unter den Nazis ebenfalls zu einem Judenhaus wurde.[28]
Johanna Ballin / Herz war eine sehr gebildete Frau, die das Philanthropin, die erstklassige jüdische Bildungsanstalt in ihrer Heimatstadt Frankfurt, besucht hatte. Sie war sehr belesen, las fremdsprachige Literatur auch im Original, denn sie beherrschte sowohl die englische als auch die französische Sprache. Allerdings soll sie trotz dieser kulturellen Offenheit politisch eine sehr franzosenfeindliche und nationalistische Einstellung gehabt haben. Auch war sie eine „fantastische“ Klavierspielerin – wie Gaby Glückselig über ihre Mutter sagte. Bei Hauskonzerten im Salon der Wohnung in der Adelheidstr. 70, spielte sie oft zusammen mit Gästen am großen Flügel oder am ebenfalls vorhandenen Klavier.

Hans Peter Merzbacher, ein Enkel von Adolf und Johanna Herz, hat in seinen Erinnerungen ein liebevolles Bild von seinen Großeltern mütterlicherseits in Wiesbaden gezeichnet:

Adolf Herz
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“Adolph Herz, 1854 geboren, war ein angesehenes und wohlhabendes Mitglied des Wiesbadner Buergertums, Juwelier von Beruf und Inhaber eines renommierten Juwelier- und Silberschmied-Detailsgeschaeftes. Mein Urgrossvater, Julius Herz, war der Gruender der Firma.
Ich kannte meinen Grossvater noch und erinnere mich auch dunkel an sein ruhig-elegantes Geschaeft an der Webergasse. Er war der sprichwoertliche Grossvatertyp: Eher klein, ein wenig beleibt, ovales Gesicht, von einem weissen Spitzbart geziert. Was seine Erscheinung zu wuenschen uebrig gelassen haben mag, wurde durch sein gewandtes und immer liebenswuerdiges Auftreten gut aufgehoben. Er genoss das Vertrauen seiner Kundschaft, die Achtung des Buergertums und die Zuneigung seiner Familie. (…)
Wesentlich lebhafter und vollstaendiger entsinne ich mich meiner Grossmutter. Auch sie war von kleiner Statur, aeusserlich keine sehr ansprechende Erscheinung. Gemaess einer fest verwurzelten Familientradition lehnte sie jede Art von Unbescheidenheit ab. Sie kleidete sich mit puritanischer Einfachheit, obwohl sie sich eine etwas modischere Garderobe sicher leisten konnte. Ich fuehlte mich wohl bei ihr, wo man in einer bei uns zu Hause nicht ueblichen Weise verwoehnt wurde. Dort in Wiesbaden, schien alles besser, nicht zuletzt die Broetchen. Wir Muenchner, damals acht Schnellzugstunden von Wiesbaden entfernt, waren dort jaehrlich zweimal zu Gast. Reise und Besuch waren immer ein Erlebnis. ‚Grossmama’ war eine gebildete Frau. Sie war belesen und sprach annehmbares Englisch und Franzoesisch. Sie war auch eine gute Klavierspielerin, die bis in ihr hohes Alter gerne vierhaendig spielte. Sie bleibt unvergesslich.“
[29]

Nach der Eheschließung war mit Lina Lilly am 14. November 1883 das erste Kind in der Ehe geboren worden.[30] Am 21. März 1887 folge mit Elisabeth Helene Emmy, die im Allgemeinen nur mit dem letzten Vornamen gerufen wurde, ein weiteres Mädchen.[31] Knapp fünf Jahre später wurde dann Adele Maria geboren[32] und auch das letzte Kind, Alice Margarete, die am 3. Mai 1896 zur Welt kam,[33] war wieder ein Mädchen, sodass gemäß den damaligen Traditionen, ein männlicher Nachfolger für eine spätere Geschäftsübernahme nicht zur Verfügung stand.

Johanna Herz
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Der 70-ste Geburtstag von Johanna Herz
(1) Eva Laser, (2) Eduard Laser, (3) Jacob Ballin [Bruder von  Johanna], (4) Johanna Herz, (5) Lina Lilly Laser, (6) Gaby Netter, (7) Paul Heymann, (8) Bruno Netter, (9) Anna Netter, (10) Alfred Selz ?, (11) Emmy Merzbacher, (12) Rudolf Laser, (13) Otto Merzbacher, (14) Willy Merzbacher, (15) Alice Selz, (16) Peter Merzbacher, (17) Antonie Selz, (18) Martha Selz, (19) Antonie Selz

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Die Enkelkinder von Johanna Herz
hintere Reihe von links: Gaby Netter, Peter und Willy Merzbacher, Eva Laser
vordere Reihe von links: Doris Netter, Rudolf Laser, Martha Selz, Johanna Herz und Antonie Selz

Johanna Herz war der Mittelpunkt, das Herz der Familie Herz, und das blieb sie nach den Erinnerungen ihrer Enkelin Gaby Glückselig auch, nachdem die Töchter eigene Familien gegründet hatten. Gerade der Freitagabend gehörte der Familie. Alle in Wiesbaden noch lebenden Verwandten kamen dann zum gemeinsamen Abendessen zu ihr. Man mag darin einen Bezug auf alte jüdische Shabbattraditionen erkennen, aber diese Treffen entbehrten inzwischen jeglichen religiösen Implikationen. Zwar soll Julius Herz, der damals schon um die 90 Jahre alt war, hin und wieder in die Synagoge gegangen sein, habe aber, wenn man ihn nach dem Inhalt der Predigt fragte, immer geantwortet, dass er da gerade ein wenig geschlafen habe. Allerdings hatten die sonntäglichen Spaziergänge zum Jüdischen Friedhof an der Platter Straße zumindest unter den weiblichen Familienmitgliedern eine gewisse Tradition, aber auch hier ging es nicht primär um Religion. Die Familie von Adolf Herz gehörte, wie die meisten anderen erfolgreichen jüdischen Geschäftsleute, unzweifelhaft zu den assimilierten Wiesbadener Juden, die sich bestenfalls an den hohen Feiertagen in der Synagoge blicken ließen.

Brosche in schwarzem Lederetui, Korpus gedrehter eckiger Golddraht, mit in sich gedrehten kleinerem Draht besetzt, an beiden Enden Lapislazulikugeln

Dennoch tauchen Namen aus der Familie Herz sehr häufig als Mitglieder der verschiedenen jüdischen Vereine und Organisationen im Jüdischen Adressbuch von 1935 auf. Nicht mehr nachvollzogen kann allerdings, seit wann jeweils diese Mitgliedschaft bestand, ob sich darin angesichts der von außen aufgezwungenen jüdischen Identität eine tatsächliche, späte Hinwendung zum Judentum offenbart oder ob man schon früher, eher aus konventionellen Gründen, formal eine solche Mitgliedschaft beantragt hatte. Auch ist grundsätzlich infrage zu stellen, ob die Angaben im Adressbuch überhaupt mit der Realität übereinstimmten, denn da ist auch Adolf Herz noch als Mitglied des ‚Vereins zur Errichtung eines israelitischen Krankenhauses und eines Schwesternheims’ aufgeführt, obwohl dieser 1935 schon seit zwölf Jahren tot war.

Schon kurz nach der Jahrhundertwende war das Geschäft von Adolf Herz von der Webergasse 9 in das näher zum Kurzentrum gelegene Haus mit der Nummer 3 umgezogen, wo ein repräsentativer Laden und im Hinterhaus die Werkstatt eingerichtet war.

Das Geschäft ‚Julius Herz‘ in der Webergasse 3
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Den beiden Brüdern Salomon und Adolf Herz gelang es noch, das Geschäft gemeinsam durch die schwierigen Kriegsjahre und die folgende Revolutionsphase zu bringen, aber schon bald danach verstarb am 15. Januar 1920 der ältere Salomon,[34] sodass die Weiterführung nun dem jüngeren Bruder Adolf oblag. Es waren nur drei Jahre, in denen er die Rolle eines Seniorchefs innehatte, dann verstarb auch er am 14. April 1923 in der Hochphase der Inflationskrise.[35]

Die Witwe Johanna Herz blieb zunächst noch in der Wohnung in der Adelheidstr. 70 wohnen, zog dann übergangsweise in die Sonnenberger Str. 70. Im Adressbuch von 1929 ist sie dann erstmals als Bewohnerin ihres Hauses Hainerweg 3 verzeichnet, das bald nach dem Krieg und noch zu Lebzeiten von Adolf Herz erworben worden war. 1922 ist er erstmals als Eigentümer der bisher als ‚Villa Stillfried’ bezeichneten Immobilie im Adressbuch eingetragen.

Heirat von Anna und Bruno Netter
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Zwar gab es nach dem Tod von Adolf Herz keinen männlichen Erben, aber längst war durch die Ehe seiner Tochter Anna mit Bruno Netter ein kompetenter Nachfolger für das Geschäft gefunden worden. Am 19. April 1913 hatten die beiden geheiratet und am folgenden Tag im festlichen Ambiente des Wiesbadener Kurhauses dieses Ereignis gebührend gefeiert.[36] Ort und überliefertes Menü lassen erkennen, welchem sozialen Status man inzwischen erreicht hatte.

Die Familie Netter und das Juweliergeschäft ‚Netter, Herz & Heimerdinger’

Grab Netter Wallerstein
Grab von Louis und Bertha Netter, geb. Wallerstein
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Stammbaum Netter
Der Stammbaum der Familie Netter und die Verbindung zur Familie Herz
GDB

Brunno Netter, geboren am 14. Mai 1881, war das letzte von vier Kindern des Ehepaars Louis und Bertha Netter, geborene Wallerstein. Ursprünglich stammte die Familie Netter aber aus Kippenheim am Rand des Schwarzwaldes im heutigen Ortenaukreis. Dort war der Vater Herz Samuel, der den festen Familiennamen Netter angenommen hatte, mit seiner Frau Maria Anna, geborene Weil, und seinen sieben oder acht Kindern sesshaft geworden. Eines der vielen Kinder war der 1811 geborene Leopold, verheiratet mit Babette Wallerstein, die die Eltern von Louis Netter wurden. Sie waren nach Pforzheim gezogen, dem traditionellen Zentrum der Goldschmiedekunst in Deutschland, und dort ebenfalls zu Hofjuwelieren aufgestiegen. Während der älteste Sohn Hermann eine akademische Laufbahn als Mediziner einschlug, traten die beiden jüngeren Söhne, Albert und Bruno, in die Fußstapfen des Vaters und wurden von diesem in alle Bereiche des Handwerks und auch des Geschäftslebens eingeführt.[37]

Bruno u Anna Netter
Bruno und Anna Netter
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Bruno Netters Tochter Gaby sagte über ihren Vater allerdings aus, dass er weniger Geschäftsmann, sondern in erster Linie ein Künstler gewesen sei, der wunderschöne Zeichnungen, auch Karikaturen, angefertigt und auch frei stehende Skulpturen modelliert habe. Bis ins hohe Alter sei er zudem ein sehr gut aussehender Mann gewesen, somit angesichts all dieser Eigenschaften zweifellos eine ideale Partie für eine der Töchter von Adolf und Johanna Herz. Aber unabhängig davon scheint es auch eine glückliche Ehe gewesen zu sein, wie man aus den Schilderungen von Gaby Glückselig schließen kann.

Bruno Netter holte auch seinen Bruder Albert, geboren am 24. Februar 1874 ebenfalls in Pforzheim,[38] nach Wiesbaden, wo er 1920 als Prokurist mit einer 10-prozentigen Gewinnbeteiligung am Geschäft beteiligt war. 1920 bedeutete das ein Einkommen von rund 12.000 RM.[39]

Gaby Netter
Gaby Netter mit 6 Jahren
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Nicht weit von Albert Netter entfernt lebte inzwischen auch die Familie seines Bruders. Nach ihrer Eheschließung hatten Bruno und Anna Netter zunächst in der Schenkendorfstr. 7 eine Wohnung angemietet, wo am 27. April 1914 ihr erstes Kind, die Tochter Gabriele Berta, genannt Gaby, geboren wurde.[40] 1918, nachdem sich ein weiteres Kind, die am 9. April 1919 geborene Tochter Doris Renate, angekündigt hatte,[41] war die Familie in die ‚Villa Marmion’ gezogen. Die Immobilie im Nerotal 53 war bereits vor dem Ersten Weltkrieg zum Preis von 68.500 RM erworben worden, nachdem am 1. Februar 1916 laut Grundbucheintragung die Zwangsversteigerung angeordnet worden war.[42] Dieses Villengebiet am Südhang des Nerobergs gehört noch heute zu den besten Wohnlagen der Stadt und zeugt von den finanziellen Ressourcen und der gesellschaftlichen Stellung der dortigen Bewohner.

Nerotal
Das Nerotal in einer alten Ansicht

Gaby Glückselig erinnerte sich bei einem ihrer späteren Besuche in Wiesbaden an die innere Ausstattung des Hauses, das trotz der 8 Wohn- und drei Mansardenräume eigentlich als Einfamilienhaus konzipiert war. Erst später sei nach ihrer Erinnerung eine Wohnung mit zwei Zimmern abgetrennt und vermietet worden.[43] Im eleganten Speisezimmer habe ein Buffet gestanden, das nicht nur das Geschirr aufbewahrt wurde, sondern zugleich wie eine museale Vitrine dazu diente, diverse Antiquitäten, Gläser und Schmuckstücke zu präsentieren. Das Besondere sei gewesen, dass man vom Esszimmer aus über eine Sprachröhre direkt zu der im Untergeschoss gelegenen Küche Kontakt aufnehmen konnte und dem Personal Servieranweisungen übermitteln konnte. Das Esszimmer war durch eine große Schiebetür vom eigentlichen Wohnzimmer getrennt, vor dem wiederum der nach Süden ausgerichtete Balkon lag. Im Parterre befanden sich der Salon mit einem großen Flügel, ein Herrenzimmer und ein Ankleideraum, der aber faktisch von den beiden Hunden, die in unterschiedlichen Exemplaren das Familienleben der Netters immer begleiteten, als ihr „Wohnzimmer“ genutzt wurde. Im Souterrain, wo die Wirtschaftsräume, die Küche und ein Bügelzimmer gelegen waren, stand eigens für sie zudem eine eigene Badewanne zur Verfügung. Später erwarben Netters auch noch ein kleines Nachbargrundstück, auf dem eine Garage errichtet wurde.

Die Gewinnverteilung des Unternehmens laute Einkommensteuererklärung von 1927
HHStAW 585 264 (2)

Laut seinen Einkommensteuerakten konnte Bruno Netter nach der ersten Krise der Weimarer Republik sein Einkommen in den folgenden Jahren erheblich steigern. Gab er 1925 noch an, Einkünfte von etwa 23.000 RM gehabt zu haben, dann steigerten sich diese bis zur nächsten Wirtschaftskrise auf etwa 40.000 RM. Auch Albert Netters Einkommen hatte sich während der Jahre der Weimarer Republik nahezu verdoppelt, lag 1927 bei 18.000 RM, dann in den folgenden beiden Jahren bei 17.000 RM. Seit 1924 war sein Gewinnanteil auf 25 Prozent erhöht worden.[44]

Aber auch ein Geschäft mit Luxuswaren blieb von dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft ab dem Ende der Zwanziger Jahr nicht verschont. Schon im Jahr 1929 war der Umsatz um 200.000 RM gegenüber dem Vorjahr eingebrochen.[45] Zwar blieb das Einkommen von Bruno Netter zunächst bis 1930 noch relativ stabil bei mehr als 30.000 RM im Jahr, brach aber danach deutlich ein. 1931 standen ihm nur noch 15.000 RM und im folgenden Jahr nur noch 4.200 RM zur Verfügung. Allerdings muss man die Zahlen ab 1930 genauer betrachten, denn sie resultierten aus einer Veränderung der Unternehmensstruktur und -verfassung, die angesichts der heraufziehenden Wirtschaftskrise notwendig wurde.

Bruno Netter vor dem Geschäft in der Webergasse 3
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Sie wird der Grund dafür gewesen sein, dass sich verschiedene Geschäftsleute aus der heimischen Juwelierbranche Ende 1929 entschlossen, ihre jeweiligen Unternehmen zu einer einzigen GmbH zu bündeln. So entstand am 31. Dezember 1929 die „Netter, Herz & Heimerdinger GmbH“.[46]
Gesellschafter war zunächst Bruno Netter, der neben seinem eigenen Kapital unter seinem Namen auch die Einlage der Schwiegermutter aus der früheren O.H.G in die neue Gesellschaft einbrachte. Johanna Herz war schon seit dem 31. Dezember 1922 aus dem Unternehmen ausgeschieden, hatte aber als stille Gesellschafterin in der O.H.G. eine zu verzinsende Einlage von 160.000 RM gelassen. Dieses Kapital hatte sie bei der Neustrukturierung ihrem Schwiegersohn als ein privates verzinsliches Darlehen gegeben, das dieser nun in die GmbH einbrachte und in den Folgejahren an Johanna Herz zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zurückzahlen sollte. Daraus erklären sich seine hohen Abzüge vom eigentlichen Einkommen aus dem Unternehmensgewinnanteil seit 1931. Aber das Geld blieb immerhin in der Familie.

Die Gesellschafter der GmbH und ihre Anteile
HHStAW 685 609 (130)

Obwohl nach dieser Transaktion nominal kein Kapital der Familie Herz mehr in dem Unternehmen stecke, blieb der traditionsreiche Name aber dennoch erhalten. Bruno Netter hatte insgesamt 330.000 RM in der Firma angelegt.[47] Noch zwei weitere Mitglieder der großen Netter-Familie gehörten anfangs zum Kreis der Gesellschafter, zum einen Albert Netter, jetzt mit einem Kapitalanteil von 12 Prozent, zum anderen Paul Netter, dessen Anteil aber nicht bekannt ist. Auch ist nicht sicher, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis dieser zu den Wiesbadener Netters stand.[48]
Vermutlich brachte er in die Gesellschaft eine Dependance in Mannheim ein, die allerdings bald wieder geschlossen wurde. Ebenfalls wurde eine weitere Niederlassung der Netters in Baden-Baden in die GmbH integriert. Es handelte sich dabei um eine „Verkaufsbude“, die sich vor dem dortigen Kurhaus befand und schon seit 1875 von der Familie Netter – von welcher Linie ist nicht bekannt – betrieben wurde.[49] Wenn in der Quelle von „Verkaufsbude“ die Rede ist, so wird das der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Geschäfts kaum gerecht. Obwohl es nur während der Kur-Saison, d.h. im Sommer, geöffnet war, erwirtschaftete man dort trotz der reduzierten Öffnungszeiten in den Jahren bis zur Arisierung etwa ein Drittel des Gesamtumsatzes der GmbH.[50]

Stammbaum der Heimerdingers (Ausschnitt)
https://archive.org/details/jeisleheimerding1383unse/mode/1up?view=theater

Von größtem Interesse war allerdings der Einstieg von Berthold Heimerdinger, nicht nur, weil er die Filiale in Baden-Baden in den folgenden Jahren so erfolgreich führte. Auch er entstammte einer Wiesbadener Juwelierfamilie, deren Vorfahren aus dem badischen Raum kamen. Bertholds Urgroßvater Josef Herz Heimerdinger, geboren 1789 in Karlsruhe, war von Beruf Hofgoldsticker für die dortige Residenz. Zwei seiner Söhne, Joseph Herz, geboren um 1820, und Adolf Heimerdinger, geboren um 1833, zog es in die nassauische Residenzstadt Wiesbaden.

Alte Werbung des Hofjuweliers Heimerdinger

Während Adolf am Kursaalplatz eine Mercierwarenhandlung mit einem Krawatten- und Handschuhlager besaß, betrieb sein älterer Bruder damals schon ein Juweliergeschäft in der Wilhelmstraße,[51] das später sein Sohn Moritz Heimerdinger übernahm. Moritz war am 11. Februar 1848 in Wiesbaden geboren worden und mit Leontine Seligmann, geboren am 18. Dezember 1855 in Bad Kreuznach, verheiratet.[52]

Leonard Heimerdinger
Antrag auf die amerikanische Staatsbürgerschaft durch Leonard Heimerdinger 1915
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Da der ältere Sohn Leonard schon 1915 über England in die USA ausgewandert und dort recht erfolgreich an der Börse tätig war, seine Schwester Alice Rebecca in Wiesbaden mit dem Arzt Dr. Berthold Salfeld verheiratet war,[53] gelangte das Juweliergeschäft in der nächsten Generation an Berthold Heimerdinger, das jüngste der drei Kinder.[54] Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, an dem er als Soldat teilgenommen hatte und schwer verwundet wurde, trat Berthold in das 1847 vom Großvater gegründete Geschäft ‚J. H. Heimerdinger – Hofjuwelier’ ein. Verheiratet mit Grete Goldschmidt aus Frankfurt,[55] bewohnte das Paar, dem am 26. September 1929 die Tochter Gabriele Clementine geschenkt wurde, das Haus in der Wilhelmstr. 38, in dem im Parterre die Geschäftsräume angesiedelt waren. Diese Lage – heute würde man sie als Ia-Lage bezeichnen – war sicher ein wesentlicher Grund für den Zusammenschluss, denn so konnte 1930 das bisherige Geschäft von der Webergasse an die Renommiermeile Wiesbadens verlegt werden.

Das Juweliergeschäft Heimerdinger in der Wilhelmstr. 38 vor der Gründung der GmbH, offenbar noch zu Zeiten der französischen Besatzung. Da die Geschäfte geschlossen sind, fand die Truppenparade wohl an einem Sonntag statt. Links neben Heimerdinger ist der Eingang des Bankhauses Berle zu sehen.
Stadtarchiv Wiesbaden

Um ihrem Sohn zu ermöglichen, dem am Jahresende 1929 neu gegründeten Unternehmen beizutreten, hatte Leontine Heimerdinger ihrem Sohn Berthold, ähnlich wie Bertha Netter ihrem Schwiegersohn, ein verzinsliches Darlehen über 100.000 RM gewährt.[56]
Als weiterer Gesellschafter kam noch der Juwelier Gustav Flörsheim hinzu, der 35 Prozent des Kapitals hielt.[57]

Bruno Netter, Fritz Katzenstein, Dorothea Katzenstein, Judenhaus Emser Str., Wiesbaden
Schatulle der Juweliere Netter, Herz & Heimerdinger aus der Filiale in Baden-Baden
Mit Genehmigung von Dodie Katzenstein

Nach der Gründung der GmbH waren die Kapitalgeber am 2. März 1930 in Berlin zusammengekommen, um unter notarieller Aufsicht die Vorstände der ‚Netter, Herz & Heimerdinger GmbH’ zu bestimmen. Alle Kapitalgeber wurden zu Geschäftsführern ernannt, die die Firma auch alleine vertreten können sollten.

Als Angestellte des Unternehmens bezogen alle nun ein festes Gehalt, das auch von der Höhe der Einlage abhängig war. Bruno Netter sollte 36.000 RM plus 4.000 RM Aufwandsentschädigung erhalten, Berthold Heimerdinger bekam 30.000 RM, ebenfalls plus Spesen und die Erstattung von Kosten, die der Repräsentation der Firma dienten.[58] Alberts Bezüge beliefen sich auf 18.000 RM.[59] Weiter Einkünfte, etwa aus anderen Kapitalvermögen, wie die Verzinsung von Wertpapieren, konnten bei jedem noch zum weiteren Einkommen beitragen. Allerdings hatte die Weltwirtschaftskrise so beträchtliche Folgen, dass die GmbH noch im Laufe des Jahres 1931 beschloss, die Gehälter ihrer Geschäftsführer deutlich zu kürzen. Zunächst hatte man sie um 10 Prozent, dann im Frühjahr um 20 Prozent und ab August 1931 um die Hälfte herabgesetzt, sodass z. Bsp. Bruno Netter damals für das gesamte Jahr noch knapp 30.000 RM erhielt.[60]

Gaby mit ihrer Mutter Johanna Herz
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Trotz des wirtschaftlichen Einbruchs ermöglichte das jährliche Einkommen der Familie Netter auch weiterhin einen Lebensstil, der sich weit über dem der übrigen Bewohner der Stadt bewegte. Anna Netter, die selbst nicht im Geschäft mitarbeitete, kümmerte sich um die Kinder und pflegte die sozialen Kontakte. Als Gaby als Kind einmal nach ihren Zukunftsplänen gefragt wurde, antwortet sie, sie wolle eine „feine Dame wie die Mutter“ werden. Aber das war ganz offensichtlich nicht das Erziehungsziel der Eltern, denn Gaby ging schon als Kind auch zu den Pfadfindern, die – so Gaby Glückselig – mit ihrer Lebensart, ihrer Naturverbundenheit und ihrem sozialen Engagement starken Einfluss auf ihr späteres Leben genommen hätten.

Zur Schule ging Gaby mit zwei weiteren jüdischen Mädchen– erstaunlicherweise – zunächst auf die Schule der freireligiösen Gemeinde auf dem Schulberg. In allen Liedern, die dort gesungen worden seien, wurde das Wort „Gott“ immer mit dem Wort „Natur“ ersetzt. Sie habe zwar gewusst, dass sie Jüdin war, aber im Alltag habe das für sie keine Rolle gespielt. Die Oberstufe habe sie dann am Lyzeum, dem Mädchengymnasium neben der Marktkirche absolviert. Dort konnte sie im Februar 1933 kurz nach der sogenannten Machtergreifung – am gegenüberliegenden Rathaus hingen schon die Hakenkreuzfahnen – noch ihr Abitur absolvieren. Ein Studium, gerne hätte sie Kunstgeschichte studiert, blieb ihr aber verwehrt. Stattdessen besuchte sie in Mainz die Handelsschule, für kurze Zeit eine Haushaltsschule in der Schweiz und dann von Ostern 1935 bis Februar 1936 die Goldschmiedeschule in Pforzheim. Nach Angabe ihres Anwalts im Entschädigungsverfahren wurde ihr die Abschlussprüfung dort aus rassistischen Gründen verwehrt.[61] Stattdessen konnte sie ein längeres Praktikum in Berlin bei dem einst renommierten Hoflieferanten Friedländer absolvieren, der Firma ihres verstorbenen Onkels, die damals aber schon von dessen Sohn Theodor geleitet wurde.

Die Schulausbildung ihrer Schwester Doris verlief, bedingt durch die politischen Verhältnisse, ebenfalls nicht sehr gradlinig.[62] Schon in der Volksschule, der heutigen Grundschule, musste sie dreimal die Institution wechseln, konnte aber 1929 noch auf die Oberschule, die heutige Helene-Lange-Schule, am Schlossplatz wechseln. Anders als den acht anderen Mädchen, denen die Mittlere Reife wegen zu schlechter Noten zunächst verweigert, dann aber wegen ihrer nationalen Gesinnung nachträglich doch noch erteilt wurde, blieb die Jüdin Doris, als sie die Schule Ostern 1935 verließ, ohne Abschluss.[63] Da ihre Eltern damals zumindest zeitweise in Baden-Baden lebten, konnte sie die Mittlere Reife aber in einer dortigen Schule noch nachholen. Anschließend wurde sie von den Eltern in die Schweiz auf eine Haushaltsschule in der Nähe von Genf geschickt. Sie gab im Entschädigungsverfahren an, dort einen Abschluss als Lehrerin gemacht zu haben, wobei aber unklar ist, welche tatsächliche Qualifikation damit verbunden war. In ihrem Lebenslauf erwähnte sie nämlich, dass ihr ein Hochschulstudium nicht möglich gewesen sei, weil sie kein Abitur vorweisen konnte. Vermutlich handelte es eher um einen Abschluss als Kindergärtnerin, um ein „Diplom education des Petits“.[64] Als kein Geld mehr von ihren Eltern aus Deutschland überwiesen werden konnte, musste sie ihren Lebensunterhalt als Hausgehilfin zum Teil selbst verdienen, zum anderen Teil wurde sie von den Quäkern unterstützt. Sie blieb in der Schweiz, bis auch sie dann 1940 von dort aus in die USA ausreisen konnte

 

Rückzug der Familie Heimerdinger aus dem Unternehmen

Die tatsächliche Gefahr, die von den Nazis ausging, wurde von den meisten Mitgliedern der GmbH lange geleugnet, zumindest unterschätzt. Nur Berthold Heimerdinger eruierte schon 1933 berufliche Alternativen in den USA, wohin er durch seinen Bruder Leonard beste Beziehungen hatte. Im September 1933 reiste er zunächst alleine für ein halbes Jahr nach New York, um seine Chancen für einen Neuanfang dort zu prüfen. Im Februar 1934 kehrte er nach Deutschland zurück, fest entschlossen, seine Familie nachzuholen und sich zumindest partiell von der Firma zu trennen. Die Gesellschaft nahm sein Angebot, 28.000 RM seiner Stammeinlage an die GmbH abzutreten, an. Der Rest von 44.000 RM blieb in der Firma. Sein Rückzug als Geschäftsführer wurde vertraglich zwischen den ehemaligen Partnern dergestalt abgesichert, dass bis zum Frühjahr 1937 ihm die Option zum Rückkauf seiner bisherigen Anteile möglich sein sollte und er bis zu diesem Zeitpunkt in seiner Rolle als Geschäftsführer nur beurlaubt wurde, sodass er bei einer veränderten politischen Lage ohne Probleme zu jeder Zeit wieder in seine alte Funktion hätte eintreten können.[65]

Heimerdinger
Ausreise der Familie Heimerdinger
HHStAW 518 14282 (9)

Nachdem er seine Möbel und das umfangreiche Inventar verkauft hatte – er selbst meinte, er habe es wegen des zeitlichen Drucks verschleudern, d.h. weit unter Wert abgeben müssen – wanderte er im Juni 1934 in die USA aus. Nur wenig habe er in einem kleinen Lift damals mitnehmen können.[66] Von Hamburg aus erreichte die Familie am 22. September auf dem Schiff ‚New York’ die gleichnamige Stadt, wo sie von Bertholds Bruder Leonard in Empfang genommen wurde.[67]
Zunächst arbeitete er auch in dessen Agentur an der Börse, versuchte dann 1938, als sein gesamtes in Deutschland verbliebenes Vermögen verloren ging, wieder als Juwelier tätig zu sein, allerdings mit finanziell eher bescheidenem Erfolg.[68] Selbstverständlich kehrte die Familie dennoch nicht zurück nach Nazi-Deutschland, im Gegenteil, auch seine noch dort verbliebene Schwester Alice Salfeld konnte noch nachgeholt werden.

Alices Mann, Dr. Berthold Salfeld, hatte die NS-Zeit nicht mehr erlebt. Er war bereits am 28. Dezember 1914 mit nur 41 Jahren verstorben.[69] Seitdem lebte sie mit der Mutter zusammen in deren Haus in der Wilhelmstr. 18. Im März 1939 hatte die 84-jährige Leontine Heimerdinger der Devisenstelle mitgeteilt, dass sie zusammen mit ihrer Tochter nach Amerika auszuwandern gedenke. Das Umzugsgut lagere zum Verschicken bereit in ihrer Wohnung.[70]

Leontine Heimerdinger
Auch Leontine Heimderdinger musste ihren Schmuck abgeben
HHStAW 519/3 17749 (3)

Das Haus war bereits zum 1. November 1938 zu einem Preis von 78.000 RM verkauft worden, allerdings erhielt die Eigentümerin nur 53.000 RM, weil das Grundstück mit 25.000 RM belastet war.[71] Am 24. März 1939 meldeten sich Leontine und ihre Tochter in Wiesbaden nach London ab.[72] Dort war sie auch noch zusammen mit Alice Salfeld registriert worden. Anfang Dezember 1939 kam diese von Southampton nach New York,[73] allerdings alleine. Die 84-jährige Mutter hatte offenbar nicht mehr die Kraft oder den Mut, noch den weiten Weg über den Ozean zu machen, und blieb in London. Dort verstarb sie dann doch erst nach etwa zehn Jahren am 14. Januar 1951 im hohen Alter von 95 Jahren.[74]
Alice war, als sie Ende 1939 amerikanischen Boden betrat, auch schon über 60 Jahre alt und hatte keine Möglichkeit mehr, durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. So war sie auf die finanzielle Unterstützung ihres Sohnes Heinz Josef, der sich in den USA Henry nannte, angewiesen. Der am 2. April 1902 geborene Sohn war bereits im September 1933 mit seiner Frau Berta / Betty, die er am 29. Dezember 1932 noch in Frankfurt geheiratet hatte, in die USA auswanderte, nachdem ihm 1933 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen worden war.[75]
Im Herbst 1940 befiel Alice Salfeld eine schwere Krankheit, durch die sie fortan von der Hüfte an abwärts gelähmt war. Seit dem musste sie die meiste Zeit in einem New Yorker Heil- und Pflegeheim verbringen, wo sie 1968 verstarb.[76]
Neben Henry hatte Alice Salfeld noch eine Tochter Adele Frieda, genannt Ada, geboren am 15. März 1906 in Wiesbaden, die mit dem aus Mainz stammenden Karl Marxsohn verheiratet war. Am 13. März 1929 war ihnen in Mainz die Tochter Ellen Berta geboren worden.[77] Zwar gelang der Familie die Flucht nach Frankreich, aber trotz aller Bemühungen scheiterte der Versuch von Henry Salfeld, sie aus dem unsicheren Petain-Frankreich herauszuholen. Bei einer Razzia wurden sie gefasst und zunächst im Lager Le Milles interniert. Am 7. September 1942 brachte sie ein Transport über Drancy nach Auschwitz, wo sie an einem nicht bekannten Tag ermordet wurden.[78] [Bild]
Ihr Onkel Berthold Heimerdinger verstarb im Juni 1961 in seinem amerikanischen Exil,[79] seine Frau Greta am 2. Januar 2003 kurz vor ihrem 100sten Geburtstag.[80]

Flucht der Familie Netter

Die anderen Gesellschafter der ‚Netter, Herz & Heimerdinger GmbH’ nahmen die Bedrohungen zunächst nicht allzu ernst. So nahm man zum Beispiel die Verabschiedung der Nürnberger Gesetze zum Anlass, im Hause Netter zu einem Empfang zu laden, bei dem alle Gäste nicht als die stadtbekannten, reichen Juden, sondern kostümierte als einfache Hausangestellte, Kellner und Dienstmädchen erscheinen sollten. Man fand das damals tatsächlich noch lustig.

New York 1938 – fotografiert von Gaby Netter
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Und selbst im Sommer 1938 fuhr die Familie Netter mit der Deutschen Goldschmiedegesellschaft noch auf eine Erkundungsfahrt nach Amerika. Man habe nur einmal sehen wollen, ob das Land eine zukünftige Perspektive zu bieten habe. Anschließend kamen alle wieder brav zurück in das Land, das sie längst nicht mehr haben wollte. Nur Gaby, die auch an dieser Erkundungsreise teilgenommen hatte, kehrte noch 1938 vor den Novemberereignissen in die USA zurück, um dort zu bleiben. Wann das genau geschah, konnte nicht ermittelt werden.

Aber andererseits ist die Rückkehr nach Deutschland gerade bei Netters auch nachvollziehbar, denn eine überstürzte Flucht hätte nicht nur die Aufgabe des Geschäfts bedeutet, sondern man hätte den Nazis auch ein beträchtliches Vermögen hinterlassen müssen. Dass das später ohnehin zum größten Teil verloren wurde, konnte man damals noch nicht wissen bzw. wollte man nicht glauben.

Allerdings hatte die Familie inzwischen eigentlich schon hinreichend Erfahrungen mit dem NS-Staat und auch mit den wachsenden antisemitischen Anfeindungen aus der Bevölkerung machen müssen. Vielleicht war dadurch auch der Umzug von Albert Netter im Sommer 1933 begründet. Er zog damals aus der Kapellenstraße aus und mietete sich in der Taunusstr. 58 IV als Untermieter ein.[81] Jüdische Mieter waren Fremdkörper einer arischen Hausgemeinschaft schon sehr früh nicht mehr gerne gesehen, aber das muss im konkreten Fall Spekulation bleiben.
Als Erstes war von der feindlichen Stimmung nachweislich die Filiale in Baden-Baden betroffen, die nach der Auswanderung von Berthold Heimerdinger in den Sommermonaten von Bruno Netter geführt wurde. Der seit etwa 70 Jahren immer wieder erneuerte Mietvertrag für die „Verkaufsbude“ wurde 1937 von der ‚Kur- und Bäderverwaltung’ nach Ablauf des letzten, drei Jahre gültigen Vertrags nicht mehr verlängert. Zwar wurde nicht explizit gesagt, dass Juden an dieser exklusiven Stelle keine Geschäfte mehr machen dürfen, es hieß nur, dass eine Erneuerung des Vertrags „nicht in Frage kommt“, dennoch waren die antisemitischen Motive dieser Entscheidung unübersehbar.[82]

Doris Netter
Reisepass von Doris Netter
HHStAW 518 8631 (8)

Anfang September 1938 beantragte dann die Zollfahndungsstelle Mainz bei der Devisenstelle in Frankfurt eine Sicherungsanordnung gegen Bruno Netter. Aufmerksam geworden war der Zoll auf die Familie Ende August 1938 beim Übertritt ihrer Tochter Doris in die Schweiz. Die „nach äußerlichen Merkmalen Jüdin“ habe nur 17 Schweizer Franken und 20 RM bei sich gehabt, aber behauptet, sie wolle in der Schweiz ihr Studium fortsetzen. Die nötigen Devisen für ihren Lebensunterhalt wolle sie sich in der Schweiz besorgen und, falls das nicht gelänge, wieder nach Deutschland zurückkehren. Da die Angaben dem Zoll wenig glaubhaft erschienen, wurde die Devisenstelle in Frankfurt sowie die Zollfahndungsstelle in Mainz informiert und ein Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt, was dann zu dem oben erwähnten Antrag auf eine Sicherungsanordnung führte.[83].

Aufgeführt war in dem Antrag das derzeitige Vermögen von Bruno Netter, Immobilien im Wert von 72.000 RM, Geschäftsanteile an dem Juweliergeschäft in der Höhe von 187.000 RM, Wertpapiere und Versicherungsansprüche über 60.000 RM sowie Gegenstände aus edlem Metall im Wert von etwa 44.000 RM, zusammen also etwa 340.000 RM.[84]
Man begründete den Antrag damit, dass eine der Töchter, Doris, schon in der Schweiz lebe und die andere, Gaby, die Ausreise in die USA plane. Zudem seien Verkaufsverhandlungen über das Haus in Baden-Baden im Wert von etwa 27.000 RM bereits im Gange. Die dortige Immobilie hatten Bruno und Anna Netter erst um 1934 erworben, um in den Sommermonaten nach der Auswanderung der Familie Heimerdinger die dortige Filiale zu führen. Gaby Glückselig berichtete, dass ihre Eltern damals mit ihrer jüngeren Tochter Doris nach Baden-Baden gezogen seien. Möglicherweise hatten sie dort damals tatsächlich einen Zweitwohnsitz, aber gemeldet blieben sie auch weiterhin in Wiesbaden. Aus einem „Leumundszeugnis“ für Doris, das sie für Studienzwecke beantragt hatte, geht aber hervor, dass sie im Zeitraum zwischen Dezember 1935 und September 1936 in Baden-Baden gemeldet war.[85]
Auch in Wiesbaden trennte sich Bruno Netter am 5. September 1938 von einem an das eigene Haus angrenzenden Baugrundstück in der Weinbergstraße. Es wurde an einen in der gleichen Straße wohnenden Arzt Dr. Pilling für etwa 6.000 RM verkauft.[86]

Das waren nach Ansicht der Zollfahndung hinreichende Indizien dafür, dass Netters ihre Auswanderung planten und versuchen würden, ihre Wertpapiere illegal ins Ausland zu transferieren. Am 17. September 1938 entsprach die Devisenstelle dem Antrag der Zollfahndungsstelle. Der Verkauf der genannten Vermögenswerte war zwar nicht verboten worden, aber der erlangte Gegenwert musste jetzt auf ein gesichertes Konto eingezahlt werden,[87] worauf nur noch mit Genehmigung der Devisenstelle zugegriffen werden konnte.
So war es Bruno Netter auch nicht mehr möglich, den Betrag an seine Schwiegermutter Johanna Herz zu überweisen, den sie monatlich für ihren Lebensunterhalt aus der Tilgung ihres Darlehens erhielt. Auf seine Beschwerde reagierte die Behörde mit einer Vorladung, die  Bruno Netter nutzte, um seine Wünsche vorzutragen.
Er bat darum, ihm für den Bedarf seiner Familie insgesamt monatlich 3.500 RM freizugeben, 2.500 RM als Entnahme aus dem Geschäft und 1.000 RM von seinem Konto. Weiterhin sei er verpflichtet, vierteljährig an seine Schwiegermutter 2.000 RM zurückzuzahlen. Inzwischen war auch das Haus in Baden-Baden für 27.000 RM verkauft. Es bedurfte einer gesonderten Erlaubnis, um diese Summe, die als Reichsfluchtsteuer bei einer etwaigen Ausreise vom Fiskus einbehalten werden sollte, von Baden-Baden auf ein Wiesbadener Bankkonto übertragen zu dürfen.[88]
Bis zum 12. Oktober dauerte es, bis Bruno Netter über die Entscheidung der Devisenstelle informiert wurde. Immerhin wurden alle seine Wünsche, die Übertragung des Verkaufserlöses, der gewünschte Freibetrag und auch die Zahlungen an Johanna Herz, genehmigt.[89] Noch gab sich die NS-Behörde geradezu moderat. Allerdings setzte sie Ende Oktober die Reichsfluchtsteuer in der Höhe von 68.1000 RM fest, für die eine entsprechende Sicherheit zu stellen war.[90]

Hainerweg 3
Hainerweg 3 in Wiesbaden
Eigene Aufnahme

Am gleichen Tag, an dem die Sicherungsanordnung gegen Bruno Netter beantragt worden war, erging die gleiche Anweisung auch an seine Schwiegermutter Johanna Herz. Neben dem Wohngrundstücken im Wiesbadener Hainerweg 3 im Wert von 40.000 RM besaß sie noch ein weiteres in München in der Leopoldstr. 52a, welches auf 90.000 RM taxiert war.[91] Adolf und seine Frau hatten die Immobilie offenbar im Zuge der Inflation zur sicheren Geldanlage noch gemeinsam erworben. Vielleicht stand der Erwerb aber auch im Zusammenhang mit den Ehen der Töchter Elisabeth und Alice, die beide nach München geheiratet hatten. Erstmals ist das Ehepaar Herz im Münchner Adressbuch von 1922 als Eigentümer aufgeführt. Schon zuvor war das Hausgrundstück im Besitz der Wiesbadenerin Hedwig von Warren gewesen. Vermutlich kannte man sich und der Immobilienverkauf war auch dort zustande gekommen.[92]
Außer den Immobilien besaß auch sie ein Depot mit Papieren im Wert von 50.000 RM. Ein weiterer Betrag von 30.000 RM, der fälschlicherweise als Beteiligung am Juweliergeschäft angesehen worden war, bei dem es sich aber um ein Privatdarlehen der Schwiegermutter an Bruno Netter handelte, wurde zusammen mit dem Wertpapierdepot gesichert. Sollte das Darlehen zurückgezahlt werden oder die übrigen Vermögenswerte verkauft werden, so waren die Einnahmen auf ein gesichertes Konto einzuzahlen.[93]

Sicherungsanordnung gegen Johanna Herz
HHStAW 519/3 297 (7)

Auf Bitte von Bruno Netter wurde ihr neben den Erträgnissen aus dem Vermögen ein Freibetrag von 500 RM eingeräumt, allerdings hatte sie damals auf ihrem laufenden Konto nur einen Betrag von 180 RM.[94]
Im Dezember 1938 verlangte man dann von ihr einen Betrag von fast 55.000 RM als Sicherung für eine möglich fällige Reichsfluchtsteuer.[95] Das geschah allerdings bereits nach den Novemberereignissen, die viele Jüdinnen und Juden veranlassten, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen.

In diesen Novembertagen beherrschte der Mob auch in Wiesbaden die Straßen und machte Jagd auf Juden, besonders auf diejenigen, die so ganz dem Bild entsprachen, das man sich von reichen Juden, von „Geldjuden“, machte. Wenn sie dann auch noch mit Juwelen und Edelmetallen handelten, dann waren sie umso verdächtiger, denn diese besonderen Waren dienten – so die Vermutung der Antisemiten – den Juden seit alters her dazu, große Vermögenswerte bei ihren dunklen Geschäften unter der Hand zu transferieren.

Ernst Hirsch
Ernst Hirsch Ballin um 1970

Das Geschäft in der Wilhelmstraße wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November hart getroffen. Ernst Hirsch Ballin, ein Neffe von Johanna Herz, bezeugte am 29. Januar 1950 in einer eidesstattlichen Erklärung die damaligen Ereignisse bzw. Zerstörungen: „An dem berüchtigten Pogromtag des November 1938 benachrichtigte mich Herr Juwelier Bruno Netter, (…) telefonisch von einem ernsten Vorfall in seinem Juweliergeschäft an der Wilhelmstrasse, mit der Bitte, sogleich herüberzukommen. Ungesäumt entsprach ich dieser Bitte. Im Geschäft angelangt, traf ich dort u. a. Herrn Bruno Netter, Herrn Albert Netter und Personal. Es bot sich mir ein unbeschreibliches Bild roher Zerstörungswut: alles war kurz und klein geschlagen und auf dem Boden verstreut. Die eisernen Rollläden zeigten deutliche Spuren von Forcierung oder Forcierungsversuchen.[96] In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Wiesbaden gegen die Rädelsführer der damaligen Ereignisse vom 20. April 1950, ist das Juweliergeschäft in der Wilhelmstraße neben anderen als eines derjenigen genannt, die besonders übel betroffen waren.[97]

Die Schäden an der Ladeneinrichtung allein müssen etwa 6.500 RM betragen haben, denn diese Summe, mussten die Eigentümer noch für Reparaturen aufbringen, bevor sie das Geschäft gezwungenermaßen an den Juwelier Carl Ernst verkauften. Auch Schäden an den Waren selbst, die nur noch Bruchwert hatten und dem Nachfolger für ihren reinen Metallwert überlassen werden mussten, bezifferte dieser auf etwa 5.000 RM. Zudem fehlte eine ganze Reihe von Ausstellungsstücken bei der anschließenden Inventur, zum Teil wohl von den SA-Männern, zum anderen Teil von Passanten gestohlen, die die Gelegenheit nutzten.[98]

Im Zusammenhang mit einer Ausstellung über den legalisierten Raub an den Juden, die in den ersten Jahrzehnten des jetzigen Jahrhunderts in verschiedenen Städten Hessens – die erste Station war 2002 Frankfurt – gezeigt wurde, kam es zu einem bemerkenswerten Zusammentreffen, das die Ereignisse während der Reichspogromnacht in der Wiesbadener Wilhelmstraße betrifft. Ein Besucher der Ausstellung in Wetzlar, der aber in Wiesbaden aufgewachsen war, berichtete über eine in der Familie kolportierte Geschichte über die Herkunft einiger Gegenstände – Bürsten, Spiegel und eine Schale aus Bleikristall -, die, als Erinnerungsstücke bezeichnet, in der Familie aufbewahrt worden seien. Sein Vater, der damals in der Wilhelmstraße arbeitete, habe am Morgen des 10. November, als er an den zerschlagenen Schaufensterscheiben der nebeneinander gelegenen jüdischen Geschäfte Parfümerie Albersheim und Juwelier ‚Netter, Herz & Heimerdinger’ vorbeigekommen sei, wie auch andere Passanten zugegriffen. Zwar konnte nicht sicher geklärt werden, welche der „Andenken“ aus welchem Geschäft stammten, aber die Kristallschale gehörte mit größter Wahrscheinlichkeit zu den Auslagen des Juweliergeschäfts. 2005 reiste der Besitzer nach New York, um die Schale Gaby Glückselig zurückzugeben – ein symbolischer Akt, der größte Anerkennung verdient, zumal andere Familienmitglieder eine solche Schuldanerkennung nicht mittragen wollten.[99]

Fritz Hirsch
Fritz Hirsch vor dem KZ-Aufenthalt

Ernst Hirsch führte in seiner im Zusammenhang mit dem Entschädigungsverfahren gegebenen Erklärung über die damaligen Ereignisse weiter aus, was nach seinem Verlassen der demolierten Geschäftsräume geschah. Er wurde mit seinem Bruder, dem Arzt Fritz Hirsch auf der Straße verhaftet und zunächst in das städtische Polizeigefängnis eingeliefert, wo sie sich eine Zelle mit dem ebenfalls inzwischen verhafteten Bruno Netter teilen mussten. Es war ein bewusster Akt der Demütigung und hatte nichts mit Hygienemaßnahmen zu tun, wenn die drei dort gezwungen wurden, die Latrinen zu säubern.[100]
Am folgenden Tag wurden sie mit den vielen anderen männlichen Juden in das Konzentrationslager Buchenwald überführt. Bruno Netter erhielt dort die Gefangenennummer 24919.[101] Wann er wieder frei kam, ist in Buchenwald nicht vermerkt, aber sein Cousin Ernst Hirsch ergänzte seine Aussage zum einen über die Lebensumstände in Buchenwald und erwähnt auch, dass Bruno Netter nach etwa drei Wochen wieder entlassen wurde:

„Es ist mir persönlich bekannt, dass Herr Netter zufolge einer schweren Operation in besonders hohem Grade gesundheitlich gefährdet war. Die hygienischen Verhältnisse in Buchenwald spotteten jeder Beschreibung. Die Lagerstätten bestanden in flachen Holzfächern, in die man sich mühsam hineinschieben musste. Die Art der unmenschlichen Unterbringung und schlimmer als viehischen Behandlung mussten auf einen derartigen Mann unvermeidlich schwerwiegende gesundheitliche Folgen üben. In der verhältnismässig kurz scheinenden Zeit von etwa drei Wochen ist denn auch Herr Netter sichtlich und rasch fortschreitend verfallen. Es scheint mir völlig ausgeschlossen, dass dieser Aufenthalt und diese Behandlung ohne dauernde, schwere Gesundheitsschädigung für Herrn Netter geblieben sein kann. Die ausserordentlich hohe Sterblichkeitsziffer im Lager bestätigt diese Annahme.“[102]

Unklar ist, ob der Verkauf des Geschäfts in der Wilhelmstraße den Eigentümern während ihres KZ-Aufenthalts – wie in vielen anderen Fällen nachweisbar – abgepresst wurde oder ob der Eigentumswechsel auf ihre eigene Initiative zustande kam, wie im Rückerstattungsverfahren nach dem Krieg vorgetragen wurde.[103]
Bevor die Firma arisiert wurde, war sie Ende März 1937 noch in eine KG umgewandelt worden, in der von den früheren Gesellschaftern zunächst nur noch Bruno Netter und Gustav Flörsheim, später dann auch wieder Albert Netter als Kommanditist bzw. Komplementäre beteiligt waren.[104] Lange vor den Novemberereignissen sei, so wurde behauptet, Gustav Flörsheim zu Otto Ernst gekommen, der ein eigenes Juweliergeschäft in der Langgasse besaß, und habe ihm das Geschäft in der Wilhelmstraße – man habe schon immer ein freundschaftliches Verhältnis miteinander gepflegt – zum Kauf angeboten. Es sei damals sogar über einen möglichen Verkaufspreis von 300.000 RM gesprochen worden, den beide als angemessen angesehen hätten. Man sei sich sicher gewesen, dass ein Verkauf an Ernst nicht– wie sonst bei „Arisierungen“ üblich – zu einer „Ausplünderung“ der jüdischen Eigentümer führen würde. Der potenzielle Verkäufer will aber abgelehnt haben, weil er schon damals den kommenden Krieg vorausahnte. Die Verhandlungen seien im November 1938 erneut auf Drängen von Gustav Flörsheim aufgenommen worden, der „definitiv abzuschließen wünschte“.[105] Ernst will dann diesem Drängen letztendlich nachgegeben haben, weil Gustav Flörsheim ansonsten Kaufverhandlungen mit einem Uhrmacher aus Darmstadt aufnehmen wollte, der weder vom Juweliergeschäft, noch mit den Wiesbadener Verhältnissen vertraut gewesen sei. Das Kapital für den Kauf wäre diesem angeblich wegen seiner „niedrigen Parteinummer“ von der DAF, der Deutschen Arbeitsfront, zur Verfügung gestellt worden. „Das bedeutete“, so die späteren Eigentümer, daß eine Firma, von der die Juwelierbranche  bisher repräsentiert wurde, nunmehr in die Hände eines persönlich vielleicht ehrenwerten, aber nicht zu diesen Kreisen gehörigen Mannes kommen sollte und zwar nur deswegen, weil es sich um einen sog. Alten Parteigenossen handelte, den die NSDAP für seinen parteipolitischen Aktivismus belohnen wollte. Damit standen das Ansehen der Juwelierbranche, die Ehre des anständigen Kaufmanns und die Achtung vor dem guten Kunden auf dem Spiel. Der Antragsgegner [Juwelier Ernst – K.F.], der in seiner Person beste Tradition der Juwelierbranche verkörpert, war hierdurch besonders angesprochen und ließ sich unter dem Eindruck dieser Hinweise dazu bewegen, den Widerstand gegen das Kaufangebot aufzugeben und mit Herrn Flörsheim ein Kaufvertrag abzuschließen.“[106] Es habe sich schon deswegen um keine „normale Arisierung“ gehandelt, weil die Branche selbst etwa Besonders sei, hatte der Anwalt des Arisierungsgewinnlers schon zuvor langatmig ausgeführt: „Die Situation ist in diesen Kreisen der Juwelierbranche eine andere als bei landläufigen und in diesem Sinne: gewöhnlichen Handelsunternehmen. Dort besteht zu der Handelsware selten eine persönliche Bindung; die Handelsware ist die Ware, mit der um eines Vorteils willen gehandelt wird, und mit der Beendigung des Handels verflüchtigt sich auch die Beziehung zum Kunden,“[107] Wie kann jemand, der beim Handel mit seinen Waren schon keinen Vorteil sucht, sondern Beziehungen pflegt, einen eigenen Nutzen beim Erwerb eines ganzen Geschäfts verfolgen? Die übliche Versicherung, man habe dem bedrängten Juden in seiner großen Not nur helfen wollen, wird hier sogar geradezu zu einem Akt des Widerstands aufgebauscht, hatte man doch damit zugleich einen alten Kämpfer um dessen Vorteil geprellt und auch noch die Partei vorgeführt.

Der Kaufvertrag kam am 17. November 1938 zustande, zu einem Zeitpunkt, an dem Bruno Netter noch in Buchenwald inhaftiert war. Ob Absprachen damals noch möglich waren, ist nicht bekannt. Die Kaufsumme betrug, wie bereits im Sommer besprochen, 300.000 RM. Beinhaltet waren in dieser Summe die Waren, die, sofern unbeschädigt, mit ihrem Einkaufspreis bewertet waren. Für die zertrümmerten und in der Pogromnacht beschädigten Stücke war, wie es im Vertrag hieß, der „Schmelzwert“ angesetzt worden. Das Inventar war mit einem Wert von 6.000 RM in die Summe eingeflossen.
Allein diese Zahlen lassen am Altruismus des Käufers zweifeln. 6.000 RM hatte die Firma aufbringen müssen, um die Schäden zu beseitigen, die an der Einrichtung entstanden waren. Trotz der erheblichen Schäden muss der Wert des kostbaren Inventars beträchtlich größer gewesen sein. Auch der Wert der intakten Waren wurde nur nach dem Einkaufspreis bewertet, nicht aber nach ihrem Marktwert, der nach Angaben der jüdischen Eigentümer wesentlich größer, sogar bis zu 100 Prozent höher war. Zumindest ein angemessener Aufschlag auf den Einkaufspreis wäre zu erwarten gewesen. Unbeachtet blieb im Vertrag der sogenannte Good Will, d.h. der Wert, den ein solches Traditionsgeschäft in der besten Lage der Stadt unabhängig vom reinen Substanzwert hat.[108]

Otto Ernst inseriert in der Zeitung nach der erfolgreichen Arisierung des Geschäfts ‚Netter, Herz & Heimerdinger‘
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In einem Brief vom 21. August 1951 äußerte sich noch einmal Alfred Netter gegenüber seiner Schwägerin Anna zu dem damaligen Geschäft: „Auf Brunos Anfrage, ob wir das Ernst’sche Angebot annehmen sollen oder nicht, habe ich geantwortet, dass ich für meine Person es ablehnen würde, dass ich aber in Anbetracht meiner minimalen Beteiligung glaubte, nicht das Recht zu haben, eine Sache zu torpedieren, die die anderen Beteiligten mit Rücksicht auf ihre ökonomische Notlage gezwungen seien anzunehmen. Der arme Bruno hat mir selbst noch in den letzten Tagen vor seinem Ableben wörtlich erklärt: ‚Ich war damals, als ich vor der Frage stand, anzunehmen oder nicht, vollständig am Ende meiner Mittel.’ Was der Herr Ernst gemacht hat, war eine glatte Erpressung. Das kann man ihm natürlich sehr schwer nachweisen, aber seine ganze Taktik lief darauf hinaus.“[109]

In welchen Raten und wann die Zahlungen erfolgten, lässt sich auf Basis der noch vorhandenen Dokumente nicht mehr exakt rekonstruieren. Offenbar wurde das Geld jeweils an die Gesellschafter entsprechend ihrem Anteil an der Firma ausgezahlt. Eine Rate von 82.305 RM war noch 1939 an Bruno Netter überwiesen worden, eine weitere über 32.000 RM sollte Anfang Februar gezahlt werden – selbstverständlich auf das gesicherte Konto.[110] Möglicherweise hatte man sich später noch auf eine andere Aufteilung verständigt, denn am 28. Januar 1939 teilte Bruno Netter der Devisenstelle mit, dass demnächst noch einmal 45.000 RM aus dem Verkauf auf seinem Konto eingehen würden. Sein Barguthaben betrage dann 127.000 RM.[111]  

Die Summe, die Bruno Netter in der Vergangenheit für den Eigenbedarf und zur Abzahlung des Darlehens an Johanna Herz monatlich zur Verfügung gestanden hatte, wurde beibehalten. Der Betrag von 2.500 RM, den er bisher dem Geschäft entnommen hatte, durfte er nun von seinem Bankkonto abheben.[112]

Inzwischen liefen die Vorbereitungen der Familie Netter für die Ausreise aus Deutschland. Das Ziel war natürlich Amerika, aber noch besaßen sie nicht das notwendige Visum. Noch im März stellte Bruno Netter am 7. März 1939 den Antrag auf die notwendige steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, mit der nachzuweisen war, dass der Antragsteller keine Steuerschulden mehr hatte.[113] Wenn diese erteilt wurde, dann war der Raub des Staates an den jüdischen Vermögen abgeschlossen und man ließ die Menschen ziehen.

Berechnung der Judenvermögensabgabe für Bruno Netter
HHStAW 518 8632 (17)

Der erste große Batzen, der bezahlt werden musste, war die Judenvermögensabgabe, die auch als „Sühneleistung“ bezeichnete Sondersteuer, mit der die Juden den Schaden am deutschen Volk zu begleichen hatten, den die faschistischen Banden in der Pogromnacht selbst angerichtet hatten. 53.800 RM sollte Bruno Netter in vier Raten zu je 13.450 RM an das Reich zahlen.[114] Die Reichsfluchtsteuer, die spätestens bis zum 1. Juli 1939 zu entrichten war, reduzierte das Finanzamt wegen des geringer gewordenen Vermögens auf 49.000 RM.[115] Belege, dass diese beiden Sondersteuern bezahlt wurden, sind nicht erhalten geblieben. Da aber am 11. Mai 1939 die Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt wurde, auf der sowohl die Reichsfluchtsteuer als auch die Judenvermögensabgabe explizit aufgeführt sind, muss man davon ausgehen, dass Bruno Netter allen Forderungen nachgekommen war.[116]
Zunächst hatte er schon 654 RM an die Kultusgemeinde gezahlt.[117] Vermutlich handelte es sich um die „Spende“ an die Reichsvereinigung, zu der alle ausreisenden Juden in Form von Sachwerten oder Geld inzwischen verpflichtet waren. Damit sollten die Kosten des Staates für die zurückgebliebenen Juden aufgebracht werden.[118] Auch zahlte er von seinem noch vorhandenen Vermögen eine weitere Rate des Darlehens von seiner Schwiegermutter schon im Voraus ab, um es dann im April durch die Übertragung entsprechender Wertpapiere auf sie seine Schulden vollständig zu tilgen.[119] Im selben Monat hatte er offenbar auch die Tickets für die Überfahrt erworben, denn damals bat er, wie auch bei den genannten Zahlungen zuvor, die Devisenstelle, ihm die Überweisung von rund 3.500 RM an den Norddeutschen Lloyd zu genehmigen.[120] Alle diese Zahlungen wurden genauso wie die Anschaffungen für die Ausreise bei unterschiedlichen Geschäften in Wiesbaden und Frankfurt in Höhe von 2.250 RM von der Devisenstelle genehmigt.[121] Auch bei der Spedition Rettenmayer galt es noch eine Rechnung über 2.685 RM zu begleichen. Am 8. April übermittelte die Spedition der Devisenstelle die Listen mit dem Umzugsgut, das von der Zollfahndung zu überprüfen war. Am 10. Mai sollte die Verpackung und Verladung des Lifts erfolgen, als Ziel war Nordamerika angegeben.[122]. Die Zollfahndung genehmigte die Ausfuhr des Gepäcks, forderte aber eine beträchtliche Dego-Abgabe von 5.000 RM.[123]
Noch weitere finanzielle Regelungen mussten getroffen werden. So erhielten sein Bruder, der Kinderarzt Hermann Netter in Pforzheim, noch die Summe von 1.000 RM, sein Bruder Albert in Wiesbaden noch 5000 RM und die langjährige Hausangestellte Stephanie Beiner noch 250 RM.[124]

Bruno Netter
Die Auslösung der Juwelen aus dem Depot
HHStAW 519/3 12022 (37)

Damals gab es sogar noch die Möglichkeit – natürlich mit Verlusten –, Juwelen legal außer Landes zu bringen. Anstatt diese abzugeben, wurde ihm erlaubt, sie in seinem Bankdepot zu behalten und sie zu einem späteren Zeitpunkt gegen „nichtanbietungspflichtige Devisen“ einzutauschen. Eine beigefügte Bewertung durch einen vereidigten Sachverständigen ergab einen Wert von 13.750 RM.[125] Dieser Betrag lag aber 20 Prozent über dem tatsächlichen Wert, was aber nicht zum Vorteil, sondern zum Nachteil des Eigentümers gereichte. Die Summe, die dazu diente, die Juwelen auszulösen, musste also höher sein, als der Wert des Edelmetalls.[126] Der Eigentümer war somit gezwungen, seine eigenen Vermögenswerte über ihrem eigentlichen Wert anzukaufen – eine der vielen kleinen Maßnahmen, mit denen der NS-Staat die jüdischen Flüchtlinge noch ein weiteres Mal beraubte. Im vorliegenden Fall wurden einfach eine größere Zahl der hinterlegten Schmuckstücke einfach nicht freigegeben.[127] Am 18. Oktober 1939, die Familie Netter hatte Deutschland schon ein halbes Jahr zuvor verlassen, erhielt sie die Genehmigung, die Juwelen über eine Vertrauensperson einer luxemburgischen Bank entgegenzunehmen.[128]

Die Ausreise Netters muss vor dem 30. Mai 1939 erfolgt sein, denn an diesem Tag bat seine Bank, die Dresdner Bank, die Sicherungsanordnung aufzuheben, weil Bruno Netter – so hieß es in dem Schreiben – inzwischen ausgewandert sei.[129] Auf seiner Gestapokarteikarte ist als Tag der Auswanderung von Anna und Bruno Netter der 15. Mai eingetragen, als Ziel ist dort allerdings jetzt nicht mehr Amerika, wie eigentlich geplant, sondern Luxemburg zu lesen.
Dort hielt sich die Familie zunächst noch längere Zeit bei Bekannten auf, wie ihre Tochter Gaby angab. Erst am 22. Februar 1940 konnte das Paar auf dem Schiff ‚Volendam’ von Rotterdam aus die Reise in die USA antreten, nachdem am 10. Januar die erforderlichen amerikanischen Visa erteilt worden waren.[130]
Anders als Gaby Glückselig in Erinnerung hatte, war ihre Schwester Doris nicht zusammen mit ihren Eltern in die USA gekommen, sondern einige Wochen später. Sie war zuvor auch nicht mehr aus der Schweiz nach Wiesbaden oder Deutschland zurückgekehrt, sondern von Zürich aus, ihrer letzten Anschrift, am 6. April 1940 zunächst nach Genua und dann mit dem Schiff ‚Manhattan’ nach New York gefahren, wo sie am 15. des Monats ankam.[131]

Da sie keine Qualifikation als Lehrerin nachweisen konnte, erhielt sie im ersten Jahr zunächst nur eine Probeeinstellung ohne Gehalt. Man verlangte von ihr, noch vier Jahre ein College zu besuchen, um danach noch die notwendigen Abschlüsse an der Universität nachzuholen. Für eine so kostspielige Ausbildung habe ihr damals das Geld gefehlt, gab sie in ihrem Entschädigungsverfahren an.[132]

Heiratseintrag von Doris Netter und Hermann Engel
HHStAW 518 8631 (7)

Am 23. Oktober 1942 heiratete sie in den USA Hermann Wolfgang Engel,[133] der am 10. Juni 1905 in Berlin Charlottenburg zur Welt gekommen war.[134] Sein Vater Ludwig Alfred Engel, von Beruf Architekt, gehörten ebenfalls zu den jüdischen Emigranten, die es nach Amerika verschlagen hatte. Im Juni 1941 waren Wolfgang Engels Eltern zunächst nach Spanien emigriert und dann im Juli auf der ‚Villa De Madrid’ weiter in die USA gefahren, wo sie am 13. Juli ankamen.[135] Ihre drei Kinder, Robert, Kurt und der jüngste Sohn Hermann scheinen schon früher ausgewandert zu sein, denn zum Zeitpunkt als Elisabeth Engel sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft bewarb, lebte der 39-jährige Robert in Los Angeles und Hermann schon in Philadelphia, wo auch die Mutter wohnte. Später zogen sie aber nach Kalifornien. Der mittlere Sohn Kurt hatte sich in England niedergelassen.[136]

Herman, der in den USA das zweite “n“ in seinem Vornamen wegließ, war als Bibliothekar tätig, während seine Frau entsprechend ihrer Ausbildung in einer Kindertagesstätte als Erzieherin angestellt war.[137]

Grab von Doris und Herman Engel
https://www.findagrave.com/memorial/41865041/doris-renate-engel#view-photo=21401847

Aus der Ehe gingen die beiden Kinder Adrian und Joanne hervor. Über die weitere Lebensgeschichte der Familie ist aber nur wenig bekannt. Gaby Glückselig erwähnt allerdings in ihrem Memoire über Fritz Glückselig, dass ihre Schwester am 13. Juli 1978 einem langen Krebsleiden erlag, als ihr Ehemann wegen seines ersten Herzinfarkts gerade im Krankenhaus lag.

 

Auch Bruno Netters Bruder Albert plante spätestens nach der Arisierung der Firma und den Novemberereignissen die Ausreise aus Deutschland. Zumindest heißt es so in dem Schreiben der Zollfahndungsstelle Mainz vom 18. Januar 1939 an die Devisenstelle, mit dem auch gegen ihn eine Sicherungsanordnung beantragt wurde. Deshalb sollte auch sein Konto bei der Dresdner Bank gesperrt werden und sein Anteil aus dem Verkauf des Geschäfts auf ein gesichertes Konto eingezahlt werde – zusammen etwa 30.000 RM. Eine Forderung an seinen Bruder Bruno dagegen sollte er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts verwenden dürfen.[138] Albert Netter bat daraufhin darum, man möge ihm einen Freibetrag von monatlich 1.000 RM gewähren,[139] was aber zunächst nicht geschah, denn im März musste er erneut darum bitten, zur Begleichung fälliger Rechnungen Geld von seinem Konto verwenden zu dürfen.[140]

Auswandererabgabe an die Jüdische Gemeinde
HHStAW 519/3 22491 (6)

Inzwischen versuchte er, alle notwendigen Papiere für seine Ausreise zu beschaffen. Ende August 1939 schickte er den Antrag zur Versendung seines Umzugsguts zusammen mit den Unbedenklichkeitsbescheinigungen der städtischen Steuerbehörde und des Finanzamts an die Devisenstelle in Frankfurt. Auch eine Bescheinigung der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden war beigefügt, laut der er 1.170 RM als Auswandererabgabe überwiesen hatte. Drei Prozent seines Vermögens von 39.000 RM hatte er abgeben müssen, wobei aber nicht angegeben ist, zu welchem Stichtag diese Summe berechnet war. Eine Dego-Abgabe von 200 RM für neuwertige Güter im Reisegepäck war auch noch zu entrichten.[141]
Am 24. April 1939 hatte er seine Wohnung in der Kapellenstraße verlassen, ob freiwillig oder aufgrund der neuen Mietgesetze gezwungenermaßen, ist nicht bekannt. Spätestens seit Januar 1939 wohnte er kurzzeitig im Haus seines Bruders im Nerotal 53. Nach dem Verkauf der Villa und angesichts der baldigen Ausreise mietete er sich am 24. April 1939 im ‚Haus Dambachtal’ ein, eine Pension, die von der Jüdin Stephanie Rabinowicz am Neuberg 4 geführt wurde. Dort war auch das Umzugsgut gelagert. Laut dem Auswandererfragebogen hatte er damals vor, sich im benachbarten Holland niederzulassen.[142]
Wie in so vielen anderen Fällen auch scheiterte im letzten Moment auch die Emigration von Albert Netter aus nicht bekannten Gründen. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass zwei Gerichtsverfahren, in die er zuletzt noch verwickelt war, die Ursache dafür gewesen sein könnten. Im August 1939 war er vom Amtsgericht Wiesbaden wegen eines Vergehens gegen das Namensgesetz – er hatte in einem nicht genauer rekonstruierbaren Zusammenhang den Zwangsnamen Israel nicht benutzt – zu einer Haftstrafe von drei Wochen verurteilt worden. Aufgrund seines Einspruchs und mit der Hilfe seines Anwalts Dr. Berthold Guthmann wurde die Strafe in eine Geldzahlung von 150 RM umgewandelt.[143] Im zweiten Prozess, der in der Entschädigungsakte nicht datiert ist, aber ebenfalls in diesen Zeitraum gefallen sein muss, war er wegen Rassenschande angeklagt worden. Auch dazu liegen keine näheren Informationen vor, aber beide Prozesse werden vermutlich seine Planungen zunichtegemacht haben. Als weitere mögliche Ursache kommt der Ausbruch des Krieges am 1. September in Betracht.
Albert Netter musste somit vorerst in Wiesbaden bleiben. Möglicherweise aus finanziellen Gründen kündigte er auch seine Unterkunft in der Pension und zog am 1. November 1939 in das Haus Taunusstr. 6, das der Familie Amson gehörte, mit denen Netters über ihre Enkelin bzw. Großnichte Eva Beatrix verwandt waren.

Im Februar 1940 wurde dann ein vorläufiger Freibetrag von 300 RM festgesetzt, verbunden mit der Auflage, eine aktuelle Vermögenserklärung abzugeben. Die ging am 2. März 1940 bei der Behörde ein. Albert Netter konnte inzwischen nur noch ein Reinvermögen von 8.700 RM vorweisen. Sein Einkommen im Jahr 1938 hatte er mit knapp 1.000 RM angegeben, seine monatlichen Ausgaben bezifferte er auf 425 RM. [144]

Einen neuen Versuch, Deutschland zu verlassen, startete er im März 1941, was bedeutete, das gesamte bürokratische Prozedere erneut durchlaufen zu müssen, d.h. alle Unbedenklichkeitsbescheinigung mussten erneut beschafft werden, die Listen mit dem Umzugsgut wieder angelegt und das Gepäck kontrolliert werden, usw. Sein Vermögen hatte sich inzwischen halbiert und betrug nur noch 4.700 RM.[145] Auch die Jüdische Gemeinde beanspruchte noch einmal eine Abgabe, die Albert Netter diesmal in Form einer Kleiderspende leistete.[146] Dafür erhöhte sich die Dego-Abgabe jetzt auf 400 RM.[147] Allein im Jahr 1941 beantragte er die Freigabe von 2.100 RM für Fahrten zu den diplomatischen Vertretungen und die Aufwendungen für die jeweilige Hotelunterbringung, 1.600 RM wurden bewilligt.[148]
Am 24 April 1941 meldete die Dresdner Bank der Devisenstelle, dass Albert Netter ausgewandert und sein Restguthaben auf ein Auswanderersperrguthaben umgebucht worden sei.[149] Zwar hatte Albert Netter im Entschädigungsverfahren noch eine Entschädigung für die gezahlte Reichsfluchtsteuer über 12.000 RM beantragt, aber die Zahlung dieser Abgabe konnte auch über Kontendaten nicht mehr nachgewiesen werden. Ob sie gezahlt wurde, muss also offen bleiben.[150]

Laut Eintrag auf seiner Gestapokarteikarte, war die Auswanderung bereits am 4. April erfolgt. Als Ziel war jetzt nicht mehr Holland, sondern Kuba angegeben.

Aufgrund des Entschädigungsantrags für die Ausreisekosten lässt sich die Reiseroute dorthin grob rekonstruieren. Per Eisenbahn ging es zunächst nach Stuttgart, von wo aus er mit dem Flugzeug weiter nach Barcelona reiste. Vom 10. April bis zum 20. Juni 1941 war er gezwungen, sich ohne eigene finanzielle Mittel in Spanien aufzuhalten. Sein Bruder Bruno hatte ihm aus Amerika über die Hilfsorganisation ‚American Joint’ schon Ende März für die Lebenshaltungskosten dort 400 Dollar zukommen lassen.[151] Auch für die Schiffspassage III. Klasse waren „aus USA“ – wie es heißt – 375 Dollar an das Reisebüro überwiesen worden – vermutlich ebenfalls von Bruno Netter.[152] Gebucht war eine Fahrt, die am 18. April 1941 in Bilbao starten sollte, aber auch hier scheint wieder etwas schiefgelaufen zu sein, denn sonst hätte Albert Netter nicht bis Juni in Spanien bleiben müssen. Wann er dann tatsächlich auf Kuba ankam, konnte nicht ermittelt werden. Im Sommer 1949 ist er auf der Passagierliste eines Fluges verzeichnet, der von Havanna nach New York ging. Wie lange er sich dort damals aufhielt, ist nicht bekannt, aber ganz sicher besuchte er seinen Bruder und dessen Familie.

Albert Netter
Albert Netters Situation in Kuba
HHStAW 518 839 (21)

In seinem kubanischen Exil konnte er nicht mehr wirklich Fuß fassen und blieb auch weiterhin von der Unterstützung seiner Verwandten abhängig. Dass damit in erster Linie Bruno Netter gemeint war, ergibt sich schon daraus, dass die Unterstützungszahlungen seit 1951 – in diesem Jahr verstarb der Bruder in New York – zurückgingen[153] und er umso dringender auf die ihm zustehenden Entschädigungszahlungen aus Deutschland angewiesen war. Die jüdische Flüchtlingshilfe in Kuba bestätigte gegenüber den deutschen Behörden im Januar 1953 seine miserable finanzielle Situation, erwähnte aber auch, dass er noch Geld von Verwandten in Indien erhalten habe.[154]. Eher unwahrscheinlich ist, dass das Geld von der dorthin geflüchteten Familie Rudolf Lasers kam,[155]  vermutlich half ihm seine Schwester Anna Netter, verheiratete Sommer, für die ebenfalls Indien zum Exilland geworden war. In Kuba lebte damals auch sein Neffe Oskar, der Sohn des ermordeten Arztes Hermann Netter, der ihm vermutlich zumindest eine mentale Stütze in der Fremde war, bevor er dann weiter in die USA wanderte. Im März 1955 erhielt Albert Netter die erste Entschädigungszahlung über 2.714 DM aufgrund eines Teilbescheids über seinen Vermögensverlust. Zwar wurde ihm später vom deutschen Staat auch eine Rente von 429 DM monatlich gewährt,[156] aber eine Entschädigung für ein zerstörtes Leben konnte das nicht sein. Am 18. Februar 1957 verstarb der allein stehende Albert Netter in Havanna.[157]

 

Das Schicksal der Familie Laser

Nach der Ausreise der Familie Netter, war das traditionsreiche Juweliergeschäft ‚Netter, Herz & Heimerdinger’ aus dem Stadtbild von Wiesbaden verschwunden, aber noch lebte Johanna Herz weiterhin in ihrem Haus im Hainerweg. Sie war auch nicht alleine zurückgeblieben, denn auch die Familie ihrer ältesten Tochter Lina Lilly hatte sich noch nicht zur Flucht entschieden.

Lina Lilly Laser
Lina Lilly Laser, geborene Herz
https://www.geni.com/photo/view/6000000091764762047?album_type=photos_of_me&photo_id=6000000091764364060
Dr. Eduard Laser
https://media.geni.com/p13/0e/b1/40/de/5344484b4a05c323/laser_eduard_large.jpg?hash=e0a7706b92e5b44bb1457e4a62e69e1aa78b822dcbee902f71398e40e05549d1.1734335999

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stammbaum der Familie Laser und Hertz mit der Verbindung zur Familie Herz
GDB

Lina Lilly Herz hatte am 15. Oktober 1904 in Wiesbaden den Arzt Dr. Eduard Laser geheiratet.[158] Seine Großeltern stammten ursprünglich aus Marggrabowa in Ostpreußen, eine Kleinstadt, die zu Zeiten ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Reich den Namen Treuburg hatte. Der Vater von Eduard, Louis Levi Laser, war am 20. März 1843 noch dort geboren worden, dann aber nach Wiesbaden gezogen, wo er am 22. Oktober 1874 Julie Hertz heiratete.[159] Zusammen mit seinem Schwager Hermann Hertz betrieben die beiden ein Manufakturwarengeschäft damals noch in der Langgasse 18, ab 1893/94 in dem Doppelhaus Langgasse 20/22.[160]
Aus der Ehe waren drei Kinder hervorgegangen. Am 7. Dezember 1875 kam zunächst der Sohn Eduard,[161] am 2. Februar 1877 Katharina, genannt Käthchen,[162] und zuletzt am 21. Februar 1880 mit Gertrud eine weitere Tochter zur Welt.[163]

Langgasse 20
Langgasse 20-22, in dem Eduard seine Praxis hatte und in dem sein Schwager Josef Heymann das von Jesaias Hertz, Großvater seiner Frau, gegründete Damenkonfektionsgeschäft betrieb
Stadtarchiv, unbekannter Fotoraf um 1925

Eduards Schwester Käthe, verheiratet mit Josef Heymann,[164] wohnte ursprünglich in der Nerostr. 35, somit ganz in der Nähe von Anna und Bruno Netter. Nach der Eheschließung trat der Schwiegersohn als Mitinhaber in das alteingesessene Modehaus für Damenkonfektion in der Langgasse ein. Nach dem Tod von Louis Laser führte er dann das Geschäft, in dem zeitweise bis zu 50 Bedienstete zur Verfügung standen, um die Wünsche der gehobenen Kundschaft zu erfüllen. Im Zentrum der Stadt gelegen, wurde es ab 1933 zu einem frühen Ziel der damals beginnenden Boykottaufrufe, sodass der Eigentümer sich schon im Herbst 1933 veranlasst sah, das Geschäft zu verkaufen.

Laser Heymann
Die Ehepaare Laser und Heymann
Von links: Lilly Laser, Josef Heymann, Käthe Heymann, Dr. Eduard Laser
Archiv AMS

Der arisierte Laden wurde seit dem von Walter Bender als Haus für Damenmoden weitergeführt. Josef und Käthe Heymann nahmen aber damals nicht die Möglichkeit wahr, Deutschland zu diesem frühen Zeitpunkt zu verlassen, stattdessen warteten sie zu lange ab und gehörten zuletzt zu denjenigen, die bei der großen Deportation am 1. September 1942 nach Theresienstadt verbracht wurden. Josef Heymann fiel den unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager schon zwei Wochen nach der Ankunft am 16. September 1942 zum Opfer, seine Frau starb drei Tage später am 19. September.[165]

Gertrud Henriette Laser, genannt Gustel, die seit dem 16. März 1900 mit dem Hannoveraner Arzt Dr. Louis Alexander Ludwig Sternheim verheiratet war,[166] hatte nach der Eheschließung in Wiesbaden ihre Heimatstadt verlassen und war mit ihrem Mann nach Hannover gezogen. Offenbar hatte er sich von seinem jüdischen Glauben distanziert, denn ihr am 31. Januar 1903 geborener Sohn Carl Ludwig, wurde 14 Jahre später evangelisch getauft. Beim Vater ist im Geburtseintrag, wie auch schon in der Heiratsurkunde, als Vermerk „Dissident“ eingetragen, bei der Mutter aber weiterhin als Religion „mosaisch“.[167]

Über das weitere Leben der Familie konnte nichts ermittelt werde. Gertrud hat aber die NS-Zeit offensichtlich im holländischen Exil überlebt. Sie verstarb dann jedoch bald nach Kriegsende am 21. Dezember 1946 in der dortigen Stadt Harlem.[168]

Der Vater Louis Laser gehörte zu den aufstrebenden jüdischen Bürgern, die als Kaufleute zu Geld gekommen waren, und besonders ihren Söhnen mit einer akademischen Ausbildung einen weiteren gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen wollten. Wo er studiert hatte, ist nicht bekannt, aber noch vor der Jahrhundertwende hatte Eduard sein Medizinstudium abgeschlossen und sich in Wiesbaden in der Langgasse 21, dem heutigen Kurierhaus, als praktischer Arzt niedergelassen. In dieser zentralen Lage, nur wenige Schritte von dem Konfektionsgeschäft seines Vaters und Schwagers entfernt, konnte sich die Praxis sehr schnell entwickeln, zumal er auch über eine Kassenzulassung verfügte.
Seine Privatwohnung richtete er nach der Eheschließung ebenfalls in der Langgasse 21 ein. Hier wurden auch die beiden Kinder geboren. Sohn Rudolf Felix kam am 29. September 1905 und Eva Beatrix am 12. November 1910 zur Welt.[169]

Der Familie ging es wirtschaftlich ausgesprochen gut. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg musste sie ein Vermögen von 85.000 RM und ein Jahreseinkommen von etwa 15.000 RM versteuern.[170] Und auch die Kriegsjahre, in denen Eduard Laser eingezogen wurde, hatten keine negativen finanziellen Folgen hinterlassen. Nach dem Tod des Vaters am 18. November 1921 [171] wurde das Haus in der Langgasse 20/22 mit einem Einheitswert von 65.000 RM im Jahr 1914 von den drei Geschwistern gemeinsam geerbt und als Erbengemeinschaft verwaltet.[172] 1928 belief sich das zu versteuernde Gesamtvermögen des Ehepaars Eduard und Lina Laser schon auf 145.000 RM.[173]

Das Einkommen von Dr. Laser zwischen 1935 und 1940
HHStAW 518 797 I (27)

Aber auch für sie bedeutete das Jahr 1933 eine Zäsur. Zwar hatten die Überlebenden nach dem Krieg angegeben, in den Jahren 1930 bis 1935 sei das ungefähre Einkommen jährlich bei etwa 20.000 RM stabil geblieben, die Angaben des Finanzamts lieferten aber deutlich niedrigere Zahlen. So waren demnach die Umsätze der Praxis von 32.000 RM im Jahr 1932 bis 1935 auf knapp 6.000 RM gefallen, wobei das Einkommen 1935 aber immer noch deutlich über 6.000 RM lag. Das hatte seinen Grund darin, dass Eduard Laser neben seinen Bezügen als Arzt – 1935 waren das etwa 3.800 RM – auch noch Einkommen aus seinen Wertpapieren und aus der Vermietung des Hauses in der Langgasse 20/22 bezog – noch einmal einen etwa gleich großen Betrag.[174] Die Summe der Einkünfte schwankte zwar in den folgenden Jahren bis 1941, veränderte sich aber im Ergebnis nur geringfügig.[175] Dennoch zeigen gerade die vom Finanzamt Wiesbaden genannten Umsätze umso deutlicher, wie sehr die berufliche Tätigkeit allmählich eingeschränkt wurde, wenngleich es auch hier nicht mehr zu klärende erhebliche Schwankungen gab.
Betrachtet man das Bild der Verlobung von Eduard und Lina Lasers Tochter Eva mit Klaus Moritz Amson aus dem September 1934, dann scheint die bürgerliche Idylle noch weitgehend ungetrübt zu sein. Der angesehene Arzt Eduard Laser hatte seine Tochter mit dem Sohn des nicht minder bekannten Wiesbadener Arztes Dr. Alfred Amson, der sogar eine kleine eigene orthopädische Klinik in der Taunusstr. 6 besaß, vermählt.

Verlobung Laser u AmsonVerlobung von Eva Laser und Klaus Amson im September 1934
Dr. Alfred Amson hinten rechts, Eva Laser und Klaus Amson vorne links, Jürgen Joachim Amson vorne rechts, Dr. Eduard Laser mit Fliege hinten stehend, mit Arm um Lilly Laser, links im Hintergrund vermutlich Johanna Herz, vorne in der Mitte Rudolf Laser
Archiv AMS

Aber dieser Schein trügt. Beiden wurde 1938 die Approbation entzogen und sie durften fortan nur noch als „Krankenbehandler“ jüdischen Patienten medizinische Hilfe leisten.[176] Und Eduard Lasers Sohn Rudolf Felix, ebenfalls promovierter Arzt und bis 1933 in den Städtischen Kliniken tätig, war dort bereits entlassen worden, als das Foto aufgenommen wurde.[177] Allerdings konnte er anschließend in den Räumen seines Vaters in der Langgasse eine eigene Praxis als „Krankenbehandler“ eröffnen.[178]

Rudolf Laser hatte zu einem nicht bekannten Zeitpunkt Martha Wilczynski, geboren am 6. Oktober 1870 im ostpreußischen Nagurren, das 1938 von den Nazis in Freudenfeld umbenannt wurde, geheiratet.[179] Im Jüdischen Adressbuch von 1935 ist sie noch als seine Frau und auch noch in der Langgasse wohnhaft eingetragen. Ob das stimmt, muss fraglich erscheinen, denn der Ehemann war zu diesem Zeitpunkt bereits eine andere Beziehung eingegangen, sogar schon verlobt.[180] Wann die erste Ehe geschieden wurde, ist ebenfalls nicht bekannt. Martha Herta Laser, geborene Wilczynski, fiel später dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz war sie zunächst nach Köln gezogen, dann, zu einem ebenfalls nicht bekannten Datum, nach Luxemburg emigriert. Dort wurde sie gefangen genommen und in dem einzigen Lager des Landes, dem ehemaligen Kloster Fünfbrunnen, jetzt als jüdisches Altersheim getarnt, mit etwa 300 anderen Jüdinnen und Juden inhaftiert.[181] Am 26. Juli 1942 war sie eine von 26 weiteren Opfern, die mit dem dritten von insgesamt sieben Transporten aus Luxemburg nach Theresienstadt deportiert wurden. Am 23. September des gleichen Jahres ist sie dort ums Leben gekommen.[182]

Im Unterschied zu seiner ersten Frau, gehörte seine zweite Frau Margarete Kutschenreuter, geboren am 17. Mai 1909 in Frankfurt, der christlichen Konfession an.[183] Ihnen gelang es allerdings unter schwierigsten Bedingungen aus Deutschland herauszukommen. Zu den genaueren Umständen der Emigration gibt es zwar widersprüchliche Aussagen, aber es ist ganz offensichtlich so, dass beide die Fahrt nach Indien getrennt antraten. Dr. Rudolf Laser hatte sich bereits im November 1935 in Wiesbaden abgemeldet, um noch im selben Jahr nach Ahmedabad, einer indischen Großstadt nördlich von Bombay, zu fahren.[184] Belegt sind die damaligen Reisekosten mit der Bahn über Chiasso nach Genua und von dort mit dem Schiff nach Bombay.[185]
Als nachvollziehbares Motiv gab er damals an, er habe keine Möglichkeiten gesehen, in Deutschland noch als Arzt arbeiten zu können. Zudem untersagten die Nürnberger Gesetze von 1935 von da an die Ehe eines Juden mit einer nichtjüdischen Frau, was eine Ehe mit Marga, wie die spätere Ehefrau von Rudolf Laser von ihren Verwandten genannt wurde und wie sie auch selbst Dokumente unterzeichnete, unmöglich gemacht hätte. Zwar gab sie im Entschädigungsantrag auch an, sie sei zusammen mit ihrem Mann im Herbst 1935 nach Indien gegangen,[186] aber das war vermutlich nur als prinzipielle Aussage gedacht. In einem anderen Formular der gleichen Akte schrieb sie dann präziser, sie habe vom Juni bis September 1936 in Berlin Steglitz gewohnt.[187] Dorthin sei sie damals zusammen mit ihren Eltern von Wiesbaden aus verzogen. In einer Stellungnahme der Städtischen Betreuungsstelle von 1948 heißt es wiederum, sie sei zusammen mit ihrem Mann 1936 emigriert, was offensichtlich nicht richtig ist. Tatsächlich war sie erst im Frühherbst 1936 ihrem Mann gefolgt.[188] Zuvor hatte sie 1934 noch in Wiesbaden eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin begonnen, um ihren Mann in seiner beruflichen Tätigkeit unterstützen zu können.[189] Von Berlin aus, ihrem letzten Wohnsitz war sie mit einem Touristenvisum über Holland zunächst nach London und von dort mit dem Schiff weiter nach Bombay gefahren.[190]
Die Heirat selbst ist am 7. September 1936 in Bombay, dem heutigen Mumbai, vollzogen und registriert worden. Während in der Urkunde bei Rudolf Laser die Stadt Ahmedabad als Wohnort angegeben ist, heißt es bei seiner Frau einfach „on voyage en route to Bombay“.[191]

Eheschließung von Dr. Rudolf Laser und Margarete Kutschenreuter
HHStAW 518 98 I (140)

In den folgenden Jahren kamen vier Nachkommen zur Welt. Ihr erstes Kind, die Tochter Gabriele Victoria, wurde am 2. November 1937 in Ahmedabad, wo der Vater inzwischen als Arzt praktizierte, geboren.[192] Der folgende Sohn Thomas Edvard kam am 21. Februar 1940 ebenfalls in Ahmedabad zur Welt. Das nächste Kind, Ernst Christoph, erblicke erst mehr als drei Jahre später am 24. September 1943 in Purandhar das Licht der Welt, ebenso die Tochter Ruth Johanna am 28. September 1945.[193] Allerdings kann von einem Licht der Welt kaum die Rede sein, den Purandhar war ein Internierungslager der britischen Kolonialmacht für sogenannte Enemy Aliens, für Feinde Englands, mit miserabelsten Lebensbedingungen.

Indien war für die Flüchtlinge aus Europa zwar kein begehrtes Ziel, aber zumindest bis 1938 ein Land, das recht unkompliziert angesteuert werden konnte, da keine besonderen Formalitäten zu beachten waren.[194] Zudem gab es gerade auch in der Umgebung von Bombay eine jüdische Gemeinde, die auf einer kleinen Einwanderungswelle osteuropäischer Juden im 18. und 19. Jahrhundert gründete. Auf deren Hilfsbereitschaft konnten die Neuankömmlinge bauen. Erst als die Emigranten nach 1938 in einer immer größeren Zahl auch nach Indien drängten – insgesamt sollen es sich um die relativ niedrige Zahl von etwa 1000 Menschen gehandelt haben -, wurden die Restriktionen verschärft, zumal sowohl die britische Regierung, als auch die indische Unabhängigkeitsbewegung um Gandhi und Nehru der Einwanderung gegenüber eine zumindest ambivalente Haltung einnahmen. Mit dem Ausbruch des Krieges veränderte sich aber dann die Haltung der Briten grundlegend. Alle, die noch einen deutschen Pass besaßen, egal, ob Juden, Oppositionelle, Missionare oder Kaufleute, wurden zunächst in regionalen, dann primär in zwei zentralen Lagern interniert.

Das Internierungslager Fort Purandar
Ashwin Baindur, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Auch die Familie Laser war von dieser Maßnahme betroffen. Nach ihren Angaben befand sie sich mit einigen anderen deutschen Familien von 1940 bis 1946 insgesamt 76 Monate in den von Stacheldraht umzäunten Lagern Satara bei Poona und zuletzt Purandhar.[195]

Rudolfs Schwester Eva Beatrix Laser, die 1935 den Arzt Dr. Klaus Amson geheiratet hatte, war ebenfalls nach Indien emigriert.[196] Vor der Eheschließung hielt sie sich zunächst vom November 1933 bis Februar 1934 als Haustochter in London auf, sicher auch mit dem Ziel, die englische Sprache besser zu erlernen. Da eine universitäre Ausbildung auch für sie in Deutschland nicht mehr in Frage kam, war eine spätere Auswanderung von ihr vermutlich damals schon ins Auge gefasst worden. Zunächst kehrte sie aber wieder zurück und arbeitete zwei Monate in Frankfurt als Kinderpflegerin. Ab Mai 1934 hielt sie sich für etwa ein Dreivierteljahr in Schweden auf, wo sie im Landschulheim Vaestraby als Kochlehrerin eingesetzt war. Im März 1935 kam sie wieder für vier Monate zurück nach Wiesbaden. Vermutlich fand in diesem Zeitraum die Hochzeit mit Klaus Amsun statt. Die nächsten Jahre verbrachte sie mit ihrem Ehemann in Rom, wo dieser damals als noch als Arzt praktizieren konnte.
Nach ihrer gemeinsamen Emigration – wann genau sie stattfand, ist nicht bekannt – lebten sie seit 1939 zunächst in Gwalior, heute eine Millionenstadt im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh, wechselten dann aber noch mehrfach ihren Wohnsitz. Ihr letzter Aufenthaltsort vor der Internierung war Bombay, wo Klaus Amson wieder als Arzt tätig war.
Ihren Entschädigungsantrag, den die beiden 1958 gestellt hatten, sie lebten damals noch in Indien,[197] verfolgten sie nicht weiter, weshalb auch genauere Informationen über ihr weiteres Schicksal nicht vorliegen.

Waren somit die beiden Kinder und die Enkel von Lina und Eduard Laser trotz schwierigster Lebensumstände in Indien dem Holocaust entkommen, so standen den in Wiesbaden verbliebenen Eltern die schwierigsten Jahre noch bevor. Allerdings hatten auch sie die Absicht, zu emigrieren. Woran das letztlich scheiterte, ist den Akten nicht zu entnehmen. Aber der Plan wird sicher nicht am fehlenden Geld, eher an den fehlenden Visa gescheitert sein.
Schon im Januar 1939 hatten die Geschwister gemeinsam ihr Haus in der Langgasse 20/22 zu einem Preis von 165.000 RM an Walter Bender verkauft, der zuvor schon das bis 1933 von Käthe und Josef Heymann dort angesiedelte Geschäft übernommen hatte.[198]

Am 27. Juli 1939 wurde der Vertrag über den Verkauf der Immobilie zwischen Dr. Laser und dem Kaufmann Walter Bender genehmigt. Nach der Übernahme einer Hypothek durch den Käufer sollte die Restsumme von 127.000 RM an die drei Kinder des Vorbesitzers Louis Laser ausgezahlt werden, selbstverständlich auf ihr gesichertes Konto bzw. auf ein Auswandererkonto.[199] Bezüglich Eduard Laser ist in einem weiteren Vermerk festgehalten, dass er noch die dritte Rate der Judenvermögensabgabe in der Höhe von 2.800 RM schuldig sei.
Der Verkauf des Hauses war offenbar nicht nur in Vorbereitung auf die Auswanderung, sondern auch aus finanziellen Gründen geschehen. Von dem Erlös musste Eduard Laser die zweite wie auch die dritte Rate der „Sühneleistung“ in Höhe von insgesamt 5.700 RM zahlen, zuzüglich Verzugszinsen von 120 RM. Offensichtlich war er bisher nicht in der Lage gewesen, diese Summe aufzubringen. Auch wurde die Reichsfluchtsteuer von rund 9.200 RM abgebucht.[200] Sie war im August 1939 auf der Basis eines Vermögens von 36.800 RM festgesetzt worden. Im diesbezüglichen Bescheid ist sogar schon ein konkretes Datum für die geplante, aber gescheiterte Auswanderung genannt: Sie sollte am 1. Dezember des laufenden Jahres stattfinden, wohin, ist allerdings nicht gesagt.[201]
Da in der folgenden Zeit immer wieder Rechnungen zu begleichen waren, für deren Überweisung die kontoführende Bank immer neue Genehmigungen einholen musste, wurde im April 1940 von der Devisenstelle ein fester Freibetrag von 300 RM für Eduard Laser festgesetzt, über den er ohne Anfrage verfügen konnte.[202] Verbunden war diese Maßnahme mit der Forderung nach einer aktuellen Vermögens- und Einkommenserklärung. Am 3.Mai gab er auf dem vorgeschriebenen Formular die entsprechenden Auskünfte: Sein Vermögen betrug 36.000 RM, allerdings waren davon noch die bereits gesicherten 9.200 RM für die Reichsfluchtsteuer abzuziehen, die formal noch ihm gehörten, aber vom Finanzamt bereits als Pfand vereinnahmt waren. Sein aktuelles Jahreseinkommen gab er mit knapp 10.000 RM an, das für das folgende Jahr erwartete mit 6.000 RM. Seinen monatlichen Bedarf bezifferte er auf 680 RM.[203] Auf Basis dieser Zahlen wurde der Freibetrag dann sogar auf 700 RM monatlich heraufgesetzt.[204]
Durch die Sicherungsanordnung war der Kontoinhaber verpflichtet, allen Schuldnern mitzuteilen, dass er Geld nur über das gesicherte Konto annehmen dürfe. Eine solche Mitteilung ging auch am 4. Mai 1940 auch an die Städtische Leihanstalt. Der Hintergrund dafür war die Verordnung, die alle Juden verpflichtete, Silber, Gold und anderes Edelmetall, sowie Schmuck bei den öffentlichen Leihanstalten abzuliefern. Bereits im Mai 1939 hatte er eine Münzsammlung und diverse Schmuckstücke abgeliefert. Dafür, darunter auch eine Platinkette, hatte er wenigstens 266 RM erhalten, für die Münzsammlung, die fünf Pfund wog und auch Goldmünzen enthielt, bekam er nichts.[205]

Immerhin erreichte er, dass die Kosten und die Einnahmen aus seiner Tätigkeit als „Krankenbehandler“ nicht über das gesicherte Konto, sondern über sein Postscheckkonto laufen durften, allerdings musste er über die monatlichen Kontenbewegungen der Devisenstelle aufs genaueste Mitteilung machen und die Überschüsse dann auf das gesicherte Konto übertragen..[206] Aufgrund der genauen Aufzeichnungen erhält man einen recht guten Eindruck davon, was ein jüdischer Arzt damals noch verdienen konnte. Bemerkenswert ist die hohe Schwankungsrate der Einnahmen. In manchen Monaten hatte er Einnahmen, die über 1.000 RM lagen, in anderen lagen sie deutlich unter 100 RM, im Mittel werden es etwa um die 300 RM gewesen sein.[207]

Im April 1942 wollte die Devisenstelle noch einmal über die Kosten seiner Lebensführung informiert werden. Die Ausgaben summierten sich auf insgesamt 520 RM.[208] Der bisher gewährte Freibetrag wurde daraufhin auf nur noch 460 RM reduziert.[209]
Bemerkenswert an dieser Aufstellung sind zwei Punkte. Zum einen führt er eine monatliche Zahlung von 10 RM an, die zur Unterstützung seiner ehemaligen Schwiegertochter Martha Laser nach Luxemburg gingen, die dort im Petrusring 31 wohnte. Es bestand also damals offensichtlich noch Kontakt zwischen den beiden.

Zudem gibt er an, dass zum Haushalt vier Personen zählen würden. Nach dem Verkauf des Hauses durften nicht nur die bisherigen Eigentümer im zweiten Stock wohnen bleiben, es kamen sogar noch eine Reihe weiterer jüdischer Bewohner hinzu. Wenngleich es nicht zu einem offiziellen Judenhaus wurde, so wurde die Wohnung der Lasers doch zu einer Art „Judenstockwerk“,[210] in das bis 1942 fünf weitere Personen einzogen.
Noch im Januar, als der Verkauf noch nicht einmal offiziell abgeschlossen war, kamen mit Georg Goldstein und seiner Frau Margarete, geborene Lasker, die ersten Untermieter in die Etage. Bei Georg Goldstein handelte sich um eine stadtbekannte Persönlichkeit,[211] die sich zum einen als Vorstand der von dem Wiesbadener Kaufmann Joseph Baum initiierten Deutsche Gesellschaft für Kaufmanns-Erholungsheime weit über die Grenzen der Stadt hinaus einen Namen gemacht hatte, der aber auch ein engagiertes Mitglied der jüdischen Gemeinde war und als Leiter der Wiesbadener Ortsgruppe des Hilfsvereins der deutschen Juden vielen seiner Glaubensgenossen bei der Flucht half. Sich selbst und seiner Frau konnte er am Ende nicht helfen. Mit Berthold Guthmann leitete er zuletzt die Bezirksstelle Hessen Nassau der ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD)’. Er förderte zunächst das Konzept der Heimeinkaufsverträge, bis er erkannte, welcher Betrug damit verbunden war. Auf Grund seiner Rolle in der RVJD blieb er zunächst von den Deportationen aus Wiesbaden verschont, musste aber, wie auch Berthold Guthmann mit seiner Familie, nach dem Abschluss der „Evakuierungen“ am 20. November 1942 nach Frankfurt in den Hermsweg übersiedeln, wo die Bezirksleitung noch die Abwicklung der jüdischen Gemeinden in ihrem Bezirk zu Ende zu bringen hatte.[212] Am 18. März 1943 wurde dann auch er mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert. Über ihren Tod liegen widersprüchliche Aussagen vor. Sicher ist, dass am 9. Oktober 1944 Margarete Goldstein von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Unklar ist, ob ihr Mann noch in Theresienstadt verstarb oder ebenfalls im Gas von Auschwitz umgebracht wurde. Laut Krematoriumsverzeichnis des Vernichtungslagers wurde er dort am 31. August 1943 ermordet und verbrannt.[213]

Wenige Tage nach dem Einzug des Ehepaars Goldstein kam am 30. Januar Frieda Kahn als weitere Untermieterin hinzu. Sie war nach den Novemberereignissen aus Schierstein, wo sie mit ihrer Schwester und deren nichtjüdischem Ehemann bisher gewohnt hatte, geflohen. Es sollte vermutlich nur ein kurzer Aufenthalt werden, da auch sie die Absicht hatte, so schnell wie möglich aus Deutschland zu flüchten. Stattdessen blieb sie aber in der Langgasse bis man sie am 10. Juni 1942 abholte und in Sobibor ermordete.[214]
Knapp eine Woche nach Frieda Kahn, kam am 15. Mai 1939 noch Auguste Herz, geborene Hertz, hinzu.[215] Wie die identischen Geburtsnamen Hertz der neuen Mieterin und der ehemaligen Hausbesitzerin vermuten lassen, gab es eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen Julie Laser und der am 11. Januar 1871 in Wiesbaden geborenen Auguste Rosa Herz, geborene Hertz. Sie war die Nichte von Julie Laser, die Tochter ihres Bruders Hermann Hertz, die zuvor im Nerotal 53 bei Heymanns gewohnt hatte. Diese waren nach der Emigration von Netters laut ihrer Gestapokarteikarte am 10. Juli 1939 dort eingezogen.
Am 5. Mai 1941 kam noch Elise Baer, die am 30. Dezember 1862 in Oberstein, dem heutigen Idar-Oberstein, zur Welt gekommen war, in die gemeinsame Wohnung. Obwohl auch sie eine geborene Herz war, konnte eine weitere familiäre Verbindung bisher nicht gefunden werden.

Alle Untermieter blieben bis zuletzt in der Wohnung der Lasers, gegen Ende kam mit Hermine Löwensberg, geborene Scheuer, noch eine weitere Witwe hinzu. Auf ihrer Gestapokarteikarte ist zwar als letzte Adresse das Jüdische Altersheim Geisbergstraße eingetragen, aber laut der Deportationsliste vom 1. September wurde sie damals aus der Langgasse 20 abgeholt.

Das Ehepaar Laser, ihre Cousine Auguste Rosa Herz und Elise Baer standen ein halbes Jahr später auf der Liste derjenigen, die am 1. September nach Theresienstadt deportiert werden sollten. Die 80-jährige Elise Baer ahnte, dass diese Fahrt ihren Tod bedeuten würde. Zudem hatte sie bereits zu viel Leid erfahren müssen. Ihre Tochter Anna war im März von Mainz aus nach Piaski deportiert und ermordet worden, zuvor hatte sich deren Mann Siegfried Salomon nach einem Verhör bei der Gestapo bereits im Juli 1939 das Leben genommen. Er war es gewesen, der seiner Schwiegermutter die Kapsel mit Zyankali besorgt hatte, die sie am 25. August 1942 einnahm, nachdem sie ihr Zimmer aufgeräumt und sich in ihr Bett gelegt hatte.[216] Ihre letzte Ruhe fand sie deshalb nicht in einem anonymen Massengrab im Osten, sondern im Grab ihres bereits am 21. Juli 1920 in Wiesbaden verstorbenen Ehemanns auf dem Jüdischen Friedhof an der Platter Straße.

Die anderen vier Bewohner der Langgasse 20 kamen der Aufforderung nach und erschienen am letzten Wochenende im August in der Synagoge in der Friedrichstr. 33, die von der Gestapo zur Sammelstelle für den Transport umfunktioniert worden war. Die genauen Anweisungen, was man mitbringen durfte und mitbringen musste, waren den Jüdinnen und Juden bereits am 22. August in einem ausführlichen Schreiben bekannt gemacht worden.[217]

Spätestens um 13 Uhr hatten alle, die die schreckliche Nachricht erhalten hatten, sich in der Synagoge einzufinden. So blieb genug Zeit bis zur Abfahrt des Zuges, um der SS noch einen letzten Zugriff auf das Vermögen der Opfer zu ermöglichen, bevor die noch verbliebenen Vermögenswerte der allgemeinen Finanzverwaltung des Reiches zufielen. Als Mittel dazu dienten die sogenannten Heimeinkaufsverträge, die den wohlhabenden Juden aufgenötigt wurden. Man versprach ihnen, im „Altersghetto“ Theresienstadt würden sie bis zu ihrem Lebensende mit Unterkunft und Nahrung versorgt sein – ein unglaublicher Zynismus angesichts dessen, was die Deportierten dort erwartete. Auch Eduard Laser schloss einen solchen Vertrag ab. Ob er den Lügen Glauben schenkte oder die Unterschrift erzwungen wurde, weiß man nicht. Bereits am 26. August, also noch bevor er sich in der Sammelstelle einzufinden hatte, war der Vertrag zustande gekommen. Es waren 22.477,30 RM, die von seinem Konto auf das Sonderkonto beim ‚Bankhaus Heinz Tecklenburg & Co.’ in Berlin flossen, ein Konto, auf das das Reichsicherheitshauptamt, also die SS, exklusiven Zugriff hatte.

Am Morgen des 1. September rollte der Zug mit 356 zumeist älteren Jüdinnen und Juden vom Gleis der Viehverladestation des Hauptbahnhofs Richtung Frankfurt, wo er mit weiteren Opfern aus dem gesamten Regierungsbezirk Wiesbaden aufgefüllt wurde. Am folgenden Tag wurde Theresienstadt erreicht. Auguste Herz verstarb dort am 14. Dezember 1942.[218]

Das Ehepaar Laser überlebte das Ghetto zumindest für ein ganzes Jahr unter menschenunwürdigsten Verhältnissen. Dr. Eduard Laser wurde dort am 17. September 1943 dahingerafft. Seine Frau Lina Lilli folgte ihm am nächsten Tag, dem 18. September, indem sie ihrem Leben selbst ein Ende setzte.[219]

 

Das Schicksal von Johanna Herz

Auch Johanna Herz, die Mutter von Lina Lilli Laser, saß in diesem Zug nach Theresienstadt . Zwölf Jahre waren vergangen, seit die Familie anlässlich ihres 70stem Geburtstag noch einmal, trotz der Wirtschaftskrise, in vergleichsweise glücklichen Zeiten zusammengekommen war. Seit dem war nicht nur das Geschäft ruiniert, ihre Familie zerfallen und in der Welt verstreut worden, auch sie war vom NS-Staat systematisch ausgeraubt und zuletzt auch noch aus ihrer eigenen Wohnung vertrieben worden.

In den vergangenen Jahren hatte sie von den Mieteinnahmen der beiden Immobilien und der Verzinsung ihrer Wertpapiere gelebt. Aber auch da kam nicht mehr so viel Geld herein, wie ursprünglich gedacht. So kam schon 1934 ihr Schwiegersohn seinen vereinbarten Verpflichtungen, die Zahlung der Zinsen für das Darlehen, nicht mehr nach. Ob das aus Geldmangel resultierte oder aber so vereinbart war, ist dem Schreiben ihres Steuerberaters nicht zu entnehmen. Als Mieteinnahme konnte sie aber in Wiesbaden im Hainerweg für das gesamte Jahr etwa 3.000 RM verbuchen, allerdings standen auch nicht unerhebliche Reparatur- und Unterhaltkosten gegenüber. Die Einnahmen für das wesentlich größere Haus in München mit seinen vier über der Parterrewohnung gelegenen Stockwerken waren dagegen erheblich höher und erbrachten 1934 etwa 9.000 RM brutto.[220] Das zu versteuernde Einkommen betrug dennoch insgesamt nur 4.300 RM.[221] In folgenden Jahren blieb es weiterhin in etwa diesem Rahmen, aber gerade 1935 standen den Mieteinnahmen von 13.500 RM Kosten in fast der gleichen Höhe gegenüber.[222] Bis 1938 konnte sie aber im Großen und Ganzen mit etwa 5.000 RM Jahreseinkommen vor Steuern rechnen.

Johanna Herz hat keinen Zugriff mehr auf die Mieteinnahmen aus dem Münchner Haus
HHStAW 519/3 297 (24)

Vor der Reichspogromnacht war bisher mit der Sicherungsanordnung primär ihre Verfügungsgewalt über ihr Vermögen eingeschränkt worden, danach begann der eigentliche Raubzug. Am 19. Januar 1939 erhielt auch sie den Berechnungsbogen für die „Sühneleistung“. Auf der Basis eines Gesamtvermögens von 183.000 RM wurde sie zur Abgabe von insgesamt zunächst 36.600 RM, zahlbar in vier Raten mit je 9.150 RM verpflichtet. Die Forderung der fünften Rate in gleicher Höhe erfolgte im November 1939.[223]

So viel flüssiges Kapital hatte sie nicht zur Verfügung, weshalb sie – abgesehen von einem ersten Teilbetrag von 1.200 RM – nahezu den gesamten Betrag durch die Abgabe von Wertpapieren begleichen musste.[224]
Im Frühjahr 1939 erging die Aufforderung an die Juden, ihr Edelmetall, in welcher Form auch immer, ihre Juwelen und andere Schmuckstücke bei den entsprechenden kommunalen Ankaufstellen abzuliefern. Bereits im Jahr zuvor waren sie im April gezwungen worden, diese Wertgegenstände anzumelden. Jetzt, im Vorfeld des Krieges, griff der NS-Staat zu. Für die abgelieferten Wertsachen erhielten sie einen völlig unangemessenen Betrag in Reichsmark, der am reinen Materialwert orientiert war, aber weder den künstlerischen, noch den Erinnerungswert in irgendeiner Weise berücksichtigte. Johanna Herz erhielt am 3. April 1939 für einen silbernen Ring mit Brillant und Perle, für eine Nadel mit Perle, einen Anhänger und eine Brosche mit Rosen – aus welchem Metall ist nicht notiert -, zwei Goldmünzen und Bruchgold 520 RM.[225] Natürlich musste das Geld auf das gesicherte Konto eingezahlt werden.

Vermögenserklärung von Johanna Herz vom Früjahr 1940
HHStAW 519/3 297 (30)

Ihr Freibetrag belief sich seit Juni 1939 auf 1.000 RM, dafür durfte sie über die Mieteinnahmen des Münchner Hauses nicht mehr frei verfügen, sondern diese mussten jetzt auch auf das gesicherte Konto eingezahlt werden.[226] Anfang 1940 wurde bis zum Eingang einer neuen Vermögenserklärung der Freibetrag auf 300 RM gesenkt. Am 17. Februar schickte sie das Formular mit den aktuellen Zahlen an die Frankfurter Behörde. Das Vermögen, das vor nicht allzu langer Zeit noch mehr als 200.000 RM betragen hatte, war inzwischen auf 90.000 RM zusammengeschmolzen. Und die Hälfte davon gehörte eigentlich auch nicht ihr, sollte sie mit ihren 80 Jahren tatsächlich noch vorhaben, das Land zu verlassen. 45.000 RM standen als Sicherung für die Reichsfluchtsteuer darin nur noch formal auf ihrer Habenseite. Aus Mieten und der Verzinsung der noch vorhandenen Wertpapiere in der Höhe von etwa 15.000 RM meinte sie im Laufe des Jahres auf Einnahmen von 5.000 RM zu kommen, im kommenden Jahr aber nur noch auf die Hälfte.[227]
Die Ausgaben für den eigenen Lebensunterhalt und ihre Haushaltshilfe taxierte sie auf 680 RM.[228] Ihre Bitte, den Freibetrag dieser Summe entsprechend wieder anzupassen, wurde erfüllt.[229]

Verkauf des Hauses in München
HHStAW 519/3 297 (35)

Im Sommer 1940 trennte sich Johanna Herz von ihrem Immobilienbesitz in München. Der Kaufvertrag mit einem ursprünglich österreichischen, jetzt aber in Garmisch-Partenkirchen lebenden Ehepaar, war am 21. Juni 1940 unterzeichnet worden, wobei an ihrer Stelle ihr Schwiegersohn Otto Herzbach die entsprechende Unterschrift leistete. Wie üblich bedurfte es noch der Zustimmung der Behörden, bis der Vertrag dann tatsächlich genehmigt wurde. Diese wurde dann erst ein Dreivierteljahr später im März 1941 unter der üblichen Auflage erteilt, dass der Erlös auf das gesicherte Konto der Verkäuferin einzuzahlen sei.[230] Aber auch der Käufer hatte eine sogenannte „Ausgleichszahlung“ von 5.000 RM abzuführen. Das war eine Abgabe, die der Staat vom Nutznießer des Geschäfts verlangte. Immerhin war er in Besitz eines begehrten „jüdischen Eigentums“ gelangt.

Der Einheitswert der Immobilie belief sich auf 53.700 RM, der Verkaufspreis betrug immerhin 70.000 RM plus die Ausgleichszahlung. Für Johanna Herz blieb dennoch wenig übrig, denn das Hausgrundstück war mit einer Hypothek von rund 25.000 RM belastet, von dem Rest war die „Sicherungshypothek des Deutschen Reiches für die Reichsfluchtsteuer „wegzufertigen“, wie der Raub in neutralem Juristendeutsch bezeichnet wurde, dann hatte sie auch noch 3 Prozent Maklergebühren und andere Gebühren zu zahlen. Die früher festgelegte Reichsfluchtsteuer hatte sich inzwischen durch die Minderung des Vermögens, im Besonderen durch die Judenvermögensabgabe, reduziert. 19.300 RM musste sie dafür von ihrem Erlös verpfänden.[231] Es blieben ihr grob geschätzt etwa 25.000 RM übrig.

Interessant an dem Verkaufsvertrag sind noch zwei weitere Passus. Zunächst mussten die Käufer versichern, dass sie „keinerlei Verabredungen oder Sonderabkommen in irgendeiner Form mit Juden oder zugunsten von Juden“ getroffen hatten oder treffen werden, es sich also um kein Tarngeschäft handelte. Zudem mussten sich die Neuerwerber mit Bezug auf das neue Mietgesetz verpflichten, „in dem Grundstücke befindliche arische Existenzen weder zu gefährden noch zu vernichten“, jüdischen Mietern durfte nur mit Genehmigung der Stadt München gekündigt werden, sofern für diese eine anderweitige Unterbringung sichergestellt sei.[232] Diese Bestimmung, die ursprünglich nicht zum Schutz der Juden gemacht worden war, sondern verhindern sollte, dass die Städte plötzlich mit unzähligen wohnungslosen Jüdinnen und Juden konfrontiert würden, hatte für die Familie Merzbacher zumindest kurzfristig den positiven Effekt, dass sie in dem Haus wohnen bleiben konnte.

Dr. Laser gibt der Devisenstelle Auskunft über die Lebenshaltungskosten seiner Schwiegermutter Johanna Herz
HHStAW 519/3 297 (49)

Im Januar 1942 forderte die Devisenstelle Johanna Herz erneut auf, innerhalb von drei Tagen eine Aufstellung ihrer gegenwärtigen Lebenshaltungskosten zu schicken. Ihr finanzieller Bedarf summierte sich jetzt auf 480 RM, woraufhin ihr Freibetrag erneut gekürzt wurde. Man gewährte ihr ab Februar 1942 nur noch 420 RM.[233]

Inzwischen hatte sich auch die Wohnsituation im Hainerweg 3 verändert. Bisher hatte sie dort alleine mit ihrer ledigen Haushälterin Pauline Seitz im ersten Stock wohnen können.[234] Im Mai des vergangenen Jahres war bereits Alice Hess, genannt Liesel, bei ihr eingezogen. Die wiederverheiratete Witwe des früheren Eigentümers der ‚Nassauischen Leinenindustrie’ Joseph Baum, einst ebenfalls zu den renommierten Kreisen der Wiesbadener Geschäftswelt gehörend, war inzwischen so verarmt, dass sie vermutlich aus Kostengründen bei Johanna Herz eingezogen war.[235]

Amalie Hirsch, geb. Ballin
Mit Dank an Anita Bardwell

Am 14. Juni 1942 kam mit Amalie Hirsch, geborene Ballin, ihre eigene Schwester in die Wohnung im Hainerweg. Hintergrund für diesen Einzug war das Ansinnen der SS, ihr Haus in der Blumenstr. 7, das seit längerer Zeit als Judenhaus genutzt wurde, für eigene Zwecke zu verwenden. Zwar forderte die SS die Deportation der dort lebenden Jüdinnen und Juden, aber in dieser Phase hatte man von Berlin aus die Vorgabe gemacht, zunächst jüngere und arbeitsfähige Menschen in den Osten zu schaffen. So kam es, dass Amalie Hirsch bei ihrer Schwester einziehen musste. „Musste“ ist insofern das adäquate Wort, weil die beiden Schwestern – so wird erzählt – keine gute Beziehung miteinander pflegten, sie vielmehr seit vielen Jahren eher zerstritten, wenn nicht sogar verfeindet gewesen sein sollen. Was an diesem Gerücht wahr ist, kann aus der großen zeitlichen Distanz nicht mehr geklärt werden, auffällig ist immerhin, dass auf dem Familienfoto von Johannas 70-stem Geburtstag, die Schwester, die damals nur wenige Schritte entfernt wohnte, nicht zu sehen ist. Andererseits kann der Streit zwischen den beiden Schwestern sich nicht auf die jeweiligen Familien ausgewirkt haben, denn immerhin hatte Bruno Netter die Söhne von Amalie Hirsch, Ernst und Fritz Hirsch, als Zeugen und juristischen Beistand nach dem Überfall auf das Geschäft während der Pogromnacht gerufen. Auch nach dem Krieg hat die Familie Ernst Hirsch als beschlagenen Juristen – er wurde später sogar Justizminister in den Niederlanden – im Zusammenhang mit den Rückerstattungsverfahren kontaktiert.[236]
Auch wenn das plötzlich erzwungene Zusammenleben jetzt für die Schwestern nicht einfach und vielleicht eine zusätzliche Belastung gewesen sein sollte, dann wird man sich dennoch angesichts der Bedrohung von Außen wohl irgendwie arrangiert haben.
Die beiden blieben aber nur noch zwei Wochen dort zusammen wohnen. Alice Hess war schon am 26. Juni 1942 wieder aus dem Hainerweg ausgezogen und vermutlich zwangsweise in das Judenhaus Bahnhofstr. 25 umgesiedelt worden. Auch für die beiden Schwestern war die letzte Station in Wiesbaden ein Judenhaus. Am 1. Juli mussten sie gemeinsam in das Judenhaus in der Lortzingstr. 7 umziehen. Einen Monat später, am 1. August, teilte Johanna Herz auf einem kleinen Zettel der Devisenstelle diesen Umzug mit.[237]

Johanna Herz teilt den Finanzbehörden den Umzug in das Judenhaus Lortzingstr. 7 mit
HHStAW 519/3 297 (51)

Vermutlich war der Umzug auch deshalb notwendig geworden, weil man Johanna Herz zum Verkauf ihres Hauses gedrängt oder sogar genötigt hatte. Offensichtlich waren die Kaufverhandlungen schon länger im Gange gewesen, denn am 24. August 1942 kam ein Vertrag zustande, laut dem die bisherige Eigentümerin das Haus an die dort ebenfalls wohnenden Eheleute Ernst und Wilhelmine Höflich zum Preis von 36.000 RM verkaufte.[238]
Als der Vertrag unterzeichnet wurde, mussten die Vertragspartner schon wissen, dass für Johanna Herz die „Evakuierung“ eine Woche später bereits angeordnet war.[239] In einer solchen Situation von einem zustande gekommenen „Vertrag“ zu sprechen, ist absurd. Vielmehr nutzte im letzten Moment ein guter Deutscher die Gunst der Stunde, um noch schnell ein Schnäppchen zu machen, denn das Haus mit Hofraum und Hausgarten zu diesem Preis in bester Lage war ganz sicher ein Schnäppchen.

Die erste Seite des Verkaufs-vertrags der Immobilie Hainerweg 3
HHStAW 519/3 297 (55)

Was zuvor beim Verkauf ihres Hauses in München neun Monate gedauert hatte, nämlich die behördliche Genehmigung zu bekommen, gelang hier innerhalb, weniger Tage. Genauer gesagt, die Devisenstelle stellte am 1. September fest, dass es einer devisenrechtlichen Genehmigung gar nicht bedürfe. Der Grund dafür erschließt sich, wenn man den Vertrag genau liest. Der Kaufpreis sollte nämlich nicht auf das Konto von Frau Herz, sondern auf das Sonderkonto der Reichsvereinigung der Juden beim ‚Bankhaus Heinz Tecklenburg & Co.’ überwiesen werden – das bekannte Konto, auf das ausschließlich das Reichssicherheitshauptamt der SS Zugriff hatte. Johanna Herz hatte somit ihr eigenes Haus gegen einen wertlosen Heimeinkaufsvertrag eingetauscht, der ihr angeblich Unterkunft und Verpflegung im Altersghetto Theresienstadt auf Lebenszeit sichern sollte. Was das faktisch bedeuten würde, hatte man auch bei schlimmsten Erwartungen kaum ahnen können.

Der Vertrag wurde genau an dem Tag bestätigt, an dem der Zug die Viehverladestation am Wiesbadener Hauptbahnhof verließ. Unter den 356 Wiesbadener Opfern befanden sich neben Johanna Herz auch ihre Tochter Lina mit ihrem Mann Eduard Laser und Johannas Schwester Amalie Hirsch.
Als der Zug am 2. September Theresienstadt erreichte, gab es bei allem Grauen doch auch eine ungeheure Freude darüber, dass Amalie Hirsch hier auf ihre Tochter Nelly und ihren Schwiegersohn Julius Elkan traf. In einem Brief, den Nelly nach dem Krieg an Eva Ansom, der Tochter ihrer Cousine Lilly Herz, verheiratete Laser, schrieb, schilderte sie dieses Wiedersehen, aber auch den Tod ihrer Mutter und den weiterer Angehöriger:

„Ja, wir sind durch ein großes Wunder gerettet worden und Julius und ich sind sehr betrübt, dass Deinen armen Eltern, liebe Eva, nicht auch dieses Glück zuteil wurde. Da ich Euch aus Theresienstadt nur die traurige Nachricht vom Tode Eurer lieben Eltern mitbringen konnte, so will ich Euch als kleinen Trost wenigstens mitteilen, dass wir mit Vater und Mutter innig befreundet und fast täglich zusammen waren, und dass wir beider Tod miterlebten und Euch so über alles unterrichten können. Am 3. Sept. 1942 kamen mit einem Frankfurter Transport viele Wiesbadner nach Theresienstadt, darunter meine Mutter, Eure Eltern [Lilly und Eduard Laser – K.F.] und Großmutter [Johanna – K.F.] Herz. Letztere kam schon in sehr schlechtem Zustand an und starb schon am 15. Sept. an Entkräftung elend am Fußboden eines Speichers in einem kleinen Blockhaus. Eure Eltern, meine Mutter, ich und Julius waren bis zuletzt bei ihr, sie hatte keine Schmerzen und wollte nicht mehr leben. Meine Mutter, die vor lauter Freude, uns in Theresienstadt vorgefunden zu haben, alles mit größter Bescheidenheit und Ergebenheit ertrug und so gern das Kriegsende erleben wollte, starb leider am 27. Nov. 1942 an einem Lungen-Oedem nach Rippenfell- und Lungenentzündung.“[240]

Johanna Herz
Todesfallanzeige für Johanna Herz aus Theresienstadt
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Johanna Herz hatte nur noch zwei Wochen im Gebäude W 802 auf dem Dachboden überstanden, den die von Hunger und Kälte geschwächten Menschen kaum mehr verlassen konnten. Allemal wäre es richtiger gewesen, wenn der den Todesfall dokumentierende Arzt statt „Altersschwäche“ auf dem Formular „Mord“ als Todesursache eintragen hätte.[241]
Einen Tag danach, am 28. November, starb ihre Schwester Amalie angeblich an einer Lungenentzündung.[242]

Das Schicksal von Alice Margarete Selz, geborene Herz, und ihrer Familie

Das Ehepaar Laser und Johanna Herz sowie ihre Schwester Amalie Hirsch waren auch aus dem engeren Familienkreis nicht die einzigen Opfer der Shoa. Auch Alice Margarete, die jüngste Tochter wurde umgebracht, aber von ihr kennt man nicht einmal den Todestag.

Alice Selz, geborene Herz
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Am 16. September 1917 hatte sie in Wiesbaden den promovierten Juristen und Bankprokuristen Alfred Selz geheiratet.[243] Er war der Sohn des Bankdirektors David Selz und seiner Frau Ida, geborene Wilmersdörfer. Die mütterliche Linie führt zurück bis ins 18. Jahrhundert, wo ein Händler Nathan Abraham Oberndörfer in bayrischen Ansbach auch schon mit Bankgeschäften befasst war. Aus der sehr großen Familie waren zahlreiche bedeutende Wissenschaftler und auch Bankiers hervorgegangen, die Kontakte zu den höchsten europäischen Adelskreisen, etwa dem Fürstenhaus Metternich, pflegten, also insgesamt eine Familie, deren sich ein Hofjuwelier in Wiesbaden gewiss nicht zu schämen brauchte.

Stammbaum der Familie Selz und die Verbindung zur Familie Herz
GDB

Aber auch die Vorfahren in der väterlichen Linie des Ehemanns hatten einen angemessenen sozialen Status erworben.[244] Elkan Selz, der Großvater des Bräutigams, stammte aus dem bayrisch-schwäbischen Harburg, hatte studiert und war 1834 als Rabbi nach München gekommen.[245] Sein Sohn David machte Karriere als Direktor der Bayrischen Vereinsbank, sodass der Ehepartner von Alice in doppelter Weise dem Hauptfeind der Nazis, dem sogenannten Finanzjudentum, verbunden war.
Aus der Ehe von David und Ida Selz, den Eltern des Bräutigams, waren mit Elsbeth / Elsa, Rudolf und Alfred drei Kinder hervorgegangen. Alfred, geboren am 19. Januar 1879 in München, war das jüngste von ihnen.

In einer ersten 1908 geschlossenen Ehe war Alfred Selz mit Olga Krämer, der Tochter eines nichtjüdischen Hofrats verheiratet gewesen. Aus dieser Beziehung stammte ein Sohn namens Kurt, geboren 1909. Wann die Ehe geschieden wurde, konnte nicht ermittelt werden. Der Altersunterschied zwischen Braut und Bräutigam betrug immerhin rund sechzehn Jahre als Alfred die zweite Ehe mit der 21-jährigen Alice Herz einging. Eugen Szkolny zeichnet in seinen Erinnerungen ein wenig schmeichelhaftes Bild von Alfred Selz:
“Alice was a very beautiful woman, substantially younger than Alfred. Fredi was a top manager of the Deutsche Bank or Vereinsbank in Munich. Today he would be described as a compulsive-obsessive character. In every free minute (like at 5 am in the morning) he used to check all the drawers in the house to check that everything was in order. The household was managed perfectly by Alice and her three servants. In the evening he used to turn off his bed-side light with a piece of silk, so as not to dirty his hands. When he went on vacation he had to take with him his own bed and mattress. He made sure that my father (who was his doctor) wore his doctor’s coat  when attending him. And after my father sat down on a chair, the seat was sterilized with alcohol.”[246]

Maximiliansplatz 19 in München heute
Aufnahme: Rufus46

In der Ehe wurden zwei Töchter geboren. Am 12. Januar 1919 kam zunächst Martha Leonore und im folgenden Jahr am 29. August 1920 Antonie Valeria, genannt Toni, zur Welt.[247] Nach der Hochzeit bis 1937 wohnte die Familie in München am Maximiliansplatz 19 in einem sehr repräsentativen Gebäude. Ab 1937 konnten sie dort nicht länger bleiben und bezogen daher dann eine Wohnung im Haus von Johanna Herz in der Leopoldstr. 52. Den beiden Töchtern gelang die Ausreise aus Deutschland. Zumindest von Martha ist bekannt, dass sie schon im Oktober 1937 in die USA emigrierte, wo zuletzt auch ihre Schwester viele Jahre nach dem Krieg ankam.[248]
Ihr Vater wurde, nachdem er schon seine Stellung verloren hatte, während des Novemberpogroms in Dachau inhaftiert.[249]

Alfred Selz im Häftlingsbuch von Dachau
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Am 8. Dezember entließ man ihn wieder, vermutlich mit der Auflage zu emigrieren. Denn er flüchtete dann alleine nach England, wann und unter welchen genauen Umständen das geschah, konnte nicht ermittelt werden. Er soll dort als Zuschneider in einer Rockfabrik gearbeitet haben und sich auch dort an die widrigen Lebensumstände problemlos angepasst haben. Die neurotischen Verhaltensweisen seien auch dort nicht mehr zurückgekehrt.[250]

Alice Selz war in München zurückgeblieben. Dass sie vielleicht nicht sofort mit ihrem Mann nach England konnte, ist noch nachzuvollziehen, wieso ihr das aber in der folgenden Zeit nicht gelang, ist auf den ersten Blick nicht zu verstehen, zumal die notwendigen finanziellen Mittel sicher vorhanden waren. Einem Brief ihres Ehemanns vom 24. September 1946 an die Familie Netter in New York ist zu entnehmen, dass ihre Ausreise geplant war, aber an der britischen Botschaft in München scheiterte. Er bedanke sich zunächst für die mitfühlenden Worte zum Verlust und schrieb dann weiter: „Der schwere Verlust trifft ja nicht mich allein, sondern alle Überlebenden der Familie und jeder von uns wird gleich tief von dem tragischen Ende der armen Alice erschüttert sein, deren Schicksalswende begann, als kurz vor Eintreffen des englischen Permits das Konsulat in München für Visaerteilung geschlossen wurde.. An der damals entstandenen Verzögerung sind Bekannte und Unbekannte beteiligt, aber leider wird keiner von ihnen für die Tragweite seiner Säumigkeit so zu büßen haben, wie die arme Alice.“[251]  Abgesehen davon scheint es noch ein weiteres Hindernis gegeben zu haben. Eugen Szkolny erwähnt ganz nebenbei in seinen Erinnerungen: „His wife Alice stayed behind in Germany, where she was cared for by Alfred’s first wife Olga, who tried to hide her in her country house at Kochel. Both were later killed by the Nazis.[252]
Offenbar war nach der Scheidung von Olga und Alfred Selz, die Beziehung zwischen den beiden doch recht eng geblieben, sodass sogar eine Art freundschaftliche Beziehung auch zwischen Olga und Alice entstanden war. Wenn Eugen Szkolny dann erwähnt, dass sie von ihr gepflegt werden musste, dann scheint sie damals ernstlich krank gewesen zu sein, was vielleicht ihre Ausreise zu diesem Zeitpunkt unmöglich machte.

Die geplante Auswanderung von Alice Selz scheiterte
HHStAW 519/3 297 (46)

Allerdings hat sie später Fluchtpläne wieder aufgenommen. In der Devisenakte ihrer Mutter ist ein Schreiben vom 13. Oktober 1941 erhalten geblieben, in dem diese über die Dresdner Bank bei der Behörde anfragen lässt, ob sie ihrer Tochter 1.000 RM für ihre geplante Auswanderung nach Kuba überweisen dürfe. Sie wolle dafür Pfandbriefe verkaufen. Der Antrag wurde am 24. Oktober positiv beschieden,[253] allerdings war da schon seit einer Woche das von Himmler angeordnete generelle Ausreiseverbot für Juden in Kraft, das dann wohl auch die Pläne von Alice zum Scheitern brachte. In der gleichen Woche starteten in Westdeutschland mit der Wagner-Bürckel-Aktion die ersten Massendeportationen, noch nicht in den Osten, sondern damals noch nach Frankreich. In jedem Fall war es geboten, ein Versteck zu finden. Ob die Angaben von Eugen Szkolny zutreffend sind und die beiden tatsächlich ein solches in Kochel fanden, ist ungewiss. In dem oben genannte Brief vom 13. Oktober ist ihre Adresse noch mit der Leopoldstraße angegeben, wenige Tage später, ab dem 18. Oktober, soll sie dann in der Schwanthaler Str. 43 gewohnt haben.[254] Das ist ihre letzte bekannte Adresse, bevor sie vier Wochen später von der Gestapo abgeholt wurde und mit dem ersten Transport aus München in den Osten deportiert wurde. Sie seien für einen Arbeitseinsatz im Osten vorgesehen, hatte man ihnen gesagt.

Alice Selz, geborene Herz
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Auch Alice Selz war vermutlich in den Tagen vor der Abfahrt noch in das sogenannte „Judenghetto Milbertshofen“ gebracht worden, eine Barackensiedlung, die als Sammel- und Kontrolllager für die etwa 1000 Jüdinnen und Juden fungierte, die am 20. November den Zug „Da 27“, der als „Gesellschaftssonderzug Da RSHA“ von der Reichsbahn nach München beordert worden war, um eigentlich von dort nach Riga zu fahren. Erst bei der Abfahrt wurde das tatsächliche Ziel Kaunas / Kowno zumindest dem Begleitkommando bekannt gegeben. Erreicht wurde die etwa 1300 km entfernte Stadt mit ihrem großen, durch Stacheldraht abgesperrten Ghetto drei bis fünf Tage später.[255] Man mag sich das Leid, das die Insassen des Zuges mit viel zu wenigen Sitzplätzen in der frühwinterlichen Kälte zu ertragen hatten, kaum vorstellen. Am Ziel angekommen wurden sie bei eisigen Temperaturen am Ghettozaun vorbei in das mehrere Kilometer entfernte Fort getrieben, wo sie mit denjenigen, die wenige Tage zuvor aus Berlin bzw. wenige Tage später aus Frankfurt dort angekommen waren, noch in kleine, kalte Zellen eingesperrt oder sogar gezwungen wurden, unter freiem Himmel zu nächtigen. Am 25. November 1941 jagte die SS  alle unter dem Vorwand, es sei Frühsport angesetzt, in die vorbereiteten Gräben der Festung des Fort IX, wo sie vom Einsatzkommando 3 der Einsatzgruppe A unter dem Kommando des SS-Standartenführers Karl Jäger erschossen wurden.[256]
Insgesamt wurden in diesen Novembertagen knapp 5000 Menschen erschossen. Es handelte sich um den ersten Massenmord an deutschen Juden. Von diesem Zeitpunkt an waren alle Hemmschwellen gefallen.

Elisabeth Helene Emmy Merzbacher, geborene Herz

Anders als ihre jüngere Schwester Alice konnte Elisabeth, die ebenfalls nach München geheiratet hatte, mit ihrer Familie dem Holocaust entkommen.

Stammbaum der Familie Merzbacher mit der Verbindung zur Familie Herz
GDB

Am 3. Februar 1910 hatte sie in ihrer Heimatstadt Wiesbaden Friedrich Otto Merzbacher geehelicht, der sogar weitläufig mit dem Ehemann ihrer Schwester verwandt war. Friedrich Otto Merzbacher war am 8. Mai 1874 in Nürnberg als Sohn von Josef und Helene Merzbacher, geborene Berlin, zur Welt gekommen.[257]

Gottfried Merzbacher
Gottfried Merzbacher

Die Familie stammte eigentlich aus Baiersdorf bei Erlangen, wo schon der Großvater von Josef Merzbacher, Isaac Merzbacher, seit Mitte des 18. Jahrhunderts ansässig war. Dem dort 1830 Verstorbenen hatte man damals einen wunderschönen, noch heute existierenden Grabstein gesetzt.[258] Die wohl berühmteste Persönlichkeit aus dieser Familie war der Forschungsreisende Gottfried Merzbacher, ein Bruder von Josef, der selbst wiederum das Gewerbe seines Vaters Markus Merzbacher übernommen hatte. Zusammen betrieben Vater und Sohn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Nürnberg eine „Rauhwarenhandlung“, heute eine Rauchwaren- bzw. Fellhandlung, in der dortigen Lammsgasse 14.[259] Zum Zeitpunkt der Eheschließung seines Sohnes hatte sich Josef Merzbacher allerdings bereits in München als Privatier zur Ruhe gesetzt. Die Firma war inzwischen auf Otto und seinen älteren, 1871 geborenen Bruder Ernst übertragen worden. Otto Merzbacher hatte nach seiner Schulzeit eine Lehre als Kürschner absolviert und danach im Ausland, in Paris, London und New York, weitere Qualifikationen erworben. Besonders die USA hatten es ihm angetan. 1925 führte er eine Gruppe von Fachkollegen auf einer Erkundungsreise dort an. Seine berufliche Kompetenz wird auch darin offenbar, dass er als vereidigter Sachverständiger bei gerichtlichen Auseinandersetzungen herangezogen wurde.
Sein Bruder Ernst, der selbst keine Kürschnerausbildung absolviert hatte, war für die geschäftlichen Angelegenheiten verantwortlich. Von ihm ist bekannt, dass er, aber vermutlich gilt das für die ganze Familie, seit September 1904 in München gemeldet war [260] Da Hans Peter schreibt, dass sein Onkel, der zeitlebens ledig blieb und bis zu seinem Tod zusammen mit der Familie seines Bruders in einem gemeinsamen Haushalt lebte, wird damals die gesamte Familie in die Landeshauptstadt gezogen sein. Nach Einschätzung von Hans Peter war das Geschäft des Vaters und Onkels das erste Haus am Platze, ein „Elite-Geschäft mit einer zum Teil elitären Kundschaft“. Im Unterschied zu seiner Frau, sei sein Vater – wie auch die Kundschaft –  recht eitel gewesen und habe „großen Gefallen daran gefunden, gut gekleidet zu sein“.[261]

In München blieben dann nach der Heirat auch Otto und Emmy Merzbacher. Über seine Eltern schrieb ihr Sohn Peter in seinen Erinnerungen:
„Meine Mutter galt in ihrer Jugend als eine Schönheit, für den heutigen Geschmack vielleicht etwas zu lieblich-träumerisch. Das Träumerische verschwand langsam, aber sie blieb lange eine sehr gut aussehende, mittelgroße Frau mit großen blauen Augen. Sie hatte die übliche bürgerliche Lyzeums-Bildung und sprach ein brauchbares Englisch und Französisch. Haushalts- und Kochkurse vervollständigten ihre Ausbildung. Ihr von Natur ausgeglichener Charakter wurde während ihres Lebens auf harte Proben gestellt. Sie fand es nicht leicht, Gefühlen sichtbaren Ausdruck zu verleihen, was aber keinen Mangel an Wärme bedeutete. Nicht ungern mäßig-modisch gekleidet zu sein, war sie darauf bedacht, nichts Auffälliges zu tragen. Sie hatte nie einen teuren Pelzmantel zu eigen, obwohl sie ja sozusagen an der Quelle lebte. In den anfänglich wirtschaftlich guten Jahren führte sie einen verhältnismäßig großzügigen, von zwei Mädchen unterstützten, Haushalt, in dem manchmal auch größere, anspruchsvolle Gesellschaften stattfanden. Eine gelegentliche Reise in die Schweiz mag zu diesem Stil gehört haben.
Wie viele Frauen ihrer Generation, begleiteten später kriegs- und krisenverursachte materielle Probleme ihr Leben und sie lernte mit Erfolg, sich anzupassen. Dazu kamen Schulschwierigkeiten ihrer beiden Söhne, an deren Überwindung sie mit aushelfender Hingabe teilnahm. In meinem Fall hieß das, mit mir Lateinisch zu lernen und zu peinlichen Konferenzen mit Lehrern zu gehen. Aber damit hatte es sich nicht. (…) Jedoch, was für Schwierigkeiten auch immer bestanden haben mögen, sie überschatteten selten die vielen, sehr vergnügten Stunden, die wir, vor allem auf Ferien, zusammen verlebten. (…) Sie war beliebt und auch meine Freunde und Freundinnen hatten sie gerne.
Auch mein Vater war eine sehr gut aussehende Erscheinung, aber sonst in vieler Hinsicht das Gegenteil meiner Mutter. Er war ein extrovertierter Mensch, der nie im Stande war, aus seinen Gefühlen einen Hehl zu machen, was vorteilhafte und weniger vorteilhafte Folgen hatte.“
[262]

In der bayrischen Landeshauptstadt wurden auch die beiden bereits erwähnten Söhne von Emmy und Otto Merzbacher geboren, zunächst am 4. Dezember 1910 Hans Peter, der später die Erinnerungen an seine Familie und sein eigenes Schicksal in einem Memoire festhielt, und am 16. Oktober 1913 Wilhelm Erhard, genannt Willy.[263]
Als im Sommer des folgenden Jahres der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde auch Otto Merzbacher eingezogen, allerdings diente er als über 40-Jähriger nur noch im Landsturm, gegen Ende des Krieges setzte man die Truppe dann aber doch noch an der belgischen Front ein. Deprimiert, aber körperlich unbeschadet, kehrte er bei Kriegsende nach München zurück. Sein Vater Josef Merzbacher verstarb bald nach dem Ende des verlorenen Waffengangs im Sommer 1919 in München.[264]
Den Erwartungen der Eltern an ihre Kinder, ihren eigenen Aufstieg in das bürgerliche Milieu fortzusetzen, zumindest das Erreichte zu bewahren, eine Erwartung, die besonders in jüdischen Familien vorherrschte, wurden beide Söhne nicht gerecht. Keiner von ihnen schaffte das Abitur. Das Ende der Schulzeit erlebte Hans Peter als Akt der Befreiung. Die Eltern, in der Hoffnung, wenigstens den Älteren auf die Übernahme des Geschäfts vorzubereiten zu können, schickten ihn zunächst noch auf eine kaufmännische Privatschule, anschließend noch in die Schweiz und nach England, um die Sprachen zu erlernen, die der Vater für den Kontakt mit den Kunden und Geschäftspartnern für unerlässlich hielt. 1929 bis 1931 ging Hans Peter dann in Berlin in die Lehre – und zwar bei Ferdinand Herz, dem Bruder seines Großvaters Adolf Herz. Nicht die Lehre, sondern das Berlin der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre wurde für ihn prägend. Da war zum einen das kulturelle Leben, in das er eintauchte. Er sah dort die Dreigroschenoper am Schiffbauer Damm, wurde Statist in der Staatsoper, war fasziniert von den verschiedenen Kinos der Stadt. Aber er wurde auch mit der dunklen Seite der Großstadt konfrontiert: die Morphiumsüchtigen, die durch die Straßen wankten, die Prostitution und die Armut in den vielen Arbeitervierteln. München erschien dagegen geradezu als provinziell, als heile Welt. Und er erlebte auch die fast alltäglichen Straßenkämpfe, die die verschiedenen politischen Gruppierungen untereinander ausfochten. In der Folge der beginnenden Weltwirtschaftskrise scheiterte auch das Unternehmen des Großonkels, und Hans Peter kehrte 1931, allerdings mit einer abgeschlossenen Lehre, in seine bayrische Heimatstadt zurück. Die folgenden fünf Jahre arbeitete er im elterlichen Geschäft, das die Kriegswirren und auch die folgenden Krisen irgendwie überstanden hatte. Die Firma existierte auch noch 1933, war inzwischen zunächst in die Theatinerstr. 42, dann noch auf den Ritter-von-Epp-Platz verlegt worden.

Die Familie von Otto und Emmy Merzbacher wohnte schon seit vielen Jahren in einem Haus in der Elisabethstr. 38, das ihr aber nicht selbst gehörte. Dort hatte man trotz allem bisher ein eher unbeschwertes Leben geführt, hatte die Menetekel des braunen Terrors geflissentlich missachtet. Das Jüdische spielte für sie so wenig eine Rolle, wie es in den Jahren zuvor von Bedeutung gewesen war. Auch Hans Peter bestätigte, dass weder von der Familie väterlicher-, noch von der mütterlicherseits es religiöse oder kulturelle Impulse gegeben hätte, durch die ihm einen Bezug zum Judentum eröffnet worden wäre.

Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass man die drohende Gefahr für Juden damals nicht erkannte. Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933 war diese aber nicht länger zu leugnen. Von nun an ging es auch mit dem Geschäft bergab. Die Wiesbadener Großmutter stellte noch einen Kredit – eigentlich der Erbanspruch von Emmy – zur Verfügung, um – so hoffte man – die Phase der NS-Zeit finanziell überbrücken zu können.

Adressbuch München von 1938

Bald hatte die Familie aber auch ihre bisherige Wohnung aufgeben müssen und war seit 1935 mit Ottos Bruder Ernst und dem Geschäft ebenfalls in den Gebäudekomplex von Elisabeths Mutter in der Leopoldstr. 52a gemeldet.[265]

Vermutlich im Zusammenhang mit diesem Umzug hatte Willy Merzbacher Deutschland verlassen. Sein Bruder schrieb in seinem Memoire, dass dieser „bereits 1935 die Konsequenzen gezogen und das Weite gesucht“ habe.[266] Das Verhältnis von Willy zu seinem Bruder und noch mehr zu seinen Eltern beschrieb Hans Peter von Beginn an als sehr kompliziert. Er hatte ebenfalls kein Interesse an der elterlichen Firma. Seine Pläne gingen in eine ganz andere Richtung. Noch 1933 hatte er sich als Jude ohne jede Aussicht bei der Reichswehr beworben. Auf einem unbekannten Weg war ihm dann die Auswanderung nach Südafrika gelungen, wo er zunächst unter härtesten Bedingungen seinen Lebensunterhalt in den dortigen Goldminen verdiente und zeitweise auch eine Tankstelle mit einer Autowerkstatt betrieb. Er gründete in Südafrika eine Familie, aus der die beiden Kinder Denise und Peter hervorgingen. Ihnen hatte er – so sein Bruder – immer verschwiegen, dass sie durch ihren Vater auch jüdische Wurzeln haben. Bevor Willy Merzbacher 1994 verstarb, hatten die Brüder sich nach dem Krieg noch viermal getroffen, zweimal in Afrika und zweimal in Amerika.[267]

Wegen einiger lockerer Kontakte nach Brasilien entschloss sich Hans Peter zur Flucht nach Südamerika. Wenn man genügend Geld hatte, um eine Schiffspassage I. Klasse mit Rückreise zu buchen, konnte man für dieses Land damals noch ein Touristenvisum erhalten. Über das nötige Geld verfügten die Eltern nicht mehr, weshalb wieder einmal die Großmutter in Wiesbaden einsprang. Der Enkel erhielt zudem eine wertvolle goldene Tabakdose aus dem Juweliergeschäft, die im Ausland als Finanzreserve genutzt werden konnte – und tatsächlich gelang es ihm, diesen Schatz über alle Grenzen nach Brasilien zu bringen.

Dort angekommen arbeitete er sowohl in größeren Städten, etwa Sao Paulo, aber die meiste Zeit im Landesinneren unter den „Eingeborenen“ und in einfachsten Verhältnissen – eine Bratpfanne gehörte zu seinen größten Schätzen – auf Plantagen oder war an der Rodung des Urwalds beteiligt. Nach seinen eigenen Aussagen hatte er die Flucht auch als großes Abenteuer erlebt und fühlte sich trotz aller Entbehrungen im Laufe der fünf Jahre, die er in Brasilien zubrachte, letztlich doch recht wohl. Mit der Tabakdose konnte er sogar ein kleines Stück Land erwerben, wodurch im auch das Aufenthaltsrecht gesichert wurde.[268]

Kennkarte von Emmy Merzbacher
https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/getimage.aspx?VEID=863687&DEID=10&SQNZNR=1&SIZE=100

Wahrscheinlich wäre Hans Peter Merzbacher in Brasilien geblieben, hätte ihn 1941 nicht ein Telegramm von Verwandten aus New York erreicht, in dem er dringend aufgefordert wurde, seinen Eltern bei der Flucht zu helfen. Die Eltern und auch Ernst Merzbacher hatten erleben müssen, wie sich die Situation rapide verschlechterte. Nach der Reichspogromnacht waren beide Brüder verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau überführt worden, Ernst unter der Häftlingsnummer 20297, Otto unter 20066.[269] Am 1. Dezember wurden beide dann wieder entlassen, aber vermutlich mussten sie bald danach die Firma aufgeben. Bis in den Herbst 1941 blieben sie vermutlich zusammen in München wohnen.

Emmy Merzbacher
Liste des Arbeitsamtes München mit dem Namen von Emmy Merzbacher
https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/70121609?s=Emmy%20Merzbacher&t=551510&p=0

Der Name von Emmy Merzbacher taucht noch einmal auf einer nach dem Krieg von den Amerikanern erstellten Liste auf, die wiederum den Inhalt einer vom Arbeitsamt München erstellten Kartei zusammenfasst. Demnach war ihre Karteikarte am 21. Juli 1941 erstellt worden.[270] Der Zweck ist nicht angegeben, aber sie könnte im Zusammenhang mit einem geplanten Zwangsarbeitseinsatz entstanden sein.

Zu diesem Zeitpunkt etwa erreichte der Hilferuf den Sohn in Brasilien, der damals in Sao Paulo wohnte. Dieser verkaufte daraufhin das ihm gehörende Stück Land und transferierte das Geld in die USA, wo damit dann die Überfahrt der Eltern nach Kuba finanziert wurde. Am 31. Oktober 1941 konnten sie in Barcelona, das sie erst kurz zuvor über Frankreich erreicht hatten, das Schiff ‚Isla de Teneriffa’ besteigen und nach Kuba auslaufen. Dort waren sie auf die Unterstützung jüdischer Hilfsorganisationen angewiesen. Die Mutter konnte durch kleine Näharbeiten ein wenig zum Lebensunterhalt beitragen. Erst nach dem Ende des Krieges, im Juni 1946 durften sie von Kuba in die Vereinigten Staaten einreisen.

Sterbeeintrag von Otto Merzbacher
https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1607/images/31394_204042-02725?pId=158595

Mit 70 Jahren fand der Vater noch eine Anstellung in der Pelzabteilung eines Modehauses. Es waren noch wenige und insgesamt eher beschwerliche Tage, die Otto und Emmy Merzbacher in den USA vergönnt waren. Er verstarb am 2. August 1950, sie ein halbes Jahr später am 18. Januar 1951 im Staat New York.[271]

Ernst Merzbacher war in München geblieben. Ob er die Reise nicht mehr antreten wollte oder konnte, ist nicht bekannt. Er wechselte aber noch einmal die Wohnung. In der Martiusstr. 5 wohnte er vom 19. Oktober 1941 bei einer Paula Luxenburger. Am 30. Januar 1942 wurde er erneut verhaftet und ebenfalls in das sogenannte „Judenlager“ Milbertshofen in München überstellt, von dem aus seine Schwägerin Alice Selz wenige Wochen zuvor in den Tod geschickt worden war. Mehr als 1000 Münchner Juden wurden von dort aus auch in die verschiedenen lokalen Betriebe zur Zwangsarbeit geschickt. Bei der Räumung des Lagers, die schon im November 1941 begann, wurden die Gefangenen in mehreren Transporten „in den Osten“ deportiert.[272] Anders als seine Schwägerin, brachte man Ernst Merzbacher nicht nach Litauen, sondern er wurde am 2. Juli 1942 mit dem Transport II/12 nach Theresienstadt gebracht. Aber auch dieses vermeintlich bessere Ziel rettete ihn nicht. Am 27. Mai 1943 fiel er den dort herrschenden inhumanen Lebensbedingungen zum Opfer.[273]

ERnst Merzbacher
Gefangenenbuch aus Dachau mit einem Eintrag für Ernst Merzbacher
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Sein Neffe Hans Peter war im September 1948 aus Brasilien ebenfalls in die USA ausgereist, nachdem die Mutter ihm übermittelt hatte, dass es dem Vater gesundheitlich immer schlechter gehen und sein Ableben bald bevorstehen würde. Aber die Jahre der Trennung und der völlig unterschiedlichen Erfahrungen in dieser Zeit hatten eine Distanz entstehen lassen, die in der Phase bis zum Tod der Eltern nicht mehr aufzuheben war. Er selbst fand Arbeit als Übersetzer und Angestellter in verschiedenen Exportunternehmen im Raum New York.

Cover eines Buches von Ilse Blumenthal-Weiss

Dort traf er auch auf seine spätere Frau Miriam Blumenthal, ebenfalls eine deutsche Emigrantin. Sie war am 7. März 1927 in Berlin als Tochter des Zahnarztes Herbert Blumenthal und seiner Frau Ilse, geborene Weiss, zur Welt gekommen. Die Mutter, eigentlich Orthopädin, war eine bedeutende Lyrikerin, die in einem regen Austausch, persönlich wie auch brieflich, mit so bedeutenden Autoren wie Hermann Hesse oder Rainer Maria Rilke stand. Zu ihrem Freundeskreis gehörten nach dem Ende des Nationalsozialismus auch Lyriker, die, wie sie selbst, versuchten, das Grauen der vergangenen Jahre in Worte zu fassen, etwa Paul Celan oder Nelly Sachs.

Familie Merzbacher am Hochzeitstag von Hans Peter und Miriam
Von links: Hans-Peter, seine Mutter Emmy Merzbacher, geb. Herz, Miriam Blumenthal, Friedrich Otto Merzbacher
https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=FL4979941

Ilse Blumenthal und ihre Tochter Miriam hatten eine schreckliche, aber zugleich auch glückliche Lebensgeschichte hinter sich und mit nach Amerika gebracht. Die Flucht der Familie 1937 endete zunächst in den Niederlanden, wo sie 1943 in Westerbork interniert und dann von dort nach Theresienstadt deportiert wurde. Während ihr Bruder Peter David schon am 23. Oktober 1941 in Mauthausen und ihr Vater am 21. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet wurden, überlebte sie mit ihrer Mutter und der Großmutter Hedwig Weiss das Ghetto. Miriam und ihre Mutter gingen nach der Befreiung von Theresienstadt zunächst wieder zurück nach Amsterdam, von wo aus beide 1947 in die USA emigrierten. Wann Miriam und Hans Peter Merzbacher dort heirateten, ist nicht bekannt, aber vermutlich war es der 18. Februar 1949, denn von diesem Tag haben sie neben den Bildern ihrer Trauung auch die Tagesausgabe der New York Times aufgehoben. In der Ehe wurden die beiden Kinder Monica und Thomas geboren.

Miriam Merzbacher
Miriam Merzbacher
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Hans Peter Merzbacher verstarb in Connecticut am 7. Juli 2006, seine Frau Miriam, die noch viele Jahre als Bibliothekarin im Leo Baek Institut arbeitete, erst vor kurzem, am 12. Mai 2024, in Orleans auf Cape Cod.[274] Dort arbeitete seit vielen Jahren auch ihre Cousine Gaby Glückselig. Wer von den beiden die andere zu dieser ehrenamtlichen Tätigkeit animierte, ist nicht bekannt. Aber sie trafen sich auch wöchentlich beim New Yorker Mittwochsstammtisch deutscher Emigranten, der seit vielen Jahren bis zu ihrem Tod ebenfalls von Gaby Glückselig organisiert wurde.

 

 

Die Familie Netter in den USA

Bruno Netter
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Auch Gabriele Netter, die ältere Tochter von Bruno und Anna Netter, hatte nach ihrer gelungenen Flucht und nachdem sie in den USA Fuß gefasst hatte, viele Jahre nach dem Ende ihres Berufslebens zusammen mit ihrer Cousine im Leo-Baeck-Institut gearbeitet. Beide haben so dazu beigetragen, dass das Geschehene nicht vergessen wird, sondern in den Archiven bewahrt bleibt, damit auch die nachfolgenden Generationen der Opfer und der Täter sich dieses einzigartigen Verbrechens erinnern können.

Zunächst war auch der Neuanfang für die Familie Netter in den USA eher beschwerlich. Bis sie Gelder aus Entschädigungs- bzw. Rückerstattungsansprüchen erreichten, vergingen Jahre. Nachweise über Bruno Netters Einkommen in den USA liegen erst von 1946 an vor und schwanken erheblich.[275] Die monatlichen Netto-Einkünfte lagen aber im Allgemeinen zwischen 100 und 200 Dollar, wobei es sich dabei nicht nur um Arbeitseinkommen handelte. Als Bruno Netter am 2. Juni 1951 etwa zehn Jahre nach seiner Ankunft in Amerika verstarb,[276] war er ein relativ armer Mann, der allerdings hohe finanzielle Ansprüche gegen den deutschen Staat erheben konnte, selbst aber keinen Nutzen mehr davon hatte.

Anna Netter
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Anna Netter war zunächst als Hilfsverkäuferin tätig, später erlernte sie noch den Beruf als Krankenschwester. Allein das bedeutete für eine Frau, von der ihre Tochter Gaby sagte, dass sie es in Deutschland früher nie nötig gehabt hatte, überhaupt zu arbeiten, eine völlige Umstellung. Aber auch sie musste sich den neuen Verhältnissen anpassen und hat dies auch getan.

Arbeitsskizzen von Gaby
https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_15/page/n554/mode/1up?view=theaterGlückselig

Gaby erzählte in ihrem biographischen Film, dass sie nach ihrer Ankunft in New York selbst keine Probleme gehabt habe, Arbeit zu finden. Von Anfang an sei sie mit ihrem zeichnerischen Talent, trotz des fehlenden Ausbildungsabschlusses, in der ihr vertrauten Branche als Juwelenzeichner sehr gefragt gewesen. Seit 1939 arbeitete sie bei einer Firma, die sich auf Brautschmuck spezialisiert hatte, wo sie ihr jährliches Einkommen von 890 Dollar im ersten Jahr auf 3.700 Dollar im Jahr 1957 steigern konnte.[277] Damit war zwar kein Lebensstandard möglich, wie er ihr in Deutschland ohne den Raubzug der Nazis zugefallen wäre, aber sie habe darunter nicht so sehr gelitten, wie andere. Ihre Forderung nach einer angemessenen Entschädigung für die Behinderung in ihrem beruflichen Fortkommen wurde wie üblich von den Behörden erst einmal zurückgewiesen. Es bedurfte erst eines Urteils des Oberlandesgerichts Frankfurt, das in dieser Frage im Mai 1962 zu ihren Gunsten und gegen das Land Hessen entschied.

Fritz Glückselig
Fritz Glückselig als Jugendlicher in Wien
https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_38/page/n152/mode/1up?view=theater

Kraft für das Leben im Exil hat sie aber aus einer anderen Quelle, nämlich aus ihrer Ehe mit Friedrich Glückselig, genannt Fritz, geschöpft. In einem längeren Essay hat Gaby Glückselig diesen außergewöhnlichen Mann und ihre Beziehung zu ihm im Kontext seines literarischen Schaffens beschrieben.[278] Die beiden hatten sich erst in New York kennengelernt, wohin auch er mit seinem Bruder Leo nach ihrer Inhaftierung 1938 in Wien noch im Dezember des gleichen Jahres hatte fliehen können. Zuvor, am 9. November 1938, waren sie in Wien verhaftet und in den Folterkeller Roßauer Lände verschleppt worden. Auf brutalste Weise hatte die SA sie und viele andere dort misshandelt, 27 Gefangene waren schon damals umgebracht worden. Nach einigen Tagen durften sie mit blutigen Gesichtern und diversen Knochenbrüchen wieder nach Hause.

Gaby und Fritz Glückselig
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In der Hauptstadt der früheren ‚K. und K.-Monarchie’ war Fritz am 18. Dezember 1909 als Sohn eines dort ansässigen Kunsthändlers geboren worden. Zwar von Jugend an sehr an Poesie und Literatur interessiert – kein anderer als Hugo von Hofmannsthal soll ihn zum Schreiben ermuntert haben -, ließ er sich als Brotberuf auch zum Kunsthändler ausbilden, war sogar ein hochgeschätzter Experte im Besonderen für Ostasiatische Kunst. Aber eigentlich hasste er es, mit Kunst Geschäfte zu machen. Später in New York, war er froh, wenn keine Käufer in seinen Laden kamen und er in Ruhe an seinen Gedichten arbeiten konnte. Das Antiquitätengeschäft hatte er mit seinem Vater als ‚Glückselig & Son’ gegründet, nachdem auch die Eltern 1939 in die USA ausreisen durften, wohin der Vater schon früher viele Geschäftsreisen unternommen hatte, die sich oft über mehrere Monate hinzogen.

Gaby Netter Glückselig
Gaby Netter
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Als die Eltern jetzt in die USA kamen, waren Fritz und Gaby schon ein Paar, aber noch nicht verheiratet. Gaby schrieb über diese ersten Jahre in New York, dass sie, die gerade um die zwanzig Jahre alt war, die Zeit, in der sich viele junge Emigranten und Emigrantinnen trafen, gerade nach der sehr eingeschränkten Lebenssituation in Deutschland, sehr genossen habe – dies, obwohl ihr Vater damals gerade erst aus dem KZ entlassen worden war. Man war frei, verliebt und wollte auch nicht alles glauben, was im „Aufbau“ – man nannte die Zeitschrift deshalb auch „Aufbausch“ – über die Zustände in Deutschland zu lesen war. Da Gaby eigenes Geld verdiente, auch über ein Zimmer mit Kochgelegenheit verfügte, das sie allerdings mit einem anderen Mädchen teilte, bedeutete das Exil für sie – anders als für viele alte dort gestrandete Flüchtlinge – einen wirklichen Neuanfang.
Kennen gelernt hatte sie Fritz auf einer Party bei ihrer Chefin, bei der die beiden Brüder, Bekannte ihres Sohnes, auftauchten. Auf den ersten Blick war er mit seiner dicken Hornbrille vielleicht kein besonders attraktiver Mann. Zudem litt er von Geburt an einem Tremor, einem Zittern in den Händen, der ihn auch vor dem Einsatz im Ersten Weltkrieg bewahrt hatte. Aber mit seinem unglaublichen Wissen und seiner ruhigen Art vermochte er, jeden in seiner Umgebung zu faszinieren.

Gaby und Fritz Glückselig
Fritz und Gaby Glückselig, Zeichnung von Leo Glückselig zu ihrer Silberhochzeit
https://ia600708.us.archive.org/4/items/gabyglueckselig00unse_2/gabyglueckselig00unse_2.pdf

Im Januar 1942 heirateten die beiden.[279] Zusammen bewohnten sie in den folgenden zwanzig Jahren eine kleine, sehr einfache, aber gemütliche Wohnung mit Blick auf einen der New Yorker Parks. Aber gedichtet hat Fritz, der früher in Wien unter dem Pseudonym Friedrich Bergammer seine Lyrik veröffentlicht hatte, kaum zu Hause, sondern entweder in dem Antiquitätenladen, in dem er immer seltener von Kunden gestört wurde, oder – ganz in der Wiener Boheme-Tradition – in Kaffeehäusern oder Restaurants. Anders als seine Frau fühlte er sich auch nie wirklich als Amerikaner, sondern immer als Wiener und als es nach dem Ende des Krieges wieder möglich wurde, nach Europa zu reisen, war der Besuch in der alten Heimat sein größter Wunsch, auch deshalb, weil er dort seine alten Freunde aus seiner frühen literarischen Zeit treffen konnte, die wie durch ein Wunder, auch die Juden, fast alle überlebt hatten. Fritz knüpfte auch wieder Kontakte zu Verlagen, die bereit waren, seine Gedichte in Europa zu veröffentlichen.

 

Oskar Maria Graf, der Gründer des New Yorker Emigrantenstammtischs, mit Bertholt Brecht
Münchner Stadtbibliothek/Monacensia

Aufgrund der vielen Bekanntschaften mit emigrierten Literaten in New York, ergab sich auch ein Kontakt zu dem berühmten, von Oskar Maria Graf schon während des Krieges gegründeten Stammtisch. Wer kennt nicht das berühmte Foto, das den hünenhaften Graf mit einem Maß Bier neben dem geradezu zierlichen Bertholt Brecht an diesem Stammtisch zeigt? Jeden Mittwoch traf sich die Runde in immer wieder neuer Zusammensetzung. Man diskutierte politische Probleme und Neuigkeiten genauso wie auch literarische Veröffentlichungen oder sonstige kulturelle Ereignisse. Seit den frühen 50er Jahren gehörten auch Fritz Glückselig und sein Bruder zu diesem illustren Kreis von Leuten, der bald zu einer festen Institution für unzählige deutschsprachige Exilanten wurde. Dass man normalerweise auch Deutsch sprach, gehörte genauso zu den festen Regeln, wie das an die Heimat erinnernde kleine Speiseangebot, das die Gäste immer selbst mitbrachten, etwa den berühmten Wiener Palatschinken.
1980 wurde Fritz Glückselig mit dem Theodor Körner Preis ausgezeichnet, eine Ehrung seiner Heimatstadt, über die er sich sehr gefreut haben muss. Aber seit diesem Zeitpunkt baute er körperlich ab. Nach einem erneuten Schlaganfall verstarb er am 9. Oktober 1981 in einem New Yorker Krankenhaus. Beigesetzt wurde er auf dem Ferncliff Cemetery im Grab, in dem auch seine Eltern die letzte Ruhe gefunden hatten.

Leo Glückselig
Fritz (links) und Leo Glückselig, kurz vor dem Tod von Fritz
archives.cjh.org/repositories/5/resources/16196

Sein Bruder Leo, der in New York eine Karriere als Karikaturist eine Karriere gemacht hatte, der seine zeitkritischen Zeichnungen wurde in den Zeitungen und Magazinen wie dem ‚New Yorker’, der ‚New York Times’ oder dem ‚Time Live Magazine’ veröffentlicht wurden, starb am 14. Juni 2003. Bis zuletzt gehörte er mit seinem Wortwitz, seiner Wienerischen Art zu den unterhaltsamsten und geistvollsten Gästen des Stammtischs.[280]

Auch ohne ihren Ehemann war Gaby Glückselig weiterhin die Gastgeberin der Mittwochsgesellschaft geblieben. Ursprünglich hatte sich die Runde in einem Restaurant getroffen, als das nicht mehr möglich war, hatten Glückseligs angeboten, die Treffen bei ihnen zu Hause fortzuführen. Für die meisten regelmäßigen Besucher waren die Zusammenkünfte eine Art Familienersatz geworden, auf die man nicht verzichten wollte. Mehr als 27 Jahre traf man sich fortan in der kleinen Wohnung an der Upper East Side und selbst als Gaby Glückselig schon uralt war, richtete sie diese wöchentlichen Treffen aus, die in all den Jahren so gut wie nie ausfallen mussten.[281]
Daneben kam sie aber auch immer, später sogar fast jährlich wieder in ihre Geburtsstadt Wiesbaden zurück, wo sie in enger Verbindung mit den Gründern des Aktiven Museums Spiegelgasse stand. Frau Lottmann-Kaeseler, eine der Initiatoren des Museums, wurde ihr eine enge Freundin, mit der sie zusammen Wiesbadener Schulen besuchte und den Schülerinnen und Schülern als Zeitzeugin immer wieder über ihr Schicksal und das ihrer Familie sprach. Für dieses Engagement bis ins hohe Alter wurde ihr am 30. Juni 2004 die Bürgermedaille der Landeshauptstadt Wiesbaden in Gold verliehen.[282] (93) Im Jahr 2014 konnte sie in New York ihren 100-sten Geburtstag feiern. Glückwünsche aus der ganzen Welt erreichten sie, darunter auch offizielle Schreiben des Wiesbadener Oberbürgermeisters und des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Wichtiger werden ihr aber die Grüße der vielen Freunde gewesen sein. Das Leo-Baeck-Institut, in dem sie, seit dem dem Ende ihres Berufslebens drei Tagen in der Woche arbeitete, arrangierte eine große Geburtstagsparty zu ihren Ehren, auf der sie vielen Lebensbegleiter und Begleiterinnen noch einmal traf.[283] Wenige Tage vor ihrem nächsten 101sten Geburtstag verstarb sie am späten Abend des 22. April 2014, einem Mittwoch, kurz nachdem sie die Gäste ihres letzten Stammtischs verabschiedet hatte.[284]

 

Lasers Rückkehr nach Wiesbaden

Bescheinigung über die Rückkehr der Familie Laser nach Wiesbaden
HHStAW 518 15085 (25)

Obwohl Gaby Glückselig Wiesbaden oft besuchte, dort wieder leben, wollte sie nicht mehr. Es war ihr Cousin Dr. Rudolf Laser, der nach dem Krieg mit seiner Familie aus dem indischen Exil wieder nach in die frühere Heimatstadt zurückkehrte. Ihr Weg nach Hause führte sie von dem britischen Internierungslager Satara in Indien zunächst nach England.[285]
Völlig mittellos kam die Familie

it den vier Kindern im Alter von einem bis zehn Jahren in Wiesbaden an und wurde erst einmal im Zentralhotel in der Bahnhofstr. 65 untergebracht. Die Betreuungsstelle stellte ihr aber umgehend eine Bescheinigung aus, dass ihr bevorzugt eine Wohnung zugeteilt werden solle.[286] Im Dambachtal 19 konnte eine solche für sie noch im Februar gefunden werden und am 10. April 1947 meldete sie sich mit dieser Adresse wieder an ihrem früheren Wohnsitz an.

Rudolf Laser hatte beabsichtigt, auch wieder eine Arztpraxis in Wiesbaden zu eröffnen. Diesen Plan konnte er nicht mehr realisieren, weil er sich von der Lungentuberkulose, die er vom Lagerleben in Indien zurückbehalten hatte, nicht mehr erholte. Auch die Lungen von zwei seiner Kinder, Thomas und Ernst, waren so sehr geschädigt, dass sie eines Kuraufenthaltes bedurften, um wieder gesund zu werden.
Am 17. März 1948, also knapp ein Jahr nach seiner Rückkehr nach Deutschland, verstarb Rudolf Laser in einem Heidelberger Krankenhaus an den Folgen der Internierung,[287] sodass nun die Witwe mit den vier unmündigen Kindern weitgehend auf sich selbst gestellt war. Für jede Kleinigkeit musste sie Anträge bei der Betreuungsstelle einreichen, etwa für einen kleinen Petroleumkocher, damit sie den Kindern etwas zum Essen kochen konnte, aber auch für Kleidung, besonders Winterkleidung für die Kinder, für Geschirr, Hausrat und einfache Möbel.[288] Als sie in Indien interniert wurden, waren sie nach Angaben von Marga Laser gezwungen, innerhalb von 24 Stunden alles zu verkaufen oder zurückzulassen.[289]

Es muss für die zurückgekehrte Familie eine absolut entwürdigende Situation gewesen sein, um alles, um Besen, Vorhänge, Stühle usw. betteln zu müssen. Zwar stand die Betreuungsstelle hinter ihr, aber die Ämter, die die jeweiligen Gelder freigeben mussten, nicht unbedingt. Vermutlich saß da noch der eine oder andere Beamte, der wenige Jahre zuvor die Enteignung der Geflohenen und Vertriebenen bürokratisch begleitet hatte.
Zwar erhielt sie auch eine Hinterbliebenenrente von 450 DM für sich und die Kinder, aber größere Anschaffungen waren davon nicht zu bestreiten. Zudem wurde diese im Mai 1950 um 100 DM gekürzt, weil die „bisherige Rente im Vergleich zu den Einkommen der übrigen Bevölkerung und den Renten der übrigen Verfolgten nicht gerechtfertigt wäre“.[290] Auch wies man darauf hin, dass der Haushalt nur noch aus vier Personen bestehen würde, weil die älteste Tochter inzwischen, nachdem sie bis zum November 1948 eine Wiesbadener Schule besucht hatte, wieder zurück nach Indien gegangen sei. Die 10-jährige Gabriele wollte zurückgehen, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschte und sie sich in dem für sie fremden Land unwohl fühlte.[291] Allein aus Kostengründen hatte die Mutter ihrem Wunsch zugestimmt. Für vier Jahre lebte Gabriele daher wieder in Indien, und zwar bei ihrer Tante Eva Amson. Auch Marga Laser teilte der Entschädigungsbehörde im März 1950 mit, dass auch sie plane, nach Beendigung der Entschädigungsverfahren wieder dorthin zurückzukehren.[292]
Möglicherweise wurde diese Überlegung aber dadurch hinfällig, dass sie noch im Frühjahr 1950 nach dem Rückerstattungsverfahren in die ehemalige Wohnung von Johanna Herz im Hainerweg 3 einziehen konnte.[293]
Bis die ersten Entschädigungszahlungen ausgezahlt wurden, es handelte sich um insgesamt 9.500 DM für die Erstattung der Sonderabgaben wie Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe u. a., die sie sich mit ihrer Schwägerin Eva Amson teilen musste, waren fast zehn Jahre vergangen. Die bisherigen Leistungen wurden selbstverständlich davon abgezogen, sodass die Witwe von Rudolf Laser leer ausging.[294]

Margarete Laser, geborene Kutschenreuter, war inzwischen in Wiesbaden eine neue Ehe mit dem technischen Angestellten Josef Maria Michael Widmayer eingegangen, der der katholischen Kirche angehörte. Die Ehe war am 29. September 1954 in Wiesbaden geschlossen worden.[295] Zwei Jahre später – geradezu unfassbar! – erhielt sie im November eine „Soforthilfe“ für Rückwanderer von 6.000 DM. –fast zehn Jahre nach ihrer Rückkehr![296] Im Januar des folgenden Jahres ging ein weiterer Betrag von 16.000 RM für den Schaden im beruflichen Fortkommen auf dem Konto der Erbengemeinschaft ein, die Entschädigung für einen sogenannter ‚Good Will’–Schaden für den Verlust der Praxis ihres verstorbenen Mannes wurde aber erst nach einer weiteren Auseinandersetzung vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt in angemessener Höhe anerkannt.[297] 1963 wurden dann auch die Vermögensschäden, entstanden durch die Verschleuderung oder den Raub des Mobiliars aus der Wiesbadener Wohnung, der Praxis und anderer Wertgegenstände erstattet.[298]

Da Marga in Wiesbaden wohnte, hatte sie sich mit Zustimmung der noch lebenden Kinder und deren Ehepartnern sowie den erbberechtigten Kindern auch um die Entschädigungen gekümmert, die den Nachkommen von Johanna Herz, der Großmutter ihres verstorbenen Ehemanns, zustanden. Alle verzichteten in jeweiligen Schreiben auf ihre Anteile und traten diese 1956 an die damals in New York lebende Anna Netter ab.[299] Die Gründe und Motive, die sie zu diesem generösen Schritt bewogen hatten, sind in den Entschädigungsunterlagen nicht genannt.
Das Haus im Hainerweg 3 wurde am 2. September 1954 für 46.000 DM verkauft, wobei auch hier der Makler Glücklich involviert war, zumindest erhielt er knapp 2.000 DM für seine Bemühungen.[300] Hintergrund war, dass sich die Erbengemeinschaft nicht über die weitere Nutzung der Immobilie durch Marga Laser und ihren neuen Ehemann, damals noch Freund, einigen konnte. Sie hatte offenbar das Haus aufwändig renovieren lassen, ohne die Zustimmung der Miterben einzuholen. Die umfassende Korrespondenz, die über diesen „Erbfolgekrieg“–so Martha Dachs, geborene Selz, in einem der Briefe – entstand, hatte positiv zur Folge, dass alle Familienmitglieder, verstreut über die ganze Welt, wieder in Kontakt kamen und sich in den unzähligen Briefen auch über Privates untereinander informierten, sie zeigt aber auch, welche weit reichenden Folgen die NS-Enteignungspolitik hatte, sie in den Nachkriegsjahren oft zum Anlass innerfamiliärer Zwistigkeiten wurde.[301]

 

Das Judenhaus Nerotal 53 nach der Auswanderung seiner Eigentümer

Als Netters im Mai 1939 Wiesbaden verließen, mussten sie zwar auch ihr Haus im Nerotal zurücklassen, aber sie hatten es nicht verkauft. Es war somit weiterhin in ihrem Besitz und wurde auch weiterhin von der bisherigen Hausverwaltung Glücklich betreut. Aber wie auch bei allen anderen jüdischen Emigranten verfiel gemäß § 3 der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November 1941 das Vermögen der Auswanderer dem Deutschen Reich. Das Finanzamt Wiesbaden hatte bereits die Verwertung der Immobilie an sich gezogen, nachdem es am 23. Oktober 1941 vom Verwalter Glücklich über den verlassenen „jüdischen Grundbesitz“ informiert worden war. Das ehemalige Einfamilienhaus war inzwischen umgebaut worden, sodass drei separate 3-Zimmer-Wohnungen darin entstanden waren,[302] die bis zum Ende der NS-Herrschaft durchgängig vermietet waren. Bis zum 1. September 1942 durfte auch das jüdische Ehepaar Josef und Katharina Heymann – Katharine Heymann, geborene Laser, war die Schwester von Eduard Laser, verheiratet mit Lilly Herz, der Schwester von Anna Netter, geborene Herz – in seiner Wohnung im zweiten Stock bleiben, dann zog auch dort ein arischer Mieter ein. Einen weiteren Wechsel in der Bewohnerschaft des Hauses gab es danach nicht mehr.[303]

Selbstverständlich weckte eine solche Immobilie in einer solchen Lage sofort Begehrlichkeiten. Der Erste, der sich bewarb, war ein „Frontbühnenleiter“, der an den diversen Fronten im Norden und Osten mit Theateraufführungen die Kampfmoral der Soldaten gehoben zu haben glaubte. Er war bereit, das Haus für den „von Ihnen [dem Finanzamt – K.F.] festgesetzten Kaufpreis“ zu erwerben. [304]
Im März 1943 kam ein Nachbar aus der Weinbergstraße als weiterer Bewerber hinzu, allerdings wollte er nicht das ganze Haus, sondern nur eine Wohnung „aus jüdischem Besitz oder freigewordener von Juden bewohnter Wohnungen“ für seine in Hamburg lebenden Tochter, Witwe eines im Krieg gefallenen Fregattenkapitäns.[305]
Besagte Interessenten hatten aber einen Konkurrenten, der wesentlich dichter an der Quelle saß, nämlich den Hausverwalter Glücklich selbst. Er hatte zunächst über seinen Sohn in Berlin, einen Rechtsanwalt, eine entsprechende Anfrage bei dem zuständigen Oberfinanzpräsidenten in Berlin, zuständig für die Verwertung des Vermögens ausgewanderter Juden, gestellt. Sein Vater Heinrich Glücklich wandte sich im Sommer 1942 direkt an das Wiesbadener Finanzamt. In dem Schreiben führte er aus, dass er durch einen Vertrag, den er mit Bruno Netter noch vor dessen Ausreise notariell geschlossen habe, das „unwiderrufliche Recht“ zur Vermietung und zum Verkauf der Immobilie erhalten habe. Es heißt darin explizit, dass Glücklich „ermächtigt ist, auch das Hausgrundstück zu verkaufen, die Kaufbedingungen nach seinem Ermessen festzustellen, den Kaufvertrag abzuschließen, die Kaufgelder in Empfang zu nehmen und Eintragungen und Löschungen im Grundbauch zu bewilligen und zu beantragen und die Auflassung zu erklären.“ Die Vollmacht konnte sogar auf Dritte übertragen werden.[306] Aus heutiger Sicht ist nur schwer zu beurteilen, ob Bruno Netter tatsächlich ein so besonderes Vertrauen zu dem Hausverwalter hatte oder ob der Vertrag, der den Eigentümer aller Rechte beraubte, auf Druck zustande gekommen war.
In seinem Schreiben an das Finanzamt ergänzte Glücklich, Netters hätten ihm bereits vor seiner Auswanderung die Villa, die zur Versorgung seiner Frau gedacht war, fest zugesagt. Aus diesem Grund sei er im Vertrag auch von der Beschränkung der § 181 BGB befreit worden, sodass er das Rechtsgeschäft auch mit sich selbst tätigen konnte. Man muss sich unweigerlich fragen, wieso dann nicht schon damals ein Verkaufsvertrag abgeschlossen wurde.
Und dann folgen noch die notwendigen Belege für seine Vaterlandstreue und Opferbereitschaft: „Mein einziger Sohn befindet sich bei der Wehrmacht an der Ostfront. Mein jüngster Sohn hat sich im Jahre 1934 auf einen Aufruf des Führers hin freiwillig zur Reichswehr auf ein Jahr verpflichtet und ist im gleichen Jahre durch eine im Dienst zugezogene Verletzung als Soldat im Alter von 24 Jahren gestorben. (…) Ich selbst habe den Weltkrieg als Hauptmann der L. I. mitgemacht, besitze das E.K. II. Kl., Hilfsdienstkreuz, das Kriegsehrenkreuz, die Landwehrdienstauszeichnung II. Klasse und das vom Führer verliehene Verdienstkreuz in Silber.“[307] Dass dieser Mann ein Recht auf einen Beuteanteil hatte, steht außer Frage, ob er aber tatsächlich vertrauenswürdig war, um die Interessen von Bruno Netter zu wahren, dafür umso mehr.

Einer der Bewerber um jüdische Immobilien
HHStAW 519/2 220 II (o.P.)

Im September meldete sich ein weiterer Interessent, ein entlassener Soldat, der wegen seines Augenleidens, das er sich „infolge übergroßer Anstrengungen der Augen im Krieg zugezogen hatte“, nicht mehr in seinen alten Beruf zurückkonnte und deshalb im Nerotal 53 eine Pension einrichten wollte. Als Alternative bot er an, auch mit dem Haus Lortzingstr. 7 vorliebzunehmen, einem anderen früheren Judenhaus, das zum Zeitpunkt seines Bittgesuchs, dem 30. September 1942, bereits geräumt war.[308]

Das Finanzamt Wiesbaden antwortete den Interessenten, dass man eine Liste der potentiellen Käufer angelegt habe und die informieren werde, sobald ein Verkauf geplant sei. Bis auf weiteres sei dies auf Grund des Erlasses des Reichswirtschaftsministers – von gewissen Ausnahmen abgesehen – aber nicht möglich.[309] Die Liste wurde tatsächlich angelegt und ist auch erhalten geblieben. Es hatten sich fünf Interessenten beworben, womit das Haus im Nerotal nach der Richard Wagner Str. 3 und dem ehemaligen Judenhaus in der Lanzstr. 6, das begehrteste Objekt in Wiesbaden war.[310]

Am 1. Juni 1943 beantragte das Finanzamt, das Eigentum an dem Hausgrundstück, das mit der Auswanderung der Netters „dem Reich verfallen“ war[311] – wie die euphemistische Sprachregelung den dreisten Raub zu bemänteln versuchte – auch im Grundbuch auf das Deutsche Reich zu überschreiben. Nur zwei Wochen später wurde am 19. Juni 1943 der Raub durch den entsprechenden Eintrag formal abgeschlossen.[312] Diesmal fand sich kein Richter am Amtsgericht, der – wie etwa beim Judenhaus Blumenstr. 7 – das Ansinnen des NS-Staates infrage stellte.

Der Juden als den ewigen Störenfrieden an der Volksgemeinschaft hatte man sich inzwischen entledigt, aber Friede wollte dennoch nicht einkehren, weder im Großen noch in der kleinen Hausgemeinschaft oder der Nachbarschaft. So gab es einen Streit mit einem Nachbarn um den „Unrat“, es handelte sich hauptsächlich um herabgefallenes Laub, das sich am Zaun angesammelt hatte und von dessen Anblick der Nachbar sich gestört fühlte. In Verlaufe des Streites wurden nicht nur viele Briefe geschrieben und Schreiben verfasst, sondern zuletzt waren auch die Polizei und auch noch die Gerichte involviert, bevor er behoben werden konnte.
Aber auch unter den neuen Mietern des Hauses Nerotal 53 selbst herrschte Unfrieden. Es ging dabei um den Ertrag der im Garten stehenden Obstbäume, die ursprünglich Netters selbst verwertet, bei ihrem Auszug aber das Recht daran einem inzwischen eingezogenen arischen Ehepaar übertragen hatten. „Es will mir scheinen, dass das zwischen Herrn W. und dem Juden Netter getroffene Abkommen, nach welchem heute ein einzelner Mieter den Obstertrag des gesamten Gartens für sich in Anspruch nehmen kann, während andere Mieter mit leeren Händen ausgehen müssen, unter den geänderten Zeitverhältnissen nicht mehr zu Recht bestehen kann. Vor allem ist zu erwägen, dass Obst heute nicht nur mit zu den wichtigsten, sondern auch zu den staatlich bewirtschafteten Lebensmitteln gehört, auf die nach den klar genug von den oberen Reichsstellen geäusserten Erklärungen das ganze deutsche Volk Anspruch hat. Private Vereinbarungen, welche einem Einzelnen Güter dieser Art zusprechen, setzen sich daher über einen allgemeinen Rechtszustand hinweg und müssen bei den dadurch benachteiligten Volksgenossen Aergernis hervorrufen. Dies umso mehr, als die beanstandeten Sonderrechte in einem dem Reiche gehörigen Hause in Anspruch genommen werden und auf ein mit einem Juden getroffenes Abkommen zurückgehen.“[313]
Eigentlich ein alltäglicher Konflikt eher banaler Art, hier aber politisch aufgebauscht, wird er in denunziatorischer Absicht zur Frage der Treue am Führer erhoben und offenbart doch nur, wie wenig der Angeschuldigte und der Ankläger selbst an den Sozialismus im Gewand eines nationalen Chauvinismus glaubten. Es geht auch hier nur um den eigenen Nutzen.
Auch dieser Konflikt konnte nach langer Zeit beseitigt werden, indem man zum einen an dem mit dem Juden Netter gemachten Vertrag festhielt, zum anderen aber der Nutznießerin die Auflage erteilte, den Garten in Ordnung zu halten, womit alle Konflikte gelöst zu sein schienen.
Aber der Krieg war noch nicht vorbei und am 4. Oktober 1943 war das Haus durch den Luftdruck eines feindlichen Bombenangriffs offenbar beschädigt worden.[314]
An diesem Tag – es handelte sich tatsächlich um einen Angriff amerikanischer Flugzeuge am helllichten Tag – wurden über Wiesbaden etwa 80 Sprengbomben abgeworfen, die das Wohngebiet zwischen Lahnstraße und Dambachtal trafen.[315] Welche Ziele mit diesem Angriff verfolgt wurden, ist nicht klar, denn Industrieanlagen waren in diesem Gebiet nicht vorhanden. Es soll immerhin 29 Tode gegeben haben, aber der Schaden am Haus, der in der Meldung des Verwalters nicht präzisiert wurde, kann nicht sehr groß gewesen sein, da alle Mieter im Haus wohnen bleiben konnten und nach dem Krieg das Gebäude auch als nicht beschädigt kategorisiert wurde.[316]

Am 19. August 1946 teilte der Rechtsanwalt Wagner dem Amtsgericht mit, dass er zum Pfleger der abwesenden Eigentümer des Wohngrundstücks Nerotal 53 bestellt worden sei.[317] Es dauerte aber dann doch noch bis zum 1. November 1949, bis dem Antrag auf Rückerstattung der Immobilie zugestimmt wurde.[318] Wiederum zwei Jahre später, eine Absicht der Eigentümerin Anna Netter oder eines ihrer Kinder, wieder nach Deutschland zurückzukehren, bestand nicht, kam am 30. November 1951 ein Vertrag zustande, laut dem das Haus von der Eigentümerin bei einem Einheitswert von 22.600 DM für 35.000 DM veräußert wurde.[319]

Inzwischen wurde die alte Villa, das ehemalige Judenhaus Nerotal 53, durch eine vermutlich profitable, aber charakterlose Wohnanlage im modernen Stil ersetzt.

 

Veröffentlicht: 15. 12. 2024

 

 

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Anmerkungen:

[1] Quellen sind diverse Akten im Hessischen Hauptstaatsarchiv (HHStAW), hauptsächlich Entschädigungs-, Steuer- und Devisenakten. Mehrere Mitglieder der Familien haben zudem ihre eigenen Dokumente dem Leo-Baeck-Institut als Nachlass hinterlegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dazu gehört im Besonderen das Material von Gaby Glückselig, der Tochter von Bruno Netter, siehe https://archives.cjh.org//repositories/5/resources/16196. (Zugriff: 15.12.2024).
In dieser Sammlung ist eine Vielzahl von Briefen, Dokumenten, Zeitungsartikeln und Fotografien enthalten, auf die hier zurückgegriffen wurde. Leider kann man auf sie nur global verweisen, da sie nicht durchnummeriert sind.
Nicht unerwähnt soll ein Film bleiben, den Harald Kunze und Dorothee Lottmann-Kaeseler mit dem Wiesbadener Medienzentrum 2007 über das Leben von Gaby Glückselig erstellt haben. In dem Film kehrt sie auch an die Orte ihrer Kindheit in Wiesbaden zurück.
Auch haben die verschiedenen Familien eigene überlieferte Stammbäume hinterlassen, die allerdings nicht fehlerfrei sind. Zur besseren Orientierung für den Leser werden eigens erstellte Stammbäume, die die Verbindungen der verschiedenen Familienzweige zu erkennen geben, in dem vorliegenden Text an verschiedenen Stellen eingefügt.

[2] Heiratsregister Frankfurt 171 / 1902.

[3] Heiratsregister Wiesbaden 477 / 1858. Moritz Ballin war am 16.8.1824 in Hanau, seine Braut am 11.1.1836 in Schierstein geboren worden.

[4] Siehe zur Familie Herxheimer die verschiedenen Einträge im Stadtlexikon Wiesbaden S. 369 f., ausführlicher Faber, Salomon Herxheimer und Streich, Gotthold Herxheimer. . Jüngst erschien von B. Streich ein noch umfassenderer Artikel, Die jüdische Familie Herxheimer aus Wiesbaden Dotzheim, in: Hessische Genealogie 4 / 2024,  S. 22-31.

[5] Abraham Salomon Tendlau selbst zog dort mit seiner Familie ein und richtete dort auch einen Bade- und Beherbergungsbetrieb ein. 1806 standen auf dem Grundstück neben dem zweistöckigen Wohnhaus, zwei Badehäuser, ein Hinterhaus und diverse Nebengebäude. 1820 verfügte es über 20 Zimmer und 16 Bäder.. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm zunächst seine Frau  Klärchen und nach deren Tod der jüngste Sohn Hirsch Abraham den Betrieb. Nach dessen Verschwinden aus Wiesbaden wurde das Haus samt Badebetrieb veräußert. Sein ältester Sohn Heyum trat als Rabbiner in die Fußstapfen seines 1790 verstorbenen Vaters.

1831 wurde das bestehende Gebäude abgerissen und durch das dort noch heute existierende Gebäude, das auch das Aktive Museum Spiegelgasse beherbergt, ersetzt. Siehe zum Badehaus ‚Zum Rebhuhn’Fritzsche, 300 Jahre jüdisches Badewesen, S.149-152, Bembenek, Zum Rebhuhn, S.99-120, hier bes. S. 119 f.

[6] Heiratsregister Berlin 36 / 1894. https://www.ancestry.de/search/collections/61060/records/4657114?ssrc=pt&tid=9748458&pid=222320200489. (Zugriff: 15.12.2024).

[7] https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=IE6600042. (Zugriff: 15.12.2024).

[8] Siehe die Dokumente unter https://archive.org/details/juliusherzf001/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024).

[9] Im Stadtlexikon Wiesbaden ist unter dem Eintrag Herz, Hofjuwelier zu lesen, dass er sein Juweliergeschäft in der Webergasse bereits 1843 eröffnet habe. Siehe dort S. 371, allerdings ist es fraglich, ob die Angabe zutreffend ist.

[10] Die Lebensdaten der Kinder, die alle in Wiesbaden zur Welt kamen, lauten folgendermaßen: Salomon Friedrich, geboren 24.2.185, gestorben 15.1.1920 in Wiesbaden; Jacob, geboren 5.7.1852, gestorben 2.7.1897 Berlin; Adolf, geboren 14.11.1854, gestorben 14.4.1923 in Wiesbaden; Ferdinand, geboren 18.2.1857, gestorben 17.12.1935 in Berlin; Julie, geboren 27.8.1859, gestorben 8.6.1907 in Wiesbaden; Arnold, geboren 4.6.1861, gestorben 15.2.1862 Wiesbaden; Hermann, geboren 11.2.1863, gestorben 9.4.1923 Berlin. Datenbank Jüdische Bürger Wiesbadens des Stadtarchivs Wiesbaden.

[11] Sterberegister Berlin Charlottenburg IV 424 / 1935.

[12] Die Ausführungen zum Unternehmen Friedländer folgen im Wesentlichen der Darstellung unter https://shop.kusera.de/Gebr-Friedlaender-Juwelier-des-Kaisers (Zugriff: 15.12.2024). Hinzuweisen ist allerdings auf die falsche Angabe, Hermann Herz sei ein Sohn von Jacob Herz gewesen, richtig ist dagegen, dass es sich um den jüngeren Bruder handelte.

[13] Heiratsregister Berlin I / II 36 / 1894. Als einer der Trauzeugen fungierte Hermanns Bruder Ferdinand, der ebenfalls in Berlin lebte.

[14] Sterberegister Berlin III 369 / 1923.

[15] Heiratsregister Breslau IV 758 / 1924. Die Ehefrau war dort am 12.5.1905 geboren worden.

[16] Sterberegister Berlin III, 261 / 1936.

[17] Ihr Ehemann, der den Namen Marcus Zola angenommen hatte, war bereits am 5.11.1977 verstorben. Siehe https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/22510949/person/19882752433/facts und https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/22510949/person/352138743981/facts. (Zugriff: 15.12.2024).

[18] https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/9748458/person/-745955585/facts. (Zugriff: 15.12.2024).

[19] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1554/images/31301_168204-00862?pId=1193873. (Zugriff: 15.12.2024). Dazu Geburtsregister Bücken 24 / 1904. Sie war 17.4.1904 in Bücken als Tochter lutherischer Eltern geboren worden.

[20] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_5104-0658?pId=2014671341 und https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_5104-0658?pId=2014671341. (Zugriff: 15.12.2024).

[21] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61224/images/46919_420302988_0203-00076?pId=16496. (Zugriff: 15.12.2024).

[22] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1554/images/30627_150999-01420?pId=66973. (Zugriff: 15.12.2024). Gladys Herz starb 100-jährig am 21. 9. 2004 in San Jose in Kalifornien, https://www.ancestry.de/search/collections/3693/records/73849400. (Zugriff: 15.12.2024). Walter Herz erreichte mit 93 Jahren ebenfalls ein hohes Alter. Er verstarb ebenfalls in San Jose am 6.1.1998. Siehe https://www.ancestry.de/search/collections/3693/records/27315367. (Zugriff: 15.12.2024).

[23] Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof Schöne Aussicht beigesetzt. Auf ihrem Grabstein ist folgender Text zu lesen:
„Hier ruht
die geachtete und mildtätige Frau,
eine tüchtige Frau, (die) sich der Armen erbarmte.
Frau Edelina, Tochter des Herrn Jakob
Liebmann, Ehefrau des ehrwürdigen Julius
Herz aus Wiesbaden.
Sie starb in der Blüte ihrer Jahre am
Mittwoch, den 13. Tewet; und ihr Mann,
ihre Kinder und alle Verwandten segnen
ihre Güte und ihre Mildtätigkeit. Und sie kehrte zu
ihrer Erde zurück am Rüsttag des heiligen Schabbat,
am 15. Tewet [5]624 n.d.k.Z.
Ihre Seele sei eingebunden im Bunde des Lebens.“
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsrec/current/7/sn/juf?q=Lina+Herz. (Zugriff: 15.12.2024).

[24] Sterberegister Wiesbaden 1335 / 1911.

[25] Stadtlexikon Wiesbaden S. 371.

[26] Sterberegister Wiesbaden 759 / 1907.

[27] https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_2/page/n79/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024).

[28] Zum Schicksal dieser Familie und zum Judenhaus Blumenstr. 7 siehe oben.

[29] https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/936102. (Zugriff: 15.12.2024).

[30] Geburtsregister Wiesbaden 1179 / 1883.

[31] Geburtsregister Wiesbaden 356 / 1887.

[32] Geburtsregister Wiesbaden 132 / 1892.

[33] Geburtsregister Wiesbaden 681 / 1896.

[34] Sterberegister Wiesbaden 68 / 1920.

[35] Sterberegister Wiesbaden 555 / 1923.

[36] Heiratsregister Wiesbaden 207 / 1913. Bruno Netter war schon seit dem 19.6.1911 in Wiesbaden gemeldet. Siehe HHStAW 518 8632 (24).

[37] Die folgenden Lebensdaten der Familie Netter sind dem Familienbuch entnommen, das sich im Nachlass von Gaby Glückselig im Leo-Baek-Institut befindet. Siehe https://archives.cjh.org/repositories/5/resources/9748. Siehe auch http://sternmail.co.uk/sld/getperson.php?personID=I17532&tree=SLtree. (Zugriff: 15.12.2024). Der Kaufmann Leopold Netter war am 1.1.1811 in Bühl geboren worden und verstarb dort am 21.8.1889. Seine Frau Babette, geboren am 8.3.1811, verstarb am 26.7.1859 ebenfalls in Bühl. Dort war am 15.4.1842 Louis Netter geboren worden, seine Frau Bertha kam am 20.10.1842 in Pforzheim zur Welt. Beide verstarben dort, Louis am 10.4.1922, sie am 3.6.1908. Neben Bruno waren drei weiter Kinder in der Ehe zur Welt gekommen. Hermann, ein Kinderarzt in Pforzheim, am 30.8.1870, war verheiratet mit Gertrud Mainzer. Er selbst wurde am 15.9.1942 in Theresienstadt ermordet, siehe https://www.pforzheim.de/stadt/stadtgeschichte/gedenken-friedenskultur/juedische-buerger/glossar-ansicht/glossary/detail/netter-dr-hermann.html und https://ca.jewishmuseum.cz/media/zmarch/images/3/1/0/17574_ca_object_representations_media_31053_large.jpg. (Zugriff: 15.12.2024), seine Frau verstarb am 14.6.1942 in Mannheim, siehe https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01020401/0019/114716505/001.jpg. (Zugriff: 15.12.2024). Ihr Sohn Oskar konnte über Kuba in die USA auswandern. Anna Netter, die einzige Tochter von Louis und Bertha Netter, geboren am 24.9.1875, verheiratet mit David Sommer, geboren am 9.8.1871 im westfälischen Freudenberg, emigrierte 1939 nach Indien.

[38] HHStAW 518 839 (5).

[39] Ebd., dazu HHStAW 685 609 (1, 11). In den Wiesbadener Adressbüchern ist er aber erstmals im Jahr 1929 mit der Adresse Kapellenstr. 14 I eingetragen, aber er ist definitiv früher nach Wiesbaden gekommen. 1920 gab er dort schon seine erste Steuererklärung ab, in der auch die genannte Adresse schon angegeben ist.

[40] Geburtsregister Wiesbaden 555 / 1914.

[41] Geburtsregister Wiesbaden 309 / 1919.

[42] Laut Einkommensteuererklärung von 1920 war das Haus bereits 1917 gekauft worden, siehe HHStAW 685 610b (12). Das kann aber nicht stimmen. Laut Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 10 Bl. 183 fand die Eintragung auf Bruno und Anna Netter, je zur Hälfte, erst am 21.2.1918 statt. Der in den Grundbuchakten enthaltene Kaufvertrag ist auf den 14.1.1918 datiert, ebd. (19 ff). Nicht richtig ist die Erinnerung von Gaby Glückselig in dem biographischen Film, nach der die Villa erst 1919 gekauft wurde.

[43] Siehe dazu die Angaben in der Steuererklärung von 1933 in HHStAW 685 610b (194).

[44] HHStAW 685 609 (30, 56, 65, 80).

[45] Ebd. (99).

[46] HHStAW 518 11276 (77).

[47] HHStAW 685 610b (110).

[48] HHStAW 518 11276 (93). Paul Netter ist in diesem Dokument nicht genannt, dafür aber im Handelsregistereintrag, HHStAW 518 14282 (156). Hier ist auch noch ein Kaufmann Otto Rudolph aus Mannheim aufgeführt, der Prokura hatte. Vermutlich handelt es sich bei dem genannten Paul Netter um den am 30.3.1882 in Mannheim geborene Sohn von Eli und Rosa Netter, geborene Rothschild, (Geburtsregister Mannheim 526 / 1882), der selbst auch Juwelier war. Paul Netter wäre dann der Cousin von Bruno Netter gewesen, denn Pauls Vater Eli war ein Bruder von Louis Netter.

[49] HHStAW 518 839 (140). Es heißt in dem Schreiben nur, dass der „Mieter dieser Verkaufsbude seit etwa 1875 die Familie des Gesellschafters Netter“ gewesen sei. Es könnte sich aber auch um den Zweig der Familie handeln, der Paul Netter entstammte. Dann hätte er diese Filiale in die GmbH eingebracht.

[50] HHStAW 518 11276 (96).

[51] Siehe z.B. das Adressbuch Wiesbaden von 1887/88.

[52] Heiratsregister Frankfurt 1098 / 1877.

[53] Alice Salfeld wanderte 24.3.1939 mit ihrem Mann über England in die USA aus. Ihr wurden 7.400 RM Reichsfluchtsteuer und 8.400 RM Judenvermögensabgabe abverlangt. Siehe HHStAW 518 55773 (22, 45).

[54] Zur Biografie von Berthold Heimerdinger siehe seine eidesstattliche Erklärung in HHStAW 518 14282 (25).

[55] Bescheinigung der Eheschließung, Registernr. 21 / I vom 18.1.1924  des Standesamts Frankfurt, in ebd. (94).

[56] HHStAW 685 252a (129, 139). Dafür hatte sie eine Hypothek auf ihr Haus Wilhelmstr. 18 eintragen lassen, ebd. (138).

[57] Gustav Flörsheim war 2.12.1873 in Wiesbaden geboren worden. Sein Vater Samuel Flörsheim stammte aus Battenberg, seine Mutter Amalie, geborene Kahn, aus Montabaur im Westerwald. Verheiratet war Gustav Flörsheim mit Emma Hamburger, geboren am 21.11.1877 in Wiesbaden. Heiratsregister Wiesbaden 170 / 1905. Das Paar hatte einen Sohn namens Paul Eduard, geboren am 22.3.1906 in Wiesbaden, Geburtsregister Wiesbaden 572 / 1906.

[58] HHStAW 518 14282 (6).

[59] HHStAW 685 609 (109).

[60] Ebd. (130). In dem Schreiben des Finanzamts Wiesbaden vom 16.9.1932 sind alle Gesellschafter mit ihren jeweiligen Bezügen genannt. Es waren Berthold Heimerdinger, 22.000 RM, Gustav Flörsheim, 22.000 RM, Bruno Netter, knapp 30.000 RM, sein Bruder Albert Netter, 13.000 RM und der Cousin Paul Netter, 35.000 RM. Pauls Eltern Eli und Rosa Netter, geborene Rothschild, hatten mit Oscar, geboren am 11.5.1878, Paul, geboren am 30.3.1882, und Alfred, geboren am 13.8.1883, drei Söhne, die alle in Mannheim zur Welt gekommen waren, wo Paul Netter trotz seines Engagements in Wiesbaden auch weiterhin wohnte. Siehe https://www.ancestry.de/search/collections/7575/records/399341. (Zugriff: 15.12.2024).

[61] HHStAW 518 54355 (39).

[62] Die folgenden Ausführungen zu ihrer Biografie beruhen auf einem am 22.5.1957 von ihr selbst erstellten Lebenslauf, siehe HHStAW 518 8631 (4).

[63] Ebd. (15).

[64] Ebd. (6).

[65] HHStAW 518 14282 (10-23).

[66] Ebd. (25 f.) Zum Mobiliar in der Wiesbadener Wohnung siehe die im Rahmen de Entschädigungsverfahrens erstellte Aufstellung, ebd. (73 f.). Den Wert schätzte er auf 25.000 RM.

[67] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/7488/images/NYT715_5503-0581?pId=2017238474. (Zugriff: 15.12.2024), dazu HHStAW 518 14282 (9).

[68] HHStAW 518 14282 (13, 25).

[69] Sterberegister Wiesbaden 1683 / 1914.

[70] HHStAW 519/3 17749 (2).

[71] HHStAW 685 252 (o.P.). Der Einheitswert war 1935 mit 83.800 RM, dann 1939 sogar mit 118.000 RM bemessen worden, d.h. der Verkaufspreis lag deutlich unter beiden Werten, vom Verkehrswert ganz zu schweigen. Siehe Stadtarchiv Wiesbaden WI / 3 983.

[72] Gestapokarteikarte von Leontine Heimerdinger, dazu HHStAW 518 55773 (22).

[73] https://www.ancestry.de/search/collections/61596/records/7085512. (Zugriff: 15.12.2024).

[74] https://www.findagrave.com/memorial/255811502/leontine-heimerdinger. (Zugriff: 15.12.2024).

[75] HHStAW 518 55773 (17). Dazu https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/2280/images/47294_302022005557_0501-00149?pId=6644108. (Zugriff: 15.12.2024).

[76] https://www.findagrave.com/memorial/241026664/alice-salfeld. (Zugriff: 15.12.2024).

[77] HHStAW 518 55773 (75).

[78] Ebd. Zur Familie Marxsohn aus Mainz siehe auch Frauenleben in Magenza, S. 94.

[79] https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/records?recordId=26716322&collectionId=3693&tid=120201117&pid=432164657003&ssrc=pt. (Zugriff: 15.12.2024).

[80] https://www.ancestry.de/search/collections/3693/records/26716369. (Zugriff: 15.12.2024).

[81] HHStAW 685 609 (o.P.).

[82] HHStAW 518 839 (140-142).

[83] HHStAW 519/3 11619 (2, 3, 4). Ein Dreivierteljahr später stellte die Zollfahndung in Frankfurt fest, dass das Vermögen der Familie Netter bereits sichergestellt war und es keine Hinweise gäbe, die für eine illegale Verbringung von Devisen ins Ausland sprächen. Man vermutete, Doris sei in der Schweiz von im Ausland lebenden Verwandten finanziell unterstützt worden.

[84] HHStAW 519/3 11635 (1 f.).

[85] HHStAW 518 8631 (3).

[86] HHStAW 519/3 12022 (1).

[87] HHStAW 519/3 11635 (3, 4).

[88] Ebd. (11).

[89] Ebd. (13).

[90] HHStAW 519/3 12022 (3).

[91] HHStAW 519/3 297 (1).

[92] Hedwig von Warren, geborene Hedwig von Behr, ist im Wiesbadener Adressbuch letztmalig 1918 mit der Adresse Schöne Aussicht 5 eingetragen.

[93] HHStAW 519/3 297 (1). Die entsprechende Anordnung der Devisenstelle erging am 19.9.1938, ebd. (2-6).

[94] Ebd. (6-8).

[95] Ebd. (15). Der Bezug für die Forderung war ihr Vermögen am 1.1.1935, das damals etwa 220.000 RM betrug.

[96] HHStAW 518 8632 (15). Ernst Hirsch Ballin war selbst Jurist, avancierte später in den Niederlanden zu Justizminister.

[97] Kropat, „Reichskristallnacht“, S. 223.

[98] HHStAW 518 8632 (104-106). Die Angaben beruhen auf den Aussagen des Nachfolgers Carl Ernst.

[99] Siehe dazu Leder, u.a., Ausgeplündert und verwaltet, S. 396, auch https://sz-magazin.sueddeutsche.de/kunst/falsches-erbe-80790.

[100] Ebd. (15).

[101] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010501/0014/119866830/001.jpg,. (Zugriff: 15.12.2024).

[102] HHStAW 518 8632 (15).Die 40 RM, die laut seiner Geldkarte am 30.11.1938 als Fahrgeld für die Rückfahrt vermutlich von seiner Frau eingegangen waren, wurden ihm offenbar nicht ausgezahlt. Am 15.10.1940 wurde der Betrag ausgebucht. Da hatte Bruno Netter Deutschland längst verlassen, siehe https://collections-server.arolsen-archives.org/G/SIMS/01010503/1182/133407117/001.jpg. (Zugriff: 15.12.2024).

[103] Siehe zum Vortrag der Gegenseite HHStAW Wsb 519/A 1268 (32-44).

[104] Ebd. (3, 20). Bruno Netter hielt einen Anteil von 53 Prozent, Gustav Flörsheimer von 35 Prozent und Albert von 12 Prozent.

[105] Ebd. (35).

[106] Ebd. 36 f.).

[107] Ebd. (34).

[108] Im Rückerstattungsverfahren kam 1950 ein Vergleich zustande, laut dem den Eigentümern bzw. deren Erben insgesamt 20.000 DM nachgezahlt werden mussten, das Geschäft aber in Händen der neuen Eigentümer blieb. Etwas kurios mutet die Bestimmung an, dass Herr Ernst, sollte Bruno Netter nach Wiesbaden zurückkehren wollen, diesem „eine seinen Fähigkeiten und beruflichen Eigenschaften entsprechende Position im Juwelierunternehmen des Herrn Ernst anzubieten“ habe. Ebd. (59).

[109] https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_2/page/n715/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024).

[110] HHStAW 519/3 11635 (21).

[111] Ebd. (23). Die erste Rate, so in einem anderen Schreiben an die Devisenstelle, war in der vereinbarten Höhe von 82.305 RM bereits Ende Januar auf seinem Konto eingegangen, ebd. (22).

[112] Ebd. (24).

[113] HHStAW 518 8632 (18).

[114] Ebd. (19).

[115] HHStAW 519/3 12022 (3).

[116] HHStAW 518 8632 (25).

[117] HHStAW 519/3 11635 (26).

[118] Meinl / Zwilling, Legalisierter Raub, S. 43.

[119] HHStAW 519/3 11635 (12, 29, 30).

[120] Ebd. (28).

[121] Ebd. (31).

[122] Ebd. (33), dazu HHStAW 519/3 12022 (4).

[123] HHStAW 519/3 12022 (30). Die Dego-Abgabe wurde für neuwertige Waren erhoben, oft bis zum doppelten Wert des Anschaffungspreises, um damit den „Raub am deutschen Volksvermögen“ zu kompensieren.

[124] HHStAW 519/3 11635 (34, 37). Frau Beiner, eine 1903 in Wien geborene Jüdin konnte im Sommer 1939 nach Australien emigrieren.

[125] Ebd. (47), die Liste siehe HHStAW 519/3 12022 (34).

[126] Siehe dazu die Schreiben des Sachverständigen und der Devisenstelle unter ebd. (35-37).

[127] Ebd. (38).

[128] Ebd. (40).

[129] HHStAW 519/3 11635 (39, 40).

[130] https://www.ancestry.de/search/collections/2280/records/6725653. (Zugriff: 15.12.2024). Dazu HHStAW 518 8632 (132).

[131] https://www.ancestry.de/search/collections/7488/records/1006781070. (Zugriff: 15.12.2024).

[132] HHStAW 518 8631 (4).

[133] Ebd.(7). (Amerikanische Heiratsurkunde).

[134] Geburtsregister Charlottenburg 384 / 1905.

[135] https://www.mappingthelives.org/bio/d693dd36-de16-4969-862f-0b42b28cb6da?restrict_to_map_bounds=false&coordinates_show_all=false&forename=Ludwig%20Alfred&surname=Engel&res_single_fd=false&birth_single_fd=false&death_single_fd=false&deportation_single_fd=false&emigration_single_fd=false&expulsion_single_fd=false&imprisonment_single_fd=false&lat=50.3061856&lon=12.3007083&zoom=6&map_agg=residence&language=de und https://www.ancestry.de/search/collections/3998/records/1203665617. (Zugriff: 15.12.2024).

[136] Ebd.

[137] https://www.ancestry.de/search/collections/62308/records/61812617. (Zugriff: 15.12.2024).

[138] HHStAW 519/3 5696 (3). In den Unterlagen lassen sich keine sicheren Angaben zur Zahlung der Judenvermögensabgabe finden, was insofern verwunderlich ist, da er zu diesem Zeitpunkt ganz sicher noch über ein Vermögen verfügte, das größer als 5.000 RM war. In einem Schreiben seines Rechtsanwalts vom 2.3.1953 heißt es dazu: „Schließlich habe ich bei der Besprechung zum Ausdruck gebrach, dass der Antragsteller eine Judenvermögensabgabe entrichtet hat, diese jedoch wieder zurückerstattet bekommen hat, sodass ein Anlass, die Judenvermögensabgabe im vorliegenden Fall geltend zu machen, nicht gegeben ist.“ HHStAW 518 839 (20). Wer sie gezahlt bzw. von wem sie zurückerstattet wurde, muss offen bleiben.

[139] HHStAW 519/3 5696 (2).

[140] Ebd. (9). Es handelte sich um eine Arztrechnung und die Kultussteuer an die Jüdische Gemeinde in Höhe von 124 RM. Erst im Mai wurde die Genehmigung erteilt.

[141] HHStAW 519/3 22491 (passim).

[142] Ebd. (3).

[143] HHStAW 518 839 (19f.).

[144] HHStAW 519/3 5696 (15).

[145] HHStAW 519/3 26122 (2).

[146] Ebd. (17).

[147] HHStAW 518 839 (28).

[148] HHStAW 519/3 26122 (21-26).

[149] Ebd. (27).

[150] HHStAW 518 839 (12, 14). Angesichts des geringen Vermögens, das er zum Zeitpunkt der Auswanderung noch besaß, ist die Zahlung eher unwahrscheinlich, aber dennoch wurde sie erstaunlicherweise mit einem Abschlag anerkannt.

[151] Ebd. (77).

[152] Ebd. (76).

[153] Ebd.

[154] Ebd. (21).

[155] Zur Familie Laser siehe unten. Der mit seiner Familie nach Indien geflüchtete Dr. Rudolf Laser war ein angeheirateter Neffe von Albert Netter.

[156] Ebd. (179).

[157] Ebd. (191). Als seine Erben setzte er seinen Neffen Oscar zur Hälfte und die beiden Töchter seines Bruders Doris und Gaby zu je einem Viertel ein.

[158] Heiratsregister Wiesbaden 834 / 1904.

[159] Heiratsregister Wiesbaden 498 / 1895. Die Eltern von Julie Hertz, geboren am 27.12.1839 und verstorben am 2.9.1912 waren der Kaufmann Jesaias und Käthchen Hertz, geborene Hirsch. Sterberegister Wiesbaden 1058 / 1912.

[160] Zur Familie Hertz und Heymann siehe die Ausführungen zum diesem Judenhaus unten.

[161] Geburtsregister Wiesbaden 127 / 1875.

[162] Geburtsregister Wiesbaden 163 / 1877.

[163] Geburtsregister Wiesbaden 240 / 1880.

[164] Zum Ehepaar Heymann siehe https://www.am-spiegelgasse.de/offline/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/Erinnerungsblatt%20Josef%20und%20Kaethe%20Heymann.pdf (Zugriff: 15.12.2024).

[165] Josef Heymann verstarb laut Todesfallanzeige an Herzschwäche, siehe https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/83019-heymann-josef-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/. (Zugriff: 15.12.2024). Auf dem Erinnerungsblatt des Aktiven Museums Spiegelgasse wird ein Selbstmord von Käthe Heymann vermutet, siehe https://www.am-spiegelgasse.de/offline/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/Erinnerungsblatt%20Josef%20und%20Kaethe%20Heymann.pdf (Zugriff: 15.12.2024), auf der Todesfallanzeige aus Theresienstadt ist als Todesursache allerdings der übliche Darmkatarrh eingetragen, siehe https://ca.jewishmuseum.cz/media/zmarch/images/3/1/6/31397_ca_object_representations_media_31687_large.jpg. (Zugriff: 15.12.2024).

[166] Heiratsregister Wiesbaden 117 / 1900. Geboren war er am 25.11.1872 in Hannover, Sohn des Bauingenieurs Carl Sternheim und seiner Frau Emilie, geborene Zippert.

[167] https://www.ancestry.de/search/collections/61007/records/301908575. (Zugriff: 15.12.2024).

[168] https://www.wiewaswie.nl/nl/detail/print/33633415. (Zugriff: 15.12.2024). Wie aus einem am 27.7.1939 im Zusammenhang mit dem Verkauf des Hauses in der Wiesbadener Langgasse entstandenen Dokument ersichtlich ist, lebte das Paar schon damals in der holländischen Stadt, siehe HHStAW 519/3 3316 (1).

[169] Geburtsregister Wiesbaden 1854 / 1905 und 1905 /1910.

[170] HHStAW 685 436a (3, 4).

[171] Sterberegister Wiesbaden 1406 / 1921.

[172] HHStAW 685 436a (22, 36, 44,).

[173] Ebd. (66).

[174] HHStAW 518 797 I 151 (11, 27, 151).

[175] Ebd. (151). Nicht richtig sind offensichtlich die Zahlen, die im Entschädigungsantrag gemacht wurden. Demnach sank das Einkommen von Eduard Laser von 20.000 RM im Jahr 1930 bzw. 1935 bis 1941 auf 2.000 RM.

[176] Zu Dr. Alfred Amson und seiner Familie siehe Anderle, Jüdische Mitglieder im Verein für Naturkunde, S. 10 f.

[177] HHStAW 518 40030 (1).

[178] HHStAW 518 798 I (216, 227).

[179] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de908736. (Zugriff: 15.12.2024).

[180] Die letzte Angabe beruht auf der Aussage seiner zweiten Frau Margarete Laser im Entschädigungsverfahren, siehe HHStAW 518 40030 (94).

[181] Zum Lager Fünfbrunnen siehe https://cinqfontaines.lu/de/geschichte/. (Zugriff: 15.12.2024).

[182]https://collections.yadvashem.org/en/names/7695825. Zu den Transporten aus Luxemburg siehe https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/chronology/viewLuxembourg.xhtml. (Zugriff: 15.12.2024).

[183] Geburtsregister Frankfurt 762 / 1909.

[184] HHStAW 518 I 798 (195).

[185] Ebd. (215). Rudolf Laser hatte neben einem umfangreichen Lift mit der Wohnungs- und Praxiseinrichtung aus der Langgasse auch noch sein Auto mit nach Indien überführt.

[186] HHStAW 518 40030 (1).

[187] Ebd. (21).

[188] Ebd. ().

[189] Ebd. (80). Ob sie die Ausbildung 1934 schon mit Blick auf eine zukünftige Ehe begonnen hatte, oder ob sich vielleicht erst dadurch die Beziehung zu ihrem zukünftigen Ehemann ergab, ist nicht klar. Die zweijährige Ausbildung konnte sie in Deutschland nicht mehr abschließen.

[190] Ebd. (59, 60, 67, 94).

[191] HHStAW 518 798 I (184).

[192] Ebd. (272).

[193] Ebd.

[194] Siehe zu Indien als Fluchtziel Voigt, Indien, in: Hdb. der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, S.270-275.

[195] HHStAW 518 40030 (32, 33, 34). Unter den Belegen befindet sich auch die Zeugenaussage eines evangelischen Pastors.

[196] Zu den folgenden Lebensdaten siehe HHStAW 518 797 I (62).

[197] HHStAW 518 53396 und HHStAW 518 53398.

[198] HHStAW 685 436a (88).

[199] HHStAW 519 /3 3316 (1). Offenbar lebte zu diesem Zeitpunkt nur Louis Sternheim bereits in Holland, seine Frau aber noch in Deutschland. Ihr Anteil von 21.500 RM, nach Abzug der offensichtlich bisher nicht gezahlten Judenvermögensabgabe von 10.000 RM, wurde laut Auskunft der Devisenstelle Hannover am 27.7.1939  auf ein gesichertes Konto eingezahlt, ebd. (4).

[200] Ebd.

[201] Ebd. (o.P.)

[202] Ebd. (8).

[203] Ebd. (10).

[204] Ebd. (16).

[205] HHStAW 518 797 I (10, 22, 23).

[206] HHStAW 519/3 3316 (17).

[207] Ebd. (18-30 passim). Den niedrigsten Wert mit 5,60 RM hatte er im September 1940 zu verzeichnen. Möglicherweise war er in diesem Monat krank oder hatte aus anderen Gründen nicht praktizieren können.

[208] Ebd. (28). Die Verfügung ist allerdings auf den 17.4.1941 datiert, aber mit größter Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen Schreibfehler, den das Antwortschreiben enthält den Eingangsstempel mit der Jahresangabe 1942. Zudem wurden nahezu alle Wiesbadener Juden im Frühjahr 1942 noch einmal zur Abgabe einer solchen Aufstellung aufgefordert, bevor man sie dann deportierte.

[209] Ebd. (29).

[210] In dem Artikel über Georg Goldstein der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg wird die Langgasse 20 als Judenhaus bezeichnet, siehe https://www.hausaufderalb.de/deportation-ermordung-goldstein#c51781, (Zugriff: 15.12.2024). Offiziell war sie das nicht.

[211] Auf das Schicksal von Georg und Margarete Goldstein kann im gegebenen Rahmen nicht angemessen eingegangen werden, siehe dazu etwa das Erinnerungsblatt des Aktive Museum Spiegelgasse, umfassend auch die Seite https://www.hausaufderalb.de/deportation-ermordung-goldstein#c51781, die sich dem Leben und Werk von Georg Goldstein widmet. Inzwischen hat sich auch ein Verein gegründet, der in der Tradition der Arbeit seiner Namensgeber einen Joseph Baum und Dr. Georg Goldstein-Preis für eine arbeitnehmerorientierte Unternehmenspolitik verleiht, siehe https://baum-goldstein-preis.de/. (Zugriff: 15.12.2024).

[212] Zu der dortigen Arbeit siehe Opfermann, Hermesweg, S. 403-413.

[213] https://www.hausaufderalb.de/deportation-ermordung-goldstein#c51781., (Zugriff: 15.12.2024), so auch https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de877006. (Zugriff: 15.12.2024). Das Erinnerungsblatt für Georg Goldstein des Aktiven Museums Spiegelgasse nennt hingegen als Todesort Theresienstadt, allerdings das gleiche Datum. In Yad Vashem ist auch Theresienstadt als Todesort genannt, siehe https://collections.yadvashem.org/de/names/13505094, (Zugriff: 15.12.2024). In der Opferdatenbank von Theresienstadt ist er aber nicht aufgeführt. Unklar ist zudem, ob Georg Goldstein zusammen mit seiner Frau oder getrennt von ihr nach Theresienstadt deportiert wurde, wie Baab, Leiter der Gestapo in Frankfurt, behauptete. Siehe Opfermann, Hermesweg, S. 409.

[214] Zu Frida Kahn siehe oben den Artikel https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/querstr-6-in-schierstein/. (Zugriff: 15.12.2024).

[215] Siehe die Angaben auf ihren jeweiligen Gestapokarteikarten.

[216] https://www.mainz1933-1945.de/rundgang/teil-i-innenstadt/stolpersteine.html. (Zugriff: 15.12.2024). Zum Tod von Elise Herz siehe Sterberegister Wiesbaden 1807 / 1942. Für sie hat das Aktive Museum Spiegelgasse auch ein Erinnerungsblatt vorgelegt, siehe https://www.am-spiegelgasse.de/offline/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/EB-Baer-Elise.pdf. (Zugriff: 15.12.2024).

[217] Bembenek / Ulrich, Widerstand und Verfolgung, S. 301 ff. Umfassend zu dem Transport siehe Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 132-169.

[218] https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/14975-auguste-herz/. (Zugriff: 15.12.2024).
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de861337. (Zugriff: 15.12.2024).

[219] Sterberegister Arolsen 1311 / 1956 und 1312 / 1956. Dazu https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/20300-eduard-laser/ und https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/20305-lilli-laser/. (Zugriff: 15.12.2024).  Im Verfahren zur amtlichen Todeserklärung gaben die Zeugen ihres Todes in Theresienstadt, Julius und Nelly Elkan, abweichend davon an, dass die beiden am gleichen Tag verstarben, Eduard Laser an Lungentuberkulose, seine Frau durch Suizid. Sie seien beim Tod der beiden persönlich anwesend gewesen und hätten bei der Beseitigung der Leichen geholfen. Siehe HHStAW 469/33 2192 (9).

[220] HHStAW 685 263a (32, 35). Der Mietwert der Wohnung von Johanna Herz, die im ersten Stockwerk lag, war mit 2.100 RM veranschlagt. In der Parterrewohnung des Münchner Hauses wohnte die Familie ihrer Tochter Eleisabeth Leni Merzbacher.

[221] Ebd. (43).

[222] Ebd. (55 f.).

[223] HHStAW 685 263b (9, 16).

[224] Ebd.(6, 7, 10, 14).

[225] HHStAW 518 15085 (27, 31). Auch eine Platinkette mit Perlen wurde abgegeben, aber ein Auszahlungswert ist hier nicht eingetragen. Handschriftlich ist allerdings seitlich „2,500,-“ geschrieben. Der Betrag bezieht sich aber nur auf den taxierten Wert der Kette und nicht auf eine Vergütung. Ebd. (28).

[226] HHStAW 519/3 297 (24). Dazu HHStAW 518 15085 (25), der den entsprechenden Kontoauszug über die verkauften Wertpapiere enthält.

[227] Laut den Einkommensteuererklärungen sank ihr Einkommen von 5.000 RM im Jahr 1938 auf 2.300 RM im Jahr 1941 ab. Siehe HHStAW 685 263a (81-102).

[228] HHStAW 519/3 297 (30).

[229] Ebd. (34).

[230] Ebd. (42).

[231] HHStAW 685 263 Einkommensteuer (50).

[232] HHStAW 519/3 297 (38).

[233] Ebd. (48, 49, 50).

[234] In ihren Steuererklärungen, die von 1931 an erhalten geblieben sind, ist ab 1933 eine namentlich nicht genannte Hausangestellte aufgeführt, 1935 ist erstmals der Name Pauline Steitz genannt. Sie stand aber schon wesentlich länger in Diensten von Johanna Herz. Dies ergibt sich aus einer Anmerkung im Zusammenhang mit einer Schenkung, in der auch ihre Adresse ebenfalls mit Hainerweg 3 angegeben ist. Kurz vor ihrer Deportation  hatte Johanna Herz ihr 2.000 RM „in Anerkennung für ihre treuen Dienste während zweiundzwanzig Jahren und zur Versorgung für ihren Lebensabend“ vermacht, bzw. vermachen wollen. Die Devisenstelle hatte den Antrag zurückgeschickt und gefordert, ihn über ihre Devisenbank einzureichen. Erst danach wurde die Schenkung dann doch noch bewilligt, siehe ebd. (53, 54).

[235] Zur Firma und auch zum Schicksal von Alice Hess siehe das Kapitel oben zum Judenhaus Bahnhofstr. 25, wo sie bis zu ihrer Deportation zuletzt wohnte.

[236] Eva Amson wandte sich am 4.9.1949 aus Bombay an ihn mit der Bitte, “meine Interessen in der Erbschaft der Großmutter Herz in die Hand zu nehmen“. Siehe https://ia600708.us.archive.org/4/items/gabyglueckselig00unse_2/gabyglueckselig00unse_2.pdf. (Zugriff: 15.12.2024).

[237] HHStAW 519/3 297 (51).

[238] Ebd. (55). Der bisherige Mieter besaß eine Metzgerei in der Wellritzstr. 16. Seit wann er im Hainerweg wohnte, ließ sich nicht ermitteln. Laut dem Adressbuch 1938, der letzten Vorkriegsausgabe, wohnte er damals noch in der Wellritzstraße.

[239] Zumindest die Betroffenen in Frankfurt wussten seit dem 21. August Bescheid, siehe Kingreen, Deportation der Juden aus Hessen, S. 133.

[240] Archiv des AMS, ein Faksimile des Briefes ist auch auf dem Erinnerungsblatt für Amalie Hirsch und Johanna Herz abgedruckt, siehe Spiegelgasse https://www.am-spiegelgasse.de/offline/wp-content/downloads/erinnerungsblaetter/Erinnerungsblatt%20Johanna%20Herz%20und%20Amalie%20Hirsch.pdf. (Zugriff: 15.12.2024). Nelly und Julius Elkan wurden – wie sie schrieb – tatsächlich im letzten Moment durch ein bzw. eigentlich viele „große(s) Wunder“ gerettet. Zunächst überstand Nelly eine lang andauernde Typhuserkrankung. Dann profitierte sie von der allmählichen Auflösung der Herrschaftsstrukturen des NS-Staates im Angesicht der unvermeidbaren Niederlage. In den letzten Kriegswochen, in denen sich zunehmend Chaos und eigenmächtiges Handeln der NS-Funktionäre ausbreitete, versuchte Himmler durch geheime Verhandlungen mit internationalen jüdischen Organisationen an Devisen und auch Güter wie LKWs zu kommen, für die er das Leben und die Freiheit einer größeren Zahl der in Theresienstadt inhaftierten Juden in Aussicht stellte. Am 5. Februar 1945 konnte auf dieser Geschäftsgrundlage ein Transport mit etwa 1.200 jüdischen Gefangenen zusammengestellt werden, der am folgenden Tag sein Ziel St. Gallen in der Schweiz erreichte. Nelly und Julius Elkan waren unter diesen, auf wundersame Weise Geretteten.

[241] https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/83018-herz-johanna-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/. (Zugriff: 15.12.2024).

[242] https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/90315-hirsch-amalie-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/. (Zugriff: 15.12.2024).

[243] Heiratsregister Wiesbaden 432 / 1917.

[244] Zum Stammbaum der Selz-Familie siehe https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20283/SELZ.pdf. (Zugriff: 15.12.2024).

[245] http://85.215.117.206/cgi-bin/bhr?gnd=1018813330. (Zugriff: 15.12.2024). (Zugriff: 15.12.2024).

[246] https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20Bayern/OBERNDOERFFER-family.htm. (Zugriff: 15.12.2024). Er war Direktor der Bayrischen Vereinsbank, nicht aber der Deutschen Bank.

[247] https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=personenliste&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bopferid%5D=4809&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Baction%5D=showopfer&tx_mucstadtarchiv_stadtarchivkey%5Bcontroller%5D=Archiv&cHash=2de40db17d9f5023ae67522fc3bd30dc. (Zugriff: 15.12.2024).

[248] Ebd. Martha heiratete in den USA Sidney Dachs. Mit ihm, geboren am 12.11.1912 und verstorben am 27.10.1999, hatte Martha die zwei Kinder Alan Mark und David Jon. https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/188885693/person/292465577280/facts. (Zugriff: 15.12.2024). Wann sie selbst verstarb ist nicht bekannt.
Ihre Schwester Toni, auch Bobbie genannt, war zunächst nach England emigriert, soll aber – so Eugen Szkolny – später nach Rhodesien, dem heutigen Zimbabwe, ausgewandert sein. Sie war mit Oskar Samuel Friedlein aus Weinheim an der Weinstraße verheiratet, aber auch bei ihr ist nicht bekannt, wann und wo die Ehe geschlossen wurde. Das Ehepaar verbrachte seine letzten Lebensjahre in den USA, wo sie sich in Hartford im Bundesstaat Connecticut niedergelassen hatten. Oskar Samuel Friedlein war am 15.9.1904 geboren worden und verstarb am 5.2.1982 in Hartford, seine Frau Antonie am 14.10.2007 ebenfalls dort. https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/2469/images/851895?pId=20699295 und https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1629/images/31197_145642-03663?pId=7381751. (Zugriff: 15.12.2024).

[249] https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01010602/aa/ag/ro/001.jpg. (Zugriff: 15.12.2024). Eugen Szkolny schreibt über die Inhaftierung: “In 1938 Fredi was taken to the Dachau concentration camp, where, as expected, his neurotic behaviour immediately disappeared. He adapted fantastically to the environment and never complained.“ https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20Bayern/OBERNDOERFFER-family.htm. (Zugriff: 15.12.2024). Das mag so gewesen sein, allerdings wird so der Eindruck erweckt, als habe ein solcher KZ-Aufenthalt eine heilsame Wirkung auf manche Menschen gehabt – eine mehr als problematischer Schlussfolgerung.

[250] Ebd.

[251] https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_2/page/n715/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024).

[252] https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20Bayern/OBERNDOERFFER-family.htm. (Zugriff: 15.12.2024). Die Angabe, dass auch Olga Selz von den Nazis ermordet wurde, konnte nicht verifiziert werden. Im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz ist sie als Opfer nicht aufgeführt.

[253] HHStAW 519/3 297 (46).

[254] https://www.mappingthelives.org/bio/4b57a4d2-542d-4347-a8b8-25ee940c6f31?restrict_to_map_bounds=false&coordinates_show_all=false&forename=Alice&surname=Selz&res_single_fd=false&birth_single_fd=false&death_single_fd=false&deportation_single_fd=false&emigration_single_fd=false&expulsion_single_fd=false&imprisonment_single_fd=false&lat=50.3061856&lon=12.3007083&zoom=6&map_agg=residence&language=de. (Zugriff: 15.12.2024).

[255] Siehe Gottwaldt / Schulle, Judendeportationen, S. 104. Er nennt als Ankunftsdatum den 24. oder 25.11.1941, neuere Untersuchungen gehen eher von einer dreitägigen Fahrt aus, siehe https://www.juedisches-museum-muenchen.de/fileadmin/redaktion/06_Presse/Downloads/04_Kaunas_1941_Handout.pdf. Das Problem besteht darin, dass die genaue Fahrtstrecke nicht zu rekonstruieren ist. Unter https://atlas.lastseen.org/image/m%C3%BCnchen/307 sind Bilder dieses Transportes zu finden. (Zugriff: 15.12.2024).

[256] Ebd. Jüngst ist in der SZ vom 30.11.2024, S. 38, ein Artikel über diesen Transport aus München erschienen, in dem über ein Seminar von Lehramtskandidaten berichtet wurde, in dem auf Grundlage eines Klassenfotos der Jüdischen Volksschule versucht wurde, die Biografien von 13 Kindern, die Opfer dieses Transports wurden, zu rekonstruieren. Abgeschlossen wurde das Seminar mit einem Besuch der Gedenkstätte in Kaunas.

[257] Heiratsregister Wiesbaden 52 / 1910. Hier auch die Geburtsangabe und die Namen der Eltern. Zur verwandtschaftlichen Beziehung siehe https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20Bayern/OBERNDOERFFER-family.htm. (Zugriff: 15.12.2024).

[258] https://www.jg-baiersdorf.de/static/photos/1191.jpg. (Zugriff: 15.12.2024).

[259] http://www.lorlebergplatz.de/juden_in_erlangen_I_K-P.pdf. (Zugriff: 15.12.2024).

[260] https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=7485. (Zugriff: 15.12.2024).

[261] https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/936102. (Zugriff: 15.12.2024).

[262] Ebd. (Zugriff: 15.12.2024). Wegen der besseren Lesbarkeit wurden die Umlaute im Text angepasst.

[263] Für beide Geburtsdaten siehe HHStAW 518 15085 (27).

[264] https://www.geni.com/people/Joseph-Merzbacher/6000000091777222821. (Zugriff: 15.12.2024).

[265] Ernst hatte da bereits vom November 1933 bis 1938 gewohnt, hatte dann aber noch einige Male die Wohnung gewechselt und war dann am 19.6.1939 wieder in dir Leopoldstraße zu seinem Bruder gezogen. Siehe https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=7485. (Zugriff: 15.12.2024).

[266] https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/936102. (Zugriff: 15.12.2024).

[267] Ebd.

[268] Ein Großteil seiner Erinnerungen befasst sich mit der Zeit in Brasilien, im gegebenen Zusammenhang können die Einzelheiten hier nicht referiert werden. Es sei daher auf das Dokument selbst verwiesen.

[269] https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01010602/aa/ag/qk/001.jpg und https://collections-server.arolsen-archives.org/V/Ous_partitions/33/01010602/aa/ag/qc/001.jpg. (Zugriff: 15.12.2024).

[270] https://collections-server.arolsen-archives.org/G/wartime/02010101/0334/1396168/001.jpg. (Zugriff: 15.12.2024).

[271] https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/1607/images/31394_204042-02725?pId=158595 (Zugriff: 15.12.2024) und HHStAW, 518 15085 (27).

[272] Zu Milbertshofen siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Judenlager_Milbertshofen. (Zugriff: 15.12.2024). Dort findet man auch weiterführende Literaturhinweise.

[273] https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/24694-ernst-merzbacher/. (Zugriff: 15.12.2024).

[274] Im Leo Baek Institut sind eine Reihe von Dokumenten der Familie, auch viele Fotografien und Briefe hinterlegt, siehe https://archives.cjh.org/repositories/5/archival_objects/936099. (Zugriff: 15.12.2024).

[275] Siehe die Zahlen unter HHStAW 518 8632 (163).

[276] Ebd. (53).

[277] HHStAW 518 54355 (33).

[278] https://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/bergammer.pdf. (Zugriff: 15.12.2024).

[279] HHStAW 518 54355 (6).

[280] Siehe „Der Aufbau“ vom 13.7.2003, S. 21.

[281] Zum Stammtisch siehe https://digipres.cjh.org/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=IE6660337. (Zugriff: 15.12.2024), Jüdische Allgemeine  vom 17.7.2003. Siehe insgesamt die Sammlung von Artikeln zum Leben von Leo, Fritz und Gaby Glückselig, auch viele Fotografien und Diskussionsmaterialien unter https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_3/page/n646/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024).

[282] https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_1/page/n92/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024).

[283] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/emigranten-stammtisch-gaby-glueckselig-zum-100-geburtstag-a-965104.html. (Zugriff: 15.12.2024).

[284]
Der Stammtisch ging damit noch nicht zugrunde. Die Rolle von Gaby Glückselig übernahm die damals 93jährige Trudy Jeremias, siehe die Reportage

https://www.srf.ch/audio/passage/der-new-yorker-stammtisch-der-emigrantinnen-und-emigranten?id=8cc69652-17f9-4b27-953f-02cba8d01066. (Zugriff: 15.12.2024). Ob er heute, wo vermutlich keine Emigranten von damals mehr am Leben sind, noch existiert, konnte nicht ermittelt werden.

[285] HHStAW 518 15085 (25). Wann sie in England ankamen und wann sie nach Deutschland weiterreisen konnten, ist den Akten nicht zu entnehmen.

[286] HHStAW 518 798 (4).

[287] Sterberegister Heidelberg 614 / 1948.

[288] HHStAW 518 798 I (5- 15 passim, dazu 126).

[289] Ebd. (115). Eine Liste der verloren gegangenen Einrichtungsgegenstände, ebd. (116)-118). Eine Entschädigung für diesen Verlust wurde mit dem bekannten Argument verweigert, dass dafür die NS-Behörden nicht verantwortlich waren, somit auch der deutsche Staat nicht regresspflichtig sei, ebd. (317).

[290] Ebd. (140).

[291] Ebd. (202). Nach ihrer Rückkehr 1952 besuchte sie in Wiesbaden eine Haushalts- und eine Handelsschule, aber ihr Sprachkenntnisse reichten noch immer nicht für eine Höhere Schule aus, weshalb sie sich nur mit Bürojobs ein wenig Geld verdienen konnte. Ob ihre Absicht, eine Ausbildung zur Dolmetscherin zu absolvieren, noch gelang, ist nicht bekannt.

[292] Ebd. (126).

[293] Ebd. Im Haus wohnte 1948 bis 1950 ein äußerst interessanter Mieter, nämlich der Oberstaatsanwalt Quambusch, eine äußerst schillernde Figur, der mit Berthold Guthmann befreundet war, aber auch während der NS-Zeit das Amt des Oberstaatsanwalts in Wiesbaden ausübte. Er hatte vergeblich versucht, sich das Haus Friedrichstr. 8 der Jüdin Aurelie Kahn anzueignen. Der Kaufvertrag war zwar zustande gekommen, strittig blieb aber, ob er auch gültig war. Offensichtlich hat er es letztlich doch geschafft, sich in einen ehemaligen jüdischen Besitz einzunisten, gekauft hat er aber auch dieses Haus nicht. Siehe ausführlich zu Quambusch den Exkurs über den Link Quambusch.

[294] HHStAW 518 40030 (95-98).

[295] Heiratsregister Wiesbaden 1615 / 1954. Er war am 3.5.1915 in Mainz geboren worden, Geburtsregister Mainz 711 / 1915.

[296] Ebd. (54).

[297] Ebd. (216-224).Dazu HHStAW 467 6655 (passim).

[298] Ebd. (259).

[299] HHStAW 518 15085 (47-52, 81-83).

[300] https://archive.org/details/gabyglueckselig00unse_2/page/n715/mode/1up?view=theater. (Zugriff: 15.12.2024). Dass man bei den Erben mit den Handlungen von Glücklich nicht zufrieden war, ergibt sich auch aus einem Schreiben von Ernst Hirsch-Ballin vom 15.2.1953 an Anna Netter, wobei dieser allerdings in e anmerkte, dass man Glücklich nicht vor den Kopf stoßen dürfe und man bei der Erbauseinandersetzung auf seine Mithilfe bauen sollte. Ebd. Auch in dieser ganzen Auseinandersetzung war der Sohn von Amalie Hirsch ein ständiger Berater der Kinder von Johanna Herz.

[301]

[302] HHStAW 519/2 2202 II (14).

[303] Die Abrechnungen bis in den Sommer 1944 wurden vom Hausverwalter Glücklich penibel geführt und dem Finanzamt vorgelegt, ebd. (passim).

[304] HHStAW 519/2 2202 II (17).

[305] Ebd. (o.P.).

[306] Dieser Vertrag existierte tatsächlich und kam unter Mithilfe des Notars Buttersack am 26.4.1939 zustande. Siehe Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 10 Bl. 183 Außen (57).

[307] HHStAW 519/2 2202 II (17f.).

[308] Ebd. (o.P.).

[309] In dem Erlass war ein generelles Verkaufsverbot für jüdische Immobilien bis zum Ende des Krieges erlassen worden, um auch den dann siegreichen Soldaten eine reelle Chance zu geben, sich am verlassenen „Judengut“ zu bedienen. Siehe oben das Kapitel https://moebus-flick.de/der-grosse-raubzug/raub-und-verwertung-der-juedischen-immobilien/. (Zugriff: 15.12.2024).

[310] HHStAW 519/2 1381 (o.P.).

[311] HHStAW 519/2 2202 I (12).

[312] Ebd. (o.P.).

[313] Ebd.

[314] Ebd. (o.P.).

[315] Weichel, Wiesbaden im Bombenkrieg, S. 35.

[316] Stadtarchiv Wiesbaden WI / 3 983.

[317] Grundbuch der Stadt Wiesbaden Bd. 10 Bl. 183 Außen. (67).

[318] Ebd. (76).

[319] Ebd. (80 f.).